Game Changer - Die Nacht unseres Lebens - Helena Hunting - E-Book

Game Changer - Die Nacht unseres Lebens E-Book

Helena Hunting

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Beschreibung

Ihr gemeinsames Geheimnis wird sie für immer verbinden!

Ryan Kingston ist eigentlich ein sehr disziplinierter Profi-Sportler, der seinen Verstand benutzt und seine Emotionen unter Kontrolle hat. Bis zu der Nacht, als er erfährt, dass seine ganze Existenz eine Lüge ist. In dieser Nacht wirf er die Vernunft über Bord und lässt sich von seinen Gefühlen leiten - und diese führen ihn direkt zu Queenie. Zunächst ist sie nur eine lebenslustige Fremde in einer Bar, dann der heißeste One-Night-Stand aller Zeiten - und schließlich die Frau, die ständig seine Gedanken beherrscht. Was Ryan nie hätte kommen sehen, ist, dass Queenie auch die Tochter seines NHL-Team-Managers ist ...

"Diese Geschichte hat mein Herz gestohlen und es nicht wieder hergegeben!" CHRISTIINA READS

Dritter Band der GAME-CHANGER-Reihe

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Seitenzahl: 463

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Prolog

1

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Helena Hunting bei LYX

Impressum

HELENA HUNTING

Game Changer

DIE NACHT UNSERES LEBENS

Roman

Ins Deutsche übertragen von Michaela Link

Zu diesem Buch

Ihr gemeinsames Geheimnis wird sie für immer verbinden!

Ryan Kingston ist eigentlich ein sehr disziplinierter Profisportler, der seinen Verstand benutzt und seine Emotionen unter Kontrolle hat. Bis zu der Nacht, als er erfährt, dass seine ganze Existenz eine Lüge ist. In dieser Nacht wirft er die Vernunft über Bord und lässt sich von seinen Gefühlen leiten – und diese führen ihn direkt zu Queenie. Zunächst ist sie nur eine lebenslustige Fremde in einer Bar, dann der heißeste One-Night-Stand aller Zeiten – und schließlich die Frau, die ständig seine Gedanken beherrscht. Was Ryan nie hätte kommen sehen, ist, dass Queenie auch die Tochter seines NHL-Teammanagers ist …

Für alle rastlosen Seelen, die inmitten des Chaos ein wenig Ruhe brauchen, und für alle, die ein wenig Chaos brauchen, um die Ruhe aufzulockern.

Prolog

Mama-Probleme

Kingston

Ich habe sechs verschiedene Drinks vor mir stehen, angefangen von sehr teurem Scotch bis hin zu irgendeinem fruchtig prickelnden Cocktail, der so süß ist, dass ich schon jetzt spüre, wie meine Zähne Löcher kriegen. Aber trotz dieser Auswahl fällt es mir schwer, betrunken zu werden. Hauptsächlich, weil mir Alkohol nicht wirklich schmeckt und ich deshalb bisher an jedem Glas nur ein wenig genippt habe.

»Entschuldigung, ist dieser Platz besetzt?« Eine leise, leicht rauchige Frauenstimme lenkt meinen Blick nach links zu dem freien Hocker neben mir.

Als sie mich mit ihren graublauen, von einem dunkleren Blauton umschatteten Augen fixiert, fallen mir gleich mehrere Dinge auf: Sie ist zierlich und einfach atemberaubend, hat sich das lange, kastanienbraune Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, und sie hat hohe Wangenknochen, volle Lippen und dichte Wimpern, die nicht nach Mascara aussehen. Aber trotz ihrer Schönheit wirkt sie traurig.

Wir passen zusammen.

»Ähm, nein, setzen Sie sich ruhig.« Obwohl ich schlecht drauf bin, rutsche ich von meinem Hocker und stehe auf, um ihr Platz zu machen, da die Hocker dicht an dicht an der Bar stehen.

Noch bevor ich ihr meine Hilfe anbieten kann, sitzt sie schon auf dem Platz neben meinem.

»Ich bin Queenie.« Sie streckt ihre Hand aus, und als ich das Gleiche tue und ihre Handfläche an meine gleitet, durchfährt mich ein unerwartetes Kribbeln. So wie ihre Augen flackern, könnte sie es ebenfalls gespürt haben. Vielleicht liegt irgendwas in der Luft.

»Queenie?« Ich lächele. »Ich bin Ryan.« Keine Ahnung, warum ich mich mit diesem Namen vorstelle. Niemand nennt mich Ryan, außer meinen Eltern. Selbst meine Geschwister nennen mich meistens beim Nachnamen. Zum Teil wohl deswegen, weil die meisten Leute aufgrund meines Berufs meinen Nachnamen kennen. Jetzt ist es jedenfalls zu spät für einen Rückzieher. Vielleicht habe ich mich auch deshalb mit meinem Vornamen vorgestellt, weil infolge der heutigen Ereignisse meine komplette Identität ins Wanken geraten ist.

»Hi, Ryan.« Ihr Blick mustert mich von oben bis unten. Unsere Handflächen berühren sich immer noch. Und ich sehe sie immer noch an.

Als ich ihre Hand loslasse, würde ich am liebsten sofort einen weiteren Grund finden, um sie zu berühren.

Schon hat der Barkeeper seinen neuen Gast entdeckt. Ich setze mich wieder auf meinen Platz, während Queenie ihren Drink bestellt. »Ich nehme einen Wodka Martini, extra dirty, extra Oliven, bitte. Ach, und das Ganze gleich zweimal.«

Der Barkeeper zieht die Brauen hoch, während er nach seinem Shaker greift. Aber als er eine Flasche vom Regal hinter sich nehmen will, stoppt sie ihn und bittet stattdessen um einen anderen Wodka. Ich bin mir nicht sicher, was der Unterschied zwischen den beiden ist, doch der Barkeeper zieht erneut die Brauen hoch. Er füllt zwei Martinigläser und lässt jeweils ein Olivenspießchen hineinfallen. Bevor er sich abwendet, sieht er mich an. »Sie sind immer noch versorgt?«

»Ja, danke.«

Ich versuche, Queenie nicht anzustarren, aber ich kann sie in der verspiegelten Wand hinter der Bar beobachten. Sie nimmt einen Schluck aus einem Glas, verzieht das Gesicht und nimmt dann einen weiteren aus dem anderen. Als Nächstes fischt sie das Olivenspießchen aus dem einen Glas, lässt es ins andere fallen und kippt das Ganze mit zwei Schlucken hinunter.

Sie zuckt zusammen, dreht den Kopf weg und hustet in ihren Ellbogen.

»Alles klar bei Ihnen?«, frage ich.

Sie hebt eine Hand und hustet noch ein paarmal. Als sie mich endlich wieder ansieht, tränen ihre Augen und ihre Wangen sind gerötet. »Alles bestens, danke. Billiger Wodka geht einfach nicht so gut runter.«

»Oh.« Von Wodka hab ich nicht viel Ahnung. »Warum haben Sie dann nicht den anderen genommen?«

»Weil er das Doppelte kostet, und ich hab gerade meinen Job verloren, also muss ich mich mit dem billigen Zeug betrinken.« Sie pflückt eines der Spießchen aus dem noch vollen Martiniglas und steckt sich eine Olive in den Mund.

»Das mit Ihrem Job tut mir leid.«

Sie schenkt mir ein schiefes Lächeln. »Danke. Aber ich war ohnehin ziemlich mies darin, deshalb ist es keine große Überraschung. Außerdem wollte ich sowieso nicht bis in alle Ewigkeit kellnern, also sehe ich es als eine Art Weckruf an, um herauszufinden, was ich für den Rest meines Lebens wirklich will.« Sie deutet auf meine vor mir aufgereihten Drinks. »Und was geht hier ab?«

»Ich versuche ebenfalls, mich zu betrinken.«

»Worin Sie erheblich mehr Erfolg hätten, wenn Sie auch tatsächlich trinken würden.«

»Ja, schon klar. Aber eigentlich mag ich gar keinen Alkohol«, gestehe ich.

Sie mustert mich lange und ihr Grinsen wird breiter. »Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das überrascht. Sie sehen irgendwie so aus, als hätten Sie sich auf dem Weg zu einem Pfadfindertreffen verirrt.«

»Ich war tatsächlich mal Pfadfinder«, sage ich und streiche mir mit einer Hand über die Brust. Ich trage ein weißes Poloshirt und khakifarbene Chinos, mein übliches Outfit. »Als Teenager war ich sogar mal Gruppenleiter.«

Sie wirft den Kopf in den Nacken und lacht. »Gott, wie süß. Und ich meine das als Kompliment.« Queenie stützt ihre Wange auf ihre Hand und sieht mich an. »Also, dann erzählen Sie mal, warum ein ehemaliger Pfadfinder und Gruppenleiter sich ganz allein betrinken muss.«

»Das ist ein wenig kompliziert.« Ich greife nach einem der Gläser vor mir und nehme einen kräftigen Schluck.

