Friede den Kurven, Krieg den Verbänden - Raphael Molter - E-Book

Friede den Kurven, Krieg den Verbänden E-Book

Raphael Molter

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Beschreibung

Fußballfans haben in den letzten Jahren viel gegen die Kommerzialisierung ihres Sports protestiert, gebracht hat es wenig. Egal, ob es gegen Investoren à la Dietmar Hopp, ein Vereinskonstrukt aus Leipzig oder eine Weltmeisterschaft in Katar geht. Es fehlt nicht an Aktivismus, sondern am Verständnis für die Funktionsweise des Kommerzfußballs. Wer nur die nächste Unappetitlichkeit aufs Korn nimmt, der rettet nicht den Fußball, der bekämpft nur Symptome. Raphael Molter erweitert den Blick über den Tellerrand hinaus: Verbände und ihre Funktionäre müssen in den Mittelpunkt gerückt werden – nicht nur im Protest, auch in der Analyse. So entsteht ein Bild, wie der Fußball und das Geschäft mit ihm heute funktionieren, warum so vieles schiefläuft und was gebraucht wird, um das zu ändern. Ein Seitenblick auf theoretische Ansätze von Johannes Agnoli und Chantal Mouffe kann weiterhelfen. Er liefert hilfreiche Fingerzeige, wie der Fußball denen zurückzugeben wäre, die Wochenende für Wochenende auf die Spiele warten und in die Stadien pilgern.

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Kleine Bibliothek 314

Raphael Molter

Friede den Kurven, Krieg den Verbänden

Fußball, Fans und Funktionäre–Eine Herrschaftskritik

PapyRossa Verlag

Für Papa Janietz und für Zoë.

Die Titelformulierung variiert Georg Büchners Parole »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!«. Sie findet sich in seiner Flugschrift »Der Hessische Landbote« (1834).

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-89438-782-2 (Print)

ISBN 978-3-89438-907-9 (Epub)

© 2022 by PapyRossa Verlags GmbH & Co. KG, Köln

Luxemburger Str. 202, 50937 Köln

E-Mail: [email protected]

Internet: www.papyrossa.de

Umschlag: Verlag, unter Verwendung einer Abbildung © by terovesalainen | Adobe Stock 296714171

Alle Rechte vorbehalten – ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk weder komplett noch teilweise vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

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Inhalt

Prolog

Wie die Fans den Kampf um den Fussball verlieren

1.

Wem gehört der Fussball?

Das Spiel, das keines sein darf

Fußball ist politisch

Geldverdienen leicht gemacht

Das Symptom Kommerzialisierung

Die Propaganda im runden Leder

Der Fan wird abgehängt

Gefangen in der Doppelrolle

Karl M. – ein Ultra

»Da müssen die Fans sich mit abfinden!«

Der Fels in der Brandung

Die Mobilisierung ist fehlgeschlagen

Die immer neue Abgrenzung

Eine Kultur der Ablehnung

Alle Monster müssen sterben

2.

Die Transformation des Fussballs

Wer organisiert den Fußball?

Die Grenzen des Denkbaren erschüttern

Reformen retten nicht

Die Entwicklung der Verbände

Die Agenten der Kommerzialisierung

Wo der Fußball kittet

Rainer Koch und die Basis der Verbände

Die Domestizierung der Fans

Verbände müssen ängstlich sein

»Lasst euch doch befrieden!«

Das organisierte »Nein«

3.

Anders wollen heisst anders machen

Der Populismus der Kurven

Gewinnt die Mehrheiten …

… und bleibt radikal!

Sich fügen heißt lügen – Ansätze für einen anderen Fußball

Die Misere offenlegen

Radikal im Seitenaus

Die Türöffner-Funktion

Ziele fokussieren

Resümee

Quo vadis, Fans?

Theorie über Aktivismus

Die Mehrheiten sind da!

Anmerkungen

Danksagung

Prolog

Wie die Fans den Kampf um den Fußball verlieren

Ich habe Fußball sofort geliebt. Damit stehe ich nicht alleine da, aber es ist wichtig zu betonen. Schon beim ersten Gang ins Stadion war es um mich geschehen: viele Tausend Menschen, die sich Schals um die Hälse gelegt hatten und mit ihren Mitmenschen über dies und das erzählten. Die Hymne, bei der nicht nur die Schals in die Luft gehalten wurden, sondern alles einfach mitgesungen wurde. Das hat mich als kleines Kind verzaubert und dafür gesorgt, dass ich nie wieder davon wegkommen konnte. Das Stadion an der Alten Försterei, Nina Hagens Hymne und viele sehr laute und sympathische Menschen haben dazu geführt, dass Union Berlin mein Herzensverein wurde und bis heute ist. Die Liebe zu Union und die Begeisterung für den Fußball: Sie blieb. Aber aus der kindlichen Faszination erwuchs über die Jahre eine gewisse Skepsis – und diese Skepsis ist der Ausgangspunkt für das vorliegende Buch. Vielleicht hat mich der Fußball damals in seinen Bann gezogen, weil ich klein war und nicht verstanden habe, was um den rollenden Kick herum passiert. Ich war vermutlich einfach begeistert von dem einfach zu verstehenden Spiel, den lauten und mitreißenden Fans. Die Wahrnehmung hat sich verändert und mit ihr der Blick auf meinen Lieblingssport.

Schon 2004 waren Ultras Teil der Stadien und ich erinnere mich lebhaft an die kindliche Begeisterung, wenn der Blick gen Waldseite im Stadion an der Alten Försterei ging und die Fahnen, Doppelhalter und Trommeln mich in ihren Bann zogen. Der Bereich für die Einheizer mit den Trommeln links und rechts. Das umherwehende Konfetti bei Anpfiff eines Spiels. Solch kleine Rituale haben mich schnell begeistert und dafür gesorgt, dass ich nie nur Fußball geschaut habe. Das weite Rund hatte mich stets fasziniert, denn die Menschen sind die eigentliche Erklärung für den Erfolg des Fußballs. Der Fußball würde ohne die Gemeinschaften, die er erschuf, nicht existieren. Millionen Menschen finden jedes Wochenende irgendwo zusammen, kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen und treffen sich in ihren Stadien. Auch das hat mich immer in den Bann gezogen. Vor ein paar Jahren besorgte mein Vater uns beiden Tickets für das DFB-Pokalfinale. Die Bayern waren zwar eine der beiden Mannschaften, und dennoch wollten wir uns das nicht entgehen lassen. Ihr Gegner war die Eintracht aus Frankfurt und ich hatte am Anfang dieses Tages noch keinen blassen Schimmer, wie emotional mitreißend dieses Finale für mich werden sollte. Rund um das Olympiastadion war eine Stimmung, die eher Volksfestcharakter hatte und in mir erstmal die Erwartung auslöste, dass es so viel spannender nicht werden sollte. Doch diese Vermutung verflog einige Momente später, als wir an unseren Plätzen waren und feststellten, dass wir zwar irgendwo auf der Haupttribüne standen, aber eben zwischen Frankfurt-Fans. Gar nicht so schlimm, denn die Frankfurter haben den Lärm ihres Lebens gemacht und dieses Spiel in eine meiner stärksten und wichtigsten Erinnerungen an den Fußball verwandelt.

