Funkstille - Tina Soliman - E-Book

Funkstille E-Book

Tina Soliman

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Beschreibung

Nahe Verwandte oder Partner brechen plötzlich, ohne Vorwarnung, jeglichen Kontakt ab, sie reagieren nicht und sind unerreichbar. Was den Zurückgelassenen bleibt, ist nur die nicht enden wollende Hilf- und Ratlosigkeit und die quälende Frage nach dem Warum. Der Sohn von Lisa-Maria W. lebt und ist gesund. Doch für sie ist er nur noch ein Phantom. Das älteste ihrer drei Kinder will keinen Kontakt mehr zu ihr. Es gab keinen Abschied, keine erklärenden Worte – und bis heute kein Wiedersehen … Kann das Band zwischen zwei Menschen so brutal gekappt werden? Was geht in Menschen vor, die sich plötzlich abwenden? Wie gehen die Angehörigen mit ihrem Schmerz und ihren Fragen um? Und vor allem: Gibt es Möglichkeiten, solche abrupten Kontaktabbrüche zu verhindern? Mit viel Einfühlungsvermögen spürt Tina Soliman die Hintergründe auf, vor denen sich das Phänomen der Funkstille abspielt. Sie begleitet Verlassene auf der Suche nach Antworten und spricht auch mit den Menschen, die wortlos gegangen sind.

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Seitenzahl: 243

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Tina Soliman

Funkstille

Wenn Menschen den Kontakt abbrechen

KLETT-COTTA

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2011 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

Unter Verwendung eines Fotos von © Torsten Lapp,

soliman lapp doukumentation

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-98838-3

E-Book: ISBN 978-3-608-10073-0

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Meiner Mutter Gisela Soliman und G. H. gewidmet

Vorwort und Dank

Als Journalistin und Filmemacherin habe ich mich immer wieder mit Themen und Erfahrungen befasst, bei denen sich in einem Bruchteil einer Sekunde das Leben verändert: schwere Krankheiten, Suizid oder auch Krieg. Selten habe ich jedoch eine solche Fassungslosigkeit erlebt wie bei Menschen, die plötzlich und ohne Erklärung von jemandem verlassen wurden, der ihnen nahestand. Die Frage nach dem Warum lässt sie nicht los – auch dann nicht, wenn die Funkstille schon viele Jahre andauert.

Ich entschied mich, dem Phänomen nachzuspüren, indem ich einen Film darüber machte. Erfreulicherweise fand ich beim Norddeutschen Rundfunk einen Redakteur, der sich des Themas annehmen wollte: Werner Grave. Er hat ein außerordentliches Gespür für zwischenmenschliche Dramen, diskutiert sie, aber ohne zu dramatisieren. Er ist mir mit seiner Ruhe und Entschlossenheit eine große Hilfe gewesen. Die Funkstille ist nämlich ganz und gar kein Fernsehthema, alles spielt sich unsichtbar ab und – das ist ja das Verrückte – auch unausgesprochen. Inhaltlich gab es unendlich viele Überlegungen und Fragen. Plötzlich hatte jeder in meinem Umkreis schon einmal eine Funkstille erlebt oder gar ausgelöst. Und so habe ich mich mit Menschen getroffen, die auf diese Weise verlassen wurden – und mit jenen, die gegangen sind.

Die so entstandene Dokumentation »Für mich bist du gestorben«, die im NDR ausgestrahlt wurde, zog eine ungeahnte Resonanz nach sich. Unglaublich viele Menschen fühlten sich durch den Film angesprochen und waren von der Funkstille betroffen. So entwickelte sich die Idee, ein Buch über dieses offensichtlich weit verbreitete und dennoch unbesprochene Thema zu schreiben. Das Resultat halten Sie in Händen.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Menschen bedanken, die den Mut hatten zu reden und bei denen, die schwiegen. Ihre Namen wurden geändert und sollen daher auch an dieser Stelle unerwähnt bleiben. Mein Dank gilt darüber hinaus den Experten, ohne die dieses Buch undenkbar gewesen wäre: Prof. Dr. med. Hans Wedler, Dr. Marianne Wedler, Prof. em. Dr. Helmut Dubiel, Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch, Dr. Robert Stracke, Prof. Dr. Martin Teising, Trin Haland-Wirth und Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth.

Ich danke auch meinem Lektor Dr. Heinz Beyer, Judith Mark, Johann Meiner, Katharina Wilts, Katharina Arnold und Monika Riedlinger vom Klett-Cotta Verlag. Ohne sie würde dieses Buch noch mehr zügellose Ausschweifungen enthalten. Alles, was davon übriggeblieben ist, geht auf mein Konto.

Dank geht vor allem auch an meine Mutter Gisela Soliman für die Korrekturen, für bereichernde Impulse und für so vieles mehr.

