Freddy und die schwarzen Wolken - Kathleen Prußok - E-Book

Freddy und die schwarzen Wolken E-Book

Kathleen Prußok

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Beschreibung

Tauche ein in die Welt von Freddy und die schwarzen Wolken, wo der clevere elfjährige Freddy eine große Entdeckung macht: die Welt der psychischen Gesundheit. Als Stevens Mutter von Dunkelheit umgeben ist, setzen Freddy und sein Freund alles daran, Licht ins Dunkel zu bringen. Begleitet von einem geheimnisvollen Hund namens Woodie begeben sich Freddy und Steven auf ein Abenteuer, das ihre Freundschaft auf die Probe stellt und sie lehrt, dass wahre Freunde in schweren Zeiten zusammenhalten. Eine bewegende Geschichte über Mut, Verständnis und die Kraft der Freundschaft, die dich mitnimmt auf eine Reise voller Emotionen und Hoffnung.

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Inhaltsverzeichnis

Sonnenschein Freddy

Steven: Stimmung wie sieben Tage Regenwetter

Zockerwochenende – da braut sich was zusammen!

Freddy tappt im Dunkeln

Steven macht sich Luft

Mehr als graue Theorie?

Endlich frischer Wind

Regenwetter und Couchnachmittag

Frühlingsgefühle

Sommer, Sonne, Ferien

Trübe Aussichten für Steven

Aus heiterem Himmel neue Probleme

Es kracht ordentlich!

Ein Lichtblick für die Freundschaft

Frau Rahn klärt auf

Eine stürmische Party

Das Leben ist voller Hochs und Tiefs

Sonnenschein Freddy

Hallo! Ich bin Friedhelm Polhuhn. Sagt nix! Ich hasse meine Eltern dafür, dass sie für mich diesen bekloppten Namen ausgesucht haben. Als wenn der Nachname Polhuhn nicht schon Strafe genug wäre! Nein, da basteln sie noch diesen grauenhaften Vornamen dazu! Schon mehrmals habe ich meine Mutter gefragt, was meine Eltern sich dabei gedacht haben. Meist hat sie mich dann mit großen Augen angesehen und gesagt: »Wir wollten eben nicht, dass du wie jeder heißt! Irgendwann wirst du deinen Namen mögen!«

Na, prima! Seit elf Jahren versuche ich jetzt erfolglos, den Namen zu mögen. Ihr könnt euch sicherlich denken, was ich mir schon anhören durfte, von »Hühnerarsch« bis »Blödhelm« war alles dabei. Manchmal bekomme ich eine richtige Wut auf meine Eltern. Meiner älteren Schwester haben sie ja auch einen einigermaßen normalen Namen gegeben: Franziska. Sie ist siebzehn und völlig daneben. Jeden Tag telefoniert sie ungelogen Stunden mit ihrer Freundin. Dabei sehen sie sich schon in der Schule!

Die beiden nennen sich gegenseitig »Schatz«, wollen sich aber ständig übertrumpfen. Ich finde das so hohl! Die Kuh hätte mit ihrem Dachschaden eindeutig eher einen abgedrehten Namen verdient. Na ja, wie dem auch sei, ich versuche, das Beste draus zu machen und lasse mich einfach Freddy nennen. Freddy – ich finde, das klingt irgendwie verwegen und draufgängerisch. Okay, ich gebe zu, es passt nicht so ganz zu meinem Äußeren, denn neben einem merkwürdigen Namen habe ich meinen Eltern auch blonde Locken und die Größe eines Zwerges zu verdanken, was Verwandte und Bekannte regelmäßig dazu verleitet, mich »kleiner Engel« zu nennen. Es ist echt hart: »Da ist er ja, Friedhelm, unser kleiner Engel!« Wie soll man denn da bitte Selbstbewusstsein entwickeln?!

Kommen wir zum nächsten Problem. Meine Mutter ist Lehrerin – gut, das geht ja noch. Gott sei Dank unterrichtet sie nicht an meiner Schule! Aber mein Vater, Bernd Polhuhn, ist Psychotherapeut. Jetzt könnt ihr euch vorstellen, warum ich auch noch den Spitznamen »Psychohuhn« trage. Ich habe echt ein schweres Los gezogen!