»In Sachen Komplikationen kenne ich mich aus. Schießen Sie schon los.«

Für ein paar Sekunden beiße ich mir auf die Zungenspitze und überlege hin und her. »Das Ganze ist ziemlich verkorkst.«

»Das ist völlig okay. Bei mir sieht’s nicht anders aus. Wie wäre es damit: Sie erzählen mir, warum Sie sich betrinken wollen, und ich erzähle Ihnen, warum ich noch in der Klemme stecke, ganz abgesehen davon, dass ich einen Job verloren habe.« Sie hält ihren kleinen Finger hoch. »Und wir können uns bei unseren kleinen Fingern schwören, dass wir das, was wir uns heute Abend erzählen, mit ins Grab nehmen werden.«

Ich verhake meinen kleinen Finger mit ihrem, und da spüre ich es wieder, dieses elektrisierende Kribbeln. Wie wenn sich die Atmosphäre vor einem Gewitter auflädt. »Ein Geheimnis für das andere?«

»Genau.«

»Okay.« Ich nicke knapp und atme hörbar aus. Wahrscheinlich ist es einfacher, einer Fremden davon zu erzählen als jemandem, der mir nahesteht. Also beuge ich mich so weit vor, dass mein Mund dicht an ihrem Ohr ist, und sage leise: »Ich habe herausgefunden, dass meine Schwester in Wirklichkeit meine Mom ist.«

Queenie lehnt sich zurück und blinzelt mehrmals hintereinander. »Tut mir leid … wie war das?«

»Meine Schwester ist in Wirklichkeit …«

Sie wedelt abwehrend mit der Hand. »Ich hab’s schon verstanden. Oh mein Gott. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Geht es Ihnen … gut? Vergessen Sie’s. Blöde Frage. Ganz offensichtlich nicht. Wollen Sie … darüber reden?«

»Ähm, eigentlich nicht. Ist das okay?« Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht mehr preisgeben will, obwohl sie aufrichtig besorgt zu sein scheint. Andererseits fühle ich mich angesichts ihres Schocks und ihrer mitfühlenden Miene gleich ein wenig besser, was diese ganze Sache angeht.

»Natürlich ist das okay. Das erklärt auch voll und ganz die Anzahl der Drinks vor Ihnen.« Sie beißt sich auf die Innenseite ihrer Unterlippe. »Im Vergleich dazu ist mein Geheimnis ziemlich lahm.«

»Ganz sicher nicht. Aber Sie müssen es auch nicht erzählen, wenn Sie lieber doch nicht wollen.« Ich wäre nicht im Mindesten überrascht, wenn Sie nach dieser Enthüllung ihren zweiten Martini runterkippt und schnurstracks die Bar verlässt.

»Ich will schon. Es Ihnen erzählen, meine ich.« Sie schlürft ihr zweites Getränk und stößt einen langen Atemzug aus. »Ich habe Abhängigkeitsprobleme.«

»Alkohol?«

Sie lacht erneut. »Gott, ich liebe Sie.« Ihre Augen flackern. »Ist nicht wörtlich gemeint. Ich meine nur, dass Sie süß sind. Sie sagen Sachen, die sind einfach … wie auch immer … ich bin nicht abhängig von Alkohol, abgesehen von gerade jetzt. Ich bin abhängig von meinem Dad.«

»Was nicht unbedingt schlecht sein muss, oder?«

Queenie steckt sich eine weitere Olive in den Mund und kaut nachdenklich darauf herum. »Er war erst zwanzig, als ich geboren wurde, und musste mich schließlich allein großziehen. Was bei einem jungen, alleinerziehenden Vater natürlich nur nach der Trial-and-Error-Methode erfolgen konnte, verstehen Sie? Und ich bin wirklich gut darin, etwas zu vermasseln, und er ist wirklich gut darin, mir jedes Mal aufs Neue aus der Klemme zu helfen, also habe ich dieses Abhängigkeitsverhältnis fortbestehen lassen, und ohne es eigentlich zu wollen, unterstützt er das Ganze auch noch.« Sie rümpft die Nase. »Sorry, dass ich meinen kompletten Ballast bei Ihnen ablade, wo Sie selbst schon genug am Hals haben.«

»Bitte, Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen. Es tut gut zu wissen, dass ich nicht der Einzige bin, der Probleme hat.«

»Ich habe das tatsächlich noch nie laut ausgesprochen, aber es fühlt sich gut an, es mir von der Seele zu reden, selbst einem völlig Fremden gegenüber, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Absolut.« Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte das Schicksal uns aus einem bestimmten Grund heute Abend hier zusammengeführt, daher beschließe ich, ihr doch ein wenig mehr zu erzählen. »Ich bin ebenfalls das Ergebnis einer Teenagerschwangerschaft. Mein leiblicher Vater war nicht im Bilde, und meine Großeltern kamen zu dem Schluss, dass es das Beste sei, mich als ihr Kind aufzuziehen, um meiner Schwester … meiner Mom … und mir ein normales Leben zu ermöglichen.«

»Also, für mich hört sich das so an, als hätten wir beide ein Mama-Problem.«

»Sieht ganz so aus, was?«, pflichte ich ihr bei.

»Und was machen wir da am besten, Ryan?« Der Schalk in ihren Augen hätte mich vielleicht abgeschreckt, vor dem heutigen Tag.

»Ja, was?«

»Sind Sie dabei, sich zu betrinken, damit wir unsere Mama-Probleme vergessen, wenigstens für heute Nacht?«

»Bin dabei.«

Sie schiebt mir meinen Scotch hin und lässt ihr Glas an meins klirren. »Also, Ryan, wenn wir deine ganzen Drinks runtergekippt haben, gehen wir einfach zu Schnaps über.«

Mein Kopf hämmert.

Einen solchen Kater hatte ich zuletzt mit siebzehn.

Ich öffne mühevoll ein Auge und stöhne, weil mich das Licht, das durch mein Schlafzimmerfenster fällt, geradezu schmerzhaft blendet. Dann streiche ich mir mit der Hand übers Gesicht und erstarre.

Weil sie nach Sex riecht.

Ich schaue nach rechts und bemerke die zerwühlten Laken und das Kissen mit der kopfförmigen Vertiefung. Ich rolle mich herum – wovon mir übel wird – und atme den süßen Duft von Vanilleshampoo ein.

Queenie.

Nachdem wir meine Drinks intus hatten, waren Schnäpse dran gewesen. Was, angesichts meines jetzigen Zustands, definitiv keine gute Idee war.

Und dann habe ich sie mit nach Hause genommen.

Ich streife die Decke ab und richte mich auf. Ich bin nackt. Auch das ist untypisch. Normalerweise schlafe ich in T-Shirt und Boxershorts. Ich bemerke eine achtlos beiseite geworfene Unterhose auf dem Boden und ziehe sie an, um mich auf die Suche nach Queenie zu machen.

Ich komme bis in den Flur, als ein gelbes Post-it am Türrahmen meine Aufmerksamkeit erregt.

Danke, dass du mich gestern Nacht von meinen Mama-Problemen abgelenkt hast. Und heute Morgen;)

Xo

Queenie

Ich ziehe den Zettel ab und hoffe, auf der Rückseite ihre Telefonnummer zu finden, aber da ist nichts. Stattdessen fällt mir in diesem Moment das Stofffetzchen am Türknauf auf. Ich entwirre es und begreife, dass es sich um ein Stück weiblicher Unterwäsche handelt.

Einen Tanga, um genau zu sein. Einen ruinierten Tanga.

Und exakt aus diesem Grund trinke ich nicht. Oder nehme wildfremde Frauen mit nach Hause. Denn jetzt fühle ich mich schuldig und gedemütigt zugleich, dass die Sexualtherapie letzte Nacht nicht mehr wert war als ein paar Abschiedsworte auf einem Post-it.

1

Der erste Tag

Queenie

Sechs Wochen später

»Schätzchen, bist du so weit? Wir hätten eigentlich schon vor fünf Minuten aufbrechen müssen.«

»Komme!« Ich schlüpfe in meine Pumps, werfe einen letzten Blick in den Spiegel, überzeuge mich davon, dass ich meine Laptoptasche und meine Handtasche habe, und eile durch den Flur. Ich will auf keinen Fall, dass sich mein Boss verspätet. Ausgerechnet an meinem ersten Tag im Job. Als seine Assistentin.

