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In John Retcliffe's historischem Roman "GARIBALDI" tauchen wir ein in die turbulenten Ereignisse des 19. Jahrhunderts in Italien. Der Autor entführt uns in die Welt von Giuseppe Garibaldi, einem der bedeutendsten Helden des Risorgimento. Mit einem fesselnden literarischen Stil beschreibt Retcliffe Garibaldis Kämpfe für die Einheit Italiens und zeichnet ein lebhaftes Bild der politischen Intrigen und Machtkämpfe dieser Zeit. Durch die detailreiche Darstellung historischer Ereignisse und die Einbeziehung fiktiver Elemente gelingt es Retcliffe, den Leser in die Welt des 19. Jahrhunderts zu versetzen und die Spannung aufrechtzuerhalten.
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Seitenzahl: 360
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Books
»Möchte doch wirklich wissen, wohin das Boot verschwunden ist! – Dieser verdammte Nebel! – Zwei Stunden ist's schon wie von den Wellen verschluckt!«
Der PardoPardo nennt man in den La-Plata-Staaten einen Abkömmling von einem Weißen und einer Farbigen. legte die Rechte über die Augen und schaute von der Höhe der Klippe auf den hier acht Meilen breiten Rio de la Plata, den majestätischen Silberstrom hinunter; aber der sich zwischen den Küsten über den Wogen breitende milchige Dunst verbarg alles unter seiner undurchsichtigen Hülle.
Gleichmütig blieb der riesige Schwarze neben dem Mischling auf dem Felsboden liegen; er zuckte die Schulter, aber er antwortete nicht.
»Santa Virgen!« knurrte der Pardo und ließ nun seinen Blick über das im Sonnenschein liegende Land streifen. »Die Burschen müssen zu den verfluchten Ketzern, den Unidados, gehören. Sonst würden sie ein Zeichen gegeben haben, um die Schiffe zu finden. – Was meinst du denn dazu? Öffne endlich einmal deine Zähne, La-Muerte!«
La-Muerte wandte sich gemächlich auf die Seite; er betrachtete gähnend die acht Mastspitzen, die, etwa eine Seemeile entfernt, mit ihren schlaff herabhängenden Rotwimpeln aus dem Nebel hervorstachen.
»Lieben Massa Manuels so sehr die Libertados?« entgegnete er nach einer Weile. »Ich nicht wissen, daß sie besser sein, aber viel weniger tapfer.«
Manuelo schoß einen bösen Blick aus seinen gelblichen Augen.
»Zum Teufel mit ihnen! Ich liebe weder die Föderalisten noch die Unitarier – sie sind einem ehrlichen Mann überall im Weg!«
Grinsend fletschte La-Muerte die spitzgefeilten, starken Zähne. Er wies mit dem Daumen über die Schulter zur Ebene hin, auf der sich aus dem Schatten schlanker Bäume an mehreren Stellen Rauchsäulen in die klare Luft kräuselten.
Die Luft flimmerte in den glühenden Strahlen der Aprilsonne des Jahres 1842; das bewegliche Dunstmeer, das die glänzende Fläche des Wassers seit zwei Stunden bedeckte, warf sie zitternd zurück. Keine Wolke zog am durchsichtigen Himmel; der alles Leben erschlaffende Feuerball senkte sich blutrot zum Horizont.
Die in der Nähe des Wendekreises um das Ende der heißen Jahreszeit häufigem und oft plötzlichem Wechsel unterworfenen, manchmal aber auch tagelang währenden Nebel sind für den Schiffer sehr gefährlich. Er fürchtet sie, denn es ist unmöglich, in ihnen auf Kabellänge in die Runde zu schauen; das an vielen Stellen felsige Ufer und die zahlreichen Untiefen machen jeden Landungsversuch fast unmöglich.
Der grollende Ton der Brandung drang aus dem Nebel herauf zur Klippe.
