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Ihr gemeinsamer Pakt könnte beiden von Nutzen sein - wenn nur die Gefühle nicht dazwischenfunken!
Als Stevie Bowman und Bishop Winslow das erste Mal aufeinandertreffen, könnte es gar nicht schlechter laufen. Bishop hält Stevie für die Affäre seines Eis-Hockey-Team-Captains - und ist geschockt, als er erfährt, dass sie in Wahrheit dessen kleine Schwester ist. Doch was sicher keiner der beiden von ihrer Begegnung erwartet hätte, ist der Pakt, den sie schließen: Stevie wird Bishop als Physiotherapeutin nach einer Sport Verletzung schnell wieder zu seiner Top-Form verhelfen und damit einen berühmten Eis-Hockey-Spieler als ihren Patienten angeben können. Aber was die beiden noch weniger erwartet hätten, sind die Funken, die seit ihrer ersten Begegnung zwischen ihnen fliegen ...
"GAME CHANGER - EIN PAKT FÜR DIE LIEBE ist die perfekte Enemies-to-Lovers-Romance! Ich habe jedes einzelne Wort und jede Figur GELIEBT!" THE GUIDE TO ROMANCE NOVELS
Zweiter Band der GAME-CHANGER-Reihe
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Seitenzahl: 482
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Helena Hunting bei LYX
Impressum
HELENA HUNTING
Game Changer
EIN PAKT FÜR DIE LIEBE
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michaela Link
Ihr gemeinsamer Pakt könnte beiden von Nutzen sein – wenn nur die Gefühle nicht dazwischenfunken!
Als Stevie Bowman und Bishop Winslow das erste Mal aufeinandertreffen, könnte es gar nicht schlechter laufen. Bishop hält Stevie für die Affäre seines Eishockey-Team-Captains – und ist geschockt, als er erfährt, dass sie in Wahrheit dessen kleine Schwester ist. Doch was sicher keiner der beiden von ihrer Begegnung erwartet hätte, ist der Pakt, den sie schließen: Stevie wird Bishop als Physiotherapeutin nach einer Sportverletzung schnell wieder zu seiner Topform verhelfen und damit einen berühmten Eishockey-Spieler als ihren Patienten angeben können. Aber was die beiden noch weniger erwartet hätten, sind die Funken, die seit ihrer ersten Begegnung zwischen ihnen fliegen …
Für all diejenigen, die ihr Licht bisher immer unter den Scheffel gestellt haben, damit jemand anderes leuchten kann
Ein Scheißtag
Im Hinblick auf richtig schlechte Tage war der heutige wohl einer der schlimmsten, den ich seit langer Zeit hatte. Die vierstündige Verspätung meines Flugs von L. A. nach Seattle ließ sich ja noch verkraften. Auch, dass ich neben einem Mann sitzen musste, der nach überreifem Käse und drei Tage alter Unterwäsche roch. Aber nimmt man meinen Koffer hinzu, der ohne mich einen Umweg nach Alaska macht – oder war es Nunavut? Ich habe keinen blassen Schimmer –, und addiert den Fakt, dass der verbliebene Koffer einen kaputten Griff und ein fehlendes Rad aufweist – dann wird der Tag immer beschissener.
Aber das Sahnehäubchen auf diesem Scheißkuchen? Vor weniger als einer Stunde habe ich meinen Freund Joey – jetzt mein Ex! – dabei erwischt, wie er auf unserem brandneuen Sofa im Wohnzimmer eine fremde Frau gevögelt hat. Das Sofa war ein Geschenk meines Bruders zum Einzug. Das habe ich nun davon, dass ich Joey überraschen wollte, indem ich zwei Tage früher als erwartet nach Hause gekommen bin. An meinem Geburtstag.
»Bist du dir sicher, dass ich nicht nach Seattle kommen und diesen Mistkerl verprügeln soll? Ich könnte gleich morgen in aller Frühe aufbrechen.« Mein Bruder R. J. verbringt das Wochenende bei seinen Schwiegereltern, die anderthalb Stunden außerhalb der Stadt wohnen. Dass er um meinetwillen so sauer ist, tröstet mich ein wenig.
Doch mein Bruder ist NHL-Spieler und außerdem Vater und Ehemann. Wenn ich ihm erlaube, meinen Ex zu verprügeln, weil der ein Mistkerl und Fremdgänger ist, würde das zwar vielleicht mein angekratztes Ego wieder aufpolieren und meinem gebrochenen Herzen bei der Heilung helfen, aber es ist trotzdem keine tolle Idee. Wenn R. J. jemanden verprügelt, bestünde die gute Chance, dass er sich eine Anzeige einhandelt und sein Gesicht in den Medien auftaucht. Joey würde einen Aufstand machen, und ich würde mit in die Sache reingezogen werden. Und mein Gesicht in den sozialen Medien zusammen mit dem meines berühmten Bruders und meines schmierigen Ex – das will ich wirklich nicht. Und sosehr Joey sich auch eine gebrochene Nase und ein blaues Auge verdient hat, lehne ich das Angebot dankend ab. »Ich weiß deine Bereitschaft, meinetwegen Gewalt anzuwenden, sehr zu schätzen, aber ich glaube nicht, dass es eine Anzeige wegen Körperverletzung wert ist.«
»Es geht mir enorm gegen den Strich, dass du da ganz allein durchmusst, noch dazu an deinem Geburtstag, Stevie. Wenn ich gewusst hätte, dass du früher nach Hause kommst, hätte ich es so eingerichtet, dass wir dieses Wochenende da sind. Wie wär’s, wenn ich dich für ein paar Tage zu Laineys Eltern hole?«
»Es war eben eine Planänderung in letzter Minute.« Und offensichtlich keine besonders gute. »Wirklich nett von dir, mir das anzubieten, aber dass du einen Platz zum Pennen für mich hast, ist schon mehr als genug.« Ich liebe meinen Bruder sehr, allerdings habe ich definitiv kein Interesse daran, die Phase, in der ich nach einer Trennung Trübsal blase, bei seinen Schwiegereltern zu verbringen. »Außerdem fange ich am Montag in der Klinik an, daher wäre das ziemlich viel überflüssiges Hin- und Hergefahre.«
»Ich komme zurecht, versprochen.« Ich sehe zu, wie die Zahlen vorbeirauschen, während der Aufzug nach oben fährt. Schon bald kann ich mich nach diesem obermiesen Tag einem schönen kleinen Tränenausbruch hingeben. »Ich bin schon fast in der Wohnung. Wie wär’s, wenn ich dich morgen früh anrufe?«
»In Ordnung. Ich bin noch eine Weile wach, wenn du irgendwelche Probleme hast, schick mir einfach eine Nachricht. Das Schließsystem ist etwas kompliziert, und es kann ein Weilchen dauern, bis man den Bogen raushat.«
»Ich bin mir sicher, dass ich klarkomme. Noch mal vielen Dank, R. J.«
»Jederzeit, Stevie. Das weißt du. Es tut mir wirklich leid. Alles Gute zum Geburtstag, Kleine. Wenn wir wieder in der Stadt sind, gehen wir essen, und ich bringe dir deinen Lieblingskuchen mit, okay?«
»Klar, klingt gut. Hab dich lieb, großer Bruder.« Ich beende den Anruf und recke das Kinn, um zu verhindern, dass die Tränen zu laufen beginnen.
Der Aufzug bimmelt, als er in der Penthouse-Etage hält. Das einzige Plus an dieser ganzen Sache, dass mein Mittlerweile-Ex-Freund ein Fremdgänger ist, besteht wahrscheinlich darin, dass ich mich jetzt in einer sehr viel schöneren Wohnung aufhalten darf. Zumindest bis ich etwas Neues finde.
Ich packe den zerbrochenen Griff meines Koffers, und als die Türen aufgleiten, zerre ich ihn hinter mir her aus dem Aufzug. Ich bin zu Tode erschöpft und freue mich auf eine heilsame Runde mit viel Rotz und Geschluchze. Eine Packung Eiscreme – oder fünf – wären ebenfalls nett.
Ich wünschte, ich könnte den offenen Vorraum in seiner ganzen Pracht würdigen, aber das lässt meine trübe Stimmung nicht zu. Sobald ich auf den weichen, üppigen Teppich trete, bleibt das kaputte Rad des Koffers in dem fünf Zentimeter breiten Spalt zwischen der Kabine und dem Aufzugschacht hängen.
»Ernsthaft?« Ich reiße am Griff und kämpfe darum, das kaputte Rad freizubekommen, während die Türen sich zu schließen beginnen und gegen das Gepäck stoßen, bevor sie sich wieder öffnen. Ich lasse meine Handtasche auf den Boden fallen, damit ich den Koffer losmachen kann, aber er klemmt fest. Der Aufzug piept laut zum Zeichen, dass die Türen schon zu lange offen sind.
