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Annabelle Weber ärgert sich: Noch immer hat sie als glänzend ausgebildete Schauspielerin keine feste Anstellung gefunden und lebt von Modeljobs für Hundeflohpulver und stark riechenden Hartkäse! Aber was soll man machen ... Wie gut, dass morgen ein wichtiges Vorsprechen am Theater ansteht, aus dem vielleicht endlich ihr erstes festes Engagement entstehen könnte.
Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Statt zum Vorsprechen zwingt ein familiärer Notfall Annabelle, in ihre Heimat zu reisen. Im Zug trifft sie einen absoluten Traummann, dem sie aber wegen des Notfalls nicht näherkommen kann - und dann entpuppt sich besagter Traummann bei einer zweiten Begegnung auch noch als Baron in Liebesnöten und macht ihr ein unwiderstehliches Angebot. Mit klopfendem Herzen stimmt Annabelle zu, seine Verlobte zu spielen - nichtsahnend, dass sie eben jenes Herz damit in große Gefahr bringt ...
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Seitenzahl: 130
Cover
Ein Herz verkauft man nicht
Vorschau
Impressum
Ein Herz verkauft man nicht
Eine bankrotte Schauspielerin, ein Baron in Nöten und ein lukrativer Handel
Von Carolin von Campen
Annabelle Weber ärgert sich: Noch immer hat sie als glänzend ausgebildete Schauspielerin keine feste Anstellung gefunden und lebt von Modeljobs für Hundeflohpulver und stark riechenden Hartkäse! Aber was soll man machen ... Wie gut, dass morgen ein wichtiges Vorsprechen am Theater ansteht, aus dem vielleicht endlich ihr erstes festes Engagement entstehen könnte.
Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Statt zum Vorsprechen zwingt ein familiärer Notfall Annabelle, in ihre Heimat zu reisen. Im Zug trifft sie einen absoluten Traummann, dem sie aber wegen des Notfalls nicht näherkommen kann – und dann entpuppt sich besagter Traummann bei einer zweiten Begegnung auch noch als Baron in Liebesnöten und macht ihr ein unwiderstehliches Angebot. Mit klopfendem Herzen stimmt Annabelle zu, seine Verlobte zu spielen – nichtsahnend, dass sie eben jenes Herz damit in große Gefahr bringt ...
»Ich muss mehr Gefühl sehen«, rief der Fotograf hinter seiner Kamera und wedelte ungeduldig mit der freien Hand in der Luft. »Stell dir doch vor, das wäre dein Freund!«
War das sein Ernst? Annabelle Weber, die dreiundzwanzigjährige Blondine mit Gardemaß, stand im hellen Scheinwerferlicht des Studios und sah amüsiert auf den Käse in ihrer Hand. Fotografen kamen wirklich auf die blödesten Ideen.
Sie gab sich dennoch alle Mühe und schmachtete das pikante Stück an, als wäre es ein Traumprinz. Wie ein Trommelfeuer ratterte sogleich der Auslöser der Kamera los.
Eine Viertelstunde später ließ der Fotograf Edwin, genannt Eddi, die Kamera sinken.
»Das wär's. Gute Arbeit«, lobte er.
Annabelle atmete auf. Seit drei Stunden hatte sie für die Produkte einer Molkereifirma posiert – in zehn Zentimeter hohen Stilettos und einem hautengen Kleid.
Sie übergab der Assistentin dankbar den Käse, als Eddi sie ansprach: »Die Produkte mit den Bildern von letztem Mal sind jetzt im Handel. Schon gesehen?«
Annabelle schüttelte den Kopf und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Sie konnte in diesen Schuhen keine Sekunde länger mehr stehen. Sie sank auf einen Campingstuhl, und Eddi ging dicht neben ihr in die Hocke. Seine schwarze Lederjacke streifte dabei ihren Arm, was Annabelle mit leichtem Unbehagen registrierte.
»Wollen wir gleich einen Kaffee trinken gehen?«, fragte er mit einem Lächeln, das er selbst garantiert für unwiderstehlich hielt.
Mitnichten wollte Annabelle das. Alles, was sie sich wünschte, waren vernünftige Klamotten und etwas Essbares, das kein Käse war.
»Ich habe morgen ein Vorsprechen«, antwortete sie daher wahrheitsgemäß. »Dafür muss ich noch üben.«
»Aha«, machte Eddi, an dessen Selbstbewusstsein die Abfuhr abperlte wie Tau an einer Motorhaube.