Und das Fiese ist: Die meisten wissen überhaupt nicht, was ein Psychotherapeut wirklich macht. Oft reden die Leute Papa mit »Dr. Polhuhn« an, was ihm sichtlich gut gefällt, dabei ist er überhaupt kein Doktor – und Medizin hat er auch nicht studiert! Mein Vater macht nichts anderes, als den ganzen Tag mit Leuten zu reden. Er hat eine kleine Praxis in der Innenstadt, in der Nähe vom Basketballplatz. Manchmal nimmt er mich vom Training mit nach Hause. Ich gehe dann bei ihm vorbei und warte, bis er Feierabend hat.

Die Praxis ist gar nicht wie eine Arztpraxis eingerichtet. Es gibt keine Untersuchungsräume oder irgendwelche technischen Geräte. Eigentlich gibt es da gar nicht viel, nicht mal eine Anmeldeschwester oder so was. Es gibt einen kleinen Warteraum, ein Arbeitszimmer, in welchem sich Bücher bis zur Decke stapeln und ein Zimmer, in dem er mit seinen Patienten spricht.

Was die da wohl die ganze Zeit bereden? Die Leute sind recht lange bei ihm, manchmal sehen sie etwas verquollen aus, wenn sie rauskommen. Sie haben es oft ziemlich eilig, die Praxis zu verlassen. Keine Ahnung, ob das ein Qualitätsmerkmal für die Arbeit meines Vaters ist. Ich weiß nur: Das einzig Gute ist, dass man bei meinem Vater nicht lange warten muss. Meistens ist niemand im Warteraum, alle Patienten kommen nacheinander.

Mein Vater hat wirklich einen ziemlich chilligen Job. Da sitzt er den ganzen Tag in diesem supergemütlichen, rot-braun karierten Ohrensessel irgendwelchen Leuten gegenüber und lässt sie erzählen. Ich habe ihn mal gefragt, ob er dann auf Durchzug stellt, so wie ich es mache, wenn meine Mutter und meine Schwester stundenlang über irgendwelche langweiligen Klamottenfragen diskutieren. Er erzählte irgendwas von »Verhaltenstherapeut« und dass er den Leuten hilft, besser in ihrem Alltag zurechtzukommen. Wie er das machen will, indem er immer nur redet, ist mir ein Rätsel.

Ich meine, jeder kennt doch das Problem, dass man zum Beispiel nicht rot werden will, wenn man vor der gesamten Klasse irgendwas Idiotisches erklären muss und dann passiert es doch wieder. Interessant ist: Die meisten Patienten meines Vaters sehen ganz normal aus, also die sind nicht irgendwie völlig durchgeknallt oder so. Einmal habe ich zum Beispiel Frau Bergmann rausgehen sehen, die Bibliothekarin, die eigentlich immer ganz nett lächelt, wenn man sich mit einem fiesen Horrorcomic in die hintere Leseecke verzieht.

Manchmal verkrümele ich mich richtig gern in die Bibliothek und gehe zwischen den Bücherreihen hin und her. Ich mag den Geruch der Bücher, ich mag die Atmosphäre in den Räumen – es hat irgendwie etwas, wie soll ich sagen: Langsames. Ja, die Zeit scheint sich dort auszudehnen. Aber ganz ehrlich: Wer geht denn heute bitte noch in eine Bibliothek? Es ist also nicht verwunderlich, dass es meistens ziemlich leer dort ist. Umso besser für mich, denn ich habe dort meine Ruhe und bleibe verschont von irgendwelchem Geschwätz á la »Nein, ich esse keine Nudeln mehr, das sind böse Kohlenhydrate!« Meine Schwester haut ständig solche Sprüche raus.