Auf der andern Seite, nach Süden, Westen und Osten, dehnte sich das flache Hügelgelände, das gleich hinter dem Dünengürtel der Küste in üppiger Fülle prangte. Dahinter erstreckte sich ein leichter Höhenzug nach Süden zu über den Rio Salada und Rio Flores bis zur Sierra del Volcani, jenseits deren das gefürchtete Pays del Diabo, das Land des Teufels, liegt. Nach West und Südwest schien sich der Horizont gleich dem Meer im Osten zu unendlicher Fläche zu dehnen; keine Höhe, kein Wald, fast kein Baum unterbrach sie. Dort hinaus lagen die Pampas, durch die einsam der Hirt mit seinen wilden Herden zieht, der Jäger den Büffel verfolgt oder der Indianer auf Beute schweift.
Vereinzelte Gruppen von Korkeichen und Feigenbäumen zogen sich vom Fuß der mit Fächerkakteen bedeckten Felsen zu den höchstens zwei Leguas entfernten Hügelanfängen; von ihren Höhen leuchteten die weißen Mauern einer Quinta im Strahl der Abendsonne.
An den Steinen neben den Männern lehnten Fanggeräte, ein starker Fischspeer, Wurfnetze und Körbe. Der Nebel hatte sie überrascht; nun warteten sie den Eintritt der Nacht ab, mit dem gewöhnlich der Wind vom Land zur See hin wechselt.
La-Muerte war herkulisch gebaut und etwa achtunddreißig Jahr alt. Er war ein Sohn jener schwarzen Stämme des innern Afrikas, die hin und wieder als Sklaven nach den Küstenländern geschleppt und dort, trotz aller geschäftsklugen Menschlichkeit der englischen Kreuzerkommandanten, als >Ebenholz< nach Amerika verkauft wurden. Eine über vier Meter lange Lanze von im Feuer gehärtetem Holz, mit einer scharfen Stahlspitze und einem Busch bunter Papageifedern versehen, lag dem schwarzen Riesen zur Seite.
Manuelo, etwa sechsundzwanzig Jahre alt, war unter Mittelgröße und hager. Das faltenreiche Gesicht ließ ihn älter erscheinen; die aufgeworfenen Lippen deuteten auf Sinnengier und Grausamkeit, um die Nasenflügel und die Augenwinkel lag ein Zug lauernder Schlauheit und Habsucht.
In seiner mit Goldtressen und Stickereien überladenen Kleidung sprach sich die ganze Eitelkeit des Mischblutes aus. Eine Jacke von grünem Samt mit zahllosen Knöpfen von Silber hing zusammengeknotet um seinen Hals. Die Calzoneras, die Beinkleider, waren an den Seiten offen und mit farbigen Schleifen gebunden; sie zeigten Unterkleider von hellgelber Seide und reichten nur bis über das Knie. Das Bein war vom Knie ab durch rindslederne Gamaschen geschützt, an die durch Riemen der sandalenartige Schuh befestigt war. Ein langes Messer mit Horngriff stak in den Riemen der Gamaschen; ein ähnliches, mit schwerem Metallgriff, eine gefährliche Wurfwaffe in geübter Hand, hing in dem Schalnetz, das den Gürtel bildete und das weite Hemd zusammenhielt. Eine Kapsel an dicker goldener Halskette umschloß ein Amulett.
Die Augen des Pardos folgten dem Wink des Negers.
»Was heißt das, Muerte? – Hab' keine Lust, Rätsel zu raten!«
Langsam vergrub der Schwarze eine Faust in die Taschen der hellgestreiften, baumwollenen, kurzen Hosen, während die andere Hand mit seiner seltsamen Halsschnur von Tier- und Menschenzähnen, Korallenstücken und Glasperlen spielte.
»Nicht sein Rätsel für Massa Manuelo. Da hinten sein Oberst Adeodato. Beu Jesus, ein schöner Mann! Haben Zauber in seinen Augen für die Weiber!«
»Den Teufel hat er! Er ist ein Feigling, sonst würde er mit seinen Gauchos nicht müßig hier herumlungern, statt drüben überm Fluß die Apostolikos zu schlagen!«
»General Rosas hat ihm die Hand der Senora versprochen.«
»Möge ihm das Schicksal Quirogas dafür werden! AniellaIn Aniella hat Retcliffe mit dichterischer, oft allzu großer Freiheit die Geschichte Anitas, der Gattin Garibaldis, gezeichnet. ist ein freies Mädchen – – der General hat kein Recht, über sie zu bestimmen! Ihre Besitzungen liegen jenseits des Stromes so gut wie hier. Ich allein bin ihr rechtmäßiger Vormund – sie hat keinen nähern Verwandten!«
La-Muerte blies verächtlich über die Handfläche.
