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Über Familie, wilde Gefühlsachterbahnen und unsterbliches Verliebtsein Die 14-jährige Flora findet ihre pubertätsbedingten körperlichen Veränderungen gruselig. Sie hüllt sich in Schlabberpullis und trägt eine Mütze, um die Pickel auf der Stirn zu verstecken. Aber das ist nicht Flos einziges Problem: Ihre Mutter versucht sich gerade in einem Kurs für positives Selbstmarketing, weil Flos Vater ausgezogen ist und eine neue Freundin hat. Der absolute Albtraum nähert sich jedoch in Form eines Schul-Theaterstücks: Sie muss einen Baum spielen – echt jetzt?! Und das auch noch zusammen mit Toby, in den sie heimlich heftig verknallt ist, und mit Maik, dem nervigen Klassenclown. Gefühlschaos vorprogrammiert! - Verliebt sein ist schrecklich schön – und ganz schön schrecklich! – Wunderbar humorvolle Geschichte über das pubertäre Gefühlschaos - Nicole Mahne erzählt äußerst einfühlsam und dabei umwerfend komisch von den Träumen und Nöten einer 14-Jährigen - Lese-Motivation: Zu diesem Buch gibt es ein Quiz bei Antolin Leseprobe aus "Forever kann mich mal": "Heute schon was geplant?", fragt Toby. "Eigentlich nicht", antworte ich mit bebendem Herzen und klammere mich an die Sitzfläche des Stuhls. "Und du?" "Auch nichts!" Toby wird mich jeden Augenblick um eine Verabredung bitten. Ich atme tief ein und aus, damit ich nicht in Ohnmacht falle, wenn es so weit ist. Ich weiß nicht, wie lange ich warte. Ziemlich lange auf alle Fälle, denn in der Zwischenzeit verschlingt Toby den Auflauf, den Nachtisch und schreibt eine WhatsApp, während ich wie angeklebt auf meinem Hintern sitze und mir zusehends die erwartungsfreudige Mimik entgleist. "Ich geh dann mal", sagt Toby, ohne aufzustehen. Stattdessen schaut er mich mit seinen Bergseeblauaugen an, als wäre es an mir, die entscheidende Frage zu stellen. "Hast du Lust, mit mir eine Radtour zu machen?", stoße ich heiser heraus. Einfach umwerfend lustig und mitten aus dem Leben – Jugendbuch für Mädchen und Jungs ab 11 Jahre
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Seitenzahl: 160
Originalcopyright © 2023 Südpol Verlag GmbH, Grevenbroich
Autorin: Nicole Mahne
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Corinna Böckmann
E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim
ISBN: 978-3-96594-221-9
Alle Rechte vorbehalten.
Unbefugte Nutzung, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung,
können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
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Um mich herum ein Wald ausgestreckter bettelnder Arme. Ich ziehe den Kopf ein und ducke mich. Während sich die anderen um die Rollen reißen, gehe ich auf Tauchstation.
„Haben jetzt alle eine Aufgabe?“ Herr Frohwerk beginnt, seine Unterlagen auf dem Lehrerpult zu stapeln.
„Flo noch nicht!“ Julias langer Zeigefinger zerdrückt mich wie eine Stubenfliege.
Herr Frohwerk sieht mich überrascht an. „Warum hast du dich nicht gemeldet, Flora?“
„Sie braucht eine Extraeinladung“, schießt Julia ihren Giftpfeil ab.
„Blöde Kuh“, knurre ich leise und dann betont gleichgültig: „Was ist denn noch übrig?“
Mein Deutschlehrer durchwühlt seine Papiere, bis sich sein Gesicht aufhellt.
„Das passt doch wunderbar“, murmelt er und verkündet mein Todesurteil: „Du spielst einen der magischen Bäume. Zusammen mit Maik und Toby.“ Herr Frohwerk klatscht in die Hände und streicht zufrieden seine wuscheligen grauen Haare zurück.
„Muss das sein?“, frage ich schockiert.
„Es ist eine bedeutende Rolle“, erklärt Herr Frohwerk, „auch wenn einige von euch jetzt lachen.“
Einige? Alle!
