Frei werden zum Wesentlichen - Anselm Grün - E-Book

Frei werden zum Wesentlichen E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Sowohl im Islam wie auch im Christentum spielen Fastenzeiten, vor allem vor Ostern bzw. der Fastenmonat Ramadan, eine große Rolle. Sie haben zudem ähnliche Bedeutungen in beiden Religionen als eine Zeit des Verzichts und der Besinnung auf das Wesentliche. Nun haben sich der katholische Mönch Anselm Grün und der islamische Religionswissenschaftler Ahmad Milad Karimi zusammengetan, um einen Begleiter durch diese Fastenzeiten zu schreiben. Dabei geht es in 20 kleinen Abschnitten um Aspekte, die in beiden Religionen eine Rolle spielen, zum Beispiel das Thema "Unterbrechung", "Gemeinschaft ", "Reinigung" oder auch "Demut" oder "Befreiung". Zudem schreibt jeder der Autoren in 10 weiteren Abschnitten über Aspekte, die für die je eigene Religion eine wichtige Rolle spielen. So ergeben sich 40 Texte, die sowohl im Ramadan wie auch in der Fastenzeit als tägliche Inspiration gelesen werden können. Herausgekommen ist dabei ein Buch, das deutlich macht: Die Gemeinsamkeiten, die die beiden großen Religionen im Alltag verbinden, sind viel größer als die immer wieder betonten Unterschiede.

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2025

ISBN 978-3-7365-0646-6

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2025

ISBN 978-3-7365-0672-5

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Finken und Bumiller

Covermotiv: Finken und Bumiller

www.vier-tuerme-verlag.de

Anselm Grün Ahmad Milad Karimi

Frei werden zum Wesentlichen

Ein Begleiter für Fastenzeit und Ramadan

Vier-Türme-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Demut

2 Verzicht

3 Reinigung

4 Solidarität

5 Offenheit

6 Trainingszeit

7 Selbstbegegnung

8 Wachsamkeit

9 Lesezeit

10 Wesentlich werden

11 Buße

12 Ohnmacht und Vertrauen

13 Das Leben neu ordnen

14 Sehnsucht

15 Geduld

16 Unterbrechung

17 Gemeinschaft

18 Loslassen

19 Ruhe finden

20 Lebensfreude

Christliche Aspekte

21 Vierzig Tage fasten

22 Auszug in die Freiheit

23 Sich etwas vornehmen

24 Fasten für jemand anderen

25 Fastensonntage – Auszeit für den Körper

26 Frieden finden

27 Den Leib wertschätzen

28 Licht werden

29 Österlich leben

30 Fastenzeiten – Zeit der Vorbereitung

Islamische Aspekte

31 Der Monat Ramadan

32 Den Glauben leben

33 Die Bedeutung der Nächte im Ramadan

34 Die Bedeutung der Zeit

35 Versöhnung

36 Der Umgang mit eigenen Schwächen

37 Fastenbrechen

38 Fastend durch das Jahr

39 Wenn Verzicht nicht möglich ist

40 Das Wort Gottes fließt in den Herzen

Frei werden zum Wesentlichen

Zitierte Literatur zum christlichen Fasten

Anmerkungen

Guide

Cover

Impressum

Buchtitel

VORWORT

Anselm GrünAhmad Milad Karimi

Fasten ist eine alte und bewährte Praxis, die über Kulturen und Religionen hinweg das Herz des Menschen berührt und verwandelt hat und es noch immer tut. In der Begegnung von Christentum und Islam ist das Fasten eine Brücke, die Menschen unterschiedlicher Traditionen in ihrem gemeinsamen Streben nach Sinn, Hingabe und innerer Einkehr verbindet. Dieses Buch ist aus der tiefen Überzeugung entstanden, dass das Fasten, ob christlich oder muslimisch, in seinem Kern mehr ist als ein äußerer Verzicht, mehr als ein äußerliches Gebot. Es ist ein Weg zu innerer Freiheit, zu Gott und zu sich selbst.