»Was sein Massa Manuelo Verwandt? Ich nichts wissen davon. La-Muerte müssen dies wissen, weil er zwanzig Jahre in Haus seines Herm, und hab' die Senorita geboren sehn.
Hier, La-Muerte selber« – er schlug kräftig auf seine breite Brust – »sein Vormund von Senorita. Alte Vadder haben ihm Senorita übergeben. Beu Jesus!«
Manuele rückte näher.
»Du vergißt, Freund, ich bin der Pate des alten Herrn, also so gut wie sein Sohn. Überdies ist Senorita Aniella meine Milchschwester.«
»Puh! – Es sein ein wenig schwarzes Blut in Milch von diese Kind, aber viel schwarzes Blut in Adern von Massa Manuelo. Warum sein Massa hergekommen über den Strom?«
»Hör' mich an, La-Muerte«, sagte der Pardo. »Ich habe dich an diesen Ort begleitet, um offen und unbelauscht mit dir zu reden. Du weißt, daß Senor Crousa mir früher wohlwollte. Er hätte mir sicherlich die Hand Aniellas nicht verweigert, wenn er noch gelebt – denn, par Dios, ich bin auf dem besten Weg, mein Glück zu machen.«
»Sein Senor Manuelo ein Haziendero geworden? Haben Massa Manuelo viele Pferde und Rinder wie die Senora, und Diener und Häuser? Massa sein geworden armer Goldsucher und die Senorita sein vornehme Dame.«
»Ich habe Besseres als deine Pferde und Rinder, ja selbst als dein Gold. Ich bin kein armer Gambusino mehr. Sieh meine Kleidung an – ich bin reich und werde bald ganz unermeßlich reich sein! Aber ich muß Aniella besitzen.«
»Haben Massa Manuelo den Reichtum gestohlen?«
Manuelo stieß einen abscheulichen Fluch aus. Seine Hand fuhr ans Messer.
»Doch was erzürn' ich mich über deine Worte! Du kannst es nicht wissen. Wenn du mir schwören willst, das Geheimnis zu bewahren, will ich es dir verraten. Ich weiß, man kann dir trauen.«
Der Schwarze hatte sich aufgerichtet.
»Beum Schäddel meines Vadders im Sand der Wüste – dieser Mund soll niemals davon reden.«
»Gut! – Ich war im Diamantenbezirk!«
La-Muerte schüttelte ungläubig den Kopf.
»La-Muertes Haar werden grau – La-Muerte haben es viele Malen versucht, weil er lieben die glänzenden Stein über sein Leben!«
Manuelo sah sich mißtrauisch um. Dann holte er ein Säckchen von Wildleder hervor, das er an einer starken Schnur an der Brust verborgen trug. Er legte es auf den Poncho, öffnete es bedächtig und zeigte dem weit vorgebeugten Schwarzen den Inhalt – etwa zwanzig kleinere und zehn größere Steine, darunter einer von der Größe einer Haselnuß. Das schräg darauffallende Sonnenlicht rief tausend farbige Strahlen wach, die gleich Blitzen aus diesen eckigen, ungeschliffenen, teilweise noch von brauner Quarzhülle bedeckten Kristallen kamen.
»Wo, Señor Manuelo, wo finden die Diamanten?«
»Mein Geheimnis, Muerte. Die heilige Jungfrau hat es mir gegeben; es hat mich Anstrengung, List und Leiden genug gekostet. Caramba! Du begreifst, wo dies war, ist mehr! Der Gambusino Manuelo ist reich genug für Aniella Crousa, die Haziendera.«
»Ihr sein reich, reich, wie der böse Geist – aber Ihr sein kein Cavaliero!«
»Wer reich ist, ist alles. Damit kann ich mir drüben in der alten Welt eine Fürstenkrone kaufen. Siehst du diesen Diamanten?«
Er hob einen der größten Steine zwischen zwei Fingern in die Höhe und ließ seinen Bruch funkeln.
