From the Embers – Sie müssen erst alles verlieren, um einander zu finden - Aly Martinez - E-Book

From the Embers – Sie müssen erst alles verlieren, um einander zu finden E-Book

Aly Martinez

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Beschreibung

Als Easons Frau und sein bester Freund bei einem Brand ums Leben kommen, bricht für ihn eine Welt zusammen. Nur seine kleine Tochter Luna hindert ihn daran aufzugeben. Da sein Haus durch das Feuer zerstört wurde, nimmt Bree, die Frau seines besten Freundes, die beiden bei sich auf. Diese anfängliche Zweck-WG wird langsam zu einer richtigen Familie und Bree zum wichtigen Halt in Easons Leben. Aber die beiden hadern mit ihren Gefühlen füreinander, die immer mehr über Freundschaft hinausgehen. Bis plötzlich Geheimnisse ihrer verstorbenen Partner ans Licht kommen, die alles verändern … 

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Aus dem amerikanischen Englisch von Vanessa Lamatsch

© Aly Martinez 2021

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »From the Embers«, Independently Published 2021

© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2024

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf Hang Le

Covermotiv: Hang Le

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

1

Eason

2

Bree

3

Eason

4

Bree

5

Eason

6

Eason

7

Bree

8

Eason

Ein Jahr später …

9

Bree

10

Eason

11

Bree

12

Eason

13

Bree

14

Bree

15

Eason

16

Bree

17

Eason

18

Bree

19

Bree

20

Eason

21

Bree

22

Eason

23

Bree

24

Eason

25

Bree

26

Eason

27

Bree

28

Eason

29

Bree

Epilog

Eason

Zwei Jahre später …

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Widmung

Für Mo Mabie

Danke, dass du die geniale Idee hattest, Stahlkappenstiefel vorzuschlagen. Und dass du verhindert hast, dass ich sie mir notiere.

UND

Für Corinne Michaels

Für all die netten Dinge, die ich getan habe und an die du nie denkst.

1

Eason

»Hey«, hauchte ich und fing Jessicas Arm ein, als sie aus dem Kinderzimmer schlich.

»Lass das, Eason. Ich bin nicht in Stimmung.«

Das war sie nie. Und damit bezog ich mich gar nicht auf unser Liebesleben. Doch zufälligerweise hatte sie darauf auch nie Lust.

Ich drückte sanft ihren Arm. »Komm schon. Du musst mit mir reden.«

»Nein, muss ich nicht!«, schrie sie und wirbelte zu mir herum.

Ich schloss leise die Tür zum Schlafzimmer unserer Tochter. »Nicht so laut, sonst weckst du sie noch auf!«

»Daran musst du mich nicht erinnern. Ich war schließlich diejenige, die sie überhaupt zum Einschlafen gebracht hat, während du draußen in der Garage warst und an deinem blöden Piano so getan hast, als wärst du Billy Joel.«

Jepp. Sie hatte absolut recht. Obwohl ich eigentlich versuchte, Eason Maxwell zu sein und lyrisches Blut aus meinen Fingerspitzen zu zwingen, um einen verdammten Refrain zu schaffen, der es mir erlauben würde, die Zwangsversteigerung unseres Hauses abzuwenden.

»Wie ich es mache, ist es verkehrt, Jess. Wenn ich den ganzen Tag damit verbringe, irgendwie einen Song zu produzieren, den ich verkaufen kann, um uns noch ein paar Monate über Wasser zu halten, machst du mir Vorwürfe, weil ich ständig arbeite. Wenn ich alles stehen und liegen lasse, um dir mit dem Baby zu helfen, werden wir das Haus verlieren, und du hasst mich dafür. Was soll ich denn tun?«

Sie riss die Augen so weit auf, dass ihre Brauen fast den Haaransatz berührten. Nach drei Jahren Ehe kannte ich sie gut genug, um zu wissen, dass sie kein Blatt vor den Mund nehmen würde. Und dabei sehr verletzend sein konnte.

»Du sollst fähig sein, die Familie zu ernähren!«

Das hat gesessen.

In dem Bemühen, mein Temperament zu zügeln, schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf das Geräusch ihrer schweren Atemzüge – sie schien am Ende zu sein, genau wie unsere Ehe. »Ich gebe ja mein Bestes.«

»Und wenn das einfach nicht mehr ausreicht?«

Ich riss die Augen auf, weil ich zwischen den Zeilen lesen konnte. Das war nicht nur ein Angriff auf meine Karriere. Hier ging es genauso sehr um unsere Beziehung wie um meinen Job.

»Sag nichts, was du nicht zurücknehmen kannst«, warnte ich sie mit zusammengebissenen Zähnen.

Wir hatten uns geschworen, nie grundlos mit Scheidung zu drohen … und bisher war uns das ziemlich gut gelungen. Aber seit Lunas Geburt vor einem halben Jahr war sie beinahe täglich kurz davor. Es traf mich jedes Mal wie ein Schlag, doch ich verhielt mich schon so lange defensiv, dass ich nicht mehr wusste, wie ich mich anders verhalten sollte.

Tränen glitzerten in ihren blauen Augen. »Du hast es mir versprochen, Eason. Du hast es mir an dem Tag geschworen, als ich dir gesagt habe, dass ich schwanger bin. Du weißt, wie ich aufgewachsen bin. Und du hast mir versprochen, dass es unserem Kind einmal besser gehen wird.«

All das stimmte.

Aber auch wenn ich Probleme hatte, ihr alles zu geben, wovon ich geträumt hatte, als sie mit einem breiten Lächeln hinter dem Spitzenschleier vor den Traualtar getreten war, unterschied sich unser aktuelles Leben doch sehr von der heruntergekommenen Farm, auf der sie aufgewachsen war.

»Das ist nicht fair.« Ich ließ meinen ungläubigen Blick pointiert durch das zweihundert Quadratmeter große Haus mit den drei Schlafzimmern und zwei Bädern gleiten, das wir scherzhaft Maxwell Manor getauft hatten. Zwar lag es nicht so nah an der Innenstadt von Atlanta, wie Jessica es sich gewünscht hatte, doch es hatte zu den wenigen finanzierbaren Häusern gehört, die über einen Keller verfügten, in dem ich ein Studio einrichten konnte. Ein Studio, das es immer noch nicht gab, weil … na ja, das Leben dazwischengekommen war.