Eine Sache ist mir ein paar Tage später klar geworden: Weder das koordinierte Anfeuern noch die stilisierte Selbstdarstellung waren für mich damals wie heute Anziehungspunkt. Vielmehr ist es die brennende Leidenschaft, die in Windeseile dafür sorgt, dass das ganze Stadion in die Gesänge miteinstimmt. Das Zusammenkommen in dem Block, den man alle zwei Wochen für ein paar Stunden als wirkliche Heimat empfindet. Und das Gefühl eines kollektiven Willens. Als wenn sich in den etwas mehr als 90 Minuten Menschen verbinden und für diese Zeit nur eine Sache im Kopf haben: ihren Verein. Und da ist es egal, ob es wie bei mir Union ist oder eben die Eintracht aus Frankfurt.

Dass ich mit Union im Herzen im Fußball aufgewachsen bin, hat für zwei entscheidende Prägungen gesorgt. Erstens: Ich konnte immer noch einem zweiten Verein die Treue schenken, der in der Ersten Bundesliga war und sich somit deutlich unkomplizierter verfolgen ließ. Und zweitens: In Köpenick ist man als Unioner nie allein, aber außerhalb des kleinen Biotops kannte man diesen kleinen Schlosserverein nicht oder stempelte ihn als Außenseiter ab. Heutzutage alles nicht mehr ganz so leicht nachzuvollziehen, aber Mitte der 2000er Jahre wurde ich in meiner Grundschulklasse einer Schule am Rand Berlins noch dafür belächelt, Unioner zu sein. Die Freunde hatten Bettwäsche von Schalke 04 oder hielten dem FC Bayern die Treue. Doch nach und nach schaffte ich es, dass sie mich und meinen Vater alle mal auf die Gegengerade begleiteten und die Stimmung aufschnappten, die Union für viele so einzigartig macht. Viele blieben.

Warum erzähle ich das alles überhaupt? Weil ich kurz vor Beginn der Corona-Pandemie eine Entscheidung für mich traf, bei der all die bereits geschilderten Gedanken, Erinnerungen und Eindrücke berücksichtigt werden mussten. Anfang 2020 nahm ich eine Stelle als Lehrassistenz an einer Deutschen Schule in Kuala Lumpur, das bedeutete auch, meinen Verein für mindestens sechs Monate nur aus der Ferne und nur in den Morgenstunden über schlechte Streams verfolgen zu können. Aus diesem familienähnlichen Gerüst auszubrechen, und sei es nur für ein paar Monate, fiel mir schwer. Das kann kitschig klingen und gleichzeitig schwer nachvollziehbar sein, aber für mich ist mein Verein ein Stück meiner selbst. Und in der ersten Bundesligasaison meines Vereins für eine Stelle als Lehrassistenz nach Malaysia zu ziehen, fiel mir wirklich schwer.

Wenige Wochen später ließ ich mich von einem Kollegen, einem Musiklehrer aus Regensburg, abholen und fuhr mit ihm zu einem anderen Kollegen aus der Schule, um Fußball zu gucken. Aus der gemütlichen Nachmittagszeit am Wochenende ist auf der anderen Seite der Welt leider tatsächlich 2 Uhr nachts geworden, aber das war für keinen so wirklich relevant. Wir alle haben unsere eigenen Geschichten, wie wir zum Fußball gekommen sind, und trotz unterschiedlicher Vereine und unterschiedlicher Sozialisation im Fußball saßen wir mitten in der Nacht zusammen und guckten auf einem vermutlich illegalen Livestream die Bundesligakonferenz.

Corona hatte zu dem Zeitpunkt bereits eine Rolle gespielt, aber selbst in Malaysia nahm man die Bedrohung wenige Wochen vor Ausrufen der Pandemielage noch nicht allzu ernst. Stattdessen debattierte die Runde schon vor Beginn der Konferenz über ein unsägliches Spiel in Sinsheim. Die Proteste gegen den Mäzen Dietmar Hopp hatten dort ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden und das Spiel selbst wurde wegen beleidigender Plakate unterbrochen und nur halbherzig zu Ende geführt. Die Debatte um etwaige Beleidigungen eines Milliardärs auf der einen Seite und die bereits aufgehende Sonne auf der anderen Seite nahmen bereits im Laufe der ersten Halbzeit ihren Einfluss auf die allgemeine Stimmung und diese sollte sich zusehends verschlechtern. Als nach einer ersten Unterbrechung des Spiels ein gemalter Dietmar Hopp im Fadenkreuz auf der Waldseite im Stadion an der Alten Försterei auftauchte, war es um die Geduld der Kollegen geschehen. In einer Sprache, die man sonst nur von Fußballkommentatoren kennt, regten sich die zwei über vermeintliche Chaoten und Idioten in der Kurve auf. Sie würden das Spiel zerstören und den Fußball für ihre Zwecke missbrauchen. Das war der Tenor dessen, was ich mir da anhören musste. Denn die Kollegen wussten, dass ich ein Eiserner bin und dazu auch noch Sympathien mit »diesen Idioten« habe. Deshalb wurde ich in Windeseile zu einer Projektionsfläche, auf der alles abgeladen wurde, was den geneigten Fernsehfußballfan so gerade stört. Auch wenn das Spiel weitergeführt wurde, konnte ich dieser Rolle in den kommenden Tagen nicht entfliehen.

Obwohl die Schule in Kuala Lumpur ist, muss man sich eine deutsche Auslandsschule als eine heimische Wohlfühloase vorstellen, in der eben nur Deutsche arbeiten. So bestätigt beispielsweise der hiesige Sportlehrer tatsächlich all jene Vorurteile, die man gegenüber Sportlehrkräften nun eben hat. Etwas älter, Goldkette, ein durch die Jahre hervorgekommener Bauchansatz und den stärksten Akzent, den ich mir bei einem Schalker jemals hätte vorstellen können. Und exakt dieser Akzent lässt mich keine fünf Minuten am Montagmorgen nach den Geschehnissen ankommen, bevor ich recht offensichtlich die Anklage für alle deutschen Ultras annehmen muss. Nach gefühlten zehn Minuten Ansprache wird es zu meiner Aufgabe, zu erklären, warum ein deutscher Milliardär im Fadenkreuz steht und was die Geschichte dahinter ist. Und schnell wird mir klar: Für Verständnis und Offenheit in dieser Frage zu werben, ist kein Ding der Unmöglichkeit. Denn alle verstehen den Ansatz des Protestes. Man muss niemandem erklären, warum Kollektivstrafen nicht okay sind. Einzelne begehen Straftaten, aber bestraft werden im Fußball auch alle anderen Fans dieser Gruppe oder im schlimmsten Fall des ganzen Vereins durch Fan-Teilausschlüsse oder Geisterspiele. Niemand glaubt, dass Anti-Rassismus-Stufenpläne bei Beleidigungen gegenüber einem Milliardär angebracht sind. Und doch sorgt es nachhaltig für Aufregung, wenn in einer solch beleidigenden Art und Weise um Aufmerksamkeit geworben wird. Einige Hofpausenaufsichten verschwende ich noch damit, zu erläutern, warum man eine solche Art des Protests gewählt hat und was dem alles vorausgegangen ist. Doch wirkliches Verständnis kommt nicht mehr auf. Nicht mal bei ein oder zwei Bier nach Feierabend.

