Funken in der Dunkelheit - Cecelia Ahern - E-Book
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Cecelia Ahern

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Beschreibung

Drei Geschichten der Bestsellerautorin voller Hoffnung und Wunder

Mit der Kurzgeschichtensammlung »Solange du mich siehst« und der Erzählung »Der Ghostwriter« zeigte Cecelia Ahern bereits 2012 und 2015, dass sie ungewöhnliche Geschichten erzählen kann. Immer wieder beschert die Autorin in diesen Geschichten Gänsehautmomente: Verhangene Spiegel und Maschinen, die Erinnerungen verändern können, verbergen Dunkles; ein Schriftsteller bekommt unverhofft Hilfe, muss dafür jedoch einen hohen Preis zahlen. Jede dieser Kurzgeschichten birgt ein mystisches Element, und trotz aller unheimlichen Momente schafft es die Bestsellerautorin, hoffnungsvoll zu erzählen.

»Gänsehautmomente inklusive!« NDR

»Voller Magie und Charme.« Glamour 

»Außergewöhnlich und berührend.« Daily Express

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© Cecelia Ahern 2010/2011, 2013

Titel der englischen Originalausgaben:

»Girl in the Mirror«, HarperCollins, London 2011;

»Herman Banks and The Ghost Writer«, 2013

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2023

© für die deutschen Übersetzungen von Christine Strüh und Barbara Christ:

S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010/2011 (»Solange du mich siehst«), 2013 (»Der Ghostwriter«)

Die Übersetzungen erschienen erstmals 2010/2012, 2013 im Krüger Verlag,

einem Unternehmen der S. Fischer Verlag GmbH:

»Solange du mich siehst«: »Im Lächeln der Erinnerung«: Christine Strüh,

»Das Mädchen im Spiegel«: Barbara Christ, »Der Ghostwriter«: Christine Strüh

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Umschlagabbildung: © Claire Desjardins

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe

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Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen:

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Der Ghostwriter

Novelle

Widmung

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

Solange du mich siehst

Widmung

Im Lächeln der Erinnerung

Das Mädchen im Spiegel

Motto

Juli 1992

Juli 2010

Nachwort

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Der Ghostwriter

Novelle

Aus dem Englischen von Christine Strüh

Für Susanne Halbleib. Danke …

I

Sein Name war Herman Banks.

Von einer reichen alten Tante namens Barbarella Weissman, die er dem Namen nach kannte, aber nie gesehen hatte, erbte Herman sechstausend Dollar. Seine sechs Geschwister sowie vierzehn Cousins und Cousinen bekamen das Gleiche. Die kannte Herman natürlich allesamt persönlich, aber auch keiner von ihnen war der lieben Ella, die auf diese Weise heimlich und leise die Zukunft ihrer Nachfahren beeinflusste, jemals begegnet. Hermans Bruder Hank – er nannte sich tatsächlich Hank Banks, obwohl er eigentlich Henry hieß – kaufte sich, kaum dass er achtzehn geworden war, von dem ganzen Geld, abzüglich der Ansprüche, die ihr Vater darauf erhob, einen alten Chevy. Bei dem Deal ließ er sich aber dermaßen über den Tisch ziehen, dass nicht nur sein Erbe, sondern auch sein Erspartes und sein Arbeitslohn dafür draufgingen, das Ding überhaupt nur straßentauglich zu machen.

Herman war anders. Er war drei Jahre jünger als Hank und infolgedessen auch drei Jahre weiter davon entfernt, seine Flucht aus dem Farmhaus in Missouri in Angriff nehmen zu können. Im Sommer half er bei der Maisernte, im Winter schleppte er Heu, und dazwischen bemühte er sich, seine Pflichten möglichst schnell zu erledigen, um Zeit für die Schule zu haben. Der Schulbesuch hatte in seiner Familie keinen hohen Stellenwert, aber Herman sehnte sich regelrecht danach – nicht so sehr wegen des Unterrichts, sondern vielmehr wegen der langen Busfahrt durch die Maisfelder, die er sogar im Schlaf vor sich sah und nun endlich hinter sich lassen durfte. Schule bedeutete, dass er ausbrechen konnte; das Lernen war eher ein Nebeneffekt. Während Hank jeden Abend mit einem anderen Mädchen in seiner alten Schrottkarre durch die Gegend gondelte, hatte Herman Zeit, zu beobachten, zu überlegen, zu planen.