Meinolf Fritzen, der mir mit wertvollen Überlegungen schon bei vielen ZDF-Filmen zum Thema Verlust zur Seite stand, danke ich einmal mehr für seine unverzichtbare gedankliche Mithilfe.

Armin Peter hat mich zu mehr Exaktheit in den Formulierungen angeregt und mich mit seiner Genauigkeit immer wieder herausgefordert.

Werner Grave gab mir die Möglichkeit, für den NDR (auch den Verantwortlichen beim Norddeutschen Rundfunk, Patricia Schlesinger und Dirk Neuhoff, sei an dieser Stelle gedankt) die TV-Dokumentation zum Thema Funkstille zu realisieren und begleitete mich dabei umsichtig und professionell.

Torsten Lapp danke ich für das wunderschöne Umschlagfoto und seine immerwährende Inspiration.

Gabor Harrach danke ich für die Reise in parallele Realitäten.

Dank geht auch an folgende Menschen, die dem Buch Impulse und der Autorin noch einiges mehr gaben: Barbara Stützer, meine Geschwister Maria Soliman und Michael Soliman, Markus Gerhardt, Baldur Hellwinkel, Jens Peter Meier, Silke Stürmer-Kilschautzky, Gaby Adora, Meinhild Jach, Nicole Foltys, Waltraut Peter, Inge Altemeyer, Monique Wernbacher, Kurt Pongruber, Michael Best, Marc Hoffmann, Wolfgang Kukla, Beate Frenkel, Wolfgang Beecken, Barbara Biemann, Anna Demisch, Felix Kuballa, Reinold Hartmann, Mark Seeburger, Ulla Mikosch, Birgit Wuthe, Felix Lauscher, Raoul Ulitsch und Harry Owens.

Ich danke darüber hinaus auch allen, die ich hier vergessen habe und die dieses abenteuerliche Projekt – etwas zu erklären, was man nicht erklären kann – unterstützt haben.

EinleitungFunkstille – von einem Tag zum nächsten ohne jede Nachricht

FUNKSTILLE –ein Wort aus der Schifffahrt.

Es beschreibt die Einstellung des Funkverkehrs, um den Empfang von Notsignalen sicherzustellen.

FUNKSTILLE – in der menschlichen Beziehung ein Wort wie ein Donnerschlag. Es beschreibt den plötzlichen und wortlosen Abbruch einer Beziehung.

FUNKSTILLE – Es ist ein wissenschaftlich noch unerforschtes Phänomen, von dem noch keinerlei Zahlenmaterial vorliegt – und doch sind mehr Menschen betroffen, als bislang vermutet. Ein plötzlicher Kontaktabbruch, ohne jegliche Begründung, kann das gesamte Weltbild eines Menschen erschüttern. Die Last des Verlustes wiegt schwer. Die Abwendung und Abwesenheit des zuvor nahen Menschen schmerzt. Ratschläge wie »verzeih’ doch!«, »fang’ neu an!« oder »vergiss endlich!« sind gut gemeint, aber völlig nutzlos und gehen an der viel schwierigeren Realität vorbei. Ein Abschluss ist nicht möglich, weil es keinen Abschied gab. Ein Abschied hätte Antworten geben können, Antworten, die einen Kontaktabbruch nachvollziehbar machen.

Zu Beginn meiner Recherche sprach ich mit über hundert Betroffenen, davon waren etwa ein Drittel Abbrecher. Bald zeigte sich: Weil der Kern des Problems in einem radikalen Abbruch der Kommunikation besteht, ist auch die Kommunikation mit den Betroffenen über das Thema schwierig. Die Abbrecher taten sich schwer damit, überhaupt über die Funkstille zu sprechen. Die Verlassenen wiederum, deren Gedanken oft seit vielen Jahren um dieselben Fragen kreisten, konnten kaum ein Ende finden. Nein, bekam ich immer wieder zu hören, man habe keine Ahnung, warum es zur Funkstille gekommen sei. Und fast immer kam irgendwann die Frage: Gibt es die Chance, sich wieder zu begegnen? Gibt es Paare und Familien, die wieder zusammenfinden – auch nach einer langen Zeit der Funkstille? Und: Müssen »Abbrecher« und »Verlassene« sich nicht grundlegend ändern, um einander wieder begegnen zu können? Kann der Verlassene dem Abbrecher nach einer langen Zeit des Schweigens überhaupt noch trauen?