Wir haben uns aufgemacht, diesen Weg gemeinsam zu gehen, die Tiefen und Facetten des Fastens zu erkunden und voneinander zu lernen. Was uns dabei klar wurde, ist nicht nur, wie viel Weisheit das Fasten in beiden Traditionen birgt, sondern auch, wie erstaunlich groß die Gemeinsamkeiten zwischen islamischer und christlicher Spiritualität sind – vor allem in Bezug auf die praktische Anwendung und die ethische Haltung dahinter.

Dieses Buch ist Ausdruck unseres gemeinsamen Suchens und unserer Überzeugung, dass der Islam und das Christentum als Wege zur Wahrheit zusammengehören. Wir reden nicht über den interreligiösen Dialog, sondern setzen ihn praktisch um, wir hören aufeinander, entdecken Neues und staunen über das Gemeinsame, das Erhebende. Beide Traditionen führen Menschen auf die Reise zu Gott und zum tieferen Sinn des Lebens. Diese besondere Begegnung war für uns eine kostbare Erfahrung, und wir hoffen, dass sie auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, neue Einsichten eröffnet und Sie inspiriert.

Ob als Wegbegleiter durch den Ramadan oder die Fastenzeit: Möge dieses Buch Ihnen helfen, das Fasten als eine Brücke zu sehen – zu Gott, zum Nächsten und zu Ihrem inneren Selbst. Es soll Sie durch Tage der Stille und Einkehr begleiten und Ihnen neue Perspektiven auf die universelle Kraft des Fastens eröffnen. Wir möchten Sie damit aber auch einladen, diesen Weg mit uns zu gehen und das Fasten als eine Quelle der Verwandlung und der Verbundenheit zu erleben – für sich selbst, für Ihre Gemeinschaft und für die Welt.

1 DEMUT

Anselm Grün

In den Vätersprüchen der Wüstenmönche wird das Fasten immer wieder mit der Demut verbunden. So sagt Abba Longinus: »Das Fasten demütigt den Körper und das Wachen reinigt den Geist« (Regnault 104). In einem anderen Väterspruch heißt es: »Der Bruder sprach: ›Was wird aus den Fasten und Nachtwachen, die der Mönch leistet?‹ Der Greis antwortete ihm: ›Sie machen die Seele demütig‹« (Apophthegmata 512). Und Abba Poimen, einer der großen und bekanntesten Wüstenväter, sagt: »Die Seele ist absolut nicht demütig, wenn sie nicht mit Brot rationiert wird« (Regnault 73).

Doch nicht alle dachten so. Es gab auch Wüstenväter, die mit ihrem Fasten angaben. Sie führten anderen stolz vor, wie radikal sie fasten konnten. Doch die weisen Väter verurteilten solches Tun. Sie meinten, diese Mönche würden sich vom »Ohrenschmaus« der Menschen ernähren. Das ist kein wahres Fasten. Das wahre Fasten geschieht – wie es Jesus in der Bergpredigt sagt – im Verborgenen. Das rechte Fasten macht uns demütig. Denn es konfrontiert uns mit uns selbst, mit all unseren Wünschen und Bedürfnissen, mit unseren Gedanken und Gefühlen, mit unseren Schattenseiten. Die Erkenntnis des eigenen Schattens macht uns demütig. Das Fasten führt uns darüber hinaus an unsere Grenzen. Es zeigt uns sehr deutlich, dass wir Menschen sind mit Leib und Seele, dass wir uns über unseren Leib nicht erheben können. Wir müssen ihn mit seinen Bedürfnissen akzeptieren und ihm sein Recht lassen. Im Fasten werden wir zudem mit unserem eigenen Mangel konfrontiert. Wir sind uns selbst nicht genug. Wer hungrig vor Gott sitzt, der spürt seine Sehnsucht nach Erfüllung. Er fühlt mit seinem Leib, dass er auf die Erfüllung von außen angewiesen ist. Das Fasten zeigt, dass wir unseren Leib nicht wie einen Sklaven behandeln dürfen. Wer nicht auf seinen Leib hört, dem wird dieser mit Krankheit antworten. Zur Demut gehört es, dass wir auf unseren Leib Rücksicht nehmen. Allerdings bedeutet das nicht, dass wir jedes Bedürfnis erfüllen.