Als auch Herman mit achtzehn endlich sein Erbe in die Finger bekam, kaufte er damit – nach den entsprechenden familiären Abzügen – einen Verkaufsstand für frisch gepressten Orangensaft, eine Sandwich-Bude und zum blanken Entsetzen seines Vaters ein Grundstück, auf dem er Sojabohnen anpflanzte. Dann investierte er in eine zukunftsträchtige Computertechnologie, und ein gutes Dutzend weiterer kluger Entscheidungen führte dazu, dass er im Lauf der Jahre ein Vermögen anhäufte. Unter dem Namen Herman Banks Organization machte seine Dachgesellschaft mit ihren weltweit operierenden Unternehmen im Bereich Immobilien, Einzelhandel, Gewerbe, Hotellerie und Golf noch auf dem Tiefpunkt der weltweiten Rezession Profit, sodass Herman inzwischen über ein Privatvermögen von zwei Milliarden Dollar verfügte. Nach wie vor faszinierte es ihn, wie das simple Bedürfnis, der Enge seiner Herkunft zu entfliehen, einen Menschen dazu bringen konnte, ein Potenzial freizusetzen, das niemand in ihm vermutet hätte.

Herman war ein guter Mann, der seine Mitmenschen ehrlich und fair behandelte. Er war der Jüngste von sieben Geschwistern und überzeugt, dass er seinen geschäftlichen Erfolg in erster Linie diesem Umstand verdankte: Dadurch, dass er so viel beobachtet und außerdem gelernt hatte, mit fünf großen Schwestern zu überleben, hatte er ein nahezu untrügliches Gespür dafür entwickelt, wie er mit fast jedem Menschen fast überall auf der Welt Geschäfte machen konnte, die ihm fast immer Gewinn einbrachten. Inzwischen war er vierundfünfzig, eine Legende der Geschäftswelt, besaß eine Wohnung an der New Yorker Upper East Side, eine Karibikinsel und mehrere Häuser in fünf verschiedenen Ländern, galt als Finanz- und Medienmogul, wurde als potenzieller Präsidentschaftskandidat gehandelt, befand sich kurz gesagt auf der Höhe seiner Karriere – und trotzdem plagte ihn etwas.

Es waren nicht die noch ausstehenden Geschäfte, nicht die unsichere Marktlage, es lag auch nicht daran, dass er vor Kurzem – schweren Herzens – den Kontakt zu seinem Bruder abgebrochen hatte, der immer auf die falschen Pferde gesetzt hatte und jetzt wahrscheinlich ziellos durch die Straßen von New York irrte, bereit, jedem x-Beliebigen seine Seele für den nächsten Heroinschuss zu verkaufen.

Natürlich machte Herman sich Sorgen um seinen Bruder, aber das war es nicht, was ihm am meisten zusetzte. Nicht einmal die Sache mit seiner Frau, die ihm soeben offenbart hatte, dass sie eine Affäre gehabt hatte, eine viermonatige Affäre mit ihrem Personal Trainer, einem widerwärtigen langhaarigen Schönling, der jeden Morgen schweißtriefend in Hermans Wohnung ein- und dann wieder davongeschwebt war, mit einem Ausdruck im Gesicht, den Herman nicht einordnen, aber auch nicht leiden konnte. Herman wollte den Namen des Kerls nicht wissen, wollte im Grunde nicht einmal seine Existenz zur Kenntnis nehmen, und es graute ihm bei dem Gedanken, was er tun würde, wenn er ihn je noch einmal zu Gesicht bekam. Er kam sich nicht gern dumm vor, aber momentan fühlte er sich wie der letzte Idiot. Vielleicht war er das ja auch. Er liebte seine Frau sehr, und das Geständnis, dass sie ihm untreu gewesen war, hatte ihn getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war sie halb so alt wie Herman, er wusste, dass man ihre Beziehung als Geschichte aus dem Lehrbuch ansehen konnte – dass es für einen Mann seines Alters vorhersehbar gewesen war, sich in sie zu verlieben. Vielleicht hatten die Lehrbücher ja recht, vielleicht machte er tatsächlich eine Art Midlife-Crisis durch. Vielleicht lebte er in einer anderen Realität als die meisten anderen Menschen, aber er liebte seine Frau ehrlich, und jedes Wort, das er bei ihrer Hochzeit vor zwei Jahren in der Kirche gesagt hatte, war ernst gemeint. Er spürte, dass es auch bei ihr so war, und in den tränenreichen, hasserfüllten Auseinandersetzungen, mit denen sie sich regelmäßig die Nächte um die Ohren schlugen, seit er von ihrer Untreue erfahren hatte, beteuerte sie immer wieder, dass sie ihn liebte, aber dass seine ständige Abwesenheit, sein besessenes Arbeiten, seine Sucht, Geld zu machen – so drückte sie es aus –, dazu geführt hatten, dass sie sich »isoliert«, »verletzlich« und »ungeliebt« fühlte. Er nahm sie angeblich nicht wahr, er hörte ihr nicht zu, er wurde von seiner Arbeit aufgefressen. Neben »Es tut mir so leid« war diese Erklärung ihr Mantra geworden.