Es ist spät, fast Mitternacht, und ich kann nur hoffen, dass die Wände hier schalldicht sind, denn ich veranstalte einen ziemlichen Lärm. Endlich bekomme ich den Koffer frei und stolpere rückwärts über meine Handtasche, sodass ich auf dem Hintern lande. Zumindest ist der Teppich weich und der Boden sauber. Ich bleibe ein paar Sekunden liegen und warte darauf, dass ein Klavier oder ein Safe von der Decke direkt auf mich drauffällt, denn das wäre der einzige würdige Abschluss dieses Tages.
Als nichts Schlimmes passiert – zumindest vorläufig nicht –, rappele ich mich auf, und um nicht noch mehr Lärm zu veranstalten, schiebe ich meinen Koffer einfach über den Teppich. Anders als in einem gewöhnlichen Apartmentgebäude, verfügt die Penthouse-Etage über keinen langen Flur. Stattdessen gibt es vier Türen in dem offenen Vorraum – zwei auf der linken und zwei auf der rechten Seite – sodass es nicht schwer ist, Apartment 4004 ausfindig zu machen. Zumindest kann ich davon ausgehen, dass es dort still ist.
In der Mitte des Vorraums steht ein Tisch mit Glasplatte, darauf ein riesiges Blumenarrangement, das für den intensiven Duft verantwortlich ist. Ich mache einen Bogen um den Tisch, während ich den Koffer über den Teppich zu meinem vorübergehenden neuen Heim schiebe. Doch dann fällt mir ein, dass meine Handtasche immer noch bei den Aufzügen auf dem Boden liegt. Die Schlüsselkarte, die ich vom Portier erhalten habe, scheint auf den Grund meiner Tasche gesunken zu sein. Ich durchwühle sie auf der Suche danach, aber die Handtasche könnte auch Mary Poppins gehören, so viel Zeug habe ich darin. Ich benutze meinen Koffer als Stuhl, und das dünne Plastik knackt laut, als ich mich daraufsetze. Nun gut, der Koffer war ohnehin für den Müll bestimmt, so mitgenommen wie er ist. Ein gezacktes Stück Plastik pikst mich in den Hintern, aber ich bin zu müde, um mich zu bewegen.
Die Schlüsselkarte und mein Handy sind beide auf magische Weise durch ein Loch von der Größe eines Vierteldollars im Futter der Handtasche verschwunden. Ich brauche eine Ewigkeit, um sie wieder herauszufischen. Dann rufe ich auf meinem Handy die Instruktionen zum Öffnen der Tür auf, da das Schließsystem in diesem Gebäude anscheinend eine Schritt-für-Schritt-Anleitung erforderlich macht. Nachdem ich mühsam auf die Füße gekommen bin, tippe ich den aus sechs Ziffern bestehenden Code ein, ziehe die Karte durch den Schlitz und drehe am Türknauf, aber alles, was er tut, ist mich anzupiepsen.
»Ich will mich doch einfach nur hinlegen«, brumme ich die Tür an. Ich gebe dem Code eine zweite Chance, aber ich ernte lediglich einen weiteren Piepton, diesmal noch anhaltender und lauter. »Was zur Hölle soll das? Warum gehst du nicht auf?« Halb flüstere, halb schreie ich. Jedes Mal, wenn ich versuche reinzukommen, wird das Piepen lauter und länger, während meine Geduld rapide schwindet. Frustriert rüttele ich am Türknauf. Ich will R. J. nicht noch mal anrufen, denn ich sollte doch wohl imstande sein, eine verdammte Tür aufzubekommen. Wahrscheinlich übersehe ich irgendeine Kleinigkeit. Außerdem ist es schon spät, und er hat ein Kind, das nicht immer durchschläft und gern in aller Herrgottsfrühe aufsteht. Kody ist supersüß, daher nimmt man es irgendwie hin, dass er mit dem ersten Hahnenschrei wach wird.
Die Tür nebenan geht auf. Na toll. Jetzt habe ich meinen temporären Nachbarn geweckt. So viel zum Thema schlechter erster Eindruck. Ich drehe mich um, in der Absicht, mich zu entschuldigen, aber mein Mund ist plötzlich staubtrocken.
In der offenen Wohnungstür steht ein Mann. Ein sehr, sehr großer Mann. Mein Bruder ist schon groß; er überragt mit seinen eins neunundachtzig fast alle. Aber der Kopf dieses verärgert dreinblickenden Mannes reicht locker bis an den Türsturz. Außerdem ist er breit. Extrem breit. Er ist insgesamt eine Menge Mann.
Abgesehen davon, dass er lächerlich groß und breit und, seiner finsteren Miene nach zu schließen, sauer ist, trägt er nur Boxershorts. Über seine überwältigende Körpergröße und sein irrsinnig schönes, dunkelbraunes, vom Schlaf zerzaustes Haar, das gut zu seinen zornblitzenden, haselnussfarbenen Augen passt, sein markantes Kinn und die vollen Lippen würde ich ja vielleicht noch hinwegkommen. Auch der ganze feste Körper, der riesige Bizeps und seine deutlich erkennbaren Bauchmuskeln könnte ich verkraften, hübsch zur Geltung gebracht von feinen Härchen, die meinen Blick von seinem Bauchnabel – es hat einen nach innen gewölbten – zu seinen Boxershorts hinablenken. Aber das ist der Punkt, an dem ich stecken bleibe, denn vorn auf seinem Schritt steht VORSICHT STEINSCHLAG. Jetzt sieht es also so aus, als würde ich auf sein Prachtstück glotzen. Was ich ja auch irgendwie tue.
»Was zur Hölle ist hier los? Es ist fast Mitternacht, verdammt noch mal, und du machst hier einen Heidenlärm. Einige hier versuchen zu schlafen.« Seine Stimme ist tief, rau und volltönend. Er verschränkt die starken Arme vor seiner wohlgeformten Brust, was helfen sollte, die Nacktheit wenigstens teilweise zu verdecken, meine Aufmerksamkeit aber lediglich auf die Tatsache lenkt, wie kräftig seine Arme sind.
Außerdem: Wow. Das kommt ziemlich feindselig rüber.
»Tut mir leid. Ich habe Probleme mit der Schlüsselkarte und meinem Koffer.« Ich halte die Schlüsselkarte nach oben und deute auf mein zerstörtes Gepäckstück. Plötzlich bin ich total verschwitzt. Wahrscheinlich vor Verlegenheit, weil ein heißer Typ in Unterwäsche mich in die Mangel nimmt.
Der heiße Mann in Unterwäsche lacht verächtlich. Er nimmt meine Entschuldigung gar nicht zur Kenntnis. Und genauso wenig bietet er seine Unterstützung an oder mäßigt seinen Arschlochton. »Wo zur Hölle hast du den Schlüssel her?«
»Was geht dich das an?« Ich scrolle durch meine Nachrichten und versuche herauszufinden, was ich mit der Schlüsselkarte und dem Code falsch mache, damit ich in die Wohnung komme, weg von diesem Arschloch erster Güte.
»Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn du hier oben in meiner Etage unnötigen Lärm veranstaltest, und ich gehe jede Wette ein, dass du jemanden für diese Schlüsselkarte bestochen hast.«
Ich halte in meiner Handysuche inne, damit ich ihn wirkungsvoller anfunkeln kann. »Wie bitte?« Dieser Typ schießt mit seinen lächerlichen Beschuldigungen den Arschlochvogel ab. Was für eine epische Verschwendung von Attraktivität.
Er hebt sein markantes Kinn, starrt missbilligend auf mich herab und stößt ruckartig einen Finger in meine Richtung. Er ist wirklich Furcht einflößend. »Welchen der Security-Männer hast du bestochen? Oder waren andere Gefälligkeiten im Spiel?«
»Gefälligkeiten? Wovon redest du überhaupt?« Im Moment bin ich einfach nur extrem verwirrt.
Das Arschloch in Unterwäsche lehnt sich an den Türrahmen und lässt feixend den Blick über mich hinwegwandern. Ich trage Jeans und ein T-Shirt mit einem Comic-Geburtstagskuchen drauf. Mein Haar steckt unter einer Mütze, da ich den ganzen Tag unterwegs war und die Feuchtigkeit nicht nett zu meiner Frisur war. »Glaubst du, ich hätte das nicht schon tausendmal gesehen? Die Security-Leute werden ständig von irgendwelchen Bräuten bestochen, damit sie die Schlüssel kriegen, um hier hochzukommen.«
»Ich habe nicht …«
Er fällt mir ins Wort, bevor ich ihn in seine Schranken verweisen kann. »Hör mal, Zuckerbacke. Ich weiß nicht, was du dir durch die Nase gezogen oder dir gespritzt hast, aber ohne einen Code kommst du da nie und nimmer rein. Und selbst für den Fall, dass du es schaffst, muss ich sagen, dass diese ganze Scheiße« – er zeigt auf sein Gesicht und dann auf mich – »verdammt abtörnend ist, also hör auf, dich lächerlich zu machen, und schwing deinen jämmerlichen Hintern wieder dorthin, wo du hergekommen bist.«
Hat er mir gerade gesagt, mein Gesicht sei abtörnend? Ich habe heute Nacht so was von die Schnauze voll von Arschlöchern.
Wo liegt dein Problem?