„Wir stehen bedeutungsvoll rum“, ruft Maik in die Runde.
„Ihr seid magisch“, betont Herr Frohwerk. „Ihr drückt mit Körperhaltungen und Bewegungen den Seelenzustand der Figuren aus. Ihr spiegelt ihre Emotionen wider. Natur und menschliches Schicksal sind eng miteinander verflochten. Ein dritter magischer Baum ist hervorragend.“
„Ich möchte lieber nicht …“, setze ich zum Widerspruch an, aber Herr Frohwerk schneidet mir das Wort ab.
„Ihr werdet das toll machen.“ Er hält den Daumen hoch.
Bevor Julia ein Kanonenfeuer aus Spott und Hohn auf mich eröffnen kann, verschwinde ich mit dem Gongschlag aus der Aula in die grölende und rempelnde Schülermasse, die wie brodelnde Lava aus dem Gebäude strömt.
„Hey Flo, wann treffen wir uns zum Proben?“, ruft Maik zu mir herüber, während ich an meinem Fahrradschloss rüttele, das verdammt noch mal wieder klemmt. Maik stellt sich auf ein Bein und fuchtelt wild mit den Armen. „Kastanie im Sturm. Eine ausdrucksvolle Inszenierung.“
Vom Meister der Volldeppen, denke ich und ignoriere sein jämmerliches Schauspiel.
Toby flüstert Maik etwas ins Ohr und versucht ihn hinter sich herzuziehen. Vergeblich. Flüchtig schaut er zu mir her und verbirgt sich hinter Maiks schwankendem Rücken.
Ich sehe trotzdem nur dich. Weißt du das nicht?
Dann verliert Maik sein Gleichgewicht, gerät ins Straucheln und zerrt Toby johlend mit zu Boden.
Idiot.
Mein Fahrrad als Fluchtfahrzeug. Ich strample, bis mir vor Anstrengung übel wird. Ich rase durch die Grünanlage, immer am Bach entlang, an dessen Ufer das Springkraut in die Höhe ragt. Seine dicken prallen Schoten explodieren bei der kleinsten Berührung. Mit dem ausgestreckten Bein pflüge ich die Pflanzen um und löse kleine Feuerwerke aus Pflanzensamen aus. Je weiter ich fahre, desto menschenleerer wird es. Ich biege in einen Feldweg ein. Endlich. Wiesen, Bäume und Himmel, sonst nichts, sonst keiner. Ich stelle mein Fahrrad ab und lasse mich ins Gras fallen.
Mit ausgebreiteten Armen und Beinen liege ich da. Ein ausrangierter Hampelmann. Sofort erstürmen mich die ersten Ameisen. Ihr Kribbeln und Krabbeln kitzelt auf meinen nackten Armen. Wie lange muss ich stillhalten, bis Gras auf mir wächst? Die warmen Sonnenstrahlen machen mich schläfrig. Hinter meinen Augenlidern ein Farbenmeer aus Orange, Gelb und Grün. Das Summen der Bienen und das Zwitschern der Vögel, eine Hängematte aus Geräuschen. Ewig könnte ich daliegen, von der Sonne betäubt und besänftigt. Ich bin ein Erdhügel. Schaut nur, keine spielt den Erdhügel so überzeugend wie Flo. Besiedelt von Krabbeltieren. Doch die erbärmliche Wirklichkeit holt mich ein. Ich kann unmöglich ein Baum sein an Tobys Seite. Ich werde zittern wie Seegras im Wind.
Ich habe bereits das Sehen verlernt. Mühsam blinzeln meine Augen gegen das Flimmern der Sonne an. Ich ziehe meine Turnschuhe aus, nehme sie in die Hand und gehe barfuß auf dem groben Schotterweg weiter. Die spitzen Steine bohren sich in meine Fußsohlen.
Eine gute Meditationsübung, ich kann bei dem Schmerz an nichts anderes mehr denken. Nicht an Toby, nicht an demütigende Theaterrollen, nicht an den ganzen nervigen Kram. Ich fluche und schimpfe, während ich mich in Minischritten fortbewege und auf meine riesige Eiche zuhalte. Ihr Stamm ist gigantisch. Ich trete in meine Turnschuhe und ringe mich durch ein Dickicht von Brennnesseln zu ihr durch. Ihre Oberfläche ist rau und zerklüftet.
