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Viva Las Vegas! Verbotene Küsse, gefährliche Liebe und gestohlene Herzen – in der sündigsten Stadt der Welt ...
Nach den erschütternden Ereignissen der letzten Zeit erholt sich Emma Southerly vorübergehend bei ihrer Mutter in Palm Springs. Doch ihre Ruhe hat ein schnelles Ende, als plötzlich Jamie West, ihr Liebhaber und der Hauptverdächtige im Mordfall seines Vaters, mit mehr als schlechten Nachrichten vor der Tür steht: Auch Emma ist nun in den Fokus der Ermittlungen geraten. Emma und Jamie wissen, dass sich in ihrem engsten Kreis ein Mörder befindet, und nur zusammen und mit der Kraft ihrer Liebe, wird es ihnen gelingen, den wahren Täter zu enttarnen …
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Seitenzahl: 334
Buch
Nach den erschütternden Ereignissen der letzten Zeit erholt sich Emma Southerly vorübergehend bei ihrer Mutter in Palm Springs. Doch ihre Ruhe hat ein schnelles Ende, als plötzlich Jamie West, ihr Freund und der Hauptverdächtige im Mordfall seines Vaters, mit mehr als schlechten Nachrichten vor der Tür steht: Auch Emma ist nun in den Fokus der Ermittlungen geraten. Emma und Jamie wissen, dass sich in ihrem engsten Kreis ein Mörder befindet, und nur zusammen und mit der Kraft ihrer Liebe wird es ihnen gelingen, den wahren Täter zu enttarnen …
Autorin
Geneva Lee war schon immer eine hoffnungslose Romantikerin, die Fantasien der Realität vorzieht – vor allem Fantasien, in denen starke, gefährliche, sexy Helden vorkommen. Mit ihrer Royals-Saga um den königlichen Bad Boy Prinz Alexander begeisterte sie die Leserinnen und stürmte die internationalen Bestsellerlisten. Geneva Lee lebt gemeinsam mit ihrer Familie im Mittleren Westen der USA.
Geneva Lee ist online zu finden unter
www.geneva-lee.de, www.facebook.com/genevaleeauthor
Von Geneva Lee bereits erschienen
Secret Sins – Stärker als das Schicksal
Die Royals-Saga
Royal Passion (01) • Royal Desire (02) • Royal Love (03) • Royal Dream (04) • Royal Kiss (05) • Royal Forever (06) • Royal Destiny (07)
Die Love-Vegas-Trilogie
Game of Hearts (01) • Game of Passion (02) • Game of Destiny (03)Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvaletund www.twitter.com/BlanvaletVerlag
GENEVA LEE
GAME OF
Roman
Band 2
Deutsch von Charlotte Seydel
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Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Sin never Sleeps« bei Ivy Estate, Kansas City.1. AuflageCopyright der Originalausgabe © 2016 by Geneva LeeCopyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2018 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Susann RehleinUmschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (© Lauritta, © f11photo)WR · Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-20907-0V002www.blanvalet-verlag.de
Später
Es ist so leicht zu lügen und so schwer zu verzeihen. Seltsam, wie trügerisch selbst eine einfache Farbschicht sein kann, bis man sie im richtigen Licht sieht. Ich wusste nicht, was mir lieber war – eine hübsche Lüge oder ein reuiger Sünder –, bis jetzt.
Man hat den Raum umgestaltet, damit er edel und modern aussieht. Alles ist weiß und minimalistisch – klare Linien und abstrakte Kunst. Doch noch immer hängt abgestandener Zigarettenrauch in der Luft. Dies ist der Beweis, dass Vegas als Stadt aus der Zeit gefallen ist, vielleicht hat sie auch nur den Bezug zur Realität verloren. Wäre da nicht dieser säuerliche Geruch, der meine Nase malträtiert, würde der Raum sogar luxuriös wirken. Die Renovierung diente einzig dem Zweck, die Gäste davon zu überzeugen, dass das Hotel den deftigen Preis wert ist, der hier für ein Zimmer verlangt wird. Eine einzige Täuschung.
Wenn meine Mom und Hans nächsten Monat die Abrechnung meiner Not-Kreditkarte bekommen, werde ich in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Aber wenn meine jetzige Situation nicht als Notlage zählt, dann weiß ich auch nicht.
Die Hände im Schoß gefaltet, sitze ich auf der Bettkante und warte. Es ist absurd, nervös zu sein, aber schließlich habe ich mir noch nie jemanden aufs Zimmer bestellt. Bis vor einigen Tagen bestand mein einziger Kontakt zu Callgirls in den Flyern, die auf den Gehwegen herumliegen und über die ich mit meinen Schuhen gelaufen bin. Dennoch fühlt es sich irgendwie unvermeidlich an. Ich stecke zu tief drin, um den Spuren nicht nachzugehen.
Doch dieses Zimmer in diesem Hotel, in dieser Stadt, ist nichts anderes als eine Illusion. Denn das Einzige, was Touristen nie zu sehen bekommen, ist die Wahrheit. Die Verdorbenheit steckt Las Vegas tief in den Knochen, es ist geschwächt von Gier und Exzessen. Darüber kann auch kein edles Hotelzimmer hinwegtäuschen.
Als es an der Tür klopft, schrecke ich zusammen, stehe auf und streiche mein Kleid glatt, als müsste ich bei ihr Eindruck schinden. Dann öffne ich die Tür und sehe in vertraute, aber überraschte Augen. Der Schock in ihrem Blick wandelt sich schnell in Zorn.
Ich trete zur Seite und mache eine einladende Geste. »Willst du nicht hereinkommen?«
»Vergiss die Sonnencreme nicht«, ruft Mom quer über die Terrasse. Wachsam lauert sie unter der breiten Krempe ihres schwarzen Sonnenhutes und lässt mich nicht aus den Augen.
Wenn doch Sonnencreme das einzige Problem wäre. Seufzend nehme ich das Fläschchen mit Sonnenschutzfaktor 50, das sie mir jeden Morgen hinstellt. Ich verteile die Creme auf den Beinen und meide vorsichtig die Wunden, die nach jenem »Vorfall«, wie sie es nennt, noch immer nicht verheilt sind.
