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Vor tiefem Wasser hat Hannah keine Angst. Eher schon vor ihren Gefühlen. Selbstvertrauen und Mut, sich durchzusetzen, sind nicht so ihre Sache. Und dann bricht dieser Sommer an, in dem alles auf einmal passiert. Sparsam, sensibel und sinnlich erzählt die junge österreichische Autorin Michaela Holzinger die von flirrender Spannung erfüllte Geschichte einer aufregenden Lebenszeit.
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Seitenzahl: 259
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Michaela Holzinger
Verlag Freies Geistesleben
Prolog
Herzbrennen
Juniwind
Johannihimmel
Die Sichel
Nebelfrau
Fest der Mäuse
Heiße Tage
Wie Tag und Nacht
Arbeiten, arbeiten
Anfangen, und dann?
Liebe überall
Gewitternacht
Funkenfeuer
Regentropfen überall
Bauernschlau
Sprüche klopfen
Unter dem Weißmond
Funkenleuchten
Sommerabschied
Was mir wichtig ist zu sagen
«Weißt du», flüstert meine Freundin neben mir und sieht mich durchdringend an, «manchmal träume ich auch von der Moorhexe.»
«Wirklich?», frage ich überrascht.
Jelly nickt. «Dabei habe ich ein ganz bestimmtes Bild vor mir. Den Felsen am See. Darauf ein paar Klamotten. Schuhe. Hose. Eine Jacke … Ich weiß aber nicht, was es zu bedeuten hat. Warum dieses Bild immer wieder in meinem Kopf auftaucht …»
Da kriecht eine noch viel eisigere Kälte in mir hoch, als ich anfange zu verstehen. Alles zu verstehen.
«Ob ich verrückt werde?», will sie schließlich von mir wissen.
«Nein», flüstere ich. «Das Gegenteil ist der Fall.»
Anfangs ist es immer nur ein Windhauch. So zart, dass er kaum etwas zu ändern vermag. Er kitzelt mich an den Haaren oder streift verheißungsvoll über meine Wangen. Damit ich nicht umkehre. Damit ich weitermache. Nach vorne presche.
Und bald darauf wird er stärker. Er löst ein, was er versprochen hat. Aus dem Windhauch formt sich ein Luftzug. Aus dem Luftzug eine Brise. Eine Brise, die an Kraft gewinnt. An Tempo.
Dadurch verändert sie alles. Denn sie ist wild und unberechenbar. Sie klatscht mir ins Gesicht. Und presst meine Nasenflügel zusammen, bis ich nach Luft schnappen muss. Mein Herz beginnt zu pochen. Ebenfalls im wilden und unberechenbaren Rhythmus. Bis meine Gedanken zu fliegen beginnen. Und schließlich verschwinden.
Dann werde ich ruhig. Ich werde ruhig inmitten der tosenden Bewegung, die an meinen Kleidern rüttelt. Und mir die Haare ins Gesicht peitscht.
Ich schmecke ihren Duft. Sie schmeckt nach Freiheit.
Ich lausche ihrem Klang. Sie klingt nach Aufbruch.
Während die kraftvollen Bewegungen unter mir weit ausholen. Und mich weiterbringen.
Das ist auch der Grund, warum ich mich immer wieder in den Sattel schwinge. Weil es ein unglaubliches Gefühl ist. Weil die Luft da oben anders ist. Freier.
Ich habe nämlich ein Pferd. Ein eigenes. Nur für mich allein. Das ist einer der wenigen Vorteile, wenn man auf einem Bauernhof lebt. Lanzelot, so heißt mein Pferd. Er ist ein brauner Wallach mit weißer Blesse. Seitdem ich in der Stadt zur Schule gehe, habe ich kaum noch Zeit für ihn. Ich will nämlich Matura machen. Auch wenn Papa meint, dass ich als Bäuerin keine Matura brauche. Ich schon. Ich weiß noch nicht, was ich später einmal werden will, aber die Matura will ich haben. Dann könnte ich vielleicht Tierärztin werden. Eine Tierärztin mit einem eigenen Bauernhof. Das wäre doch gut, oder? Oder doch nicht.
Ich muss mich ja mit sechzehn noch nicht entscheiden müssen. Viel ist passiert in der letzten Zeit. Nicht nur wegen der Schule. Auch sonst irgendwie.
Ein paar Schwalben ziehen über meinen Kopf hinweg und jagen den Mücken nach. Irgendwo brummt ein Mähdrescher. Der heiße Juniwind klebt an mir. An meinem Rücken, an meinen Händen, auf meiner Stirn. Und auch auf Lanzelot. Unruhig scharrt er mit den Hufen. Das Klappern von Papas alter Schubkarre macht ihn nervös. Und dann fangen auch noch die Schweine wie verrückt zu grunzen an, als die Schubkarre mit dem Futter in Richtung Freilaufstall angeschoben kommt. Von Papa. In Gummistiefeln und Latzhose. Die Schweine brüllen vor Begeisterung. Hunger, schreien sie. Oder: Futter. So genau kann man das nicht sagen. Auf alle Fälle machen hungrige Schweine einen Höllenlärm. Bis hinauf in den Himmel. Bis der Lärm explodiert. Und Lanzelot auch.
