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Tante Frieda, leidenschaftliche Köchin, erfolgreiche Hobbyermittlerin und zarte 80 Jahre alt, ist empört: Im idyllischen Frankfurter Viertel Hohe Tanne gehen neuerdings »leichte Mädchen« in der Nachbarschaft ein und aus. Eines Abends wird Frieda in jenes zweifelhafte Haus gerufen. Dort angekommen, entdeckt sie eine blutüberströmte Frau in Minirock und Lackstiefeln. Da steht plötzlich die Polizei im Raum. Frieda ist die Hauptverdächtige in dem Mordfall. Jetzt kann nur noch Lena helfen – ihre immer hungrige Nichte. Und vielleicht auch die beiden verliebten Hauptkommissare Bärbel König und Peter Bruchfeld, falls sie sich kurz etwas anderem als ihrer jungen Liebe zuwenden können.
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Das Buch
Eigentlich wollte Lenas 86-jährige Tante Frieda nur Unterschriften gegen ein Bordell in der Nachbarschaft sammeln, doch plötzlich ist sie die Hauptverdächtige in einem Mordfall: Man findet sie über ein totes Mädchen gebeugt – die Tatwaffe in der Hand. Alle Indizien sprechen gegen sie. Dann geschehen auch noch merkwürdige Einbrüche in Friedas Haus, während Lena deren Dackel hütet. Hängen die Vorfälle zusammen? Als Frieda schließlich unerwartet in Bayreuth abtaucht, muss Lena mit tatkräftiger Unterstützung ihres Schwarms Andreas hinterher, um ihre Tante zu suchen.
Unterdessen gibt es nicht ganz unkomplizierte Spannungen zwischen Kommissarin Bärbel König und Kommissar Peter Bruchfeld, die doch eigentlich den Fall lösen sollen. Wohl oder übel müssen die beiden sich aussprechen, um weiter zusammenarbeiten zu können. Kollegin Katrin ist zuversichtlich, dass es mit den beiden und der Liebe nun endlich klappt …
Die Autorin
Heidi Gebhardt, geboren 1962, war früher als Kundenberaterin in Werbeagenturen tätig und arbeitet heute als freie Autorin. Schon früh hat sie ihre große Liebe zum Kochen und zur Kriminalliteratur entdeckt, der sie sich nach der Geburt ihrer Kinder noch mehr widmen konnte. Ihr erster Krimi um Tante Frieda erschien im Selbstverlag und war ein großer Erfolg in Hanau und Frankfurt. Die Autorin lebt seit über zehn Jahren im Hanauer Stadtteil Hohe Tanne.
Von Heidi Gebhardt sind in unserem Hause erschienen:
Tante Frieda · Kein Mord ohne Tante Frieda · Frieda unter Verdacht
HEIDI GEBHARDT
FRIEDAUNTER VERDACHT
Ein Hohe-Tanne-Krimi
List Taschenbuch
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ISBN 978-3-8437-1306-1
Originalausgabe im List Taschenbuch
1. Auflage August 2016
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: © Alice Gebhardt
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
1
Irgendwas schrillte in meine Träume hinein. Ich versuchte, den Wecker zu ertasten. Als ich ihn endlich in die Finger bekam und auf die Schlummertaste drückte, ging das Schrillen weiter. Ich atmete tief aus. Öffnete die Augen und tapste barfuß zum Telefon. Das konnte nur meine Tante Frieda sein. Sie war die Einzige, die mich noch auf dem Festnetz anrief. Und zwar ungeduldig. Das konnte ich am Klingeln hören.
»Hm?«, brummte ich in den Hörer.
»Lena? Was ist los? Habe ich dich etwa geweckt? Wir haben gleich zehn Uhr!«
Kein Mensch verstand es so wie meine alte Tante Frieda, innerhalb von Sekundenbruchteilen die Tonlage von fragend-besorgt zu schrill-vorwurfsvoll zu wechseln. Sie war schon über 80, aber in jeder Hinsicht topfit. Und ich ließ mich immer noch sehr gerne von ihr umsorgen und bemuttern.