Okay, die Bemerkung, sie sei abtörnend, war eventuell unnötig, aber es ist mitten in der Nacht, und ich bin müde. Ich dachte, ich könnte den Burschen zur Rede stellen, der in 4001 wohnt. Jedes Mal wenn er in der Stadt ist, schmeißt er Partys, die sich tagelang hinziehen. Und dann ist zumindest wieder eine Woche Ruhe, vielleicht auch etwas länger. Glücklicherweise ist er häufiger weg als zu Hause. So oder so, immer wenn er daheim ist, hängen außerdem spärlich bekleidete Frauen, höchstwahrscheinlich welche mit Geschlechtskrankheiten, im Aufzug rum.
Statt des Armleuchters aus 4001 stehe ich dieser völlig fertigen Frau gegenüber. Zugegeben, so schlimm sie aussieht, ist sie immer noch heiß, aber sie veranstaltet einen Höllenlärm bei dem Versuch, in das Penthouse meines Mannschaftskameraden einzudringen. In dem er nicht mehr wohnt, weil er ein Haus gekauft hat, oder so. Mit seiner Frau und dem Kind.
Die Unterhaltungen mit Rook Bowman waren stets kurz und nie besonders angenehm. Ich bin wahrlich nicht sein größter Fan. Fast jedes Mal, wenn wir in den vergangenen Saisons gegeneinander gespielt haben, hat am Ende einer von uns eine Strafe wegen Prügelei kassiert. Aber meine Verachtung für ihn hat ein nicht zu überbietendes Hoch erreicht, als er auf seine No-Trade-Klausel verzichtet hat und in letzter Minute ins Expansionsteam von Seattle gekommen ist. Das allein wäre nicht so schlimm gewesen, aber sie haben ihm auch noch die Position des Mannschaftskapitäns gegeben, auf die ich ebenfalls gehofft hatte. Sein verlogen-freundliches »Ihr schafft das, wir sind ein Team!«, und die Tatsache, dass er ein Herz und eine Seele mit dem Trainer ist, lässt mich ihn noch mehr hassen. Ich durchschaue allerdings sein Ich-bin-ein-netter-Kerl-Getue. Außerdem hat er vorgeschlagen, dass man mich in die Verteidigung steckt, wahrscheinlich damit ich ihm als Mittelstürmer keine Konkurrenz mache. Nicht dass ich verbittert wäre oder so.
Und jetzt scheint er seinen Seitensprung das Mannschafts-Penthouse nutzen zu lassen. Was für ein Arschloch.
Die Frau grinst verächtlich und drückt den Rücken durch. »Mir stehen Scheißkerle mittlerweile bis hier.« Sie hebt die Hand über den Kopf, doch da sie eher klein ist, ist es nicht sehr hoch. »Danke für deine Hilfsbereitschaft, dein Entgegenkommen, deine Beleidigungen und natürlich deine Arschigkeit. Das war genau das, was ich nach diesem beschissenen Tag noch gebraucht habe! Also, ganz ehrlich, vielen Dank für den einfallsreichen Mist, den du mir an den Kopf geworfen hast.«
»Ich sage nur, wie es ist. Es ist nicht meine Schuld, wenn die Wahrheit wehtut.«
»Mein Gott, du bist wirklich ein ausgemachtes Arschloch, oder? Was für ein Jammer, dass dein Charakter in direktem Gegensatz zu deinem Äußeren steht.« Mit einem Schnauben lässt sie den Blick an mir hinabwandern. Sie wirkt fast wütend auf sich selbst, dass sie die Augen nicht von mir lassen kann. Ich sollte derjenige sein, der wütend ist, wenn sie meinen verheirateten Mannschaftskameraden in seiner Freizeit bumst. »Und warum zum Teufel stehst du in deiner gottverdammten Unterwäsche hier rum? Wer tut so etwas überhaupt?«
Junge, ist die geladen. Es wäre halbwegs unterhaltsam, wenn es nicht so spät und ich nicht so sauer wäre, weil ich geweckt wurde. Ich mache mir nicht die Mühe, die Unterwäsche-Frage zu beantworten, da es nichts zur Sache tut. »Wenn sich hier irgendjemand ätzend verhält, dann bist du das, weil du so einen Krach veranstaltest.«
Sie schaut erneut auf ihr Handy, während sie Nachrichten durchscrollt. Anschließend liest sie die Karte ein und tippt einen Code. Mein Ärger erreicht einen neuen Höchststand, als sie grünes Licht bekommt. Ich schätze, Rook hat wirklich eine Affäre, was beweist, dass er nicht so perfekt ist, wie er sich gern darstellt.
Die Frau drückt die Tür mit der Schulter auf und schleppt ihren verbeulten Koffer hinein. »Vielen Dank für deine Hilfe. Es ist nett, so herzlich hier willkommen geheißen zu werden.« Sie zeigt mir den Mittelfinger und verschwindet in der Penthouse-Wohnung.
Eine halbe Sekunde lang überlege ich, ob ich jemanden anrufen sollte, zum Beispiel unseren Trainer oder den Geschäftsführer, aber wahrscheinlich bringt es ohnehin nichts. Rook ist ein dicker Freund von Alex Waters, unserem Trainer, da sie etliche Jahre zusammen in Chicago gespielt haben. Und Waters und der Geschäftsführer sind unzertrennlich. Außerdem sind Rooks Freizeitaktivitäten nicht mein Problem. Wenn er seine Frau betrügt, dann bin ich mir verdammt sicher, dass ich da nicht mit hineingezogen werden will.
Ich schalte den Fernseher aus – vor dem ich eingeschlafen war – und gehe ins Bett. Eigentlich müsste ich sofort einschlafen, denn ich bin fix und fertig, aber ich grübele viel länger, als vernünftig ist, darüber nach, was zur Hölle auf der anderen Seite des Vorraums passiert.
Am nächsten Morgen wache ich dank der nächtlichen Störung erst spät auf. Ich treffe die notwendigen Vorbereitungen, um eine Kanne Kaffee zu kochen, und will mir die Zeitung aus dem Vorraum holen. Ich lese keine Bücher, denn dafür muss man sich Zeit nehmen. Ich kann nicht lange genug still sitzen oder mich konzentrieren, um ein Buch zu Ende zu lesen, aber bei der Zeitung ist es etwas anderes. Das Wichtigste finde ich auf der Sportseite, und dann überfliege ich meist noch die jüngsten Ereignisse in der Welt, um auf dem Laufenden zu bleiben, während ich frühstücke.
Meine halbwegs anständige Laune verschlechtert sich, als ich die Tür öffne, um die Zeitung hereinzuholen, und in den Vorraum schaue. Jetzt, da ich nicht aus einem totenähnlichen Schlaf geweckt worden bin, kann ich zugeben, dass ich mich wie ein Vollidiot aufgeführt habe, auch wenn es nicht grundlos war. Vor allem, wenn Rook sich tatsächlich eine hübsche Maus in seinem Mannschafts-Penthouse hält.
Ich will gerade wieder reingehen, als mir auffällt, dass die Tür meines Nachbarn einen Spaltbreit offen steht. Mein erster Impuls ist, das zu ignorieren, da es nicht wirklich mein Problem ist … aber dann lasse ich mir mehrere mögliche Gründe dafür, warum die Tür offen steht, durch den Kopf gehen:
A. Die kleine Kratzbürste von gestern Nacht hatte Glück mit dem Code und hat die Wohnung ausgeraubt.
B. Rook ist vorbeigekommen, um sich seinem Seitensprung zu widmen.
C. Rooks Frau hat irgendwie von seiner Geliebten erfahren und beschlossen, sie beide mitten in der Nacht zu ermorden.
Wenn es Option A ist, dann wird jemand von der Security in Kürze seinen Job los sein. Aber sollte es zufällig Option B sein, und ich erwische Rook in flagranti, könnte ich das zu meinem Vorteil nutzen. Falls es Option C ist und Leichen im Penthouse liegen, wird es im Flur irgendwann anfangen zu stinken.
Ich klemme die Zeitung zwischen den Rahmen und die Wohnungstür, damit sie nicht ins Schloss fällt, und laufe barfuß über den Flur. Obwohl ich dank der Unfälle auf dem Eis schon jede Menge Blut gesehen habe, sind Leichen eine ganz andere Geschichte und etwas, dem ich mich lieber nicht aussetzen würde. Aber in diesem Fall ist eine frische Leiche besser als eine, die bereits seit ein paar Tagen herumliegt, daher erfülle ich tatsächlich nur meine Bürgerpflicht.
Ich klopfe an die Tür, und sie schwingt mit einem Knarren mehrere Zentimeter auf. Ich warte geschlagene fünfzehn Sekunden, bevor ich ein zweites Mal klopfe. Als nach einer weiteren halben Minute niemand reagiert, spähe ich hinein und sehe mich um. Keine Lache aus geronnenem Blut auf dem Boden. Keine herumliegende Leiche. Noch muss ich also nicht den Notruf wählen.