Rasch stiefelt Papa zu mir und versucht, Lanzelot zu beruhigen, damit ich den Sattelgurt festziehen kann. Die Schweine protestieren.
«Vergiss nicht Hannah, dass du nachher die Stallarbeit für uns fertig machen musst. Du weißt schon, wegen dem Fest!», schreit Papa. Das Schweine-Gebrüll ist ohrenbetäubend.
Ich nicke. Lanzelot sabbert. Und wie. Weißer Schaum tropft aus seinem Maul und hinterlässt auf dem dunklen Asphalt eine bizarre Schaumwölkchenlandschaft.
«Aha! Den sticht der Hafer», bemerkt Papa und lacht mich dabei total komisch an. «Ja, so ist das – der Wind an Sonnenwend macht alle verrückt. Stand das nicht auch heute im Bauernkalender?» Er überlegt. «Wie war das noch gleich: Bläst der Wind an Sonnenwend, das junge Herz vor Liebe brennt?!»
In meinem Kopf fängt es zu rumoren an. Weiß Papa etwa Bescheid? Ich werde rot wie eine Tomate, oder vielleicht sogar wie zwei. Oder sogar wie Tomatensuppe.
«Wir müssen jetzt los …», stammle ich und bin froh, als Papa den Blick von meinem verräterischen Tomatensuppengesicht ab- und sich wieder den brüllenden Schweinen zuwendet, um mir nicht mit seinen dämlichen Bauernkalendersprüchen auf den Geist zu gehen.
Dann biegen wir in den Waldweg ein. Das ist meine Lieblingsreitstrecke. Kilometerweit ist hier nichts zu sehen. Da kann ich Lanzelot laufen lassen. Ich verlagere mein Gewicht nach vorne. Lanzelot ist kaum noch zu bremsen. Papa hatte wohl recht. Mit dem Hafer, meine ich. Mit donnernden Hufen prescht er über den Boden.
Da-damm, Da-damm, Da-damm … Schon klatscht mir die Brise ins Gesicht. Sie presst sich auf meine Nase und lässt mich nach Luft schnappen, so wie sie es versprochen hat. Pferdegeruch und der Duft des Waldes vermischen sich und beruhigen meine heißen Wangen. Wie der Blitz brettern wir über den Waldweg. Nichts wird uns in diesem Moment aufhalten können, denke ich mir, und da riecht die Luft auf einmal wirklich anders.
Als wir an dem kleinen Wasserfall vorbeireiten, zügle ich Lanzelot. Ich bin vollkommen aus der Puste. Bis zur großen Eiche ist es nicht mehr weit. Mist. Ich sehe zum Kotzen aus. Es gibt nur eine Eiche, die gemeint sein kann. Und ich bin überrascht, dass Finn den alten Baum kennt.
«Morgen bei der alten Eiche. 16 Uhr. F.», hat auf dem Zettel gestanden. Mehr nicht. Ich hab das Briefchen in meiner Jackentasche gefunden. Gestern nach der Schule. Er muss es mir in der Pause zugesteckt haben. Wenn ich daran denke, schlägt mein Herz wie verrückt. Zum Glück gibt Lanzelot jetzt Ruhe. Das Laufen hat ihm gut getan. Mir auch.
Da liegt auf einmal ein Knacksen in der Luft. Der Sommerwendwind hat es zu mir hergetragen. Hinter der uralten Eiche bewegt sich etwas. Ein blonder Haarschopf kommt zum Vorschein, dann der Rest. Blaue Augen, langer Körper. Vielleicht ein bisschen dürr, mir gefällt das aber.
«Hey», sagt Finn und seine blauen Augen blinzeln neckisch. Er lächelt schief, die Hände baumeln in den Hosentaschen. «Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.»
«Doch», murmle ich und wickle die Zügel um einen Ast. Wir stehen uns gegenüber. Weil ich so schwitze, lasse ich meine Reitkappe lieber auf dem Kopf.
«Kommst du heute zum Fest?», fragt er.
«Ja, aber erst später.» Dass ich davor die Stallarbeit für meine Eltern erledigen muss, sage ich nicht. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht, weil seine Eltern keinen Bauernhof haben?
«Gut, dann warte ich auf dich», flüstert er. Sein Gesicht kommt meinem ganz nah. Anscheinend will er mir einen Kuss geben. Aber das blöde Schild der Reitkappe ist im Weg und Finn kracht mit seiner Stirn dagegen. Wie peinlich! Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Zum Glück fängt in diesem Moment Finns Handy zu läuten an.
