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Johan Norberg

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Beschreibung

Unsere Welt scheint zu kollabieren. Jeden Tag werden wir von Nachrichten erschlagen, wie schlimm alles ist – Klimakollaps, Weltsystemcrash, Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit, Hunger und Krieg. Es scheint als stünde unsere Welt am Rande des Zusammenbruchs, und doch haben wir in den letzten 100 Jahren mehr Fortschritte gemacht als in den ersten 100 000 Jahren der Menschheitsgeschichte. Während Politiker, Journalisten und Aktivisten auf allen Seiten über Schäden und Verursacher sprechen, bietet Johan Norberg einen erhellenden und ermutigenden Fortschrittsbericht zur Lösung der größten Probleme der Menschheit. Aller Panikmache und Schwarzseherei zum Trotz sind die Fakten eindeutig: Das goldene Zeitalter ist jetzt.

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Seitenzahl: 353

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JOHAN NORBERG

FORTSCHRITT

JOHAN NORBERG

FORTSCHRITT

Ein Motivationsbuch für Weltverbesserer

FBV

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2020

© 2020 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© Johan Norberg, 2016

Die englische Originalausgabe erschien 2016 bei Oneworld Publications unter dem Titel Progress.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Clemens Schneider

Redaktion: Christiane Otto

Korrektorat: Silke Panten

Umschlaggestaltung: in Anlehnung an das Cover der Originalausgabe Sonja Vallant, München

Satz: abavo GmbH, Buchloe

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-95972-287-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-530-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-531-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

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Inhaltsverzeichnis

Stimmen zu Fortschritt

Vorwort von Frank Schäffler

EinleitungDie gute alte Zeit ist jetzt!

Kapitel 1Ernährung

Kapitel 2Hygiene

Kapitel 3Lebenserwartung

Kapitel 4Armut

Kapitel 5Gewalt

Kapitel 6Die Umwelt

Kapitel 7Alphabetisierung

Kapitel 8Freiheit

Kapitel 9Gleichberechtigung

Kapitel 10Die nächste Generation

EpilogUnd warum sind Sie immer noch nicht überzeugt?

Danksagung

Anmerkungen

Über den Autor

Stimmen zu Fortschritt

»Sein unerschütterlicher Optimismus und seine wohlbegründeten Argumente erzeugen eine starke Goodnews-Stimmung.«ESQUIRE

»Ein aufregendes Buch. Mit der Kombination aus spannenden Geschichten und eindrucksvollen Daten wird Fortschritt Ihr Verständnis darüber verändern, woher wir kommen und wohin wir gehen könnten.«STEVEN PINKER, AUTOR VONTHE BETTER ANGELS OF OUR NATURE

»Johan Norberg berichtet von der noch weitgehend unbekannten Tatsache, dass die Menschheit heute gesünder, glücklicher, sauberer, klüger, freier und friedlicher ist als je zuvor. Er erklärt in diesem hervorragenden Buch auch, warum.«MATT RIDLEY, AUTOR VONTHE EVOLUTION OF EVERYTHING

»In einer Zeit tiefgreifenden Pessimismus ist Johan Norberg erfrischend, aber nicht leichtfertig optimistisch. Sein ausgezeichnetes Buch dokumentiert die dramatischen Verbesserungen im Leben der Menschen und erinnert uns an das enorme Potenzial für weitere Fortschritte – vorausgesetzt, wir sind offen dafür.«PHILIPPE LEGRAIN, AUTOR VONEUROPEAN SPRING

»In diesem brillant geschriebenen, zuversichtlichen Buch vermischt der schwedische Autor Fakten, Anekdoten und offizielle Statistiken, um den ›Triumph der Menschheit‹ bei der Erreichung des gegenwärtigen unvergleichlichen Niveaus des globalen Lebensstandards zu beschreiben.

Der Autor räumt zwar ein, dass ein Großteil der Welt noch immer mit Chaos, Hunger und Armut zu kämpfen hat, ist aber dennoch optimistisch, dass sich der menschliche Einfallsreichtum bei der Gestaltung der Zukunft durchsetzen wird. Eine erfrischend rosige Einschätzung darüber, wie weit viele von uns aus den Tagen, in denen das Leben gleichermaßen scheußlich, brutal und kurz war, gekommen sind.«KIRKUS

»Ausgezeichnet [...] Norbergs Buch dokumentiert umfassend die unzähligen Möglichkeiten, wie sich der Zustand der Menschheit in den letzten Jahrhunderten erheblich verbessert hat.«REASON

Für Alicia, Alexander und Nils-Erik – es ist jetzt eure Welt.

»Der Fortschritt menschlichen Wissens wird rasch vonstattengehen, und es werden Entdeckungen gemacht werden, von denen wir derzeit noch überhaupt keine Vorstellung haben. Ich bin beinahe ein wenig traurig, dass ich so früh zur Welt kam, da ich so nicht das Glück haben werde, zu wissen, was die Menschen in 100 Jahren wissen werden.«BENJAMIN FRANKLIN, 1783

Vorwort von Frank Schäffler

Globalisierungskritik ist populär. Moralisch kann man sich leicht über schlechte Arbeitsbedingungen in Bangladesch oder Indien empören. Und sich über die Schweinehälften oder Südfrüchte echauffieren, die tausende von Kilometern transportiert werden. Subtiler ist es schon, wenn die regionale Vermarktung von Produkten oder die Autarkie bei der Rohstoff- oder Energieversorgung gefordert wird. Dahinter steckt dann meist die Vorstellung von der Demokratisierung von Wirtschaftsprozessen. Nicht mehr der Kunde soll darüber entscheiden dürfen, ob er seinen Apfel vom Bauernhof nebenan oder als Importprodukt aus Übersee im Supermarkt kauft, sondern eine von der Regierung gestaltete Politik soll diesen Prozess ersetzen. Und zwar, weil es das Richtige ist, das Gute.

Dies führt letztlich zur Aushöhlung des Eigentums und damit zum Wegfall der Grundlage unserer Wirtschaftsordnung, der Marktwirtschaft. Formal sind die Unternehmen zwar noch in privater Hand, doch faktisch lenkt der Staat das Geschehen. Dessen Vertreter in Parlament und Regierung glauben besser zu wissen, was nachhaltig ist. Nachhaltigkeit wird so, wie es Friedrich-August von Hayek einmal über den Begriff »soziale Gerechtigkeit« formuliert hat, zum neuen »Wieselwort«.1 Es ist einfach nicht zu packen.

Hinter diesem Vorgehen steckt die politische Vorstellung von der Demokratisierung aller Lebensbereiche. Doch das ist höchst gefährlich. Denn individuelle Entscheidungen lassen sich nicht demokratisieren. Zumindest nicht in dem Sinne, wie es die Gesellschaftsgestalter gerne hätten, nämlich als Mehrheitsentscheidung. Geschieht es doch, dann stirbt die Freiheit. Denn das bedeutet vor allem, dass auf diese Weise Partikularinteressen Einzelner oder kleiner Gruppen als die Interessen der Allgemeinheit verkauft werden können. Dem Gruppenegoismus wird ein Wohlfühlmäntelchen übergestülpt, dessen moralischer Überbau alle rationalen Argumente verdrängt.