Aber es war nicht dieses jüngste persönliche Desaster, das ihm schlaflose Nächte bereitete, ihn bei der Arbeit ablenkte und ihn in manchen Meetings desinteressiert erscheinen ließ. Nein, es war die tiefe Leidenschaft, die in ihm loderte, seit er als Jugendlicher in die Scheune geflohen war und sich im Heu versteckt hatte, um einen Moment Ruhe vor der verhassten körperlichen Schufterei zu haben und in die Welt von Hemingway oder Joyce, Dickens oder Steinbeck zu entfliehen. Schon seit jeher waren Bücher seine Rettung gewesen, und das war bis heute so geblieben.

Angefangen hatte diese Liebe damit, dass ein Tramper, den sein Vater auf dem Rückweg von der Stadt mitgenommen hatte, den Sommer über bei ihnen geblieben war und auf dem Feld ausgeholfen hatte. Der junge Mann war, soweit Herman sich erinnern konnte, ziemlich haarig gewesen, mit einem langen Zopf und einem Bart, der gleich unter den Augen anfing und den Rest seines Gesichts fast völlig überwucherte. Als Hermans Vater ihn nach seinem Namen fragte, hatte er kurz nachgedacht und dann geantwortet: »Nennen Sie mich Gabriel.«

Gabriel war ein entspannter Typ, mit einer Stimme, die so sanft war, dass man die Ohren spitzen musste, um ihn zu verstehen, aber auf dem Feld arbeitete er härter als alle anderen, und seine durchdringenden blauen Augen brachten Hermans Mutter zum Erröten, wenn sie in der Küche um ihn herumgluckte. Auch Hermans Schwestern hatten ein Faible für ihn, allen voran Anna Bell, die bekanntermaßen ein Faible für fast alle Männer aus der Gegend hatte. Sozusagen als Beweis für ihre Reputation hatte Herman sie eines Abends in der Scheune mit Gabriel erwischt, sie mit den Beinen, er mit dem nackten Hinterteil hoch in der Luft.

Aber es war nicht dieser Vorfall, der Hermans Leben veränderte, sondern der Tag, an dem er Gabriel an einem seiner seltenen freien Tage entspannt mit einem Buch in der Hand an einen Apfelbaum gelehnt vorfand. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, der so entrückt, so weit weg von dieser Welt war, dass es Herman den Atem verschlug. Gabriel hatte ihn nicht kommen hören – und falls doch, war das, was auf diesen Seiten stand, offenbar viel zu wichtig, um sich davon loszureißen, denn er rührte sich nicht, ja, er blickte nicht einmal auf. Schließlich setzte Herman sich einfach hin und wartete, dass der junge Mann ihm seine Aufmerksamkeit zuwandte. Dreißig Minuten später war das Buch zu Ende, und nun schaute Gabriel ihn endlich an, jedoch ohne ihn wirklich zu sehen – der entrückte Ausdruck, der in Herman den Wunsch geweckt hatte, das Buch zu lesen, das der andere in der Hand hielt, war geblieben. Körperlich anwesend, aber gleichzeitig weit, weit weg zu sein war die Lösung für Hermans Pubertätsprobleme. Das Buch war Früchte des Zorns.

Es begleitete Herman von nun an und wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorgeholt. Allerdings las er es nur im stillen Kämmerlein, denn sein Vater war von der neuen Leidenschaft seines Sohnes alles andere als angetan, und Hermans Schwestern fanden es lästigerweise höchst amüsant, dass er – wie sie glaubten – den Wunsch hatte, den Tramper nachzuahmen. Seine Mutter, die schon immer seine stille Verbündete gewesen war, unterstützte ihn zwar nicht direkt, aber wenn sie ihn irgendwo zusammengekauert in einer Ecke beim Lesen antraf – die Gedanken in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort –, warnte sie ihn, sobald jemand sich näherte. Und das reichte ihm. Hank dagegen weckte Herman, wenn er spätabends von einer Sauftour zurückkam – allein der Alkoholdunst genügte schon, um seinen kleinen Bruder aus dem Schlaf zu reißen –, und verlangte, dass er ihm etwas vorlas. Wenn Herman dann müde wurde und mitten im Satz einschlief, trat Hank von unten so heftig gegen die Matratze ihres Doppelstockbetts, dass Herman herausflog, aber dann rappelte er sich schnell wieder auf, kletterte zurück nach oben und las weiter.