Ich gab ein ungefähr nach Nein klingendes Murmeln von mir.
»Dieser Wittibert hat doch tatsächlich schon wieder so ein Flitscherl hier angeschleppt! Am frühen Morgen! Und dann ist er zu mir rübergekommen – ich war gerade am Straßefegen. Lena, der hat mich eingeladen. Ich soll morgen Nachmittag zu ihm. Der möchte einen ›Housewarming-Kaffee‹ machen. Ich geh da nicht hin. Also … mit dir würde ich hingehen. Alleine auf gar keinen Fall! Dann könnten wir auch hören, mit was der sein Geld verdient.«
Udo Wittibert war Friedas neuer Nachbar aus dem Haus gegenüber. Sie war überzeugt davon, dass dieses Haus verflucht war.
Dieses alte Haus, einst erbaut von einem Ehepaar, dessen Ehe unschön auseinandergegangen war, stand lange Zeit leer. Nur ganz kurz lebten danach eine Anwältin und ein Jäger zusammen darin – denn kaum war das junge Paar fertig mit Renovieren, hatten sie sich getrennt und zogen wieder aus.
Seitdem fehlten, sehr zu meinem Bedauern, Wildschweinbraten und Rehkeule auf Friedas Speisezettel.
Und nun hatte ein Frankfurter Geschäftsmann das Haus gekauft und aufwendig umgebaut.
»Lena? Lena, bist du noch dran?«
Ich nickte stumm. Gut, das konnte Frieda nun nicht sehen.
»Hallo? Bist du wieder eingeschlafen?«
»Mhm, bin noch dran.«
»Lena, du bist ja noch am Schlafen! Na, dann trink mal deinen Kaffee. Ohne kannst du ja nicht. Ruf mich zurück, wenn du wach bist.« Frieda legte den Telefonhörer scheppernd auf.
So, so. Dieser Wittibert hatte Frieda also eingeladen. Ich wollte ja auch gerne wissen, wie der lebte. Dass er, laut Frieda, angeblich ständig Prostituierte mitbrachte, belustigte mich schon seit längerer Zeit. Nicht so Frieda. Sie rief mich oft deswegen an und beklagte sich bitterlich. Sitte und Anstand in der Hohen Tanne verfielen, weil dieser Wittibert dauernd diese Mädchen anschleppen würde. »Der hat bestimmt ein Bordell!«, beteuerte Frieda immer wieder.
In meinem Kopf war ein Bordell rot und plüschig. Das Haus dagegen war in einem schlichten und klaren Design modernisiert worden. Der Mann hatte sogar eine riesige Tiefgarage bauen lassen. Zwischen dem Schwimmbad, in dem ich schon als Kind geplanscht hatte, und der neuen Tiefgarage hatte er eine Glasscheibe einziehen lassen.
Als ich noch Schülerin war, hatten die damaligen Eigentümer manchmal alle Kinder aus der Straße zum Schwimmen eingeladen. Wie spartanisch das Schwimmbad damals eingerichtet war! Jetzt konnte man an einer Bar am Pool sitzen und sich die Oldtimer ansehen, die der Mann sammelte. Das hatte mir Frieda erzählt, als ich letzte Woche zum Essen bei ihr war. Ohne Frieda wäre ich schon längst verhungert!
Ich hatte mich vor ein paar Jahren als Graphikdesignerin selbständig gemacht. Das lief zuerst auch ganz gut, aber seitdem die großen Agenturen alle aus Frankfurt weggezogen waren, bekam ich keine Aufträge mehr. Wenn Frieda mir nicht ab und zu die Miete und eine Tankfüllung bezahlen würde – ich wüsste nicht, wie ich über die Runden kommen sollte. Frieda kochte und backte sensationell. Und sie kochte extra immer so viel, dass sie mir die Reste in Plastikdosen und Gläser einpacken konnte. Die halfen mir dann über die Woche.