«Ich muss ohnehin los», stammle ich und schwinge mich, so elegant es nur geht, in den Sattel. «Bis später», rufe ich ihm noch zu, dann treibe ich Lanzelot an. Finns Lächeln begleitet mich nach Hause.
Mist. Mist. Mist. Nicht jetzt. Bitte.
Mama und Papa sind zum Feuerwehrfest gefahren. Mein doofer Bruder auch. Ich habe die Schweine versorgt und die Ställe sauber gemacht. Wie besprochen. Und jetzt das. Das war nicht abgemacht. Warum muss dieses blöde Schwein ausgerechnet jetzt Junge bekommen? Es scheint tatsächlich Wehen zu haben. Im Abferkelstall hört man die lang gezogenen Atemgeräusche ziemlich deutlich. Es hat auch das Futter nicht aufgefressen. Der Trog ist noch halb voll. Zum Glück finde ich in der Futterkammer den Geburtenplan. Gleich neben dem Computer. Den nennen wir Papas Stallknecht, weil er dafür sorgt, dass jeden Tag die Schweine vollautomatisch gefüttert werden. Also suche ich neben Papas Stallknecht auf der Tabelle nach der Ohren-Marken-Nummer. Noch mal Mist. Da steht es. Das Kürzel, das Mama neben dem voraussichtlichen Geburtstermin hingekritzelt hat, haut mich um. JS, steht da. Das steht für Jungsau und bedeutet, dass dieses Schwein zum ersten Mal Junge bekommt. Jetzt kann ich das Fest garantiert vergessen.
Papa würde ziemlich sauer sein, wenn ich mich jetzt aus dem Staub mache.
Mir ist zum Heulen. Hässliche Bilder ziehen an mir vorüber. Finn, umringt von meinen Freundinnen, die sich für diesen Abend total aufgedonnert haben. Jelly in ihrem knallengen Jeans-Minirock und Lena mit ihren weizenblonden Löckchen. Die ist ja schon immer auf ihn scharf gewesen. Und das nur, weil seine Eltern das neue Elektrocenter besitzen. Pah!
Mir kriecht die Wut in den Bauch, wenn ich daran denke. Alle meine Freundinnen sind auf dem Feuerwehrfest. Alle. Ich hätte mit Finn einen total romantischen Abend verbringen können. Wir hätten uns heimliche Blicke zugeworfen und hinter dem Klowagen geknutscht. Na ja, das vielleicht nicht gerade, aber schön wäre es trotzdem gewesen. Weil wir uns auch noch nie so richtig geküsst haben. Und wer noch nie miteinander so richtig geküsst hat, ist auch nicht fest zusammen, sagt Jelly immer. Und die muss es schließlich wissen. Immerhin hat sie schon Jungs geküsst.
Panisch fische ich mein Handy aus dem Overall. Drei Anrufe in Abwesenheit. Finn. Ich kann ihn unmöglich zurückrufen. Was soll ich ihm sagen – dass ich Schweine hüten muss? Wie blöd ist das?! Ich meine, wer interessiert sich schon für so etwas?
Dafür wähle ich Papas Handynummer und lasse läuten. Ewig. Nichts! Verdammter Mist. Tränen schießen mir in die Augen. Ich komme mir wie Aschenputtel vor und wische mir wütend übers Gesicht. Als ich zurück zur Stallbox komme, hat das Mutterschwein inzwischen drei Babys bekommen. Das dritte gerade eben. Mit Stroh rubble ich das Ferkel sauber, bis die Haut schön rosig ist. Dann lege ich es unter die Wärmelampe ins Ferkelnest.
Wieder probiere ich es bei Papa auf dem Handy. Nichts. Eine halbe Stunde vergeht. Bei der Muttersau tut sich nichts. Sie presst und presst, aber es kommt kein Ferkel raus. Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Irgendetwas stimmt da nicht. Ein Ferkel scheint sich im Mutterbauch verkeilt zu haben. Wenn ich jetzt nicht reagiere, stirbt nicht nur das Junge, sondern auch die Mutter. Schnell laufe ich ins Haus und hole einen Eimer mit warmem Wasser, Seife, Öl und ein Handtuch. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Ferkel mit der Hand herauszuziehen. Das habe ich schon öfters gemacht, weil ich die kleinste Hand von uns allen habe und so ein Geburtskanal ziemlich eng ist. Aber – noch nie alleine! Bis jetzt war Mama immer dabei und hat mir gesagt, was ich tun soll …
Da macht mein Herz auf einmal einen Paukenschlag!
«Hallo», höre ich Finns Stimme hinter mir. «Was ist los? Warum bist du nicht zum Fest gekommen?» Er schaut zuerst auf den Eimer, dann mir ins Gesicht. Am liebsten würde ich ihm um den Hals fallen. Keine Jelly, Lena oder sonst eine Tussi. Sondern nur ich. Aber … was wird Finn denken? Er wird danach nie wieder mit mir Händchen halten wollen. Stattdessen wird er sagen: «Bitte, bloß nicht die Schweinehand!»