Er steht in der Küche, das dunkle Haar ordentlich gestylt, die sportliche Figur maßbekleidet in dunkelblauem Anzug mit grauer Krawatte, passend zu seinen Augen und zu dem Hauch von Grau an seinen Schläfen – dessen Existenz ich natürlich mit keinem Wort erwähne. Er sieht viel seriöser aus, als ich mich fühle. Als er von seinem Handy aufblickt, verblasst sein Lächeln, und er runzelt die Stirn. »Was hast du denn da an?«

»Man nennt es Kleid.« Es ist dunkelblau wie sein Anzug, mit Flügelärmeln und einem Gürtel um die Taille. Klassisch, schlicht und elegant, hat zumindest die Verkäuferin gesagt, als ich es letzte Woche anprobiert habe. Um es dann mit der Kreditkarte meines Chefs zu bezahlen. Der Vorteil, wenn man bei dem Kerl lebt, der den Laden schmeißt.

»Vielleicht solltest du lieber eine Hose anziehen.«

Ich stemme eine Faust in die Hüfte. »Hast du nicht gerade gerufen, dass ich mich beeilen soll? Und jetzt soll ich mich umziehen? Was zur Hölle?«

Er wedelt mit der Hand in meine Richtung. »Diese Aufmachung ist für die Arbeit unpassend.«

Jetzt bin ich diejenige, die die Stirn runzelt. »Wieso soll das Kleid für die Arbeit unpassend sein? Es hat Ärmel und ist hochgeschlossen, und der Saum reicht bis über die Knie. Ich sehe absolut professionell aus.«

»Du wirst dich in einem Raum voller männlicher Sportler aufhalten, die größtenteils zwischen zwanzig und dreißig sind.«

»Und ein paar um die vierzig.« Ich deute auf ihn. »Worauf willst du hinaus?«

Er legt den Kopf schräg und sieht mich mit einer gewissen Frustration im Blick an. »Tu nicht so, als wüsstest du nicht, was das Problem ist.«

Ich weiß genau, was das Problem ist. Mein Kleid ist maßgeschneidert und schmiegt sich dementsprechend um meine Kurven. Es ist professionell und vielleicht auch ein klein wenig sexy. Aber alles an mir ist bedeckt, abgesehen von meinen Armen und den Beinen vom Knie bis zum Knöchel. »Wir leben doch nicht mehr im 16. Jahrhundert. Ich muss mich wirklich nicht in einem Jutesack verstecken. Willst du etwa behaupten, diese Kerle seien so, dass sie sich in Gegenwart einer Frau nicht beherrschen können? Ich sollte das tragen dürfen, was mir verdammt noch mal gefällt, und was ich gerade trage, ist geschmackvoll und absolut passend. Außerdem werden sie mich sowieso meiden wie die Pest, sobald sie herausfinden, dass ich deine Tochter bin, vor allem wenn du so finster dreinschaust.« Ich pike ihm in die Wange. »Und jetzt sei bitte nicht so altmodisch und überbehütend. Wir werden uns noch verspäten.« Ich schnappe mir unsere Thermobecher mit dem Kaffee, den ich heute Morgen gekocht habe, und gehe zur Tür.

Mein Dad seufzt, denn er weiß, dass er diese Schlacht verloren hat. Ich bin vierundzwanzig. Sportlich, kurvig, weiblich. Ich weigere mich, meine Figur zu verstecken, nur weil Männer daran vielleicht Gefallen finden könnten. Obwohl ich durchaus nachvollziehen kann, warum mein Dad von dieser Aussicht nicht gerade begeistert ist.

Er schließt die Tür hinter mir ab und sein Tesla piept einmal, als er auf den Schlüsselanhänger drückt.

Mein Dad ist Manager der NHL-Mannschaft von Seattle. Als Teenager war er selbst ein vielversprechendes Spielertalent. Er hat sogar in den Minor Leagues gespielt und wäre beinahe in die Major Leagues aufgestiegen – aber dann hat er meine Mutter geschwängert und ist im reifen Alter von zwanzig Vater geworden, und das hat alles verändert. Vor allem als meine Mom zu dem Schluss kam, dass das Elterndasein zu viel für sie war, und sie sich aus dem Staub gemacht hat, sodass er ganz allein für mich sorgen musste.

Er hätte trotzdem für die NHL spielen können. Bei Auswärtsspielen hätten meine Großeltern sich um mich gekümmert. Aber er wollte nicht, dass ich einen großen Teil des Jahres völlig ohne Eltern dastand, nachdem meine Mom sich als absolut unzuverlässig erwiesen hatte. Als ich zwei war, hatte er bereits das alleinige Sorgerecht. Also hat er sein Ziel, für die NHL zu spielen, hintangestellt und stattdessen einen Verwaltungsjob auf niedrigerer Ebene angenommen.

Im Laufe der Jahre hat er sich dann hochgearbeitet – auf Positionen innerhalb der NHL, die ein Minimum an Reisen erforderten.

Aber dann bot sich ihm mit der Neugründung eines NHL-Teams in Seattle die Chance seines Lebens, als ihm der Managerposten angeboten wurde. Wir haben damals in Florida gewohnt und ich hatte bereits einen Collegewechsel hinter mir (und ein ganzes Semester verloren), daher beschloss ich, dort zu bleiben, und hoffte, unter Beweis stellen zu können, dass ich wie eine Erwachsene allein klarkam. Außerdem wollte ich, dass mein Dad endlich einmal an sich selbst dachte. Es gefiel ihm nicht besonders, dass ich meilenweit entfernt am anderen Ende des Landes lebte, und ganz ehrlich: mir auch nicht. Aber sein Leben sollte sich nicht länger nur um mich drehen.

Also blieb ich in Florida und besuchte das College. Was für eine Weile auch funktioniert hat. Bis es irgendwann nicht mehr funktioniert hat. Nur ein Semester vor meinem Abschluss verlor ich jeglichen Halt. Wieder einmal.

Also bin ich nach Seattle gezogen, wo mein Dad war.

Aber ich habe es geschafft, einen Job zu kriegen und eine eigene Wohnung. Keinen tollen Job und auch keine tolle Wohnung, doch immerhin konnte ich ohne die Hilfe meines Dads leben. Ich habe einige weitere Studiengänge ausprobiert, aber keiner davon hat wirklich zu mir gepasst. Trotzdem kam ich ganz gut allein klar, bis ich meinen Job verlor und sich meine Zukunftsaussichten verdüsterten. Und da bin ich jetzt, wohne im Gästehaus meines Dads und arbeite als seine Assistentin, bis ich endlich weiß, was genau ich mit meinem Leben anfangen will.

»Soll ich dich Mr Masterson nennen oder ist dir Jake lieber?«, frage ich, als wir den verschlafenen Vorort hinter uns lassen und zum Stadion fahren.

Er runzelt die Stirn zum gefühlt zehnten Mal an diesem Morgen. Das wird wahrscheinlich eine ziemliche Umstellung werden. Klar, ich habe zwar schon als Teenager für meinen Dad gearbeitet, Besorgungen gemacht und Kaffee geholt, doch jetzt ist es etwas anderes. Ich bin eine erwachsene Frau, die unabhängig sein sollte, es aber nicht ist. Und so nahe wir uns auch stehen – in seinem Gästehaus zu wohnen und jeden Tag mit ihm zusammenzuarbeiten, könnte zu einer harten Zerreißprobe für uns beide werden.

»Das war ein Witz, oder?«, fragt er, während er sich auf die Straße konzentriert.

»Ich kann dich vor deinen Angestellten und den Spielern schlecht Dad nennen.«

Seine Hände umschließen das Lenkrad fester. »Doch, kannst du.«

Das wird definitiv eine ziemliche Umstellung. »Wie professionell klingt das denn?«

Ein Muskel zuckt in seiner Wange, und er seufzt. »Na schön, alle nennen mich Jake, also kannst du das wohl ebenfalls tun, aber nur vor den Jungs. Ansonsten bin ich Dad. Die meisten von ihnen sind wirklich nett, nur ein paar sind echte Arschlöcher und tauchen wegen ihrer Frauengeschichten ständig in den sozialen Medien auf.«

»Kapiert. Jake vor den Spielern und ansonsten Dad. Und fernhalten von Weiberhelden und Mistkerlen.«

»Nicht nur von denen. Du lässt dich überhaupt nicht mit den Spielern ein – und auch nicht mit dem Personal«, fügt er hinzu.

»Ist das eine Regel, die alle befolgen müssen oder nur ich?«, frage ich mehr oder weniger spitz.