Oder um genauer zu sein: weil Luna Jade Maxwell dazwischengekommen war.

Eigentlich hatten wir noch keine Kinder geplant gehabt. Jessica und ich hatten noch eine Weile das Leben genießen wollen, bevor wir vorhatten, eine Familie zu gründen. Aber ein schlauer Mann hatte mal gesagt: Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen! Kaum dass ich meinen Plattenvertrag unterschrieben hatte, wurde Jessica ungeplant schwanger. Ich hatte sie heulend im Bad gefunden, wo sie auf dem Boden gesessen und einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand gehalten hatte.

Das Timing war wirklich schlecht gewesen. Besonders da mein Label ein paar Monate später erst mein Album in die Tonne getreten und mich dann ganz fallen gelassen hatte.

Aber Luna – mit ihrem dichten braunen Haar und den honigfarbenen Augen, die so besonders waren, als wäre die Farbe nur für sie gemacht worden – war das Beste, was mir je passiert war.

Meine Schultern sanken nach unten, und ich massierte mir den Nasenrücken. »Hör mal, können wir ein anderes Mal darüber reden? Ich muss duschen und dann mit dem Kochen anfangen. Und sobald Luna aufwacht, werde ich sie zu Rob und Bree bringen.«

»Ach ja, stimmt! Weil wir uns keinen Babysitter leisten können, weswegen wir uns meiner besten Freundin aufdrängen müssen, damit wir mit den beiden abhängen können.«

Ich stöhnte. Herrgott, sie ließ wirklich keine Gelegenheit aus, mich niederzumachen! Sie machte mich für alles verantwortlich. Jessica wollte Hausfrau und Mutter sein wie Bree. Und ich hatte mir dasselbe für sie gewünscht. Aber als es hart auf hart gekommen war und meine Ersparnisse langsam verpufft waren, hatte Jessica nicht ein einziges Mal gefragt, was sie tun oder wie sie uns als Familie helfen konnte. Und ja, ich war deswegen verbittert, doch ich ließ meine Launen nicht an ihr aus.

Und vor allem drängte ich mich Bree in keiner Weise auf.

Glücklicherweise – oder unglücklicherweise, je nachdem, wie man es betrachtete – war Jessicas beste Freundin Bree mit meinem besten Freund Rob verheiratet. Das bedeutete, dass ich den Mann angerufen hatte, der für mich fast wie ein Bruder war, und also meinen besten Freund gefragt hatte, ob ich unsere Tochter bei seiner Babysitterin abgeben konnte.

Natürlich hatte er zugestimmt. Und da er herausgehört hatte, wie beschämt und gefrustet ich war, hatte er mir erzählt, dass es bei Bree und ihm nach der Geburt ihres Sohns ebenfalls gekriselt hatte. Seiner Beschreibung nach war das, was wir gerade durchmachten, vollkommen normal. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass seine Frau Jessica nicht mit solch aufbauenden Worten versorgte.

Man könnte sagen, dass Bree nicht gerade mein größter Fan war. Was vielleicht daran lag, dass ich mich an dem Abend, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet waren, auf ihre Schuhe übergeben hatte. Aber das war doch schon so lange her!

Wir waren keine Todfeinde oder so etwas in der Art. Bree und ich verstanden uns ganz gut – oberflächlich betrachtet. Doch sie war etwas … schwierig.

Und voreingenommen.

Und snobistisch.

Und, na ja … anspruchsvoll.

Nach und nach fand ich heraus, dass einige dieser Adjektive auch auf meine Frau zutrafen.

Ich hatte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um Jessicas Gunst zurückzugewinnen. Hoffentlich würde ein Pärchenabend ihr wieder ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Da ich mir ein Menü in irgendeinem Fünf-Sterne-Restaurant, das Bree eines Besuchs für würdig erachtete, nicht leisten konnte, hatte Rob vorgeschlagen, wir sollten einfach einen Spieleabend veranstalten. Während der Babysitter auf die Kinder aufpasste, konnten wir vier ungestört in unserem Haus abhängen. Jeder würde seinen eigenen Alkohol mitbringen. Ich würde die Reste von dem Scotch trinken, den Rob mir zu Lunas Geburt geschenkt hatte … und ich würde für Jessica eine Flasche Wein besorgen, die gerade im Angebot war. Zu meinem Glück war sie nicht gerade wählerisch, wenn es darum ging, worin sie ihre Sorgen ertränkte.

Eine Hand um den Nacken geschlungen, hielt ich ihrem eiskalten Blick stand. »Können wir uns heute Abend einfach mal vertragen? Bitte? Ich bin es so leid, ständig zu streiten. Du bist sauer. Das habe ich verstanden, okay? Wir werden eine Lösung finden.« Ich streckte die Hand aus und verschränkte unsere kleinen Finger, ehe ich sanft zog.

Sie kam näher, blieb aber stehen, bevor ihre Brust meine berührte. »Du versuchst jetzt schon seit Monaten, eine Lösung zu finden, aber nichts hat sich geändert. Die Hypothekenbank ruft ständig bei mir an, als könnte ich vier Monate verpasste Zahlungen einfach aus dem Hut zaubern, wenn sie mich nur genug bedrängen. Jeden Morgen wache ich erfüllt von der Angst auf, dass sie uns heute bestimmt das Wasser abdrehen. Oder den Strom, oder …« Ihre Stimme brach. »Oder … ich weiß nicht. Irgendwas.«

Mein Magen verkrampfte sich. Die Lage war übel, aber wenn wir deswegen ständig stritten, trieb das einfach bloß einen Keil zwischen uns.

Zögerlich trat ich einen halben Schritt vor, zog sie in eine Umarmung und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel, ohne mich von ihrer steifen Körperhaltung beeindrucken zu lassen. »Ich werde nicht zulassen, dass man uns das Wasser abdreht. Oder den Strom. Oder irgendetwas anderes, was dir einfällt.«

»Wie?«, krächzte sie. Ihr Mangel an Vertrauen war verletzend, aber wahrscheinlich gerechtfertigt.

Ich atmete tief ein. Meine Brust schmerzte. Verdammt. Es wurde Zeit. Ich konnte es nicht länger aufschieben. Auch wenn es mich Überwindung kostete. Das war unsere einzige Chance. Als Ehemann und Vater hatte ich Verantwortungen, die weit wichtiger waren als mein Traum.