Verständlich. Ist ja auch nicht so toll. Aber was sein muss, muss sein. Deshalb sage ich: «Schwere Geburt. Ein Schwein braucht Hilfe.»
«Okay», sagt Finn nur und schon marschiert er in Richtung Stallgebäude. Wow, denke ich.
Als ich die Tür zum Abferkelstall öffne, merke ich sofort, dass es höchste Zeit ist einzugreifen. Oder eben hineinzugreifen. Finn setzt sich neben das Ferkelnest ins Stroh und beobachtet mich.
«Was hast du vor?», fragt er, als ich meine Hand einzuseifen beginne.
«Ein Ferkel steckt fest. Ich muss es holen», sage ich und seife wie eine Verrückte. Dann träufle ich mir Öl auf die Hand und den Arm, damit es schön flutscht. Ich kann Finn gar nicht in die Augen schauen, so peinlich ist mir das. Aber mittlerweile habe ich Mitleid mit der Schweinemama und bin ihr gar nicht mehr böse. Finn ist ja hier, und das ist wunderschön. Trotz Schweinegestank und Mistfliegen. Deshalb mache ich meine Hand ganz schmal und beginne vorsichtig denGeburtskanal abzutasten. Das Mutterschwein grunzt. Aber es hilft nichts. Das muss jetzt sein. Zum Glück ist die Sau in einem Abferkelgitter eingeschlossen. Da gibt sie Ruhe.
Furchtbar eng ist es da drinnen. Und schleimig. Und warm. Und weich zugleich. Bis zum Ellenbogen stecke ich mit meiner Hand mittlerweile im Geburtskanal. Igitt!
Aber da – jetzt spüre ich etwas. Vorsichtig schiebe ich meine Finger um den Hals des Ferkels. Ich ziehe. Nichts. Noch einmal. Wieder nichts. Das Mutterschwein grunzt vor Schmerzen. Das Ferkel scheint festzustecken. Panik kommt in mir auf.
Da spüre ich Finns Hand auf meiner Schulter. Sie ist stark und warm. «Wir könnten es gemeinsam versuchen», sagt er und greift nach meinem Oberarm. Dann ziehen wir wie die Verrückten. Ziehen. Und ziehen. Und spüren kurz darauf endlich einen Ruck, und das Ferkel wird mit der nächsten Wehe herausgepresst. Es lebt sogar noch. Wahnsinn!
«Wahnsinn», sagt auch Finn neben mir. «Wir haben gerade ein Schweinebaby zur Welt gebracht.» Er grinst über beide Ohren. «Und noch dazu einen ziemlich dicken Brummer. Kein Wunder, dass sich die Schweinemutter so abgemüht hat.»
Ich bin fertig. Fix und fertig. Und trotzdem fühle ich mich so gut wie noch nie. Gemeinsam rubbeln wir unseren Brummer trocken und legen ihn an die Zitzen der Mutter. Seine Geschwister saugen schon daran. Danach kommen die Ferkel im Rekordtempo. Eines nach dem anderen flutscht heraus. Elf an der Zahl. Dann ist Schluss. Die Nachgeburt kommt, und ich bin unglaublich stolz auf mich. Oder noch besser: auf uns.
Als wir aus dem Stall treten, ist die Luft draußen kühl und angenehm. Eine Million Sterne funkeln am Himmel. Wir stinken wie die Schweine, aber das ist uns schnurz-piep-egal. Wir legen uns ins feuchte Gras mitten in den Obstgarten. Zwischen Apfel- und Birnbäumen. Und dann ... küssen wir uns. Zuerst nur ein bisschen. Ganz sanft. So zum Probieren. Aber dann immer mehr. Und mein Herz pocht. Mein Kopf dröhnt. Und meine Wangen glühen. Es fühlt sich total berauschend an, sogar in meinen Ohren rauscht es. Vor Glück, wahrscheinlich. Oder?
Oder, doch nicht ... das Rauschen kommt nämlich von ganz wo anders her. Es kommt von einem Auto, das die Zufahrtsstraße zum Hof entlangfährt. Meine Eltern, fährt es mir durch den Kopf. Sie kommen. Vom Fest. Schon.
«Schnell», zische ich Finn ins Ohr und befreie mich aus seiner Umarmung. «Du musst gehen!»
Finn sieht mich fragend an. Doch mir bleibt keine Zeit, die Situation zu erklären. Denn schon kommen die Lichtkegel des Autos näher.
«Bitte!»
Finn nickt. Ausdruckslos.
«Ich rufe dich morgen an», flüstere ich ihm nach. «Versprochen!»
Dann verschluckt ihn die Dunkelheit.