Ich hüte mich natürlich davor, an die große Glocke zu hängen, dass ich wie ein Stubenhocker in der Bibliothek rumsitze. Nur meiner Mutter erzähle ich es, denn sie ist dann immer aus dem Häuschen und freut sich. Sie denkt sich dann wohl: Bei Friedhelm haben wir alles richtig gemacht! Ich verschweige natürlich, dass ich mich insbesondere für grauenhafte Verbrechen und ungeklärte Morde interessiere, die sehr anschaulich in unzähligen Krimis dargestellt werden.

Manchmal gucke ich mir die Cover von den Horrorfilmen an. Frau Bergmann tut so, als würde sie es nicht merken. So bin ich dann auch auf den Namen Freddy gekommen, denn auf der einen DVD-Hülle war so ein ekliges Monster drauf, das »Freddy Krüger« hieß und alles andere als nett und engelsgleich aussah. Ich würde den Film zu gern mal ausleihen und mit Steven gucken, aber das geht Frau Bergmann dann wohl doch zu weit.

Steven ist mein bester Kumpel. Wir kennen uns schon seit der ersten Klasse und sitzen in der Schule nebeneinander. Wahrscheinlich verbindet uns, dass wir beide eher klein und schüchtern sind. Während Steven oft Bandshirts und Baggy Jeans trägt, liebe ich Hoodies. Mein Ziel ist es, zumindest einigermaßen lässig auszusehen, vermutlich bin ich aber für die meisten einfach nur der Streberzwerg mit Kapuzenpullover.

Auf jeden Fall hat Steven einiges auf dem Kasten. Er wohnt mit seiner Mutter allein, nachdem sein Vater letztes Jahr ausgezogen ist. Steven spricht nicht mega viel drüber. Er sieht seinen Vater nur alle zwei Wochen an den Wochenenden und ist an den Montagen darauf immer ziemlich ruhig.

Ich lasse mir einiges einfallen, um ihn aufzuheitern. Ich habe es auch schon mit der Methode meines Vaters probiert, mich zurückgelehnt und gehofft, dass er irgendwas erzählt, aber meistens schweigen wir uns dann an und er beginnt, mit seinem Handy zu spielen.

Ihr braucht jetzt aber nicht zu denken, dass Steven und ich Außenseiter sind, die irgendwie komische Eltern haben oder so. Zu unserer Gang gehört auch noch Anton, ein hochgeschossener Typ, der leider schon seit der vierten Klasse unter krasser Akne leidet. Erstaunlicherweise kommt er dennoch ziemlich gut bei den Mädels an. Und er ist der Beste in unserem Basketballteam!

Anton lebt mit seiner Familie am Stadtrand und spart bereits auf den Führerschein – mit elf! Sein Bruder Max hat im Sommer den Führerschein gemacht und fährt seitdem mit einer alten Schrottlaube durch die Gegend, an der er selbst herumgeschraubt hat.

Manchmal malen wir uns aus, was wir machen, wenn wir endlich nicht mehr wie Babys behandelt werden. Ich werde auf alle Fälle etwas Richtiges lernen, nicht nur, mich von anderen Menschen vollquatschen zu lassen. Vielleicht mache ich was mit Musik oder werde Kriminalkommissar. Dass dieser lahmarschige Job meines Vaters mal mein Leben auf den Kopf stellen könnte, hätte ich niemals für möglich gehalten.

Steven: Stimmung wie sieben Tage Regenwetter

Montagmorgen – der absolute Hasstag! Allerdings ist meine Laune ja noch spitze, wenn ich sie mit der von Steven vergleiche. Schweigsam und mit gerunzelter Stirn starrt er auf sein Handy, als ich mich neben ihn setze. Ich habe so eine Ahnung, dass er am Wochenende wieder bei seinem Vater war. Sein Vater arbeitet als Autoverkäufer in der Stadt. Dabei hat er wohl auch eine neue Frau kennengelernt, für die er Stevens Mutter verlassen hat.

Betont locker schmeiße ich mich auf den Stuhl neben ihm. »Hey! Na, wie war dein Wochenende?«

»Mmh.«

»Hast du das Spiel am Sonntag gesehen?«, wage ich einen zweiten Versuch.