Die kleine, verhutzelte Frieda mit den schlohweißen Haaren erledigte ihre Einkäufe normalerweise mit dem Fahrrad. Oft fuhren wir auch mit meinem kleinen, verbeulten Auto gemeinsam zum Großeinkauf. Jedes Mal legte Frieda teures Shampoo, Duschgel und so ein Zeug in den Einkaufswagen. Für sich, wie sie sagte. Zu Hause packte sie die Sachen dann für mich ein und behauptete, sie hätte sich vertan.
Frieda hatte sich nach dem viel zu frühen Tod unseres Vaters schon immer mehr um mich und meinen Bruder gekümmert als unsere eigene Mutter. Genau genommen hatte Frieda uns großgezogen. Meine Mutter tingelte im Moment durch Indien und ließ so gut wie nie etwas von sich hören. Mein Bruder Sven war genauso unstet wie sie und reiste durch die Welt. Meistens überführte er große Segelschiffe für reiche Leute. Die hatten so viel Geld, dass sie selbst komfortabel in die Karibik flogen und sich ihr Boot vom Mittelmeer oder sonst woher bringen ließen.
Ich stopfte meine dreckige Wäsche in eine Plastiktüte. Später würde ich die Tasche zu Frieda mitnehmen, um bei ihr zu waschen.
Noch nicht mal meine kaputte Waschmaschine konnte ich reparieren lassen, geschweige denn eine neue kaufen. Selbst für den Waschsalon fehlte mir das nötige Kleingeld, auch wenn ich ein-, zweimal wöchentlich in der Brückenstraße in Frankfurt-Sachsenhausen, wo ich in einer wunderschönen Altbauwohnung lebte, in einem kleinen Laden Frankfurter Devotionalien verkaufte. Das Geld, das ich damit verdiente, reichte nicht mal für das Nötigste. An den Wochenenden konnte ich manchmal in der Apfelweinkneipe an der Ecke bedienen. Das Trinkgeld sicherte mir zumindest den Wochenbedarf an Kaffee.
Ich nahm aus meinem Kleiderschrank den Blazer, den ich mir gekauft hatte, als ich das letzte Mal mit der Gestaltung einer Broschüre Geld verdient hatte. Friedas neuer Nachbar war schließlich Geschäftsmann. Das mit dem Bordell glaubte ich nicht, aber vielleicht konnte er für seine Firma ein Prospekt gebrauchen. Da wäre es sicher hilfreich, wenn ich gut angezogen war. Außerdem war ich mächtig gespannt darauf, mir endlich seine Autos anzusehen!
2
Nachdem Frieda das Telefonat mit ihrer Nichte Lena beendet hatte, machte sie sich fertig zum Gassigehen. Vor ein paar Wochen hatte sie bei einem Spaziergang einen sehr netten Herrn kennengelernt. Er lebte seit kurzem in dem kleinen Stadtteil Hohe Tanne und kam aus Bayreuth, Friedas Heimatstadt. Seitdem führte Frieda fast täglich in Begleitung dieses Herrn ihre Dackelhündin Amsel aus.
Frieda setzte ihren Hut auf, nahm Amsel an die Leine und machte sich auf den Weg, um ihren neuen Bekannten zu treffen. Hans Gruber stand schon auf der Straße vor dem Mehrfamilienhaus, in dem er wohnte.
Es war lange Zeit das einzige Mehrfamilienhaus in der beschaulichen Hohen Tanne gewesen und wurde mit seinen gerade mal vier Stockwerken deshalb immer noch »das Hochhaus« genannt. Dann begann eine Zeit, in der Investoren kamen und über den Stadtteil herfielen. Sie kauften die schönen Villen auf und machten ein paar Häuser mit den wundervollen großen Gärten und dem alten Baumbestand platt.
Drei, vier große Appartementhäuser wurden gebaut. Es hatte lange gedauert, bis die Bewohner dagegen aufbegehrten. Erst nachdem sich ein Mann an eine alte Eiche gekettet und so auf die Bauvorhaben aufmerksam gemacht hatte, wurde ein Bauplan für den Stadtteil erstellt. Es war in der Hohen Tanne trotzdem ruhig geblieben. Man traf die Bewohner höchstens mal an, wenn die Straßen gekehrt oder die Mülltonnen auf die Gehsteige geschoben wurden.