Es ist erst zehn Uhr morgens, doch ich habe mich schon zweimal eingecremt. Das ist typisch Palm Springs. Wenn du in der Sonne nicht vergehst – deine Sonnencreme tut es auf jeden Fall. In mancherlei Hinsicht ist diese Stadt in der Wüste Las Vegas sehr ähnlich, insbesondere was die Hitze angeht. Doch was einst der exklusive Spielplatz Hollywoods war, ist jetzt eher eine Rentnergemeinde.
Hier kann man nicht viel machen, und deswegen komme ich gerne zu Besuch. Es ist eine Erholung von dem unermüdlichen Treiben in Las Vegas. Doch wegen der Umstände, die zu meiner vorzeitigen Abreise zu meiner Mutter geführt haben, ist diese permanent in Alarmbereitschaft. Ich komme mir vor wie ein Rockstar mit Bodyguard – allerdings ohne die mit diesem Dasein verbundenen Annehmlichkeiten. Unter ihrer Aufsicht gibt es keinesfalls Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll.
Ich lege mich auf den Liegestuhl und schließe die Lider. Auch mit geschlossenen Augen spüre ich die Hitze der unaufhaltsam aufsteigenden Sonne und das gleißende Licht, das auf mir brennt.
Palm Springs ist für mich ein Ort der Entspannung – normalerweise jedenfalls. Aber von Zen ist in diesen Tagen wenig zu spüren. Auf dem Glastisch neben mir vibriert mein Handy. Ich brauche die SMS nicht anzusehen, um zu wissen, von wem sie stammt. Es gibt nur zwei Menschen auf der Welt, die überhaupt auf die Idee kämen, mir eine SMS zu schicken. Und einer von beiden hat vor Wochen das einzige Telefonat, das man ihm zugestand, dazu benutzt, jemand anders anzurufen. Was ich ihm noch nicht einmal verübeln kann. Nach seiner Festnahme wegen des Angriffs auf meinen Vater hatte ihn die Polizei in Gewahrsam behalten und die Ermittlungen zum Mord an seinem Vater fortgesetzt. Ohne juristische Fachkenntnisse bin ich für Jameson West nutzlos. Und da mich meine Mutter vom Krankenhausbett aus direkt nach Kalifornien verfrachtet hat, ist es mir unmöglich, ihn zu unterstützen. Aufgrund meiner Abwesenheit und mit meinem Verdacht, dass er ein Mörder sein könnte, habe ich mich bestimmt als Freundin des Jahres qualifiziert.
Mein Vater hatte sich einer Neuregelung des Sorgerechts nicht widersetzt, war mir jedoch seit unserer letzten Vater-Tochter-Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. Deshalb weiß ich, dass die SMS weder von ihm noch von Jameson stammen kann – bleibt nur noch Josie übrig. Während ich mich aufrichte, greife ich nach den Bändchen meines Bikinioberteils und verknote sie fest in meinem Nacken. Ich nehme Sonnenbrille und Handy, doch sobald ich die Füße auf den glühend heißen Beton setze, erscheint Moms Gesicht unter ihrem Hut.
»Trink etwas Wasser«, rät sie.
»Mach ich«, verspreche ich und gebe mir Mühe, nicht allzu sarkastisch zu klingen. Wenn sie nicht langsam lockerlässt, werde ich ihrer Bitte entsprechen, indem ich mich ertränke. Der Wasserdruck wäre bestimmt längst nicht so belastend wie ihr Genörgel.
Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf erinnert mich daran, dass sie Angst hat.
Da ist sie nicht die Einzige, meldet sich eine andere Stimme zu Wort.
Na toll. Jetzt streiten sich sogar schon meine inneren Stimmen.
Vor den Glasschiebetüren bleibe ich kurz stehen, weil ich von der Erinnerung an die berstenden Glasscheiben und an die Scherben eingeholt werde, die mir schmerzhaft in die Haut schnitten. Ich schüttele die Bilder ab.
»Alles okay, Emma?«, fragt Mom.
Ich schlucke und nicke. »Alles in Ordnung, aber ich würde gerne etwas mit dir besprechen.«
Sie lässt Oprahs jüngste Buchklubempfehlung sinken und wendet sich mir zu. »Ja?«
»Es ist nur … Ich habe Dad versprochen, diesen Sommer da zu sein …«, hebe ich an und verschweige, dass ich mich nicht mehr an mein Versprechen gebunden fühle, nachdem ich unbeabsichtigt seine Faust abbekommen habe. Gedankenverloren streiche ich über die gelblichen Überbleibsel des Blutergusses, den ich ihm zu verdanken habe. Es mag ja sein, dass der Schlag Jameson gegolten hat, aber getroffen hat er mich. Er kann von Glück reden, dass nach dem Zwischenfall in jener Nacht niemand gefragt hat, woher die Verletzung an meinem Bauch stammte. »Und deshalb glaube ich, dass ich nach Belle Mère zurückmuss.«
Sie schürzt die Lippen, als hätten meine Worte einen unguten Beigeschmack, dann schüttelt sie langsam den Kopf. »Ich halte das für keine gute Idee. Nach allem, was da vor sich geht …«
»Und genau deshalb muss ich zurück«, unterbreche ich sie. Damit musste sie rechnen. Sonst bin ich nie länger als zwei Wochen in ihrem Resort in Palm Springs geblieben. Und jetzt bin ich schon fast einen Monat hier. »Ich bin schon viel länger hier als sonst.«
»Und die ganze erste Woche warst du mit Schmerzmitteln vollgepumpt«, erinnert sie mich.
»Aber jetzt geht es mir gut.« Ich verschränke die gebräunten Arme vor der Brust, der Bronzeton ist ein weiterer Beweis, dass ich lange genug am Swimmingpool herumgelegen habe.
»Du bist nach wie vor herzlich willkommen«, sagt sie, ganz so, als fühlte ich mich aus Anstand zum Aufbruch verpflichtet.
»Sieh mal, Josie braucht mich. Der Laden braucht mich …« Ich höre lieber auf, bevor ich noch Jameson auf die Liste setze. Mom muss nicht wissen, dass es mich trotz allem, was bei ihm zu Hause passiert ist, auch seinetwegen nach Vegas zurückzieht. Ehrlich gesagt bin ich mir noch nicht einmal sicher, ob er will, dass ich nach Belle Mère zurückkehre.