»Das ist keine Regel, sondern ein ungeschriebener Verhaltenskodex, der für alle gilt. Wir wissen beide, wie sehr du Regeln liebst.« Er grinst schwach.

»Keine Sorge, Dad, ich werde nicht mit deinen Spielern ausgehen.« Mein letztes Date mit einem Eishockeyspieler ist gewaltig ins Auge gegangen. Es ist schon Jahre her, aber die Erfahrung verfolgt mich noch immer. So sehr, dass ich seit meinem ersten Collegejahr kein Spiel mehr gesehen habe.

»Wenn ich ganz ehrlich bin, bist gar nicht du diejenige, um die ich mir Sorgen mache. Du bist wunderschön, genau wie deine Mutter. Ihr konnte einfach keiner widerstehen, und bei dir ist es genauso.«

Ich funkele ihn an. »Der Vergleich mit ihr musste ja unbedingt sein, oder?«

»Tut mir leid. Es ist ja nicht als Beleidigung gemeint. Ich will damit einfach nur sagen, dass du das Aussehen deiner Mutter geerbt hast.« Er drückt meine Schulter.

»Schon klar. Ich wünschte nur, ich würde es besser auf die Reihe kriegen.« Damit meine ich, ich wünschte, ich wäre zumindest in dieser Hinsicht meiner Mutter weniger ähnlich. Es ist eine Sache, so auszusehen wie sie, aber ich habe viel zu viele ihrer alles andere als erstrebenswerten Charaktereigenschaften geerbt. Darunter offenbar auch ihre Neigung zu armseligen Lebensentscheidungen.

Sie ist immer ziellos gewesen, ist von einer Sache zur nächsten geflattert, von Ort zu Ort und von Mann zu Mann. Sie hat niemals konstant an meinem Leben teilgenommen. Aber als ich in Florida auf dem College war, hat sie sich für kurze Zeit wieder hineingeschlängelt. Sie besaß schon immer die unheimliche Fähigkeit, mir unter die Haut zu gehen wie die Stacheln eines Stachelschweins, und egal wie sehr ich mich auch bemühe, ich scheine sie da nicht rauszukriegen.

Wegen ihr habe ich im letzten Semester mein duales Masterstudium in Kunst und Psychologie geschmissen, nachdem mir mehrfach – von ihr – gesagt wurde, dass ich das Geld meines Dads für einen nutzlosen Abschluss verschwende. Meine künstlerischen Fähigkeiten würden niemals ausreichen, um meine Arbeit in einer Galerie auszustellen, und ich sei zu verkorkst, um anderen Menschen zu helfen. Sie hat mir geraten, mir besser jemanden zu suchen, der sich um mich kümmern würde. Und das war das letzte Mal, dass ich mit ihr gesprochen habe.

Ich hasse die Tatsache, dass ich ihr geglaubt habe. Und dass ich genau das getan habe, was sie gesagt hat: Ich bin zurück nach Hause gerannt und habe meinen Dad die Scherben auflesen lassen. Aber was noch schlimmer ist: Vor lauter Angst, dass sie mit meinem Verkorkstsein recht haben könnte, habe ich nicht einmal versucht zu beenden, was ich begonnen hatte.

In diesem Jahr habe ich gehofft, einige businessorientierte Kurse belegen zu können, weil das praxisbezogen klingt, aber dann gab es ein Durcheinander mit meinem Zeugnis, und als das Problem gelöst war, war ich mit meiner Bewerbung spät dran und bin auf der Warteliste gelandet. Meine Noten sind ganz anständig, doch die Kurse sind ziemlich auf Wettbewerbsfähigkeiten ausgerichtet und auch nicht direkt auf das, wofür ich brenne, deshalb ist es wahrscheinlich besser, dass es gar nicht erst geklappt hat.

»Du bist jetzt vierundzwanzig«, sagt mein Dad sanft. »Du hast noch jede Menge Zeit, etwas zu finden, das du wirklich gern machst, Queenie. Ich will nicht, dass du das Gefühl hast, einen bestimmten Weg einschlagen zu müssen, nur weil dieser dir einen gut bezahlten Job verspricht. Geld ist nicht wichtig. Ich will, dass du tust, was du liebst, und um den Rest kümmere ich mich.«

»Ich wünschte nur, ich wüsste, was das ist.« Mir ist klar, dass er es gut meint und dass wir uns all die Jahre über aufeinander verlassen haben, aber ich will nicht, dass mein Dad sich für den Rest meines Lebens um mich kümmert wie um ein verwöhntes Gör. Außerdem ist er erst vierundvierzig. Hat volles Haar, ist top in Form und einfach ein großartiger Mensch mit einem mörderischen Sinn für Humor. Es wäre schön, wenn er jemanden finden könnte, der all diese Seiten an ihm zu schätzen weiß, abgesehen von mir. Aber da wir die meisten Abende zusammen verbringen, weiß ich, dass er mit niemandem ausgeht. Er hat nicht mal eine Dating-App auf seinem Handy.

»Das findest du schon noch heraus, Kleines, und in der Zwischenzeit können wir umso mehr Zeit miteinander verbringen. Eine absolute Win-Win-Situation, meinst du nicht?«

»Absolut, Dad.« Und ich meine es auch so. Fast. Ich bin schrecklich gern mit meinem Vater zusammen. Aber ich befürchte, dass für ihn zu arbeiten nicht ganz so easy wird, wie wir es gern hätten.

2

Vater, Mutter, Kind

Kingston

»Hey, Momsterherz, wie geht’s?«

Hanna kichert und schüttelt den Kopf. »Soll ich dich etwa Sohderherz nennen oder Bruso?«

»Ich hab dir doch gesagt, es braucht ein wenig Zeit, bis du und dein Spitzname eins seid.« Während ich mein Frühstücksgeschirr spüle, halte ich inne, um ihr via Display direkt in die Augen zu sehen. »Aber wenn es dir etwas ausmacht, werde ich dich nicht mehr so nennen, Hanna.«

»Es macht mir nichts aus. Ich mag es sogar irgendwie.«

»Ich höre da ein Aber.« Ich bugsiere meine Müslischale in das Abtropfgestell.

Seit Neuestem gehören mindestens zweimal pro Woche morgendliche Videochats zu unserem Alltag. Auf diese Art können wir face-to-face miteinander reden und uns an die neue Dynamik unserer Beziehung gewöhnen. Wie der Therapeut es genannt hat. Wir versuchen einfach, das zu verarbeiten, was uns so peinlich und seltsam an der ganzen Sache berührt. Im Grunde hat sich nichts geändert – und doch alles.

»Wir kennen einander zu gut.« Hanna seufzt und nippt an ihrem Kaffee. »Ich … ich will einfach nicht, dass Mom das Gefühl hat, sie spiele plötzlich eine weniger wichtige Rolle. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich alles in allem wirklich einen besonderen Spitznamen verdiene.«

»Du verdienst eine Menge, einschließlich eines besonderen Spitznamens. Wir standen uns doch immer schon sehr nahe, und ganz sicher ist Mom uns beiden immer noch genauso wichtig wie vorher. Aber wenn du dich dann besser fühlst, kann es auch einfach nur unser Ding sein.«

Sie lacht leise. »Hört, hört. Wer ist hier eigentlich das Elternteil und wer das Kind? Genau genommen sollte ich diejenige sein, die dich unterstützt, und meistens ist es andersherum.«

»Aber du musstest etwas aufgeben, während ich gleich zwei wunderbare Frauen in meinem Leben zum Vorbild hatte. Dein Verlust war also zugleich auch mein Gewinn. Deshalb erlebst du diese veränderte Situation jetzt ganz anders als ich.«

»Ich weiß, und wie mit allen anderen Situationen gehst du unglaublich gut damit um. Aber wie auch immer, ich habe nicht angerufen, um mit dir über einen Spitznamen zu philosophieren. Ich wollte dir vor allem viel Glück wünschen. Wie fühlst du dich denn so zu Beginn der Saison?«

Ich ziehe den Stöpsel heraus und lasse das Wasser aus der Spüle ablaufen, bevor ich sie mit einem Schwamm auswische. »Ziemlich gut. Gestern Nacht war ich ein wenig unruhig, aber davon abgesehen ist alles okay. Ich hab den Sommer über viel mit meinen Teamkollegen trainiert – genug, damit wir jetzt auf dem Eis eine richtige Einheit bilden.«

»Kommen dein Freund und der Mannschaftskapitän immer noch miteinander klar? Ich erinnere mich noch, dass es für eine Weile jede Menge Probleme gab.«

»Oh ja, zwischen Bishop und Rook steht es bestens. Meistens jedenfalls. Ich meine, Bishop wird immer Bishop sein, dem es ziemlich oft an Taktgefühl mangelt, aber die Rivalität auf dem Eis gehört längst der Vergangenheit an und das kommt dem ganzen Team zugute.«

»Freut mich, das zu hören. Ich weiß ja, wie sehr solche Dinge dich belasten.«

»Nun, wir beide wissen nur zu gut, dass ich interne Zwistigkeiten über alles liebe.«

Wir lachen, denn ich bin zu hundert Prozent der Typ, der ein Problem anspricht, sobald es auftaucht. Daher habe ich Hanna auch gleich einen Tag, nachdem ich erfahren hatte, dass sie meine leibliche Mutter ist, in ein Flugzeug hierher gesetzt, damit wir uns dem Ganzen gemeinsam stellen können. Und als wir dann bereit waren – jedenfalls so bereit, wie es in dieser Situation möglich war –, sind wir nach Tennessee heimgeflogen und haben uns dem Ganzen als Familie gestellt. Denn so machen wir das immer. Offene Wunden haben keinen Sinn. Sie heilen nur dann am besten, wenn man sie sorgfältig reinigt, selbst wenn es am Anfang schmerzt. Und in unserem Fall hat es sehr geschmerzt, auch wenn ich versucht habe, nicht alles auf Hannas Schultern abzuladen.