Redebedarf über das »Nicht-reden-Können« oder »Nicht-reden-Wollen« gab es also genug, Mutmaßungen zuhauf, aber auch mindestens so viele offene Fragen. Ich versuchte, ein Muster in den Verhaltensweisen der Betroffenen zu erkennen, teilweise mithilfe von Fachleuten, teilweise, indem ich die Geschichten miteinander verglich. Ich fragte mich: Warum können einige Menschen über Konflikte, Verletzungen und unterschiedliche Sichtweisen reden und andere nicht? Oder ist die stille Beschäftigung mit einem Beziehungsproblem vielleicht gar die wirkungsvollere Methode, es zu lösen? Und ich fragte mich: Warum reagieren die Betroffenen bei dieser Problematik schamvoller als beispielsweise Menschen, die ein Kind durch Suizid verloren haben, wie ich es bei meinen Recherchen zu einem Film über den Freitod erlebt habe?

Die Verletzungen sitzen offenbar tief. Schuld, Scham und Versagensgefühle spielten in meinen Gesprächen mit den Betroffenen eine wichtige Rolle. Überraschend war für mich: Der Verlassene ist nicht per se das Opfer, und dem Abbrecher kann nicht einfach die Täterrolle zugeschoben werden. Vielmehr leiden beide Seiten. Der Abbrecher sieht sich zu seiner Handlung gezwungen, sieht keinen anderen Ausweg. »Wir haben beide geblutet darin«, erklärte eine Abbrecherin, die den Kontakt zur verlassenen Person wieder aufgenommen hat.

Ich versuchte, mich in die Gefühls- und Gedankenwelt beider Parteien hineinzuversetzen. Beide vertreten ihre subjektive Wahrheit. Wie sich der Kontaktabbruch angebahnt hat, kann im Nachhinein keiner der Betroffenen mehr so genau sagen, nur in vagen Grundzügen umreißen. Auf der Suche nach den Ursachen der Funkstille habe ich mit Psychoanalytikern und -therapeuten gesprochen. Auch sie werden im Folgenden zu Wort kommen.

Zwei Erkenntnisse beeinflussten schon zu Beginn der Gespräche mein Denken, und sie bestätigten sich mit jedem Wort oder Erklärungsversuch der Abbrecher: Schweigen ist auch Kommunikation! Denn man kann nicht nicht kommunizieren. Es gibt Gründe, die vielleicht nonverbal kommuniziert wurden, und es gilt, dieses Schweigen zu entschlüsseln. Genau das will ich in diesem Buch versuchen. Und ich ahne: Der Moment des Bruchs ist im Nachhinein kaum noch nachzuvollziehen – es ist eine lautlose Explosion, die in dem Moment, in dem sie sich ereignet, unbemerkt bleibt. Die Loslösung fand oft schon vor dem Abbruch statt!

Maja, eine Abbrecherin, mit der ich gesprochen habe, hat den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen. Sie erklärt: »Ich hatte die Liebe schon vorher verloren, konnte sie nicht mehr fühlen, spüren, und das machte es für mich an dieser Stelle unaushaltbar, deshalb bin ich aus dem Kontakt rausgegangen, um diese Verletzung und den Verlust nicht permanent zu fühlen. Ich ertrug es nicht mehr, konnte aber mein Dilemma nicht verständlich machen. Alles hat mit einer tiefen Verletzung zu tun. Ich fühlte mich von meiner Mutter nicht geliebt und verstanden, sonst hätte ich mich ihr ja anvertrauen können. Ich habe dann den Kontakt abgebrochen, um innerlich nicht ganz zu zerbrechen«, so Maja.

Der Abbrecher hat oft das Gefühl, ungeliebt zu sein und hat auch oft selbst die Fähigkeit zu lieben verloren. Der andere fordert etwas von ihm, von dem er selbst nicht genug hat. Und der Verlassene versteht nicht, dass der Abbrecher unter Liebesmangel leidet. Er war doch schließlich immer da. Dass die Loslösung oft schon vor dem eigentlichen Kontaktabbruch erfolgte, kann der Verlassene nicht erkennen. Er leidet unter der Kränkung des Zurückgelassen-Seins. Das Gefühl der Verletzung trübt auf beiden Seiten die Wahrnehmung. Das Bedürfnis, das Verhalten und die Beweggründe des jeweils anderen zu verstehen, und das Vermögen, ihm auch »negative« Gefühle zuzugestehen, sind in Mitleidenschaft gezogen. Wenn ein Familienmitglied den Kontakt abbricht, erschüttert es damit die Grundsicherheit der ganzen Familie, sagen Experten. Es fehlte in dieser Familie vielleicht das Handwerkszeug, um Konflikte zu lösen. Fest steht, dass die Funkstille als »Lösungsmittel« in Familien, in denen sie schon einmal praktiziert wurde, immer wieder auftaucht. Die Funkstille wird so zum Verhaltensmuster. »Wir werden verlassen oder wir verlassen, ungerecht behandelt und betrogen. Und immer wieder scheint das Szenario sich zu wiederholen. Wir erleben erneut die gleichen Dramen, weil wir uns immer wieder gleich verhalten«, beobachten Verhaltenstherapeuten. Trifft eine Kränkung auf einen wunden Punkt, werden auch unverarbeitete Verletzungen der Vergangenheit reaktiviert. Aber: »Man kann nicht auf Dauer vor sich selbst weglaufen. Man kann die Baustellen der Vergangenheit nicht schließen, indem man sie umfährt«, sagt einer der von mir befragten Psychologen. Man muss den Schmerz über Dissonanzen aushalten können. Aber wie stellt man sich schmerzhaften Auseinandersetzungen, wenn man verunsichert und verletzt ist, nicht weiß, was man wirklich fühlt, keine Kraft für den Konflikt hat, sich schämt oder enttäuscht ist? Bietet es sich da nicht an, das Schweigen als Mittel zu wählen, um gehört zu werden?