Als Werbefotograf hielt er es anscheinend für seine Pflicht, sein Modell anzumachen, und wenn es sich obendrein um so eine langbeinige Schönheit wie Annabelle handelte, erst recht.
Ihr war es einerlei. Sie hatte kein Interesse an Männern, das war nur Zeitverschwendung. Wenig begeistert betrachtete sie die Fotos, die er ihr zeigte. Es waren Aufnahmen für einen Haustierbedarf. Ein flauschiger Terrier war damals ihr vierbeiniger Kollege gewesen.
»Ganz nett«, meinte sie.
Sie fand es nicht besonders toll, dass ihr Gesicht landesweit auf Käsepackungen und einem Mittel gegen Hundeflöhe prangte. Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als endlich ein Engagement am Theater zu bekommen. Und sie wusste, dass sie gut genug war. Ihre Augen bekamen einen verträumten Glanz. Vielleicht würde es ja morgen schon so weit sein ...
Ohne weiter auf Eddi zu achten, der gerade von seinem Talent und ihrer Fotogenität schwärmte, zog sie sich die Schuhe aus und tappte barfuß hinter den Paravent. Als sie kurz danach wieder in ihren Turnschuhen, den weiten Jeans und einem Baumwollpulli steckte, das schulterlange weizenblonde Haar zu einem dicken Zopf gebunden, fühlte sie sich wieder halbwegs menschlich.
Edwin, der keine Zeit verschwendete, hatte sich längst einer jungen Assistentin zugewandt und verabschiedete sich mit einem lässigen Wangenkuss von ihr.
Im Treppenhaus stand Annabelle wartend vor dem Fahrstuhl und warf einen Blick aus dem Fenster. Der Himmel über der Innenstadt war trüb, es regnete. Der liebliche Mai blieb hier im hohen Norden wohl noch weiterhin aus.
Als sich die Fahrstuhltür öffnete, hob Annabelle erstaunt die Brauen. Ein großer, muskulöser Mann in Parka und zerrissenen Jeans stand vor ihr. Wie Annabelle hatte er blondes dichtes Haar und auffallend grüne Augen.
»Hallo Schwesterherz.«
»Was machst du denn hier?«
Sie sah ihren Bruder besorgt an und trat zu ihm in die Kabine. Etwas musste passiert sein. Ben, der drei Jahre älter war, holte sie doch nie ab.
»Ich hab' schlechte Neuigkeiten«, bestätigte er ihre Befürchtungen, während sie hinabfuhren. Er räusperte sich. »Es geht um Onkel Severin.« Beschwichtigend hob er die Hände, als Annabelle die Augen erschrocken aufriss. »Reg dich nicht gleich auf, er ist außer Lebensgefahr, aber er liegt im Krankenhaus. Er hatte einen Herzinfarkt«, erklärte Ben leise.
»Oh nein!« Annabelle schlug die Hand vor den Mund. »Der Ärmste«, stieß sie hervor.
»Der behandelnde Arzt hat vorhin bei uns angerufen«, setzte ihr Bruder hinzu. »Onkel Severin wird morgen operiert. Ich dachte mir, dass du hinfahren willst?«
Binnen Sekunden entschied Annabelle sich. Natürlich wollte sie Onkel Severin beistehen! Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Das Vorsprechen, auf das sie so hingefiebert hatte, war mit einem Schlag zur Nebensache geworden.
»Ich will sofort zu ihm«, antwortete sie. »Und was ist mit dir?«
Sie sah ihren Bruder stirnrunzelnd an.
Ben räusperte sich und erklärte fast verlegen: »Ich habe morgen einen wichtigen Termin. Und ich brauche das Auto.«
Annabelle verdrehte die Augen und stöhnte auf: »Oh, Mann. Sind wieder irgendwelche Ratten zu retten?«
Ben seufzte nur, und Annabelle wusste, dass sie recht hatte. Seit sie denken konnte, verbrachte ihr Bruder, der eigentlich Gärtner war, seine gesamte Freizeit mit Tierrettungen. Er holte Vögel und Vierbeiner aus überfüllten Zoos, Tierheimen oder Laboren, vermittelte sie weiter oder pflegte sie und suchte neue Besitzer. Annabelle erinnerte sich noch allzu gut an die fünf Chinchillas, die wochenlang bei ihnen gehaust hatten.