»Und was ist mir dir? Wie kommst du mit allem anderen klar?« Ich spreche von der Scheidung, die nicht leicht für Hanna war, erst recht nicht, nachdem ich von dem Familiengeheimnis erfahren hatte, das unsere Mutter offenbar am liebsten mit ins Grab genommen hätte. Stattdessen hat Hannas rachsüchtiger Mistkerl von Ex-Mann sich erdreistet, mir die Adoptionspapiere zu schicken, aus denen Hanna als meine leibliche Mutter hervorgeht.

»Alles okay bei mir. Jetzt, nachdem das Haus verkauft ist und ich etwas Neues habe, wo mich nicht Tag für Tag meine Fehler der Vergangenheit verfolgen, geht es mir besser.«

»Lässt Gordon dich in Ruhe? Brauchst du noch Hilfe bei dem Anwaltskram? Soll ich zu dir kommen? Ich müsste eigentlich ein ziemlich freies Wochenende haben.«

»Nein, nein, das ist nicht nötig. Dein Vorsaisontraining hat gerade begonnen und in ein paar Wochen besuche ich dich sowieso.«

»Ganz sicher? Familie hat Vorrang. Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da.«

»Das ist wirklich lieb von dir, aber ich habe alles geregelt. Mit Mom und Dad und einigen Freunden von der Arbeit, die gleich in der Nähe wohnen, habe ich eine Menge Unterstützung. Für Samstagabend hab ich mit ein paar Freundinnen einen Filmabend geplant, eine romantische Komödie, und du weißt ja selbst, wie sehr du so was liebst.«

»Jessica ist immer so sauer geworden, wenn ich dabei eingeschlafen bin.« Wir kichern beide.

»Wie geht’s Jessica? Sprecht ihr noch miteinander, oder …« Sie vollendet den Satz nicht.

Es ist jetzt sieben Monate her, dass ich mit Jessica Schluss gemacht habe. Keine leichte Entscheidung, aber eine notwendige. »Sie ruft noch ab und zu an, und da wir so lange zusammen waren, habe ich das Gefühl, sie auch jetzt nicht vollkommen aus meinem Leben ausschließen zu können. Doch ich glaube, nur Freunde zu sein, ist für keinen von uns leicht, zumal ich bereits drüber weg bin und sie, denke ich, noch nicht.« Im Grunde haben wir nie viel Zeit miteinander verbracht, abgesehen von gelegentlichen Besuchen und ein paar ungestörten Wochen während der Offseason. Aber wir waren fast ein Jahrzehnt lang ein wichtiger Bestandteil im Leben des jeweils anderen, und für meine Familie hat sie wie eine Tochter dazugehört – mehr als in Jessicas eigener Familie –, deshalb kann ich nachvollziehen, dass ihr die Trennung besonders schwerfällt, nachdem es sich für sie wahrscheinlich so anfühlt, als habe sie mehr verloren als nur einen festen Freund.

»Hmmm. Da könntest du recht haben«, pflichtet Hanna mir bei.

»Was ist los? Du tippst dir mal wieder auf die Lippen.« Was bedeutet, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie das, was sie sagen will, auch wirklich sagen soll.

»Na schön, Mom hat mir erzählt, dass Jessica mehr als ein Mal ein paar Sachen von dir vorbeigebracht hat, aber das Timing ist verdächtig, nämlich immer sonntags zur Abendessenszeit.«

»Bleibt sie dann oder gibt sie nur die Sachen ab und geht wieder?«

»Du kennst doch Mom. Sie würde sie nie einfach so gehen lassen.«

»Nein. Natürlich nicht.« Ich reibe mir den Nacken. Unsere Mom hat immer zu Jessica gehalten und wünscht sich nichts mehr, als dass wir wieder zusammenkommen. »Hat Mom sonst noch was erzählt?«

»Nein, sie wirkte nur ein wenig wehmütig. Aber ich bin sicher, sie wird darüber wegkommen.«

»Das hoffe ich für alle beide«, murmele ich.

Hanna lacht mit einem Seufzer. Sie weiß genau, was ich meine. Unsere Mom würde am liebsten alles wieder hinbiegen. »Ihr zwei seid so viele Jahre zusammen gewesen, da ist es durchaus nachvollziehbar, dass ihr das Loslassen schwerfällt. Und du weißt doch, wie Mom ist. Sie ist nicht unbedingt ein Fan von Veränderungen. Aber wie auch immer, was ist mit dir? Irgendwelche heißen Dates am Start?«

»Ähm, nein. Keine heißen Dates. Die neue Saison geht gerade erst los. Da bleibt nicht viel Zeit für Dates.« Was nicht komplett gelogen ist.

Mein Wecker klingelt und erinnert mich daran, dass ich in den nächsten zehn Minuten aufbrechen muss, um Bishop abzuholen und es noch rechtzeitig zum Stadion zu schaffen. »Das Teammeeting beginnt in weniger als einer Stunde, also muss ich jetzt Schluss machen.«

»Glaub bloß nicht, ich merke nicht, dass du jedes Mal, wenn dein Liebesleben zur Sprache kommt, plötzlich irgendwo hinmusst.«

»Aber ich muss wirklich irgendwo hin.«

»Ich zieh dich doch nur auf. Mach dir einen schönen Tag. Wir sprechen uns im Laufe der Woche noch mal.«

»Klingt gut. Schick mir eine Nachricht, falls du irgendwas brauchst.«

»Mach ich. Ich hab dich lieb, Ry.«

»Ich dich auch, Momster.« Ich beende das Gespräch und starre für einige Sekunden auf das jetzt dunkle Display, in der Hoffnung, dass es ihr wirklich gut geht – und dass unsere Familie ihr die Sache mit der Scheidung nicht noch schwerer macht, als sie sowieso schon ist.

Siebenunddreißig Minuten später treten mein Teamkollege und bester Freund Bishop Winslow und ich durch die Eingangstüren des Stadions, bereit für unser erstes Meeting der Saison. Ich atme den vertrauten Duft von Putzmitteln, Gummifußmatten und der Eisfläche ein und – ganz gleich, wie viel auch gereinigt wird – den leicht abgestandenen Geruch der Eishockeyausrüstung.

»Wie stehen die Chancen, dass Waters in diesem Jahr keine Preseason-Party fürs Team schmeißt?«, fragt Bishop.

»Schlecht bis null, denke ich.« Ich habe nichts gegen diese Partys. Man lernt die neuen Spieler kennen und kann sich ungezwungen ein wenig mit denen unterhalten, die man während der Offseason nicht gesehen hat. »Immerhin stärkt die Party den Teamgeist, und die Neuen fühlen sich auch gleich wohler.«

»Warum siehst du eigentlich jede verdammte Kleinigkeit so extrem positiv, King?«, nörgelt Bishop. Bishop ist ein kleiner Pessimist und nicht besonders gesellig.

»Weil du alles negativ siehst, und man braucht ja schließlich ein gewisses Gleichgewicht im Leben.«

»Da ist es ein echtes Wunder, dass ich Freunde und eine Ehefrau habe, was?« Er schenkt mir ein schiefes Lächeln.

Ich klopfe ihm auf die Schulter und grinse. »Ganz und gar nicht. Ich betrachte mich als einen der wenigen Glücklichen, die wissen, was sich hinter deiner mürrischen Fassade tatsächlich verbirgt.«

Er verdreht die Augen und stößt meine Hand weg, grinst aber ebenfalls dabei.