Wie aber kann man sich von den Problemen der Gegenwart befreien, ohne den Bezug zur Vergangenheit zu verlieren? Den Erscheinungsformen der Funkstille, ihren Ursachen und Folgen soll in diesem Buch nachgegangen werden. Es wird um Verletzungen gehen, um Angst und um die Suche nach einem Schutzraum, um die Unmöglichkeit der Kommunikation und letztlich darum, sich vielleicht doch wieder begegnen zu können. Die Erfahrungen der Menschen, die bereit waren, mit mir über die Funkstille in ihrem Leben zu sprechen, haben vieles erhellt. Manche von ihnen sind inzwischen wieder miteinander in Kontakt. Für sie war die Funkstille kein endgültiger Schlussstrich unter die Beziehung. Bei anderen sieht es so aus, als müssten sie eine Zukunft hinnehmen, in der der Abbrecher dauerhaft fehlt. Wie hängt das Verhalten des Abbrechers mit dem des Verlassenen zusammen? Wie sieht die Lebenswelt des Verlassenen aus, der von einem Tag auf den anderen ohne den einst nahen Menschen – und ohne Antworten – weiterleben muss? Wie ergeht es den Abbrechern? Im Folgenden sollen beide Seiten eingehend beleuchtet werden und Betroffene zu Wort kommen.

Erstes KapitelDie Verlassenen

»Dieses Schweigen ist wie eine offene Wunde«

Mit der Sichtweise der Verlassenen verknüpfen sich Gefühle, die so ambivalent sind, dass man sich wundern muss, wenn Zurückgebliebene darüber nicht verrückt werden. Derjenige, der den Kontakt abbricht, der Abbrecher, fehlt. Sein Fehlen ist wie die scharf umrissene Leere auf einer Fotografie, aus der jemand eine Gestalt mit einem präzisen Scherenschnitt herausgelöst hat, und nun ist die fehlende Gestalt wichtiger, beherrschender als alles andere. Er ist gerade durch seine Abwesenheit ständig präsent.

17 Jahre ist es her, dass Claudia den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen hat. Es war ein totaler Bruch mit dem bis dahin gelebten Leben. Ute vermisst die große Schwester Claudia sehr: »Claudia brach ganz plötzlich den Kontakt zur gesamten Familie ab, zu meinen Kindern, zu unserer Mutter, Tante, Freunden, ihrem Ex-Mann. Sie war plötzlich weg. Man muss dabei wissen, dass Claudia ein Teil meiner Familie war und gerade zu ihrer Nichte, zu Annika, meiner Tochter, ein sehr enges Verhältnis hatte. Annika ging mit ihren Problemen zu Claudia, nicht zu mir. Meine Schwester war ein vollwertiges Mitglied unserer Familie«, betont Ute im Gespräch mit mir, und gerade weil sie dies so vehement unterstreicht, überlege ich, ob es wirklich so war. Dennoch, die Schwestern hatten ein enges Verhältnis zueinander, fuhren gemeinsam in den Urlaub, feierten zusammen; die Kinder – Claudias Tochter und Utes Kinder – spielten miteinander. Claudias Tochter starb neunjährig an Krebs. Danach wurde der Kontakt zwischen den Schwestern noch enger, meint Ute. Zu eng?, frage ich mich unwillkürlich. Nähe macht verletzlich.

Ute lebt heute mit Tochter Annika (22) in einer freundlichen Dachwohnung in Hamburg. Die Möbel sind weiß, Fotos hängen an der Wand, auch Claudia ist darauf zu erkennen. Die Wände sind bemalt. Ute und Annika haben die Einrichtung bei Ikea erstanden, weil beide dort arbeiten. Die Zimmer wirken neu eingerichtet, und sie sind es auch. Mutter und Tochter wohnen erst seit einem Jahr zusammen. Utes Söhne Tobi (25) und Benni (19) wohnen in der Nähe. Ihr Mann, mit dem sie eine große Gärtnerei betrieb, hat sich vor Kurzem von Ute getrennt, nach 30 gemeinsamen Jahren. »Natürlich ist das auch ein Grund, warum mir Claudia jetzt besonders fehlt. Ich hätte sie gebraucht, aber so wiederholt sich nur ein drittes Mal in meinem Leben eine Geschichte des Verlassen-Werdens«, erzählt Ute mir.