Ich drücke mich an den Stamm und umfasse die Eiche mit meinen Armen. Früher war mein Leben so. Unerschütterlich.Gleich muss ich heulen, was an Peinlichkeit nicht zu überbieten wäre. Gibt es etwas Jämmerlicheres als eine Vierzehnjährige, die einen Baum umarmt? Außerdem jucken die Brennnesselstiche. Unerträglich ist das.
Denen werde ich es zeigen.
Mein magischer Baum wird sie umhauen. Durch meinen Körper findet die Kraft und Anmut eines Jahrtausende alten Baumes Ausdruck.
Ich spiele sie alle an die Wand.
Beim Abendessen schieben Mama und ich uns wortlos die Butter und den Aufschnitt zu. Ich staple Käse, Tomate und Gurke zu einem mehrstöckigen Sandwich, zur Krönung verziert mit einer Haube aus dänischer Remouladensoße und Röstzwiebeln. Mama lehnt sich zurück und beobachtet, wie ich mich durch den Remouladenberg kämpfe.
Ein beachtlicher gelber Klecks Remoulade rutscht gemächlich am Reißverschluss meiner XXL-Kapuzenjacke entlang. Schnell lecke ich den Ausreißer ab. Mama seufzt.
„Na und, ist doch meine Jacke“, kriegt sie zu hören.
„Ich besuche ab nächste Woche ein Seminar, Flo.“
„Aha.“
„Montags und donnerstags. Immer abends für zwei Stunden.“
„Cool.“
„Interessiert dich nicht, was für eins?“
„Doch. Erzähl schon.“
„Positives Selbstmarketing.“
Ich verziehe das Gesicht. „Klingt furchtbar. Was soll das sein?“
„Ziele durch selbstbewusstes Auftreten erreichen. Sozusagen in eigener Sache die Werbetrommel rühren.“
„Selbstbewusstes Auftreten? Echt jetzt? Für einen Erwachsenen?“
Mama dreht ihre Tasse in den Händen und stiert in den Tee wie in eine Wahrsagerkugel. „Ich möchte mich verändern. Dinge anders angehen. Mal was Neues probieren.“
„Verändern“, wiederhole ich abfällig.
Veränderungen verschlechtern dein Leben, deshalb sind sie unbedingt zu vermeiden. Da ist zum einen die widerliche Periode. Seitdem trage ich Monstereinlagen in meiner Unter-hose und stakse umher wie ein Cowboy mit Muskelkater. Ekelig, diese Blutsache. Außerdem hasse ich meine Brüste, ich will keine, deshalb. Als Papa sich verändern wollte, ist er gleich ausgezogen. Von der gelben Maria und ihrem Löwenlachen ganz zu schweigen, sonst kotze ich.
„Muss das sein?“, stöhnt Mama, als der Remouladenberg samt Käse, Tomate und Gurke endgültig umstürzt und ich nur noch den Toast in der Hand halte.
„Veränderungen sind scheiße. Lass das.“
Mama legt die Stirn in Falten und verschränkt die Arme vor der Brust. „Das musst du mir erklären.“
„Ist doch okay so, wie es ist. Außerdem, wenn du die Werbetrommel rührst“, ich schnaube abfällig bei der Vorstellung, „lockst du mit deinem Rumgetrommel vielleicht Mörder an oder Heiratsschwindler.“
Mama lacht. „Heiratsschwindler? Nicht dein Ernst. Was soll der denn bei mir erschwindeln?“
„Und Mörder schockiert dich nicht? Du bist schräg drauf.“
Mama zuckt mit den Schultern. „Es bleibt dabei, montags und donnerstags.“
„Das haben wir noch nicht ausdiskutiert, Fräuleinchen“, brülle ich sie an. Ich bin so was von genervt von diesem Remouladenschlachtfeld.