Stumm hielt ihr Bruder ihr die Tür auf, und Annabelle stampfte verstimmt an ihm vorbei. Das war wieder mal typisch Ben. Als ob Severin nicht wichtiger wäre.
Sie verließen das Gebäude und gingen durch den Regen zum Parkplatz. Schließlich sah der junge Mann seine Schwester schuldbewusst von der Seite an.
»Du weißt doch, wie das ist. Wenn ich es nicht mache, macht es keiner. Ich kann für Severin nicht viel tun, aber für diese Tiere schon. Ich fahre dich zum Bahnhof und komme am Sonntag nach, versprochen.«
Annabelle zuckte nur mit den Schultern.
Sie stiegen in den betagten Kleinwagen, den sie sich teilten. Während Ben durch die Innenstadt lenkte, sah Annabelle aus dem Fenster in den Regen. Ihr Ärger war einer Nachdenklichkeit gewichen.
Seit ihre Eltern nach Griechenland ausgewandert waren, fühlte sie sich Onkel Severin noch näher. Onkel Severin hatte immer an sie und ihren Traum von einer Schauspielkarriere geglaubt. Auch für ihn wollte sie es unbedingt schaffen, schließlich hatte er sie sogar finanziell immer großzügig unterstützt.
Nachdem sie und Ben in der gemeinsamen Wohnung Halt gemacht und Annabelle eilig ein paar Sachen in ihren Rucksack geworfen hatte, fuhr Ben sie zum Hauptbahnhof.
»Viel Erfolg mit deinen Viechern«, wünschte Annabelle in versöhnlichem Ton und schulterte ihren Rucksack.
Ben lächelte. Er hatte das zu Recht als Friedensangebot verstanden.
»Grüß ihn von mir und sag ihm, dass ich so schnell wie möglich nachkomme«, bat er.
Annabelle nickte. Sie umarmten sich, und Ben kletterte wieder in den kleinen Wagen und sauste davon.
Annabelle sah auf die Uhr. Wenn alles gut ging, würde sie noch rechtzeitig vor der Ruhezeit in der Klinik von Liebenau sein. Sie wollte Severin unbedingt noch Mut zusprechen, bevor er morgen früh operiert werden würde.
Am Gleis stellte sie allerdings ernüchtert fest, dass der Zug nicht nur verspätet, sondern auch überfüllt sein würde. Der Bahnsteig war voller Menschen. Unter ihnen waren zu Annabelles Unmut auch Anhänger eines Fußballclubs, die an ihrer Kriegsbemalung, dem disharmonischen Gesang und ihren hochprozentigen Ausdünstungen zu erkennen waren. Endlich fuhr der Zug ein, und resigniert drängte Annabelle sich inmitten der bunten Horde in einen der Waggons. Unter lauten Jubelgesängen fuhren sie ab. Die junge Frau zog die Nase kraus und schüttelte den Kopf, als ihr Nebenmann ihr ein Bier anbot. Dieser Tag hatte offenbar noch einige Überraschungen zu bieten.
Das elegant eingerichtete Nobelrestaurant mit der diskreten Bedienung hatte für Anton Baron von Lensin nur einen Vorteil. Es war nah genug am Bahnhof, sodass er seinen Zug problemlos erreichen würde. Sein Termin mit dem schwerreichen Geschäftsmann war für den achtundzwanzigjährigen Juristen leider reine Zeitverschwendung.
»Es ist lobenswert, dass sie der Landbevölkerung in Ruanda mit Ihrer Stiftung helfen wollen, ...«, versicherte der Unternehmer ihm, »... und ich bewundere Ihr Engagement. Ehrlich. Aber mein Spendenbudget ist für dieses Jahr schon ausgereizt.«
Bedauernd hob der Mann die Schultern, und der teure Stoff seines dunklen Maßanzugs schlug eine winzige Falte.
Anton von Lensin musste sich beherrschen, nicht laut zu lachen. Der Mann war mehrfacher Millionär.
Langatmig fuhr er fort, Anton darzulegen, warum eine Spende nicht in Betracht kam, doch der junge Baron hörte nicht mehr zu. Nachdenklich strich er sich durch das kastanienbraune, kurz geschnittene Haar, und seine blauen Augen bekamen einen abwesenden Blick.