Ultras provozieren. Sie wollen das. Vermutlich werden die vorangegangenen Zeilen bei nicht wenigen von ihnen für ein Lächeln gesorgt haben. Denn die Provokation ist ja bis nach Kuala Lumpur geglückt. Und dennoch sind sie den Zielen nicht ein Stück nähergekommen. Den Kurven gehört die Macht, wurde mir einmal gesagt. Aber genau das stimmt nicht. Ultras und aktive Fans sind sprachlos, machtlos, wirkungslos.

Nichts hat bisher für eine echte Trendwende im deutschen Fußball geführt. Nicht die Minuten des Schweigens zu Beginn der Spiele. Keine Fan-Demonstrationen. Nichts hat sich geändert. Und genau deshalb stellt sich dieses Buch die Frage, woran das genau liegt. Seit Jahren ist die Kommerzialisierung des Fußballs in aller Munde. Selbst diejenigen, die den Dosenverein aus Markranstädt mögen, haben von diesem Vorwurf etwas gehört. Und die Probleme des Fußballs sind auch in den Kurven angekommen. Sie arbeiten ja gegen diese Form des Fußballs. Sie wollen keine Ecken, die vom Fleisch- und Wursthersteller, wahlweise Tofu-Produzenten präsentiert wird. Sie wollen Menschen aus dem Fußball jagen, die diesen Sport als Jagd auf Profite verstehen. Unabhängig davon, ob Ultras sich als politisch verstehen oder nicht. Sie haben dieses Ziel gemeinsam. Niemand hat Bock auf einen Brausehersteller, der sich aus Marketinggründen einen Verein in der ersten Fußballbundesliga leisten will. Wozu auch? Es hat wenig mit dem zu tun, was einen warm ums Herz werden lässt.

»Nieder mit dem modernen Fußball! Tradition über Kommerz!« Diese Rufe hört man, seitdem man sich darüber bewusst geworden ist, dass die Stadien und ihre Vereine in das globale Spiel der Profite eingebettet wurden. Ultras und viele aktive Fans haben darauf keine Lust. Das haben die Proteste gegen Dietmar Hopp eindrucksvoll bewiesen. Doch auch wenn sie ganze Stadien mit ihrer Leidenschaft anstecken können, so sehr haben sie Probleme damit, dem Mehrheitsbesucher ihre Forderungen verständlich zu machen. Und dort liegt eben der Hase im Pfeffer: Wer den Fußball vor dem Ausverkauf retten möchte, darf sich nicht in seiner Subkultur verstecken!

Das mag nach einer harschen Kritik an Ultras klingen, aber das soll es in erster Linie nicht sein. Dieses Buch wirbt für ein Umdenken im Kampf gegen die Kommerzialisierung des Fußballs und für ein Verstehen dessen, was man da bekämpft. Natürlich sind Ultras als die größte Jugend- und Subkultur unserer Tage ein wichtiger Anker für viele Fußballfans, aber ihre Auseinandersetzung mit dem Fußball im Ist-Zustand ist bemerkenswert unreflektiert. Bei all den Aktionen unterschiedlichster Gruppierungen in ihren Stadien liegt der Fokus auf dem Aktivismus. Sei es ein Boykott gegen die Montagsspiele, wie es die Frankfurter Ultraszene in der Saison 2019/20 machte oder ein Schweigen gegen den Dosenverein aus Markranstädt, wie es die Fans von Union Berlin bei jedem Spiel gegen diesen Verein machen. Es geht nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung darüber, warum solche Protestaktionen wichtig sind oder was sie voranbringen sollen. Stattdessen entsteht ein Aktivismus um des Aktivismus willen.

Die große Leerstelle bei solchen Protestaktionen ist die diffuse Antwort auf die Frage: »Was bieten wir als Alternative an?« Ultras sind eben sehr vielfältig und heterogen. Sie sind nicht über bundesweite Dachverbände organisiert und sprechen keine längerfristigen Strategien ab. Eine konkrete Abstimmung bei bundesweiten Protestaktionen ist eher selten, und wenn so etwas stattfindet, dann mit langatmigen Gesprächen vorab. Eines der wenigen Beispiele, bei denen solch ein Vorgehen funktionierte, ist die Aktion 12:12. Die zeigt jedoch gleichzeitig, was das Problem eines Aktivismus ist, der keine Alternative dazu anbietet, was man da bekämpft.

Als Ende 2012 von der DFL ein neues Sicherheitskonzept vorgestellt und verabschiedet wurde, fand sich in der Aktionsgruppe 12:12 – Ohne Stimme keine Stimmung eine Protestwelle wieder, die bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte. Monatelang schien es so, dass sich Politiker, Polizeigewerkschaftler und Fußballfunktionäre gegenseitig hochschaukelten und in den Fußballfans das neue Sicherheitsrisiko für die Republik erkannt haben wollten. Fans wurden zu Verbrechern abgestempelt. Das Abbrennen von pyrotechnischen Erzeugnissen in den Blöcken wurde damals sogar medial so unter Beschuss genommen, dass der Fernsehmoderator Johannes B. Kerner einfach eine Kinderpuppe mit einem Bengalo anzündete. Das hat wenig mit einer inhaltlichen bzw. sachlichen Auseinandersetzung zu tun, sorgte aber zum damaligen Zeitpunkt dafür, dass Fußballfans und speziell Ultras in eine Ecke gestellt wurden, aus der sie bis heute nicht wirklich rauskommen. Der Kreislauf an medialen Anklagen stieg über die Sommermonate sehr stark an, weshalb sich die DFL und die in ihr organisierten 36 Profivereine der Ersten und Zweiten Bundesliga dazu bemüßigt sahen, ein »Sicherheitskonzept« vorzustellen. Stehplätze sollten abgeschafft, Fußballfans vorab durchsucht werden, ohne jegliche Verdachtsmomente, was einer Kriminalisierung gleichkommt. Wäre dieser Schritt so getan worden, wie er damals geplant war, gäbe es vermutlich eine deutlich andere Fußballkultur, die wenig damit zu tun hätte, was so viele ungebrochen fasziniert.

Überraschung: Das Sicherheitskonzept wurde am im Dezember 2012 tatsächlich mit einigen Änderungen von der Mehrheit der Klubs angenommen. Nur gekommen ist es nicht ganz so drastisch. Das ist vor allem das Verdienst der Fanaktion, die ein Bewusstsein für die Lage der Fans geschaffen hat. Zwar konnte in einigen Bereichen bis heute ein kleiner Fortschritt erzielt werden, aber grundlegende Hindernisse für den Kauf von Stehplatzkarten oder Auswärtstickets sind noch nicht behoben worden. Der Fußball konnte sich vor einer großen Veränderung retten. Aber die Fußballkultur, wie wir sie kennen, steht auf wackligen Beinen. Stehplätze, Auswärtsfahrten und bezahlbare Tickets sind kein Kulturgut mit Ewigkeitsklausel, das hat die Entwicklung in Großbritannien gezeigt. Und auch in Deutschland werden Teile der Fankultur immer wieder angegriffen. Allein die Proteste gegen Dietmar Hopp zeigen, wie schwierig ein Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse im Fußball ist. Ultras und aktive Fans, die ihre Freiheit im Fußball suchen, werden als Bedrohung für den Fußball wahrgenommen. Der FC Bayern München hat in Reaktion auf die Proteste der eigenen Fanszene versucht, ihr die Tickets und Dauerkarten zu entziehen.