Ich lausche auf Geräusche, die auf menschliche Anwesenheit schließen lassen, namentlich ein schmerz- oder lustvolles Stöhnen, aber alles, was ich höre, ist das Sirren der Klimaanlage, daher rufe ich laut: »Hallo?« Immer noch nichts. Ich hoffe inständig, dass niemand tot ist. Ich betrete das Penthouse. Es ist genau wie meins geschnitten, aber ihm fehlt jede persönliche Note, sodass es so steril wirkt wie ein Musterhaus. Alles ist makellos und unberührt, was bedeutet, dass kein Gast die Wohnung geplündert hat, und nichts deutet auf irgendwelche verderbten Aktivitäten hin, obwohl Letzteres wahrscheinlich am ehesten im Schlafzimmer zu finden wäre, wo die schmutzigen Sachen laufen.
Ich rufe noch einmal »Hallo?«, bekomme aber immer noch keine Antwort, daher gehe ich weiter in Richtung der Schlafzimmer. Als ich ungefähr auf halber Höhe des Flurs bin, geht eine Tür auf und die Frau von gestern Nacht erscheint. Sie ist definitiv unversehrt. Unversehrt, frisch geduscht und in ein Handtuch gewickelt. Ein zweites Handtuch hat sie sich um den Kopf geschlungen. Heute Morgen sieht sie erheblich besser aus – weniger wie die zugedröhnte Verrückte von gestern Nacht und eher wie … Sex, verpackt in schwarzen Frotteestoff. Sie hat eine sportliche Figur, aber wohlgeformt, die perfekte Balance aus Kraft und Weiblichkeit. Nicht zart und zerbrechlich. Mich ärgert diese Feststellung.
»Was zur Hölle machst du hier!«, kreischt sie, als sie mich sieht.
»Die Tür stand offen.« Ich hebe die Hände und den Blick von der Stelle, wo das kurze Handtuch gerade eben ihre sehr nackten Schenkel berührt. Ich wette, wenn sie die Arme heben würde, kriegte ich etwas zu sehen, was sich zu Geld machen ließe.
Sie umklammert den oberen Rand ihres Handtuchs und zieht ihn noch höher. Trotz des inneren Kampfes, damit mein Blick weiter auf ihrem Gesicht bleibt, senkt er sich dennoch ohne mein Zutun, in der Hoffnung auf tiefe Einblicke. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich enttäuscht sein soll, dass es keine gibt.
»Also hast du gedacht, du schleichst dich einfach zu mir rein, während ich dusche? Was stimmt nicht mit dir, verdammte Scheiße?«, brüllt sie und fuchtelt mit ihrer freien Hand herum.
Ich zwinge meinen Blick zurück zu ihrem Gesicht. »Ich schleiche mich nicht einfach zu dir rein. Ich habe zweimal angeklopft und dreimal Hallo gerufen. Wie gesagt, die Tür war offen, und daher wollte ich mich davon überzeugen, dass hier keine Leichen herumliegen, die weggebracht werden müssen.«
»Leichen?« Sie verzieht das Gesicht. »Ist das dein Ernst …« Sie schüttelt den Kopf und wedelt mit einer Hand herum, als wolle sie meine Worte wegradieren, oder vielleicht versucht sie ja auch, mich wegzuradieren. »Weißt du was? Es spielt keine Rolle. Irgendetwas stimmt ganz offensichtlich nicht mit dir. Verschwinde, bevor ich die Polizei rufe.«
Meine Güte, gerät die schnell in Rage. Auch wenn ich verstehen kann, warum sie keinen wildfremden Mann bei sich haben will, während sie lediglich in ein Handtuch gehüllt ist.
Ich hebe die Hände zum Zeichen meiner Kapitulation und gehe einige vorsichtige Schritte rückwärts den Flur entlang in Richtung Wohnungstür, damit sie ihre Drohung nicht wahrmacht. Doch kann ich der Versuchung, sie ein wenig zu ärgern, nicht widerstehen. »Vielleicht sollte ich derjenige sein, der die Polizei ruft. Du tauchst mitten in der Nacht auf und machst es dir hier gemütlich, als sei das deine Wohnung. Aber ich kenne den Mann, der eigentlich hier wohnt, und er ist gerade nicht einmal in der Stadt.« Das ist zur Hälfte Bullshit. Ich habe keine Ahnung, ob Rook an diesem Wochenende in der Stadt ist oder nicht. Im Prinzip könnte er sich auch in einem der Schlafzimmer verstecken.
»Woher …« Sie fährt mit einer Hand durch die Luft, während sie sich mir nähert und ich mich weiter in Richtung Eingangstür zurückziehe. »Weißt du was? Ich brauche dir überhaupt nichts zu erklären. Du bist derjenige, der in meine Wohnung eingedrungen ist.«
»Es ist nicht deine Wohnung.« Ich werfe beinahe eine Lampe auf einem Beistelltisch um, als ich das Wohnzimmer durchquere.
»Oh mein Gott! Mach, dass du rauskommst! Ich habe nur ein Handtuch am Leib. Ich war in der Dusche. Es liegen keine Leichen herum, was du verdammt noch mal selbst sehen kannst.« Sie deutet auf den makellosen, größtenteils leeren Raum und kommt auf mich zu, während ich nach wie vor zur Tür zurückweiche.
»Womöglich hast du die Beweise ja in der Dusche weggespült.« Jetzt veralbere ich sie. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil sie so sauer ist. Vielleicht, weil ich mich darüber ärgere, dass Rook wie ein Goldjunge rüberkommt, obwohl er in Wirklichkeit nur ein Arschloch von vielen ist. »Mit wem bist du hier?«
»Mit niemandem. Ich bin allein hier, genau wie gestern …« Sie hält sich den Mund zu, lässt die Hand aber genauso schnell wieder sinken. »Ich erwarte in diesem Augenblick Besuch. Du musst verschwinden.«
Ich trete über die Schwelle, sodass ich nun im Vorraum stehe und nicht mehr in Rooks Wohnung. »Ich wollte mich davon überzeugen, dass du noch lebst und nicht in einen Messerblock verwandelt worden bist. Außerdem habe ich nicht das geringste Interesse daran, die Tatsache auszunutzen, dass du allein bist.«
»Mit deiner Bemerkung gestern Nacht, wie abtörnend du mich findest, hast du das ziemlich deutlich gemacht, aber danke für die Erinnerung.« Sie versetzt mir einen recht aggressiven Stoß gegen die Schulter, daher tue ich so, als würde ich ein paar Schritte rückwärtstaumeln. »Und warum zur Hölle war die Tür überhaupt offen? Ich habe sie gestern Nacht geschlossen, unmittelbar nachdem du fertig damit warst, mich zu beleidigen.«
»Hast du gestern Nacht mal in den Spiegel gesehen? Du warst ein totales Wrack.«
»Hältst du eigentlich jemals die Klappe?«, schreit sie, und schubst mich noch kräftiger. Ich muss zugeben, für eine so kleine Person ist sie ziemlich stark.
Diesmal stolpere ich wirklich und stoße gegen den Glastisch. Die riesige Blumenvase droht einige Sekunden lang umzukippen. Glücklicherweise bleibt sie stehen. Ich hätte keine Lust gehabt, der Security einen Haufen Scherben zu erklären. Ich richte mich auf und streiche mir mit einer Hand über die Brust, eine Geste, die sie verzückt verfolgt wie ein hungriger Groupie. Vielleicht ist sie ja eine von den Puckhäschen. »Du brauchst dich nicht dafür zu bedanken, dass ich nachgeschaut habe, ob du heute Nacht ermordet worden bist.«
»Kauf dir eine Hose!« Sie schlägt die Tür zu, aber sie schließt sich nicht, sondern springt wieder auf. »Und ein Hemd!« Sie zeigt mir den Mittelfinger und schlägt die Tür ein zweites Mal zu.
Die Tür springt erneut auf.
Ich winke lächelnd, als die Frau wieder vor meinen Augen auftaucht. Das Handtuch hat sich von ihrem Kopf gelöst und ist zu Boden gefallen, und es offenbart ein Durcheinander von langem … hellrosa Haar? Gestern Nacht hatte es unter einer Mütze gesteckt, sodass ich es nicht sehen konnte.
Sie packt die Tür, und das Handtuch um ihren Oberkörper lockert sich und gleitet an ihr hinab. Ich erhasche einen Blick auf zwei hübsche, feste Brüste, bevor die Tür ein drittes Mal zuschlägt.
»Gut gemachte Brüste!«, brülle ich die geschlossene Tür an.
Als sie diesmal geöffnet wird, kommt in der schmalen Lücke erneut ein Mittelfinger zum Vorschein. »Die sind echt, Arschloch.« Der Finger verschwindet, und die Tür knallt wieder zu und bleibt jetzt geschlossen.
Sie erscheint mir zu temperamentvoll für Bowman. Ein Jammer, dass ich so feste moralische Prinzipien habe. Denn sie sieht aus, als könne man mit ihr eine Menge Spaß haben.
Vereinigung der Vollidioten
»Was für ein Arsch!«, sage ich zu meinen Brüsten. Ich lasse den Arm sinken, den ich über sie gelegt hatte, da ich den Busen nicht länger vor visueller Belästigung schützen muss. Trotz der Größe des Mannes und der Tatsache, dass er für mich ein Wildfremder war, habe ich mich von seinem unerwarteten Auftauchen in der Wohnung nicht besonders bedroht gefühlt. Vielleicht wegen seiner lächerlichen Unterwäsche?