Dieser Entwicklung und dem dahinterstehenden Misstrauen gegenüber dem Individuum setzt Johan Norberg dieses optimistische Buch entgegen. Er schwimmt damit gegen den Strom. Das hat er schon einmal getan. 2001 legte er ein Buch vor, das in Abwandlung von Marx’ Das Kommunistische Manifest mit dem Titel Das Kapitalistische Manifest versehen wurde. Damals schrieb er über die Globalisierung und ihre wohlstandsstiftende Wirkung für die Menschheit. Wachstum ist ein Segen, weil er die Voraussetzung für den ökonomischen Aufstieg von Milliarden Menschen auf dieser Welt ist: »Je höher der Grad der wirtschaftlichen Liberalisierung in einem Land ist, desto größer ist die Chance auf mehr Wohlstand, schnelleres Wachstum, höheren Lebensstandard und längere Lebenserwartung.«2

Sein neues Buch führt auf diese Einsicht noch ein paar Schritte weiter. Es räumt radikal mit der Verklärung der Vergangenheit und des Zustands der Menschheit vor Hunderten von Jahren auf. Wer heute Spielfilme schaut, die vor 100 oder 200 Jahren spielen, der bekommt häufig den Eindruck, dass das Leben damals auch seinen Reiz hatte. Doch der Wilde Westen oder die Seefahrerromantik hatten in Wirklichkeit nichts Reizvolles.

Am Ende des 18. Jahrhunderts, so schreibt Norberg, musste eine durchschnittliche französische Familie ungefähr ihr halbes Einkommen nur für Getreide aufwenden. Franzosen und Engländer im 18. Jahrhundert nahmen weniger Kalorien zu sich als derzeit der durchschnittliche Mensch in Subsahara-Afrika. Katastrophale hygienische Verhältnisse, Hunger, Seuchen und Tod waren damals normal. Ein Großteil der Bevölkerung kämpfte tagtäglich buchstäblich ums nackte Überleben.

Auch damals gab es wie heute Skeptiker. Robert Malthus hatte Ende des 18. Jahrhunderts sein berühmtes Bevölkerungsgesetz aufgestellt. Darin behauptete er, dass die Bevölkerung in einer geometrischen Reihe, die Nahrungsproduktion aber lediglich in einer arithmetischen Reihe wächst. Es sei eine Frage der Zeit, bis die Menschen sich nicht mehr selbst ernähren könnten.3 Die These war damals populär, weil die Bevölkerung durch die industrielle Revolution wuchs und die Menschen in die Städte zogen, in denen es Arbeit gab. Das Malthus’sche Gesetz erwies sich aber als grundfalsch. Moderne Anbaumethoden, Schädlingsbekämpfung und die Technisierung in der Landwirtschaft bewiesen das Gegenteil und ermöglichen heute die gesunde Ernährung von vielen Milliarden Menschen.

Dennoch ist in jüngster Zeit die These wieder populär. Der Club of Rome trat in den 1970er-Jahren in die Malthus’schen Fußstapfen und prognostizierte die Grenzen des Wachstums. Und noch heute glauben und verbreiten die Globalisierungsgegner von links und rechts ebendiese. Es darf eben nicht sein, was nicht sein kann.

Zu Zeiten Robert Malthus’ lebten eine Milliarde Menschen auf dieser Welt. Heute sind es 7,6 Milliarden Menschen. Bis zum Jahr 2050 werden nach Prognosen der Vereinten Nationen voraussichtlich 9,8 Milliarden Menschen dort leben, bis zum Jahr 2100 womöglich sogar 11,2 Milliarden.4

Neben der Ernährungsfrage der Menschheit kommen Umwelt- und Klimafragen hinzu. Viele dieser Untergangsapologeten meinen, ohne einen Verzicht der – nicht einmal nur in den wohlhabenden Ländern lebenden – Menschen und ohne eine radikale Veränderung der bisherigen Gewohnheiten in den Bereichen Ernährung, Mobilität und Lebensstandard sei die Welt nicht zu retten. Weltuntergangsstimmung macht sich breit.

Doch nicht der Verzicht hat zum weltweiten Wohlstand geführt, sondern das Vertrauen auf den Fortschritt, der Mut zur Offenheit – also die Globalisierung – und die auf dem Kapitalismus beruhende Marktwirtschaft. Die Entwicklung ist höchst beeindruckend. Im frühen 19. Jahrhundert waren die Armutsraten in den reichsten Ländern der Welt höher als in den ärmsten Ländern heute. In den USA, England und Frankreich haben in dieser Zeit zwischen 40 und 50 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut gelebt. Eine Rate, die man heute nur noch in Subsahara-Afrika findet. Die Zahl der Menschen, die weltweit in absoluter Armut leben (also über weniger als 1,90 Dollar am Tag verfügen), hat sich von 44,4 Prozent im Jahr 1981 auf 9,6 Prozent im Jahr 2015 reduziert. Diese Entwicklung ging einher mit der Öffnung von Märkten, die weite Teile Asiens in die globale Arbeitsteilung integriert haben. Mao Zedongs »großer Sprung nach vorn« dagegen kostete 45 Millionen Chinesen das Leben. Bei seinem »Experiment« verhungerten die Menschen oder wurden umgebracht. Erst die marktwirtschaftliche Öffnung unter Deng Xiaoping und die weltweite Liberalisierung der Handelsregeln Anfang der 1990er-Jahre unter dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und der Welthandelsorganisation (WTO) brachten den Aufstieg weiter Teile der Welt.

Johan Norberg nennt in diesem Buch nicht nur Zahlen, sondern stellt auch viele Persönlichkeiten vor, die durch ihre individuelle Leistung zum Fortschritt beigetragen haben. Durch die Arbeit des Agrarwissenschaftlers Norman Borlaug ist die Züchtung von Saatgut gelungen, das parasitenresistent und weniger abhängig von Sonneneinstrahlung war. Die Ernten in einer trockenen Region wie Mexiko versechsfachten sich von 1944 bis 1963, und das Land wurde beinahe über Nacht zu einem Weizenexporteur. Für seine Arbeit bekam Borlaug 1970 den Friedensnobelpreis, weil er dadurch Milliarden Menschenleben gerettet hat. Aber nicht nur das: Er rettete durch seine Entwicklungen auch viele Tiere und Pflanzenarten. Millionen von Hektar Wald hätten abgeholzt werden müssen, wenn er das leistungsstärkere Saatgut nicht entdeckt hätte. Der Waldverlust hat sich seit den 1990er-Jahren von 0,18 auf 0,008 Prozent verkleinert.