Das Problem hinter der gelungenen Protestaktion? Man konnte einige unverhältnismäßige Veränderungen verhindern, doch die Stoßrichtung nicht verändern. Die Form des lautlosen Protests sorgte immerhin dafür, dass das Sicherheitskonzept nicht in dem ursprünglich vorgestellten Maß verabschiedet werden konnte, doch wirklich greifbare Änderungen konnte man nicht erreichen. Es blieb einmalig, und das im schlechten Sinn. Denn die Entwicklungen der letzten Jahre gehen wieder in die gleiche Richtung, die wieder eingeführten Kollektivstrafen sind ein Hinweis darauf. Das Problem liegt dennoch nicht in der spezifischen Aktionsform bei 12:12, sondern in der generellen Herangehensweise vieler Ultras und aktiver Fans. Sie formulieren keine weitergehenden Ziele, wie sie den Fußball gestalten möchten, sondern halten sich mit Änderungen und Reformen im Hier und Jetzt auf. Das soll nicht falsch verstanden werden, denn es braucht solche Reformen, aber sie können nicht Anfangs- und zugleich Endpunkt sein. Wer Kommerzialisierung kritisiert, muss sich auch damit beschäftigen, wie der Fußball als Produkt funktioniert. Doch genau das passiert eben zu selten und führt in vielen Fällen zu nichtssagenden Forderungen wie »Zum Erhalt der Fankultur!« Das mag erstmal nach Minimalkonsens klingen, aber es verhilft nicht zu einer Stärkung der unabhängigen Fankultur. Man drückt sich um eine ausführliche Kritik des aktuellen Fußballs, erweckt jedoch zumindest sprachlich den Eindruck, Tradition hochzuhalten. Doch der good old football wird nicht weiterhelfen. Die Hoffnung auf kurze Trikothosen, Fußballspieler, die nur für den Erfolg ihres Teams kämpfen, und Ligen, die nicht vom Geld ihrer Sponsoren abhängig sind: Sie ist hinfällig und sogar kontraproduktiv.

Tradition gegen Kommerz. Egal ob im Kampf gegen immer mehr unterschiedliche Anstoßzeiten oder gegen die Investorisierung der Bundesliga, die Sprache der Ultras und aktiven Fans geht nicht über den Kommerz oder die Wahrung der Tradition hinaus. Erst recht bei bundesweiten Kampagnen mag das der Minimalkonsens zwischen vielen verschiedenen Gruppen sein, aber er hilft nicht in der Positionierung gegen die Auswüchse des Fußballs. Anstelle einer durchdachten Situationsbeschreibung nehmen Fans von Union Berlin im Januar 2020 im Umfeld eines Auswärtsspiels in Leipzig eine symbolische Beerdigung des Fußballs vor, weil man sich auf den einen Verein als Gegner gut einigen kann. Das Problem dahinter ist die fehlende Analyse. So banal es klingt, aber wer die Verhältnisse ändern möchte, kann nicht einfach nach Mehrheiten suchen. Man muss versuchen zu verstehen, wie die Verhältnisse funktionieren und auch wie sie sich erhalten. Denn der Fußball, wie wir ihn kennen, hat eigentlich keine Mehrheit unter den Fans. Eine Studie fand bereits 2017 heraus: Von zehn Fußballfans sind neun der Ansicht, dass sich der Fußball nur noch ums Geld dreht. Das ist die Frage, die den tiefergreifenden Ausgangspunkt dieses Buchs darstellt. Viele Ultragruppierungen und viele aktive Fans, die in den verschiedensten Fanbündnissen organisiert sind, möchten den Fußball grundlegend verändern und sie hätten womöglich eine Mehrheit der Fans auf ihrer Seite. Was hindert sie und wie sichert sich das Big Business Fußball gegen eine solch radikale Veränderung ab?

Wer diese Frage beantworten möchte, muss zunächst einen kleinen Blick rückwärts in die Geschichte werfen. Und nein, nicht im Sinne der geforderten Tradition, sondern um zu verstehen, wie der Kampf um den Fußball bisher aussah und wie man das heutige Ringen um den Fußball verstehen kann. Schon vor über 100 Jahren gab es Alternativen zum Fußball, wie wir ihn kennen, und einer der ersten Organisationsversuche von Fußball fand im Arbeiter-Turn- und Sportbund (kurz: ATSB) statt. Gemeinsame Ausübung und Fairness statt Konkurrenz im Sport: Das war die Leitidee. Man wollte den Sport aus den bürgerlichen Verhältnissen befreien und ihm einen anderen Grundgedanken geben. Was für viele Menschen heutzutage nach einer fremden Zeit und vergangenen Tagen klingt, ist allerdings gar nicht so unmodern. Denn die damals geführte Debatte um die gesellschaftliche Bedeutung von Sport ist auch heute noch brandaktuell. Der Gedanke eines fairen Sports, der nicht den Vorteil des Einzelnen im Blick hat, der wird auch heute angeführt, wie das Beispiel eines fußballspielenden Brasilianers zeigt. Denkt man an die vorletzte Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Russland, dann denkt man auch an Neymar. Klar, an seine hervorragende Ballkontrolle, sein Spielverständnis und seinen Spielwitz, der damals wohl seinen Höhepunkt erreichte. Aber man denkt auch an einen Neymar, der sich in quasi jedem Spiel nach Fouls auf dem Platz wälzte, um den jeweiligen Gegenspielern eine Rote Karte einschenken zu können. Was heute viele damit abtun, dass Neymar halt den maximalen Vorteil sucht, wäre im ATSB stark verurteilt worden. Seine Rücksichtlosigkeit hätte wenig mit den Idealen des Arbeitersports zu tun gehabt und sie riefe Debatten hervor, die man nachvollziehen sollte, wenn man den Fußball im Hier und Jetzt kritisieren möchte.

Die Kritik des modernen Fußballs ist auch eine Kritik des Kapitalismus. Das zeigt nicht nur der ganz kurze Blick in die Historie des Fußballs in Deutschland, sondern auch die Analyse des heutigen Fußballs. Dieses Buch versucht gar nicht erst, auf eine Ebene der Kritik zu kommen, die von einer gewissen Moral geleitet ist. Ich halte diesen moralischen Ansatz sogar für gänzlich verfehlt, wenn man versucht zu verstehen, wie der Fußball funktioniert und wie man ihn ändern kann. Man mag den Hopps und Mateschitzs dieser Welt die Schuld am Kommerz im Fußball geben und sie zum bösen Gesicht eines konsumorientierten Sports machen, aber das löst die Probleme nicht. Die Ebene der Moral erklärt Symptome zu Schuldigen und verkennt im schlimmsten Fall Ursache und Wirkung. Denn RB Leipzig und die TSG 1899 Hoffenheim haben nicht in einem Komplott die Übernahme des professionellen Fußballs geplant. Sie zielen auch nicht aktiv auf eine Zerstörung aller Tradition ab. Sie sind Symptome einer Struktur, die Vereinskonstrukte wie sie präferiert. Der Fußball erzeugt seine Monster selbst. Deshalb muss der Fußball grundlegend und an die Wurzel gehend analysiert werden. Um die Belange der Ultras und vieler aktiven Fans voranzubringen, bedarf es einer tiefergehenden und breiter wahrgenommenen Analyse des Status quo – keiner Debatte um moralisch »böse« Menschen im Fußball.