»Mmh.«

Gut, also das wird heute wieder eine zähe Angelegenheit mit Steven. Während des Deutschunterrichts höre ich nur halbherzig zu und schiele unauffällig immer wieder zu ihm. Ungesund blass und ohne jede Mimik starrt er in sein Buch. Ich frage mich, warum ihn diese Wochenenden immer so aus der Bahn werfen. Wenn ich es mir recht überlege, verhält er sich nicht nur nach den Wochenenden so, sondern ist in letzter Zeit insgesamt irgendwie anders.

Vielleicht sollte ich ihn darauf ansprechen. Doch wie? Ich will ja nicht wie eine Mutti rüberkommen. In der großen Pause versuche ich es stattdessen mit der altbewährten Taktik: einfach ablenken und irgendwas erzählen.

»Ey, ich war am Wochenende bei ›Döner Schröder‹, dem neuen Laden«, sprudele ich los. »Schmeckt echt lecker, hab meinen Döner mit extra viel Knoblauchsoße und Zwiebeln genommen! Hab den Besitzer gleich mal gefragt, wieso der Laden so einen komischen Namen hat. Er hat nur gelacht und irgendwas von ›Alleinstellungsmerkmal‹ gefaselt. Na, kann mir ja auch egal sein. Aber der Typ ist sonst eigentlich ganz cool.«

»Mmh.«

Also langsam wird’s mir echt zu blöde! Gut, das war jetzt vielleicht nicht die Nachricht des Tages, aber mir ist einfach nichts anderes eingefallen. Schließlich ist auch für mich Montag und ich habe absolut keine Lust auf Mathe beim alten Fritze!

Den Rest des Schultages reden wir auch nicht viel mehr, sodass ich nach der Schule ziemlich angefressen bin und beschließe, ein paar Körbe zu werfen. Anschließend schlendere ich wieder bei meinem Vater in der Praxis vorbei und hoffe, dass er bald Feierabend macht und wir nach Hause fahren können.

Als ich an der Tür klingele, lässt er mich nur kurz rein und verschwindet dann gleich wieder geschäftig in seinem Behandlungszimmer. Wir haben die Verabredung, dass ich mich in sein Arbeitszimmer verkrümele und mich möglichst unauffällig verhalte. Meistens spiele ich ein bisschen mit dem Handy. Manchmal gucke ich mir seine Bücher an, die extrem langweilig und kompliziert wirken. Manche Wörter kann man nur mit Mühe aussprechen: Schizophrenie, schizoaffektive Störung oder artifizielle Störung. Wenn er mit solchen Fachwörtern um sich schmeißt, ist es ja kein Wunder, dass andere ihn für einen Doktor halten. Ich meine, er sieht auch ein bisschen so aus mit seiner Brille und dem Bart. Nach gefühlt tausend Jahren höre ich Geräusche aus dem Warteraum. Kurz darauf fällt die Tür zu. Na endlich!

Papa streicht sich mit den Händen über das Gesicht, als er zu mir kommt. »Was für ein Tag! «

»Können wir nach Hause?«, quengele ich.

»Ja gleich, ich muss nur noch kurz etwas notieren.« Schnell kritzelt er etwas auf seinen Block, den er in jede Sitzung mitnimmt. Dann steckt er alles in eine Akte, die er in den großen Metallschrank legt. Manchmal ist mein Vater nach der Arbeit erstaunlich schweigsam, obwohl er normalerweise ganz lustig unterwegs ist.

»Hey, wie war es in der Schule?«, fragt er von seinem Schreibtisch aus.

Ich erzähle ihm von Steven und seinen nervigen Launen, während ich weiter am Handy zocke.

»So eine Trennung ist eine schwierige Sache. Steven braucht vielleicht mehr Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Sicherlich ist er auch traurig oder wütend auf seinen Papa. Aber manchmal will man sich das nicht eingestehen.«

»Mmh.« Jetzt reagiere ich genauso einsilbig wie Steven. Ich mag es nicht besonders, wenn mein Papa mit mir wie mit seinen Patienten redet.