Das lateinische Wort für Demut ist humilitas. Das hat mit humus, also Erde zu tun. Demut ist der Mut, hinabzusteigen in die eigene Erdhaftigkeit. Das bedeutet zum einen, hinabzusteigen in den eigenen Leib, ihn besser kennenzulernen mit seinen Bedürfnissen, aber auch mit seinen Schmerzen. Demut bedeutet zu akzeptieren, dass ich diesen Leib habe, der sich nicht wie eine Maschine beherrschen lässt, sondern sich immer wieder meldet mit seinen Grenzen. Demut meint auch den Mut, hinabzusteigen in die Abgründe meiner Seele, in den Schattenbereich, in dem all das anzutreffen ist, was ich verdrängt habe, weil es meinem Selbstbild nicht entspricht.

Das Fasten konfrontiert mich mit meiner eigenen Wahrheit. Und die macht immer demütig. Im Fasten kommen wir in Berührung mit unseren Emotionen, gerade auch mit den negativen wie Ärger, Unzufriedenheit und Neid. Das Fasten raubt uns die Mechanismen, mit denen wir diese Emotionen verdrängen. Es konfrontiert uns mit dem, was ist.

Ahmad Milad Karimi

Im Koran wird die Demut als eine besonders bedeutende Tugend hervorgehoben, die zum einen unser Verhältnis zu Gott prägt und zum anderen unsere Haltung zu anderen Lebewesen bestimmt. Kein Mensch darf sich über einen anderen erheben. Demut als Tugend führt uns zu der schönen Einsicht, dass wir immer in Berührung mit unserer Fehlbarkeit leben lernen.

Die Demut, die im Fasten praktiziert wird, ist eine grundlegende Haltung, die es uns ermöglicht, den eigenen Stolz und die eigenen Ansprüche hinter uns zu lassen. Wenn wir fasten, setzen wir uns mit der Essenz unseres Menschseins auseinander, weil wir auf das Wesentliche reduziert sind. Wir lernen, dass unser Leben nicht allein durch unsere eigenen Bemühungen oder unseren Besitz zur Erfüllung kommt.

Im Islam wird die Demut ebenfalls als Schlüssel zur Erkenntnis der eigenen Grenzen und Schwächen verstanden. Das Fasten konfrontiert uns mit unseren Bedürfnissen und zeigt uns, dass wir nicht unantastbar sind. Im Hunger spüren wir unsere Abhängigkeit von Nahrung und anderen äußeren Bedingungen und erkennen, dass wir in unserer Verletzlichkeit menschlich sind. Diese Erkenntnis führt zur Demut, die uns lehrt, auf uns selbst und unsere Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, ohne uns von ihnen beherrschen zu lassen.

Die Demut, die wir durch das Fasten erfahren, hat ihre Wurzeln in der Einsicht, dass alles, was wir besitzen, uns letztlich nicht gehört, nicht einmal unser Leib, unsere Seele, unser Herz, unsere Liebe. Der Verzicht auf Nahrung und Genuss wird somit zu einem Akt der Hingabe, der uns hilft, das Göttliche in unserem Leben zu erkennen. Wir üben uns im Loslassen von irdischen Bindungen und entwickeln eine innere Freiheit, die uns ermöglicht, unser Herz für das zu öffnen, was Gott uns geben will.

Der Weg der Demut im Islam zeigt, dass Fasten eine Möglichkeit darstellt, die eigenen Grenzen zu akzeptieren und Gott näherzukommen. Es ist ein Prozess, der sowohl schmerzhaft als auch befreiend sein kann. Indem wir uns der Notwendigkeit des Verzichts stellen, erfahren wir, dass unsere menschlichen Bedürfnisse nicht unsere Identität bestimmen. Vielmehr führt uns der Akt des Fastens zu einer tieferen Verbindung mit dem Göttlichen und erinnert uns daran, dass wahres Leben in der Hingabe und der Demut zu finden ist. Denn im Koran ist hervorgehoben: »Wahrlich, Gott liebt nicht die Überheblichen, die Prahlenden« (Koran 22,18).