Herman war nicht sicher, ob das nur eine neue Art brüderlicher Folter war oder ob Hank sich wirklich für die Bücher interessierte. Heute, wo sie beide über fünfzig waren, war er ganz sicher, dass Hank die gleiche Fähigkeit besaß wie er selbst und sich genauso in einer Geschichte verlieren konnte. Sie waren sich ähnlicher, als ihm damals klar gewesen war. Beide hatten den Wunsch, der Realität zu entfliehen, aber während Herman seine Zuflucht in Romanen suchte, hatte Hank sich für Drogen und Alkohol entschieden.

Als Herman damals Früchte des Zorns fertig gelesen hatte, fing er sofort wieder von vorn an. Und dann las er es gleich ein drittes Mal. Es fühlte sich an, als müsste er einen unstillbaren Hunger befriedigen. Er begann, sich Bücher anzuschaffen, kaufte sie auf Flohmärkten, in Secondhandläden, nahm sie mit, wenn jemand sie irgendwo liegen gelassen hatte, wobei ihm das Busdepot gute Dienste erwies. Und er las sie alle. Später in seiner Karriere spielte er eine Weile mit dem Gedanken, einen Buchladen aufzumachen, in dem er endlos herumstöbern konnte, aber dann wurde ihm klar, dass diese Art von Geschäft weder seinen finanziellen Appetit noch die Leidenschaft in ihm stillen würde. Seine Geschäftsprojekte waren immer gewinnorientiert, aber Bücher gehörten zu den wenigen Dingen in seinem Leben, bei denen es ihm nicht um Geld ging. Dabei machte er allerdings noch eine Entdeckung: Er liebte das Lesen, aber er sehnte sich danach zu schreiben.

Deshalb hatte er auch alle Buchverträge abgelehnt, die ihm angeboten wurden und bei denen ein Ghostwriter seine Lebensgeschichte aufschreiben sollte – wenn jemals etwas über sein Leben erzählt würde, wollte er das selbst tun. Aber er fand nie die Zeit dafür, und er wusste auch nicht recht, wie er seine Geschichte erzählen sollte, wo er doch noch mittendrin steckte. Und wenn seine Geschichte zu Ende war, dann war es zu spät. Er hielt nichts von Autobiografien, wollte sich nicht zu dieser Schreibform herablassen, und er verachtete die unautorisierten Veröffentlichungen mit seinem Gesicht und seinem Namen auf dem Cover, die den Eindruck erwecken sollten, sie hätten irgendetwas mit ihm zu tun. Er hatte auch keine Lust, einen Businessratgeber zu schreiben, was ihm ebenfalls wiederholt nahegelegt wurde. Folg deinem Instinkt und benutz dein Hirn – das war sein Motto, aber dieser einfache Satz ließ sich nicht auf die gewünschte Seitenzahl ausdehnen.

Vermutlich schlummerte in seinem Hinterkopf die feste Überzeugung, dass er irgendwie und irgendwann die Gelegenheit finden würde, das Buch, das er schreiben wollte, tatsächlich zu schreiben. Es sollte ein Klassiker werden, eine Geschichte, die junge Männer und Frauen auf der ganzen Welt mitreißen würde, eine Geschichte, die so überwältigend war, dass sie den Lesern den Atem raubte, dass man sich verloren fühlte, wenn man das Buch zuklappte, aber wiedergefunden, wenn man es wieder aufschlug. Es würde die Leser dazu bringen, ihr ganzes Leben infrage zu stellen, Fehler in dem zu finden, was sie bisher für Glück gehalten hatten, und Glück in vermeintlichen Fehlern. Das Buch würde emotional sein, zutiefst persönlich, und vor allem würde es die Herzen der Leser bewegen. Sie würden sich mit seiner Geschichte identifizieren, sie würden die Figuren ins Herz schließen, sie jeden Tag mit sich herumtragen, als wären es geliebte Menschen, und ihre Erfahrungen nutzen, um sich von ihnen durchs Leben führen zu lassen. Das Buch würde monumental werden, zeitlos, einfach perfekt.

