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Als die Hundegeschwister Arlo und Alma eine ausgesetzte Hündin finden, ahnen sie nicht, dass ein neues Abenteuer auf sie zukommt. Sie erfahren, dass ein bösartiger Jäger seine spanischen Jagdhunde, Galgos, nach einem letzten, großen Wettbewerb entsorgen will. Mit ihren Freunden schmieden sie einen gewagten Plan, um diese Hunde zu retten, bevor der Galgomann seine Pläne umsetzen kann. Arlo ist überzeugt, als Almas Beschützer versagt zu haben. Er versucht mit aller Kraft zu verhindern, dass seine Schwester erneut in Gefahr gerät. Für den Galgomann zählt allerdings nur das Preisgeld, für das er sogar über Leichen gehen würde.
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Seitenzahl: 396
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1. EINE NASSE ANGELEGENHEIT
2. EIN VOLLES HAUS
3. DAS BÖSE DARF NICHT GEWINNEN
4. DIE WERTLOSEN
5. DER RUF WIRD GEHÖRT!
6. MAN NANNTE SIE D6
7. IST DAS DOCH EINE FALLE?
8. DIE VERRÄTERISCHEN BROTKRÜMEL
9. EIN NEUES LEBEN BEGINNT
10. GIBT ES AUCH NETTE MENSCHEN?
11. PROBLEME ÜBER PROBLEME
12. DER SCHATTEN HINTER EINEM BAUM
13. FRÜHSTÜCK MIT SCHRECKEN
14. DER FALSCHE WOLF
15. GEFÄHRLICHE JÄGER
16. WAS FÜR EIN CHAOS!
17. EIN UNWILLKOMMENER BESUCH
18. NOCH EIN SCHRECKEN!
19. GIBT ES NUR NOCH PROBLEME?
20. ALFONSO HAT EINE IDEE
21. DIE NÄCHTLICHE FUTTERSUCHE
22. DER SELBSTGEBASTELTE SCHLITTEN
23. DER KRANKENTRANSPORT
24. LUNA SCHAFFT ES SCHON
25. MITTEL GEGEN LANGEWEILE
26. EINE KLEINE BERUFSBERATUNG
27. EIN GEFÄHRLICHER VORSCHLAG
28. UND SIE GINGEN IN DIE DUNKELHEIT
29. WIE ENTSCHEIDET SICH DAS SCHICKSAL?
30. SCHRITT FÜR SCHRITT
31. EINE FURCHTBARE ÜBERRASCHUNG
32. DER AUFTRITT EINES GEWISSEN BALLES
33. ACHT WOCHEN SPÄTER
Über den Autor
Es war noch dunkel und ich hörte, wie der spanische Wintersturm draußen weiter tobte. Alle anderen schienen noch zu schlafen, wie ich an der Lautstärke des Schnarchens um mich herum leicht feststellen konnte. Ich wollte gerade meinen Kopf auf meine Pfoten legen und weiterschlafen, als ich eine kleine Bewegung vor unserem Korb wahrnahm. Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, dass es nur mein Ball war, der sich leise hin und her bewegte. Kurz bevor ich mich wieder in die Welt der Träume begab, bohrte sich eine Frage in mein Bewusstsein. Wieso bewegte sich der Ball? In dem Moment fiel mir noch etwas anderes auf. Wieso war unser Korb nass?
„Alma!“ Ich setzte mich auf und stupste meine Schwester an, die neben mir lag. „Alma! Wach auf! Hast du in den Korb gemacht? Das ist ja ekelhaft!“
Alma gähnte und ließ gleichzeitig ein kleines Knurren hören. Ich hätte sie vielleicht etwas behutsamer aufwecken sollen, da ich ja wusste, wie sie es hasste, unsanft behandelt zu werden. Manchmal dachte ich wirklich daran, dass sie oft wegen ihrer Blindheit anders reagierte, aber in dem Augenblick war es mir egal. Ich stupste sie noch einmal an. „Das ist ja alles nass hier!“
„Was hast du nun wieder, Arlo? Lass mich gefälligst in Ruhe!“ Sie wollte gerade richtig mit ihrer Schimpftirade loslegen, merkte jedoch wohl selbst, wie es um unseren Korb stand. „Iiih! Was ist das denn?“ Sie schnüffelte kurz an dem Korb. „Das ist doch Wasser! Aber wie…?“
Von unserer Streiterei aufgeweckt stand Terri aus ihrem Bett auf und machte das Licht an. Bevor sie uns zur Ruhe mahnen konnte, schaute sie verblüfft auf ihre Füße, die komplett von Wasser bedeckt waren. Sie gab nur ein paar aufgeschreckte Laute von sich und stürmte aus dem Zimmer.
„Opa! Oma!“, hörten wir sie im Flur rufen. „Hier stimmt etwas nicht! Es ist alles voll Wasser!“
Während die Menschen aufgeregt herumliefen und wohl nach der Wasserquelle suchten, sammelten wir Hunde uns im Wohnzimmer, wo das Sofa noch angenehm trocken war. Wir waren alle ziemlich verunsichert und guckten uns nur an. Meine Eltern saßen dicht bei Alma und mir. Auch Luna verabscheute den Fußboden, der nun einem Planschbecken ähnelte, und zwang sich sogar auf die Sofalehne. Bei ihrer Größe war es sicher nicht ganz einfach und es sah urkomisch aus, weswegen ich kurz auflachen musste.
Luna warf mir einen vernichtenden Blick zu. „Was gibt es da zu lachen? Es ist vollkommen in Ordnung, wenn die Katzen sich vor dem Wasser ekeln, aber unsereins dürfte das nicht?“ Ja, ist ja schon gut, Luna. Wieso sind alle Mädels so empfindlich, besonders heute Nacht? Allerdings, dabei, was Luna da gesagt hatte, fiel mir etwas auf.
„Apropos Katzen!“ Ich schaute mich um. „Weiß jemand, wo Domino und Alfonso sich verstecken? Wohl nicht draußen, bei dem krassen Sturm.“ Alle schauten sich um, aber sie waren nirgendwo zu sehen. Wir hörten Terri und ihre Großeltern nebenan im Arbeitszimmer irgendwas einander zurufen. Ich konnte nur ein paar Worte verstehen, wie ‚Dach‘ und ‚Feuerwehr‘. Anscheinend hatten sie ihre neue Dachdusche entdeckt, obwohl ich das alles auch nicht gerade witzig fand. Das bedeutete sicher wieder, dass unsere Ruhe auf der Finca zuerst einmal vorbei war.
Aber wo waren die Katzen geblieben? Diese zwei Kater lebten bei uns seit letztem Herbst und waren uns richtig ans Herz gewachsen. Nachdem sie von ihrer früheren Familie ausgesetzt worden waren, hatten sie unsere Finca zufällig entdeckt. Domino passte immer noch sehr auf seinen Bruder auf, obwohl Alfonso bei unserem letzten Abenteuer gezeigt hatte, dass er zu viel mehr fähig war, als man zuerst gedacht hatte. Aber was bin ich da, um irgendetwas dabei schlecht zu finden. Genauso passte ich auf Alma auf, obwohl sie es auch nicht mehr so nötig hatte. Manchmal dachte ich, dass sie sogar ohne meine Einmischung besser dran wäre. Bevor die Schuldgefühle darüber, dass ich Alma vor einigen Monaten in Lebensgefahr gebracht hatte, überpfote nahmen, konzentrierte ich mich auf meinen Ball, der nun fast vor dem Sofa auf dem Wasser segelte. Den musste ich wenigstens retten können!