Das Zauberwort an dieser Stelle lautet Materialismus. Eine materialistische Herangehensweise verhilft zu neuen Erkenntnissen und öffnet den Blick für viele Dinge, die sonst verborgen bleiben. Doch was ist damit überhaupt gemeint? Der Begriff Materialismus wird häufig in Zusammenhang mit zwei Personen der Zeitgeschichte genannt: Karl Marx und Friedrich Engels. Die beiden Theoretiker haben sich im 19. Jahrhundert mit einer philosophischen Grundausrichtung beschäftigt, die sich bei Marx auf einen Satz zusammengefasst wiederfindet: »Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.«2 Der Kerngedanke lautet: Die wirtschaftliche Struktur bildet die Basis einer Gesellschaft. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten bewirken eine bestimmte Art von Politik oder auch eine bestimmte Art von Unterhaltung oder Sport. Unser wirtschaftliches Sein bestimmt unsere sozialen, politischen oder geistigen Prozesse. Nehmen wir die Starbucks-Barista von nebenan: So einen Job macht man meist nur aus purer Notwendigkeit: Um Geld zu verdienen, damit man sich Miete, Essen und Unterhaltung leisten kann. Auf eine Analyse des Fußballs übertragen bedeutet das eine schonungslose Auseinandersetzung mit dem Fußball und seinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denn Fußball existiert nicht im luftleeren Raum. Fußball hat eine gesellschaftliche Funktion, die losgelöst von der wirtschaftlichen Struktur nicht zu verstehen ist.

In den letzten Jahren hat es sich scheinbar trotzdem eingebürgert, den ach so unpolitischen Sport vor Eingriffen von außen zu schützen. Nehmen wir nur den Fall des Footballers Colin Kaepernick: Dieser hatte sich, damals noch als Quarterback der San Francisco 49ers, das Recht herausgenommen, während der US-Hymne durch das Knien auf den strukturellen Rassismus in der westlichen Welt aufmerksam zu machen. Es ging ihm um rassistisch motivierte Morde der Polizei, ein privatisiertes Gefängnissystem, das schwarze Menschen eher einsperrt, und um die strukturelle Benachteiligung von Minderheiten. Daraus gemacht wurde in Windeseile eine Verletzung des vorgeblich so neutralen und unschuldigen Sports. Solche Momente und Entwicklungen erleben wir in den letzten Jahren immer häufiger und auch wenn das nicht alle wahrhaben wollen, es beweist sich dadurch die politische Dimension von Sport, die immer schon da war. Selbst wenn man die Anfänge des professionalisierten Sports in Europa betrachtet, ist dieser Eindruck nicht zu widerlegen. Haben die alten Römer noch von »Brot und Spiele« geredet, so ist selbst diese vermeintliche Grundfunktion keineswegs unpolitisch. Denn genau diese Formulierung von Brot und Spielen fand sich im April 2020 in vielen Kommentaren zur Weiterführung der durch Corona unterbrochenen Bundesliga wieder. Anstelle des »Dahinvegetierens« zuhause sollte den Menschen zumindest via Pay-TV »etwas geboten« werden, an dem sie sich festhalten können und abgelenkt werden von der tristen Alltagswelt. Ablenkung und Befriedung durch Sport, die Politik nutzt diese Möglichkeiten.

Das ist die politische Dimension des Sports. Wer von reiner Unterhaltung ohne Tiefgang redet, erkennt die dahinterstehende herrschaftssichernde Funktion nicht. Sport existiert nicht einfach so, sondern hat die Aufgabe inne, die Menschen, gerade in schwierigen Zeiten, abzulenken. Dass der moderne Sport über diese simple Funktion des Ablenkens hinausgeht, das macht ihn so besonders. Christian Bartlau nennt den modernen Fußball in seinem Buch »Ballverlust« auch marktkonformen Fußball. Das hat den einfachen Grund, dass der moderne Sport und der Fußball in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem existieren. Im Sprech der Fußballfans wird dieser moderne Sport gerne auch unter dem Begriff der Kommerzialisierung angesprochen. Gemeint ist dasselbe: Durch die Profitorientierung ist der Sport kapitalisiert worden und muss somit unter dieser Prämisse der Wirtschaftlichkeit funktionieren. Sport wird somit zum »modernen« Sport und damit Teil der Unterhaltungsindustrie. Die Mechanismen des Kapitalismus erzwingen den wirtschaftlichen Wettbewerb, und das nicht nur zwischen den einzelnen Fußballteams oder den Ligen, sondern auch beispielsweise zwischen den TV-Quoten des Super Bowls und des Staffelfinals von The Big Bang Theory.

Im Kontrast zu materialistischer Kritik und politischer Bedeutung des Fußballs sehen sich viele Ultragruppen weiterhin als unpolitisch. Der Fanforscher Jonas Gabler konstatiert in seinem Standardwerk Die Ultras zwar einige linksorientierten Gruppierungen, stellt aber insgesamt einen Hang zur – nur vermeintlichen – Neutralität fest. Der politische Kampf gegen die Kommerzialisierung wird zwar von so gut wie allen deutschen Ultragruppen geteilt und ausgetragen, aber er bleibt eben diffus. Man bekämpft lieber Symptome, als sich mit den Strukturen zu beschäftigen. Das mag in manchen Fällen auch politische Gründe haben, denn eine verkürzte Konsum- und Kommerzialisierungskritik findet nicht selten Anschluss an rechtes Gedankengut. Kritik am Kommerz muss nicht zwangsläufig befreiend wirken, sondern kann auch durch eine konservative Grundhaltung begünstigt werden. Der Wunsch nach weniger Kommerz bewirkt – wie bereits festgestellt – auch den Wunsch nach dem guten, alten Fußball. Natürlich können hier auch konservativ oder gar faschistisch denkende Menschen unterschreiben. Auch die Nazis lehnten eine Professionalisierung des Sports ab: Nach 1933 wurde der DFB in seinem Wunsch nach Erhaltung des Amateurstatus im Fußball unterstützt und den sich entwickelnden Professionalisierungstendenzen ein Riegel vorgeschoben. Der Minimalkonsens von Tradition vs. Kommerz ist demnach nicht ganz unproblematisch und schon gar nicht eine Erfindung des 21. Jahrhunderts.