Die Frage war nur: Woher sollte ein Mann wie Herman die Zeit nehmen, dieses Buch zu schreiben? Außerdem hatte er Angst, dass er sich, sosehr man ihn in der Geschäftswelt auch respektierte, in der Literaturwelt womöglich blamieren könnte. Nein, er durfte es keinesfalls an die große Glocke hängen, er musste dieses Vorhaben in aller Stille angehen, ohne dass irgendjemand davon erfuhr.

Es war doch ganz einfach. Herman wollte schreiben. Herman musste schreiben. Also würde Herman Banks den perfekten Roman erschaffen.

II

Der Chauffeur steuerte den Wagen die Auffahrt hinunter, Kies spritzte auf und schlug klappernd gegen das Fahrgestell. Schon vor zwei Minuten hatte die Inschrift Burns’ Estate sie auf den Steinsäulen des Haupttors begrüßt, und noch immer war das Haus nicht in Sicht. Es war Januar, die Bäume ähnelten Skeletten, graue Wolken hingen tief am Himmel, und obwohl sie sich in einer lebhaft grünen, ländlichen Gegend befanden, mangelte es ihr in diesem Teil an Farbe. Herman lächelte in sich hinein und war ehrlich zufrieden, ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr gekannt hatte. Die Szenerie war perfekt, er hätte sie sich nicht besser ausdenken können.

Gregory Burns war einer seiner Lieblingsschriftsteller. Keiner der Klassiker, die er auf dem Heuboden verschlungen hatte, sondern aus einer späteren Zeit, als er schon in die große weite Welt gezogen war. Auf Gregory Burns’ Roman Der Erlöser war Herman in Chicago gestoßen, wo er sich seine erste Wohnung eingerichtet hatte, und es war das erste Buch seines Erwachsenenlebens, in der Zeit, als er anfing, Risiken einzugehen und wagemutig zu werden. Herman verschlang die Bücher von Gregory Burns, der selbst aus Chicago stammte und dessen Werk stark von der Großen Depression beeinflusst war, unter der er offensichtlich sehr gelitten hatte. Herman war fasziniert vom privaten und beruflichen Werdegang des Schriftstellers, von dessen kompliziertem, oft von Pech und unklugen Entscheidungen geprägtem Leben. Irgendwann war Burns in die Nähe von Bath in Südwestengland gezogen, wo er seinen letzten Roman mit dem Titel Der Erlöser geschrieben hatte. Vor zehn Jahren hatte Herman in einem Londoner Antiquariat für zehntausend Pfund eine Erstausgabe und das auf der 1932er Underwood-Schreibmaschine getippte Originalmanuskript ergattert – bis heute sein wertvollster Besitz. Und nun war er unterwegs zum Haus von Gregory Burns, in dem das Buch geschrieben worden war. Herman hatte das Anwesen vor Kurzem gekauft, und in dieser Kulisse wollte er seinen eigenen ersten Roman schreiben.

Neben ihm im Auto saß Amber, eingehüllt in ihren Pelzmantel, zart und schön wie immer, und ihr Chanel N° 5 erfüllte mit seinem dezenten Duft die Luft. Seit sie in Heathrow gelandet waren und die Reise nach Litherly im englischen Südwesten angetreten hatten, war sie äußerst wortkarg gewesen. Als er ihr erzählte, dass er einen Roman schreiben wollte, hatte sie wesentlich positiver reagiert, als er erwartet hatte – sie hatte ihn unterstützt und sich darüber gefreut, dass er so viel Enthusiasmus für etwas anderes als Geldverdienen zeigte. Als er ihr dann mitteilte, dass er ein Haus in England gekauft hatte und sie im Lauf der nächsten Monate dorthin ziehen würden, hatte sie sich allerdings eher seinen Erwartungen gemäß verhalten. Er hatte das Haus gekauft, ohne ihr etwas davon zu sagen – »Ich hab schließlich auch das Recht auf meine kleinen Geheimnisse«, hatte er sich, zugegebenermaßen ziemlich kindisch, verteidigt. Er konnte einfach nicht anders, solche Bemerkungen kamen ihm zurzeit nur allzu leicht über die Lippen und hatten meist auch den erwünschten Effekt. So auch diesmal: Amber hatte getroffen gewirkt, verletzt darüber, dass er sie an seine eigene Verletzung erinnert hatte. Natürlich wusste er nicht, wie lange sie ihre Reserviertheit durchhalten würde – hoffentlich nicht allzu lange –, aber er wusste auch nicht, wie lange er selbst noch dieses Gefühl haben würde. Hoffentlich würden sie beide bald wieder zu einem normalen Umgang zurückfinden.