»Ich werde das Album auseinandernehmen«, flüsterte ich.

»Eason«, keuchte sie, hob den Kopf und stützte ihr Kinn auf meiner Brust ab. Das Glück, das in ihren Augen leuchtete, bohrte sich wie ein Messer in meine Brust.

Das Rampenlicht mochte sich außerhalb meiner Reichweite befinden, aber ich wusste, wie man Musik verkaufte. Songwriting war das, womit ich angefangen hatte. Es hatte das Geld für unser erstes Date, Jessicas Verlobungsring und die Anzahlung für unser Haus geliefert. Momentan bezahlten wir von meinen schwindenden Tantiemen unsere Rechnungen – wenn wir sie denn beglichen. Das erste Mal, als ich eines meiner Lieder im Radio gehört hatte, war ich so aufgewühlt gewesen, dass ich alle angerufen hatte, die ich kannte. Ich war stolz auf meine Leistung … aber eigentlich war das Ziel immer gewesen, nicht nur unglaubliche Musik zu schreiben, sondern sie auch selbst zu singen.

Das Album Solstice in the ’92, meine typische Mischung aus entspanntem Pop und Soul, sollte mich an die Spitze der Charts bringen. Dreizehn Songs, in die ich mein Herzblut gesteckt hatte. Jedes einzelne Lied der Inbegriff einer anderen Phase meines Lebens – von meinem Aufwachsen ohne Vater über meine Partyzeit als Junggeselle bis hin zur Geburt meiner Tochter. Die Songs waren kühn. Roh. Eason Maxwell in Reinkultur. Sie an jemand anderen zu verkaufen, würde sich anfühlen, als würde man mir jeden Knochen einzeln brechen.

Aber damit könnte ich unsere Rechnungen bezahlen.

Und vielleicht konnte ich damit wieder ein Leuchten in die Augen meiner Frau zaubern, wieder Schwung in unsere Beziehung bringen und meine Familie zusammenhalten. Es gab nichts, was ich nicht geopfert hätte – Hoffnungen und Träume eingeschlossen –, um der Mann zu sein, den Jessica und Luna verdient hatten.

Und allein aus diesem Grund gelang es mir, Jessica ein Lächeln zu schenken. »Es ist das Richtige, Süße. Für dich. Für Luna. Verdammt, vielleicht sogar für mich. Ein neuer Anfang kann nicht schaden, oder?«

Sie schlang die Arme um meinen Hals – der erste Körperkontakt seit Wochen, der von ihr ausging. »Was glaubst du, wie lange es dauern wird, die Songs an den Mann zu bringen?«

»Schwer zu sagen, aber ich werde gleich am Montagmorgen rumtelefonieren.«

Sie stieß ein Kichern aus, das für einen Moment die Galle aus meiner Kehle bannte. »Turning Pages ist unglaublich. Ich wette, die großen Namen werden sich darum reißen.«

Super, das war genau das, was ich mir wünschte: eine egozentrische Primadonna, die von meinem stürmischen Verhältnis zu meiner narzisstischen Mutter sang.

Ich schenkte ihr ein angespanntes Lächeln. »Das wäre toll.«

Mit einer Unbeschwertheit, die ich seit Monaten nicht mehr gehört hatte, sagte sie: »Darauf sollten wir anstoßen. Kauf später unterwegs eine Flasche Champagner.« Sie zögerte. »Nein, lass mal. Ich werde Bree fragen. Sie wird eine besorgen.«

War ja klar. Ich hatte mir das Herz herausgerissen und es meiner Frau zu Füßen gelegt, aber es wäre Bree, die ihr den Tag rettete.

Damit hatte sie Salz in meine Wunden gestreut, doch wie so oft in meiner Ehe lächelte ich einfach weiter. »Hört sich gut an.«

2

Bree

»Er verkauft Solstice in the ’92?«, flüsterte ich vollkommen schockiert ins Telefon.

Am anderen Ende der Leitung schnaubte Jessica entnervt. »Zumindest hat er das gesagt. Die eigentliche Frage ist, ob er es auch wirklich durchzieht.«

Ich spähte aus der Küche um die Ecke, um sicherzustellen, dass Rob mich nicht hören konnte. Mein Mann hasste es, wenn Jessica und ich über seinen besten Freund sprachen. Rob fand immer, wir würden uns gegen den armen Kerl verbünden, aber als Jessicas beste Freundin musste ich mich doch vergewissern, dass Eason sich gut um sie kümmerte. Und meine Sorge war mehr als gerechtfertigt. In den letzten paar Jahren hatte er in dieser Hinsicht kläglich versagt.

Als ich mir sicher war, dass Rob sich immer noch in der Garage herumtrieb und seinen heiß geliebten Porsche bestaunte, ging ich zum Ofen zurück, um nach dem Essen für die Kinder zu sehen. »Aber diesmal hat er von sich aus angeboten, das Album zu verkaufen, oder? Das muss etwas bedeuten.«

Wieder schnaubte sie spöttisch. »Ja, es heißt, dass er es leid ist, auf der Couch zu schlafen und keinen Sex zu kriegen.«

»Wie auch immer. Solange es damit endet, dass du und Luna nicht obdachlos werdet, ist es für mich okay.« Ich zögerte und biss mir auf die Unterlippe. »Du weißt, falls du etwas brauchst, bis er die Songs verkaufen kann …«

»Lieb von dir. Aber nein danke. Das ist nicht dein Problem.«

Ich seufzte. Jessica und ich waren seit unserer Collegezeit befreundet, als wir beide gekellnert hatten. Sie war unglaublich stur und so stolz, dass sie nicht mal Hilfe angenommen hätte, wenn sie wirklich am Boden gewesen wäre. Wozu momentan nicht mehr allzu viel fehlte.

»Jess, hör auf. Lass mich dir einfach ein bisschen …«

»Champagner«, fiel sie mir ins Wort. »Das Einzige, was ich von dir annehmen werde, ist Champagner. Wir werden heute Abend feiern.«

»Das ist streng genommen das erste Mal seit Madisons Geburt, dass ich die Kinder allein lasse.«

»Und dann führt dich dein erster Ausflug ausgerechnet in mein hässliches Wohnzimmer. Du hast aber auch ein Pech!«

»Hey, ich bin einfach froh, mal einen Abend zu erleben, der keine Windeltasche erfordert.« Das stimmte nicht ganz. Der Gedanke, dass ich die Kinder allein lassen würde, stresste mich schon die ganze Woche.