Endlich sitzen wir im Auto und fahren nach Hause. Es hat geregnet und die Straßen sind noch nass. Zusammen mit den dunklen Wolken bilden sie einen merkwürdigen Kontrast zu dem hellen Grün der Blätter, die an den Bäumen hängen.

Zockerwochenende – da braut sich was zusammen!

Die Woche ist geschafft! Der olle Fritze hat uns mit einem Mathetest überrascht und ich habe dabei kein gutes Gefühl. Deshalb bin ich froh, die Schule für zwei Tage hinter mir lassen zu können.

Steven hat sich wieder eingekriegt und wir planen unser »Zockerwochenende«. Wir wollen uns Pizza bestellen und seine neue Xbox ausprobieren. Außerdem wollen wir Popcorn selbst machen – das wird richtig cool. Nach der Schule kommt er gleich mit zu mir.

Meine Mutter macht uns lächelnd die Tür auf. »Hallo ihr zwei! Es ist so schönes Wetter, wollt ihr nicht noch etwas rausgehen?«

Doch wir verziehen uns gleich auf mein Zimmer, schmeißen unsere Taschen in die Ecke und legen los.

»Ausnahmsweise!«, ruft meine Mutter uns in strengem Ton nach.

Meine Schwester hört nebenan diese furchtbare Mädchen-Mucke, immer wieder das gleiche Lied in Endlosschleife. Das heißt: Sie wird heute Abend mit ihren Freundinnen weggehen und steht vermutlich gerade unentschlossen vor ihrem Kleiderschrank. Normalerweise würde mich dieses Gejaule tierisch nerven, aber heute lachen wir uns einfach nur darüber kaputt, futtern Chips und trinken Cola.

Als wir beim Abendessen zusammensitzen und uns über diese wahnsinnig leckere Salamipizza hermachen, kommt meine Schwester die Treppe herunter. Wir grinsen uns schon wieder an: Wie die aussieht! Ihre Augen sind dunkel umrandet und erinnern mich an einen Panda.

Die Augenbraue meines Vaters zuckt leicht nach oben. »Wo gehst du denn heute hin?«

»Ich treffe mich nur mit ein paar Freundinnen!«, mault meine Schwester.

»Willst du noch was essen?«, fragt meine Mutter.

Mit einem angewiderten Blick auf die Pizza schüttelt Franziska den Kopf und verschwindet im Flur.

»Aber um zwölf bist du zu Hause!«, bölkt mein Vater hinter ihr her.

Eltern sind manchmal wirklich daneben! Steven starrt auf seinen Teller und beteiligt sich den Rest des Abendessens über nur noch wenig am Gespräch. Mein Vater sieht ihn über den Tisch hinweg nachdenklich an.

Nach dem Essen zocken wir weiter. Mir fällt ein, was mein Vater neulich über Trennungen sagte und während ich gerade einen der Zombies abschieße, schaue ich kurz zur Seite. »Du, äh, also, wie ist denn das jetzt zwischen deinen Eltern so? Bestimmt alles nicht so leicht, oder?«

»Was soll’n das jetzt?« Ruckartig setzt er sich auf, sodass die Chipstüte zu Boden fällt. »Red nicht mit mir, als wäre ich ein Mädchen!«

Ich gucke verdattert. Okay, das war offensichtlich keine gute Idee. »So war das doch nicht gemeint, sorry.«

Steven wendet sich wieder dem Spiel zu. Ich beschließe, dass dieses ganze »Wir-reden-mal-darüber«, wie es mein Vater immer macht, nichts bringt und stürze mich ebenfalls ins Getümmel. Den restlichen Abend über merke ich trotzdem eine deutliche Spannung zwischen uns. Wir quatschen nur wenig. Gut, soll mir auch recht sein. Ich habe sowieso keine Lust auf sein Gejammer!

Steven schläft sehr unruhig. Er dreht sich in seinem Schlafsack hin und her und hält mich durch sein Gezappel vom Einschlafen ab. Ich mache die kleine Leselampe an und nehme eines der Bücher aus der Bibliothek in die Hand. So richtig kann ich mich aber nicht konzentrieren.