»Ich sehen, Massa!«
»Er soll dein sein, wenn du tust, was ich dir sage. Mehr soll dein sein – zehn solche Steine! – wenn Aniella mein Weib wird!«
1 Viereckiges Tuch, das in der Mitte eine Öffnung zum Durchstecken des Kopfes hat; einfachste Art eines Mantels, der über Rücken und Brust herabfällt.
Der Neger zitterte. In seinem Innern schien ein gewaltiger Kampf zu toben. Gebannt blickte er gierig auf den unermeßlichen Schatz, der doch im Grunde nicht viel besser für ihn war als bunter Spieltand.
Endlich legte er die Hand auf den Arm des Mischlings.
»Tun weg die steinernen Sonnen, Señor Manuelo. Teufel kommen in die Seele. Armer La-Muerte sein treuer Hausmeister von Señorita. Haben geschworen, als alter Massa Crousa sterben, zu beschützen sein Kind, wie ein Vadder, und ihr zu gehorchen.«
»Du hältst deinen Schwur schlecht, Freund! Dieser Hund von Oribe hat euch ohne viel Federlesens von der schönen Villa de la noches entretenidas hierher über den La Plata gebracht und will deine Aniella mit einem seiner Günstlinge verheiraten. In drei Tagen soll die Hochzeit sein, und du leidest das, ohne deine langen Arme zu rühren!«
»Was sollen tun armer schwarzer Mann, wenn Señorita nicht sagen: ›Nein!‹«
»Sie liebt ihn?«
»Aniella sein ein Kind, schön, wild, jung, wie die Antilope von der Sierra. Ich nicht wissen, was Liebe sein. Oberst Gondra sein ein Cavaliero von gut Blut und ein schöner Mann. Señorita Aniella ihn nehmen wie einen andern. Sehr gleichgültig - pah!« Er blies in die Luft, als sei die Heirat eine Sache, die ihn so wenig wie seine Herrin etwas anginge. »Wenn die Señorita lieben und zu La-Muerte sagen: ›Das sein mein Mann, den heiraten‹ - beu dem Schäddel meines Vadders, das sein ein ander Ding! Wofür haben La-Muerte seinen Arm und seine Lanze? Keun andrer Mann sie heiraten.«
»Also gleichgültig ist sie gegen diese Heirat - um so besser! Dann wird sie meine Bewerbung nicht zurückweisen, wenn dieser verfluchte Gaucho aus dem Weg geschafft ist und ich ihr gleichstehe. Dazu, Freund Muerte, mußt du mir helfen. Es handelt sich darum, Aniella von diesem Ufer zu entfernen und nach Montevideo zurückzubringen. Deshalb bin ich ihr hierher gefolgt. Mein Gold wird uns den Schutz des Präsidenten sichern und - dieser Krieg muß ein Ende nehmen - die englischen und französischen Kaufleute in Montevideo sprechen viel davon.«
»Wenn Aniella sagen: 'Ja', so sein La-Muerte einverstanden und werden töten mit diese Speer den Espagnol.«
»Das würde uns nichts nützen, Freund. Seine Gauchos würden über uns herfallen und uns alle ermorden. Die Küste ist von ihren Schiffen bewacht und eine Flucht unmöglich.«
»Was tun? Kopf sein zu schwer!«
»Weißt du, wo sich Kommodore José mit seinen Schiffen jetzt aufhält? Du mußt oft Nachrichten von den Offizieren in der Villa hören.«
»Dieser Diabo sein bald hier, sein bald da! Ein Teufel. Er verdienen ein Nigger zu sein, so tapfer. Ich hören sagen gestern, diese Schiffe ihn wollen aufsuchen morgen und fangen in einer Bucht am Uruguay.«
»Du hast recht - er soll ein Teufel sein! Und diese Männer von drüben brennen auf das Gold. Wenn er uns helfen wollte, sollten mich alle Gauchos der Welt nicht hindern, Aniella zu entführen. Aber wo finden wir ihn? Kennst du ein Mittel, mich nach der BandaBanda Oriental, der alte Name der Provinz Uruguay unter der brasilianischen Herrschaft. zurückzuschaffen?«
»Die Churros haben genommen jedes Boot an der Küste! Nicht so viel, auf zehn Leguas zu fangen einen Fisch.«
Er wies unwillig auf die nutzlosen Fischgeräte.