Es trieb Rob in den Wahnsinn, dass ich seit fast zehn Monaten jede Verabredung verweigert hatte. In unserer Nachbarin Evelyn hatten wir eine tolle Babysitterin gefunden. Sie war supergeduldig und freundlich, hatte selbst vier Jungs im Teenageralter. Rob und ich vertrauten ihr in Bezug auf Asher absolut, aber bei Madison war das etwas schwieriger. Sie war ein Frühchen gewesen, das über einen Monat auf der Neugeborenen-Intensivstation verbracht hatte. Jetzt, mit zehn Monaten, ging es ihr wunderbar … doch für mich würde sie immer dieses winzige Dreieinhalb-Pfund-Baby bleiben, das um Atem rang, während Schläuche sich um seinen Körper wanden.

Aber es wurde Zeit. Mental und emotional brauchte ihre Mama mal eine Pause.

»Schwachsinn.« Jessica lachte. »Du tigerst schon den ganzen Tag im Haus auf und ab, habe ich recht?«

Ich spähte zum wiederholten Mal aus dem Küchenfenster, um nach Evelyn und Madison zu sehen, die auf einer Decke im Gras saßen. »Was? Nein. Tue ich nicht.«

»Lügnerin.«

Eine Bewegung an der Garagentür erregte meine Aufmerksamkeit. Robs dunkelbraune Augen fingen sofort meinen Blick ein, dann schenkte er mir ein schelmisches Lächeln. So sah er mich immer an – hingerissen und beinahe ehrfürchtig.

Meine Wangen wurden heiß, als er langsam auf mich zukam, während sein Blick über meinen Körper glitt und an all den richtigen Stellen verharrte.

»Jess, ich muss jetzt auflegen.«

»Schön. Eason sollte jeden Moment auftauchen, um Luna abzugeben. Könnte sein, dass Rob das mit dem Album bereits gehört hat, aber erzähl bitte keinem von beiden, dass ich mit dir darüber geredet habe.«

»Mmhm«, brummte ich, die Zähne in der Unterlippe vergraben, weil mein muskulöser Mann mit geradezu raubtierhafter Eleganz auf mich zuschlich. »Wir sehen uns heute Abend.« Dann legte ich auf, ohne mich zu verabschieden.

Rob zog mir das Telefon aus der Hand und legte es auf die Arbeitsfläche. Anschließend schlang er den Arm um meine Taille, um mich an sich zu ziehen. »Wow«, flüsterte er, und sein Atem glitt über meine Lippen, »du siehst toll aus!«

»Übertreib nicht. Es ist nur ein Sommerkleid«, antwortete ich und lächelte an seinen Lippen. Um genau zu sein, war es das Sommerkleid, das ich am wenigsten mochte. Das gelb-braune Blumenmuster stand mir nicht besonders, aber ich war die letzten Schwangerschaftspfunde immer noch nicht los, also gehörte es zu den wenigen Kleidern, die mir momentan passten.

Früher war ich einmal Geschäftsfrau gewesen – daher bestand meine Garderobe überwiegend aus Bleistiftröcken und Blazern. Nun war ich Hausfrau und Mutter von zwei Kindern. An guten Tagen trug ich Hosen mit Bund.

Rob schob eine Hand unter den Saum meines Kleides und drückte meinen Hintern. »Verwende niemals das Wort nur, wenn es um dich in diesem Kleid geht.«

»Soll das heißen, dass dir dieses Kleid …«

»Mom!«, schrie Asher von oben.

Rob stieß ein Stöhnen aus, dann ließ er den Kopf in den Nacken sinken und starrte an die Decke. »Dieser Junge hat wirklich einen siebten Sinn, der ihm verrät, wann ich seine Mutter anmache.«

»Das hast du jetzt davon, deinen kleinen Doppelgänger produziert zu haben. Er weiß einfach, wann du etwas im Schilde führst.«

Einer seiner Mundwinkel hob sich zu einem atemberaubend schiefen Lächeln. »Ach, und es wäre gut geworden, Bree. Wirklich gut.«

»Das versprichst du mir immer. Aber was die Ausführung angeht, warte ich noch.«

Er starrte mich gespielt beleidigt an, doch das Glitzern in seinen Augen verriet mir, dass ich nach unserer Rückkehr nach Hause mit einer überfälligen leidenschaftlichen Nacht rechnen durfte.

Lachend antwortete ich unserem Sohn: »Ja, mein Großer?«

»Ist das Essen bald fertig? Es ist illegal, Kinder verhungern zu lassen, weißt du.«

Jepp. Das war mein Junge. Fünf Jahre alt und genauso schlecht gelaunt wie seine Mama, wenn er Hunger hatte.

»In zwei Minuten!«, rief ich zurück. In diesem Moment klingelte es an der Tür.

Rob zog die Augenbrauen hoch. »Hat er nun Verstärkung angefordert?«

»Ich glaube, das ist Eason. Jessica meinte, er wäre unterwegs.«

Robs Lächeln kehrte zurück, danach stahl er sich noch einen Kuss. »In diesem Fall … Eason kann warten. Also, wo waren wir?«

Ich wich seinem Mund aus. »Du öffnest deinem erwachsenen Kind die Tür, und ich werde unser tatsächliches Kind füttern, bevor es noch die Polizei ruft.«

»Hey, sei heute nett«, ermahnte mich Rob. »Eason plant diesen Abend schon seit einer Weile.«

»Ich bin doch immer nett.«

Er runzelte die Stirn, dann zog er los, wobei er über die Schulter zu mir sagte: »Genau. Natürlich. Einen Mann ein erwachsenes Kind zu nennen ist der Inbegriff der Freundlichkeit. Bestimmt wirst du auch bald heiliggesprochen.«

Ich verdrehte die Augen, auch wenn ich gleichzeitig ein schlechtes Gewissen hatte.