Dank besserem Waldschutz und höherer Ertragszahlen auf den Flächen der Landwirte, durch besseres Saatgut und bessere Anbaumethoden konnte dieser tatsächliche »große Sprung nach vorn« erreicht werden. Wachstum und Umweltschutz sind keine Widersprüche, sondern bedingen sich. Sie setzen Fortschritt und technologische Offenheit voraus. Der Irrglaube der Globalisierungskritiker besteht darin, dass sie Wachstum nur quantitativ betrachten und nicht qualitativ. Wachstum verändert sich aber mit steigendem Wohlstand, weil sich die Präferenzen der Menschen mit zunehmender Lebensqualität verändern. Nicht »immer mehr« ist das Ziel, sondern »immer besser«. »Immer besser« gilt auch für die Umwelt. Die technische Entwicklung von Filtern, Reinigern, effizienteren Anlagen und Motoren ist nur mit Wachstum und Wohlstand möglich. Und hinzu kommt: Nur der Kapitalismus kann dies auch finanzieren. Dem Sozialismus geht dabei immer das Kapital aus. Daher gilt: Verzicht, staatliche Verhaltenslenkung der Bürger oder das Zurückdrehen der Globalisierung schaffen nicht weniger Armut, nicht weniger Hunger und Elend, sondern mehr. Der Fortschritt, die Marktwirtschaft und die Globalisierung sind die Garanten dafür, dass immer mehr Menschen in Wohlstand leben können. Denn es gibt kein Ende des Wachstums, wenn die Menschen auf dieser Welt vernünftig bleiben und den Apologeten des Untergangs nicht auf den Leim gehen. Das Leben wird immer besser – heute, morgen und in der Zukunft.

Berlin, 20.12.2019

Frank Schäffler

EinleitungDie gute alte Zeit ist jetzt!

»Nichts trägt so viel zur guten alten Zeit bei wie ein schlechtes Gedächtnis.«

FRANKLIN PIERCE ADAMS1

Terror, der islamische Staat, Krieg in Syrien und in der Ukraine, Verbrechen, Morde, Massenschießereien, Hungersnöte, Fluten, Pandemien, Klimawandel, Stagnation, Ungleichheit, Flüchtlinge – »Überall Apokalypse!«, antwortete eine Frau, als sie von einem Reporter gebeten wurde, den derzeitigen Stand der Welt zu beschreiben.2 Es scheint der aktuelle Lauf unserer Zeit zu sein.

Diese Wahrnehmung nährt die Angst und Nostalgie, die den Populisten auf der Rechten und auf der Linken hilft, Boden zu gewinnen. Die Wahlkampagne von Donald Trump trug den Slogan, dass Amerika nun wieder groß werden müsse, wie in den guten alten Zeiten. 58 Prozent derjenigen, die für den Brexit gestimmt haben, sind der Ansicht, dass das Leben heute schlechter sei als vor 30 Jahren.

Im Jahr 1955 waren 13 Prozent der Schweden der Ansicht, dass die Verhältnisse in ihrer Gesellschaft »unerträglich« seien. In den darauffolgenden 50 Jahren wurde die menschliche Freiheit größer, das Einkommen stieg, die Armut ging zurück und die Gesundheitsvorsorge wurde verbessert. Dennoch glaubten anschließend mittlerweile mehr als die Hälfte aller Schweden, dass die Zustände in ihrer Gesellschaft unerträglich seien.3

Viele Experten und angesehene Persönlichkeiten stimmen dem zu. General Martin Dempsey, einst Vorsitzender des Joint Chiefs of Staff und damit höchstrangiger militärischer Berater der USA, sagte kürzlich in einer Anhörung vor dem US-Kongress: »Ich bezeuge ganz persönlich, dass … [die Welt] heute gefährlicher ist, als sie es jemals war.«4 Papst Franziskus behauptet, dass die Globalisierung viele Menschen dem Hungertod preisgegeben habe: »Es stimmt zwar, dass der weltweite Wohlstand absolut gesehen gewachsen ist, doch Ungleichheit und Armut sind größer geworden.«5

Im linken politischen Spektrum argumentiert die Aktivistin Naomi Klein, dass unsere Zivilisation »auf dem Kollisionskurs« sei und dass wir »das Lebenserhaltungssystem unseres Planeten destabilisieren«.6 Auf der politisch rechten Seite behauptet der Philosoph John Gray, dass Menschen zur Spezies des »Homo rapiens« gehörten, einer räuberischen und zerstörerischen Spezies, die sich dem Ende der Zivilisation nähere.7

Auch ich war einmal ein solcher Pessimist. Als ich im Schweden der 1980er-Jahre begann, meinen eigenen Blick auf die Welt zu entwickeln, fand ich die moderne Zivilisation schwer zu ertragen. Fabriken, Autobahnen und Supermärkte machten auf mich einen trostlosen Eindruck, und das moderne Arbeitsleben schien mir die reinste Schinderei. Ich verband die neue globale Konsumkultur mit den Problemen von Armut und Konflikten, die das Fernsehen in unsere Wohnzimmer brachte. Ich träumte von einer Gesellschaft, die die Uhr zurückstellte, einer Gesellschaft, die in Harmonie mit der Natur lebte. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie die Leute wohl vor der industriellen Revolution gelebt hatten, als es noch keine Medizin und Antibiotika, kein sauberes Wasser, nicht genügend Essen, keine Elektrizität oder sanitären Einrichtungen gab. Ich stellte mir diese Epoche der Menschheit im Grunde genommen vor wie einen Ausflug aufs Land.

Doch dann begann ich, mich mit Geschichte zu beschäftigen und in der Welt umherzureisen. Ich begann zu verstehen, wie die guten alten Tage tatsächlich gewesen waren. Plötzlich sah ich mich nicht mehr imstande, diese Zeit zu verklären oder zu romantisieren. Eines der Länder, das ich besonders intensiv untersuchte, litt unter chronischer Unterernährung. Die Menschen dort waren ärmer und hatten eine geringere Lebenserwartung als ein durchschnittlicher Subsahara-Afrikaner. Zudem war die Kindersterblichkeit höher. Dieses Land war das Schweden meiner Vorfahren vor 150 Jahren. Die Wahrheit ist: Die guten alten Tage waren schrecklich.

Der Globale Wohlstand in den letzten 2000 Jahren

Quelle: Maddison 20038

Jenseits dessen, was wir aus Medien und Politik immer wieder hören, ist doch das Großartige an unserer Zeit, dass wir Zeugen der größten und umfassendsten weltweiten Verbesserung von Lebensstandards werden, die jemals stattgefunden hat. Armut, Unterernährung, Analphabetismus, Kinderarbeit und Kindersterblichkeit gehen schneller zurück als zu irgendeiner anderen Zeit in der Geschichte der Menschheit. Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt hat sich im vergangenen Jahrhundert mehr als doppelt so stark erhöht wie in den 200 000 Jahren zuvor. Die Gefahr, dass irgendein Mensch einen Krieg durchleiden, Opfer einer Naturkatastrophe oder von Unterdrückung in einer Diktatur werden könnte, ist geringer geworden als in irgendeiner anderen Zeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind, das heute geboren wird, sein Rentenalter erlebt, ist höher als die Wahrscheinlichkeit unserer Vorfahren, ihren fünften Geburtstag zu feiern.