»Aber das Boot, das wir vorhin sahen?«
»Gehören zu diese Schiff' ohn' Zweifel. - Beu Jesus, da können es sehen, das Wasser werden klar! - Aber was sein das?«
Der dumpfe Schall eines Kanonenschusses rollte aus den Nebelschichten herauf, die plötzlich, wie von einer Zauberhand gefegt, zurückzurollen begannen. Sie drängten sich teils in die hohen, unzugänglichen Uferschluchten, teils lösten sie sich schnell auf. Die wogenden Massen ballten sich zusammen, während dazwischen in langen breiten Streifen die schiefen Strahlen der Abendsonne die Fläche des Stroms erhellten und weite Fernsichten über den blauen Spiegel eröffneten.
In dem offenen Raum zeigten sich vier ankernde Kriegsschiffe des Geschwaders von Buenos Aires: eine Brigg, ein Schoner und eine Goelette; das vierte lag weiter zurück, seine Wimpel waren über der Nebelmasse nicht mehr erkennbar.
Zwischen der Goelette, der Brigg und dem Schoner ruderte auf offenem Wasser das Boot, das die beiden von der hohen Klippe aus vor Eintritt des Nebels auf dem Strom beobachtet hatten.
Offenbar war auf einem der Kriegsschiffe das Boot gesichtet und durch den Schuß den anderen signalisiert worden. Statt beizulegen, hatte das Boot aber gewendet und suchte wieder die Flußhöhe zu gewinnen.
So kühn und geschickt auch das Manöver war – es kam fünf Minuten zu spät. Die Bramsegel des Schoners, der von den dreien am weitesten draußen lag, flatterten schon in die Höhe; sie blähten sich in dem leichten Wind, der die Nebel stromabwärts trieb; zwanzig Hände schütteten die Klüversegel aus, andere kappten das Ankertau und versahen es mit einer Boje. Ehe das Boot noch die Hälfte der nötigen Strecke durchquert hatte, durchschnitt der Schoner die Wellen und versperrte den Rückweg.
Auf den drei Kriegsschiffen wechselten die Signale; die Goelette hatte Zeit gewonnen, ihren Anker zu heben.
Mit dem ersten Blick auf die Bewegungen der Schiffe hatten Manuelo und La-Muerte als Bewohner der Küste erkannt, daß es sich um eine Verfolgung handelte und daß das Boot nicht zu den ankernden Schiffen gehörte, wie sie geglaubt.
»Valga me Dios!« rief der Pardo und raffte eilig seine Diamanten zusammen. »Das ist, was wir brauchen! Wenn diese Hunde von Argentiniern sie nur nicht vorher in den Grund bohren!«
In der Tat: mit einer unerhörten Tollkühnheit rollte am Stern des Bootes an der kleinen Stange eine Flagge herausfordernd empor – es waren die grünen und blauen Streifen mit dem Stierkopf von Uruguay. Der Mann am Steuer stand jetzt aufrecht; man sah, daß er auf dem kleinen Fahrzeug den Befehl führte. Die Barke war außer ihm mit zwölf Leuten bemannt; da von einem Verbergen nicht mehr die Rede sein konnte, war die Mannschaft eifrig dabei, einen Mast einzusetzen und ein Segel zu hissen.
Die Entfernung des Bootes von den Kriegsschiffen betrug zwei Kanonenschußweiten; trotzdem wurde die Herausforderung der feindlichen Flagge von allen drei Schiffen mit mehreren Kanonenschüssen begrüßt, die freilich nichts waren als Pulververschwendung.