In der Tasche summt mein Handy; ich hole es hervor, um zu sehen, wer mir da was schickt. Der Familienchat zeigt fünfundzwanzig ungelesene Nachrichten an – was nicht ungewöhnlich ist, da ich am Steuer keinen Blick aufs Handy werfe und so früh am Morgen alle ziemlich schwatzhaft sind. Außerdem sind drei Nachrichten von Jessica dabei.

Bishop mustert zuerst das Handy und dann mich. »Alles okay?«

»Denke schon. Wahrscheinlich nur der übliche ›Ich wünsch dir einen schönen Tag‹-Kram.« Zumindest was die Nachrichten im Familienchat betrifft. Jeden Morgen um neun postet meine Mom – ich finde es immer noch total verrückt, sie mir als meine Großmutter vorzustellen – ihr Zitat des Tages, das für gewöhnlich ihrem Abreißkalender mit »Worten der Inspiration« entstammt. Mein Vater – ähm, Großvater – meldet sich dann mit einem witzigen Bonmot zu Wort, und dann versuchen wir alle, etwas noch Witzigeres zu posten oder Moms Zitat zu verdrehen.

Die Nachrichten von Jessica überspringe ich jetzt lieber, denn sobald ich antworte, besteht die Gefahr, dass sie anruft. Und da ich gerade auf dem Weg zu einem Teammeeting bin, kann ich – falls es nötig sein sollte – nicht wirklich einfühlsam reagieren. Es kam schon ein paarmal vor, dass sie angerufen hat und dann in Tränen ausgebrochen ist. Sie zu beruhigen kann eine Weile dauern, und ich habe gerade keine Zeit, ihr behutsam zu erklären, warum unsere Beziehung für keinen von uns funktioniert hat und dass es eine schlechte Idee wäre, es noch mal zu versuchen.

»Jessica schreibt dir immer noch? Regelmäßig?«, fragt Bishop und schaut auf mein Display.

Ich zucke die Achseln. »Es fällt ihr schwer, loszulassen.«

Bishop stößt hörbar den Atem aus. »Alter, wenn meine Ex mir immer noch Nachrichten schicken würde, würde Stevie durchdrehen.«

»Da ich weder eine Freundin noch eine Ehefrau habe, brauche ich mir keine Sorgen zu machen, ob irgendwelche Gefühle verletzt werden.«

»Im Moment zwar nicht, aber irgendwann wirst du eine neue Freundin haben. Was glaubst du, wie Jessica dann reagieren wird?«

»Keine Ahnung. Ich hoffe, dass ich von einem solchen Szenario verschont bleibe.«

Bishop runzelt die Stirn. Kein ungewöhnlicher Gesichtsausdruck bei ihm. »Hast du vor, wieder mit ihr zusammenzukommen oder so was?«

»Nein. Definitiv nicht.« Jessica hatte die völlig irregeleitete Vorstellung, dass ich, sobald wir verheiratet wären, mit dem Profi-Eishockey aufhören würde. Als ich ihr dann erklärte, dass ich meine NHL-Karriere fortsetzen wolle, bis mein Vertrag irgendwann nicht mehr verlängert werden würde, hat sie sich schrecklich aufgeregt und mir vorgeworfen, meine Karriere sei mir wichtiger als sie.

Und in gewisser Weise hat sie recht. Meine Karriere ist mir wichtiger. Aber im Laufe unserer Beziehung hat sie mich auch nie besonders unterstützt und immer nur von unserem Zusammenleben nach dem Eishockey gesprochen.

Mit dreißig habe ich noch einige gute Jahre vor mir. Torhüter können ziemlich lange auf dem Eis stehen, und ich habe bei Seattle für sieben Jahre unterschrieben. Wenn mein Vertrag ausläuft, werde ich noch nicht mal Mitte dreißig sein, und wenn ich in Form bleibe und meine Leistung stimmt, hoffe ich auf eine weitere Verlängerung. Ich wollte keine Beziehung fortsetzen, die sich bis zu meinem Karriereende wie auf Eis gelegt anfühlt, zumal ich mir ein realistisches Ende noch gar nicht vorstellen kann. Mir ist klar geworden, dass sie, ganz gleich, was wir zusammen hatten, niemals in der Lage sein würde, meine Karriere zu akzeptieren, daher habe ich einen Schlussstrich gezogen.

Wir erreichen das Konferenzzimmer. An einem Ende des Raums erstreckt sich ein von einem Catering geliefertes warmes Frühstücksbüfett. Die Hälfte unseres Teams sitzt bereits an den Tischen, schiebt sich das Essen rein und bringt einander auf den neuesten Stand. Bishop und ich schnappen uns einen Teller und beladen ihn ebenfalls.

»Shippy, King, setzt euch!« Rook Bowman, unser Kapitän, deutet auf die beiden freien Plätze an seinem Tisch.

»Immer diese Shippy-Scheiße«, murrt Bishop.

Während der ersten Spielsaison waren Bishop und Rook bis aufs Blut verfeindet. Erst recht, nachdem Rook herausgefunden hatte, dass Bishop seine jüngere Schwester datet. Hinter einem Müllcontainer haben sie es schließlich ausgefochten – mit mir als Vermittler –, und jetzt kommen sie meistens ganz gut klar.

»Nenn mich weiter Shippy, und ich zähl dir die Lieblingspositionen deiner Schwester im Bett auf«, brummt Bishop, als er Rook gegenüber Platz nimmt.

Rook verschluckt sich fast an seinem Würstchen, und Chase, einer unserer Teamkollegen, der neben ihm sitzt, klopft ihm ein paarmal auf den Rücken. Aber Rook stößt seine Hand weg und wirft Bishop einen zornigen Blick zu. »Das wagst du nicht.«

Bishop sieht ihn an, als wolle er sagen: Stell mich nicht auf die Probe. »Nur deine Schwester darf mich Shippy nennen, also, solange du dich nicht beim Filmschauen an mich kuschelst und meinen Schw-«

Ich schlage auf den Tisch, um Bishop daran zu hindern, den Satz zu beenden. Außerdem sieht Rook so aus, als würde er sich gleich quer über den Tisch auf ihn stürzen. Aber ich trage ein weißes Poloshirt und würde es vorziehen, nicht den ganzen Tag mit den darauf verschmierten Überresten meines Frühstücks herumzulaufen.

»Es ist zu früh für diesen Mist. Das Letzte, was wir an unserem ersten Tag gebrauchen können, ist ein Kapitän, der sich vor den Augen der Neuen prügelt.« Ich deute mit dem Kopf in Richtung der zwei ziemlich neuen Gesichter an der Tür, die interessiert beobachten, wie ihr neuer Kapitän und dessen Schwager dabei sind, sich in genau diese Situation hineinzumanövrieren. Sie können noch nicht wissen, dass es sich hier um nichts weiter als zwei Kerle handelt, die einander gern aufstacheln. Meistens jedenfalls.

»Zwischen uns ist alles klar.« Rook schaufelt sich eine Gabel voll Rührei in den Mund und schiebt seinen Stuhl vom Tisch weg. Er wischt sich mit einer Serviette die Lippen ab und wirft sie Bishop hin, bevor er zu den neuen Spielern rübergeht.

»Alter, bin ich froh, dass ich so früh am Morgen nicht so freundlich und aufgeschlossen sein muss wie er.« Bishop greift nach einem Schinkenstreifen und faltet ihn wie ein Akkordeon in seinen Mund.

»Ich bezweifle, dass die Sache mit dem Aufgeschlossen-Sein bei dir klappen würde, selbst wenn du Energy Drinks und Ecstasy intus hättest.«

»Bezweifle ich auch.« Bishop sieht sich im Raum um und hebt das Kinn. »Meinst du, unser Manager hat sich eine Assistentin zugelegt?«

Ich folge seinem Blick und entdecke am Schreibtisch mit dem Rücken zu uns eine Frau, die einige Papiere ordnet. Sie hat gewelltes, kastanienbraunes Haar, das ihr fast bis zur Taille reicht. »Vielleicht eine Praktikantin?«

Sie trägt ein dunkelblaues Kleid, das ihre äußerst weibliche Figur betont. Ich verfolge mit den Augen die Linie ihrer Taille und die Kurven ihrer Hüften, bis mein Blick den Saum ihres Kleides erreicht, das an den Kniekehlen endet. Ihre nackten Waden wirken sportlich muskulös, während die Fersen ihrer Pumps von einem kleinen Schleifchen geziert werden. Klassisch, aber sexy.

»Ich hoffe, diese Augenweide ist von Dauer«, bemerkt jemand am Tisch hinter uns, so laut, dass alle in der Nähe es hören können.