Die Demut, die wir im Fasten erfahren, hebt unsere Bedürftigkeit und Mitmenschlichkeit hervor. Im Leben des Propheten Muhammad zeigt sich dies deutlich: Er war ein Vorbild an Bescheidenheit und Mitgefühl. Trotz seines Status als Prophetlebte er in Einfachheit. Demut wird zu einem Kennzeichen des gläubigen Menschen: »Und die Diener des Barmherzigen sind die, die umhergehen auf der Erde demütig« (Koran 25,63). Beim Fasten üben wir uns im Glauben, indem wir uns demütig erden.

Im Islam ist Demut nicht nur eine Tugend, sondern auch eine aktive Praxis, die uns dazu anregt, unser Augenmerk von uns weg auf andere zu lenken. Wenn wir fasten, haben wir die Gelegenheit, über unser eigenes Wohl hinauszudenken und den Hunger und die Not derer zu spüren, die nicht die Mittel haben, sich gut zu ernähren. Diese Erfahrung fördert nicht nur unser Mitgefühl, sondern auch unser Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit. Indem wir unsere eigenen Bedürfnisse zurückstellen, sind wir in der Lage, den Bedürftigen zu helfen und unsere Gemeinschaft zu stärken.

Das Fasten als Akt der Demut ist somit nicht nur eine persönliche Erfahrung, sondern auch eine kollektive. Es erinnert uns daran, dass wir Teil einer größeren Gemeinschaft sind, die auf gegenseitige Unterstützung und Verständnis angewiesen ist. In der Demut finden wir die Stärke, einander zu unterstützen und eine Welt zu schaffen, in der jeder die Möglichkeit hat, in Würde zu leben.

2 VERZICHT

Ahmad Milad Karimi

Im Islam wie auch in der christlichen Tradition spielt der Verzicht eine zentrale Rolle für die spirituelle Einübung im Leben und das Streben nach innerer Reinheit. Anselm Grün beschreibt den Verzicht als Ausdruck von Freiheit – als die Fähigkeit, nicht von Bedürfnissen beherrscht zu werden, sondern selbstbestimmt Nein zu sagen. Dies entspricht auch dem islamischen Verständnis des Fastens, bei dem der Mensch nicht nur auf körperliche Annehmlichkeiten verzichtet, sondern eine innere Disziplin entwickelt, die ihn von weltlichen Bindungen befreit.

Der Weg des Verzichts im Islam ist tief verwoben mit dem Fasten im Monat Ramadan. Er stellt nicht nur eine körperliche Enthaltsamkeit dar, sondern zielt auf die innere Disziplin, das Loslassen und die Läuterung des Herzens. Fasten bedeutet Verzicht, meint aber nicht einfach das Nein zu Nahrung und Trank, sondern das Ja zu einer tiefen spirituellen Praxis. Verzicht ist im islamischen Verständnis mehr als bloße Enthaltung, es bedeutet darüber hinaus eine Öffnung. Diese Haltung lässt uns erfahren, dass das, woran wir uns klammern, uns nicht gehört und wir letztlich in einer Abhängigkeit zu Gott stehen, »Bedürftige Gottes« sind, wie es im Koran heißt (Koran 35,15).