Obwohl Amber überrascht und verärgert gewirkt hatte, als er ihr von dem Kauf des Anwesens erzählte, hatte sie sich nicht beschwert, als er ihr mitteilte, dass sie für eine nicht absehbare Zeit anderswo wohnen würden, denn es war ihr nach wie vor immens wichtig, ihre Ehe wieder zum Funktionieren zu bringen, und sie wollte um jeden Preis verhindern, dass Herman sie verließ. Er wusste, dass sie ihn liebte, und das tröstete ihn, auch wenn es ihren Seitensprung in gewisser Hinsicht noch schlimmer machte. Wenn sie wenigstens eine dieser Frauen gewesen wäre, die ihre Abneigung gegen ihre Ehemänner offen zur Schau trugen und es nur auf das Geld abgesehen hatten, dann hätte er gewusst, was er zu erwarten hatte, und sich darauf einstellen können.

Aber Amber war anders. Amber war taktvoll, sie war sanft, ausgesprochen fürsorglich und manchmal auch ein bisschen naiv. Sie war ein guter Mensch, ehrlich und gutherzig, unverdorben, und sie ließ sich nicht vergiften, trotz allem, was sie um sich herum sah und hörte. Die beiden hatten sich bei einer Weihnachtsparty kennengelernt, die vom Geschäftsführer einer Bank, mit der Herman geschäftlich verbunden war, ausgerichtet wurde. Amber war als Freundin der Tochter des Bankers erst in letzter Minute eingeladen und eigentlich nur zum Spaß neben Herman gesetzt worden. Da es zwischen den beiden keinerlei Gemeinsamkeiten gab, rechnete niemand damit, dass sie etwas miteinander anfangen könnten. Aber sobald Herman Amber die Hand geschüttelt hatte, war er in ihren Bann geschlagen, konnte sich auf kein einziges Gespräch mehr konzentrieren und wartete den ganzen Abend nur auf eine Chance, einigermaßen höflich aus der üblichen Konversation auszusteigen und sich stattdessen mit Amber zu unterhalten.

Sie war ein bisschen nervös, als sie zu dem Dinner eingeladen wurde – verständlicherweise, denn es war eine einschüchternde Gesellschaft, an der allerdings auch Herman keinerlei Interesse hatte, abgesehen von dem Hundert-Millionen-Kredit, der ihm für ein neues Bauprojekt in Lower Manhattan in Aussicht gestellt worden war. Aber Amber brachte ihn zum Lachen, sie strahlte, und sie war die einzige Frau an seinem Tisch, im ganzen Raum, ja, in seinem ganzen Leben, bei der er sich jemals so gefühlt hatte. Sie war frisch, sie vertrat Ansichten, die ihn interessierten, Meinungen, die ihn amüsierten, und ihre Schönheit hypnotisierte ihn. Im Geschäft fühlte er sich meistens wie eine Bulldogge, immer in Verteidigungsstellung, immer bereit zum Angriff, aber wenn er mit Amber zusammen war, verwandelte er sich im Handumdrehen in einen Welpen, fühlte sich sanft und entspannt – und genau dieses Gegengewicht brauchte er in seinem Leben.

Sechs Monate nach der Dinnerparty verlobten sich Herman und Amber. Freunde und Bekannte kritisierten Herman und meinten, er wäre ein verrückter alter Narr, sich in eine Frau zu verlieben, die es doch so offensichtlich auf sein Geld abgesehen hätte. Obwohl Herman sie nie dazu drängte oder Zweifel an ihr anmeldete, bestand Amber darauf, einen Ehevertrag abzuschließen, was den größten Teil der Gerüchteküche zum Schweigen brachte und auch die letzten Bedenken in Hermans eigenem Kopf ausmerzte.