Krieg, Verbrechen, Katastrophen und Armut sind auf schmerzhafte Weise real, und im letzten Jahrzehnt haben uns globale Medien darauf in einer neuen Weise aufmerksam gemacht – live auf dem Bildschirm, jeden Tag, rund um die Uhr. Und doch sind diese Probleme immer schon dagewesen. Wir haben sie nur nicht immer direkt mitbekommen. Der Unterschied zu heute ist, dass solche Ereignisse rapide abnehmen. Heute sehen wir die Ausnahmen, während es früher die Regel war.

Der Fortschritt begann mit der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts, als wir anfingen, die Welt mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, anstatt uns mit dem zufriedenzugeben, was uns Autoritäten, Traditionen und Aberglaube lehrten. Das politische Gegenstück dazu, der klassische Liberalismus, begann, die Menschen von den Fesseln ihres Erbes, von Autoritarismus und Leibeigenschaft, zu befreien. Dieser Entwicklung folgte unmittelbar die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts, mit der sich die uns zur Verfügung stehende Industrie massiv vergrößerte und mit der wir begannen, Armut und Hunger zu besiegen. Diese aufeinanderfolgenden radikalen Veränderungen genügten, um einen großen Teil der Menschheit aus den rauen Umständen zu befreien, unter denen sie immer hatten leben müssen. Mit der Globalisierung im späten 20. Jahrhundert, als sich diese technischen Errungenschaften und Freiheiten auf dem Rest der Welt ausbreiteten, wiederholte sich dies in größerem Ausmaß und schneller als jemals zuvor.

Menschen sind nicht immer rational oder wohlmeinend. Doch in der Regel wollen sie ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Familie verbessern. Und ab einem gewissen Grad an Freiheit werden sie auch alles daran setzen, dass dies geschieht. Schritt für Schritt trägt das zum Wissen und Wohlstand der Menschheit bei. Heutzutage können mehr Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Lösungsansätzen experimentieren als je zuvor. Dadurch häufen wir beständig mehr Wissen an, und jeder Einzelne kann dazu beitragen und etwas erreichen, indem er auf den Schultern der hundert Millionen steht, die vor ihm kamen. Somit kann jeder Einzelne Teil dieses »Erfolgszyklus« werden.

In diesem Buch geht es um den Triumph der Menschheit; doch ist dies keine Botschaft der Selbstzufriedenheit. Es ist auch geschrieben als Warnung. Es wäre ein furchtbarer Fehler, diesen Fortschritt für selbstverständlich zu halten. Es gibt in dieser Welt Kräfte, die die Grundlagen dieser Entwicklung zu zerstören suchen – die individuellen Freiheiten, die offenen Märkte und den technologischen Fortschritt. Terroristen und Diktatoren tun alles in ihrer Macht Stehende, um offene Gesellschaften von innen zu schwächen. Doch es gibt auch Bedrohungen aus der Mitte unserer Gesellschaft. Nationalistische und autoritäre Politiker wollen individuelle Freiheiten beschränken und fangen wieder an, Mauern zwischen Ländern zu errichten.

Diese Kräfte wollen, dass wir die Welt für gefährlich halten und dass die Dinge außer Kontrolle geraten, denn verängstigte Menschen denken anders. Sozialpsychologen, die autoritäre Haltungen analysieren, argumentieren, dass diese nicht in einer stabilen Persönlichkeit fußen, sondern sich aus einer Veranlagung herausbilden, die unter bestimmten Umständen aktiviert werden kann. Wenn Menschen glauben, dass ihre Gesellschaft oder ihre Gruppe bedroht wird, fangen sie an, mehr autoritäre und protektionistische Standpunkte zu vertreten, auch in den Fragen, die nicht mit den unmittelbaren Bedrohungen zusammenhängen. Es ist die Flucht aus der Freiheit hinein in ein familiäres und scheinbar gesichertes Umfeld.

Menschen, die Angst haben, suchen nicht nach Chancen, sondern nach Schutz. Sie stimmen nicht für Offenheit und Freiheit, sondern für den starken Mann, der ihnen Sicherheit verspricht und leicht erkennbare Sündenböcke bietet. Wer meint, bei einer solchen Wahl nicht viel zu verlieren zu haben, der hat ein schlechtes Gedächtnis.

Genau deshalb müssen wir uns daran erinnern, dass Menschen, wenn ihnen Freiheit gewährt ist, nicht Chaos hervorbringen, sondern Fortschritt. Gerade heute müssen wir die Errungenschaften der langsamen, beharrlichen und spontanen Entwicklung von Millionen von Menschen betrachten, denen die Freiheit gegeben wurde, um ihr eigenes Leben und so die ganze Welt zu verbessern. Dies ist die Art des Fortschritts, die kein Anführer und keine Institution oder Regierung von oben herab veranlassen kann.

In diesem Buch geht es um Fortschritt und darum, was geschehen ist, wie es geschehen ist und warum wir es bisweilen verpasst haben.

Der Fortschritt ist zweifellos die größte Errungenschaft der Menschheit. Wenn wir häufiger mal unsere Augen von den Nachrichtenmeldungen unseres Telefons lösen und umherschauen würden, um Wissenschaft, Technologie und Wohlstand wahrzunehmen, die heute unverzichtbarer Teil unseres Lebens sind, würden wir Tag für Tag unsere Möglichkeiten erkennen können. Und so borge ich mir die Widmung aus der Grabinschrift von Sir Christopher Wren, der die Londoner St.-Paul’s-Kathedrale baute, in der er auch beigesetzt wurde: »Si monumentum requiris, circumspice.« (»Wenn du ein Denkmal suchst, dann schau dich um.«)

Kapitel 1Ernährung

»[W]er zwei Kornähren oder zwei Grashalme auf einem Fleck wachsen lasse, wo früher nur eins gewachsen sei, der erwürbe sich größeres Verdienst um die Menschheit und sei seinem Vaterlande von wesentlicherem Nutzen, als die ganze Schaar der Politiker zusammen.«

JONATHAN SWIFT1

An einem Wintertag im Jahr 1868 kehrte mein Ururururgroßvater Erik Norberg nach Nätra im nördlichen Ångermanland in Schweden zurück mit etlichen Mehlsäcken auf seinem Wagen. Er kam aus einer Familie »friedlicher Fuhrleute«, Bauern aus dem Norden, die die schwedischen Handelsbarrieren und Monopole umgingen, indem sie lange Handelsreisen unternahmen. Erik Norberg verkaufte handgewebtes Leinen in den Süden Schwedens und kehrte zurück mit Salz und Getreide.