Schön. Stimmt. Manchmal war ich nicht gerade nett zu Eason. Aber ich hasste ihn nicht. Er war ein guter Kerl; er hielt anderen die Tür auf und achtete darauf, dass sich alle an den Gesprächen beteiligten, die er gut gelaunt dominierte. Mit seinem sandblonden Haar, den karamellfarbenen Augen und dem schiefen Lächeln, bei dem die Frauen dahinschmolzen, hatte er Jessica gleich für sich gewonnen. Und angesichts von Jessicas atemberaubendem Aussehen und ihrer Schlagfertigkeit war Eason ihr sofort verfallen.

Theoretisch war es der Traum eines jeden Highschoolmädchens, dass die beste Freundin den besten Freund des eigenen Manns heiratete.

Doch das galt nicht, wenn es um diese beiden ging.

Jessica hatte ein schweres Leben gehabt. Und wem auch immer es bestimmt war, mit Eason zusammen zu sein, erwartete ebenfalls ein hartes Leben – weil er sich entschieden hatte, einem so gut wie unerfüllbaren Traum hinterherzujagen. Zu Beginn hatten die beiden miteinander gelacht, wilde Nächte verbracht und sich ständig tief in die Augen gesehen. Doch ein positiver Schwangerschaftstest und das Aus von Easons Karriere hatten sie auf eine harte Probe gestellt – und ich hatte immer geahnt, dass es so kommen würde.

Aber ihre Beziehung ging mich nichts an – oder zumindest versicherte mir das mein Mann immer wieder.

Mit einem Topflappen zog ich die selbst gemachten herzförmigen Nuggets aus dem Ofen und ließ sie zum Abkühlen auf einen Teller gleiten.

»Essen ist fertig!«, rief ich zu Asher nach oben. »Wasch dir die Hände, bevor du runterkommst.«

Der verräterische Knall, als er aus seinem Bett sprang, verriet mir, dass er mich gehört hatte – obwohl ich ihn tausendmal gebeten hatte, es nicht zu tun. Das war natürlich nur eine Vermutung.

Eason schlenderte mit meinem zweitliebsten Mädchen auf der ganzen Welt auf der Hüfte in die Küche und grinste breit. »Hey, Bree«, begrüßte er mich und zog mich in seine übliche Umarmung. Und er wäre nicht Eason gewesen, wenn er mich nicht zum Abschluss noch fest gedrückt hätte. »Wie geht’s dir denn?«

»Alles gut«, flötete ich, als ich mich ungeschickt aus seinem Halt befreite. Ich richtete den Blick auf meine Patentochter, klatschte einmal in die Hände und streckte ihr dann die Arme entgegen. »Komm her, meine Süße.«

Eason reichte mir Luna voll väterlichem Stolz. Sosehr er in beruflicher und finanzieller Hinsicht auch zu kämpfen hatte, er liebte seine Tochter wirklich über alles.

»Oh, du siehst aber hübsch aus! Ist das neu?«, fragte ich Luna und rückte die Spitze am Ärmel ihres mit einem Monogramm bestickten rosa Kleidchens zurecht. Ich wollte mir nicht mal ausmalen, um wie viel Jessica das Konto überzogen hatte, um das zu kaufen.

Eason strich sich über die Brust seines grauen Henley-Shirts. »Ach, Bree. Danke, dass du das bemerkt hast. Du siehst auch gut aus. Ist das Jessicas Kleid?«

»Ähm, nein. Das ist mein Kleid, das Jessica sich ausgeliehen hatte. Ich musste quasi eine Tom-Cruise-artige Mission impossible durchziehen, um es letzte Woche endlich zurückzubekommen. Deine Frau ist eine Kleiderdiebin, aber ich habe ihr diese Schuhe geklaut, als ich bei euch war, also sind wir quitt.«

Schmunzelnd zog Eason ein Nugget vom Teller und warf es sich in den Mund. Ich sparte mir die Mühe, ihn zu warnen, dass sie noch heiß waren. Ja, meine Heiligsprechung stand auf jeden Fall kurz bevor.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, keuchte er und kaute mit offenem Mund.

Amüsiert beobachtete ich sein Leiden, während ich Luna auf der Hüfte wippte. »Willst du noch eins?«

»Mmmm. Danke, aber ich glaube, ich verzichte auf weitere Chicken Nuggets aus Lava.«

»Das sind Gemüse-Nuggets.«

Er verzog den Mund. »Das erklärt den grasigen Nachgeschmack.«

Ich schüttelte den Kopf, denn ehrlich … meistens konnte man einfach nicht anders auf Eason reagieren.

»Onkel Eason!« Asher übersprang die letzten drei Treppenstufen, womit er mir meinen täglichen Herzinfarkt verpasste.

»Was ist los, kleiner Mann?«, fragte Eason und sank in die Hocke.

Nach dem komplizierten Handschlag, an dem sie arbeiteten, seitdem mein Sohn drei Jahre alt war, beendeten sie das Ritual mit einem High Five hinter dem Rücken.

»Rate mal!«, meinte Asher.

Eason zögerte keine Sekunde. »Du hast ein Fossil im Garten gefunden, das zu einer neuen Spezies von Dinosauriern gehört. Da er keine Zähne hat, scheint dieser Dino freundlich gewesen zu sein, also haben Wissenschaftler beschlossen, ihn mithilfe seiner DNA neu zu züchten, in der Hoffnung, diese Art zu zähmen und als neues Transportmittel zu verwenden, sodass wir weniger kostbare … nun ja, fossile Energieträger verwenden müssen.«

Asher rümpfte auf wunderbare Art seine sommersprossige Nase. »Was? Nein!«

»Mist!«, hauchte Eason, den Blick versonnen in die Ferne gerichtet. »Ich hatte mich schon darauf gefreut, einen Asherosaurus zu reiten.«

Mein Sohn lachte Tränen, eine typische Reaktion, wann immer sein liebster und einziger »Onkel« anwesend war. Eason lachte mit ihm, dann folgte eine verkürzte Version ihres geheimen Handschlages.