Nach der letzten Unterrichtsstunde schleppe ich mich zur Theaterprobe. Je näher ich der Aula komme, desto schwerer werden meine Beine. Mein Fluchtinstinkt wächst. Herr Frohwerk kommt mir entgegen und drückt mir einen Zettel in die Hand. Die Käfigtür fällt endgültig hinter mir zu. Ich quetsche mich an den äußersten Rand der hinteren Sitzreihe und lasse meine Tasche zu Boden fallen.
„Eure Termine“, erklärt Herr Frohwerk und wedelt mit einem Zettel in der Luft herum. „Dem Zeitplan könnt ihr entnehmen, für wann welche Proben angesetzt sind. Das bedeutet für euch, die jeweiligen Texte termingerecht auswendig zu lernen. Ich erwarte von euch auch, Gestik, Mimik und Betonung einzustudieren. Kommt doch bitte alle in die ersten Reihen. Ich möchte nicht den Rest der Stunde schreien müssen.“
Widerwillig schiebe ich mich weiter nach vorne, ein Platz in der Mitte ist definitiv die Schmerzgrenze. Ich setze mich neben Liv.
Liv ist eindeutig seltsam. Sie kichert ohne ersichtlichen Grund. Außerdem streicht sie ständig über ihre Hefte und Zettel. Wahrscheinlich, damit sie schön glatt und knitterfrei bleiben. Oder sie sieht kleine Zwerge darauf herumlaufen und versucht sie zu verscheuchen. Der Gedanke gefällt mir. Zwerge hat schließlich nicht jeder. Grußlos lasse ich mich neben ihr auf den Stuhl fallen und beobachte aus den Augenwinkeln, wie sie den Zettel von Herrn Frohwerk sorgfältig abheftet. Sie tut es schon wieder, die Sache mit dem Glattstreichen. Ich sehe die aufgescheuchten panischen Heinzelmännchen auf Herrn Frohwerks Terminen umherlaufen. Unwillkürlich muss ich grinsen. In dem Moment schaut Liv mich an. Sie lächelt.
„Was hast du eigentlich gegen Zwerge?“, frage ich sie.
Liv schiebt ihre Brille die Nase hoch und überlegt. „Nichts. Absolut nichts. Aber danke, dass du gefragt hast.“
Liv spinnt total.
„Beeilt euch bitte, unsere Zeit ist begrenzt!“ Herr Frohwerk schiebt Toby, der zu spät gekommen ist und orientierungslos im Gang steht, kurz entschlossen in meine Reihe. Genau neben mich. Panisch drehe ich ihm den Rücken zu. Vor mir die irre Liv, hinter mir Toby. Ich rücke Liv so nah auf die Pelle, dass ich in ihre Ohrmuschel reinglotzen kann. Hinter mir spüre ich die Anwesenheit tiefblauer Augen und dichter dunkelbrauner Locken. Ich kriege eine Gänsehaut und meine Hände schwitzen. Wie lange kann ich ihm noch mein Hinterteil hinhalten, bis es vollkommen gaga wirkt?
„Wollen wir nach der Schule ein Eis essen gehen?“, höre ich mich plötzlich in die Ohrmuschel reinfragen.
„Gerne!“ Liv scheint nicht überrascht über meinen Vorschlag.Wenn sie doch nur mit mir quatschen würde, damit Toby sieht, wie busy ich bin. Aber Liv blättert eifrig durch ihre Unterlagen und schweigt.
„Lass uns am Haupteingang treffen, ich muss vorher auf die Toilette.“
Liv nickt. „Ich warte!“
„Eisdiele“, erinnere ich sie.
Liv sieht mich an. „Ja, Eisdiele.“ Sie sagt es überdeutlich wie zu einer Gehirnamputierten.
Ich lache laut, damit Toby weiß, wie viel Spaß Liv und ich haben.
Liv schiebt erneut die Brille hoch und mustert mich, als würde sie mich zum ersten Mal sehen. Dann grinst sie. Mit so einem wissenden Grinsen, als hätte sie meine Schädeldecke hochgeklappt und in meinen Gehirnwindungen gelesen wie in einem verdammten Tagebuch. Ich drehe mich demonstrativ weg, damit sie nicht zu zutraulich wird, die verrückte Zwergenjägerin.