Er sah aus dem Fenster in den regnerischen Tag. Erst vor ein paar Stunden war er aus Ruanda zurückgekommen, die Eindrücke aus dem ostafrikanischen Gebirgsstaat waren noch ganz frisch. In der ländlichen Region, die er besucht hatte, weit ab von der westlich geprägten Hauptstadt, herrschte bittere Armut und es gab viele Waisenkinder. Seit Jahren unterstützte Anton ein Projekt, das ihnen eine Zukunftsperspektive geben sollte. Von den ersten Fortschritten hatte er sich nun überzeugen können.
Viele Jugendliche konnten dank seiner Hilfe einen einfachen Beruf erlernen. Antons Ziel war nun, ihnen ein Stück Land zu überlassen, damit sie sich und ihre Geschwister selbst versorgen konnten.
Doch dafür brauchte er eine Menge Geld. Und er brauchte es schnell. Seinem Gegenüber, der nun nervös an seinem goldenen Siegelring drehte, schien das Schicksal der Kinder jedoch völlig egal zu sein.
Als er endlich aufgehört hatte, zu reden, nickte Anton und bedankte sich höflich für die Zeit seines Gastes. Er zahlte die Rechnung, griff nach seinem Gepäck und sie verließen das Lokal und verabschiedeten sich auf der Straße. Beide wussten, dass sie keinerlei Sympathie für einander hegten. Der Mann stieg in eine wartende Limousine und schlug hart die Tür zu.
Resigniert steckte Anton die Hände in die Taschen seines Trenchcoats. Es war nicht das erste Mal, dass er abgewiesen wurde. Aber dieses Mal war es besonders schmerzlich, denn er stand unter Zeitdruck. Wenn er das Land nicht kaufte, würde es todsicher einem Spekulanten in die Hände fallen.
Unschlüssig stand er auf dem Gehsteig.
In einer Stunde müsste er in den Zug steigen, um in ein verschlafenes Kleinstadtnest zu reisen. Dort wurde am Wochenende das große Geburtstagsfest seiner Tante gefeiert, und selbstverständlich war er eingeladen. Trotzdem hatte er bis zuletzt gewartet, um zu entscheiden, ob er fahren würde.
Jetzt schien es, als bliebe ihm nichts anderes mehr übrig.
Angespannt zog er sein Smartphone hervor und schaltete es ein. Noch einmal spielte er die Videobotschaft ab, die Tante Edda ihm vor Kurzem geschickt hatte.
»Anton«, meldete sich Edda von Rasmus und blickte streng in die Handykamera. Ihre silbernen Haare waren zu einer strengen Kurzhaarfrisur gekämmt und ihr Mund wie immer korallenrot geschminkt. »Seit meinem Vorschlag vor sechs Monaten habe ich nichts mehr von dir gehört.« Ihre Stimme klang kühl und vorwurfsvoll. »Meine Meinung habe ich aber nicht geändert. Triff dich mit Ricarda, und wenn du standesgemäß verlobt bist, werde ich dein Projekt mit Freuden finanzieren. Darauf gebe ich dir mein Wort. Ich rechne damit, dich am Freitag zu meinem Geburtstag zu begrüßen. Mit deiner Verlobten!«
Anton schaltete mit zitternden Fingern das Display aus. Langsam ging er in Richtung eines Taxistands. Als er das Handy in die Manteltasche gleiten ließ, berührten seine Finger die Ringschatulle aus Samt, die er bei sich trug. Mit bangem Herzen dachte er an das, was ihm bevorstand. Kein Prozess hätte den Anwalt nervöser machen können.
Annabelle hatte gehofft, dass der Zug sich leeren würde. Doch nachdem sie in Hamburg gehalten hatten, wurde es sogar noch voller. An einen Sitzplatz war nicht zu denken.
Genervt pustete sie eine Strähne aus der Stirn und sah sich um. Der Intercity glitt durch die Landschaft, und die Fahrgäste standen dicht an dicht im Gang. Einige hatten sich auf ihren Koffer gesetzt, ein paar der Fußballfans saßen schunkelnd auf dem Boden.
»Hier ist noch ein Plätzchen, Blondie!«, rief einer von ihnen und winkte ihr zu.