Bauaktivitäten gab es jedoch weiterhin. Wenn Frieda mit ihrer Dackeldame spazieren ging, staunte sie immer wieder, wie schnell die Häuser abgerissen wurden und neue entstanden. Manche Leute machten auch aus alten Häuschen ruck, zuck geschmackvolle, moderne, lichte Häuser. So wie ihr neuer Nachbar Udo Wittibert. Nur was er sonst so trieb, passte der alten Dame überhaupt nicht.
Hans Gruber, der vor dem Haus gewartet hatte, winkte erfreut und kam ihr entgegen. Er nahm Friedas Arm und legte ihn sanft um seinen.
Wie sie so untergehakt die Straße entlanggingen, wirkten die beiden sehr vertraut. Fast wie ein altes Ehepaar, obwohl Hans Gruber sicher 15 bis 20 Jahre jünger war als Frieda.
Mit ihm konnte Frieda herrlich in vergangenen Zeiten schwelgen. Ihre Erinnerungen waren verklärt. Die schlimmen Kriegsjahre, die sie als Kind erlebt hatte, blendete sie, wie so viele ihrer Generation, einfach aus. Bayreuth war in ihrem Gedächtnis so bunt und heiter, wie sie es bei ihren letzten Verwandtschaftsbesuchen erlebt hatte.
Im Kurpark Wilhelmsbad kündigte sich schon der Herbst an. Die Blätter färbten sich langsam in goldenen Rottönen. Die tiefstehende Sonne hatte es geschafft, den diesigen Schleier vom Tagesanfang zu durchdringen, und tauchte alles in ein warmes Licht.
»Wissen Sie, was mich doch sehr wundert, liebste Frau Engel?«, sagte Hans Gruber, als sie an dem restaurierten historischen Karussell vorbeispazierten. »Warum zählt das wundervolle Gesamtkunstwerk Wilhelmsbad nicht schon längst zum Weltkulturerbe? Alleine die Konstruktion des Karussells – bedenken Sie nur, es wurde 1780 gebaut! Dem Architekten, Franz Ludwig von Cancrin, müsste doch eine besondere Ehre zuteilwerden.«
Frieda nickte. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Das markgräfliche Opernhaus in Bayreuth gehört schließlich auch zum UNESCO-Weltkulturerbe! Es wäre doch schön, wenn auch Wilhelmsbad dazugehörte.«
Plötzlich fing Hans Gruber an, den berühmten Dichter Bayreuths, Jean Paul, zu rezitieren. »Du liebes Bayreuth, auf einem so schön gearbeiteten, so grün angestrichenen Präsentierteller von Gegend einem dargeboten …«
»… man sollte sich einbohren in dich, um nimmer heraus zu können«, vollendete Frieda gut gelaunt.
Sie sahen sich an und lachten beide. Ach, es war zu schön, sich mit jemandem so gut zu verstehen und über die Heimat reden zu können, dachte Frieda und seufzte. Mit jemandem, der in Bayreuth aufgewachsen war und es wie seine Westentasche kannte.
Frieda Engel und Hans Gruber kehrten nach dem Spaziergang im historischen Wilhelmsbader Bahnhof ein, der jetzt ein Gasthaus namens Fürstenbahnhof beherbergte. Die beiden setzten sich in der Herbstsonne draußen an einen Tisch und orderten zwei Kaffee. Der aufmerksame Kellner brachte ihnen Fleecedecken und steckte Frieda zusätzlich ein Kissen in den Rücken. Dann holte er für Amsel eine Schüssel mit frischem Wasser. Frieda fühlte sich wohl und sagte zu ihrer neuen Bekanntschaft:
»Nicht wahr, hier bei uns ist es auch sehr schön! Morgen werde ich Ihnen das Barockschloss Philippsruhe am Main zeigen und dann das Goldschmiedehaus in der Altstadt!« Frieda kam ins Schwärmen und Plaudern, da fiel ihr plötzlich der neue Nachbar von gegenüber ein. Sofort verdüsterte sich ihre Stimmung. Sie gestand ihrem Bekannten, wie unangenehm es für sie sei, dass der neue Nachbar augenscheinlich Besuch von käuflichen Damen bekomme, quasi direkt vor ihrer Haustür.