Sie geht in die Küche und setzt einen Kaffee auf, kommt zurück, und es ist offensichtlich, dass sie geweint hat. Die Trennung von ihrem Mann ist frisch, sie tut noch weh, aber das allein ist es nicht. Sein Verlassen der Familie ruft bei Ute geradezu traumatische Erinnerungen wach. Die Trennung hat einen wunden Punkt getroffen, unverarbeitete Verletzungen aus Utes Vergangenheit reaktiviert. »Warum kann man vergangene Verletzungen nicht einfach abschütteln?«, fragt Ute mich.

Die Frage bleibt im Raum stehen.

Die 55-Jährige wirkt plötzlich hilflos wie ein kleines Kind, und das nicht zum ersten Mal. Sie kann es weder ertragen noch akzeptieren, dass sie ihre Schwester für immer verloren haben soll. Auch Annika, die eine besonders enge Beziehung zu ihrer Tante hatte, ist wütend: »Jemanden anzuschweigen ist im Zwischenmenschlichen die größte Strafe überhaupt, einfach nicht zu sagen, was los ist und abzuhauen. Dieses Schweigen ist wie eine offene Wunde, die immer klafft und die sich nicht schließen kann, weil es den Faden zum Zunähen nicht gibt, weil es die Antwort auf das ›Wieso bist du gegangen?‹ nicht gibt. Es ist einfach wahnsinnig feige, ist purer Egoismus. Der Abbrecher ist ja offenbar unfähig, sich reif und vernünftig mit seinem Gegenüber auseinanderzusetzen. Von einem erwachsenen Menschen sollte man aber erwarten, dass er Verantwortung für sein Handeln übernimmt, sagt: ›So sehe ich das, tut mir leid, aber ich kann nicht anders, weil …‹«.

Im Laufe unserer vielen Gespräche werde ich mehr als einmal erstaunt sein, wie klar, überlegt, fast schon weise die 22-Jährige die Situation einer Funkstille erfasst, eher intuitiv, nicht forschend, aber klar und kompromisslos. Annika ist es auch, die immer wieder ihre Mutter an die Hand nimmt und ihr vorsichtig rät, das Verhalten der Schwester endlich zu akzeptieren oder sie zu suchen, um endlich eine Antwort auf die Frage nach dem »Warum« zu bekommen. Ihre Mutter könne dann endlich einen Schlussstrich ziehen oder aber den Faden wieder aufnehmen, hofft die Tochter.

Ute wirkt abwesend, doch sie hat ihrer Tochter gut zugehört, und langsam wächst in ihr ein Plan. Annika ist fest davon überzeugt, dass nur jemand selbstbestimmt lebt, der es versteht, sich zur Sprache zu bringen. Ute ihrerseits ist nicht wütend, sondern einfach nur traurig. Sie fühlt sich schwach, empfindet ihre Schwester eher als hart, unnachgiebig und, ja, manchmal auch als böse. »Sie muss doch wissen, dass sie mich verletzt.« Ist Claudia einfach nur egoistisch, wie Annika vermutet? Der Schweizer Psychoanalytiker und Psychotherapeut Udo Rauchfleisch meint dazu: »Solch ein Kontaktabbruch hat schon etwas sehr Egoistisches! Darunter liegt aber vor allem extreme Unsicherheit, sich nicht artikulieren zu können, sich nicht zu trauen, oder aber die Situation, dass jemand denkt: Jetzt habe ich das x-mal angedeutet. Jetzt reicht’s, jetzt geh’ ich, weil die andere Person zu wenig sensibel ist. Ich würde das nicht einfach unter Egoismus subsumieren.«

Ute sucht seit 17 Jahren nach dem Grund für den Kontaktabbruch der Schwester. Natürlich, denke ich, wir wollen offenbar wissen, aus welchem Grund die Dinge in unserem Leben geschehen.

»Man lebt damit wie mit einem abgeschlagenen Bein«

Die 72-jährige Lisa-Maria W. wirkt gefasst. Ich treffe die gutaussehende ältere Dame, ihre 42-jährige Tochter Christine und die 18-jährige Enkelin Anna das erste Mal in einem Café in Kiel. In unserem Gespräch geht es um Michael (46), den ältesten Sohn von Lisa-Maria W., der vor rund zwei Jahrzehnten den Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Mit seinen Geschwistern – es gibt außer der Schwester noch einen älteren Bruder, Christian (44) – und den Nichten und Neffen hält Michael Kontakt, wenn man das so nennen kann. »Ja, wir haben Kontakt zu ihm, aber es kann auch passieren, dass wir verabredet sind und er nicht kommt, ohne abzusagen, dass er mitten im Gespräch aufsteht und geht. Und wenn wir vorsichtig versuchen, ihn auf unsere Mutter anzusprechen, droht er uns mit Kontaktabbruch. Also halte ich mich zurück. Ich habe einfach Mitleid mit ihm, will nicht, dass er dann gar niemanden mehr hat«, beschreibt Christine das Verhältnis zu ihrem Bruder.