Toby knüllt einen Zettel zusammen, reißt den Arm hoch und wirft die Papierkugel in Maiks Richtung. Volltreffer am Rücken. Maik hebt das Wurfgeschoss auf, rollt das Papier in den Händen wie einen Schneeball und feuert es haarscharf an seinem Sitznachbarn vorbei auf Toby zu. Der duckt sich und ich stehe direkt im Zielfeuer. Die Papierkugel trifft genau zwischen meine blöd dreinblickenden Kuhaugen.
„Sehr komisch“, gifte ich.
„Sorry!“, sagt Toby. „Hat es wehgetan?“
„Hat es wehgetan“, äffe ich ihn nach. „Spielt euern Kinderkram im Sandkasten. Okay?“
„War doch nur ein Versehen. Krieg dich mal wieder ein.“
Wie zwei Kampfhähne recken wir uns voreinander in die Höhe, dabei spielt mein Herz Geige, ich bin ganz voll davon. Wir führen ein richtiges Gespräch! Meine Freude darüber wird allerdings schnell gedämpft. Liegt vielleicht daran, dass ich es mit einem abfälligen „Schwachkopf“ beende und er mir ein verächtliches „Ziege“ hinwirft. Ich stürze mich kopfüber in das Innere meiner Schultasche, krame planlos zwischen Heften, Büchern, Federmappe und zwei alten, übelriechenden Schulbroten, damit er nicht meinen roten Kopf bemerkt. Bereits eine Ewigkeit wühleich nach dem Nichts, als sich eine vertraute Stimme über meinem gebeugten Körper zu Wort meldet.
„Hä?“, erwidere ich, benommen von den Ausdünstungen gammliger Leberwurst.
„Ob du was verloren hast?“, wiederholt Liv.
„Nein, also ja …“, stottere ich von unten und traue mich wieder aus der Versenkung hervor. „Mein Schlüssel!“, fällt mir ein. „Mein Haustürschlüssel, aber ich glaube, ich habe ihn in der Jackentasche.“ Zum Beweis rüttele ich an meinem Parka. „Ah ja, da klappert er!“
„Sei froh, verlorene Schlüssel sind immer einer Katastrophe und sorgen für einen mordsmäßigen Wirbel. Schlimmstenfalls muss das Türschloss ausgetauscht werden, damit nicht jemand in aller Seelenruhe mit deinem Schlüssel ins Haus marschiert und die Einrichtung mitgehen lässt.“
Seit wann redet Liv so viel? Oh Mann, habe ich das ausgelöst? Wie bei Dornröschen, nur nicht mit wach küssen, sondern mit ansprechen. Außerdem: wer bitte schön sagt schlimmstenfalls?
Liv kichert albern.
„Was ist?“, frage ich gereizt.
„Habe gerade an Hokus und Pokus denken müssen.“
Hokus und Pokus sind wahrscheinlich ihre batteriebetriebenen Rauhaardackel, die auf Knopfdruck bellen und das Beinchen heben.
Toby hat in der Zwischenzeit seine Kopfhörer aufgesetzt und von dem schwachsinnigen Gespräch Gott sei Dank nichts mitbekommen.
Herr Frohwerk reibt sich die Hände. „Dann wollen wir mal gemeinsam den Terminplan durchgehen!“, ruft er gegen eine Wand aus Geplapper und Gelächter an.
„Was ist denn mit den tragischen Bäumen!“, ruft Maik. „Wir kommen überhaupt nicht vor auf Ihrem Plan.“ Er verzieht sein Gesicht zu einem überdimensionalen Grinsen. „Sie lassen mein junges Schauspieltalent verkümmern!“
Alle lachen, auch Herr Frohwerk.
„Zum einen handelt es sich um magische Bäume. Wenn du einen tragischen Baum spielen willst, führen wir nächstes Jahr ein Stück zum Waldsterben auf.“
Wieder Gelächter.