Selten hatte man seine Rückkehr so sehr erwartet wie damals. Es war das Jahr einer großen Hungersnot. Im ganzen Land gab es Missernten und diejenigen, die kein Mehl hatten, mussten Rinde in ihr Brot mischen. Ein Mann, der im Nachbarort Björna lebte, erinnert sich, wie er als Siebenjähriger diese Jahre des Hungers erlebte:

Wir sahen oft, wie unsere Mutter vor sich hin weinte. Es war schrecklich für eine Mutter, ihren hungrigen Kindern nichts auf den Tisch stellen zu können. Hungernde, ausgemergelte Kinder sah man häufig von Bauernhof zu Bauernhof gehen, wo sie um ein paar Brotkrumen bettelten. Eines Tages kamen drei Kinder zu uns, die weinten und bettelten, um etwas zu bekommen, was ihren schlimmsten Hunger stillen konnte. Mit Tränen in den Augen musste unsere Mutter ihnen sagen, dass wir nichts als ein paar Brotkrumen hatten, die wir selber bräuchten. Als wir Kinder den Schrecken in den flehenden Augen dieser fremden Kinder sahen, brachen wir in Tränen aus und baten unsere Mutter, mit ihnen die paar Krümel zu teilen, die wir hatten. Unter Zögern gab sie unseren Bitten nach, und die unbekannten Kinder verschlangen das bisschen Essen, bevor sie zum nächsten Bauernhof aufbrachen, der eine ganze Weile weg war von unserem Haus. Am nächsten Tag wurden alle drei tot aufgefunden, auf dem Weg zwischen unserem Bauernhof und dem nächsten.2

Jung und Alt, ausgezehrt und blass, gingen von Bauernhof zu Bauernhof und bettelten um etwas, um ihren Tod durch Verhungern ein wenig hinauszuzögern. Das ausgemagerte Vieh wurde zum Stehen angebunden, weil es ihm aus eigener Kraft nicht mehr gelang. Seine Milch war oft vermischt mit Blut. Etliche tausend Schweden verhungerten in diesem Jahr und im folgenden.

Missernten waren nicht ungewöhnlich in Schweden. Eine einzige Hungersnot zwischen 1695 und 1697 kostete einen von 15 Schweden das Leben. Es gibt Erzählungen von Kannibalismus aus jener Zeit. Ohne landwirtschaftliche Geräte, Kühlgelegenheiten, Bewässerung oder künstlichen Dünger waren Missernten immer eine Bedrohung. Und ohne die modernen Möglichkeiten der Kommunikation und des Transports bedeuteten Missernten oft Hungersnöte.

Genug Energie aufzunehmen, damit Körper und Gehirn funktionieren können, ist das grundlegende Bedürfnis aller Menschen. Doch es gab seit jeher immer wieder Zeiten, in denen die meisten Menschen dieses Bedürfnis nicht befriedigen konnten. Hungersnöte waren weltweit ein regelmäßiges Phänomen. In Europa ereigneten sie sich so häufig, dass »sie sich in die biologische Disposition des Menschen einfügten und Teil seines Alltags wurden«, wie es der französische Historiker Fernand Braudel schilderte. Frankreich, eines der wohlhabendsten Länder der Welt, durchlitt im 11. Jahrhundert 26 landesweite Hungersnöte, zwei im 12. Jahrhundert, vier im 14. Jahrhundert, sieben im 15. Jahrhundert, dreizehn im 16. Jahrhundert, elf im 17. Jahrhundert und sechzehn im 18. Jahrhundert. In jedem Jahrhundert gab es zudem Hunderte von regional begrenzten Hungersnöten.3

Unterernährung 1945–2015

Quelle: FAO 1947, 2003, 20154

In Hungerszeiten zogen die Bauern vom Land in die Städte, wo sie sich zusammendrängten und um Essen bettelten. Oft starben sie auf den Plätzen und Straßen, wie in Venedig und Amiens im 16. Jahrhundert. Das kalte Wetter im 17. Jahrhundert machte die Situation noch schlimmer. 1694 schilderte ein Chronist in Meulan in der Normandie, dass die Hungernden die Ernte einholten, bevor sie reif war, und »viele Menschen sich wie Tiere von Gras ernährten«.5 Vielleicht waren das diejenigen, die noch Glück gehabt hatten – in Zentralfrankreich im Jahr 1662 »aßen Menschen mitunter Menschenfleisch«.6 Die Jahre 1695 bis 1697 sind in Finnland bekannt als »die Jahre der vielen Tode«, in denen 25 bis 33 Prozent der gesamten Bevölkerung an Hunger starb.

Braudel weist darauf hin, dass dies im privilegierten Europa geschah: »In Asien, in China und Indien war es noch viel schlimmer.« Die Menschen dort waren angewiesen auf Reisernten, die über große Entfernungen transportiert werden mussten, und so wurde aus jeder Krise gleich eine Katastrophe. Braudel zitiert einen holländischen Händler, der die indische Hungersnot von 1630 und 1631 miterlebte:

»Die Leute verließen ihre Städte und Dörfer und wanderten hilflos umher. Ihr Zustand war unschwer zu erkennen. Ihre Augen waren tief in den Kopf hineingesunken, ihre Lippen waren blass und mit Schleim überzogen, die Haut war hart geworden, und die Knochen konnte man durchsehen, der Bauch hing an ihnen wie eine leere Tasche […] Einer schrie und jammerte vor Hunger, während ein anderer am Boden lag und in seinem Elend verendete.« Die bekannten menschlichen Tragödien folgten. Kinder und Frauen wurden verlassen, Kinder wurden von ihren Eltern verkauft, Menschen verkauften sich selber, um zu überleben, es gab kollektive Selbstmorde […] Dann kam das Stadium, in dem die Verhungernden die Bäuche der Toten oder Sterbenden aufrissen und »deren Innereien herauswühlten, um ihre eigenen Bäuche damit zu füllen.« »Viele Hunderttausende starben an Hunger, sodass das gesamte Land bedeckt war mit unbestatteten Leichen. Der Gestank erfüllte die gesamte Luft […] Im Dorf Susuntra … wurde Menschenfleisch auf dem Markt verkauft.«7

Selbst in gewöhnlichen Zeiten waren in den am meisten entwickelten Ländern die Lebensmittelüberschüsse nur sehr gering. Das Essen war nicht immer besonders nahrhaft und konnte auch nicht lange aufbewahrt werden. Häufig musste man es sich kurz vor der Mahlzeit besorgen. Die Menschen mussten ihr Essen trocknen und salzen, um es lagern zu können, doch Salz war teuer. In einem normalen Haushalt im Land meiner Vorfahren, in Ångermanland, gab es vor 100 Jahren genau vier Mahlzeiten: Kartoffeln, Hering und Brot zum Frühstück; Haferschleim zum Mittagessen; Kartoffeln, Hering und Brot zum Abendessen; und Haferschleim zum Nachtessen. Das aßen die Menschen damals jeden Tag, außer an Sonntagen, wenn es eine Fleischsuppe gab (wenn denn Fleisch da war), die mit Gerste gemischt war. Da es kein Porzellan gab, aß jeder aus dem gleichen Teller, wobei sie Holzlöffel benutzten, die anschließend sauber geleckt und in die Schublade des Tisches zurückgelegt wurden.8