Darauf hatte Annabelle nicht im Geringsten Lust, aber ihre Füße taten so weh. Sie griff kurzerhand nach ihrem Rucksack und quetschte sich durch die Menge. Sie würde einen Sitzplatz kriegen. Und wenn sie den ganzen, verdammten Zug durchsuchen müsste!
Tatsächlich, ganz vorne fand Annabelle ein geschlossenes Abteil, in dem nur ein Mann im grauen Anzug über seiner Tageszeitung saß.
Es waren Plätze der ersten Klasse, und Annabelle zögerte. In einer halben Stunde würden sie allerdings schon in Liebenau ankommen. Sie überlegte und kam zu dem Schluss, dass sie das Risiko eingehen würde, jetzt würde sie sowieso nicht noch einmal kontrolliert werden. Entschlossen öffnete sie die Glastür und trat ein.
»Guten Tag«, grüßte die junge Frau höflich.
Anton sah auf und nickte ihr zu, dabei trafen sich eine Sekunde ihre Blicke. Was für ungewöhnlich grüne Augen, dachte er.
Sie setzte sich ihm gegenüber in den grauen Ledersitz und schloss mit leisem Seufzen die Lider.
Anton musterte sie. Sie war auffallend hübsch, und das ganz ohne Make-up, wie es ihm schien. Ihr einziges Reisegepäck war ein prall gefüllter, fadenscheiniger Stoffrucksack. Turnschuhe und Jeans hatten auch schon bessere Zeiten gesehen.
Der Zug machte einen plötzlichen Schlenker, und die junge Frau zog als Reaktion auf eine recht niedliche Weise die Nase kraus. Anton wandte schnell den Blick ab. Es war nicht besonders höflich, eine fremde Frau anzustarren. Er sah auf die Uhr. Nur noch eine halbe Stunde. Bald würde er Ricarda gegenübersitzen.
Schon beim Gedanken daran trat ihm kalter Angstschweiß auf die Stirn. Er atmete tief durch und versuchte, sich wieder auf seine Zeitung zu konzentrieren. Doch wie sehr er sich auch bemühte, die Buchstaben tanzten vor seinen Augen hin und her wie rebellische Strichmännchen.
Ärgerlich ließ er die Zeitung sinken. Dabei stieß er gegen einen Pappbecher mit Kaffee, den er vorhin bestellt und dann vergessen hatte.
»Verflixt«, schimpfte er, als das Getränk sich auf das Tischchen ergoss.
»Ups«, sagte seine Nachbarin und wich so gut wie möglich der tropfenden Pfütze aus, die zu ihr hinüberlief.
Anton fand ein paar Taschentücher in seinem Jackett und sprang ihr bei.
»Entschuldigung! Wie ungeschickt von mir! Hab' ich Sie etwa erwischt?«
Annabelle schüttelte den Kopf und beruhigte ihn: »Nein. Halb so wild, mein Rucksack ist sowieso uralt!«
Tatsächlich hatte ihr Gepäckstück ein paar Spritzer abbekommen, wie Anton nun sah.
»Herrje, das tut mir leid«, sagte er. »Ich werde Ihnen die Kosten für die Reinigung selbstverständlich ersetzen.«
»Unsinn«, wehrte Annabelle lachend ab. »Er sah vorher auch nicht viel besser aus. Aber danke für das Angebot.«
Während sie gemeinsam notdürftig den Tisch trockneten, warf Annabelle dem Mann einen unauffälligen Blick zu. Ihr Gegenüber war ziemlich attraktiv und hatte auffallend blaue Augen. Sogar der seriöse hellgraue Anzug gefiel ihr.
Im Allgemeinen beeindruckten schöne Männer Annabelle gar nicht. Viele ihrer Schauspielkollegen waren überdurchschnittlich gut aussehend, aber die meisten waren auch überdurchschnittlich eingebildet.
An diesem jungen Mann konnte sie dafür keine Anzeichen erkennen. Im Gegenteil, er wirkte sogar ein wenig scheu und nervös. Das schien so gar nicht zu seinem hervorragenden Aussehen zu passen und machte sie neugierig.
»Jetzt müssen Sie sich wohl einen neuen Kaffee bestellen?«, fragte sie mit mitfühlendem Lächeln.
Er winkte ab. »Nein, das lohnt sich nicht mehr. Ich muss sowieso gleich aussteigen. In Liebenau. Sie werden es nicht kennen.«
Annabelle staunte und musste grinsen.