»Okay, ihr beiden«, unterbrach ich sie. »Ash, setz dich an den Tisch.«

»Tu es nicht«, flüsterte Eason aus dem Mundwinkel. »Das sind Gemüse-Nuggets, die eventuell mit Grasschnitt angefertigt wurden.«

»Jaaaaa! Ich liebe Gemüse-Nuggets.«

Eason bedachte ihn mit einem schiefen Blick. »Junge, irgendetwas stimmt nicht mit dir. Das war’s. Morgen, wenn ich Luna wieder abhole, bringe ich dir herkömmliche Chicken Nuggets von Mickey D. Mit all diesem Gemüsezeug kriegst du nie Haare auf der Brust.«

Mein Sohn, ausgestattet mit dem fast schwarzen Haar und den ebenso dunklen Augen seines Vaters, widersprach heftig: »Igitt. Ich will keine Haare auf der Brust!«

»Eines Tages wirst du welche kriegen.«

»Nein, werde ich nicht. Dad hat auch keine Haare auf der Brust.«

»Also, das ist seltsam. Jeder Mann hat Haare auf dem Körper. Vielleicht solltest du dir das nächste Mal, wenn er duscht, seinen Hintern anschauen.«

»Iiiiiiiiiiiiiihhh!«, schrie Asher, laut genug, dass Luna in meinen Armen zusammenzuckte.

»Oooo-kay«, meinte ich gedehnt und gab Eason seine Tochter zurück. »Das war genug Haar- und Hintern-Gerede für einen Tag … oder vielleicht sogar für immer.« Ich schnappte mir einen Teller aus dem Schrank und rief: »Rob, bitte komm und rette mich!«

Eason, der gerade den universellen Schritt-Schritt-Wipp-Babyberuhigungstanz aufführte, zog mit der freien Hand den Kragen seines Shirts nach unten, um sein ordentlich gepflegtes Brusthaar zu enthüllen, bevor er in Ashers Richtung »McNuggets« flüsterte.

Wie aufs Stichwort betrat Rob die Küche und schlug seinem besten Freund auf den Rücken. »Hör auf, meine Frau zu schikanieren.« Und auch er schnappte sich ein Nugget vom Teller. Das immer noch zu heiß war. Also keuchte er ebenfalls eine Weile mit offenem Mund, ehe er eine angewiderte Grimasse zog: »O Gott, was ist das denn Scheußliches?«

»Es ist Gemüse, Schatz. Sei vorsichtig, sonst bekommt dein Körper einen Schock.« Sobald ich eine Handvoll Nuggets, ein paar Babykarotten und eine halbe Banane auf Ashers Teller drapiert hatte, reichte ich den Teller an Rob weiter.

Er trug ihn zum Tisch. »Okay, ich habe Lunas Spieltasche ins Gästezimmer gestellt. Ich fühle mich schlecht. Vielleicht sollten wir Luna doch besser bei Madison unterbringen, damit sie nicht so allein ist?«

»Nicht wenn du willst, dass die beiden schlafen.« Ich lehnte mich mit der Hüfte gegen die Arbeitsfläche. »Zwei Babys-Querstrich-zukünftige-beste-Freundinnen werden niemals schlafen, wenn sie sich gegenseitig sehen können.«

Rob trat vor Eason, um Luna am Bauch zu kitzeln. »Ist es für Jessica auch echt okay, dass Luna heute Nacht hierbleibt?«

Eason lachte leise. »Falls nicht, hat sie wirklich ihre Zeit damit verschwendet, siebenundzwanzig Outfits, Schnuller, Flaschen und auch einen Wintermantel einzupacken, obwohl wir Mitte Mai haben.« Er sah auf die Uhr. »Und wo wir gerade dabei sind, ich sollte wieder verschwinden. Ich muss noch ein paar Dinge einkaufen.« Er küsste Luna ungefähr ein Dutzend Mal auf das Köpfchen, bevor er sie widerwillig an Rob übergab. Dann sah er mich an. »Jess hat mich angewiesen, mir von dir den guten Champagner mitgeben zu lassen.«

Die Scham in seiner Stimme war für alle im Raum deutlich zu hören.

Und ich wollte verdammt sein, wenn meine Schuldgefühle sich nicht vertieften. »Oh. Na klar. Ich hole …«

»Nimm den Dom«, unterbrach mich Rob.

Eason schnaubte. »Den nehme ich nicht für einen Spieleabend. Spart euch den für …«

Rob neigte herausfordernd den Kopf. »Ich habe gesagt, nimm den P3 Rosé. Ach, und schnapp dir gleich noch den Bollinger.«

Ich riss die Augen auf. Grundgütiger, die beiden Flaschen mussten mindestens dreitausend Dollar wert sein!

Rob und ich kamen gut zurecht – ehrlich gesagt mussten wir wirklich nicht über Geldprobleme klagen. Mein ehemaliger Nebenverdienst – individuelle Steppdecken für die Mädchen in meinem Studentenwohnheim zu nähen – hatte kurz nach meinem Abschluss in Betriebswirtschaftslehre eine Eigendynamik entwickelt. Ich hatte Bree’s Blankets in Prism Bedding umbenannt, war in die Massenproduktion eingestiegen und hatte Kaufhäuser im ganzen Land beliefert. Ich liebte meinen Job … aber kaum hatte ich meinen kleinen Jungen in den Armen gehalten, war ich nicht mehr mit Herzblut bei der Sache gewesen. Um die Firma zu behalten, hatte Rob den Posten als CEO übernommen und kurz darauf einen Auftrag von der größten Hotelkette in Nordamerika an Land gezogen. Gemäß dem achtstelligen Deal belieferten wir nun alle fünftausend ihrer Hotels mit für sie gefertigten Überdecken. An diesem Abend hatten wir in einer Penthouse-Suite in Las Vegas gefeiert, mit jeweils einer Flasche Dom und Bollinger.

Aber wenn Jessica mir nicht wichtige Infos über die heutige Feier für Eason vorenthalten hatte, war ich mir nicht sicher, ob dafür wirklich Dom und Bollinger nötig waren.

Anscheinend teilte Eason meine Einschätzung. »Hast du den Verstand verloren?«

Rob schüttelte den Kopf. »Mein bester Freund ist ein musikalisches Genie, das beschlossen hat, die größten Künstler der Welt an seinen Songs teilhaben zu lassen, bevor er weitere schreibt und als Solokünstler die gesamte Branche beherrschen wird. Ich habe nicht einen ganzen Sommer in einem Ford-Aerostar-Van Baujahr 1992 verbracht und nur zweimal die Woche geduscht – mit ihm zusammen –, um mit schlechtem Champagner auf seine zukünftigen Erfolge anzustoßen. Ende der Diskussion.« Damit tätschelte er Eason die Schulter und trug Luna aus der Hintertür zu Evelyn.