Ihre Tochter Anna führt den Gedanken weiter: »So kann doch kein Mensch glücklich sein, ob er das jetzt mit Absicht macht oder nicht, das sei dahingestellt. Das glaube ich auch nicht, aber ich glaube auch nicht, dass er glücklich ist und wenn, wird er auch nicht mehr lange glücklich sein mit der Art, die er an den Tag legt.«

Lisa-Maria W. hört zu, scheint gelernt zu haben, mit dem fehlenden Kontakt zu ihrem ältesten Sohn zu leben. Schließlich nimmt sie das Gespräch auf. Natürlich überlebe man das. »Man lebt damit, wie mit einem Geschwür oder einem abgeschlagenen Bein«, schildert sie das Lebensgefühl ohne ihren Sohn. Sie erzählt von dem Bruch, dem Schweigen, der Ablehnung und der Zeit der Versuche, ihrem Sohn wieder näherzukommen. Immer wieder habe sie den Kontakt gesucht, habe Briefe geschrieben, einige abgeschickt, einige für sich behalten. An den Geburtstagen habe sie angerufen und Geschenke geschickt. Keine Reaktion. Irgendwann schrieb sie keine Briefe mehr, rief nicht mehr an, schwieg: »Es muss eine wechselseitige Kommunikation sein. Es hat keinen Zweck, wenn der Eine immer nur klopft und der andere nicht hinhört. Das geht nicht mehr. Über diesen Punkt des Hinterherkriechens bin ich weg. Ich lass’ ihn jetzt in Ruhe.«

Warum bricht ein Sohn den Kontakt zur Mutter ab? Warum haben die anderen Kinder ein inniges, gar herzliches Verhältnis zu ihrer Mutter? »Wenn sie eine schlechte Mutter gewesen wäre, dann doch auch für uns«, meint Tochter Christine. Hinzu kommt, dass Lisa-Maria W. immer wieder Pflegekinder aufnahm, und das sogar bis heute. Die Geschwister erinnern sich im Gegensatz zu Michael an eine behütete und liebevolle Kindheit. Ahnt die Mutter wirklich nicht, warum ihr Sohn partout keinen Kontakt zu ihr haben will? Nach einigen weiteren Besuchen, die im Haus von Lisa-Maria W. in der Nähe von Kiel stattfanden, erklärte sie mir ziemlich überraschend: »Ich weiß, dass ich Michael selten gestreichelt habe. Das ist mir vor zehn Jahren erst aufgefallen, als ich Enkel kriegte. Da merkte ich, irgendetwas habe ich bei dem ja gar nicht gemacht.« Dann bricht es aus ihr heraus: »Also, wissen Sie was? Ich gebe mir alle Schuld der Welt. Ich bin aber nicht so vermessen zu sagen, das stört mich nicht. Doch, es stört mich. Doch, das tut es – meine Seele hat oft geweint.«

Auch wenn der Experte die Mutter nicht von ihrer Mitverantwortung freisprechen möchte, warnt er davor, die Mütter für sämtliche Fehlentwicklungen der zwischenmenschlichen Kommunikation in der Familie verantwortlich zu machen: »Es heißt immer, die Mutter ist schuld, interessanterweise wird nicht auf den Vater verwiesen, der ja auch zur Erziehung beiträgt. Der Vater hat nämlich einen erheblichen Einfluss, gerade wenn es um Gewalt geht. In Populärtheorien ist es immer die Mutter, von der man sich fragt: Hat sie das Kind zu stark gebunden, hat sie es vernachlässigt? Natürlich sind das Theorien, die von Männern formuliert wurden. Die Kinder haben bestimmte Veranlagungen, und es ist immer die Frage, wie sind die Eltern in der Lage, ihre Kinder entsprechend diesen Anlagen zu erziehen – und es gibt dieses Idealbild von Mittelstandseltern, nämlich dass die Eltern immer Zeit und Kraft haben, sich um ihre Kinder zu kümmern. Das berücksichtigt nicht, dass es Eltern gibt, die das einfach nicht schaffen, weder emotional noch aus ihren Verstrickungen in Partnerschaften oder aus ökonomischen Gründen«, so Udo Rauchfleisch.