Hans Gruber tätschelte verständnisvoll ihre Hand. »Frau Engel, Ihre Aufregung ist nur allzu verständlich! Es ist eine Schande, dass manche überhaupt kein Schamgefühl mehr haben. Und das am helllichten Tag!«
Frieda nickte. Sie fühlte sich verstanden. Sie war froh, endlich einen Vertrauten gefunden zu haben, der sie in dieser Angelegenheit ernst nahm. Nicht wie ihre Nichte Lena, die sich über sie lustig machte und sie die ganze Zeit aufzog.
3
Hauptkommissarin Bärbel König saß an ihrem Schreibtisch in der Hanauer Dienststelle und blickte nachdenklich auf den leeren Platz ihr gegenüber. Ihr Kollege Peter Bruchfeld war gerade zum nahe gelegenen Metzger gegangen, um sich ein belegtes Brötchen zu holen. Bärbel wickelte eine Strähne ihrer wilden Locken um den Finger und dachte nach. Sie fühlte sich in ihrem Team eigentlich sehr wohl. Nachdem Steffen vor rund drei Jahren hinzugekommen war, war sie mit ihren mittlerweile dreiundreißig nun nicht mehr die Jüngste. Solange es keinen aktuellen Fall zu lösen gab, teilte sich das vierköpfige Team in eine Tag- und eine Nachtschicht auf. Bärbel hatte bisher die Schichten immer zusammen mit Peter übernommen, der ein paar Jahre älter war als sie. Doch diese Konstellation wollte sie jetzt ändern.
Peter Bruchfeld hatte sich im Sommer einen Traum erfüllt und eine Harley-Tour durch Kalifornien unternommen. Drei Wochen war er im Urlaub gewesen. Eine lange Zeit, in der Bärbel viel über Peter nachgedacht hatte. Er war im Laufe der Zusammenarbeit ihr bester Freund geworden. Seit er einmal in eine sehr brenzlige Situation geraten war, wusste sie, dass sie ihn liebte und sich diese Liebe lange nicht hatte eingestehen wollen. Auf der Treppe im Präsidium hatten sie sich leidenschaftlich geküsst. Beim Gedanken daran berührte Bärbel ihre Lippen. Als Peter, einen ganzen Kopf größer als sie, sie an seine muskulöse Brust gedrückt hatte, vergaß sie die Welt um sich herum. Und danach? Da machte er einen Rückzieher und fuhr in den Urlaub. Alleine. Um nachzudenken.
Während seines Urlaubs hatte er Bärbel nur ein einziges Mal angerufen. Er hatte gegen den tosenden Wind angeschrien, und seine Worte brannten sich in ihr Gedächtnis ein. »Total geil hier. Schade, dass du nicht da bist! Denke viel an dich. Wir reden, wenn ich wieder zu Hause bin!«
Diese knappen Worte hatten in Bärbel eine ganze Reihe von Überlegungen ausgelöst. Sie liebte Peter, aber sollte sie sich wirklich aufgrund dieser paar Worte Hoffnungen machen? Die Hoffnung, dass Peter sich eingestanden hatte, dass er Gefühle für sie hatte? Und dass ihm endlich klargeworden war, dass zwischen ihnen mehr war als nur eine freundschaftliche Beziehung? Und sehr viel mehr als gute Zusammenarbeit? Sie hatte sich lange gefragt, ob sie Peter nach seinem Urlaub vom Flughafen abholen sollte. Verabredet hatten sie nämlich nichts. Sie war dann doch hingefahren. Mit vielen anderen Menschen hatte sie am frühen Morgen in der Ankunftshalle vor den großen blickdichten Schiebetüren gestanden und gewartet, in der Hand eine Flasche kalten Sekt und zwei Gläser für die Begrüßung.