»Meine Güte!«, hauchte Eason und massierte sich den Nasenrücken. »Als wäre es nicht schon schlimm genug, Champagner von euch anzunehmen! Jetzt muss ich auch noch eine halbe Million für das Zeug auf meine Schuldenliste schreiben.«

Ich schenkte ihm ein angespanntes Lächeln. »So teuer ist er nun auch wieder nicht. Aber solltest du tatsächlich zum größten Künstler der Gegenwart aufsteigen, wie er es von dir erwartet, nehmen wir gern eine halbe Million von dir.«

Er schnaubte. »Das kann dauern.«

Was mir durchaus klar war … Doch wenn Rob solches Vertrauen in Eason hatte, konnte ich zumindest in den Keller gehen und den Champagner holen.

3

Eason

Ich schüttete gerade die letzten Chips in eine Schüssel, als es an der Tür klingelte. »Jess?«

»Ja, ich gehe schon.«

Den Blick auf mein Werk gerichtet, wischte ich mir die Hände am Handtuch neben der Spüle ab. Chips mit selbst gemachter Salsa, irgendwelcher Käse, von dem die Dame im Supermarkt mir versprochen hatte, er wäre köstlich, zusammen mit einem Teller edler Cracker, die in meinen Augen wenig appetitanregend aussahen. Es war nicht perfekt. Insgesamt hatte das alles weniger als zwanzig Dollar gekostet. Aber es sah gut aus … und das reichte, um meine Frau zu befrieden.

»Wie läuft’s?«, fragte Rob, als er mit einer Flasche Wein den Raum betrat. Als wäre der Champagner nicht schon schlimm genug gewesen.

»Was ist das?«

»Ein Geschenk für unsere Gastgeber.«

Ich bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Ernsthaft?«

Lachend schüttelte er den Kopf. »Mach keinen Ärger. Bree hat darauf bestanden. Außerdem hat eine zusätzliche Flasche Wein noch nie geschadet.« Er zog die Augenbrauen hoch und warf einen pointierten Blick zu den Frauen, die bereits um den Couchtisch standen, den ich in eine improvisierte Bar verwandelt hatte.

Jessica grinste breit, also ignorierte ich meine Irritation über die unnötige Großzügigkeit meines besten Freundes, nahm die Flasche und stellte sie in den Kühlschrank.

»Darf ich dir einen Scotch anbieten?«

Wieder hob er die Augenbrauen. »Erwartest du heute Abend von mir, dass ich Pictionary spiele?«

Schmunzelnd setzte ich mich in Richtung Bar in Bewegung. »In Ordnung, du kriegst einen doppelten.«

Zusammen gingen wir zu den Damen, wo ich Bree in eine Umarmung zog. »Hey, lange nicht gesehen.« Wie gewöhnlich stand sie steif in meinen Armen, aber ich hatte schon vor langer Zeit aufgehört, mir etwas dabei zu denken. »Wie ging es den Kindern, als ihr aufgebrochen seid?«

Rob hustete. »Rede.« Noch ein Husten. »Nicht von.« Er räusperte sich. »Den Kindern.« Dann grinste er seine Frau an. »Champagner oder Wein, mein Schatz?«

Bree verdrehte die Augen. »Es geht mir gut. Hör auf, so ein Gewese darum zu machen.«

»Natürlich geht es dir gut, Liebling«, flötete Rob mit einem Zwinkern in meine Richtung. »Champagner?«

Nach dem Öffnen einer Flasche, die quasi mehr gekostet hatte als meine Hypothek, und einem kurzen Toast auf mich – begleitet von irgendwelchem Gefasel über Neuanfänge und eine wunderbare Zukunft – teilten wir uns auf. Jessica führte Bree in Lunas Kinderzimmer, um ihr das Buchstabenmobile zu zeigen, das wir über dem Bettchen aufgehängt hatten, während Rob und ich in meine Festung der Ruhe schlenderten, die ich mir mit Jessicas Auto teilte – die Garage.

Lange bevor er Dolce&Gabbana-Anzüge getragen und sich einen Porsche gekauft hatte, waren Rob und ich zusammen aufgewachsen. Nachmittags hatten wir mit anderen Kindern im Park Basketball gespielt, denn unsere Eltern hatten viel arbeiten müssen, damit wir alle genug zu essen hatten. Er hatte mich verarscht, als ich als Teenie bei einem Garagenflohmarkt ein altes Keyboard gefunden und Stunden damit verbracht hatte, mir das Spielen beizubringen. Als ich angefangen hatte, meine eigenen Songs zu schreiben und zu singen, hatte er auch auf mir herumgehackt. Aber sobald ich im College meine ersten Auftritte hatte, war er zu meinem größten Fan mutiert.

Im Sommer unseres zweiten Jahrs an der University of Georgia hatte Rob sich den heruntergekommenen ’92er-Minivan seiner Großmutter ausgeliehen und meine erste Konzerttour gebucht. Okay, diese sogenannte Tour hatte aus fünfzehn Open-Mic-Nights im ganzen Staat bestanden. Bei vielen davon waren Rob und die Barkeeper mein einziges Publikum gewesen, aber verdammt, in diesem Sommer hatte ich endgültig herausgefunden, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen wollte!

Kurz darauf hatte ich das College geschmissen und begonnen, einen Song nach dem anderen zu schreiben und überall aufzutreten, wo es nur möglich war – und so wurde mein Album Solstice in the ’92 aus der Taufe gehoben.

Rob hatte immer an mich geglaubt, selbst in Zeiten, als ich kurz davorgestanden hatte, das Handtuch zu werfen. Was der Grund war, warum ich der Wahrheit auswich, als er endlich aufhörte, über einen neuen Kerl in der Firma zu wettern, und fragte: »Also, wie fühlst du dich wirklich dabei, die Songs zu verkaufen?«

Ich ließ den Scotch in meinem Glas wirbeln, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. »Es ist gut für die Familie.«

»Aber ist es auch gut für dich?«

Ich zuckte mit den Achseln. »In den letzten Jahren habe ich viel Gutes erfahren. Jetzt sind andere dran.«

Seine Lippen wurden schmal. Zweifellos lag ihm bereits die nächste aufmunternde Rede auf der Zunge. Doch ich war nicht in der Stimmung. Beim heutigen Abend ging es um ein paar Stunden voller Spaß und Unbeschwertheit. Ein paar Stunden voller Lachen, um uns alle von der realen Welt abzulenken.