»Ich kam nicht zu ihm durch«

Ich treffe Isabella M., die Mutter von Jan, einem Freund. Von vornherein ist klar, dass sie für den Film, den ich mache, nicht vor die Kamera gehen wird, denn sie ist selbständige Unternehmensberaterin, die Wert auf Diskretion legen muss, weil sie Kunden betreut. Die Funkstille scheint ein Makel zu sein, scheint von Unfähigkeit und einem Mangel zu zeugen, sonst würden sich die Betroffenen nicht so bedeckt halten. Ich sitze in einem liebevoll eingerichteten Wohnzimmer einer bildhübschen, etwa 60-jährigen Frau gegenüber, die ihre rot lackierten Nägel in die Sofakissen krallt. Sie trägt ein schickes Sommerkleid. Der kräftige Kajal umspielt die Augen ausdrucksstark, und der rote Lippenstift passt zum Haar. In meine ersten optischen Eindrücke hinein beginnt sie ihre Geschichte zu erzählen. Das »Drama«, wie ihr Sohn Jan es nennt, kenne ich in diesem besonderen Fall bereits aus der Sicht des Abbrechers.

»Vor der Funkstille stritten wir viel. Mein Sohn warf mir vor, dass ich sein Leben versaut, ihn mit meiner Liebe erdrückt und ihn zur Unselbständigkeit erzogen hätte«, so Isabella M. Stimmt, denke ich, Jan wirft seiner Mutter tatsächlich vor, dass sie ihn zu sehr liebte, ihn wie ein »Schmusetierchen« behandelte, dass die Beziehung neurotisch, ja symbiotisch war. Was war passiert, bevor Jan den Kontakt abbrach? Wie ist Isabella M.s Version des »Dramas«, will ich wissen. Sie steht auf und holt eine Flasche Wasser. Spürbar nervös und bewegt beginnt sie zurückzuschauen: »Ich ließ mich scheiden, als Jan zehn Jahre alt war, und danach hatten wir nur uns. Es war sehr eng. Er vermisste seinen Vater und hat dann an mir gehangen wie eine Klette. Zugegeben, auch für mich war er der wichtigste Mensch in meinem Leben«, räumt sie ein. Für sie spürbar angefangen haben die Probleme, als Jan zu studieren begann. Ob er nicht vielleicht schon vorher, in der Pubertät, rebelliert habe, frage ich sie. »Nein«, erwidert die Mutter, »jedenfalls nicht sichtbar, denke ich.«

Sie erzählt weiter: »Es hat angefangen, kurz nachdem er zu Hause ausgezogen war und mit dem Studium angefangen hatte. Er hatte da schon seine spätere Frau Lara kennen gelernt. Laras Vater war Psychiater, sie selbst beschäftigte sich mit dem Thema Psychoanalyse. Jan war unglücklich darüber, dass ich ihn gebeten hatte, bei mir ausziehen. Ich arbeitete den ganzen Tag, wir hatten eine kleinere Wohnung, und sie wurde für uns zu klein. Seine Freunde hingen da abends rum, es gab keinen Platz für mich. Ich war damals noch angestellt als Personalberaterin. Jan studierte und brachte seine Freunde mit nach Hause. Ich wollte aber auch mal für mich sein. Es wurde mir zu eng. Ich bezahlte sein Studium, bot auch an, ihm eine Wohnung zu suchen und sie zu bezahlen. Das hat er mir wahnsinnig übel genommen. Es war eine tiefe Verletzung, er fühlte sich abgeschnitten. Mit Lara und ihrem Vater kam er darauf, dass in unserer Beziehung etwas nicht stimmte.

Als ich mal im Krankenhaus war, hatte er mein Auto, sollte mich abholen. Ich bat Lara am Telefon, holt mich ab. Ja, wenn wir Zeit haben, sagte sie nur. Lara hatte großen Einfluss auf Jan. Eines Tages kam ich bei ihm vorbei, und er ließ mich nicht in die Wohnung. Du kannst nicht reinkommen, wir haben Besuch, sagte er, und ich stand draußen auf dem Flur. Er wurde immer ablehnender, bis zu dem Punkt, an dem er mich zu seiner Hochzeit explizit auslud. Ich sei nicht erwünscht. Ich habe ihn immer wieder gefragt: Was ist mit uns? Er hat mich immer nur abgeschmettert, ließ sich auf kein persönliches Gespräch ein, er hat sein Verhalten nie begründet. Ich kam nicht mehr durch zu ihm, konnte ihn nicht mehr greifen. Wenn wir telefonierten, stritten wir uns. Er meinte mal: ›Ist dir eigentlich klar, dass du mir meine gesamte Jugend verdorben hast?‹ Ich fragte: ›Warum?‹ Er sagte: ›Du hast mir den Schwanz wegsozialisiert. Du hast mich nicht Mann werden lassen.‹