In dieser Sichtweise bedeutet der Verzicht, dass der Mensch lernt, seine Begierden nicht als zentrales Streben in seinem Leben zu betrachten. Er erkennt, dass Glück nicht in der Befriedigung von materiellen Bedürfnissen liegt, sondern in der Nähe zu Gott. Durch den bewussten Verzicht während des Ramadans wird nicht nur das Essen und Trinken, sondern auch das unkontrollierte Reden und Handeln gezügelt und auf negative Verhaltensweisen verzichtet, wie zum Beispiel üble Nachrede oder Zorn. Dieser umfassende Verzicht zeigt, dass das Fasten nicht nur körperlich, sondern auch moralisch und spirituell wirkt. Es geht um die Zurückhaltung in allen Lebensbereichen, die den Menschen verunreinigen und ihn von Gott trennen, das heißt auch von seiner eigenen Wahrheit. Wir vergessen oft, wie sehr es uns selbst schadet, wenn wir uns nicht von dem befreien, was uns im Griff hat. Und dazu gehört häufig auch üble Nachrede, das Lästern oder das Nachdenken über andere, was uns innerlich zermürbt und unsere Seele belastet. Wir lernen im Fasten, uns unserer Bedürfnisse bewusst zu werden, um ihnen nicht blind zu folgen. Das ist weitaus schwieriger, als allein auf das Essen und Trinken zu verzichten. Verzicht ist nicht bloß Entsagung, sondern eine Neuausrichtung, eine Öffnung hin zum Wesentlichen. Dieser Weg führt letztlich zu Gott, dem Einzigen, an den wir uns in Wahrheit binden können.

Im Fasten liegt also eine Einladung zur Selbstdisziplin und zur Freiheit von der Macht der eigenen Wünsche. Diese Freiheit wird im Islam als Taqwā, Gottesehrfurcht, bezeichnet, die nicht als Angst verstanden werden sollte, sondern als Achtsamkeit und Respekt vor dem Schöpfer. Im Verzicht trainieren wir unser Herz, uns nicht in der Welt zu verlieren, sondern unsere Hingabe und unser Begehren auf das Göttliche zu richten, auf das, was uns erhebt.

Verzicht ist ein Akt der inneren und äußeren Reinheit. So wie das Fasten den Körper von toxischen Stoffen befreit, befreit es auch das Herz von Anhaftungen. Es ist ein Weg der Rückkehr zu Gott, der uns einlädt, die Anziehungskraft einer Welt zu durchbrechen, die uns abhängig macht. Wer sein Herz in dieser Zeit von weltlichen Dingen löst, erfährt eine tiefere Verbindung zu Gott und eine Befreiung von den alltäglichen Sorgen. Der Verzicht lehrt uns, dass alles Vergängliche nicht das ist, was unser Leben erfüllen kann.

Wichtig ist jedoch, dass dieser Verzicht nicht als Selbstzweck verstanden wird. Im Islam ist das Fasten ein Geschenk, durch das sich der Gläubige Gott näher fühlen kann, ein bewusster Akt der Gottesverehrung, aber es geht noch tiefer: Das Fasten als Form des Verzichts ist ein Gottesdienst, der die Gläubigen daran erinnert, dass sie selbst Diener sind – nicht nur ihrer eigenen Bedürfnisse, sondern vor allem Diener Gottes. Diese Hingabe im Verzicht reinigt das Herz von den weltlichen Anhaftungen und eröffnet einen neuen Raum für das Göttliche. Es öffnet den Menschen für eine tiefergehende Achtsamkeit, durch die das Herz sich ausrichtet auf das, was jenseits des Materiellen liegt. Es ist eine Zeit, in der das spirituelle Wachstum an oberster Stelle steht und der Mensch sich von inneren und äußeren Belastungen reinigen kann.

Im Islam bedeutet Fasten daher, sich zu befreien – von weltlichen Bindungen, von inneren Zwängen und von den Illusionen der Selbstgenügsamkeit. Der Verzicht lehrt, dass die wahre Fülle nicht im Haben, sondern im Sein liegt – im Sein vor Gott, im Sein mit Gott, im Sein als Teil der Schöpfung. Fasten als Verzicht ist somit eine Einladung, sich im Herzen zu erneuern, sich auf den Weg zu machen und zu erfahren, dass das, was wir aufgeben, nichts im Vergleich zu dem ist, was wir gewinnen: innere Freiheit.