Ich sprang schnell ins Wasser, das mir schon zum Bauch reichte, was jedoch keine katastrophale Aussage war, da ich eh nicht der größte Hund war. Eher umgekehrt. Als ich mit dem Ball in der Schnauze zurück auf das Sofa sprang, musste ich mich schütteln, wobei ich die anderen nassspritzte. Ich murmelte eine Entschuldigung.
Alma versuchte mich giftig anzustarren, wobei ihr kleines Gesicht so komisch aussah, dass ich grinsen musste. „Was grinst du denn so doof?“ Es verblüffte mich immer wieder, wie sie Dinge irgendwie sah, obwohl sie tatsächlich nichts sehen konnte. „Und was hast du in der Schnauze? Warum sprichst du so komisch?“ Ich ließ den Ball vor ihr fallen, damit sie diesen mit ihrer Pfote anfassen konnte. Fehler! Ein großer Fehler!
„Dein Ball! Du hast deinen Ball gerettet? Und was ist mit meinem? Wie konntest du meinen Ball ertrinken lassen?“ Ihre Unterlippe fing an, gefährlich zu zittern. Bald würde sie wohl wieder mit ihrer Heulerei anfangen. Seit ihrer Nahtoderfahrung – zugegeben, von mir verschuldet – war sie noch sensibler als eh und je. Irgendwie konnte ich sie verstehen, obwohl sie mir damit ziemlich oft gewaltig auf die Nerven ging. Ich hatte mir angewöhnt, in solchen Situationen tief ein- und auszuatmen und wenigsten bis zu drei zu zählen, damit ich sie nicht immer anschnauzte. Irgendwie kam es mir wie eine Buße vor. Eine verdiente. Allerdings übertrieb sie diesmal maßlos.
Ich seufzte. „Beruhige dich doch!“ Falsche Ansage, Junge, ganz falsch. Alma stand nämlich auf und kräuselte sogar ihre Nase.
„Ich soll mich beruhigen? Du solltest doch wissen, was mein Ball mir bedeutet? Nach all dem, was passiert ist? Und nun verschwindet er sicher mit dem ganzen Wasser!“
Unser Papa wollte gerade uns ermahnen, aber ich lenkte schnell ein. „Ja, ist schon gut. Entschuldige!“ Dieses andauernd sich entschuldigen zu müssen, wurde langsam etwas lästig. „Ich werde ihn suchen.“ Ich sprang erneut von dem Sofa herunter und watete in diesem dämlichen Wasser herum. Die Bälle waren uns beiden schon sehr wichtig. Wir hatten sie zu unserem ersten Geburtstag vor einigen Wochen bekommen. Meiner war schön gelb und robust, wodurch ich ihn wunderbar durch den Garten jagen konnte. Almas Ball hatte ein Glöckchen, damit sie mit ihm überhaupt spielen konnte. Aber am wichtigsten war, dass es das erste Mal war, dass Alma seit ihrem Klinikaufenthalt wieder richtig Lust zum Spielen bekommen hatte. Es war also klar, dass ich nach dem Ball suchen musste.
Meine starke Vermutung war, dass sie den Ball, wie fast immer, mit zu unserem Korb genommen hatte. Bei dem immer noch steigenden Wasserstand wurde es immer schwieriger, vorwärtszukommen. Ich hoffte, diesen verdammten Ball wirklich schnell zu finden, weil ich sonst würde zurückschwimmen müssen. Diesmal hatte ich jedoch Glück und ihr Schatz war tatsächlich dort, in Terris Zimmer. Nachdenklich schaute ich auf den Korb, der immer noch wie ein sicherer Hafen für Alma war.
Nachdem sie aus der Klinik entlassen worden war, nach mehreren schweren Operationen, brauchte sie sehr lange, um sich zu erholen. Manchmal hatte ich den Eindruck, als ob sie tatsächlich sehr kämpfen musste, um ihre Lebenslust nicht vollkommen zu verlieren. In dieser Zeit schlief unsere Tante Rosa in einer Nacht friedlich ein. Unsere Eltern erzählten uns, dass Tante Rosa ein sehr hohes Alter erreicht hatte und ihr Herz wohl einfach nicht mehr weiter schlagen wollte. Ihre Kinder - Tina und Toni - waren furchtbar traurig, obwohl das zu erwarten gewesen war. Normalerweise hätte Alma sie sofort getröstet und mit ihnen jeden Tag gespielt und auch sonst sich um sie gekümmert. Aber sie lag nur in unserem Korb und stand nur auf, wenn sie sich erleichtern musste.
Um Tina und Toni gerecht zu werden, erlaubten unsere Menschen, dass sie zu unseren Nachbarn umzogen, wo sie Spielkameraden hatten und die Trauer bewältigen konnten. Wir sahen sie noch oft und ich muss zugeben, dass diese Entscheidung genau richtig gewesen war. Sie waren wieder so glücklich und unbekümmert wie zuvor. Nur Alma brauchte noch länger. Deswegen war ich diesem Ball so dankbar und eilte mit ihm zurück zum Sofa.
Als Alma ihren Ball wieder in den Pfoten hielt, lächelte sie mich kurz an, sagte aber nichts. Ich seufzte noch einmal. Früher hätte sie sofort mit ihrem Gequassel losgelegt und mich damit endlos genervt. Früher. Ich verstand schon, dass sie unendlich viel durchgemacht hatte, aber trotzdem hoffte ich, dass sie irgendwie wieder die Alte werden würde. Irgendwie, irgendwann. Jetzt interessierte mich jedoch sehr, was die Menschen eigentlich zu tun gedachten. Opa Gerhard trug gerade eine große Leiter aus dem Lager, gefolgt von Terri, die einige dicke Planen mitbrachte. Ich hörte, wie Oma Martha telefonierte und aufgeregt etwas über Sturmregen und Dachschaden erzählte.
Papa schaute sich besorgt um. „So, wie ich das nun verstehe, haben wir ein ziemlich großes Problem.“ Er zeigte auf das Wasser, das wirklich überall zu sein schien. „Bis das hier wieder trocken und der Schaden behoben ist, wird es etliche Wochen dauern, wenn nicht länger.“
Alle schwiegen wieder, was nie ein gutes Zeichen war und mir immer gewaltig auf die Nerven ging. Luna zeigte mit ihrer Pfote in Richtung des Arbeitszimmers, wobei sie fast von der Sofalehne herunterkullerte. Mit größter Gewalt konnte ich gerade noch so mein Grinsen unterdrücken. Es gab ja auch nichts zu lachen. Luna vergewisserte sich aus den Augenwinkeln, dass ich mich bloß nicht über sie lustig machte, und sagte dann: „Unsere Menschen werden alles sicher bald regeln können. Sie müssen doch auch hier wohnen bleiben. Wo sollten sie sonst hin? Und uns würden sie sicher nicht zurücklassen, oder?“
Da war ich mir nicht so sicher. Zwar hatten sie uns aufgenommen, als wir aus den furchtbaren Verhältnissen bei dem Tierquäler befreit wurden, und Luna lebte schon ewig bei ihnen, aber wer weiß, was in so einem Notfall alles passieren konnte. Die Großeltern von Terri hatten früher in diesem Deutschland gelebt, aber waren wohl verjagt worden, als sie zu alt wurden. So vermutete ich jedenfalls. Terri war nach dem tödlichen Verkehrsunfall ihrer Eltern auf die Finca nach Spanien gezogen und arbeitete in der hiesigen Tierklinik. Also Hund sollte an sich vermuten können, dass sie tierlieb waren und uns nicht im Stich lassen würden. Mein Vertrauen zu allen Menschen war jedoch immer noch nicht sehr hoch.