Es gibt dennoch einzelne Beispiele unter den Ultragruppierungen, die sich als politisch begreifen und den Kampf um den Fußball theoriegeleitet angehen. Die Ultragruppe Corrillo Ultras aus Freiburg gilt beispielsweise als linke Szene, die nicht nur durch ein paar Spruchbänder deutlich macht, wie man zum Fußball steht, sondern auch eine Arbeitsgruppe zu dem Thema in ihren Reihen hat. Noch deutlicher geworden ist die Gruppe Dissidenti Ultra aus Düsseldorf, die im Februar 2021 nach außen kommuniziert hat, wie sie den Fußball aus einem abstrakten Blick versteht. Unter dem Titel »Erst überwinden wir den Kapitalismus, dann holen wir uns den Fußball zurück!« versucht die Ultragruppe einen Erkenntnisprozess anzustoßen, der über die übliche Kritik am Kommerz hinausgeht. Kapitalismus, Fußball, Fans. Das scheint irgendwie zusammenzugehören, aber viel zu selten wird darauf hingewiesen oder sich ernsthaft damit auseinandergesetzt, was die Kämpfe vieler Ultras mit einer Kapitalismuskritik gemein haben. Was fehlt, ist ein Verständniskorridor. Es braucht Prozesse zum Verstehen dessen, was man da überhaupt zu bekämpfen versucht. Denn wer nicht versteht, was er bzw. sie bekämpft, hat schon verloren. Jeglicher Aktivismus zerschellt an den herrschenden Mauern, also der dominanten Ideologie, wenn man sich vorher nicht Gedanken dazu gemacht hat, wie das zu bekämpfende Konstrukt überhaupt funktioniert. Ich kann nicht gegen RB Leipzig demonstrieren und gleichzeitig nicht verstehen wollen, dass dieser Verein nur Symptom einer Struktur ist, die den »Sinn« im Fußball nur in seiner Unterhaltungsmaschinerie und daraus resultierenden Profitchancen sieht.

Der Fußball unserer Zeit ist nicht politisch neutral. Doch manchmal ist es augenfälliger, so zum Beispiel bei den Versuchen einiger Scheichs oder Staatsfonds den Fußball zum sports washing zu betreiben. Sie pumpen viel Geld in einen Verein, wollen Erfolge feiern und damit ihre politischen Absichten und Einflüsse aus der medialen Öffentlichkeit ziehen. Lieber soll Chelsea die Champions League gewinnen, als dass Roman Abramowitsch wegen seiner diversen Einflussnahmen in Politik, Wirtschaft und auch direkt im Sport kritisch unter die Lupe genommen wird. Es braucht einen Krieg, um ihn zu suspendieren. So einige Superreiche scheinen ihm nacheifern zu wollen.

Doch der Fußball wird eben nicht nur durch einige wenige Personen zu einer politischen Sportart, vielmehr hatte er schon immer gesellschaftliche Funktionen. Die Funktionen wandelten sich im Laufe der Zeit und so ist auch der Fußball unserer Tage ein spezieller. Oben war bereits die Rede von den verschiedenen gesellschaftlichen Ideen, die der Fußball vermitteln kann. Im Beispiel des Arbeiter-Turn- und Sportbundes ging es um Überlegungen für einen Sport, der auf den Prinzipien der Fairness und der gemeinschaftlichen Ertüchtigung beruht und weniger nach individuellem Erfolg strebt. Der Fußball unserer Zeit hat mit diesem Ideal herzlich wenig gemein und zeigt sich schon in den Werten, die er vermittelt, als durch und durch profitorientierter Sport. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Spieler sich fallen lassen und durch übertriebenes Schauspiel versuchen, ihren Gegner mit einer Roten Karte vom Platz fliegen zu lassen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass man in einem Ton darüber redet, der Schauspielerei noch aus romantischen Gründen verurteilt, aber eben auch hervorhebt, dass man den maximalen Vorteil suchen solle. Der Fußball bedeutet aber eben nicht maximale Konkurrenz und egoistischen Antrieb um jeden Preis: Er kann es sein. So wie er eine Sportart sein kann, die auf Fairness und gemeinsamem Arbeiten basiert. Fußball ist nicht gut oder böse, genauso wie der Mensch kaum gut oder böse sein kann. Es kommt auf die Umstände an, die uns umgeben, ob sie »das Gute« oder »das Böse« in uns hervorholen. Das mag vielerorts vergessen worden sein, aber auch der Fußball muss nicht unbedingt ein auf Egoismus getrimmter Sport bzw. ein Business sein.

Das Spiel mit dem runden Leder durchlebte in den vergangenen 100 Jahren einen Funktionswandel, wie ihn viele unserer Lebensbereiche durchmachten: Es wurde kapitalistisch. Fußball ist zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie geworden, der sich vornehmlich darüber definiert, wie viele Profite erwirtschaftet werden. Wie stark dieser Gedanke der Wirtschaftlichkeit den eigentlichen Sport überschattet, merkt man auch bei Abstiegen traditionsreicher Vereine. In der Saison 2020/21 stiegen mit Werder Bremen und Schalke 04 zwei Vereine ab, die man aus der Historie der Bundesliga heraus als Erstliga- und Traditionsvereine bezeichnet. Die Abstiege wurden mit einer Sprache begleitet, die neben dem sportlichen Misserfolg auch immer die wirtschaftliche Inkompetenz hervorhob. So sah sich insbesondere der Gelsenkirchener Klub mit Analysen konfrontiert, die zwar einerseits die sportliche Fehlplanung hervorhoben, aber eben auch die jahrelange Misswirtschaft. Das Problem dahinter liegt natürlich bei den Verantwortlichen, die sich offenbar nicht im nötigen Maß darüber im Klaren waren, dass ein Verein eben auch wirtschaftlich stabil geführt werden muss. Doch dieses Dilemma fasst den Fußball in unserer kapitalistischen Lebenswirklichkeit gut zusammen: Wer sich der Profitorientierung nicht beugt, kann eben nicht professionellen Sport ausüben und geht unter, auch wenn man mit mehr als 160.000 Mitgliedern zu einem der größten Sportvereine Deutschlands gehört.

Dass die Kapitalisierung von Sport insgesamt lohnenswert war und ist, steht auf einem anderen Blatt, doch es sollte nicht unerwähnt bleiben. Allein die Fußballbundesliga hat einen Jahresumsatz in Milliardenhöhe und auch Marktführer wie die NBA (nordamerikanische Basketballliga) oder gar die NFL (nordamerikanische American Football-Liga) sind nicht zu unterschätzen. Sie machen jeweils einen knapp zweistelligen Milliardenumsatz pro Jahr. Der deutsche Sport erwirtschaftet über alle Sportarten hinweg einen Jahresumsatz von knapp 70 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Neuseeland hat im Jahr 2017 etwa die gleiche Summe an Staatseinnahmen gehabt. Der deutsche Sport könnte also ganze Staaten finanzieren. Und auch der Milliardenjahresumsatz des deutschen Sports macht sich im Steueraufkommen bemerkbar. Wenn das nicht schockiert, mag das alles zunächst recht interessant klingen, doch die astronomischen Summen können dem Fußball irgendwann auf die Füße fallen – und die ersten Folgen haben wir bereits erlebt.