«Dass du die Geburt so gut hingekriegt hast», meint Papa am nächsten Morgen und strubbelt mir im Vorbeigehen durchs Haar. Dann lässt er sich auf die Küchenbank plumpsen und schneidet eine dicke Scheibe Brioche ab. «Wird ja doch noch eine Bäuerin aus dir!» Zufrieden tunkt er das Hefegebäck in den Milchkaffee ein, beißt ab und deutet mit vollem Mund auf den vergilbten Bauernkalender, der schon seit Ewigkeiten dort an der Wand hängt. Gleich neben dem Herrgottswinkel. «Menschensinn und Juniwind ändern sich oft sehr geschwind!», nuschelt er grinsend.
«Mhm», sage ich nur und nehme ein paar Zuckerwürfel aus der Dose, Stück für Stück. Sechs oder sieben. Und lasse sie langsam im Kaffee untergehen. Dabei klimpere ich mit dem Löffel, eine Spur zu laut. Denn als sich Mama zum Tisch setzt, schaut sie mich vorwurfsvoll an. Automatisch greift ihre Hand nach der Zuckerdose. «Hannah, glaubst du nicht, dass du schon genug hast?», fragt sie streng und stellt die Dose aufs Fensterbrett.
Genug. Habe ich genug? Nein, brüllt es in mir. Ich habe nicht genug! Und mein Menschensinn hat sich wegen der beschissenen Bauernregel auch nicht geändert! Aber alles, was ich zustande bringe, ist ein mickriger Giftblick, der überhaupt keine Wirkung zeigt, weil die Morgensonne gnadenlos zum Fenster hereinscheint und ich blinzeln muss. Ich finde Mamas Verhalten zum Kotzen. Seitdem Raphael diesen Anfall hatte und Diät halten muss, ist sie total anders geworden. Besonders zu mir. Dabei finde ich, dass mein Bruder mit der Heustauballergie gar nicht so schlecht dran ist. Jedenfalls muss er seitdem nicht mehr die Schweine füttern. Und überhaupt braucht er am Hof nicht mehr mitzuhelfen. Ich dafür umso mehr. Vielleicht ist das ja der Grund, warum Mama jeden Tag die Zuckerdose aufs Fensterbrett stellt. Damit ich weiterhin die Stallarbeit erledigen kann. Na super ...
Wütend nippe ich an meinem Kaffee, der scheußlich schmeckt. Viel zu süß. Und trotzdem werde ich beim nächsten Mal aus Protest noch mehr Zucker hineingeben.
Als sich ein paar Sonnenstrahlen auf die Tischdecke verirren, fällt mir ein, dass ich Finn anrufen sollte. Vielleicht können wir ja zum See gehen. Während ich noch darüber nachdenke, sagt Papa plötzlich: «Und ohne Hilfe», und sieht mich schon wieder so komisch an. «Bei dem fetten Kerl hast du sicher ganz schön ziehen müssen. So alleine ...»
«Brummer», antworte ich leise. Und als mich Mama und Papa nur verständnislos anschauen, erkläre ich: «Der fette Kerl heißt Brummer und ist gar nicht fett! Nur groß!» Dann schießt mir wieder diese blöde Tomatensuppenfarbe ins Gesicht. Daher beschließe ich, für heute genug gefrühstückt zu haben. Als ich die Küchentür aufstemme, steht Raphael vor mir. Mit verstrubbelten Haaren und geröteten Augen. Und einer Alkoholfahne, die mich beinahe umhaut.
«Auch schon wach!», gifte ich ihn an. Schnell dränge ich mich an meinem Bruder vorbei.
Raphael grinst nur: «Für so junge Hühner wie dich heißt es eben früh ins Bett gehen!» Er lässt sich wie Papa auf die Küchenbank fallen und schnappt sich die Zuckerdose. Das reicht! Mit einem Knall schlage ich die Tür hinter mir zu und verschwinde zu Lanzelot.
Doch die Pferdebox ist leer. Sicherlich hat Papa Lanzelot frühmorgens auf die Weide gelassen. Weil um diese Uhrzeit die Fliegen nicht so lästig sind. Also schnappe ich mir den Führstrick und marschiere in Richtung Koppel. Auf dem Weg dorthin summt es in meinem Jeansrock. Jelly is calling.
«Wo warst du denn gestern?», flötet meine Freundin. «Es war so geil, sag ich dir! Tobias war da. Und sogar diese Motorradtypen vom Nachbardorf.»
Ich stelle auf Lautsprecher, so kann ich mich mühelos über den Zaun schwingen. Schon kommt Lanzelot angaloppiert. Schnuppernd durchsucht er meine Taschen nach Leckereien.
«Hannah ... bist du noch da?», tönt es aus dem Handy.
«Ja», sage ich und muss kichern, weil Lanzelots Barthaare so kitzeln. «Wir reden später weiter, okay? Ich muss grad was erledigen. Ich melde mich dann bei dir», versuche ich Jelly abzuwimmeln. Ich will unbedingt vorher mit Finn sprechen. Vielleicht klappt es ja mit dem See.