»Ich hätte nichts dagegen, wenn sie mir bei meinem Genitalschutz behilflich wäre«, wirft einer der anderen Jungs ein, was dem Rest des Tisches ein lautes Kichern entlockt.

Ich werfe einen wenig begeisterten Blick über meine Schulter. Foley kenne ich aus Tampa und Dickerson ist von L. A. zu uns gewechselt. Beides notorische Aufreißer. »Passt auf, was ihr sagt, und zeigt ein wenig mehr Respekt. Sie ist auch immerhin die Tochter von irgendwem.«

»Immer mit der Ruhe, King. Es ist ja schließlich nicht so, dass wir es ihr ins Gesicht sagen«, verteidigt Foley sich.

Ich habe keine weitere Gelegenheit mehr, ihn zurechtzuweisen, denn in diesem Augenblick betreten Jake Masterson, unser Manager, und Alex Waters, unser Cheftrainer, durch die Nebentür den Raum. Der Manager geht zu der Frau hinüber, die uns immer noch den Rücken zuwendet, und schenkt ihr ein … allzu herzliches Lächeln. Dann beugt er sich vor und drückt ihre Schulter, während er etwas zu ihr sagt, sein Mund dicht an ihrem Ohr.

»Womöglich ist sie gar nicht seine Assistentin. Vielleicht ist sie seine neue Freundin, denn das da sieht für mich verdammt freundlich aus.« Bishop stopft sich ein Würstchen in den Mund.

»Vielleicht«, stimme ich ihm zu.

Sie dreht sich leicht um, sodass ich einen Blick auf ihr Profil mit den rosigen Wangen erhasche. Ich blinzele einige Male, denn sie kommt mir unglaublich vertraut vor.

»Ich glaube, ich kenne sie«, murmele ich, mehr zu mir selbst als zu Bishop.

»Nicht so gut wie unser Manager, wie’s aussieht.«

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Puck die ungeschützte Brust. Ich kenne sie tatsächlich. Queenie… Mein One-Night-Stand, die Frau, die am nächsten Morgen einfach abgehauen ist und nur ein Post-it und einen Slip an meinem Türknauf hinterlassen hat. Einen ruinierten Slip. »Oh Gott.«

Hab ich etwa mit der Freundin des Managers geschlafen? Die Erinnerungen stürzen auf mich ein und ich möchte am liebsten im Boden versinken. Mein Verhalten in jener Nacht war höchst untypisch. Alles an jener Nacht war untypisch. Ich habe es auf den Alkohol zurückgeführt, das Familiendrama und die Tatsache, dass sie sich ziemlich willig und begierig in unser Abenteuer gestürzt hat. Denk jetzt bloß nicht daran, was du alles mit ihr gemacht hast.

Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte nicht an Queenie und unsere gemeinsame Nacht gedacht. Ich habe sogar überlegt, zu der Bar zu fahren, in der wir uns kennengelernt haben, aber ich war mir nicht sicher, wie wahrscheinlich es ist, dass sie dort wieder auftaucht. Und ich konnte auch schlecht den Barkeeper nach ihr fragen, ohne total gruselig zu wirken. Außerdem – wenn sie gewollt hätte, dass ich ihre Nummer habe, hätte sie sie mir dagelassen.

»Ist alles okay mit dir? Du siehst aus, als müsstest du gleich kotzen«, bemerkt Bishop.

Ich halte mir eine Hand vor den Mund, aber nicht, weil ich mich übergeben muss, sondern um die Tatsache zu verbergen, dass mir der Mund offen steht und ich es irgendwie nicht schaffe, ihn wieder zu schließen. Obwohl … mein Magen fängt bereits an, diese schrecklichen Salti zu schlagen, die sich schon bald in eine heftige Übelkeit verwandeln werden. Die Art von Übelkeit, die ich noch von früher kenne, als ich zum ersten Mal als Spieler aufs Eis gegangen bin.

Das ist schlecht. Sehr schlecht. Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand. Ich war immer in festen Beziehungen, weil ich es vorziehe, meine Bettpartnerinnen zu kennen, bevor sie tatsächlich zu mir unter die Laken schlüpfen. Als ich in Tennessee aufwuchs, waren Teenagerschwangerschaften ziemlich alltäglich, schließlich gab es dort nicht viel mehr, als Sport zu treiben oder mit Drogen und Alkohol in Schwierigkeiten zu geraten – Gerald, mein Bruder, hat letzteren Weg eingeschlagen. Ich falle offensichtlich in die Sportkategorie. Als ich dann ein Teenager war, hatten meine Eltern ihre Lektion endlich gelernt. Sie haben mir eingebläut, niemals in diese andere Statistik einzugehen oder meine Freundin zur Mom zu machen, bevor sie nicht mehr auf die Reihe kriegte als Algebra im Abschlussjahr.

Irgendwie ironisch, dass meine echte Mutter im Grunde eins dieser Mädchen gewesen war, mit dem Unterschied, dass meine Großeltern eben jene Entscheidung getroffen haben, die sie getroffen haben.

»King?« Bishop stupst mich an. »Glotz nicht so!«

Jake pfeift auf zwei Fingern, was der Frau neben ihm sichtlich unangenehm ist, aber dann zwingt sie sich schnell zu einem unsicheren Lächeln. »Wer ist bereit für eine neue Saison?«

Die Spieler jubeln zur Antwort. Waters steht an der Seite und applaudiert enthusiastisch. Normalerweise leitet er die Teammeetings, aber Jake ist ein ziemlich aktiver Manager, der gern die Einführung beim ersten Treffen übernimmt, bevor er an unseren Trainer übergibt.

Jake wartet, bis alle wieder ruhig sind und ihre Plätze eingenommen haben, bevor er fortfährt. »Meine Herren, ich möchte Ihnen gern Queenie vorstellen, meine persönliche Assistentin.« Er legt ihr einen Arm um die Schulter und zieht sie an sich.

Ich spüre einen heißen Stich des Zorns in meiner Brust – ein fremdes Gefühl. Im Allgemeinen behalte ich einen klaren Kopf. Aber nicht in diesem Moment. So wie Jake und Queenie miteinander umgehen, sind sie ganz offensichtlich in einer Beziehung. Hat sie ihn etwa betrogen? Und mich da mit reingezogen? Der Altersunterschied ist unübersehbar. Für einen Manager ist er zwar jung, aber er ist in den Vierzigern und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Mitte zwanzig ist.

»Zufällig ist sie auch meine Tochter, also kommt bloß nicht auf irgendwelche Ideen, Jungs.« Irgendwie schafft er es, uns zuzwinkern und gleichzeitig anzufunkeln.

Nicht seine Freundin. Seine Tochter. Eine einfache Feststellung, die alles noch schlimmer macht.

3

Im Erdboden versinken

Queenie

Das kann nicht sein. Ich blinzele mehrmals und hoffe, dass das nur eine Halluzination dank meines Schlafmangels ist. Ist es aber nicht.

Meine Affäre von vor sechs Wochen sitzt mitten in einem Pulk von Eishockeyspielern.

Wie hoch sind die verdammten Chancen, dass so was passiert?

Mein Mund ist plötzlich trocken und meine Nippel werden hart, als mich die Erinnerungen überfluten. So ein süßer Typ. So gut gekleidet, so höflich. So was von respektvoll. Aber Grundgütiger, zieht man ihm die Kleider aus und schafft ihn in ein Bett, hört sich die Geschichte ganz anders an. Ich würde gern einige Kapitel hinzufügen oder sogar einen ganzen Roman schreiben – einen langen. Ich hab den braven Pfadfinderjungen aus seinem Poloshirt geholt und einen echt schmutzigen Mann entfesselt.

Seinen weit aufgerissenen Augen und dem entsetzten Gesichtsausdruck zufolge ist er genauso schockiert, mich zu sehen, wie ich es bin, ihn hier vorzufinden.

Während der vergangenen sechs Wochen habe ich diese Nacht und den folgenden Morgen immer wieder abgespult. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich ein Post-it und meinen zerfetzten Slip zurückgelassen habe. Und ich frage mich, ob er ihn weggeworfen hat. Oder behalten.

Was ich mich außerdem noch frage, ist, ob er genauso enttäuscht darüber war wie ich selbst, dass ich ihm nicht meine Telefonnummer hinterlassen habe. Ich habe seine Adresse noch, dank der Taxifahrt von seinem Haus zu dem Diner, das mein Dad und ich jeden Samstag besuchen.

Der Dad, für den ich jetzt arbeite.

Der Manager dieses Teams.

Der mir gesagt hat, ich solle nichts mit einem der Spieler anfangen. Es ist der erste Tag, und ich habe bereits – wenn auch unbeabsichtigt – gegen die eine Bitte verstoßen, die er an mich gerichtet hat.