Die Bedeutung, die die Ernährung für die Gesundheit und das Überleben der Menschen hat, wurde in einer Studie aus dem Jahr 2001 dokumentiert und zeigt beunruhigende Ergebnisse. Untersucht wurde die Lebenserwartung von 50-Jährigen in heute wohlhabenden Ländern. Die Studie zeigt, dass die Lebenserwartung derjenigen, die in der nördlichen Hemisphäre zwischen Oktober und Dezember geboren wurden, beinahe ein halbes Jahr länger ist als bei denjenigen, die zwischen April und Juni geboren wurden. In der südlichen Hemisphäre ist es genau andersherum. Diejenigen, die in der nördlichen Hemisphäre geboren wurden, aber später in die südliche auswanderten, lebten ebenfalls länger, wenn sie zwischen Oktober und Dezember geboren wurden. Eine der möglichen Ursachen dafür ist, dass frisches Obst und Gemüse bis vor Kurzem sehr viel eher im Herbst verfügbar waren, selbst in heute reichen Ländern. Es scheint, als ob die Ernährung der im Herbst geborenen Kinder im Mutterleib und in der frühesten Kindheit besser war, denn auch ihr Geburtsgewicht war durchschnittlich höher.9

Am Ende des 18. Jahrhunderts musste eine durchschnittliche französische Familie ungefähr die Hälfte ihres Einkommens nur für Getreide aufwenden, häufig Hafer. Franzosen und Engländer im 18. Jahrhundert nahmen weniger Kalorien zu sich als derzeit der durchschnittliche Mensch in Subsahara-Afrika, der Region der Welt, die am meisten von Unterernährung gequält wird.10

Die kürzere Arbeitszeit einiger Menschen in der Vergangenheit ist also kein Grund, neidisch zu werden, denn die Menschen arbeiteten, solange sie es nur konnten. Der Körper versagte, da die Menschen keinen Zugang zu Kalorien hatten. Die aber waren notwendig, damit Kinder ordentlich wachsen konnten oder Erwachsene ihre normalen Körperfunktionen aufrechterhalten konnten. Unsere Vorfahren waren verkrüppelt, dürr und kurz, weshalb sie schließlich auch weniger Kalorien brauchten und mit weniger Essen arbeiten konnten. Der Ökonom und Nobelpreisträger Angus Deaton, einer der führenden Experten zu den Themen Gesundheit und Entwicklung weltweit, spricht über die »Ernährungsfalle« in Großbritannien im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Wegen des Mangels an Kalorien konnten die Leute nicht schwer genug arbeiten, um genug Essen zu produzieren, um schwer arbeiten zu können.11

Man schätzt, dass vor 200 Jahren ungefähr 20 Prozent der Einwohner von England und Frankreich überhaupt gar nicht arbeitsfähig waren. Sie hatten höchstens genug Kraft, um jeden Tag ein paar Stunden langsam zu gehen, wodurch sie Zeit ihres Lebens zum Betteln verurteilt waren.12 Auch auf die geistige Entwicklung der Bevölkerung hatte die mangelhafte Ernährung schwerwiegende Folgen, denn die Gehirne von Kindern sind auf die Zufuhr von Fett angewiesen, um sich ordentlich entwickeln zu können.

Einige Intellektuelle jener Zeit gingen davon aus, dass dies immer so sein würde. Im 18. Jahrhundert war der Pfarrer Thomas Robert Malthus der Ansicht, dass die Zahl der Menschen auf dieser Welt immer zu hoch sein würde im Vergleich zur Kapazität an Nahrungsmitteln. Er prognostizierte, dass sich die Bevölkerung exponentiell verdoppeln würde, also von zwei auf vier auf acht auf 16, während die landwirtschaftliche Produktion sich nur linear vergrößern würde, von zwei auf drei auf vier auf fünf. Und immer dann, wenn es ausreichend Nahrungsmittel gebe, würde das in mehr überlebenden Kindern resultieren, was später wiederum zu mehr Toten führen würde. Die Menschheit würde immer unter Hungersnöten leiden, stellte Malthus im Jahr 1779 fest:

Die Gewalt des Bevölkerungswachstums ist den Möglichkeiten der Erde, Nahrungsmittel zu produzieren, so sehr überlegen, dass der frühzeitige Tod in der ein oder anderen Form immer das Menschengeschlecht heimsuchen wird. Die Geißeln der Menschheit [Kindstötung, Abtreibung, Verhütung] sind angebrachte Mittel und Wege, um die Bevölkerung zu reduzieren. Diese Geißeln sind die Vorläufer der großen Armee der Zerstörung und vollenden das schreckliche Werk oft selbst. Sollten sie jedoch in diesem Vernichtungsfeldzug versagen, dann werden Missernten, Epidemien, Seuchen und Pest in ihrer grausamen Schlachtordnung auftreten und Tausende und Abertausende vom Angesicht der Erde hinwegfegen. Und wenn selbst hier der Erfolg noch nicht ganz erreicht wurde, werden gigantische, unvermeidliche Hungersnöte hinterher pirschen und in einem gewaltigen Schlag die Bevölkerung wieder in das rechte Verhältnis zur Nahrung setzen, die auf dieser Welt zur Verfügung steht.13

Malthus hat ziemlich akkurat beschrieben, wie das Schicksal der Menschheit zu jener Zeit hätte aussehen können, doch er unterschätzte ihre Fähigkeit zur Innovation, zur Problemlösung und Kursänderung. Die Ideen der Aufklärung und größere Freiräume für den Menschen gaben ihnen die Möglichkeiten, hier gegenzuarbeiten. Als Landwirte individuelle Eigentumsrechte erhielten, hatten sie einen Anreiz, mehr zu produzieren. Indem Grenzen für den internationalen Handel geöffnet wurden, fingen bestimmte Regionen an, sich auf die Herstellung derjenigen Produkte zu spezialisieren, die ihren klimatischen Umständen, der Bodenbeschaffenheit und ihren Fertigkeiten entgegenkamen. Die technischen Möglichkeiten der Landwirtschaft verbesserten sich ebenfalls, sodass man diese Gegebenheiten immer besser nutzen konnte. Auch wenn die Bevölkerung rasch wuchs, nahm die Versorgung mit Nahrungsmitteln doch noch schneller Fahrt auf. Im Jahr 1750 wurden in Frankreich und England durchschnittlich 1700 bis 2200 Kalorien pro Kopf aufgenommen. Im Jahr 1850 waren es bereits 2500 bis 2800. Hungersnöte begannen zu verschwinden.14 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwand Schweden die chronische Unterernährung.15

Und doch: Im Jahr 1918 veröffentlichte die US-Lebensmittelbehörde ein Buch über die Nahrungssituation unter dem Titel Hunger Map of Europe (Hungerkarte von Europa), das die Bedrohung der Nahrungssicherheit in Europa am Ende des Ersten Weltkriegs darstellte. Man schätzte, dass ein paar Länder wie Großbritannien, Frankreich, Spanien und die nordeuropäischen Staaten »derzeit genug Nahrungsversorgung [hätten], doch dass in Zukunft schwerwiegende« Knappheiten zu erwarten seien. Italien litt unter »schwerwiegender Nahrungsknappheit«, und Länder wie Finnland, Polen und die Tschechoslowakei litten unter »Hungersnöten«. Das Buch betont: »Vergessen Sie nicht, dass jedes kleine Land nicht bloß ein Fleck auf dieser Karte ist, sondern für Millionen von Menschen steht, die unter Hunger leiden.«16

Eines der wirksamsten Mittel gegen die Geißel des Hungers war Kunstdünger. Der Wirkstoff Stickstoff hilft Pflanzen dabei zu wachsen. Ein wenig davon ist in natürlichem Dünger vorhanden, jedoch nicht viel. Über mehr als ein Jahrhundert hinweg nutzten die Landwirte der ganzen Welt die Ausscheidungen von Vögeln, die über Jahrhunderte an der Küste von Chile angesammelt wurden und in denen große Mengen Natriumnitrat vorhanden waren. Doch es gab nicht genug davon. Wissenschaftler und Unternehmer dachten, dass es doch eine Möglichkeit geben müsse, Stickstoff aus der Atmosphäre zu ziehen, wo es in großen Mengen vorhanden ist.