Doch nun, nachdem sie gut ein Jahr verheiratet waren, hatte Amber eine Affäre gehabt, was Herman nie von ihr erwartet hätte. Nicht so sehr, weil er es grundsätzlich für ausgeschlossen hielt, er konnte es sich nur einfach nicht vorstellen. Zwar hätte er nie behauptet, dass er Amber durchschaute – sie durchschaute ihn weit mehr –, aber er konnte einfach nicht glauben, dass sie zu so einem Verhalten fähig war: wie sie die Lügen, die Heimlichkeiten und nicht zuletzt die körperliche Nähe eines anderen Manns aushielt, die sie sonst immer abstoßend zu finden schien, wenn sie Offerten bekam. Wenn sie allein ausging, erzählte sie Herman oft von irgendwelchen schmierigen Annäherungsversuchen, beinahe so, als hätte sie ein schlechtes Gewissen und fühlte sich verantwortlich dafür. Ihm davon zu berichten, schien für sie geradezu eine Erleichterung zu sein. Amber konnte nicht die kleinste Lüge erzählen, und sie bekam schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie Herman anblaffte oder auch nur auf eine Art mit ihm redete, die sie selbst nicht angemessen fand. Er wusste, dass sie nicht verrückt nach Sex war und dass sie vor Herman mit zwei Männern geschlafen hatte – einem Schulfreund und einer College-Beziehung. Und gerade dieses völlig untypische Verhalten machte Herman fast mehr zu schaffen als die Kränkung, betrogen worden zu sein. Auf einmal war er nicht mehr sicher, ob er sie wirklich kannte, ob er sie jemals wirklich gekannt hatte, ob die Frau, in die er sich verliebt hatte, die wirkliche Amber war. Und weil er ausgerechnet von dem Menschen, der ihm am nächsten stand, zum Narren gehalten worden war, fragte er sich plötzlich, ob er sich womöglich auch in den anderen Menschen seiner Umgebung geirrt hatte. Zweifel waren zerstörerisch, im Geschäftsleben genauso wie in der Ehe. Und so geriet auf einmal die ganze Grundlage seines Lebens ins Wanken.

Irgendwann würde er ihr sicher vergeben, aber jetzt brachte er es noch nicht fertig. Er war sicher, dass es für sie beide viel zu lernen gab, dass die Ehe aber immer noch funktionieren konnte. Das wusste er, weil er es von sehr vielen Leuten in seiner Umgebung gehört hatte, die dieselbe Erfahrung durchgemacht hatten – offenbar kam es weit öfter vor, dass Ehefrauen fremdgingen, als er gedacht hatte. Nicht dass er diese Erkenntnis tröstlich gefunden hätte, er war auch noch nicht bereit, zu verzeihen oder sich selbst zu hinterfragen, dafür war er zu gekränkt und wütend und auch seltsam zufrieden damit, eine Zeit lang in diesen Gefühlen zu schmoren. Er hatte das Recht dazu. Er würde sich auf Burns’ Estate zurückziehen, seine Wunden lecken, den perfekten Roman schreiben, seine verletzte Beziehung ausheilen lassen, und irgendwann würde er wieder mit seiner Frau schlafen können, ohne ständig von der fixen Idee abgelenkt und gequält zu werden, dass er ihren Liebhaber auf ihrer Haut schmeckte. Es war möglich, sie konnten noch gerettet werden.

Es war wie ein Wink des Himmels, als er sah, dass Burns’ Estate auf dem Markt war. Auf ein solches Zeichen hatte er gewartet, während er überlegte, ob, wann und wie er seinem Traum vom Schreiben folgen sollte. Nun fand er es nicht auf den Immobilienseiten, die er jeden Sonntagmorgen auf dem Balkon bei Kaffee und Croissants gewissenhaft studierte, sondern stolperte darüber in einem kleinen Artikel in einem abseitigen Kunstmagazin, das er abonniert hatte. Eine Zeit lang war das Anwesen als Museum genutzt worden. Burns war sozusagen die Imelda Marcos der Schreibmaschinenwelt gewesen – er hatte jede verfügbare Kofferschreibmaschine gekauft, und nach seinem Tod war das Haus viele Jahre der Öffentlichkeit zugänglich gewesen, die dort seine berühmte Schreibmaschinensammlung bewundern konnte. Vor zwanzig Jahren hatten die Erben das Museum aufgelöst und das Anwesen privat vermietet, nun aber beschlossen, es zu verkaufen, und Herman dankte Gott, dass es solche egoistischen, geldgierigen Nachfahren gab, denen offenbar jede Sentimentalität fremd war.