Wem ich allerdings jederzeit und bedingungslos vertrauen konnte, war Toran, Lunas Vater und ein Wolf, der in den Bergen hier in der Nähe lebte. „Ich weiß, ich weiß!“, rief ich wieder fröhlich. „Wir können ja zu Toran, wenn wir sonst keine Bleibe mehr haben! Er würde uns sicher bei sich leben lassen!“ Die Erwachsenen nickten zwar, wirkten jedoch nicht besonders überzeugt. Alma hielt ihren Ball weiter fest und reagierte gar nicht. Es tat mir im Herzen weh, meine Schwester so zu sehen. Ich wusste nicht, wie ich ihr hätte helfen können.
Um auf andere Gedanken zu kommen, versuchte ich herauszufinden, wo unsere Kater sich versteckten. Da alle gerade zufällig still waren, konnte ich ein leises ‚Ui-ui!‘ hören. Eindeutig Alfonso, aber woher kam sein Gewinsel? Normalerweise war Almas Gehör viel besser als meins, ich wusste jedoch nicht, ob sie Alfonsos Stimme überhaupt wahrgenommen hatte. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert. „Alma!“ Sie drehte wenigstens ihren Kopf in meine Richtung. „Hast du das Ui-ui von Alfonso gerade gehört?“
„Natürlich.” Mehr sagte sie nicht.
Ich ließ das mit dem Seufzen, weil ich es langsam überdrüssig wurde, und fragte einfach weiter. „Und weißt du vielleicht, woher das kam?“
Alma zeigte mit ihrer Pfote in Richtung Terris Zimmer, wo ich doch gerade gewesen war und keine Kater entdeckt hatte. Wenn Alma es aber meinte, mussten sie dort irgendwo sein. Jetzt seufzte ich doch, weil mir klar wurde, dass ich wieder ins Wasser musste. Ich fand es besser, wenn wir alle zusammen darauf warteten, was als nächstes passierte, und zu uns gehörten nun mal auch die Katzen. Wie tief das Wasser wohl inzwischen war? Mama bemerkte mein besorgtes Gesicht.
„Du brauchst keine Angst zu haben, mein Junge.“ Sie tätschelte kurz meinen Kopf. „Hier auf dem Sofa sind wir zuerst einmal in Sicherheit.“
„Ja, ich weiß. Aber ich muss Domino und Alfonso finden. Sie verstecken sich wohl in Terris Zimmer.“
„Sie werden schon zurechtkommen. Katzen sind sehr selbstständig und klug“, versuchte sie mich zu beruhigen. Und wir Hunde etwa nicht? Das sagte ich jedoch nicht laut, weil ich ihr nicht widersprechen wollte.
„Ich muss wenigstens gucken, wo sie sind und ob alles in Ordnung ist. Das darf ich doch, oder? Ganz kurz nur?“ Mama schwieg kurz aber nickte dann. Mehr brauchte ich nicht und sprang sofort wieder ins Wasser. Als ich mich Terris Zimmer näherte, hörte ich wieder das ‚Ui-ui‘ von Alfonso und diesmal ganz deutlich.
„Hallo! Wo seid ihr? Domino? Alfonso?“ Ich blickte mich um, aber konnte sie immer noch nicht entdecken. Natürlich schwiegen sie nun beide. Da ich wusste, wie sehr sie Wasser verabscheuten, konnte ich ahnen, dass sie irgendwo hinaufgeklettert waren. Und der einzige Platz war auf dem Kleiderschrank, auf dem ein paar Kartons standen. Bewegte sich dort hinten etwas? Ich watete etwas näher dran. „Jungs? Seid ihr da oben?“
Endlich tauchte Dominos Kopf hinter den Kartons auf. „Was ist hier los, Arlo? Warum ist alles nass? Das ist ja wirklich abscheulich!“ Ich klärte sie beide über den Sturmschaden auf und dass es jetzt sicher bald besser würde. Als ich sie bat, doch zu uns anderen zu kommen, weigerten sie sich vehement.
„Durch das Wasser hindurch? Auf gar keinen Fall! Wir kommen erst herunter, wenn es wieder trocken ist!“ Damit verschwand sein Kopf wieder hinter dem Karton. Selbstredend kam noch ein lautes ‚Ui!‘ von Alfonso als Bestätigung. Da war nichts zu machen. Ich kehrte zurück ins Wohnzimmer und hörte, wie unsere Menschen irgendwas im Arbeitszimmer hämmerten. Vermutlich wollten sie mit der Plane das Loch abdichten. Bei dem Regen und Wind würde das sicher nicht lange halten, wie Opa Gerhard mir zustimmen musste.
„Ja, ich weiß, dass das nur eine Notlösung ist“, hörte ich ihn sagen. „Besser als nichts jedoch. Die Feuerwehr hat so viele Einsätze, dass es noch dauern wird, bis sie herkommen können. Wir müssen überlegen, was wir nun machen. Bei diesem Wasserschaden können wir unmöglich auf der Finca bleiben.“ Meinte er mit ‚wir‘ auch uns? Ich schaute Papa an, aber er konnte nur mit den Schultern zucken.
„Ich rufe Mateo an“, sagte Terri. „Bei ihnen ist sicher Platz für uns alle. Das Haus ist ja so groß, dass sie nicht einmal jedes Zimmer benutzen.“ Ich hielt den Atem an. „Und sie werden bestimmt nichts dagegen haben, dass unsere Tiere mitkommen.“
Ich jubelte laut und sprang auf dem Sofa hin und her. „Alma! Hast du das gehört? Wir dürfen zu Rudi und Anton!“ Und da geschah ein kleines Wunder bei der Erwähnung unserer guten Freunde – oder für Alma war Mateos Hund Rudi schon mehr als nur ein Freund.
Alma erhob sich und wedelte wild mit dem Schwanz. „Zu Rudi!“ Ihre Augen leuchteten und zum ersten Mal seit etlichen Wochen trippelte sie wieder mit den Pfoten – zuerst mit den vorderen, dann mit den hinteren – genau so, wie immer früher.
Wie es nicht anders zu erwarten war, durften wir selbstredend alle zu Mateo und seinem Vater, Doktor Morales. Mateo und Terri waren seit dem letzten Sommer ein Paar, sogar ein glückliches, würde ich behaupten. Doktor Morales war der Chef unserer Tierklinik, wo Mateo als Verwaltungsleiter tätig war. Sie wohnten nicht allzu weit weg von unserer Finca, besonders wenn man die Abkürzung durch die Pinienwälder kannte, wie unsereins. Nun saßen wir jedoch alle im Auto. Oder was hieß hier alle? Opa Gerhard blieb auf der Finca, um auf die Feuerwehr zu warten, und die Katzen waren nicht zu bewegen gewesen. Die Menschen hatten sie, trotz ihrer Suche, noch nicht einmal entdeckt.
„Im Auto mitfahren?“, hatte Domino empört auf meinen Vorschlag erwidert. „Das kommt mit Sicherheit nicht in Frage! Wir steigen in kein Auto ein! Nein!“
Dazu noch ein starkes ‚Ui-ui!‘ von Alfonso.
Ich versuchte es erneut. „Es kann aber sehr lange dauern, bis wir zurückkommen. Ihr könnt doch hier nicht allein bleiben!“
„Alfonso findet eine Maus! Ui!“ Sein Kopf lugte hinter Dominos Rücken hervor.