Der deutsche Chemiker Fritz Haber, der bei BASF arbeitete, war der Erste, der eine Lösung für dieses Problem fand. Auf Basis seiner theoretischen Vorarbeiten und nach vielen Jahren des Experimentierens gelang es ihm im Jahr 1909, aus Wasserstoff und atmosphärischem Stickstoff Ammoniak herzustellen. Das Problem war, dass dies nur in kleinen Mengen möglich war. Es gab keine großen Behälter, die diesen Temperaturen und diesem Druck standhielten. Ein BASF-Kollege von Haber, Carl Bosch, hat in 20 Reaktoren über 20 000 Experimente durchgeführt, bis er den richtigen Prozess fand, um Ammoniak in industriellen Größenordnungen herstellen zu können. Der Haber-Bosch-Vorgang machte Kunstdünger günstig und im Überfluss zugänglich, und bald wurde er auf der ganzen Welt verwendet.

In dem Buch Enriching the Earth fragt Vaclav Smil: »Was war die bedeutendste technische Erfindung des 20. Jahrhunderts?« Er verwirft Vorschläge wie Computer oder Flugzeuge, um dann zu erklären, dass nichts so wichtig war wie die industrielle Herstellung von Stickstoff: »Die wichtigste Veränderung, die die Weltbevölkerung beeinflusst hat, nämlich ihre Ausweitung von 1,6 Milliarden Menschen im Jahr 1900 zu heute sechs Milliarden, wäre nicht möglich gewesen ohne die Synthese von Ammoniak.« Ohne den Haber-Bosch-Vorgang würden etwa zwei Fünftel der Weltbevölkerung überhaupt gar nicht existieren, behauptet Smil.17

Leider wurde Fritz Habers brillanter Geist auch eingesetzt, als es daran ging, Leben zu vernichten. Er war ein Pionier der chemischen Kriegsführung und entwickelte Chlorgas für die deutschen Truppen, damit sie es gegen feindliche Truppen verwenden konnten. Den ersten Angriff mit dem tödlichen Gas leitete Haber selbst am 22. April 1915 in der zweiten Flandernschlacht von Ypern. 6000 französische Soldaten wurden getötet. Haber erklärte sich folgendermaßen: »In Friedenszeiten gehört der Wissenschaftler der Welt. Doch zu Kriegszeiten gehört er seinem Vaterland.«18 Wenn ein solches Argument von einem Mann vorgebracht wird, der vielleicht mehr Leben gerettet hat als irgendjemand sonst, aber gleichzeitig auch im hohen Maß Leben zerstört hat, dann ist das vielleicht eines der besten Argumente überhaupt gegen Krieg.

Es gab auch Nachteile des künstlichen Düngers. Stickstoff lässt nämlich alles wachsen. Die landwirtschaftlichen Abflüsse ins Meer führen zu rapidem Algenwachstum, deren Verrottung wiederum einen Sauerstoffschwund im Meer verursacht. Das hat ernsthafte Auswirkungen auf andere Organismen, und diejenigen, die dem nicht entfliehen können, werden entweder krank oder sterben gar aus. Von Nordmexiko bis zur Ostsee haben wir im letzten halben Jahrhundert immer mehr dieser »Todeszonen« entdecken müssen, was in vielen Ländern dazu geführt hat, dass es sehr viel strengere Regulierungen zum Gebrauch von Stickstoffdünger gibt.

Zur gleichen Zeit wie der Kunstdünger hat sich auch manch andere Technologie im landwirtschaftlichen Bereich verbessert. Um vor 150 Jahren eine Tonne Weizen zu ernten und zu dreschen, brauchte man einen ganzen Tag und 25 Männer. Mit einem modernen Mähdrescher braucht eine Person dafür heute sechs Minuten. Mit anderen Worten: Der Mähdrescher trug zu einem 2500-fachen Produktivitätswachstum bei. Um 10 Liter Milch zu melken, brauchte man früher eine halbe Stunde. Mit modernen Melkmaschinen schafft man das in unter einer Minute.19 Der wachsende Handel, die bessere Infrastruktur, günstiger Strom und Treibstoff, Lebensmittelverpackungen und Kühlgeräte haben es möglich gemacht, dass man Lebensmittel aus den Gegenden, wo sie im Übermaß produziert werden, in Gegenden bringen kann, in denen Knappheit herrscht. Im späten 19. Jahrhundert musste man in den USA etwa 1700 Stunden arbeiten, um die jährliche Lebensmittelversorgung für eine Familie sicherzustellen. Heute braucht man dafür ungefähr 260 Stunden.20

In der Mitte des 19. Jahrhunderts lag die tägliche Kalorienzufuhr in Westeuropa zwischen 2000 und 2500. Das sind weniger Kalorien, als ein Durchschnittsafrikaner heute zu sich nimmt. Im Jahr 1950 war diese Zufuhr bereits auf 3000 Kalorien gestiegen. Ein guter Indikator für die Gesundheit ist die durchschnittliche Größe von Menschen, da der menschliche Körper sein Wachstum begrenzt, wenn die notwendige Menge an Ernährung nicht zu Verfügung steht. Historische Aufzeichnungen zeigen, dass der Unterschied in der Körpergröße zwischen Westeuropa und dem Rest der Welt bis ungefähr 1870 marginal war. Seitdem ist der Westeuropäer alle zehn Jahre ungefähr einen Zentimeter im Durchschnitt gewachsen, von 167 Zentimetern zu 179 Zentimetern 100 Jahre später.21 Das war unglaublich wichtig für die Gesundheit, denn große Menschen leben in der Regel länger, und Kinder, die besser ernährt werden, können Krankheiten eher widerstehen und haben eine größere Überlebenschance.