In der Leitung knistert es. «Ja, gut», meint sie nach einer Weile. «Aber beeil’ dich. Wir treffen uns später nämlich mit den Jungs am See.»
In meinem Kopf schlägt die Alarmsirene an. «Welche Jungs?», frage ich vorsichtig.
Jelly schnaubt. «Tobias natürlich. Und dein Lover soll auch kommen – hab ich jedenfalls gehört. Er war ja gestern auf einmal wie vom Erdboden verschluckt ...»
«Er ist nicht mein Lover. Das weißt du ganz genau!»
Jelly fängt zu lachen an. «Hannah, für wie blöd hältst du mich?!»
Als ich nicht antworte, sagt sie: «Das mit Finn ... das ist ja wohl klar. Immerhin hat er gestern auf der Party ungefähr hundertsiebzigmal nach dir gefragt. Und jetzt pack deinen Bikini ein und schwing deinen Arsch schnellstens her. Klaro?»
Darauf weiß ich keine Antwort. Außer dass Jelly das mit mir und Finn nun doch gewittert hat ... und mich fröstelt, obwohl es schon über dreißig Grad draußen hat.
Ich liege unter der großen Birke im Schatten. Ich mag diesen Platz. Er hat etwas Besonderes, etwas Mystisches. Auch wenn man sich am Seeufer durchs Unterholz schlagen muss, um hierher zu kommen. Und das bei dieser Hitze. Das macht nicht jeder. Aber die Mühe lohnt sich. Denn hier sind kaum Leute. Das liegt nicht nur am beschwerlichen Weg, sondern auch daran, dass das Ufer auf dieser Seite des Sees steil abfällt und das Wasser noch dunkler ist. Wenn man also hinein will, muss man entweder durchs hohe Schilf waten oder von dem Felsen springen, der ein Stück weit vom Ufer ins Wasser ragt. Das ist gar nicht so einfach. Nur die wenigsten trauen sich das. Doch wenn man sich traut, dann wird man jedes Mal aufs Neue belohnt. Denn das Wasser ist so dunkel, dass ich immer das Gefühl habe, in ein schwarzes Loch zu springen. Ohne zu wissen, ob es mich verschlingen wird oder nicht. Und wenn ich springe, in das tiefe schwarze Loch, dann fühle ich mich danach so lebendig wie sonst nie. Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber das Gefühl, wenn man wieder auftaucht, ist überwältigend. Befreiend.
Ich drehe mich auf den Rücken und lasse meinen Blick über den See schweifen. Alles ist so wie immer. Der dunkle Moorsee, umsäumt von weißen Birken. Das Wasser, das leise und unaufhörlich gegen die Felsen schwappt. Das Schilf, das im Wind raschelt. Und Jelly, die mit ihrem rosa Bikini neben mir in der Sonne liegt. Keine zwei Meter entfernt.
Wie immer.
Ich, im Schatten.
Sie, in der Sonne.
Und trotzdem ist etwas anders. Heimlich schiele ich auf das Display meines Handys. 11:47 steht drauf. Sonst nichts. Keine Anrufe in Abwesenheit. Keine neuen SMS. Schon gar nicht von Finn. Ich habe mindestens dreimal bei ihm angerufen. Aber er hat nie abgehoben. Warum?
Ist es doch wegen der Schweinehand? Oder war es der Kuss? Der Kuss mit Schweinegestank? Oder was?
Mein Magen zieht sich düsterlich zusammen. Die winzigen Sonnenstrahlen, die durch das lichte Blätterdach der Birke fallen, können die Kälte in mir nicht vertreiben.
Jelly scheint meine Unruhe zu spüren. Sie schaut über den Rand ihrer Sonnenbrille und fragt mit Kennermiene: «Magst du mir nicht endlich erzählen, was gestern los war?»
Reflexartig verstecke ich mein Handy unter dem Badetuch und winke ab. «Da gibt es nichts zu erzählen. Ich hatte Stalldienst und konnte nicht weg. Wegen der Geburt. Du weißt schon ...»
Meine Freundin stöhnt. «Mensch, Hannah. Setz dich endlich bei deinen Eltern durch! Das kann doch nicht ewig so weitergehen. Willst du zu Hause versauern, oder was?» Mit einer lässigen Handbewegung rückt sie ihre Sonnenbrille zurecht und kramt einen Sonnenspray aus der Tasche. Sorgfältig beginnt sie ihre Beine damit einzusprühen. Danach sind Bauch, Arme und Gesicht dran. Ein Hauch Kokos weht zu mir herüber, gefolgt von: «Kannst du mal?» Jelly dreht mir ihren Rücken zu. «Eigentlich dachte ich, dass Tobias das übernehmen würde. Aber selbst schuld, wenn diese Affen zu spät kommen! Wo bleiben die eigentlich?»