Und auch wenn meine Mom es nicht zugeben mag – die eigenartigen Vorkommnisse, die meine kleine Gemeinde heimsuchen, beunruhigen sie. Man braucht keinen Abschluss in Psychologie, um auf die Idee zu kommen, dass sie diese harsche Realität lieber meidet.
Sie streift den Hut vom Kopf und wischt sich den Schweiß von der feuchten Stirn, dann mustert sie mich mit einem prüfenden Blick. Ich schaue in ihre kalten smaragdgrünen Augen wie in einen Spiegel. »Hans und ich haben uns unterhalten. Wir glauben, es wäre das Beste, wenn du dein letztes Schuljahr hier absolvierst.«
»Hier?«, frage ich ungläubig. »Und was ist aus ›es wird Zeit, übers College nachzudenken‹ geworden? Gibt es in Palm Springs überhaupt eins?«
»Hier und überall in Kalifornien. In Los Angeles gibt es jede Menge Möglichkeiten«, unterbricht sie mich.
»In Los Angeles?«, explodiere ich. »Kommt gar nicht infrage. Auch wenn es dir nicht gefällt, aber ich habe ein Leben da drüben in Belle Mère.«
»Ein Leben, das du fast verloren hättest«, sagt sie ausdruckslos.
»Es war ein Unfall«, erinnere ich sie, auch wenn es mir eiskalt den Rücken hinunterläuft. Ich war zu geschockt gewesen, um die Wahrheit zu sagen, deshalb war ich bei der Story geblieben, die Monroe West über jene Nacht verbreitete: Leighton war betrunken gestolpert und hatte mich mit sich gerissen, woraufhin wir beide durchs Glasfenster auf die darunterliegende Terrasse gestürzt waren. Es war mit Sicherheit leichter, die Polizei zu schmieren, damit sie über den Alkoholkonsum und die Party Minderjähriger hinwegsah, als Ermittlungen in einer weitaus schwerwiegenderen Angelegenheit zu verhindern. Niemand hatte die Geschichte angezweifelt, obwohl Leighton immer noch im Koma lag.
Aber vor mir selbst kann ich die Wahrheit nicht verleugnen: Man hatte uns gestoßen. Mom wusste das nicht. Wahrscheinlich wusste Monroe es auch nicht, obwohl sie sofort eine passende Geschichte für die Rettungssanitäter parat hatte.
»Unfälle geschehen nie einfach nur so«, sagt Mom. Aus dem Schauer, der meinen Körper überläuft, wird ein eisiges Frösteln. Meine Mutter redet nicht von mir und dem, was im Penthouse der Wests geschehen ist. Sie redet von Becca.
»Ich komme schon klar«, verspreche ich ihr geduldig. Ich kann nur hoffen, dass es mir gelingt, mein Versprechen zu halten.
»Darüber reden wir später.« Sie nimmt erneut das Buch zur Hand und richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Seite mit dem Eselsohr. Ich bin wieder abgemeldet, frei bin ich aber nicht.
»Wann kommst du nach Hause?«, fragt Josie, sobald FaceTime die Verbindung hergestellt hat. Die eine Hälfte ihres Kopfes ist zu Bantuknoten frisiert, das restliche Haar wild gelockt. Josie ist – genau wie ihr Haar – ein Musterbeispiel für Gegensätze. Einerseits klar und vernünftig, andererseits mit einem Hang zur Wildheit, der sich jedes Jahr stärker in ihrer Persönlichkeit durchsetzt. Ich lasse mich mit meinem Computer aufs Bett fallen.
»Hallo erst mal.« Der Schein der Nachmittagssonne macht es schwer, das Bild zu erkennen, deshalb krieche ich ans Kopfende des Bettes.
»Das ist eine ernsthafte Frage, Em. Ich möchte, dass du nach Hause kommst. Ich brauche deine Hilfe.«
Als ich die Panik in ihrer Stimme höre, ziehe ich die Brauen hoch. Eigentlich braucht Josie Deckard überhaupt nichts – jedenfalls nicht von mir. Etwas Bestätigung könnte nicht schaden, oder vielleicht ein Anruf ihres abwesenden Vaters, aber sie ist ganz bestimmt nicht der Typ, der andere um Hilfe bittet.
»Was ist los?« Falls sie nicht gerade einen melodramatischen Moment hat, bin ich vielleicht doch gezwungen, meine Drohung wahrzumachen und Palm Springs so bald wie möglich zu verlassen.
»Hier geht es drunter und drüber«, sagt sie. »Leighton liegt immer noch im Koma, und sie haben halb Belle Mère vorgeladen und wegen des Mordes an West verhört.«
»Wenigstens suchen sie noch nach dem Täter«, werfe ich ein. Man braucht keinen höheren Abschluss in Forensik und Kriminologie, um zu erkennen, dass das FBI bereits seinen Sohn für den Mord an Nathaniel West verantwortlich macht. Darüber will ich gar nicht länger nachdenken, denn ich muss daran glauben, dass Jameson West unschuldig ist. Ich habe ihm versichert, dass ich davon überzeugt bin, und in jenem Augenblick war es auch so. Auch weil er mein Freund ist. Oder jedenfalls war. Diesbezüglich bin ich mir jetzt nämlich nicht mehr so ganz sicher. Geistesabwesend streiche ich über die allmählich verheilenden Schnitte auf meinem Unterarm. Jameson kann Leighton und mich nicht durch dieses Fenster gestoßen haben, was in meinen Augen für ihn spricht. Wenn jemandem so viel daran lag, uns zum Schweigen zu bringen, dann hat er mit Sicherheit etwas zu verbergen. Allerdings hatte ich aus Leighton nicht herausbekommen, wen sie schützte. Ich hatte nur belauscht, wie sie Monroe zusicherte, niemandem etwas zu erzählen. Ich war davon ausgegangen, dass sie von Jameson sprach, doch sie kam gerade noch dazu, mir zu sagen, dass sie Jonas schütze. Danach hatte jemand uns beide durch ein Glasfenster gestoßen. Dass die Wests mörderische Partys veranstalten, kann niemand bestreiten.