Fast dreihundert verheißungsvolle Quadratmeter Wohnhaus nahe einem kleinen Dorf namens Litherly in Gloucestershire, Südwestengland, gehörten jetzt ihm. Das Anwesen war für zwei Millionen Pfund auf den Markt gekommen, und Herman hatte das schlechteste Geschäft seines Lebens gemacht, weil er nicht verhandelt, sondern einfach zum geforderten Preis zugegriffen hatte, plus einer Extrasumme für den Inhalt des Gebäudes. Zwei weitere Millionen gab er dafür aus, es seinen und Ambers Ansprüchen gemäß zu sanieren, und hinsichtlich der Einrichtung hatte er Amber völlig freie Hand gelassen. Wenn sie schon Hals über Kopf ans Ende der Welt umsiedeln musste, sollte sie hier wenigstens einigermaßen stilgerecht leben. Herman freute sich auf den Umzug und sah die Veränderung als Abenteuer – wie ein Junge, der sich auf den Weg in ein Zeltlager mitten in der Wildnis machte. Amber beschwerte sich zwar immer noch nicht, wirkte aber extrem verunsichert.

Als sie um die Kurve bogen, kam plötzlich das Haus in Sicht, und ohne nachzudenken, packte Herman Ambers Hand. Sofort wurde ihr Gesicht sanfter, denn sie erinnerte sich daran, warum sie hierhergekommen waren: damit Herman seinen Traum verwirklichen konnte, damit sie bei ihm sein konnte, damit sie zusammen waren. Herman dagegen erinnerte sich daran, was Amber ihm angetan hatte. Hastig ließ er ihre Hand wieder los, wandte sich ab und starrte aus dem Fenster.

In der Auffahrt vor dem Haus stand ein alter, flaschengrüner, mit Schlammspritzern übersäter Range Rover, aber niemand saß darin. Im Haus brannte Licht, und als sie hielten, öffnete sich die königsblaue Haustür. Heraus trat eine schmale, in dunklen Tweed gekleidete Frau mit mausbraunen Haaren und blickte ihnen freundlich, aber etwas unbehaglich entgegen. Offensichtlich wusste sie nicht, wohin mit ihren Händen, die erst dem Auto zuwinkten, dann an ihrer Nase kratzten, durch die mausbraunen Haare fuhren, den Tweedrock glatt zupften, am Saum der Jacke zerrten und sich schließlich ineinander verschränkten und wieder lösten.

»Harriet, Harriet, Harriet«, murmelte Herman leise vor sich hin, mehr, um sich den Namen ins Gedächtnis zurückzurufen, als um ihn seiner Frau mitzuteilen. Amber war bereits dabei auszusteigen, denn sie war gespannt auf ihre neue Unterkunft, in der sie bis auf unbestimmte Zeit wohnen würde.

»Hallo, Harriet«, sagte Amber und streckte der Tweed-Frau die Hand entgegen. »Ich bin Amber Banks. Freut mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen.«

Die Begrüßung war so herzlich, dass Harriets Gesicht sich sofort aufhellte. »Oh, Mrs Banks, es freut mich auch sehr, Sie kennenzulernen.«

»Bitte sagen Sie doch Amber zu mir.«

Aus der Nähe hatte Harriet Ähnlichkeit mit einem Pferd; sie war ungeschminkt, die Haut von Wind und Wetter gegerbt, die Wangen gerötet. Auf der Oberlippe prangte ein großer Leberfleck mit ein paar dicken schwarzen Haaren, der beim Sprechen heftig auf und ab wippte, als hätte er ein Eigenleben.

»Nennen Sie mich bitte Hattie. Mr Banks, ich heiße Sie herzlich willkommen«, fügte sie an Herman gewandt hinzu, ergriff seine Hände und verbeugte sich tief.

»Danke«, antwortete Herman knapp und spähte neugierig zur Haustür, die einen Spalt offen stand.

»Es ist uns eine große Freude, dass Sie das Haus gekauft haben, denn wir haben immer gehofft, dass es jemand erwerben würde, der sich wirklich dafür interessiert und weiß, was es wert ist. Und nach allem, was ich gehört habe, sind Sie dafür genau der Richtige.«

Herman hörte sie kaum, denn er konnte sich auf nichts anderes konzentrieren als auf die halb offene Tür. Am liebsten wäre er sofort ins Haus gelaufen, und nach dem langen Flug und der langen Autofahrt war er froh, endlich am Ziel zu sein, und überhaupt nicht in der Stimmung für Small Talk.

»Ja, Herman ist ein großer Fan von Mr Burns«, antwortete Amber an seiner Stelle, obwohl sie das erst seit Kurzem wusste.

Ende der Leseprobe