Wie dem auch sei, meine Brüste sind ganz und gar meine, und sie sind zudem sehr hübsch. Jeder einzelne meiner Freunde, mit dem ich bis zum Äußersten gegangen bin, hat sich vor allem in meinen Busen verliebt – was übrigens nicht gerade massenhaft Typen waren, denn so funktioniert das bei mir nicht. Anscheinend habe ich einen tollen Busen und tolle Nippel. Die Männer sind seltsamerweise verrückt nach ihnen.
Ich drücke das Auge an den Spion an der Tür. Der Vollidiot steht immer noch mit einem dämlichen Grinsen im Vorraum. Er kratzt sich die Innenseite eines Beines in der Nähe seines Gemächts, murmelt etwas, das ich nicht hören kann, und geht breitbeinig auf seine Wohnungstür zu. Ich bekomme die Gelegenheit, mir seinen sehr, sehr hübschen Hintern und seinen unglaublich definierten Rücken anzusehen.
Es ist echt unfair, dass jemand mit einem so miesen Charakter so lächerlich gut aussieht. Er bückt sich, um seine Zeitung aufzuheben, bevor er in seiner Wohnung verschwindet.
Nachdem ich mich angezogen habe, durchsuche ich die Schränke nach etwas Essbarem. Es ist genau genommen nichts da, abgesehen von einer Packung Nudeln und vier Teebeuteln, was Einkaufen zur obersten Priorität macht. Ich habe wirklich keine Lust, die Wohnung zu verlassen, aber mir bleibt wohl nichts anderes übrig.
Ich will gerade die Tür öffnen, als in meiner Handtasche das Handy klingelt. Joey hat mir unablässig Nachrichten geschickt, seit ich ihn mit seinem Ding in der Vagina einer anderen Frau erwischt habe. Es ist der typische Oh-Scheiße-ich-bin-ertappt-worden-Bullshit: Es tut mir so leid, Babe, es war ein Ausrutscher; es hat nichts zu bedeuten; wir kriegen das zusammen hin.
Und vielleicht würden wir es sogar hinkriegen, aber was dann? Die nächsten Monate, wie viele es auch werden würden, wäre ich unsicher und würde mich fragen, was er tut, sobald ich nicht zu Hause bin, oder ob er mir treu ist, wenn ich meine Familie in L. A. besuche. Ich kann es bereits vor mir sehen, und es täte mir definitiv nicht gut. Es würde sich scheiße anfühlen, wenn ich wieder zu Joey zurückkehrte, nachdem ich ihn in flagranti erwischt habe. Na ja, jetzt weiß ich zumindest, wo meine Schmerzgrenze ist.
Irgendwie bin ich erleichtert, als der Name meines Bruders auf dem Display auftaucht und nicht der von Joey.
»Hey.« Ich stelle ihn auf Lautsprecher und lasse mich aufs Sofa plumpsen.
»Wie geht es dir heute Morgen? Hat gestern Nacht alles geklappt?« R. J.s väterliche Besorgnis ist mit null Gramm Koffein in mir gleichermaßen liebenswürdig wie nervig.
»Mir geht es gut.« Das ist gelogen, aber die Wahrheit würde eine ganze Therapiesitzung in Anspruch nehmen, daher lasse ich es dabei bewenden. »Du hattest recht, das Schloss ist etwas heikel, aber ich habe es hingekriegt. Der Mann in der Nachbarwohnung dachte, ich wollte einbrechen.«
»Welcher Mann?«
»Ähm, der Muskelprotz?« Ich habe gestern nicht auf die Wohnungsnummer geachtet, und ich bin zu faul, meinen Hintern zu heben und nachzusehen.
»Die meisten Leute da oben bleiben für sich, aber wenn einer dir Probleme macht, gib mir Bescheid, dann regele ich das.«
»Ist schon gut. Ich habe einen ziemlichen Lärm veranstaltet, weil ich zuerst den Code falsch eingetippt habe.« Ich lasse den Teil der Erzählung, wie der Typ mich beleidigt und dann heute Morgen bei mir eingebrochen ist, weg, denn es muss wirklich nicht sein, dass mein Bruder bei ihm anklopft und eine Szene macht.
»Was ist mit deinem bescheuerten Ex? Hat er versucht, sich mit dir in Verbindung zu setzen?«
Nur ungefähr eine Million Mal. »Er schickt Nachrichten, auf die ich nicht antworte.« Ich wechsele das Thema, weil sich in meinen dummen Augen schon wieder Tränen sammeln. »Wo ist der nächste Lebensmittelladen? Und gibt es hier in der Nähe ein Café?« Wenn ich mir etwas von Uber Eats liefern lasse, könnte ich es bis Montagmorgen ganz vermeiden, die Wohnung zu verlassen, aber das wäre Verschwendung der begrenzten mir gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mittel.
»Es gibt ein Café im Erdgeschoss, und den Lebensmittelladen findest du ein paar Häuser weiter. Tut mir leid, dass es im Penthouse nichts zu essen gibt, aber du kannst dir online etwas bestellen und es liefern lassen. Der Portier bringt dir alles nach oben.«
»Kostet das nicht irgendwelche Gebühren? Außerdem hat es nicht viel Sinn, den Kühlschrank zu füllen, wenn ich, sobald ich eine neue Wohnung finde, wieder ausziehe.«
»Du brauchst dir keine neue Wohnung zu suchen, Stevie. Ich habe bereits mit dem Management gesprochen und die Situation erklärt.«
»Bist du dir sicher?« So ungern ich meinem Bruder auf der Tasche liegen will, wenn ich mir keine neue Wohnung suchen und allein für die Miete aufkommen müsste, hätte ich eine Sorge weniger.
»Absolut. Du kannst dich auf mich verlassen, Stevie, und mach dir keine Gedanken wegen der Gebühren für Lebensmittellieferungen. Meine Karte ist längst hinterlegt. Ich werde dir die Login-Daten und das Passwort schicken; dann kannst du bestellen, was du benötigst.«
»Du tust schon mehr als genug für mich, indem du mir eine Wohnung zur Verfügung stellst, und du hast mir bereits mit Möbeln und solchen Sachen geholfen; du brauchst nicht auch noch für meine Lebensmittel zu bezahlen.« Ich fühle mich mies, weil ich mit vierundzwanzig Jahren nicht auf eigenen Beinen stehe, vor allem da R. J. seit seinem zwanzigsten Geburtstag Millionen verdient. Die Tatsache, dass ich frisch von der Uni komme, bedeutet, dass mein Bankkonto ziemlich leer ist, bis ich das Gehalt von der ersten Stelle in meinem erlernten Beruf überwiesen bekomme. Das Gehalt und die Zusatzleistungen sind wirklich großartig; die Schattenseite ist allerdings, dass ich in derselben Klinik arbeite wie mein fremdgehender Ex.
»Sorgen um Geld kannst du jetzt nicht gebrauchen, wenn du noch nicht einmal in deinem neuen Job angefangen hast. Lass mich dir helfen. Ich kann es mir leisten, mich um meine Familie zu kümmern, also gib mir die Gelegenheit, das zu tun.«
Er hat nicht ganz unrecht, denn er verdient elf Millionen Dollar im Jahr. Eine astronomische Kreditkartenabrechnung wäre noch mehr Stress, was ich zusätzlich zu allem anderen nicht gebrauchen kann, daher gebe ich nach. Es ist Ironie des Schicksals, dass seine Berühmtheit und sein Geld in vieler Hinsicht ein Segen und ein Fluch zugleich sind.
Der Rest des Wochenendes vergeht in einem Nebel unbeantworteter Textnachrichten und Ansagen auf meiner Mailbox von Joey, vielen Bechern Ben & Jerry’s – dank des Lebensmitteleinkaufs im Internet – sowie mehren Packungen Papiertaschentüchern. Am Sonntagabend hat mein zweiter Koffer es immer noch nicht von seiner Reise nach Alaska zurück zu mir geschafft, aber ich habe – mithilfe der Kreditkarte meines Bruders – einen Haufen Klamotten mit Express-Versand bestellt, ich muss zumindest die neue Stelle nicht nackt antreten.
Als ich mich am Montagmorgen für die Arbeit fertig mache, ist mein Magen total verkrampft. Ich packe mir ein bisschen zu essen ein, obwohl ich viel zu nervös bin, um etwas herunterzukriegen, greife mir einen Coffee-to-go und überzeuge mich davon, dass ich die Schlüsselkarte eingesteckt habe, bevor ich in meine Schuhe schlüpfe. Vor der Tür liegt eine Zeitung, was mir seltsam vorkommt, aber ich befördere sie mit einem Tritt in die Wohnung. Vielleicht ist das ein Gratisblatt oder so.