»Es ist nicht nur das«, unterbricht Josie meine Gedanken. »Hast du dein Handy?«
Ich halte es hoch, und sie stößt einen tiefen Seufzer aus, der garantiert kein Zeichen ihrer Erleichterung ist.
»Ich habe dir über Instagram eine Nachricht geschickt«, sagt sie.
»Hast du einen Schnappschuss deines Mittagessens mit mir geteilt? Und einen Link mit Übungen für die Bikinifigur dazu gepostet?«, frage ich trocken und entsperre währenddessen mein Handy.
Ich klicke auf den Link, den sie mir geschickt hat, und gelange zu einem Nutzer-Account, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Doch auch wenn mir der Name nichts sagt – The Dealer –, gibt es dort jede Menge Fotos von Leuten, die ich kenne.
»Sieh dir mal das fünfte von oben an«, sagt Josie leise. Mein Blick wandert zurück zum Screen, und ich sehe, wie sie verzweifelt die Augen schließt. Nachdem ich das Foto gefunden habe, brauche ich einen Moment, bis ich etwas erkenne, weil die Aufnahme so verschwommen ist. Offensichtlich wurde es aus größerer Entfernung aufgenommen. Jemand anders würde das Mädchen mit der wilden Haarmähne und der zierlichen Figur vielleicht nicht wahrnehmen, aber ich erkenne meine beste Freundin, wenn ich sie sehe. Den Mann, mit dem sie zusammen ist, kann ich jedoch nicht identifizieren.
»Was soll das?«, frage ich verwirrt.
»Das ist Tom«, sagt sie. »Vielleicht auch Aaron, ich kann mich nicht erinnern. Es ist auch nicht wichtig.«
»Es ist wichtig genug, dass du mich dafür am helllichten Tag anrufst, um mich anzuflehen, nach Hause zu kommen. Wer ist dieser Kerl, Josie?«
»Was glaubst du denn?«, fragt sie und betont jede Silbe.
»Oh.« Allmählich dämmert es mir. Obwohl sie mich ständig hängen lässt, um sich mit irgendwelchen Zufallsbekanntschaften abzugeben, habe ich sie bisher noch nie in Aktion erlebt. »Habt ihr beide …«
Plötzlich wünsche ich mir, wir würden Onkel Otto sitzt in der Badewanne spielen, damit ich den Satz mit etwas Unschuldigem oder Harmlosem beenden könnte. Habt ihr beide … ein Kätzchen gerettet? Habt ihr beide … Minigolf gespielt? Aber vor meinem inneren Auge ziehen Bilder auf, die der Autorin von Fifty Shades of Grey die Schamesröte ins Gesicht treiben würden. »Ja«, antwortet sie und erlöst mich von meiner Qual.
»Wie konnte das jemand fotografieren?«, frage ich. Josie mag einen Vaterkomplex haben, aber dumm ist sie nicht. Ein paar Selfies würden nicht nur ihr Leben, sondern auch das dieses Mannes zerstören. Sie macht keine Fotos von ihren Eroberungen, und sie lässt sich von ihnen auch nicht fotografieren.
»Guck dir das mal genauer an«, flüstert sie. Ich scrolle durch die Uploads, und mir wird klar, dass es sich nicht um die typischen narzisstischen Fotoserien eines Teenagers handelt. Keine Selfies. Kein Versuch, den ganzen Tagesablauf zu dokumentieren. Alle Fotos auf diesem Account zeigen andere – Leute, die wir kennen. Jedes Foto ist eine eigentümliche Mischung aus Fotojournalismus und Überwachungskamera.
»Weißt du, wer diese Fotos gemacht hat?«, frage ich sie.
Ich kann den Blick nicht abwenden. Die Bilder machen süchtig, und ich ertappe mich bei der Frage, ob ich auch noch zu sehen sein werde. Die Fotos sind mit Initialen und einer Ortsangabe versehen, weiter nichts. »Meine Mom wird mich umbringen«, grummelt Josie und übergeht meine Frage.
»Wie sollte sie sie überhaupt zu sehen bekommen? Deine Mutter ist ja nicht gerade ein Profi, was Social Media betrifft.«
Um sie nicht noch mehr zu verunsichern, gebe ich lieber nicht zu, dass ich nachvollziehen kann, warum sie so entsetzt ist. Die Fotos enthüllen eine Facette von Josie, die sie vor der Öffentlichkeit verborgen hält. Wenn dieser ganze Account voller Fotos gleichaltriger Bekannter aus Belle Mère ist, könnte es sein, dass schon viele Leute einen Blick darauf geworfen haben.
»Wie hast du das überhaupt herausgekriegt?«, frage ich.
»Der Account hat sich bei mir als Follower eingetragen«, sagt sie. Sie macht eine Pause, als ringe sie mit sich, ob sie mir noch mehr erzählen soll. »Der Account ist auch Follower von Monroe, Hugo und Jameson.«
»Jameson«, wiederhole ich. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Was für Fotos sind wohl von ihm zu sehen?
»Hast du schon mit ihm gesprochen?«, fragt Josie.
Ich schüttele den Kopf. »Also folgt er euch allen, aber das heißt noch nicht …«
»Emma«, unterbricht Josie mich, »deinem Account folgt er auch.«
Unsicher, ob ich nach meinen eigenen verfänglichen Momenten suchen möchte, die womöglich jemand mit seiner Kamera eingefangen hat, lege ich das Handy auf den Tisch. »Warum tut jemand so etwas?«
»Um mein Leben zu zerstören«, behauptet Josie sofort. Anscheinend hat sie lange darüber nachgedacht.
»Es ist doch nur ein Foto …«, fange ich an, aber sie fällt mir ins Wort.