Ich war sprachlos. Jan erklärte nicht, wie er darauf kam. Er ließ mich auch nicht erklären, warum ich das anders sehe. Der Vorwurf war: Du hast alles falsch gemacht! Dann sagte ich: ›Du hast doch auch einen Vater gehabt. Warum habe nur ich alles falsch gemacht?‹ Dann kam: ›Lass’ den Vater aus dem Spiel !‹ Er lud alles auf mich ab, weil er seinen Vater nicht greifen konnte. Der war nicht präsent, der war im Ausland, und außerdem hätte der sich so etwas auch niemals angehört. Der wäre aufgestanden und gegangen.« Damals ging Jan – offenbar hatte er mehr mit seinem Vater gemein, als er dachte.

Isabella M. und ich schweigen nach diesen offenen Worten eine Weile. Dann breche ich das Schweigen, schildere Jans Sicht der Dinge. Das Verhältnis sei zu symbiotisch gewesen, und deshalb habe er sich abgrenzen müssen, hat Jan mir erklärt. Er habe nur zwei Möglichkeiten gesehen: entweder sich umzubringen oder aber, den Kontakt abzubrechen, so waren seine Worte. Isabella M. wirkt erschöpft, als sie mir antwortet: »Er kam mit dem Ödipuskomplex. Aber ich habe ihn doch nicht angefasst oder vergewaltigt. Was soll man dazu sagen?«

Wissen wollen, woran man ist

»Warum?« ist die Frage, um die alle Verlassenen kreisen, die sie kaum etwas anderes denken lässt. Hätte der Abbrecher sich erklärt und wäre dann gegangen, könnten die Verlassenen zumindest die gemeinsame Geschichte abschließen. Sie könnten das Ende akzeptieren oder auch nicht, aber sie wüssten wenigstens den Grund, könnten trauern, hoffen, gar einen Schlussstrich ziehen. Aber so? Die Situation ist ähnlich wie bei einem Verschollenen. Der Verlust ist uneindeutig. Der Zurückgebliebene kann nicht endgültig abschließen, schließlich gibt es keine Leiche. Zu drastisch? Nein. Denn der Abbrecher ist ja verschwunden, und der Verlassene durchläuft einen Trauerprozess, als ob der Abbrecher gestorben wäre. Für den Verlassenen gibt es wie für Hinterbliebene nach einem Todesfall die Zeit des Leugnens, der Gefühlsausbrüche, des Abschiednehmens, der Erschöpfung und des Neubeginns. Die einzelnen Trauerphasen überlappen einander, fallen zusammen oder vermischen sich.

Die Gefühle der Verlassenen erinnern mich an das, was mir Hinterbliebene nach einem Suizid geschildert haben. Der Suizid ist der konsequenteste Kontaktabbruch. Aber was ist dann die Funkstille: ein Suizid mit Notausgang? Der Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch unterstreicht den Gedanken: »Der Kontaktabbruch ist eine absolute Grenze, denn er verhindert ja jeglichen Eingriff, jeglichen Übergriff, eben jegliche Kontaktaufnahme. Das ist fast wie beim Suizid, nicht ganz so radikal und unverrückbar, aber doch ähnlich … es ist eine ganz harte Grenze, die nicht zu durchstoßen ist.«

Die Funkstille ist offenbar ein Phänomen, das eher enge Beziehungen betrifft – darin liegt das Schmerzhafte, aber auch eine Chance, so der Hamburger Psychotherapeut Robert Stracke: »Ich denke, dass bei vielen Abbrechern sehr heftige Gefühle für denjenigen da sind, zu dem der Kontakt abgebrochen worden ist. Das zeigt schon die Art und Weise, wie der Kontakt abgebrochen worden ist. Wenn es mir egal wäre, welche Gefühle ich einem anderen Menschen gegenüber habe, dann kann ich anrufen und sagen: Ach, weißt du was, du interessierst mich einfach nicht mehr. Dann hat sich das. Aber das passiert ja gerade nicht. Wenn man nicht darüber spricht, über diese Dinge, die da sind, und sich einfach zurückzieht, dann wird das in den häufigsten Fällen auf der Grundlage von sehr starken Gefühlen bei den Abbrechern der Fall sein.«

Ein weiterer Gedanke, der die Verlassenen immer wieder umtreibt: Er/sie kennt mich doch, müsste doch wissen, wie sehr es schmerzt, nicht zu wissen, was los ist. Letzteres ist ein Grundbedürfnis, so Stracke: »Man möchte wissen, woran man ist, und man möchte gerne auch die Möglichkeit haben, die Situation mitzubestimmen. Es geht um das Grundbedürfnis nach Kontrolle.«

»Es gibt nichts, was mich so aus der Bahn geworfen hat«