Die Schiebetür war endlich aufgegangen und hatte den Blick auf Peter freigegeben: braun gebrannt und unrasiert. Er trug eine verwaschene Jeans und seine geliebten Cowboystiefel. Lässig hatte er eine abgewetzte Ledertasche über seine Schulter geworfen. Er sah nach Freiheit und Abenteuer aus.
Er schaute Bärbel direkt an, sein Gesicht strahlte, und um seine Augen wurden viele kleine Fältchen sichtbar. Bärbel lachte, sie freute sich über das Leuchten in seinen müden Augen.
Doch plötzlich waren Peters Gesichtszüge eingefroren, gebannt hatte er auf einen Punkt hinter Bärbel gestarrt.
Bärbel war nur kurz verwirrt gewesen. Instinktiv griff sie zu ihrer Waffe – aber sie hatte ihr Holster gar nicht um. Wie in Zeitlupe drehte sie sich um und suchte, welchen Punkt Peter fixierte. Ihr Puls schlug minimal höher, routiniert scannte sie die Umgebung auf eine drohende Gefahr. Sie musterte die wartende Menschenmenge.
Aus dieser Menschenmenge löste sich plötzlich eine langbeinige Frau und war mit drei Sätzen und einem lauten Juchzen bei Peter. Sie sprang an Peter hoch und hängte sich an seinen Hals. Mit ihren langen Beinen umschloss sie seine Hüften.
Peter hatte seine Tasche fallen lassen, die Frau reflexartig festgehalten und dabei erschrocken zu Bärbel geblickt.
Bärbel hatte gewusst, wer diese Frau war.
4
Hans Gruber, ganz Gentleman, begleitete Frieda nach jedem Spaziergang mit Amsel bis vor ihre Haustür.
»Liebste Frau Engel, ich mache mir so meine Gedanken über Ihre Situation«, meinte er auf dem Nachhauseweg sorgenvoll. »Wir sollten etwas gegen Ihren neuen Nachbarn unternehmen. Wie wäre es, wenn wir Unterschriften sammelten? Es leben doch so viele Kinder in diesem Viertel – die müssen geschützt werden! Warum sollten die unschuldigen Kleinen mit den auffälligen – ähm – Damen von Ihrem Nachbarn konfrontiert werden? Was sagen Sie dazu?«
Frieda nickte. Ja, da hatte er völlig recht.
Er fuhr fort: »Ich werde gleich heute Nachmittag zum Ordnungsamt gehen und mich über Ihren Nachbarn beschweren. Und das sollten Sie auch tun, liebste Frieda. Am besten aber erst morgen oder übermorgen. Wenn mehrere Menschen an verschiedenen Tagen dort vorsprechen, sehen die Behörden, wie ernst die Lage ist. Dann unternehmen sie hoffentlich was!«
Seine Tatkraft und sein Engagement beeindruckten Frieda. Endlich ein Mann, der wusste, was zu tun war!
»Eine ausgezeichnete Idee!«, freute sie sich. Sie überlegte, was sie außerdem tun konnte. »Wissen Sie, Hans …« Die Nennung seines Vornamens bedachte Herr Gruber mit einem fast zärtlichen Lächeln und einem sanften Händedruck. Frieda überlegte kurz, ob es angemessen wäre, ihrem Begleiter das Du anzubieten, verwarf es aber augenblicklich wieder.
Sie fuhr fort: »Ich kenne sogar zwei richtige Kommissare! Die will ich gleich anrufen. Und stellen Sie sich vor: Morgen bin ich bei diesem Wittibert zum Kaffee eingeladen. Bei der Gelegenheit werde ich mich ein bisschen in seinem Haus umsehen.«
»Passen Sie gut auf sich auf, liebste Frieda!«, rief Hans Gruber besorgt aus.
Frieda lächelte geschmeichelt. »Meine Nichte Lena wird mich begleiten. So, und nun fange ich gleich an, Unterschriften zu sammeln!«
Friedas Eifer war geweckt. Sie war in ihrem Leben schon mit so vielen Dingen fertiggeworden – wäre doch gelacht, wenn sie nicht hätte verhindern können, dass in ihrer Nachbarschaft solche Mädchen ein und aus gingen!