»Das sagst du so«, kreischt sie. »Wenn meine Mom diese Bilder sieht, werde ich ohne Aussicht auf Bewährung den Sommer über in die Mädchenakademie von Bellevue gesteckt.«
»Das hier ist nicht Hamlet «, unterbreche ich sie. Hätte ich doch nur ein paar Hundert Beruhigungspillen vorrätig. Josie steht offenbar kurz vor einem Nervenzusammenbruch, während ich in Palm Springs versuche, der Realität aus dem Weg zu gehen. »Deine Mom wird dich schon nicht ins Kloster stecken.«
Josie lässt sich nach hinten fallen und ist für einen Moment nicht mehr zu sehen. Das Bild wird schwarz, und ich versuche, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Dann baut sich das Bild langsam wieder auf. Ich entdecke ihre vertraute gepunktete Bettdecke und das Kissen, das sie sich an die Brust drückt. Als sie schließlich wieder etwas sagt, ist ihre Stimme ganz leise. »Du kennst nur die angenehme Seite meiner Mutter.«
»Wenigstens hat deine Mutter eine angenehme Seite«, knurre ich. »Meine Mutter ist ausgerastet, als ich ihr gesagt habe, dass ich darüber nachdenke, Palm Springs zu verlassen. Ich werde sie ziemlich umgarnen müssen, damit sie sich wieder beruhigt, wenn ich fahre.« Dass sie von mir verlangt, dauerhaft in Kalifornien zu bleiben, behalte ich für mich. Jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt für zusätzliche schlechte Nachrichten.
»Pass auf«, fährt Josie fort und lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Problem, »meine Mom ist cool, aber sie will unbedingt dafür sorgen, dass ich einmal ein besseres Leben habe als sie.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das alle Eltern wollen«, stelle ich klar. Auch wenn meine eigenen Eltern sehr seltsame Vorstellungen davon haben, was ein besseres Leben ist, so weiß ich doch, dass sie ihr Herz grundsätzlich am rechten Fleck haben.
»Lass es mich etwas klarer ausdrücken. Ihr liegt wahnsinnig viel daran, dass ich nicht schwanger werde.«
»Kannst du ihr das zum Vorwurf machen?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf, und einen Moment ist der Monitor von ihren wilden, widerspenstigen Locken ausgefüllt. »Nein, das kann ich nicht. Weißt du, sie war erst neunzehn, als ich geboren wurde, und das hat ihrer Karriere als Tänzerin sehr geschadet.«
»Weiß sie, dass du …« Ich beende den Satz nicht und schaue durchs Fenster auf die ruhige Oberfläche des Swimmingpools draußen. Die Frage zu stellen, fällt mir nicht leicht, denn im Grunde kenne ich die Antwort nicht einmal selbst. Als Josie anfing, sich auf ältere Typen zu spezialisieren, habe ich versucht, das nicht an mich herankommen zu lassen – bis sie mit einem unserer Lehrer schlief. Danach habe ich sie gebeten, die pornografischen Details für sich zu behalten. Es fällt mir leichter, eine Mathearbeit zu schreiben, wenn ich mir dabei nicht immer vorstellen muss, wie meine beste Freundin das Gesicht von Mister Barrett beim Orgasmus nachmacht.
»Weiß sie was?«, fragt Josie.
»Weiß sie, dass du Sex hattest?«, frage ich hastig.
»Die Liste der Gesprächsthemen, die zwischen meiner Mutter und mir tabu sind, ist lang und umfassend. Sex steht dort an erster Stelle.« Josie presst die knallroten Lippen zusammen, bis nur noch eine dünne Linie übrig bleibt, und verzieht bei der Vorstellung das Gesicht. »Wenn sie es wüsste, wäre ich schon im Kloster, wie du es ausdrückst. Ich meine, ich muss die Pille in einer Bonbondose verstecken.«
»Damit ist die Frage beantwortet.« Eine Million anderer Fragen gehen mir durch den Kopf. Mit wie vielen Männern hatte sie Sex? Warum? Benutzt sie Kondome? Hat sie schon mal einen Test gemacht? Irgendwie schaffe ich es, mir alle diese Fragen zu verkneifen.
»Weiß deine Mutter, was du treibst?«, fragt Josie, obwohl sie weiß, dass es auf der Liste meiner sexuellen Eroberungen erst einen Eintrag gibt. Ich war total ehrlich zu ihr, was mein erstes – und einziges – Mal anbetrifft. Und selbst da gab es nicht allzu viel zu berichten.
»Ich hatte nicht das Bedürfnis, ihr von meinem jämmerlichen ersten Mal zu erzählen, schließlich habe ich ja selbst vor mir so getan, als sei es nie geschehen«, erinnere ich sie. Mit Hugo Roth zu schlafen, war eine überstürzte Reaktion auf eine furchtbare Situation. Ich meine, gibt es eine bessere Methode, sich an seinem fremdgehenden Freund zu rächen, als mit dessen bestem Freund zu vögeln? Allerdings würde ich mich mit dieser beachtlichen Erkenntnis nicht gerade um einen Studienplatz bewerben.
»Ich glaube nicht, dass meine Mom irgendeinen der Männer, mit denen ich zusammen war, bei uns zu Hause dulden würde.«
»Vermutlich nicht, schließlich sind sie genauso alt wie ihr eigener Freund«, erinnere ich sie.
Josie klatscht sich an die Stirn. »Ach, das habe ich dir noch gar nicht erzählt. Die haben sich letzte Woche getrennt. Männer nerven.«
»Und wie geht es deiner Mom?«, frage ich ernsthaft besorgt.
»Sie hat einen ganzen Tag lang geweint. Dann hat sie Lippenstift aufgetragen und jemand Neues kennengelernt.« Josie zuckt mit den Schultern, doch ihre Worte triefen vor Zynismus. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Die Deckards pflegen eine nonchalante Einstellung zur Philosophie, der die meisten Männer in Las Vegas folgen: »Flachlegen und fallen lassen«. Diejenigen unter ihnen, die auf Dauer hierbleiben, sind normalerweise keine herausragenden Vertreter ihrer Spezies. Jedenfalls nicht die Singles unter ihnen. Und die anderen sind Touristen, deren Anwesenheit ebenso temporär ist wie ihr Glück im Spiel.
Ich nehme mein Handy und starre wieder auf die Instagram-Fotos. Josie ist deutlich zu erkennen, und obwohl derjenige, der uns diese Fotosammlung beschert, sie nur mit ihren Anfangsbuchstaben kennzeichnet, ist es alles andere als anonym. Ich scrolle durch die Handvoll anderer Fotos, die hochgeladen wurden. Hugo Roth schleift ein bewusstloses Mädchen durch den Korridor. Monroe West blickt schuldbewusst über den Rand einer schwarzen Sonnenbrille, als wüsste sie, dass sie beobachtet wird. Keines der Fotos ist direkt belastend. Es sind nur unterschwellige Botschaften in ihnen verborgen. Es bedarf keiner großen Anstrengungen, um hinter all diesen Fotos eine Verschwörung zu wittern. Es ist offensichtlich, welche Überlegungen dieser Dealer bei seinem beziehungsweise ihrem Publikum auslösen will. Es gibt männliche wie weibliche Stalker.