Die Kapitallogik von Fußball hört nicht an einem Moment über Nacht plötzlich auf, und schon gar nicht sagen seine Protagonisten, dass es jetzt genug sei. Der Kapitalismus drängt nicht nach Profiten, sondern nach der Maximierung von Profiten, also nach unendlichem Wachstum. Dieses Wachstum kann nicht einfach abgeschaltet werden, denn sonst wäre ein grüner Kapitalismus machbar und damit die Eindämmung der Klimakatastrophe beispielsweise längst geschehen. Nein, auch der kapitalistische Fußball drängt nach mehr Wachstum und die dahinterliegenden Probleme und Gefahren lassen sich tatsächlich mit dem Wissen um die Klimaentwicklung vergleichen. Dort zeigt sich, dass der Wachstumsgedanke (genauer: -zwang) des Kapitalismus eben einfach so lange vorantreibt, wie er von außen keine Grenzen aufgezeigt bekommt oder es sich einfach finanziell nicht mehr lohnt weiterzumachen. Nun kann es nicht einfach eine Sportkatastrophe im natürlichen Sinn geben, aber um zu verdeutlichen, was gemeint ist, reicht es, sich das Konzept der tipping points aus der Klimaforschung auszuleihen. Solche Kipppunkte können nämlich nicht nur in der Klima- und Umweltfrage entstehen – beispielsweise wenn die Polarkappen abschmelzen und daraus Entwicklungen resultieren, die nicht mehr aufzuhalten sind –, sondern sie funktionieren im übertragenden Sinn auch auf den Markt des Sports. Ein Kipppunkt wäre in einer solchen kapitalismuskritischen Analyse dann erreicht, wenn der Markt nicht mehr wächst und die Absatzmärkte, die ja zum Geldverdienen wesentlich sind, kleiner werden.

Eben diesen Absatzmarkt bilden im Fußball die Fans. Was passiert, wenn diese die Lust auf den Sport verlieren, so wie er jetzt ist? Dann könnte der »moderne Fußball« nicht mehr existieren. Gerät die nächste Weltmeisterschaft zu einem finanziellen, weil quotenmäßigen Flop, könnte dieser Kipppunkt erreicht sein. Auch deshalb fordern so viele Fans einen Boykott der WM in Katar. Die Frage nach dem Realismus ist dabei aber eine schwerwiegende, denn ab welchem Punkt würden denn große Teile der Fans sagen, dass sie sich abwenden? Momentan lässt die Entwicklung insbesondere im Fußball keine genaue Tendenzprognose zu: Auf der einen Seite erfährt ein künstliches Projekt wie RB Leipzig immer mehr Zuwendung und normalisiert sich, auf der anderen Seite gerät die UEFA Nations League in den Hintergrund, weil zu wenige Menschen sich von diesem Wettbewerb haben verzaubern lassen. Möglicherweise hätte die sogenannte Super League zu diesem Kipppunkt führen können. Nämlich dann, wenn sich die selbsternannten Top-Clubs aus ihren heimischen Ligen verabschieden, um in einer paneuropäischen Super-Liga mehr Geld zu verdienen. Wie stark die Fliehkräfte auf den Fußball wirken, konnte man ja bereits 2021 sehen, als die Super League für wenige Tage als gegründet galt. Die nationalen Ligen und die UEFA liefen Sturm und man hörte bereits die Befürchtung, dass die Fans von einer solchen Liga die Nase voll haben könnten und sich abwenden. Der Grund hinter dieser Logik des »Immer weiter! Immer mehr!« ist die Marktkonformität. Der Zwang zur Anpassung an Marktlogiken wie Wettbewerb und Konkurrenz zwingt die Marktteilnehmerinnen zur Anpassung. Und diese Marktteilnehmerinnen sind nun mal die Vereine. Wettbewerb und Konkurrenz erzeugen eine Situation, in der es darum geht, ohne Rücksicht auf Verluste Jagd auf maximale Profite zu machen. Diese kapitalistische Interpretation des sportlichen Wettbewerbs sorgt für die Marktkonformität im Fußball. Und hier liegt die Gefahr begründet, denn Konformität bedeutet ab einem gewissen Punkt eben auch Beliebigkeit. Der Fußball kann durch den maximalen Wettbewerb und das Streben nach immer mehr Profiten für die Konsumenten verloren gehen. Und je weniger dann Fußball noch konsumieren, desto weniger Profite erzielt das Business und es kommt zu einem Kipppunkt.

Dieses Buch möchte die Hintergründe des kapitalistischen Fußballs ergründen – und das aus der Sicht der Fans. Es hilft nicht, eine vermeintliche Neutralität vorzugaukeln, wo keine ist. Fußballfans scheinen in der Mehrheit einen anderen Sport zu wollen und insbesondere die Ultras und aktiven Fans kämpfen bereits seit Jahren dafür. Viele Gruppierungen, so scheint mir, haben den Kampf gegen die Kommerzialisierung nicht in eine vollständige Kritik des Fußballs eingebettet, doch einige Ultras zeigen das bereits auf. Die Traumdeutung eines unpolitischen Fußballs hat ausgespielt! Politik wird in die Stadien gebracht, und das von denjenigen, die den Fußball organisieren. Der Fußball wurde den Menschen entrissen, das wird durch die Kapitalisierung deutlich. Man ist Teil der Unterhaltungsindustrie, um gewaltige Profite zu erzielen, von denen die meisten dann doch nichts haben. Der Fußball ist zu einem Spielball des Kapitalismus verkommen, der den Fans nicht mehr als die Illusion ihres Vereins und ihres Sports lässt. Dieser grundlegende Konflikt muss auch sprachlich deutlich werden, weshalb ich in diesem Buch darauf verzichte, den kapitalistischen Fußball dauerhaft als solchen zu benennen. Begriffe wie moderner oder marktkonformer Fußball sind entweder zu oberflächlich oder zu spezifisch, um den Kampf um den Fußball zu verdeutlichen. Wenn in dem Buch die Rede von Fußball ist, so darf davon ausgegangen werden, dass ich den Fußball unserer Zeit meine. Den Fußball, der durch die Einfügung in kapitalistische Verhältnisse dazu da ist, Profite zu erzielen. Er gehört an dem Punkt eben nicht mehr den Spielern und erst recht nicht den Fans. Er gehört denen, die ihn im schlimmsten Fall nicht einmal verstehen, sondern ihn aus reinem Profitinteresse als Anlageobjekt ansehen. Bezeichne ich diesen Fußball an einigen Stellen als kapitalistischen Fußball, dann weil er eben nicht nur in einer kapitalistischen Gesellschaft funktionieren muss, sondern weil wir es mittlerweile mit einem Fußball zu tun haben, dessen Akteure – mit Ausnahme der Fans – nach kapitalistischen Logiken handeln und den Fußball damit transformiert haben.