„Ja, sicher kannst du eine Maus fangen, Alfonso.“ Ich zeigte mit meiner Pfote wage in Richtung Garten. „Aber es ist hier doch öde und vielleicht sogar gefährlich, wenn wir anderen fort sind.“
Ihr Schweigen deutete ich als Zustimmung. „Ihr weißt doch, wohin wir wollen? Zu Rudi und Anton, ihr kennt sie ja schon. Es wird ein Riesenspaß! Und sie haben erst recht einen riesigen Garten, da könnt ihr zigtausende Mäuse jagen!“
Die Kater guckten sich an. Anscheinend war diese Aussicht doch verlockend. Domino schüttelte jedoch den Kopf. „Trotzdem, nicht im Auto!“
Mir war vorher nicht so klar gewesen, welche Abneigung Katzen, oder auf jeden Fall diese zwei, gegen Autofahren hatten. Mir selbst wurde im Auto leicht schlecht, aber mitfahren wollen würde ich jederzeit lieber als irgendwo allein zu bleiben. Ich überlegte fieberhaft und endlich kam ich auf eine Idee. Früher hätte ich wohl gesagt, natürlich kam mein Superhirn auf eine glorreiche Idee, aber seitdem die Sache mit Alma passiert war, war mein Selbstvertrauen sehr angeknackst. Ich schüttelte mich kurz, um die negativen Gedanken zu vertreiben, und präsentierte meine Idee.
„Du, Alfonso, du weißt doch noch das Haus, wo du so heldenhaft gegen diese Monsterfrau gekämpft hast?“, erinnerte ich ihn an unser letztes Abenteuer. „Das Haus mit den vielen kleinen Hunden?“
„Ui! Alfonso war ein Held!“ Er strahlte mich an.
„Ja, genau! Du weißt doch auch noch, wie wir durch den Wald dorthin gelaufen sind?“
„Viele Bäume!“ Er stand auf. „Alfonso findet den Pfad leicht! Alfonso findet das Haus!“ Anscheinend verstand er schneller, was ich meinte, als ich gedacht hätte.
„Das ist gut, Alfonso!“, lobte ich ihn. Domino guckte mich fragend an. „Ja, also…“, fuhr ich fort, „dieses Haus ist nicht weit weg von Mateos Haus. Wenn ihr dorthin zu Fuß gelangen könntet, könnte ich mit Rudi euch dort abholen. Das Haus dieses Monsters steht leer, also braucht ihr keine Angst zu haben! Dann könnten wir alle wieder zusammen sein!“
Domino nickte. „Das wäre möglich, ja. Die Idee gefällt mir. Alfonso mag seine kleinen Defizite haben, aber er hat einen ausgezeichneten Orientierungssinn. Wenn er meint, das Haus wiederfinden zu können, tut er das auch.“ Er tätschelte kurz seinen Bruder anerkennend, woraufhin dieser kurz zufrieden schnurrte. „Aber…“, fügte er nachdenklich hinzu, „wir werden nicht von diesem Schrank herunterkommen, bevor das ekelhafte Wasser verschwunden ist!“
Irgendwie konnte ich ihn gut verstehen. Da ich schon eine Weile im Wasser stand, gefiel es mir ebenfalls immer weniger. „Opa Gerhard bleibt auf der Finca, bis die Feuerwehr hier ist und sicher auch um zu begutachten, was gemacht werden muss. Wenn er dann irgendwann zu Mateo kommt, wissen wir, dass wenigstens das Wasser weg ist. Das vermute ich jedenfalls stark.“
„Ja, das wird wohl so sein. Dann weißt du ungefähr, wann wir an diesem Haus anzutreffen sind.“ Domino winkte zum Abschied mit der Pfote und Alfonso schoss noch ein kleines ‚Ui!‘ hinterher.
Als wir an dem Haus von Mateo und seinem Vater ankamen, konnte ich – wie immer – nur darüber staunen, wie riesig ihr Anwesen war. Allein vom Tor bis zu dem schlossähnlichen Haus dauerte es sogar mit dem Auto eine Weile. Wie ich wusste, umgab eine hohe Mauer den überdimensionalen Garten, wo wir früher sehr gerne gespielt haben. Ich hoffte, dass diese Umstellung vor allem Alma erfreuen würde und sie wieder etwas von ihrer Heiterkeit wiederfinden könnte.
Anton hatte unser Auto natürlich schon längst gehört. Er stand auf der Treppe und meldete sich kurz, um seinen Menschen Bescheid zu sagen. Als ein Herdenschutzhund war es seine wichtige Aufgabe, alles immer im Blick zu behalten. Wenn ich so groß wäre, wie er – und damit meine ich wirklich groß, wahnsinnig groß -, würde es mir auch leichter fallen, den Beschützer der Familie zu spielen. Um ehrlich zu sein, hat die Größe eines Hundes jedoch nichts damit zu tun, ob er mutig war, oder nur leichtsinnig – wie ich.
Ich schielte zu Alma, die neben mir auf der Rückbank aufgestanden war und aufgeregt mit dem Schwanz wedelte. Das war schon mal ein Unterschied zu ihrer Gleichgültigkeit, die ich ertragen musste, was ich selbstredend ohne mich zu beklagen tat. Vielleicht hätte ich mit ihr über diese ganze Sache reden sollen, aber ich habe nie den richtigen Moment gefunden. Zuerst brauchte sie sehr lange, um sich körperlich zu erholen, und dann hatte ich eh den Eindruck, dass sie alles nur vergessen wollte. Ich hätte es auch gerne getan, aber ich konnte nicht. Und was ich mit meinem Übermut angerichtet hatte, führte sie mir jeden einzelnen Tag vor Augen. Nicht bewusst, nein, aber trotzdem. Ich nahm mir fest vor, bald mit ihr ein Gespräch zu führen.
Gerade als Oma Martha und Terri ausstiegen und uns hinausließen, öffnete Mateo die Haustür, und wie zu erwarten war, stürmte Rudi sofort raus. „Da seid ihr ja!“, rief er aufgeregt. „Wir kriegen gleich Frühstück, alle zusammen! Ist das nicht toll!“ Er hüpfte um uns herum und versuchte, Alma in Richtung des Hauses zu schubsen. Statt ihn anzuschnauzen, lachte Alma nur.
„Das wird herrlich bei euch!“, meinte sie grinsend. „Ich freue mich so sehr, obwohl das mit dem vielen Wasser bei uns nicht so lustig ist. Aber Arlo hat meinen Ball gerettet!“ Sie lächelte mich an und vor lauter Erleichterung brach ich fast in Tränen aus. Zum Glück nur fast. Ein großer Junge wie ich muss sich schon zu beherrschen wissen. Eigentlich seit meinem ersten Geburtstag vor kurzem konnte ich mich als junger Erwachsener bezeichnen, weltoffen und tolerant den anderen Lebewesen gegenüber. Alma räusperte sich neben mir. Statt mich über ihre Einmischung in meine Gedanken zu ärgern, freute ich mich plötzlich von ganzem Herzen. Das hatte mir so gefehlt! Vielleicht wurde alles doch noch gut.