»Was glaubst du, wer die Fotos gemacht hat?«, frage ich.
»Wenn ich das wüsste, hätte ich diese Person schon erwürgt und ihr Handy gestohlen«, knurrt Josie.
Ich betrachte das Foto von ihr noch ein paar Sekunden lang und konzentriere mich diesmal auf ihr Kleid.
»Moment mal.« Sofort bekomme ich einen trockenen Mund und befeuchte meine Lippen. »Das ist das Kleid, das du in der Nacht getragen hast, als …« Das hat sie anscheinend schon bemerkt, denn sie schluckt nur und nickt. Ich blättere weiter zurück und entdecke das Foto von Hugo mit der Blondine, die über seiner Schulter hängt. Ich erkenne nur einen Teil seines T-Shirt-Aufdrucks: »… im …ritt«.
»Fit im Schritt«, murmele ich und rufe mir noch einmal das T-Shirt vor Augen, das Hugo in jener Nacht getragen hat. Damals hatte ich behauptet, es sei die Vortäuschung falscher Tatsachen. Wenn ich mir dieses Bild anschaue, kann ich zu der Behauptung stehen. »Skrupellos« hätte als Schriftzug viel besser gepasst.
»Was ist denn?«, fragt Josie verwirrt.
»Nichts. Nicht so wichtig.« Es bringt nichts, wenn ich ihr alles erzähle. »Dieses Foto ist auch aus jener Nacht. Warum sollte jemand Fotos posten, die in der Nacht aufgenommen wurden, in der Nathaniel West ermordet wurde?« Als ich von meinem Handy aufblicke, wirft mir Josie auf dem Monitor einen vielsagenden Blick zu.
»Ich habe eine viel bessere Frage für dich«, sagt sie. »Wie viele Fotos existieren noch?«
Von der ganzen Paranoia hungrig geworden, reiße ich mich eine Stunde später endlich von der Fotosammlung los und begebe mich in die Küche. Eine Haftnotiz am Kühlschrank lässt mich innehalten.
Bin beim Friseur und um eins zurück!
Da habe ich das Haus für mich allein und vergeude meine Zeit damit nachzuverfolgen, womit irgendein Perversling seine Zeit verbringt.
Ich seufze, greife nach der Kühlschranktür und erstarre, als sich in der Edelstahloberfläche eine vertraute Gestalt spiegelt. Ich fahre herum und zwinkere ein paarmal, doch er verschwindet nicht, sondern lehnt noch immer im Türrahmen. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass er zu gut aussieht, um real zu sein, doch andererseits war das schon immer so. Sein wildes, kupferbraunes Haar ist länger als beim letzten Mal, als ich ihn sah. Er streicht es mit einer weichen, selbstsicheren Bewegung zurück, doch trotz des Lächelns, das seine Lippen umspielt, grüßt er mich nicht. Stattdessen stehen wir nur da und starren uns an. Spürt er, dass etwas zwischen uns steht? Als wir uns getrennt haben, war mit uns noch alles in Ordnung, soweit das überhaupt möglich ist, wenn der eigene Freund in Handschellen abgeführt wird. Doch inzwischen sind die Dinge etwas komplizierter geworden. »Es tut mir leid«, platzt es aus mir heraus. »Ich hätte dich besuchen sollen.«
Seine silbrig blauen Augen funkeln. Wortlos richtet er sich auf und kommt auf mich zu, er streckt den Arm aus, legt eine Hand an meine Wange, und ich schließe unwillkürlich die Augen. Das Kribbeln, das meinen Körper überläuft, wenn er mich berührt, hat in der Zwischenzeit nicht nachgelassen. Jameson West hat mich in seinen Bann geschlagen, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Während wir getrennt waren, hatte ich das infrage gestellt, aber jetzt weiß ich, dass ich ihm mit Haut und Haar verfallen bin.
»Lass das«, warnt er mich. Ich öffne die Augen und sehe ihn fragend an. »Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen.«
Ich will mich ihm entziehen, doch er umfasst mit der Hand mein Kinn.
»Ich hätte …«, fange ich an.
»Das will ich alles gar nicht wissen«, unterbricht er mich. »Als ich gehört habe, was passiert ist, bin ich durchgedreht. Geht es dir gut?« Er tritt zurück, nimmt meine Hand und betrachtet die frischen rosafarbenen Narben, die meine Haut verunstalten. »Dass ich nicht bei dir sein konnte, hat mich fast verrückt gemacht.«
War das bei mir vielleicht genauso? Hat das Getrenntsein von ihm verrückte Gedanken in mir ausgelöst? So muss es gewesen sein, denn hier, in seiner Gegenwart, kommen mir meine Zweifel plötzlich vollkommen idiotisch vor. Seine Berührung löscht sie aus, übrig bleibt nur die Gewissheit: Was auch immer in jener Nacht geschehen sein mag, in der sein Vater ermordet wurde – Jameson hat sich bestimmt nicht dessen schuldig gemacht, was man ihm vorwirft. Wenn ich in die Tiefen seiner blauen Augen schaue, sehe ich, dass er immer noch Geheimnisse hat – doch wer hat die nicht? Ich muss darauf vertrauen, dass er sie zu gegebener Zeit mit mir teilt. Wir müssen eine Million Dinge miteinander besprechen, doch jetzt, so nah bei ihm, dass ich die Wärme seines Körpers spüre, kommt mir das alles ganz und gar unwichtig vor.
»Hier wohnst du also, wenn du nicht zu Hause bist?«, fragt er und sieht sich in der kaum benutzten Gourmetküche um. Wahrscheinlich sind die meisten Küchengeräte noch in Plastikfolie verpackt.