5
Mit grimmigem Blick betrat Peter Bruchfeld das Büro und polterte los: »Das darf doch nicht wahr sein! Der Metzger hat keine Brötchen mehr.«
Bärbel verzog keine Miene.
Peter starrte sie an. Es machte ihn wahnsinnig, dass sie, seit er aus dem Urlaub zurück war, nur das Nötigste mit ihm redete. Peter hatte auf dem Rückflug nicht zu hoffen gewagt, dass Bärbel ihn abholen käme. Doch sie hatte in der Ankunftshalle gestanden. In dem Moment, als er sie sah, hatte Peter gewusst, alles würde gut werden, und es gab eine Chance für Bärbel und ihn. Und dann war ihm Melanie um den Hals gefallen.
Er hatte Bärbels Blick aufgefangen, hatte in ihren Augen gesehen, dass sich Träume und Wünsche innerhalb weniger Sekunden in nichts auflösen können.
Nun versuchte er, Bärbel klarzumachen, wie ahnungslos er gewesen war. Er hätte doch nie im Leben damit gerechnet, dass ihn ausgerechnet seine Exfrau abholen würde!
Seine Frau Melanie hatte ihn vor Ewigkeiten nach einer kurzen Ehe verlassen. Den Kontakt hatte sie vollständig abgebrochen und die Scheidung eingereicht. Lange hatte Peter darunter gelitten. Er war in dieser Zeit unausstehlich, sein ganzes Umfeld und seine Arbeitskollegen mussten seine Launen und seine cholerischen Ausbrüche ertragen. Bärbel hatte damals deutliche Worte für ihn gefunden, hatte aber immer zu ihm gehalten und ihn vor den Kollegen und dem Chef in Schutz genommen.
Zu Bärbel war eine enge Freundschaft gewachsen. Dass da mehr Gefühle im Spiel waren, hatten sich beide lange nicht eingestanden. Aus einem Impuls heraus hatte er Bärbel ein Mal geküsst, dann aber glaubte er, dass es ein Fehler gewesen war. Mit Kolleginnen fing man nichts an – das führte nur zu Komplikationen, so dachte er damals. Bärbel hatte ihm, als er sie nach dem Kuss abgewiesen hatte, natürlich ebenfalls die kalte Schulter gezeigt.
Erst in Kalifornien war ihm klargeworden, wie sehr er Bärbel liebte. Er hatte sie so sehr vermisst! Er begriff, dass es eine besondere Liebe war, eine, wie er sie noch nie erlebt hatte. Eine, die aus Freundschaft und Vertrauen gewachsen war und nichts mit dem leidenschaftlichen Verknalltsein gemeinsam hatte, wie er es mit seiner Exfrau erlebt hatte.
Und dann war ausgerechnet seine Ex am Flughafen aufgetaucht. Sie hatte wohl von einem gemeinsamen Freund erfahren, dass er aus dem Urlaub zurückkommen würde und sich überlegt, dass das der richtige Moment wäre, mit ihm wieder in Kontakt zu treten. Peter war so baff und überrascht gewesen, als Melanie ihm um den Hals fiel, dass er gar nicht hatte reagieren können.
Seitdem ärgerte er sich. Er hätte Melanie sofort von sich wegschieben und Bärbel in den Arm nehmen sollen. Er hätte Bärbel erklären müssen, dass er nichts mit Melanies Auftauchen zu tun hatte. Er hätte, hätte, hätte … Peter trat unbeherrscht gegen das Tischbein.
6
Als ich bei Frieda ankam, blieb uns noch ausreichend Zeit, eine Waschmaschine zu füllen und den Einkaufszettel zu schreiben. Nach dem Kaffee bei Udo Wittibert wollten wir nämlich noch zusammen einkaufen gehen, und abends würde Frieda für mich noch ein Essen zaubern. Darauf freute ich mich schon den ganzen Tag. Frieda hatte schon die Angebotsblättchen der Woche auf dem blankgescheuerten Holztisch in der Küche bereitgelegt. Ich las ihr laut vor, was es diese Woche im Supermarkt gab.