Mateo kam uns entgegen und nahm die Taschen an sich, die Oma Martha und Terri schnell eingepackt hatten. „Ihr seid alle herzlichst willkommen bei uns! Endlich ein bisschen mehr Leben in der Bude!“ Er lächelte und gab Terri ein Küsschen. „Wir haben wirklich genug Platz. Ihr könnt so lange bleiben, wie ihr möchtet.“
„Ja, genau!“, Doktor Morales kam an die Tür. „Das wollte ich auch gerade sagen. Willkommen, willkommen! Kommt rein, es ist ja immer noch ein schreckliches Wetter. Ich bin gerade dabei, ein deftiges Frühstück vorzubereiten. Nach diesem Schrecken mitten in der Nacht könnt ihr das sicher gut gebrauchen!“
„Vielen lieben Dank, ihr beiden.“ Oma Martha schüttelte Doktor Morales die Hand. „Das ist sehr großzügig von euch. Wir hätten sonst gar nicht gewusst, wohin. Mit so vielen Tieren eine Unterkunft zu finden, ist nicht gerade einfach.“
Terri nickte. „Ja, und unsere Katzen fehlen noch. Wir konnten sie nirgendwo finden. Hoffentlich kann Opa sie mitbringen, wenn er mit der Feuerwehr gesprochen hat. Es sieht bei uns echt übel aus. So viel Wasser!“
Sie gingen ins Haus, gefolgt von uns allen. Normalerweise hätten wir zuerst einmal eine Runde im Garten gespielt, aber es war noch fast dunkel und es regnete immer noch heftig. Für heute hatte ich wirklich genug vom Wasser. Anton schien zu überlegen, ob er weiterhin draußen bleiben sollte, aber das Wetter behagte ihm anscheinend auch nicht gerade. Wir schlenderten in Richtung Küche, woher ein herrlicher Duft uns entgegenkam. Rührei und Würstchen! Ob wir Hunde etwas davon abbekamen? Vielleicht sahen die Menschen ein, dass auch wir wegen dieser Ereignisse traumatisiert waren, und etwas Außergewöhnliches zum Essen brauchten. Ich schaute mich um und sah, wie aufgeregt Rudi und Alma schon miteinander spielten und sich sichtlich freuten. Na gut, sehr traumatisiert sah das gerade nicht aus. Ich seufzte.
„Kommt, setzt euch!“ Doktor Morales zeigte auf den großen Esstisch in der Küche. „Kaffee ist schon fertig. Ich brate nur noch ein paar Tomaten.“
Ich platzierte mich neben Terris Stuhl, weil dort die Aussicht auf gefallene Stückchen Essen am besten war. Manchmal überlegte ich, ob sie das absichtlich, aus großem Mitleid mir gegenüber, tat, oder ob sie einfach so tollpatschig war. An sich war es ja egal, solange das Resultat dasselbe blieb. Gerade als ich mir darüber Gedanken machen wollte, wo unser eigenes Frühstück serviert werden würde oder ob in diesem Haus für uns kein Essen vorgesehen war, hörte ich Mateo mit mehreren Näpfen hantieren.
„Dein Arlo ist ja wieder dem Hungertod nahe!“, lachte Mateo Terri an. Sehr witzig. Seine Unverschämtheit wurde jedoch augenblicklich verziehen, als ich seine nächsten Worte hörte. „Ist es für euch in Ordnung, wenn die Hunde auch ein bisschen von dem Rührei und den Würstchen bekommen? Natürlich zusätzlich zum Hundefutter. Mein Vater hat wieder für eine ganze Kompanie gekocht.“ Meine Dankbarkeit war endlos, als ich Terri und Oma nicken sah. Jawohl! Das nenne ich gute Gastgeber!
Wir frühstückten schweigend und legten uns dann noch kurz hin. Sogar ich war so pappsatt, dass ich mich nicht mehr für Terris Tollpatschigkeit interessierte. Aus den Augenwinkeln konnte ich jedoch beobachten, dass sie diesmal merkwürdigerweise sehr ordentlich am Tisch saß und aß. Gut, dass ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, wäre eh vergebens gewesen. Als Mateo dann den Tisch abräumte, goss Doktor Morales sich und Oma Martha noch eine Tasse Kaffee ein.
Terri sprang zu Mateo. „Lass mich dir wenigstens mit dem Abwasch helfen, Schatz!“ Sie umarmte Mateo kurz und griff sich ein Geschirrtuch. „Ihr braucht uns doch nicht zu bedienen!“
Mateo lachte kurz auf. „Nein, das habe ich bestimmt auch nicht vor! Aber ihr solltet euch zuerst einmal ein bisschen ausruhen, nach dem Schreck.“
Auf einmal schnappte Oma Martha nach Luft. „Oh nein!“ Was war nun los? „Mir fällt gerade siedend heiß ein, dass Silva doch mit ihren Hunden heute zur Finca kommen wollte. Sie fährt ja zu dieser zweiwöchigen Fortbildung nach Madrid und wir haben versprochen, in dieser Zeit uns um ihre Hunde zu kümmern. Oh nein! Wir können auch nicht in ihr Haus, weil sie diese Gelegenheit nutzt, die Heizung dort erneuern zu lassen. Oh je!“
Doktor Morales legte seine Hand beruhigend auf Oma Marthas Arm. „Ach, wenn es nur das ist! Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ruf Silva einfach an und sag, dass sie ihre Hunde zu uns bringen soll. Sie verstehen sich ja alle sehr gut miteinander.“
Nun war Oma Martha den Tränen nahe. „Das dürfte sie tun?“ Doktor Morales nickte nur lächelnd. „Ich bin dir sehr dankbar, Miguel. Und dir auch Mateo! Erst wenn man in Not ist, erkennt man seine wahren Freunde!“
Ich konnte nicht aufhören zu lächeln. Ja, unsere wahren Freunde hatten wir bald alle zusammen! Das bedeutete nämlich, dass nicht nur unsere älteren Geschwister, Tristan und Isolde, kommen würden, sondern dass auch die wunderschöne Contesa, eine meiner allerbesten Freundinnen, uns Gesellschaft leisten würde. Obwohl Contesa viel älter und tausendmal größer als ich war, verehrte ich sie von ganzem Herzen. Sie war eine schwarze, spanische Windhündin, eine Galga, die früher bei einem grausamen Jäger leben musste. Trotz der jahrelangen Misshandlungen hatte sie ihre sanfte und zurückhaltende Natur beibehalten. Allerdings seit Tristan und Isolde bei Silva lebten, war Contesa regelrecht aufgetaut. Ich freute mich sehr, dass wir alle zusammen Zeit verbringen konnten.
Alma kam zu mir. „Nun ist unsere ganze Truppe gleich hier versammelt. Vielleicht brauche ich dann nicht mehr die ganze Zeit so furchtbare Angst zu haben.“ Sie legte ihre winzige Pfote kurz auf die meine. Ich sagte nichts, weil mir nur ein Gedanke in meinem Kopf herumging. Sie hatte die ganze Zeit Angst gehabt? Wovor denn?
Rudi hatte ein Spielzeug mit einem Quietscher geholt und animierte Alma zum Spielen. Sie sah so unbekümmert und sorglos aus, wie lange nicht mehr. Ich konnte nicht glauben, was sie mir gerade erzählt hatte. Luna lag neben dem Heizungskörper an der Wand und döste vor sich hin. Vielleicht wusste sie über die Sache mehr, weil sie doch immer versuchte, für Alma da zu sein. Hatte ich tatsächlich etwas Wichtiges übersehen? Ich ging zu ihr.
„Luna! Wach auf!“ Ich stupste sie leicht mit der Pfote an. Luna zu ärgern oder gar zu erschrecken wäre nicht so klug, wie ich aus eigener Erfahrung wusste. Sie öffnete ein Auge. Na, das war wenigstens etwas. „Luna, hör bitte zu, das ist wichtig.“ Endlich schien sie tatsächlich wach zu sein und Leben kehrte in ihre Augen zurück. Manchmal war sie halt ein bisschen langsam in ihren Gedanken und Bewegungen.