»Hier ist eigentlich eher meine Mutter zu Hause. Mit Hollywood hat sie sich nie richtig anfreunden können. Es hat sie zu sehr an Vegas erinnert.« Ich frage mich unwillkürlich, wie er es hier findet. Das weitläufige Anwesen meines Stiefvaters erstreckt sich über die abwechslungsreiche Wüstenlandschaft bis zum Fuß der Berge. Jemand anders wäre vermutlich beeindruckt, doch Jamesons Familie besitzt ein Casino, ein Haus in den Bergen und Gott weiß was noch. Ich sollte mir wirklich einmal die Zeit nehmen und ihren Immobilienbesitz googeln.
»Ist sie gerade zu Hause?«
»Sie hat einen Termin in der Stadt«, antworte ich.
Daraufhin stößt er einen tiefen Seufzer aus. »Gott sei Dank.«
Mit einer einzigen schnellen Bewegung streicht er an meinem Oberkörper hinunter, verweilt kurz auf meiner Taille und lässt die Hände dann noch tiefer gleiten. Jameson hebt mich hoch, und unwillkürlich schlinge ich die Beine um seine Hüften. Er neigt den Kopf, hält jedoch inne, ganz knapp bevor unsere Lippen sich berühren. Ich kann schon seinen köstlichen Atem riechen.
»Wo ist dein Zimmer?«, raunt er.
Ich finde kaum Worte, so vielversprechend ist die Situation, in der ich mich plötzlich wiederfinde. Ich befeuchte meine Lippen, dann deute ich mit dem Kopf hinter mich. »Da, den Flur entlang.«
Mehr brauche ich ihm nicht zu sagen. Unsere Münder finden voller Leidenschaft zueinander, während er mich so selbstbewusst den Flur hinunterträgt, als würde er sich schon sein ganzes Leben hier aufhalten. Ich registriere kaum, wie er die Tür auftritt, bevor er mich auf meinem Bett ablegt.
»Ich hoffe, das ist das richtige Zimmer, Herzogin«, sagt er, »denn ich kann keine Sekunde länger warten.«
Ich kralle meine Hände in das vertraute gelbe Laken und nicke.
»Das ist mein Zimmer«, bestätige ich leise. »Und da hinten ist …«
Er zwinkert mir zu. »Den Rundgang können wir später machen.«
Mit großen Augen beobachte ich, wie er sich in den Nacken fasst und das T-Shirt über den Kopf zieht. Seine wundervollen Bauchmuskeln könnten glatt einen wissenschaftlichen Forschungsgegenstand abgeben. Perfekt gestaffelt und tief eingekerbt, laufen sie so zusammen, dass sie den oberen Teil eines spitzen V bilden, das sich vermutlich unter der Jeans fortsetzt, die verführerisch um seine Hüften hängt. Tausende kleiner Schmetterlinge flattern in meinem Bauch, als er sich mit quälender Langsamkeit über mich beugt.
»Ist das okay?«, fragt er. Ich nicke, weil ich meiner Stimme nicht vertraue. »Das sind tolle Neuigkeiten, denn ich male mir schon so lange aus, was ich mit diesem Körper alles anstellen werde.«
»Und was, wenn ich Nein gesagt hätte?«, necke ich ihn, als ich endlich meine Stimme wiedergefunden habe.
»Dann hätte ich andere Mittel finden müssen, um dich zu überzeugen.« Er streicht mit dem Zeigefinger über meine Unterlippe, dann an meinem Kinn hinunter, über meinen Hals und tiefer noch, bis er schließlich im Tal zwischen meinen Brüsten haltmacht.
»Glaubst du, es wäre so leicht, mich zu überzeugen?«, hauche ich, obwohl ich den Drang verspüre, zu keuchen und um mehr zu betteln.
»Bestimmt nicht, aber mir wäre es problemlos gelungen, und ich zeige dir liebend gern ganz genau, wie ich das angestellt hätte.«
»Ich habe doch schon Ja gesagt«, flüstere ich. Diesmal breitet sich das Lächeln über sein ganzes Gesicht aus. Ihm fällt eine Strähne ins Gesicht, und ich strecke die Hand aus, um sie zurückzustreichen.
»Das fühlt sich gut an, Herzogin«, stöhnt er, und ich streiche mit den Fingern durch seine Locken. »Ich habe so viel an dich gedacht. Dich tatsächlich zu spüren, ist, als würde ich aus einem schlimmen Traum erwachen.«
»Ich bin da«, flüstere ich in einem Ton, der noch viel mehr verspricht.
Er senkt seinen Körper weiter ab und bettet die schmale Taille zwischen meine gespreizten Beine. Ich kann den rauen Baumwollstoff seiner Jeans durch mein dünnes Bikiniunterteil spüren. Als ich tiefer rücken will, um herauszufinden, was ich sonst noch entdecken kann, schießen seine Hände vor und halten mich fest. Plötzlich bin ich in einem sehr erotischen Liegestütz gefangen.
»Ich habe mir fest vorgenommen, mir Zeit zu lassen, wenn ich dich einmal in dieser Position habe«, gesteht er. Er beugt sich vor und legt die Lippen auf meine Wange. »Darauf habe ich lange gewartet, Herzogin.«
»Und warum hörst du dann jetzt damit auf?« In mir erwacht ein unbezähmbares Verlangen, und ich versuche, mich aus dem Griff zu befreien, mit dem er mich an den Handgelenken festhält. Er lacht leise, dann lässt er mich los.
»Weil ich es nicht eilig habe. Du sollst Dinge spüren, die du noch nie zuvor gespürt hast. Ich werde den ganzen Abstand überbrücken, der sich in der Zwischenzeit zwischen uns aufgebaut hat, und wenn ich fertig bin, wird kein Zweifel mehr daran bestehen, dass du zu mir gehörst.« Er hebt den Kopf und blickt auf mich hinunter. »Wenn du nichts dagegen hast.«
»Ich glaube nicht.« Die Frage ist so überflüssig, dass ich leicht die Augen verdrehe. Mein Körper schreit schon die ganze Zeit Ja. Er braucht wirklich nicht mehr zu fragen.
»Wo soll ich anfangen? Bei deinen Lippen?«, überlegt er. Er streicht mit seinen Lippen über meine und lenkt meine Aufmerksamkeit zumindest kurzfristig nach oben.