Mir geht Stevens Blick, als ich ihn gefragt habe, was los ist, durch den Kopf. Er sah wütend aus, da war aber noch was anderes – Traurigkeit? Keine Ahnung, wenn er nicht darüber reden will, kann ich ihn ja nicht zwingen. Vermutlich ist auch alles halb so wild und er muss einfach nur mal klarkommen.

Als wir Steven am nächsten Tag nach Hause fahren, nimmt er im Zeitlupentempo seine Tasche aus dem Kofferraum und trottet mit hängenden Schultern zur Tür.

Am Abend fällt mir siedend heiß ein, dass wir ja den blöden Erlkönig auswendig lernen sollten. Die Hausaufgabe hatte ich völlig vergessen. Also versuche ich, mir die Strophen einzutrichtern. »Wer reitet so spät durch Nacht und Wind, es ist der Vater mit seinem Kind!« Sofort denke ich wieder an Steven, na toll!

Wenn ich mir vorstelle, dass mein Vater ausziehen würde, das wäre echt hart. Ich meine: Oft genug nervt er einfach nur, aber er ist eben mein Vater, Teil meiner Familie. Ich frage mich, warum mir das Ganze keine Ruhe lässt. Offensichtlich bin ich meinem Vater ähnlicher als bisher gedacht. In dieser Nacht träume ich von knorrigen Weiden, nassen Straßen und dunklen Wolken.

Freddy tappt im Dunkeln

Am Morgen wache ich völlig zerschlagen auf und hoffe, dass ich im Unterricht nicht zum Rezitieren nach vorne gerufen werde. Aber wie sollte es anders sein? »Friedhelm, trage uns bitte den Erlkönig vor!«

Mühsam stammele ich das Gedicht mit rotem Kopf runter und sehe Franz und Tim feixen. Ich kann die beiden Fratzen absolut nicht ab.

»Na ja, Friedhelm, das war keine Glanzleistung! Wo warst du nur mit deinen Gedanken?!« Dass Lehrer einen immer noch mal extra blamieren müssen! Und natürlich glüht mein Gesicht wie eine rote Ampel – ich sag doch, manche Dinge ändern sich nie! Den Blick auf den Boden geheftet, setze ich mich wieder auf meinen Platz.

Zum Glück fallen heute die letzten zwei Stunden Sport aus, weil der Stumphe sich beim Marathonlauf am Wochenende den Fuß verstaucht hat. So, wie der uns im Unterricht immer triezt, hält sich mein Mitgefühl für ihn in Grenzen. Ich versuche, meine Eltern auf dem Handy zu erreichen, aber mein Vater schläft vermutlich schon wieder in seinem Therapeutensessel und meine Mutter drangsaliert irgendwelche Schüler. Also beschließe ich, mich einfach an Steven zu hängen und mich von seiner Mutter mitnehmen zu lassen.

Als ich ihn frage, reagiert er jedoch sehr merkwürdig.

»Heute ist es wirklich ungünstig«, druckst er herum. »Nimm doch den Bus.«

Na ich glaube, ich höre nicht richtig! Wir wohnen nur fünf Kilometer auseinander und der nächste Bus kommt in einer Dreiviertelstunde.

»Also echt, Steven, wenn du dich so anstellst, kannste mich mal!«, platze ich raus. Ich habe die Nase voll!

Erschrocken sieht Steven mich an. Anton kommt vorbei und merkt sofort, dass dicke Luft zwischen uns herrscht. »Hey Leute, wie sieht’s aus? Mein Bruder gibt am Wochenende eine Party in seiner neuen WG, kommt ihr auch?« Er scheint betont lässig wirken zu wollen, bestimmt weil seine Angebetete in Hörweite mit ihren Freundinnen quatscht.

Ich nicke und Steven macht wieder auf stummen Fisch.

»Alles klar bei euch?«

»Jaja«, antworte ich und fummele genervt am Reißverschluss meines Rucksacks rum.

»Na dann …« Anton zieht weiter. Er ist in unserer Parallelklasse und darf sich jetzt noch mit Mathe rumschlagen.