»Vegane Wurst, vegane Frikadellen und veganer Braten.«
Frieda sah mich mit großen Augen an. »Kann es sein, dass diese Veganer unbedingt Fleisch essen wollen?«
Frieda hatte bei Lebensmitteln schon immer großen Wert auf Qualität gelegt. Meinem Bruder Sven und mir hatte sie von klein auf beigebracht, wie wichtig das war. Sie hatte uns als Kinder zu Bauernhöfen geschleppt und uns gezeigt, wie Tiere groß werden sollten. Von Massentierhaltung und Legebatterien hielt sie nichts. Es gab einmal in der Woche Fleisch bei Frieda, meistens sonntags. Dann briet sie einen leckeren Festtagsbraten. Und so würde es auch bleiben. Zum Glück für mich. Ich war nämlich eine ausgewiesene Fleischfresserin.
Bevor wir uns auf den Weg zum Haus gegenüber machten, zeigte mir Frieda voller Stolz ein paar Bogen Briefpapier, auf denen sie ordentlich mit dem Lineal Linien gezogen hatte. »Name«, »Anschrift«, »Unterschrift« stand da über den Spalten und als Überschrift: »Kein Bordell in der Hohen Tanne!«
»Was hast du denn vor?«, fragte ich erstaunt.
»Unterschriften sammeln«, antwortete Frieda, fast ein bisschen trotzig.
Ich atmete tief durch. »Und die Unterschriftenliste willst du deinem neuen Nachbarn jetzt als Willkommensgeschenk übergeben?«
»Ach was. Erst wenn alle Hohe Tänner unterschrieben haben!« Frieda legte die Listen bestens gelaunt auf den glänzend polierten Tisch in ihrer guten Stube.
Mit einem breiten Grinsen sagte ich: »Jetzt gehen wir erst mal rüber in dieses Etablissement und schauen, was wir da wirklich vorfinden!« Das Wort »Etablissement« betonte ich spöttisch.
Frieda nickte seufzend. Sie packte einen kleinen Blumentopf mit weißem Lavendel in Seidenpapier. Dann gingen wir los.
Udo Wittibert begrüßte uns überschwänglich und führte uns als Erstes durchs Haus. Überall glänzte Marmorboden, auf dem viele echte Perserteppiche lagen. Manche schimmerten so zart, dass auch ein ungeübtes Auge sofort die Seide erkannte, aus der sie gemacht waren. Und auch sonst erinnerte nichts mehr an die ehemaligen Besitzer. Einige Wände waren rausgenommen worden, wodurch das Haus viel größer und weitläufiger wirkte. Die ehemals schmale Tür in der Außenwand zur Terrasse hin war einer großen Fensterfront gewichen, die man komplett öffnen konnte. Bilder in verschnörkelten goldenen Rahmen, Kommoden auf geschwungenen Beinen, glänzende Möbel. Alles sah sehr klassisch und ungeheuer teuer aus.
Dann führte er uns in die Tiefgarage, und es verschlug mir die Sprache. Ich stand eine ganze Weile staunend da und bemerkte den geschmeichelten Blick von Wittibert, als er wahrnahm, wie beeindruckt ich war. Ich konnte nicht glauben, was dieser Mann für Autos in seiner Garage hatte!
»Ein Jaguar E-Type, wie Jerry Cotton! Und da, oh mein Gott! Ein Aston Martin DB 5, wie James Bond! Wow! Ich krieg mich nicht mehr ein. Ein 300 SL. Ein Gullwing, ein echter Gullwing!« Ich konnte nicht anders, ich sprang in der Garage umher wie in einem Spielzeugladen.
»Setzen Sie sich rein!«, forderte mich Wittibert großzügig auf. »Die Wagen sind alle offen.«
Irgendwie war mir dieser Wittibert plötzlich sehr sympathisch. Ein Mann, der solche Autos besaß und sie so hegte und pflegte, konnte nicht wirklich schlecht sein. Mein Blick fiel auf Frieda. Sie stand unbeweglich in der Tür und sah mich fassungslos an. Sie hatte keinerlei Verständnis für meine Begeisterung.
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