Als ich die Tür hinter mir zuziehe, öffnet sich die auf der anderen Seite des Vorraums, und heraus kommt mein bescheuerter Nachbar. Genau wie bei unserer ersten Begegnung trägt er lediglich Boxershorts, diesmal schwarz-weiß kariert. Verschiedene Fahnen zieren die Front und ZIELLINIE prangt direkt über seinem Gemächt. Es ist physisch unmöglich, nicht auf seinen Schritt zu schauen. Ich zwinge mich, den Blick zu heben, lasse ihn langsam über seine lächerlich muskulösen Bauchmuskeln auf dem Weg hinauf zu dem aufreizend attraktiven Gesicht klettern.
Er hält inne, als er mich bemerkt, mustert meine lockere Yoga-Hose und das schlichte Polohemd, und in seinem Blick liegt etwas, das sich stark wie eine stumme Wertung anfühlt. Wahrscheinlich sieht er mich genauso an, wie ich ihn gerade, nur mit weniger Gesabber und mehr Geringschätzung. Als er meinen Rucksack bemerkt, verzieht er verächtlich die Lippen. »Bist du Studentin?« Er sagt es, als sei es eine schreckliche Krankheit.
Ich ziehe eine Braue hoch und rücke verlegen den Schultergurt zurecht. Ich könnte in eine große Tasche oder so etwas investieren, aber Rucksäcke haben eine bessere Gewichtsverteilung und führen nicht so schnell zu Fehlhaltungen. »Ebenfalls einen guten Morgen.« Ich gehe zu den Aufzügen, ohne einen weiteren Blick in seine Richtung zu verschwenden. Was für ein Blödmann.
Ich bin dankbar, als die Türen sich fast sofort öffnen, und ich trete ein, drücke auf den Knopf für die Lobby und zwinge mich, nicht zurückzuschauen, um festzustellen, ob er immer noch dort steht. Eine halbe Sekunde, bevor die Türen sich ganz geschlossen haben, verliere ich den Kampf. Er kratzt sich gerade die Stelle zwischen Nabel und Bund der Unterhose. Ich verdrehe die Augen und stoße einen Seufzer der Erleichterung aus, als der Aufzug langsam nach unten gleitet.
Ich frage mich, was zur Hölle der Typ für ein Problem hat. Sicher, ich war in der ersten Nacht ziemlich laut, aber das rechtfertigt nicht seine fortwährende Geringschätzung. Was soll’s. Ich muss schließlich nicht mit ihm befreundet sein. Ich brauche ihn nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Die Busfahrt zu meiner neuen Stelle verläuft herrlich ereignislos. Die Klinik liegt am Rand des Universitäts-Campus. Man hat ein brandneues Zentrum eröffnet und massenhaft Personal eingestellt, nicht zuletzt wegen des neuen Expansionsteams in Seattle. Bring eine Eishockey-Mannschaft in die Stadt, und urplötzlich wollen Hunderte von College-Studierenden unbedingt Profis werden.
Ich hätte die Beziehungen meines Bruders ausnutzen und mir in einer der Kliniken eine Stelle suchen können, die direkt mit den Profi-Mannschaften arbeiten. Aber ich wollte den Job aus eigener Kraft bekommen, nicht mithilfe des Namens meines Bruders.
Ich habe einen Master in Physiotherapie mit Spezialisierung auf Sportverletzungen, und ich habe als eine der Besten meines Studiengangs abgeschnitten. Das und die überschwängliche Empfehlung der Professoren, das klinisches Praktikum sowie mein Geschick bei Vorstellungsgesprächen haben mir den Job eingebracht. Und dafür brauchte ich meinen Bruder nicht.
Hier bin ich also, an Tag eins meines neuen Jobs, und ich bete, dass ich Joey nicht über den Weg laufe und in Tränen ausbreche. Der Vorteil, zwei Monate nach ihm anzufangen, liegt darin, dass wir nicht zusammen in der Einführungsveranstaltung sitzen werden. Außerdem ist die Klinik riesig: Hier sind mehr als einhundert Mitarbeitende beschäftigt, einschließlich Physio- und Massagetherapeuten, Akupunkteuren, Chiropraktikern und sogar einem Arzt. Darüber hinaus gibt es ein Team von Fitnesstrainern – als solcher wurde Joey eingestellt. Ich habe die Hoffnung, dass ich ihm aufgrund der Größe der Klinik nicht oft über den Weg laufen werde – oder noch besser, überhaupt nicht –, da ich zum physiotherapeutischen Team gehöre.
Ich bin fast fünfundzwanzig Minuten zu früh dran, daher melde ich mich an, greife mir die Einführungsmappe mit verschiedenen Unterlagen und nehme an einem der vielen leeren Pulte im Seminarraum Platz. Es fühlt sich seltsam an, nicht länger Studentin an einer Universität zu sein.
Während ich die Formulare ausfülle, werden die Stühle um mich herum mit immer mehr nervösen Männern und Frauen bevölkert. Ich bin nicht unbedingt introvertiert, aber neue Situationen, in denen ich niemanden kenne, außer meinem fremdgehenden Ex, machen mich unruhig.
Zwei Frauen ungefähr in meinem Alter setzen sich auf die freien Plätze neben mir. Eine von ihnen ist groß und gertenschlank mit einem Kurzhaarschnitt, die andere ist eher klein und hat eine sehr sportliche Figur. Sie hat sich ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Wir begrüßen uns und tauschen Namen aus, während sie ihre Sachen auspacken. Die Gertenschlanke heißt Jules, die Sportliche ist Pattie. Wie ich erfahre, sind die beiden Cousinen.
Mein Handy vibriert auf dem Tisch mit neuen Nachrichten, aber ich ignoriere es. R. J. hat mir bereits heute Morgen geschrieben und mir Glück gewünscht, genau wie meine Mom und mein Bruder Kyle. Ich schiebe das Gerät in den Rucksack, damit es mich nicht ablenkt, doch bevor ich das tue, fällt mein Blick auf den neuen Namen, den ich Joeys Kontakt zugeordnet habe: Arschloch. Seine jüngste Nachricht, vor Sekunden abgeschickt: Schau nach oben.
Das Letzte, was ich heute Morgen will oder brauche, ist der Anblick dieses Vollidioten. Ich schaue nicht nach oben. Stattdessen blättere ich geistesabwesend in dem Einführungsheftchen.
»Hey! Stevie!«, flüstert Joey laut vom Ende der Reihe.
»Verflucht, was soll das?«, murmele ich.
»Kennst du den Typen?«, wispert Pattie.
»Bedauerlicherweise, ja.« Ich halte den Kopf gesenkt, fest entschlossen, ihm keinen Anhaltspunkt zu geben, der ihn auf die Idee bringen könnte, er hätte auch nur noch die geringste Chance bei mir. Jemals.
»Psst, Stevie.« Seine Stimme ist jetzt näher, so ziemlich direkt neben meinem Ohr.
Ich sehe Pattie an und forme mit den Lippen die Frage: Ist er hinter mir?
Sie nickt.
Die winzige, zu einhundert Prozent aus Muskeln bestehende Frau vorn im Raum schaut an mir vorbei und verzieht ärgerlich den Mund. »Mr Smuck, brauchen Sie eine Auffrischung? Ist das der Grund, warum Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren?«
Ja, Joeys Nachname ist Smuck, wie das englische »smug« – selbstgefällig. Die Ironie ist schwer zu ignorieren.
Jede einzelne Person im Raum sieht jetzt in seine Richtung, und ich sitze auf dem Präsentierteller, egal, welche Antwort er auch geben wird. Ich spüre die Hitze in meinen Wangen.
Seine Hand, die einer anderen Frau einen Klaps auf den nackten Hintern gegeben hat, landet auf meiner Schulter. »Ich wollte nur Hallo sagen zu meiner …«
In meine Verlegenheit mischt sich Ungläubigkeit und Zorn. Ich senke den Arm und pikse ihm mit meinem Kuli ins Schienbein. Eins muss man ihm lassen, er erstickt sein Ächzen, kaschiert es mit Husten und sagt: »Bekannten.«
Im Raum ist es so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken.
»Sparen Sie sich Ihre freundschaftlichen Besuche doch für Ihre Freizeit auf, Mr Smuck.«
»Ja, Ma’am. Entschuldigung, Ma’am.« Er senkt die Stimme und flüstert: »Du kannst mir nicht ewig aus dem Weg gehen.« Dann schiebt er sich durch die Sitzreihe und verlässt unauffällig humpelnd den Raum.
Sobald er gegangen ist, kommt die Leiterin unserer Einführungsveranstaltung zur Sache, als hätte es die Störung nie gegeben. Und mit Sache meine ich Kennenlernspiele. Die Spiele, die sie uns präsentiert, erinnern an die Highschool, und fast tut sie mir leid in ihrem Enthusiasmus angesichts der völlig fehlenden Begeisterung der Anwesenden.
Sie lässt einen der Neuen in der ersten Reihe einen Zettel aus einem Zylinder ziehen. Nachdem er ihn laut vorgelesen hat, sollen wir das Erste rufen, was uns einfällt. Alle, die ähnliche Antworten geben, werden für den Rest des Tages als Gruppe zusammenarbeiten.