Es war aber nicht nur die immer bessere Lebensmittelversorgung, die uns vor Malthus’ Albtraum bewahrte, sondern auch der Geburtenrückgang. Als die Menschen reicher und besser gebildet wurden, bekamen sie auch weniger Kinder, und nicht etwa mehr, wie vorausgesagt wurde. Die Fortpflanzungsrate in den USA fiel massiv von sieben Kindern pro Frau im Jahr 1800 zu 3,8 im Jahr 1900 und 1,9 im Jahr 2012 – und damit sogar unter die Zahl an Kindern, die notwendig wäre, um die Bevölkerungsgröße stabil zu halten. Dieser Trend ist überall in der westlichen Welt anzutreffen.22 Es scheint, dass mit der Verbesserung der Gesundheit von Säuglingen und Kleinkindern Eltern davon ausgehen konnten, dass ihre Kinder auch das Erwachsenenalter erleben würden. Indem das Humankapital an Wert gewann, war es ökonomisch sinnvoller, weniger Kinder zu haben, und ihnen stattdessen eine längere Ausbildung zu ermöglichen. Malthus’ Vorhersage wurde auf den Kopf gestellt: Die Produktion von Nahrungsmitteln explodierte geradezu, während das Bevölkerungswachstum zurückging.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit war die Ernährungsfrage gelöst worden. Mancherorts entstand sogar das entgegengesetzte Problem – das der Fettleibigkeit. Und doch glaubten nach wie vor viele, dass es unmöglich sei, den gesamten Planeten zu ernähren. Mit dem massiven Rückgang der Sterblichkeitsraten musste eine wachsende Bevölkerung ernährt werden. Von 1950 bis in die Mitte der 1980er-Jahre hinein verdoppelte sich die Weltbevölkerung von 2,5 auf 5 Milliarden, und viele Neo-Malthusianer sagten massenhaftes Hungersterben voraus. »Der Kampf, die gesamte Menschheit zu ernähren, ist verloren«, schrieb Paul Ehrlich in seinem Buch The Population Bomb aus dem Jahr 1968: »In den 1970er-Jahren wird die Welt durch zahlreiche Hungersnöte geplagt werden. Hunderte von Millionen von Menschen werden zu Tode hungern.«23 In dem Buch Famine 1975! sagten William und Paul Paddock voraus, dass »in 15 Jahren die Hungersnöte ein katastrophales Ausmaß erreicht haben werden«.24

Und doch ist genau das Gegenteil passiert. Gerade zu dem Zeitpunkt, als der Kampf verloren geglaubt wurde, haben wir riesige Fortschritte gemacht. Niemand hat tapferer für die Menschheit gekämpft als Norman Borlaug, ein Agrarökonom aus Iowa, der davon besessen war, das Problem des globalen Hungers zu lösen. In einer Folge der TV-Serie Bullshit! spielen die Zauberer Penn und Teller ein Spiel namens »Die bedeutendste Person in der Geschichte«. Auf dem Kartenstapel liegen all die Besserwisser, die religiösen Anführer, die Präsidenten, die Revolutionshelden. Wie beim Poker kann jeder der Spieler wetten, ob seine jeweiligen Karten besser sind, aber die Spieler könnten auch bluffen. Penn zieht eine Karte, und auf einen Schlag setzt er alles, weil er weiß, er wird gewinnen: Seine Karte zeigt Norman Borlaug.

Die Geschichte von Borlaug und der globalen Grünen Revolution, die er in Gang brachte, beginnt in Mexiko im Jahr 1944. Dort arbeitete Borlaug für die Rockefeller-Stiftung im Bereich landwirtschaftlicher Entwicklung.25 Das Programm war entwickelt worden, um mexikanischen Landwirten neue Methoden beizubringen. Aber Borlaug war ganz darauf fixiert, ein besseres und ertragreicheres Getreide zu finden. Er war im Mittleren Westen der USA aufgewachsen und hatte beobachtet, dass schreckliche Sandstürme und Missernten dort am wenigsten bewirken konnten, wo die Landwirte mit besonders ertragreichem Getreide arbeiteten. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, dass mehr Länder Zugang dazu haben sollten.

Nachdem er Tausende von unterschiedlichen Weizenarten gekreuzt hatte, gelang es Borlaug, eine besonders ertragreiche Kreuzung herzustellen, die resistent war gegen Parasiten und nicht abhängig von den Tageslichtstunden, sodass sie in unterschiedlichen Klimazonen wachsen würde. Das Wichtigste war, dass es sich dabei um eine Zwergensorte handelte, da hochwachsender Weizen viel Energie darauf verwendete, die nicht essbaren Halme zu produzieren, und zudem sofort zusammenfiel, wenn er zu schnell wuchs. Als Borlaug die neue Kreuzung einführte, zeigte er den Landwirten auch, wie moderne Bewässerungsmethoden und Kunstdünger deren Ernten ertragreicher machen konnten. Das neue Getreide wurde bald in ganz Mexiko eingeführt. Wie durch ein Wunder war die Gesamternte im Jahr 1963 sechsmal größer als 1944. Über Nacht war Mexiko zum Getreideexporteur geworden.

Beinah sein ganzes Leben lang arbeitete Borlaug in Entwicklungsländern, um diese Technologie zu verbreiten. Aber er musste mit den Sitten vor Ort, den feudalen Traditionen und Widerstand gegenüber Menschen aus dem Westen kämpfen. Es stellten sich ihm auch oft Menschen aus dem Westen selbst in den Weg, die behaupteten, dass eine bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln zu Überbevölkerung führen würde, und dass es besser sei, die Natur in ihrem Werk nicht zu hindern.

Im Jahr 1963 zog Borlaug nach Indien und Pakistan, gerade zu jener Zeit, als sich diese Länder der Gefahr von massenhaften Hungersnöten ausgesetzt sahen. Er ordnete umgehend an, dass 35 Lastwagen mit Samen für besonders ertragreiches Getreide aus Mexiko nach Los Angeles gebracht würden, damit man sie von dort aus verschiffen konnte. Der Konvoi wurde zunächst von der mexikanischen Polizei aufgehalten und dann an der Grenze zu den USA, weil es ein Verbot der Einfuhr von Samen gab. Er durfte schließlich passieren, wurde jedoch erneut aufgehalten von der Nationalgarde, weil der Hafen von Los Angeles aufgrund von Unruhen gesperrt war. Am Ende konnten die Schiffe losfahren. Dennoch war das erst der Anfang der Probleme: »Ich legte mich schlafen in der Überzeugung, dass das Problem endlich gelöst war«, sagte Borlaug, »und ich wachte auf, um zu erfahren, dass Krieg zwischen Indien und Pakistan ausgebrochen war.«

Doch Borlaug und sein Team arbeiteten rastlos auch in der Zeit des Krieges, und säten ihre Samen bisweilen im Widerschein des Artillerieflackerns. Obwohl die Samen spät gesät worden waren und es viele logistische Probleme gab, wuchsen die Erträge in jenem Jahr um 70 Prozent, also ausreichend, um eine allgemeine Kriegshungersnot zu vermeiden. Wegen ebensolcher Methoden bekam Borlaug von beiden Regierungen die Genehmigungen, in größerem Maßstab anzubauen. Die nächste Ernte war noch größer, und die Ernährungssituation kam langsam wieder unter Kontrolle. Plötzlich gab es nicht genügend Arbeiter, um die Ernte einzuholen, und schließlich einen Mangel an allem, von Jutesäcken bis hin zu Güterwaggons. Einige Schulen mussten vorübergehend geschlossen werden, um sie als Scheunen zu gebrauchen.

In nur wenigen Jahren war das Unglaubliche geschehen: Indien und Pakistan konnten ihr Getreidebedürfnis selbst stillen. Heute produzieren sie siebenmal mehr Getreide als im Jahr 1965. Und trotz einer massiv wachsenden Bevölkerung können beide Länder sehr viel mehr Ernährungssicherheit ermöglichen als früher.