Alles andere als großartig, diese Situation hier, und so bleich wie Ryan geworden ist, empfindet er wohl genauso.

Ich bin so benommen, dass ich meine Verlegenheit darüber, dass mein Dad vor versammelter Mannschaft die Vaterkarte gezogen hat, ganz vergesse.

»Queenie?« Ich reiße den Blick von meinem One-Night-Stand los – ich hab ihn angestarrt – und richte meine Aufmerksamkeit auf meinen Dad. Ich lächele ihn fragend an. »Ja, Jake?«

Sein rechtes Auge zuckt, als sei ihm etwas hineingeflogen. Was nicht der Fall ist. Es bedeutet, dass er irritiert ist, wahrscheinlich weil ich ihn beim Vornamen nenne und etwas Ärger in meiner Stimme mitschwingt. Bestimmt wirke ich auch peinlich berührt, wenn auch nicht aus dem Grund, den er möglicherweise vermutet.

Er reicht mir einen Stapel Mappen. »Würdest du die bitte verteilen?«

Am liebsten möchte ich Nein sagen, um keinen bewussten Blickkontakt zu Ryan herstellen zu müssen. Aber da ich die Assistentin meines Vaters bin, ist es nun mal meine Aufgabe, alle niedrigen Tätigkeiten zu übernehmen, die ihn eventuell von etwas Wichtigem ablenken könnten. Mein Job ist es also, Dinge an die Mannschaft auszuteilen, wieder einzusammeln und abzuheften. Wirklich faszinierend.

Wenn ich heute Morgen auf Zack gewesen wäre – was ich leider nicht war –, hätte ich die Unterlagen bereits auf die Tische gelegt, um es mir und den Spielern leichter zu machen. Und dann hätte ich diese Peinlichkeit aus nächster Nähe vermeiden können.

»Selbstverständlich.« Ich greife mit klammen Händen nach den Mappen und beginne an einem Ende des Raums, sie an die Spieler zu verteilen. Sie murmeln ein Dankeschön und schenken mir ein kurzes, verlegenes Lächeln.

Vielleicht hatte mein Dad recht und das Kleid war doch nicht die beste Idee. Die meisten hier tragen Freizeithosen und T-Shirts. Einige haben Jeans an. Ryan trägt eine graue sportliche Hose und ein weißes Poloshirt. Ich versuche, gleichmäßig zu atmen und ein Lächeln aufzusetzen, als ich ihm die Mappe reiche. Unsere Blicke treffen sich. Meine Nippel werden noch härter. Gott sei Dank ist mein BH gepolstert.

Sein Mund öffnet sich leicht und er leckt sich mit der Zunge über die Unterlippe. Ich erinnere mich ziemlich lebhaft daran, wie es sich angefühlt hat, als diese Zunge meine nackte Brustwarze umkreist hat, abgesehen von ganz anderen Stellen. Ein Laut, irgendwo zwischen einem Stöhnen und Seufzen, entschlüpft mir.

Seine Augen weiten sich, und seine Wangen werden rot. Ich halte die Mappe immer noch fest und er versucht, sie mir aus der Hand zu ziehen. All das dauert nur wenige Sekunden, aber ich habe das Gefühl, als sei ein Scheinwerfer auf uns gerichtet und als könne jeder Einzelne im Raum meine Gedanken lesen.

Seine tiefe, kraftvolle Stimme fühlt sich wie eine Liebkosung zwischen meinen Schenkeln an, als er ein Dankeschön murmelt. Ich will gerade weitergehen, als er die Finger um mein Handgelenk legt, um mich daran zu hindern. Seine Hand ist genauso groß, warm und rau, wie ich sie in Erinnerung habe. Die Berührung kommt so unerwartet, dass ich zusammenzucke und beinahe einige Mappen fallen lasse.

Er gibt mein Handgelenk frei. »Sie haben etwas verloren.« Er bückt sich und hebt ein Stück Papier auf. Ich habe keine Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte, da alles, was ich in der Hand halte, diese Schnellhefter sind. Er lässt das Stückchen Papier in meine Hand gleiten und murmelt etwas darüber, dass wir reden müssten. Ich mustere ihn mit einem angespannten Lächeln und gehe weiter zum nächsten Tisch.

Was das Reden betrifft, hat er sicher recht, aber wohl kaum in einem Raum voller Teamkollegen plus meinem Dad.

Während des Meetings – das gute zwei Stunden dauert – finde ich nicht nur den Nachnamen meines One-Night-Stands heraus, nämlich Kingston, sondern auch, dass er der Torhüter der Mannschaft ist. Was wohl seine unglaubliche Beweglichkeit erklärt. Wenn ich nur endlich aufhören könnte, an die Zeit zu denken, die wir nackt miteinander verbracht haben.

Nach dem Meeting gibt es für die Mannschaft ein Workout mit dem Trainer, Alex Waters. Er scheint jünger zu sein als mein Dad, schätzungsweise um die fünf Jahre. Er ist genauso gebaut wie die Eishockeyspieler und sieht aus, als würde er als Unterwäschemodel oder so arbeiten.

Ich habe keine Gelegenheit, auch nur einen Blick auf das Stück Papier zu werfen, das Ryan mir gegeben hat – oder »King«, wie ihn offenbar alle nennen, mein Vater eingeschlossen –, denn ich bin zu beschäftigt mit dem Versuch, die kaum lesbare Handschrift der Spieler zu entziffern. Nur Ryans Schrift ist geradezu lächerlich akkurat.

Ich habe nicht mal Zeit, Ryan in den Sozialen Medien zu recherchieren; stattdessen übertrage ich den ganzen Tag Notizen, mache Kopien und bringe meinem Vater Kaffee. Um fünf Uhr beschließe ich, ihn so weit zu entwöhnen, dass er weniger als sechs Tassen am Tag trinkt oder zumindest die Hälfte davon koffeinfrei ist, denn er nimmt definitiv zu viel von dem Gebräu zu sich. Und ich werde versuchen, die Sahne durch Milch zu ersetzen, um seine armen Arterien zu schonen.

Ich stelle den Kaffee mit Zucker und Sahne auf seinen Schreibtisch. »Kann ich sonst noch irgendetwas für dich tun?«

Er späht über den Rand seiner Lesebrille – sie ist neu, und er hasst sie. »Ich denke, ich habe für den Moment alles, was ich brauche. Du hast deine Sache heute großartig gemacht, Queenie. Du kannst stolz auf dich sein.«

Ich fühle mich wie ein etwas besserer Lakai in einem hübschen Kleid, aber ich freue mich, dass er versucht, mich mit dem Kompliment zu motivieren. »Danke, Dad.«

Er lächelt und klopft mit seinem Stift auf den Schreibtisch. »Ich werde wohl noch eine Stunde oder so für den Papierkram brauchen, aber du kannst schon gehen, wenn du willst.«

»Ich kann auch gern warten, ist kein Problem.« Ich werde einfach im Internet meinen One-Night-Stand stalken.

»Es hat keinen Sinn, wenn du ganz umsonst deine Zeit hier vertrödelst. Nimm dir ein Taxi, und wir treffen uns zu Hause.«

»Okay. Klingt gut.«

Ich lasse meinen Dad mit seinem Papierkram zurück, räume schnell meinen Schreibtisch auf, bestelle ein Taxi und gehe zum Stadionausgang. Es ist still im Gebäude, das Teamworkout ist lange vorüber und der größte Teil des Verwaltungspersonals ist bereits aufgebrochen.

Das Taxi wartet schon auf mich und ich lasse mich auf die Rückbank gleiten. Der Fahrer ist super schwatzhaft. Ich antworte mit einem gelegentlichen Hm und anderen zustimmenden Lauten, während er mich mit seinem Plan, einen Taco-Straßenverkauf zu eröffnen, unterhält. Immerhin hat er einen Traum und eine Vorstellung davon, wie er ihn verwirklichen kann. Als er mich zu Hause absetzt, habe ich Heißhunger auf Tacos.

Ich gehe ums Haus herum und den kurzen Weg zum Gästehaus entlang – ein Minibungalow mit einem Schlafzimmer, aber immer noch dreimal so groß wie mein früheres Appartement und viel, viel hübscher. Nicht dass ich den Platz brauchen würde oder den Luxus. Vielmehr würde ich den Bungalow auf der Stelle gegen etwas anderes eintauschen, wenn das bedeutete, dass ich endlich selbständiger wäre und einen echten Plan für mein Leben hätte. Aber zum Glück hat mein Dad Verständnis und nichts dagegen, mich um sich zu haben.