Ich stöhne meine Zustimmung.
»Oder vielleicht hier.« Langsam wischt er mit dem Mund meinen Hals hinunter und verharrt unter meiner Kehle. Ich stöhne leise und kralle mich noch fester an das Laken. »Siehst du? Und dabei haben wir gerade erst angefangen.«
Ich muss mich total zusammenreißen, um nicht die Arme um seinen Nacken zu schlingen und ihn an mich zu ziehen. Ich weiß gar nicht, was mich davon abhält, außer vielleicht die Tatsache, dass ich immer noch Schuldgefühle habe, weil er im Gefängnis saß – vielleicht ist es aber auch nur Neugierde. Ich will wissen, was er mit mir anstellt, was er mir zeigen will – doch bevor es so weit kommt, höre ich die Haustür knallen.
»Mist!«, fluche ich, stoße ihn von mir, und er landet unsanft auf dem Boden. »Zieh dein T-Shirt an.«
Als er wieder auftaucht, gibt er sich keine Mühe zu verbergen, wie komisch er das alles findet. Er hebt das T-Shirt vom Boden auf und streift es sich über den Kopf.
»Emma?« Moms Stimme hallt durch den großen, offenen Eingangsbereich. Ich sehe Jameson an und mache mich auf einiges gefasst.
»Ich bin in meinem Zimmer«, rufe ich. Dann stehe ich auf, streiche die Bettdecke glatt und deute auf einen Schreibtischstuhl. Ich schnappe mir eine Jeans und ein Trägerhemd, um es mir über den Bikini zu streifen.
»Setz dich da hin«, zische ich leise. Er salutiert mit dem Zeigefinger, setzt sich prompt auf den ihm zugewiesenen Stuhl und nimmt eine unverfängliche Haltung ein.
»Emma, ich dachte, wir könnten …« Als sie in mein Zimmer kommt, verschlägt es ihr die Sprache. »Äh, hallo.«
Jameson nickt zur Begrüßung. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mrs. von Essen.«
Einen Moment bleibt sie wie angewurzelt stehen und betrachtet ihn, dann schüttelt sie den Kopf, als wolle sie sich aus ihrer Erstarrung lösen. Freundlich lächelnd sagt sie: »Vivian.«
»Vivian«, wiederholt er. Doch der Zauber, mit dem Jameson meine Mutter bezirzt, reicht nicht aus, um mich zu schützen. Sie wendet sich in meine Richtung und wirft mir einen fragenden Blick zu.
»Mom«, taste ich mich zögernd vor, um gleich hinterherzuschicken: »Das ist Jameson West.«
»Ah. Der berühmte Mister West.« Ihre Stimme klingt etwas gereizt. Sie pflegt zwar nicht dieselbe Feindseligkeit gegenüber den Wests wie ihr Exmann, mein Vater, doch sie heißt sie auch nicht gerade in der Familie willkommen.
»Ich fürchte, mein Ruf eilt mir voraus.« Er steht auf und streckt seine Hand vor.
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört«, bestätigt sie, als sie seine Hand schüttelt. Ich zucke zusammen. Wenn das wahr ist, dann hat sie es jedenfalls nicht von mir erfahren.
»Mom«, warne ich sie.
»Stimmt doch«, beharrt sie und zuckt mit den Schultern.
»Ja.« Jameson blickt rasch zu mir. »Ich glaube, Ihr Mann verhandelt gerade mit der Paramount wegen eines Films über meinen Vater.«
»Darüber weiß ich nicht allzu viel.« Das ist ganz offensichtlich gelogen, doch diese Sorte Lügen nehmen die meisten bereitwillig hin. Falls sie etwas darüber weiß, hat sie es jedenfalls von mir ferngehalten. Vermutlich, damit es ein friedlicher Sommer bleibt.
»Vielleicht sollte ich mich einmal näher mit ihm darüber unterhalten. Ich wüsste gern mehr über das Projekt.« Die Spannung im Raum ist inzwischen so aufgeladen, dass wir alle zu ersticken drohen, doch meine Mutter bleibt unbeirrt.
»Das würde ihn sicher freuen. Er hat eine ganze Menge Fragen zu dem, was passiert ist.«
»Haben wir die nicht alle?« Jameson legt den Kopf schräg. »Vielleicht kann er mir sagen, wie die Geschichte endet.«
Jetzt, da unsere Körper wieder voneinander getrennt sind, kann ich etwas klarer denken, was bedeutet, dass mir lauter Fragen durch den Kopf schießen. Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die immer noch versucht zu begreifen, was geschehen ist. Wenn Jameson es nicht weiß, weiß es das FBI auch nicht. Wie hatte er es dann geschafft, aus der Untersuchungshaft freizukommen?
»Ich wusste gar nicht, dass Sie zu Besuch kommen wollten.« Mom geht zum Bett und hebt ein Kissen auf, das auf den Boden gefallen ist. Ganz offenbar katalogisiert sie bei der Gelegenheit jede Falte in meinem Bettlaken, um sie später im Verhör gegen mich zu verwenden.
»Ich wollte Emma überraschen.«
»Und das ist dir gelungen«, schalte ich mich ein. »Wir könnten mal in die Stadt fahren, es gibt …«
»Bleiben Sie lange?«, unterbricht Mom mich. Irgendwie bin ich in ein Duell zwischen zwei Salonlöwen geraten. Wer schafft es, höflicher zum anderen zu sein und ihn gleichzeitig ausbluten zu lassen?
»Nur bis es mir gelungen ist, Emma zur Heimkehr zu überreden.«
»Und warum sollte sie nach Hause wollen?« Diesmal gibt meine Mutter sich keine Mühe, ihre Worte mit Zuckerguss zu überziehen.
»Weil sie dort hingehört.«
»Nach Belle Mère?«, fragt Mom.
»An meine Seite«, korrigiert Jameson.
Ich trete vor und quetsche mich zwischen die beiden.
»Ich zeige Jameson mal die Stadt.«
»Aber bring ihn zum Abendessen wieder zurück«, sagt sie, ohne den Blick von ihm loszureißen.
»Na klar.« Ich schnappe mir Jamesons Hand, ziehe ihn mit mir aus dem Zimmer und in Richtung Haustür.
»Deine Mutter ist …«