„Zum anderen …“, er erhebt die Stimme, um sich gegen die Geräuschkulisse durchzusetzen, „zum anderen haben natürlich auch unsere Bäume einen Text, einen Geräusch- und Bewegungstext. Im Stück kommen zwei Sturmszenen vor, in denen sich die Bäume im peitschenden Wind biegen. Das Rauschen der Blätter und das Ächzen des Holzes symbolisieren das sich ankündigende Verhängnis.“ Er winkt Maik zu sich. „Komm hoch zu mir und demonstriere uns deinen schauspielerischen Einfallsreichtum.“
Unter Applaus und Gejohle stolziert Maik auf die Bühne und verbeugt sich vor seinem Publikum.
„Nicht doch, nicht doch!“, wehrt er ab.
Dem ist echt nichts zu peinlich!
„Stell dich bitte mitten auf die Bühne, damit dich deine Mitschülerinnen und Mitschüler gut sehen können“, gibt Herr Frohwerk die Regieanweisung. „Ihr müsst euch den Zuschauern zuwenden. Ihr spielt schließlich für das Publikum. Dann zeig mal, was du kannst, Maik!“
Maik verdeckt sein Gesicht mit den Händen, den Kopf hält er gesenkt. Eine Geste, in der er sekundenlang ausharrt. Die Ersten prusten los. Plötzlich dreht Maik sich im Kreis, schneller, immer schneller, die Arme kreisend, ein Wirbelsturm. Dann lässt er sich bäuchlings auf den Boden fallen, krümmt und streckt sich, bis er bewegungslos liegen bleibt. Langsam hebt er den Kopf empor, kommt wieder auf die Beine, schunkelt hin und her, leise Laute von sich gebend, die zu einem schrägen Gesang anschwellen. Ziemlich durchgeknallt.
Ein tosender Beifallssturm erhebt sich, einige stehen auf, es wird auf den Fingern gepfiffen und mit den Füßen getrampelt. Einstimmig wird eine Zugabe gefordert. Selbst Liv neben mir dreht vollkommen durch und klatscht wie eine Wahnsinnige. Ich verschränke die Arme vor der Brust und ziehe abfällig die Augenbrauen hoch. Maik verteilt Handküsse. Krähe hat Maiks Auftritt mit dem Smartphone aufgenommen. Eine Traube von Schülern versammelt sich über dem kleinen Display, mittendrin Julia. Aufgeregt flattert sie umher, hält das Smartphone in die Luft, auf dem der Film über Maik abläuft. Wenn sie noch einmal „krass“ ruft, stopfe ich ihr meine alten stinkenden Brote ins Maul.
Unser Deutschlehrer hat seine liebe Mühe, sich Gehör zu verschaffen. „Ich kann euch nur recht geben“, schreit er. „Das war eine beachtliche Inszenierung. Trotzdem beruhigt euch bitte. Maik, Respekt, du bist eine vielversprechende Neuentdeckung für das moderne Ballett.“
Maik versucht sogleich, sich auf die Spitzen seiner Turnschuhe zu stellen.
„Nein, nein, jetzt ist Schluss.“ Herr Frohwerk winkt ab. „Maik,deine Inszenierung war leidenschaftlich und engagiert, aber jetzt schalte mal einen Gang runter. Sonst befürchte ich, dass deine Baumdarstellung die Hauptrollen an die Wand spielt. Toby, Flora, kommt doch bitte auch nach vorne und unterstützt euren Kollegen.“
Manchmal glaubt man, bis zum Hals im Unglück zu versinken und nichts könne den Zustand des Elends steigern, bis selbst das letzte Körnchen Überlebenswille schamlos niedergetreten wird.
„Du bist dran“, raunt Liv mir überflüssigerweise zu.
„Ich bin nicht taub“, zische ich zurück.
Wie in Trance trotte ich hinter Toby auf die Bühne. Als er sich zu mir umblickt, sehe ich das Entsetzen in den schönsten blauen Augen der Welt. Der Einzige, der sich freut wie ein Schneekönig, ist Maik. Übermütig boxt er uns zur Begrüßung gegen die Schulter.
„Lass das“, fauche ich, während ich lächle. Alles fürs Publikum.