»Welche Lebensmittel sind für ein erstes Date absolut tabu?«, ruft der arme Kerl, der die Frage gezogen hat, in den Raum.
Mehrere Leute rufen: »Knoblauch!« oder »Zwiebeln!«
Ich brülle viel lauter als notwendig: »Bratwurst!«
Gleichzeitig ruft Pattie neben mir: »Hot Dog!«
Jules schließt sich an mit: »Penis! Ich meine, Banane!«
Plötzlich bin ich nicht länger die verlegenste Person im Raum, und ich denke, ich habe meine Mädelstruppe gefunden.
Unterwäsche-Wettstreit
Nach der Einführungsveranstaltung werde ich von Pattie und Jules zum Abendessen eingeladen, aber da mein Bruder mit mir auf den neuen Job anstoßen und meinen Geburtstag nachfeiern will, muss ich sie vertrösten. Ich begleite sie trotzdem auf einen schnellen Drink, da wir früher als gedacht mit den Aktionen des Einführungstages fertig geworden sind. Es ist schön, bereits Freundinnen gefunden zu haben, vor allem, da Joey auch hier arbeitet und sich anscheinend vorgenommen hat, mich zu beschatten – gemessen an der Zahl unserer Begegnungen heute.
Meine Schwägerin Lainey holt mich auf dem Weg nach Hause vom Pub ab.
Kody, mein Neffe, sitzt angeschnallt in seinem Kindersitz und plappert vor sich hin, während er zwei Schaumgummi-Eishockey-Pucks gegeneinanderdrückt. »Evie!«, ruft er, als ich auf den Beifahrersitz des SUV steige.
Ich drehe mich zu ihm um und kitzele ihn am Fuß, an dem ein Schuh fehlt. »Hey, kleiner Mann! Unglaublich, wie groß du geworden bist!« Ich umarme Lainey von der Seite. »Danke, dass du die ganze Strecke gefahren bist, um mich abzuholen.«
»Kein Problem. Wir hatten sowieso einiges zu erledigen, und so brauchst du nicht den Bus zu nehmen.« Lainey rümpft die Nase. Sie ist kein Fan von öffentlichen Verkehrsmitteln – nicht, weil sie findet, sie seien unter ihrer Würde, sondern weil sie eine Abneigung gegen Menschenmengen und enge Räume hat.
Lainey fragt mich, wie mein erster Arbeitstag war und ob ich Dem-Vollidioten-,dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf, über den Weg gelaufen bin. Ich umschiffe die unangenehmen Stellen des Gespräches, vor allem, weil ich bei dem Thema am liebsten losheulen würde.
Im Haus meines Bruders angekommen, spiele ich mit Kody, während Lainey sein Abendessen vorbereitet. Als es fertig ist, setze ich ihn in seinen Hochstuhl und schaue zu, wie er sich Essen in sein putziges kleines Gesicht schmiert.
Lainey beginnt ein Gespräch über das Vorsaison-Training, weil das sicheres Terrain ist und weil R. J. gerade dort ist. Sie versucht immer wieder, mich zu überreden, mit ihr in die Arena zu kommen, und obwohl ich meinen Bruder liebe und tatsächlich Eishockeyfan bin, gehe ich fast nie zu seinen Matches.
Ich hatte in der Vergangenheit Probleme mit Menschen, die mich benutzt haben, um an meinen Bruder heranzukommen. Mitglied eines brandneuen Expansionsteams zu sein, noch dazu in einer Stadt wie Seattle, ist eine große Sache. Daher ist es einfacher, wenn ich mir eigene Freunde suche und sich die Aufregung des Saisonstarts gelegt hat, bevor ich daran denke, zu Spielen zu gehen. Ich liebe meinen Bruder, und ich gönne ihm seinen Erfolg, aber mitunter ist es schwierig, damit umzugehen, und ich erliege dann dem Syndrom, mich wie die minderwertige kleine Schwester zu fühlen.
Lainey wirft mir einen verschmitzten Blick zu. »Viele von R. J.s Mannschaftskameraden sind wirklich nett. Ich weiß, du bist noch nicht bereit, dich wieder auf den Beziehungsmarkt zu werfen, aber es sind ein paar süße Typen dabei, die wahrscheinlich ungefähr dein Alter haben und Single sind.«
»Danke, allerdings habe ich null Interesse, mit irgendeinem von denen etwas anzufangen.«
»Mit wem willst du nichts anfangen?« R. J. betritt die Küche. Er ist gerade nach Hause gekommen.
»Ich spreche von den Typen aus deiner Mannschaft«, antworte ich.
R. J. zieht eine Braue hoch. »Von denen würde ohnehin nie und nimmer jemand etwas mit dir anfangen.«
»R. J.!« Lainey knallt ihren Pfannenwender auf die Theke, zwei Zentimeter von R. J.s Fingerspitzen entfernt.
Mein Bruder hebt beide Hände. »Ganz ruhig, ganz ruhig, ich meine doch nicht, dass keiner von denen etwas von dir wollen würde, Stevie. Ganz im Gegenteil, sie würden Schlange stehen.«
»Was zur Hölle soll das denn heißen?« Ich bin keine, die sich zu leicht rumkriegen lässt, das war ich nie. Ich binde mich emotional sehr schnell, was nicht unbedingt ideal ist. Deshalb springe ich nicht sofort mit einem Mann ins Bett, damit es nicht noch schlimmer für mich wird, wenn es zwischen uns nicht funktioniert.
R. J. legt von hinten einen Arm um mich und drückt mich an sich. »Du hast die Bowman-Grübchen, Stevie. Sie sind tödlich für das andere Geschlecht. Habe ich nicht recht, Lainey?«
Sie nickt ernst. »Es ist schwer, diesen Grübchen zu widerstehen. Ich denke, dein Bruder versucht – wenn auch wenig wortgewandt – auszudrücken, dass du atemberaubend bist und dass er jedem Mann aus seinem Team, der versuchen würde, mit dir anzubändeln, als Bruder die rote Karte zeigen würde.«
Den restlichen Abend erwähnt glücklicherweise niemand mehr potenzielle Beziehungen oder R. J.s Mannschaftskameraden als denkbare Partner. R. J. verwöhnt mich mit unnötigen und extravaganten Geburtstagsgeschenken und meinem Lieblingskuchen, aber das echte Highlight des Abends besteht für mich darin, Kody ins Bett zu bringen.
Es ist spät, als mein Bruder mich ins Penthouse zurückfährt. »Soll ich dir helfen, deinen Anteil der Miete von dem Blödhammel zurückzuholen?«, fragt er.
Immer wenn er von Joey spricht, lässt er sich eine neue kreative Beleidigung einfallen.
»Das kriege ich schon selber hin.« Ich lächele, doch das Lächeln fühlt sich unecht an.
»Das weiß ich, Stevie, doch das musst du nicht. Es tut mir so leid, was du durchmachst. Du könntest bei uns wohnen, damit du nicht so allein bist.«
»Ähm, das ist lieb, aber du solltest so etwas wahrscheinlich nicht vorschlagen, ohne vorher darüber mit Lainey zu sprechen.«
»Das habe ich bereits. Das Poolhaus könnte mühelos zu einer separaten Wohnung umgebaut werden, sodass du dein eigenes Reich hättest.«
Der Gedanke, nicht allein zu sein, ist verlockend, allerdings ist R. J.s neues Haus gut vierzig Minuten von der Klinik entfernt, und ich habe kein Auto. Und ich möchte auch nicht, dass mein Bruder mir eins kauft.
»So nett das Angebot ist, R. J., ihr seid frisch verheiratet. Mir ist klar, dass ihr ein Baby habt und dass ihr bereits ein Jahr zusammenlebt, aber Lainey hat erwähnt, dass ihr darüber nachdenkt, Kody ein Geschwisterchen zu schenken, und ich möchte wirklich lieber nicht bei euch wohnen, während ihr daran arbeitet.«
»Es ist nicht so, als würden wir es auf dem Esszimmertisch treiben.«
»Darum geht es nicht, und vielen Dank für das total unerwünschte Kopfkino. Außerdem liegt das Penthouse in der Nähe meiner Arbeitsstelle. Es sei denn, es hat sich etwas geändert, und ich muss mir eine andere Unterkunft suchen?« Bei dem Gedanken gerate ich sofort in Panik.
Obwohl ich seinen Nachbarn und dessen lächerliche Unterwäsche verabscheue, ist er mir immer noch lieber als eine Wohnungssuche. Und es würde bedeuten, Joey auf die Miete ansprechen zu müssen, die ich im Voraus bezahlt habe. Irgendwann werde ich mich darum kümmern, aber ich hätte nichts gegen einige Wochen mentaler Vorbereitung, bevor ich mich diesem Gespräch stelle.
»Es hat sich nichts geändert. Die Wohnung gehört für die Saison dir.«
»Okay, das ist wunderbar. Kann ich dir Miete zahlen oder so?«
»Auf keinen Fall. Die Wohnung ist Teil meines Vertrages und würde anderenfalls leer stehen, daher kannst du mietfrei dort wohnen.« Er fährt vor dem Gebäude vor, legt den Rückwärtsgang ein und wendet den Wagen. »Soll ich dich noch nach oben bringen?«
»Nicht nötig, aber danke.« Ich umarme ihn von der Seite. »Und danke für das Abendessen und für die tolle Unterbringung.« Ich deute auf das Gebäude und steige aus.