Anselm Grün

Für viele Menschen hat das Wort »verzichten« keinen guten Klang. Sie verbinden es sogleich mit: Ich darf mir nichts gönnen. Doch selbst Sigmund Freud meinte einmal: Wer nicht verzichten kann, wird nie ein starkes Ich entwickeln können. Für ihn gehört es zur Reife des Menschen, dass er nicht jedem Bedürfnis sofort nachgibt. In gewisser Weise war das in früheren Zeiten sogar einfacher, weil es beispielsweise im Winter eben keinen frischen Salat oder frisches Obst gab. Heute kann man zu jeder Jahreszeit alles kaufen. Das führt dazu, dass man die Gaben der Natur gar nicht mehr zu schätzen weiß.

Das Verzichten ist daher heute auch ein Ausdruck von Freiheit. Ich werde nicht beherrscht von meinen Bedürfnissen, ich kann auch einmal Nein sagen zu dem, worauf ich gerade Lust habe. Ein Arzt sagte mir einmal: »In der Fastenzeit verzichte ich bewusst auf Alkohol, auch um mir zu beweisen, dass ich nicht davon abhängig bin.« So entspricht das Verzichten-Können der Würde des Menschen und seiner Freiheit.

In meiner Kindheit machten wir Kinder uns einen Sport daraus, alle Süßigkeiten, die wir von anderen in der Fastenzeit geschenkt bekamen, in ein Glas zu tun und das erst wieder an Ostern zu öffnen. Das hat uns nicht geschadet. Im Gegenteil, wir waren stolz, wenn es uns gelungen war, wirklich bis Ostern zu warten und nicht schon während der Fastenzeit einmal heimlich etwas daraus zu nehmen. Das entspricht vielleicht auch der Erkenntnis in der Medizin, dass zeitweiser Nahrungsentzug heilsam auf den Körper wirkt.

Verzichten ist aber nicht nur ein körperlicher Akt. Auch die Philosophie und Psychologie haben den Wert des Verzichts erkannt. Psychologisch betrachtet bedeutet Verzichten, über sich selbst bestimmen zu können, anstatt von anderen oder von den eigenen Bedürfnissen beherrscht zu werden. Schon die stoische Philosophie hat die Selbstbeherrschung, zu der das Verzichten gehört, immer sehr hoch geschätzt. Im Neuen Testament ist es Paulus, der diesen stoischen Wert der Selbstbeherrschung – der enkrateia – eine Frucht des Heiligen Geistes nennt. Dabei vergleicht er den Christen mit einem Sportler, der auf manches verzichtet, um den Siegespreis im Wettkampf zu erringen (1 Korinther 9,25). Wir sollen also das Verzichten nicht als Lebensverneinung verstehen, sondern sportlich betrachten, als Voraussetzung für einen guten Wettkampf.

3 REINIGUNG

Anselm Grün

Fasten reinigt den Körper, verjüngt ihn und befreit ihn von Schlacken – eine Erkenntnis, die nicht erst die moderne Medizin gewonnen hat. Für die frühen Mönche ging es beim Fasten jedoch nicht in erster Linie um die Reinigung des Körpers, sondern um die Reinigung der Seele. So heißt es in einem Väterspruch: »Ein Alter sagte: Wer sich den Bauch mit Speise und Trank füllt, vernachlässigt das Gebet und kann keinen Krieg gegen seine Gedanken führen. Der Hunger und das Wachen reinigen das Herz von schlechten Gedanken und den Körper von den Angriffen des Feindes, um daraus die Wohnung des Heiligen Geistes zu machen« (Regnault 322). Das Fasten, das nicht zugleich die Seele reinigt, ist für die Mönche wertlos. Eine reine Seele zeigt sich darin, dass sie nicht über andere Menschen urteilt. Das Reden über andere dagegen verunreinigt die Seele. So sagt Abbas Hyperechios: »Besser ist es, Fleisch zu essen und Wein zu trinken als in verleumderischen Reden das Fleisch der Brüder zu essen« (Apophthegmata 921).