„Hmm? Was ist nun?“ Sie gähnte, wobei ich einen ausgezeichneten Blick auf ihre mächtigen Zähne hatte. Nein, sie zu ärgern wäre wahrhaftig nicht klug. Ich nickte in Richtung Alma.
„Hast du gewusst, dass Alma auf der Finca Angst gehabt hat?“
„Wie, Angst?“ Luna guckte sehr verblüfft aus dem Fell. „Natürlich habe ich bemerkt, dass sie in letzter Zeit ziemlich angeschlagen und betrübt gewesen ist. Ich habe aber gedacht, dass sie vielleicht doch noch Schmerzen hat. Sie scheint nicht gerne darüber zu reden, was ihr passiert ist. Aber dass sie die ganze Zeit Angst gehabt haben soll, davon hatte ich keine Ahnung. Wie kommst du überhaupt darauf?“
„Na ja, sie hat es gerade gesagt.“ Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Alma das Spiel abgebrochen hatte und neben mir aufgetaucht war.
„Wer hat was gesagt? Redet ihr über mich?“ Sie setzte sich direkt zwischen Lunas Pfoten. Nun fiel mir auf, dass sie das in letzter Zeit sehr oft machte. Es sah aus, wie sie bei Luna Schutz suchen würde, woran ich tatsächlich nicht gedacht hatte. Natürlich war Luna größer und kräftiger als ich, aber trotzdem fühlte ich mich ein bisschen verletzt. Ich, als ihr Bodyguard, hatte auf ganzer Linie versagt. Alma sah in dem Moment jedoch nicht verärgert oder gar ängstlich aus.
Ich räusperte mich. „Ja, also…“ Ich schluckte. „Du hast vorhin gesagt, dass du auf der Finca neulich Angst gehabt hast. Wieso hast du nichts gesagt? Ich habe gedacht, dass du nur sauer auf mich bist, weil ich dich in Gefahr gebracht habe.“ Ich fühlte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten, aber zum Glück konnte sie das nicht sehen. Obwohl ich meinen Kopf schnell auf die Seite drehte, erkannte ich, dass Luna das mitbekommen hatte. Sie legte ihre Pfote kurz auf meine Schulter, wobei Alma fast umkippte, weil sie sich daran gelehnt hatte.
„Hoppla!“, rief sie etwas erschrocken und krabbelte vorsichtshalber auf Lunas Rücken, der wohlbemerkt breit genug für uns beide gewesen wäre. Sie schüttelte kurz ihren Kopf. „Sauer auf dich, Arlo? Wo denkst du denn hin? Natürlich bin ich nicht sauer auf dich.“
„Aber…“, fing ich an, aber Alma hob ihre Pfote, um weiterreden zu dürfen.
„Was mir passiert ist, war doch nicht deine Schuld.“ Ich schüttelte den Kopf, was sie natürlich nicht sehen konnte. „Wir haben beide gekämpft“, fuhr sie fort. „Wenn wir das nicht gemacht hätten, hätten viele unschuldige Hunde leiden und sogar sterben müssen. Es ist nun mal so, dass man das Risiko eingehen muss, verletzt zu werden. Letztendlich haben wir doch gewonnen!“ Sie hob ihre Pfote in meine Richtung und ich schlug diese mit meiner ab.
In dem Moment konnte ich kein Wort herausbringen. Ich hatte das Gefühl, als ob ein riesiges Stück von etwas in meinem Hals stecken würde. Nach ein paar Mal schlucken und mich räuspern konnte ich wieder frei atmen, wobei ich bemerkte, dass ich mich plötzlich im Allgemeinen einfach viel besser fühlte. Erleichtert. Fröhlich. Ich hätte fast gesagt, frei von Schuld, aber das wäre zu weit gegangen. Ich vermutete, dieses Schuldgefühl würde niemals vollkommen verschwinden, egal, wie Alma darüber dachte. Aber dass sie überhaupt darüber sprach, war schon einmal ein großer Fortschritt. Außerdem klang sie plötzlich sehr erwachsen und sogar frühreif. War das wirklich meine hibbelige Schwester?
Allerdings als ich sah, wie sie auf Lunas Rücken mit ihrem Trippeln anfing, wusste ich, dass sich nicht so viel geändert hatte. „Alma! Nicht kitzeln!“, mahnte Luna sie. „Du fällst gleich runter! Nicht kitzeln!“ Mit größter Mühe schaffte Alma es, wieder ruhig zu sitzen. Luna seufzte vor Erleichterung und nickte mir zu. Was? Ach ja, die eine Frage war ja noch nicht geklärt. Da Alma bereit schien, sich nun zu öffnen, wagte ich diese zu stellen.
„Alma, hör mal zu.“ Ich ging noch einen Schritt näher zu ihr hin. „Wovor hast du auf unserer Finca Angst gehabt?“
Sie schwieg zuerst einmal und ich dachte schon, dass sie nichts mehr sagen würde. Dann fing sie doch an, ganz leise zu sprechen. „Weißt du… Ich hätte nie gedacht, dass das Böse es schafft, auf unsere Finca durchzudringen. Aber es schaffte es. Das Böse kam auf unsere Finca und keiner konnte es verhindern.“
Ich sah, dass sie leicht zitterte. „Mir ist natürlich bewusst,“ fuhr sie fort, „dass wir letztendlich das Böse besiegen konnten. Aber wer weiß, was als Nächstes passiert? Die Welt ist voll von Monstern. Voll von Menschen, die uns schaden wollen. Wie sollte ich glauben, dass wir dort sicher sind, da wir es nun mal nicht sind? Daran muss ich die ganze Zeit denken.“
Anton hatte anscheinend unser Gespräch mitgehört und kam zu uns. Das war auch gut, weil ich selbst nicht - und Luna wohl auch nicht - wusste, was wir Alma hätten sagen können. Irgendwie hatte sie recht. Jederzeit konnte erneut etwas ganz Furchtbares passieren. Anton strahlte aber so viel Ruhe und Selbstsicherheit aus, dass wenigstens Almas Zittern augenblicklich nachließ.
„Ich konnte nicht überhören, was du gerade sagtest, junge Dame.“ Er tätschelte ihren Kopf. „Was dir widerfahren ist, war sehr traumatisch. Wir sind alle sehr glücklich darüber, dass du diese schweren Verletzungen überlebt hast. Es ist kein Wunder, dass du danach Angst und Unsicherheit spürst. Obwohl zum Beispiel Luna und ich viel größer und älter sind, hatten wir bei der ganzen Sache auch Bange.“ Luna murmelte irgendetwas als Zustimmung.
Alma nickte nur. Anton schaute uns an. „Es gibt leider keine absolute Garantie, dass uns nie mehr etwas Schlimmes passieren könnte. Wir halten jedoch alle zusammen und sind dadurch viel stärker als jeder allein. Außerdem, falls du die Angst Überpfote nehmen lässt, wird das Böse dann doch gewinnen, und das wollen wir auf keinen Fall, oder?“
Alma nickte erneut. Langsam stieg sie von Lunas Rücken herunter und stellte sich vor Anton hin. „Du hast vollkommen recht“, sagte sie. „Hier bei euch fühle ich mich auf jeden Fall sicher. Vielleicht wird es irgendwann ebenfalls auf unserer Finca besser. Es muss. Ich werde mit Sicherheit das Böse nicht gewinnen lassen!“ Sie stampfte mit ihrer Pfote kräftig auf den Fußboden, was ziemlich witzig aussah. Ich traute mich jedoch nicht zu lachen, weil sie so ernst klang.