Ja, wo blieben sie? Noch einmal lasse ich meinen Blick über den See streifen. An der Südseite beginnt sich langsam die Liegewiese zu füllen. Familien mit Kindern und aufblasbaren Rennautos, Ponys und Delfinen. Pärchen, die in der Nähe des Schilfgürtels ein Versteck suchen. Pensionisten mit Akkuradios, die leise dudeln und ab und zu Fetzen von Blasmusik über den See schweben lassen. Aber von Finns bestem Freund Tobias und vor allem von Finn – keine Spur. Ein leises Seufzen kommt mir über die Lippen.
«Na gut, dann spraye ich mich halt selber ein», sagt Jelly neben mir schnippisch.
Ich gucke sie irritiert an, dann begreife ich, dass sie mein Seufzen auf das Einsprühen bezogen hat. «Klar sprühe ich dich ein», sage ich schnell. «Gib schon her dein Kokosnusswunderbräunungszeugs.» Ich schnappe mir die Flasche und spraye ihren Rücken damit ein. Um sie versöhnlich zu stimmen, sage ich: «Erzähl, wie war es gestern sonst noch so?»
Jelly kichert. «Ach, es interessiert dich also doch? Und ich dachte schon, du bist krank oder so.» Und dann fängt Jelly zu erzählen an. Von der coolen Band, die in dem kleinen Zelt neben dem großen gespielt hat, und von der Motorradgang, die aus dem Nachbardorf angerollt ist. Von Goldlöckchen alias Lena, die zur amtierenden Maisprinzessin gewählt wurde (auch kein Wunder, immerhin ist ihr Vater der Bürgermeister). Vom riesigen Sonnwendfeuer, das gebrannt hat wie Zunder. Von Raphael und seinen Freunden Sebi und Manuel, die gesoffen haben wie die Stiere, weil sie ihre bestandene Führerscheinprüfung gefeiert haben. Und natürlich von Tobias. Und Finn.
Als ich fertig mit Einsprühen bin, nimmt sie mich ins Visier. «Also, Hannah», fragt sie. «Was ist denn nun wirklich zwischen euch?» Ihre linke Augenbraue beginnt in Richtung Haaransatz zu wandern. Das tut sie immer, wenn Jelly auf eine heiße Spur gestoßen ist. Dafür scheint sie eine Begabung zu haben. Und obwohl ich meine Freundin schon lange kenne, kann ich ihr einfach nicht sagen, was da läuft. Ich mag Jellena. Wirklich! Sie ist schon immer meine Freundin gewesen. Seit dem Kindergarten. Obwohl sie so anders ist als ich. Aber ich glaube, das ist auch der Grund, warum wir uns so super verstehen.
Ihre Mutter hat den Friseursalon im Dorf. Jellys Vater lebt schon lange nicht mehr hier. Der ist irgendwann abgehauen, als Jelly noch klein war. Nachdem der Krieg zu Ende war, ist er wieder zurück nach Bosnien, ohne die beiden mitgenommen zu haben. Das war schon ziemlich gemein von ihm! Aber Jellena kommt eigentlich super damit zurecht. Das hat sie schon früh gelernt oder einfach in die Wiege gelegt bekommen. Das Alleine-klar-kommen-Gen.
Und ich...? Meine Eltern haben den Bauernhof. Da gibt es immer Arbeit. Meist schmutzige. Dementsprechend läuft man den ganzen Tag dreckig herum. Und zum Fragen hat man nie viel Zeit. Man macht einfach. Man muss einfach. Das habe ich auch schon früh gelernt. Oder es ist mir auch in die Wiege gelegt worden. Das Man-muss-einfach-machen-Gen.
Aber obwohl ich Jellena schon ewig kenne, kann ich ihr einfach nicht sagen, was mit Finn läuft. Ich weiß es doch selbst nicht. Und wer weiß, was los ist, wenn es jeder hier im Dorf erfährt. Jeder. Auch meine Eltern. Und vor allem Raphael! Daran will ich gar nicht denken. Wenn der rauskriegt, dass ich mit dem Sohn seines Chefs ...! Der macht mich fertig. Er ist ja auch so kaum noch auszuhalten, seitdem er letztes Jahr diesen Anfall hatte.
Deshalb springe ich auf und sage: «Ich weiß nicht, was du meinst!» und düse in Richtung Wasser ab. «Kommst du mit?»
Jelly sieht mir empört nach. «Dann eben nicht.» Schlendernd folgt sie mir in Richtung See. «Nur damit du es weißt», schnaubt sie, als sie neben mir zum Stehen kommt, «ich springe nicht von diesem Selbstmörderplatz. Verstanden?» Ihr Kopf nickt in Richtung Felsen.
Ein Spiegelbild beginnt sich vor unseren Füßen auf dem Wasser auszubreiten.
Jelly und ich. Beide gleich groß. Die eine schlank, die andere dürr.