Oder, in meinem Fall, ein paar Stunden, um meine Probleme in Alkohol zu ertränken.

»Lass uns wieder zu den Damen gehen. Jess und ich haben eine Partie Pictionary zu gewinnen.«

Rob stieß ein bellendes Lachen aus. Offensichtlich hatte er meine Ausweichtaktik durchschaut. Aber er ließ mich damit durchkommen. So war er eben.

Genau wie im Spiel des Lebens verloren Jessica und ich die erste Runde. Ich vermutete stark, dass Bree entweder schummelte oder telepathische Kräfte entwickelt hatte. Auf keinen Fall hatte sie Apfelpflücken anhand von Robs Zeichnung eines verdammten Baumes erraten, der ehrlich mehr aussah wie ein Gebüsch und an dem keine einzige Frucht hing. Das lieferte Anlass für lustige Kabbeleien und erhöhte den Einsatz für Runde zwei, also sagte ich nichts.

»Gehen. Schweben. Magie wirken!«, schrie Jessica.

»Nein. Das.« Ich stach mit dem Stift neben meine kunstvolle Zeichnung eines seilspringenden Strichmännchens.

»Ich weiß es nicht! Mal etwas anderes.«

Ich packte Jessica am Arm, um sie näher ans Papier zu ziehen, als hätte der knappe Meter zwischen uns ihre Sicht behindert. »Das. Das hier.« Ich deutete auf das Sprungseil.

»Nicht reden!«, ermahnte mich Rob, hielt sich die kleine Sanduhr vor die Nase und wartete, dass das letzte Sandkorn fiel. Er grinste bereits triumphierend.

Ich ignorierte ihn und meinte frustriert: »Süße, Liebling, mein Schatz, schau doch …«

Weiter kam ich nicht, bevor die Zeit für uns alle abgelaufen war.

Mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte das ganze Haus.

Ich konnte mich nicht erinnern, gefallen zu sein, aber im nächsten Augenblick lag ich auf dem Boden, bedeckt von Trümmern. Meine Ohren klingelten, als ich mit verschwommenem Blick versuchte, mich zu orientieren. Doch nichts um mich herum ergab Sinn. Als ich mich auf den Rücken rollte, erkannte ich ein riesiges Loch in der Decke. Dämmmaterial und Kabel hingen herunter, und Flammen züngelten um die Stützbalken wie Blitze, die über den Himmel sausten.

»Scheiße«, hauchte ich und schlug die Hände an den Kopf, als könnte ich so meine Gedanken ordnen. »Jess …« Ich hustete. Rauch brannte in meiner Kehle. »Jessica.« Plötzlich bohrte sich ein schrecklicher Gedanke in mein vernebeltes Hirn. »Luna!« Abrupt setzte ich mich auf.

Nein. Moment.

Ich schüttelte den Kopf. Erinnerungen stiegen aus meinem Unterbewusstsein auf. Luna war nicht hier. Sie war bei … Scheiße!

»Rob! Bree!«

Es herrschte unheimliche Stille.

Kein Weinen.

Keine Schreie.

Keine Hilferufe.

Und in dieser Sekunde war diese Stille das unheimlichste Geräusch überhaupt.

Verzweiflung und Adrenalin kollidierten in meinem Körper. Mit einem angestrengten Stöhnen gelang es mir, mich auf die Beine zu kämpfen. Hitze leckte über mein Gesicht, als ich versuchte, in dem Chaos mein Gleichgewicht zu finden. Meine Umgebung wirkte dunkel und gleichzeitig gleißend hell. In den Schatten der tanzenden Flammen sah ich die leere Stelle, an der einmal die Couch gestanden hatte, auf der Bree und Rob gesessen hatten.

Das Möbelstück war weg.

Alles war weg, verdammt noch mal!

»Jessica!!!«, brüllte ich in die Leere. Sie hatte direkt vor mir gestanden. Also konnte sie nicht weit weg sein. Ich geriet in Panik. Danach sank ich auf die Knie und fing verzweifelt an, mich durch die Trümmer zu graben. Blut rann über meine Hände, als scharfe Bruchstücke von was auch immer meine Haut aufrissen.

Ich musste sie finden und hier rausbringen und dann zurückkommen und Rob und Bree finden und auch sie irgendwie nach draußen schaffen.

In den ersten paar Sekunden schien alles möglich. Ich konnte nach wie vor nicht verarbeiten, was geschehen war. Es war schlimm … aber die Menschen zu verlieren, die ich liebte, erschien mir einfach nicht realistisch. Doch je weiter das Feuer sich ausbreitete, desto mehr wuchs meine Angst.

Rauch raubte mir die Sicht, bis ich blind suchen musste. Verzweifelt ließ ich die Hände über den Boden gleiten, wo Jessica vielleicht sein konnte.

Wo ich betete, sie zu finden.

Wo sie verdammt noch mal sein musste.

Als ich endlich eine Hand fand, schlug eine Welle der Erleichterung wie ein Tsunami über mir zusammen, so heftig, dass ich beinahe auf den Hintern gefallen wäre. »Jessica!«, presste ich keuchend und würgend hervor.

Ich hatte keine Ahnung, ob sie verletzt war oder noch atmete, aber ich hatte sie gefunden. Jetzt musste ich unbedingt von hier verschwinden. In einer schnellen Bewegung zog ich sie in meine Arme und setzte mich in Richtung Tür in Bewegung, wobei allein meine Erinnerung mich durch ein Zuhause führte, das nicht mehr existierte.

Wir hatten die Eingangstür so gut wie erreicht, als ich über etwas stolperte. Fast hätte ich Jessica fallen lassen. Reine Entschlossenheit hielt mich auf den Beinen.

Einen Schritt weiter, eine Sekunde später, eine falsche Bewegung, und ich hätte sie nicht gesehen. Ihr Körper lag unter einem Haufen zerstörter Möbel, aber ihr dunkles Haar ergoss sich über den Boden.

O Gott. Bree.