Anton lächelte. „So ist es richtig.“ Er schaute aus dem Fenster. „Das Regen scheint endlich nachgelassen zu haben. Wollen wir alle ein bisschen in den Garten gehen? Schnüffeln und spielen?“
Das musste er nicht zweimal sagen. Sogar Mama und Papa folgten uns in den Wintergarten und wir warteten artig, bis Mateo uns die Tür öffnete. Na ja, alle außer Rudi und Alma, die einander schubsten und es kaum erwarten konnten, ein Rennspiel anzufangen. Da machte ich mehr als gerne mit! Der Garten war genauso schön und mit so vielen verschiedenen Gerüchen gefüllt, wie ich es in der Erinnerung gehabt hatte. Rudi und ich sprangen und rannten, gleichzeitig bellend, damit Alma uns folgen konnte. Es machte wirklich Spaß! Das würden sehr schöne Tage werden und insgeheim wünschte ich mir, dass es doch noch sehr lange dauern würde, bis wir zurück auf unsere Finca konnten.
Als ich an unsere Finca dachte, fielen mir wieder unsere Katzen ein. Eine Sache musste ich noch mit Rudi klären. Ich bremste beim Rennen so abrupt, dass Alma direkt in mich hineinlief. Bevor sie mich ausschimpfen konnte, wandte ich mich zu Rudi. „Alfonso und Domino wollen noch hierhin kommen.“
„Ach, das ist ja super!“ Rudi lächelte. „Ich mag die beiden sehr. Alfonso ist in seiner Art richtig witzig.“
„Ja, das ist er tatsächlich“, stimmte ich ihm zu. „Es gibt nur ein kleines Problem. Sie haben sich strikt geweigert, in einem Auto mitzufahren. Ich habe versprochen, dass du und ich sie später bei dem Haus der Monsterfrau abholen. Du weißt doch noch, wie man dahin kommt, oder?“
Er setzte sich kurz hin, merkte aber, wie nass die Erde war, und stand schnell wieder auf. „Das Haus, wo die Hunde eingesperrt waren?“ Ich nickte. „Klar weiß ich das noch. So weit weg ist es nicht. Sollte eigentlich ein Kinderspiel sein.“
Etwas gefiel mir nicht. „Eigentlich?“, fragte ich besorgt.
„Ja…“ Er hielt kurz inne. „Anton und ich waren lange nicht mehr unterwegs. Ich meine, wir hatten irgendwie keinen Bedarf, selbstständig aus dem Garten zu verschwinden. Also, ich vermute, dass das Loch in der Mauer noch existiert, sicher bin ich allerdings nicht. Durch das Tor dürfte es schwer werden, abzuhauen.“
Na prima. Hatte ich den Katerchen zu viel versprochen? Ich sollte vielleicht lernen, zuerst alle Eventualitäten abzuwägen, bevor ich irgendeinen Plan herausposaunte. Anderseits, sogar ein Hund mit solchen übertragenden Fähigkeiten in vielen Bereichen, wie ich sie hatte, konnte trotzdem niemals vollkommen fehlerfrei sein.
Alma stupste mich deutlich angenervt an. „Könntest du bitte mit deiner Selbstbelobigung aufhören? Damit ist das Problem am allerwenigsten zu lösen.“
Jetzt reichte es mir aber. „Sicher, wenn du bitte aufhörst, in meinem Kopf herumzuspuken! Dass Hund mit seinen eigenen Gedanken nicht in Ruhe gelassen werden kann!“ Es war mir wie immer ein Rätsel, wie sie das machte. Seit sie erblindet war, konnte sie das einfach. Auf jeden Fall bei mir.
„Wenn deine Gedanken nicht so bescheuert wären, würde ich mich nicht dazu gezwungen fühlen, mich einzumischen!“ Bevor ich ihr eine über ihren besserwisserischen Kopf hauen konnte, versuchte Rudi uns zu beschwichtigen. Er ging sogar zwischen uns.
„He! Nicht streiten! Es ist doch cool, wie Alma Gedanken lesen kann, oder? Das nenne ich ein Talent!“ Aha. Tust du das? Warte nur ab, bis dir dasselbe passiert. Ich wollte ihm soeben meine Meinung deutlich machen, aber er fuhr unbeirrt fort. „Und dass du, Arlo, so selbstsicher sein kannst, ist auch bewundernswert! Da ist doch nichts Schlimmes dabei.“ Na, das hatte er schon einmal sehr gut formuliert. Ich trat ein paar Schritte zurück und gab Alma etwas mehr Platz. Sie schien sich ebenfalls zu beruhigen. Nun gut.
„Lass uns dann nachschauen, ob das Loch noch da ist.“ Ich sah mich um. „Wo sollte es überhaupt gewesen sein?“
Rudi zeigte auf die Bäume. „Da hinten sind große Büsche und damals haben wir eine marode Stelle in der Mauer entdeckt. Es war uns ein Leichtes, ein Loch durchzubuddeln. Ich wäre sehr überrascht, wenn die Menschen es gefunden haben sollten.“
Tatsächlich existierte das Loch noch, was für mich eine große Erleichterung war. Ich wusste noch, wie ich bei unserem letzten Abenteuer an dem Tor hängen geblieben war, was mich nicht ermutigte, es nochmal dadurch zu versuchen. Das Loch in der Mauer war hinten den Büschen sehr gut versteckt und würde uns ermöglichen, jederzeit aus dem Garten hinauszugelangen, wenn es denn mal nötig wäre. Hund konnte nie wissen und es war am besten, immer einen Ausweg zu haben. Einigermaßen zuversichtlich schlenderte ich mit Rudi und Alma zurück zum Haus.
Alma wirkte auf einmal wieder etwas sorgenvoll und nachdenklich. Sie drehte sich sogar mehrmals um in Richtung des Loches und spitze dabei ihre Ohren, um besser jedes Geräusch wahrnehmen zu können. Was hatte sie bloß wieder? Bevor ich sie darauf ansprechen konnte, blieb sie stehen. „Das ist sicher gut, dass wir nach Bedarf aus dem Garten hinauskönnen“, fing sie an. Ja, da stimmte ich ihr sofort zu. „Aber durch das Loch kann ebenso jederzeit jemand in den Garten hineingelangen. Sogar das Böse!“
Ihre Unterlippe fing wieder an zu zittern. Sie hatte mit dieser Aussage natürlich recht, ich musste sie jedoch irgendwie ablenken, bevor sie zurück in diesen komischen Angstzustand fiel. Rudi kam mir zum Glück zuvor, wobei mir auf die Schnelle sowieso nichts eingefallen wäre.
Er stupste sie leicht mit seiner Nase an. „Du musst dir deswegen keine Sorgen machen, Alma. Sogar das Böse ist nicht so klug, dass es das Loch entdecken könnte. Auf der anderen Seite ist es nämlich noch besser hinter Büschen und Sträuchern versteckt als auf dieser Seite. Das findet kein Mensch.“ Alma schien sich wieder zu beruhigen und lief erleichtert hinter Rudi her zurück zu den anderen.
Gerade als Mateo uns hineinlassen wollte, hörten wir ein Auto näherkommen. Wir liefen schnell vor das Haus. Anton nahm Position auf der Treppe ein, aber entspannte sich schnell, als wir Silvas Wagen um die Ecke biegen sahen. Und sie war nicht allein: Condesa, Tristan und Isolde waren angekommen! Wir grüßten uns aufgeregt und sammelten uns wieder in der Küche, wo Doktor Morales dabei war, erneut Kaffee zu kochen.