Um all das besser verstehen zu können, wird in einem ersten Schritt der Stand der Dinge aufgezeigt. Wie funktioniert der Fußball überhaupt und auf welchen Säulen ist er aufgebaut? Und welche Rolle bekleiden eigentlich die Fußballfans im Fußball und im Kampf um ihren Fußball? Man muss verstehen, was ist, und das geht nur, wenn man ihn – wie hier – aus einer materialistischen Perspektive heraus betrachtet. Man möge sich die Perspektive als eine Art Brille vorstellen, die man aufsetzt, um die Welt besser verstehen zu können. Keine Brille der Welt ist perfekt, keine Theorie der Welt ist perfekt. Aber wir können durch sie besser verstehen, von was wir umgeben sind. Dieser Schritt wird in dem darauffolgenden Kapitel noch verdeutlicht, denn der Kampf um den Fußball ist auch ein sozialer Kampf. Wo es um gesellschaftliche Macht und Einflussnahme geht, stehen Überlegungen zum Fußball nicht isoliert da. Dafür geht der Weg in die politische Theorie, oder genauer: in die marxistische Theorie des vergangenen Jahrhunderts. Mit Johannes Agnoli findet sich ein Theoretiker, der in den 1960er Jahren untersucht hat, wie der Kapitalismus sich absichert und welche Rolle dabei Institutionen spielen. Dort findet sich der Anknüpfungspunkt zum Buch, denn auch im Fußball geht es ja um die Frage, wie er sich absichert, wenn er doch eigentlich keine Mehrheiten (mehr) hat. Die Antwort liegt in den Verbänden als Institutionen des Fußballs, die ihn organisieren und absichern. Ein blinder Fleck in den bisherigen Analysen im Kampf um den Fußball. Die unklare Stellung vieler Ultras zwischen radikaler Ablehnung der Verbände und endlosen Verhandlungen mit ebenjenen zwei großen Fußballverbänden in Deutschland hat dazu geführt, dass man sich aus der Lage nicht mehr befreien kann. Man ist gefangen zwischen Dialog und Ablehnung, ohne offensichtliches Konzept zur Lösung. Oder wie es Stuttgarter Ultras in einer E-Mail schrieben: »Wir sind müde.« Der Rückgriff auf politische Theorien kann helfen, den Blick auf den Fußball zu schärfen und zu verstehen, wie er seinen Fortbestand organisiert – sich absichert. Fußballverbände sind oftmals nur indirekt das Subjekt der Kritik oder werden nur in Form von Personalfragen angegriffen. Eine theoretische Überlegung ihrer Macht im Fußball steckt noch in den Kinderschuhen, ist aber für das Verständnis elementar. Und ja, große Vereine und ihr Einfluss sind keineswegs zu unterschätzen. Aber allein die Entwicklungen rund um die Super League im April 2021 haben gezeigt, dass die Verbände die Machtzentren des Fußballs sind. Selbst zwölf Mega-Vereine kommen nicht gegen einen Kontinentalverband an. An dieser Stelle hört das Buch aber nicht auf, sondern versteht sich ganz bewusst als Herrschaftskritik im Bereich des Fußballs. Richtig gelesen, denn auch im Fußball haben wir es mit Machtverhältnissen zu tun und wo sich Macht konstituiert, haben wir es mit Herrschaft zu tun. Oder simpler gesagt: Wenn ich eine Revolution in Deutschland anführen würde, würde ich danach auch alle politischen Institutionen in meinem Sinne umgestalten. Dann schaffe ich es, aus meiner Position der Macht auch eine Position der Herrschaft zu gestalten und mich und meine Macht abzusichern. Dieses Prinzip findet sich auch im Fußball wieder. Macht erleben wir dort Woche für Woche, Bayern dominiert seit Jahren die Liga und es sind die immergleichen Vereine, die um die Champions-League-Krone spielen. Aber es ist nicht nur diese Macht der Vereine, die kritisiert werden muss, es ist vor allem die Macht der Verbände. Deshalb kommt eine materialistische Analyse nicht ohne Herrschaftskritik aus.

Man muss also den Stand der Dinge verstehen: Wie der Fußball funktioniert und wie seine spezifisch kapitalistische Form abgesichert wird. Nur, was heißt das für die Fans? Es braucht eine Form von Übersetzung der theoretischen Ideen und Gedanken und auch an diesem Punkt sind gewisse politische Theorien weiter, denn die soziale Frage und der Kampf um gewisse Dinge bleiben eben nicht auf den Fußball beschränkt. Erst recht nicht, wenn es um die Wirtschaftsordnung geht. Chantal Mouffe ist eine linke Theoretikerin, die an der University of Westminster in London lehrt. Ihr Buch Für einen linken Populismus hat nicht nur große Verkaufszahlen erreicht, sondern tatsächlich auch praktisch etwas bewegt. Die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen orientiert sich offenbar an ihren Überlegungen und zeigt beispielhaft auf, wie man radikale Forderungen nach wirkungsvollen Änderungen mehrheitsfähig organisieren kann. Auf Grundlage ihrer Thesen und der Organisation der Initiative wird im dritten Kapitel überlegt, wie sich diese Strukturen und Erfolge auf den Kampf um den Fußball ummünzen lassen und wie sich die Fans ihren Fußball zurückholen können.

Eine wichtige Anmerkung noch vorab: Der Fußball ist dem binären Geschlechterverständnis nach differenziert und es ist nicht zu leugnen, dass auch ich dem Verständnis von Fußball als Männerfußball verfalle. Die Fokussierung auf den Männerfußball hat ausschließlich Gründe in seiner Dominanz, die ich gerne aus einer feministischen Sicht kritisieren würde. Dies aber würde den Rahmen des Buchs sprengen. Generell gilt: Die Anmerkungen hinten, bei denen ich auf spannende und weiterführende Literatur verweise, liefern Hinweise. Man muss aber nicht bei jeder Zahlenangabe direkt nach hinten blättern. Die Anmerkungen sind als Verweise auf lohnenswerte Artikel, Bücher und dergleichen gedacht, nicht als vollständige Literaturliste. Außerdem gibt es in einigen Fällen graue Kästen. Diese sind dazu da, Hintergründe wie Theorien und ihre kleinen eigenen Geschichten zu erzählen und ihnen Raum zu geben. Zudem finden sich am Ende der großen Unterkapitel jeweils kurze Zusammenfassungen in Stichpunkten.

Wer soziale Gerechtigkeit und wirkliche Gleichheit sucht, darf auch im Fußball damit anfangen. Keine Sportart hat jemals so viele Menschen gleichermaßen begeistert. Es ist das Spiel des runden Leders, das uns alle so fasziniert. Warum holen wir ihn uns nicht zurück? Gehen wir auf eine Spurensuche, die den Fußball auf den Kopf stellt und den Fußball denjenigen zurückgibt, die ihn wirklich lieben.

1.

Wem gehört der Fußball?

Das Spiel, das keines sein darf

Kapitalismus, Fußball, Fans. Die Verkettung dieser drei Begriffe bildet das Kernstück des Buches. Aus der kritischen Betrachtung unserer Wirtschaftsordnung hin zu den konkreten Folgen für den Fußball und zu den Menschen, die den Fußball erst zu dem Massenspektakel machen, das es ist: die Fans. Um jedoch an den Punkt zu kommen, wo man sich überlegt, wie sich die Fans ihren Sport wieder zurückholen können, muss vorher einiges an Analyse und Kritik vorgenommen werden. Die Fanproteste der letzten Jahre beweisen das und haben nochmal verdeutlicht, wie stark die Fähigkeit zur Veränderung momentan an allen Ecken und Enden fehlt. Wie gesagt: Der Aktivismus um des Aktivismus willen hat noch nie Früchte getragen. Es braucht eben auch eine Auseinandersetzung darüber, was man bekämpft. Es mag dabei ironisch klingen, aber die Misere der gesellschaftlichen Linken hat zumindest eine gute Folge für Fußballfans, denn es wird analysiert, was das Zeug hält. Linke Menschen haben in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten eine solche Bandbreite an gesellschaftlicher und herrschaftskritischer Analyse geliefert, dass man eigentlich nur noch zugreifen und sie auf den Fußball anwenden muss. Wer den Fußball verändern möchte, muss auf die ihn umgebenden Verhältnisse blicken und damit beim Kapitalismus als Grundlage anfangen.

Die Philosophin Eva von Redecker hat 2020 mit Revolution für das Leben ein Buch herausgebracht, das erhebliche Aufmerksamkeit bekommen hat und sich genau dieser Frage widmet: Was macht den