Herr Frohwerk schiebt uns über die Bühne wie Spielfiguren.„Die Lady in die Mitte“, beschließt er. „Und nun steigt hinab in die Tiefen eures Herzens. Erspürt das grausame Schicksal der Helden. Drückt es durch eure Bewegungen aus.“
In den Tiefen meines Herzens finde ich Schwarz, Kotzgrün und Panikrot. Ich linse zu Toby hinüber, der mich verzweifelt anstarrt. Maik strahlt.
„Es geht um Leben und Tod …“, raunt Herr Frohwerk, um uns in Stimmung zu bringen. Da täuscht er sich gewaltig. Hier geht es ausschließlich um Tod.
Als Maik seine Arme umherwirbelt, machen Toby und ich es ihm nach. Dann geht er in die Knie und springt aus der Hocke in die Luft. Echt jetzt? Widerwillig folge ich ihm. Ich schwitze in meinem Parka. Außerdem habe ich das Gefühl, auf einem Wasserbett zu springen. Die Lacher aus dem Publikum machen es nicht besser. Ich stelle mir vor, sie hätten feucht glänzende Schweineschnauzen und Ringelschwänze.
„Schließt eure Augen, um einen Zugang zu eurem Inneren zu finden“, fällt unserem Lehrer ein, der nicht müde wird, uns zu quälen. Ich höre Julias gehässiges Gelächter heraus. Ich verpasse ihr zusätzlich einen dicken speckigen Schweinehintern, in dem Messer und Gabel stecken wie im Schlaraffenland.
Das Erste, was ich sehe, als ich meine Augen wieder öffne, ist Liv. Sie winkt mir überschwänglich zu und hält den Daumen hoch.
Nach der Theaterprobe stürme ich auf die Mädchentoilette und schließe mich in einer der Kabinen ein. Hier bin ich vorläufig in Sicherheit. Ich will nicht mit Liv in die Eisdiele gehen. Eher lecke ich den Türgriff ab. Irgendwann wird Liv die Warterei vor der Schule hoffentlich zu blöd und sie haut ab. In der Zwischenzeit vergnüge ich mich mit der hohen Literatur an den Klowänden. Karl ist ein Asch. Soll wohl Arsch heißen. Armselig.
Die Tür zum Waschraum wird aufgerissen. Worte purzeln durcheinander, ein unverständliches Knäuel aus Satzfetzen, unterbrochen von Lachanfällen. Die ätzenden Stimmen kenne ich. Julia und ihre beste Freundin Tessa.
„Das hättest du sehen müssen, es war zum Brüllen komisch. Oh mein Gott, wie sehen meine Haare nur aus!“
„Spinnst du, deine Haare sind völlig okay! Ich wäre froh, wenn ich so dicke hätte. Meine sind irgendwie total fusselig.“
„Jetzt spinnst du aber total! Ich hab mich wirklich weggeschmissen. Magische Bäume, mal ehrlich, gibt es etwas Erbärmlicheres? Eher würde ich meine eigene Pisse trinken, bevor ich mich so zum Narren mache!“
„Iiiih, du bist ekelig, Julia! Hast du deine Bürste dabei? Dafür wäre ich auch echt zu stolz … Oder soll ich mir einen Zopf machen, so irgendwie?“
„Ich musste nicht unbedingt die Hauptrolle haben, ich habe es wirklich nicht darauf angelegt, aber eine Sprechrolle ist doch das Mindeste, oder? Ich meine, Grünzeug spielt man im Kindergarten. Trag die Haare lieber offen, der Zopf macht dich superjung. Gib mir mal deinen Concealer, ich hab voll die Augenringe. Welche Farbe wohl Maiks Schamhaar hat? Rot … wie das Haar auf seinem Kopf?“
Ein lauter Aufschrei zerschneidet die Luft, dann atemloses, wahnsinniges Gelächter.
„Ich mach mir gleich in die Hose“, winselt Tessa. „Hör bloß auf, sonst kann ich für nichts mehr garantieren.“
Erneut fliegt die Tür auf und die Geräusche vom Schulflur dringen herein.
„Habt ihr Flora gesehen?“
Ich zucke unwillkürlich zusammen. Liv!