»Keine Ursache, Stevie. Und wenn du deine Meinung änderst und doch meine Hilfe bei dem Arschloch brauchst, gib mir Bescheid. Ich würde mit Freuden dafür sorgen, dass er sich in die Hose scheißt.«
»Ich weiß, und es ist wirklich lieb von dir.«
Ich benutze meine Karte, um das Gebäude zu betreten, und dann noch einmal, um in den Aufzug zu gelangen. Die Arme beladen mit Tüten voller Geschenke, fahre ich zum Penthouse hinauf. Ich liebe meinen Bruder und weiß, dass er das Gefühl hat, mir unseren Dad ersetzen zu müssen, den wir vor einigen Jahren verloren haben. Meistens brauche ich allerdings R. J., meinen Bruder, nicht R. J., den Pseudo-Dad, aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihm das sagen soll, ohne ihn zu verletzen.
Der Aufzug bimmelt, als ich die Penthouse-Etage erreiche, und die Türen gleiten auseinander, und in dem Moment tritt eine Frau aus der Wohnung des Vollidioten. Ihr schwarzes Kleid klebt an ihr wie eine zweite Haut und bedeckt nur wenig. Ihr langes dunkles Haar ist zerzaust und ihre Wangen sind gerötet. Sie sieht aus, als sei sie gerade eben aus dem Orgasmuszug gestiegen. Natürlich ist mein Nachbar so einTyp. Ich wette, er ist ein wandelndes, sprechendes, frauenaufreißendes Klischee mit wöchentlich wechselnden Vorlieben.
»Oh! Können Sie den Fahrstuhl für mich aufhalten?«, ruft sie, während sie durch den Vorraum eilt.
Ich weiß nicht, warum ich ihr den Fahrstuhl aufhalten soll, da sich nur sehr wenige Leute in diesem Moment darum reißen, aber ich lächele, sage »natürlich« und halte eine Hand an die Tür, damit sie sich nicht schließt.
»Danke!« Ich steige aus dem Aufzug, und sie schlüpft an mir vorbei und lächelt mich mit ungeschminkten Lippen an, während sie mich mustert. »Ich hoffe, Sie hatten einen genauso schönen Abend wie ich!« Sie zwinkert mir zu, dann schließen sich die Türen langsam.
Ich zeige der Tür meines Nachbarn im Geiste den Mittelfinger, denn es ärgert mich, dass er trotz seines widerwärtigen Charakters Spaß hat und noch dazu mit einer Frau, die aussieht wie ein Model. Ich tröste mich mit der Fantasie, dass er einen wirklich kleinen Penis hat, obwohl sie viel zu glücklich ausgesehen hat, als dass es auch nur ansatzweise zutreffend sein könnte.
Innerhalb der nächsten Woche rotieren mehrere Frauen durch die Penthousewohnung des Vollidioten. Ich laufe ihm noch zweimal morgens früh über den Weg. Nun, laufen ist wahrscheinlich nicht der richtige Ausdruck. Wie es der Zufall will, taucht er, immer wenn ich zur Arbeit aufbreche, in seiner seltsamen Unterwäsche auf. Es macht stark den Eindruck, er will heraushängen lassen, dass er mehrere Frauen hat, die es genießen, seinen »Joystick« zu benutzen. Zumindest nehme ich an, dass er das tut. Wir tauschen nicht mehr als verächtliche Blicke aus, deshalb sind das lediglich Spekulationen meinerseits.
Nach zwei Wochen im Penthouse kenne ich seinen Terminkalender, glaube ich. Dieselbe Blondine kam an zwei aufeinanderfolgenden Wochen mittwochs aus seiner Wohnung, daher scheint sie seine Mitte-der-Woche-Frau zu sein. Eines Nachmittags stehe ich gerade an der Wohnungstür und gehe die Post durch, als ich eine Frauenstimme im Vorraum höre. Also muss ich einfach durch den Spion schauen.
Der Vollidiot ist nirgends zu sehen, aber eine andere Frau, diese hier zierlich und mit einem kurzen braunen Bob, geht zum Aufzug, ihr Telefon in der Hand, während sie darauf wartet, dass sich die Türen öffnen. Es fuchst mich total, dass dieser Armleuchter ins Bett steigt, mit wem er will, wann immer er will, und es keiner dieser Frauen etwas auszumachen scheint. Vielleicht bezahlt er sie. Das würde es erklären. Er kommt mir wie ein zu großer Blödmann vor, um Gelegenheitssex zu haben, ohne etwas dafür zurückzugeben.
In der folgenden Woche entwickeln wir eine Art Routine. Er holt dienstags und donnerstags stets zur gleichen Zeit seine Morgenzeitung herein – dann, wenn ich zur Arbeit losmuss –, immer in seiner verdammten Unterwäsche. Mittwochs und freitags ist die Zeitung schon verschwunden, wenn ich aus meiner Wohnung trete – denn an den Tagen muss ich erst später los.
Also warte ich am folgenden Dienstag mit dem Auge am Spion darauf, dass er die Zeitung einsammelt, um herauszufinden, ob es ein Zufall ist oder nicht. Die Minuten verrinnen, und seine Tür bleibt fest geschlossen, zumindest bis ich meine öffne. Doch ich komme nicht heraus. Stattdessen lasse ich sie wieder zuschlagen, während seine Tür sich öffnet, und sein lächerlich muskulöser Körper in psychedelisch gemusterten Boxershorts erscheint.
Was zur Hölle ist das mit diesem Burschen und seiner Unterwäsche?
Er schaut zu meiner Wohnung und runzelt die Stirn, als er seine Zeitung aufhebt. Betont langsam verschwindet er hinter der Tür.
Heute allerdings beschließe ich, unser Spiel auf eine neue Ebene zu heben, denn dass wir ein Spiel veranstalten, ist offensichtlich. Ich bin mir nicht ganz sicher, welchen Sinn es hat, abgesehen davon, dass dieser Typ ein Exhibitionist und ein totaler Playboy zu sein scheint. Normalerweise wäre ich um diese Zeit schon für die Arbeit angekleidet, heute jedoch ziehe ich mir lediglich Laufshorts – solche, die kaum meine Pobacken bedecken –, und einen Sport-BH über. Auf weitere Kleidung verzichte ich zunächst.
Als Physiotherapeutin achte ich darauf, in Form zu bleiben. Ich habe Kurven, aber ich bin fit. Superdünne Frauen machen sich großartig in Zeitschriften, doch ich stehe verdammt noch mal zu jeder einzelnen meiner Kurven.
Er öffnet die Tür um Punkt sieben Uhr drei wie immer – außer neulich, als er sie um sieben Uhr fünf aufgemacht hat, weil ich bis dahin gewartet hatte –, also öffne ich meine. Heute trägt er eine Hawaii-Unterhose.
Sein Blick wandert in meine Richtung, und das selbstzufriedene Grinsen auf seinem Gesicht erstirbt. Es ist lächerlich befriedigend zu sehen, wie ihm fast die Augen aus dem Kopf fallen. Ich drehe mich etwas zur Seite, damit er mich auch von hinten betrachten kann, dann bücke ich mich mit durchgekreuzten Beinen, um die Zeitung aufzuheben. Es ist ein durchsichtiger Versuch, ihn so zu ärgern, wie er mich geärgert hat, und gemessen an der Art, wie er mich angafft, funktioniert es sehr gut.
Ich bedenke ihn mit einem herablassenden Grinsen. »Hübsche Unterhose.« Anschließend gehe ich in meine Wohnung zurück und drücke ein Auge gegen den Spion, damit ich mir seine Reaktion ansehen kann.
Er steht immer noch mit offenem Mund da. Dann fährt er sich mit einer Hand an seiner Brust entlang nach unten und zupft seine Boxershorts zurecht, ehe er sich langsam bückt, um seine eigene Zeitung aufzuheben, den Blick nach wie vor auf meine geschlossene Tür gerichtet. Er sagt etwas, das ich nicht hören kann, während er abermals über seine Schulter schaut, bevor er verschwindet.
»So viel dazu, dass ich abtörnend bin.« Zum ersten Mal, seit ich meine neue Stelle angetreten habe, mache ich mich mit einem Lächeln für die Arbeit fertig.
Nachbarschaftlich
Normalerweise freue ich mich auf das Vorsaison-Training, nur in dieser Spielzeit nicht. Während des größten Teils meiner Karriere habe ich im Angriff gespielt. Ich mag ein ziemlich großer Kerl sein – größer als die meisten Angriffsspieler in der Mannschaft –, aber ich bin schnell und kann gut schießen. Deshalb ärgere ich mich darüber, dass Bowman und Alex Waters, unser Trainer, offensichtlich immer wieder Nebengespräche führen, bei denen ich vom Angriff in die Verteidigung und wieder zurück geschoben werde.