Die eine braun, die andere blass. Die eine hat einen rosa Bikini an. Die andere einen braunen. Die eine hat lange, blonde Haare. Die andere hat ihre mausbraunen zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Der Pony hängt ihr tief ins Gesicht. So stehen wir. Und das schwarze Wasser schlägt über uns Wellen. Schaukelt uns hin und her. Und hin und her. Und dennoch sind wir da. Seite an Seite. So, wie wir es immer gewesen sind. Und wahrscheinlich immer sein werden. Da bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich meiner besten Freundin kein Vertrauen schenken kann. Ich drehe mich zu ihr hin und flüstere: «Ich weiß einfach nicht, was da ist. Verstehst du?» Und ich muss kämpfen, damit ich nicht anfange zu weinen.
Jelly lächelt mich an. Wissend. «Erwischt, mhm?» Und dann nimmt sie mich in ihre Arme und flüstert: «Du weißt ja, wo du mich findest, wenn du jemanden zum Reden brauchst!»
Ich nicke. Stumm. Und klettere auf den Felsen, den wir Jungfrauenfelsen nennen. Meine Zehen krallen sich in den Spalten fest. Ich richte mich auf und blicke ins Wasser. Vor mir tut sich das tiefe schwarze Loch auf. Ich hole Luft. Tief Luft. Und dann springe ich ...
... rauschendes Wasser, kitzelnder Morast, wogende Haare, alles stürzt auf mich ein. Ich lasse mich sinken, es zieht mich hinunter, tiefer und noch tiefer. Um mich herum wird es still. Ich koste den Augenblick aus. Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Drei Sekunden. In meinen Lungen fängt es zu kribbeln an. Jetzt ist es Zeit. Mit einer kraftvollen Bewegung drücke ich mich in Richtung Licht. Wieder rauschendes Wasser, kitzelnder Morast und wogende Haare. Als ich auftauche, hat mich die Welt wieder. Ich ringe nach Luft, öffne die Augen und ...
... blicke direkt in das Gesicht von Finn.
Finn liegt neben mir unter der Birke. Seine Augen sind geschlossen. Schläft er? Sein Atem geht gleichmäßig und riecht nach Alkohol. Ich beuge mich über ihn und betrachte sein Gesicht. Sein Mund ist leicht geöffnet. Die nassen Haare kleben an der Stirn. Dazwischen spiegeln sich kleine Wassertropfen im Sonnenlicht.
«Lass ihn schlafen!», ruft Tobias, als er mit Jelly aus dem Wasser kommt. Händchen haltend. Jelly lächelt versonnen.
«Der hat gestern noch ziemlich viel gebechert», sagt Tobias und schüttelt sich das Wasser aus den schwarzen Haaren.
Jelly wirft Tobias einen fragenden Blick zu. «Aber Finn ist doch vom Fest so früh verschwunden ...»
«Ja, eben», meint Tobias. «Zuerst lässt derKerl uns einfach stehen. Und dann taucht er Stunden später wieder auf und knallt sich ein Whiskey-Red Bull nach dem anderen rein. Ohne ein Wort zu sagen.» Tobias zuckt mit den Schultern. «Keine Ahnung, was gestern mit ihm los war.»
Also ist Finn zum Fest zurück, überlege ich still. Und weil er dort so viel getrunken hat, ist er nun völlig erledigt. Deshalb habe ich ihn auf dem Handy nicht erreichen können ...
Und schon ist sie wieder da, die quälende Frage, die sich langsam in meinem Hirn ausbreitet und es erlahmen lässt. Diese eine Frage: War es wegen der Schweinehand?
Gedanklich spule ich zum Anfang zurück, während Finn neben mir seinen Rausch ausschläft. Von Weitem höre ich Jellys helles Lachen. Tobias scheint ziemlich verrückt nach ihr zu sein. Und sie nach ihm. Wie die beiden da so auf der Decke liegen und herumknutschen ... als ob sie sich seit einer Ewigkeit kennen würden. Dabei kennen sie einander erst seit ein paar Tagen. Durch Finn. Und mich. Und jetzt haben sie den größten Spaß miteinander, und alles an ihnen sieht leicht und unbeschwert aus. Typisch Jelly! Sie ist wie eine von diesen geleeartigen Bohnen, die es in allerlei Farben und Geschmacksrichtungen gibt. Die sind außen süß und innen auch. Und immer für eine Überraschung gut. Und so ist auch Jellena. Wie eine Jelly-Bean.
Bei mir hingegen ist alles anders. Viel schwieriger.
Dass Finn mich vor ein paar Wochen an der Bushaltestelle angesprochen hat, wundert mich immer noch. Zuerst dachte ich, er wolle sich nach Lena erkundigen. Wie es ansonsten der Fall ist, wenn mich Jungs von der Schule ansprechen. Weil sie durch mich an Lena herankommen wollen. Oder an Jelly. Manchmal holt Jelly mich nämlich von der Schule ab, wenn wir in die Stadt ins Kino wollen oder shoppen gehen. Da können sich die Jungs das Gaffen auch nicht verkneifen, wenn Jelly mich abholt.