Silva setzte sich zu Oma Martha hin. „Das ist ja schrecklich, was mit eurem Dach passiert ist!“ Sie schüttelte den Kopf. „Der Sturm war schon heftig. Wisst ihr schon, wie groß der Schaden ist.“ Oma Martha verneinte und erzählte, dass sie auf Nachrichten von Opa Gerhard wartete.
Silva seufzte. „Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass Sie es mir erlaubt haben, meine Hunde hierhin zu bringen, Doktor Morales.“
Mateos Vater winkte ab. „Das ist gar kein Problem. Mir ist es wichtig, dass Sie, als eine unserer erfahrensten Tierärztinnen, an dieser Fortbildung teilnehmen können.“ Silva arbeitete nämlich ebenfalls in der hiesigen Tierklinik und hatte sowohl Alma als auch mich behandelt. Ihr war es zu verdanken, dass Alma ihre Tortur überlebt hat.
Obwohl Tristan und Isolde sich sofort auf uns gestürzt hatten und aufgeregt über alle möglichen Neuigkeiten, die seit unserem letzten Treffen passiert waren, erzählten, wirkte Condesa im Gegensatz zu ihnen sehr betrübt und hatte sich etwas Abseits hingelegt. Ich setzte mich zu ihr. „Ich freue mich sehr, dich zu sehen.“ Sie nickte mir zu und lächelte kurz. „Machst du dir Sorgen über irgendwas?“, fragte ich sie.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, was für diese elegante und in sich ruhende Hündin ziemlich außergewöhnlich war. Sie räusperte sich und versuchte sich zu sammeln. Nach einer Weile schaute sie mich an. Obwohl ihre Traurigkeit mich erschreckte, musste ich wieder feststellen, wie schön sie doch war. Als eine spanische Jagdhündin der Rasse Galgo war sie eh viel größer als ich, aber auch grazil und gleichzeitig stark. Ich weiß nicht, ob diese Beschreibung irgendeinen Sinn machte, vielleicht sollte ich einfach zugeben, dass ich sie anhimmelte.
„Was hast du nur?“, fragte ich, weil sie immer noch schwieg. Als sie anfing zu erzählen, dachte ich bald, dass ich besser nicht gefragt hätte.
„Es ist diese Jahreszeit.“ Condesa musste schwer schlucken. Ich verstand sie gut, weil ich dem nassen und kalten Winterwetter auch nicht sonderlich zugetan war. Jedoch als sie weitersprach, wurde die Sache mit dem Wetter nebensächlich. Ich war froh, dass ich nicht angefangen hatte, mich über die schmutzigen Pfoten und den Matsch im Fell zu beschweren. Ehrlich gesagt war der Dreck mir persönlich egal. Nur die Menschen meinten, dass ich deswegen öfter ein Bad über mich ergehen lassen musste, und das war nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Aber ich schweife ab. Es fällt mir nur immer noch schwer wiederzugeben, was Condesa mir dort erzählte. Damit fing der ganze Albtraum mit dem Galgomann an.
„Nicht nur das kalte Wetter macht mir zu schaffen“, fing sie an. Also doch das Wetter, dachte ich noch. „Silva ist sehr fürsorglich und zieht mir immer einen schönen Mantel an, wenn wir rausgehen. Ich friere so leicht. Aber darum geht es nicht.“
Sie schaute aus dem Fenster. „Dort draußen werden in einigen Tagen grausame Dinge passieren.“ Sie hielt inne. Ich wagte kaum zu atmen. Was meinte sie? „Ganz furchtbare.“ Sie schüttelte den Kopf. Langsam überkam mich das Gefühl, dass ich dringendst fortgehen oder mir wenigstens meine Ohren zuhalten sollte. Beides tat ich jedoch nicht.
„Willst du es wirklich wissen?“, fragte sie. Entgegen meinem Gefühl nickte ich. „Bald ist das Ende der Jagdsaison hier in Spanien. Immer Anfang Februar, wie du sicher weißt.“ Sie sah mich so an, als ob ich damit etwas hätte anfangen können. Ich hatte aber erst einen Februar erlebt und da war ich noch ein kleines Baby, wodurch ich keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Als ihr klar wurde, dass ich wie ein großes Fragezeichen aussah, seufzte sie und fuhr fort.
„Es sind Hunde wie ich, Jagdhunde. Galgos und Podencos vor allem. Wir werden von den Jägern für die traditionelle Hasenjagd eingesetzt. Wenn der Galgomann, wie wir den jeweiligen Jäger nennen, meint, dass ein Hund sich nicht gut genug für die Jagd eignet oder ihn einfach überdrüssig wird, wird dieser am Ende der Jagdsaison oder schon früher entsorgt.“
Ich machte große Augen. „Was meinst du? Entsorgt? Wie?“
„Ach Arlo.“ Wieder diese unendliche Traurigkeit in ihren Augen. „Ich möchte dir die Einzelheiten ersparen. Die Jäger haben kein Interesse daran, die unerwünschten Hunde bis zur nächsten Jagdsaison durchzufüttern. Sie werden ausgesetzt, an ein Tierheim oder an eine Tötungsstation abgegeben oder von dem Galgomann bestialisch ermordet. Ich hatte damals noch Glück und wurde vor einem Tierheim angebunden. Silva hat mich aus diesem Heim dann gerettet, wie du weißt.“
Ja, wenigstens das wusste ich. Aber das andere hörte sich wirklich schlimm an. „Also, du lebtest auch bei so einem Galgomann? Und du musstest jagen?“
Sie nickte. „Bis ich zu alt und langsam wurde. Und keine Welpen mehr produzieren konnte.“ Sie zeigte mit ihrer Pfote in Richtung der Berge. „Dort in den Bergen hatte er einen alten Bauernhof. Oder den hat er sicher immer noch. Es war furchtbar dort. Immer dunkel und feucht in dem alten, heruntergekommenen Stall. Es gab kaum genug zu essen. Und immer wieder Prügel von dem Jäger, grundlos, wie wir fanden. Wir waren so viele.“
Condesa stand auf. „Und in einigen Tagen werden wieder unzählige Jagdhunde aussortiert, überall in diesem Land. Diese Hetzjagd ist auch unter Menschen heutzutage umstritten, aber geändert hat sich trotzdem nicht viel. Es frustriert mich zutiefst, dass ich nichts dagegen unternehmen kann.“
Mir fiel nichts ein, was ich ihr hätte sagen können. Was sie mir erzählt hatte, war grauenhaft. Kein Wunder, dass sie so traurig und betrübt war. Wäre sicher jeder, der so etwas hatte durchmachen müssen. Meine Familie wusste genau, wie es war, immer in Angst leben zu müssen, misshandelt und am Ende als wertlos abgestempelt zu werden. Wir hatten noch großes Glück gehabt, was diesen armen Jagdhunden verwehrt blieb. Es musste eine Möglichkeit geben, zu helfen. Mir war bewusst, dass es nicht realistisch war, alle spanischen Jagdhunde retten zu wollen. Wie Condesa erzählt hatte, gab es zigtausende von diesen. Jedoch einfach aufzugeben war für mich keine Option.
„Hör mal, Condesa!“ Ich stand ebenfalls auf. Obwohl ich mich streckte, kam ich mit meinem Kopf nur auf die Höhe ihres Knies, aber sie beugte sich freundlicherweise herunter und wartete ab. Ich wusste nicht, was ich ursprünglich hatte sagen wollen, aber dann purzelten die Worte einfach aus meiner Schnauze heraus, womit ich unser Schicksal wieder einmal herausforderte.