Bald nachdem sich die sogenannten La-Plata-Staaten im Jahre 1810 von der spanischen Herrschaft losgerissen und als unabhängige, verbundene Republiken erklärt hatten, deren mächtigste Buenos Aires war, brach in ihrem Innern selber ein langjähriger, mit der größten Grausamkeit geführter Bürgerkrieg los: der Kampf der Föderalisten gegen die Unitarier. Anfangs verstand man unter Unitariern oder Apostolikos die Partei, die verlangte, daß alle Staaten eine gemeinschaftliche Regierung in Buenos Aires besitzen sollten, von der die Statthalter der übrigen Provinzen eingesetzt werden müßten; unter den Föderalisten oder Liberalen die Anhänger einer Republik nach nordamerikanischem Muster, in der jeder Staat seinen eigenen Statthalter wählen und seine inneren Angelegenheiten selber leiten sollte. Bald aber verwischten sich diese Grundsätze, und die beiden Namen bezeichneten nur noch die sich bekämpfenden Parteien des Diktators Rosas und seiner Gegner.
Der wildeste Fanatismus, die tollste Blutgier gaben diesen Bürgerkriegen ein schauerliches Gepräge. Erst 1852, mit der Flucht des Diktators Rosas nach London, endeten sie. Namen wie Paez, Artigas, Quiroga, Oribe und Rosas werden in der Geschichte der Menschheit blutige Flecken bleiben.
Ein Hauptschauplatz dieser Metzeleien war die 1817 zu Brasilien gekommene Banda Oriental, die sich 1825 als cisplatinischer Volksstaat begründete und jetzt den Namen Uruguay führt. Der wachsende Wohlstand ihrer Hauptstadt Montevideo reizte die Habsucht Rosas, der seit 1831 Diktator von Buenos Aires war. Er versuchte, nachdem 1829 eines seiner Werkzeuge, General Oribe, als Präsident von Uruguay gestürzt worden war, diesen mit Waffengewalt an die Stelle des neuerwählten Präsidenten Fructuosa Ribera wieder einzusetzen.
Dieser Kampf wurde mit wechselndem Glück zur See und zu Lande geführt. Zweimal fand er eine Unterbrechung durch die Einmischung und die Blockade der französischen und englischen Flotten und dauerte bis zum Jahre 1851.
Gegen Rosas und seine Helfer, Oribe, Aldao, Pacheco und Urquiza, also gegen die sogenannten Föderalisten, kämpften auf der Seite Montevideos und der vereinigten Unitarier außer Lavalle, der auf der Flucht nach der Niederlage bei Monte Grande im September 1841 umgekommen, noch die Generale de la Madrid, Acha, Paz, Lopez, die Obersten Nuñez, Silveira und Battle, die Gebrüder Madariaga und der Kommodore Giuseppe Garibaldi.
Im April 1842 stand Rosas auf der Höhe seiner Macht. Das Glück hatte ihn abermals begünstigt, nachdem kurz vorher eine Anstrengung der Unitaristen ihn gefährlich bedrohte. Die Provinz Entre Rios hatte sich gegen die Föderation erhoben, Ribera den Statthalter Echaguë vertrieben; Paz war von Corrientes herbeigeeilt, um sich mit ihm zu vereinigen. Der Statthalter von Santa Fé, Lopez Mascarilla, erklärte sich für die Unitarier und belegte einen großen für Oribe bestimmten Zug Pferde mit Beschlag. Der Schreck war unter den Föderalisten in Buenos Aires allgemein, und die dortigen Unitarier wagten – zu ihrem Unglück – wieder ihr Haupt zu erheben. Eine neue Mannschaft wurde ausgehoben und unter den Befehl des Generals Aldao gestellt, der, ehemals Mönch, ein Freund des ermordeten Quiroga war. Wäre General Lopez als der nächste damals sogleich gegen die Stadt gerückt, so würde sie sicherlich in seine Gewalt gefallen sein. Aber Ribera und Paz gerieten in Zänkereien, und während dieser Zeit kam Oribe von Tucuman dem Diktator zu Hilfe. Lopez flüchtete aus Santa Fé, in dessen Hauptstadt Oribe ein Blutbad anrichtete. Entre Rios erklärte sich wieder für die Föderation, und General Paz mußte sich nach Corrientes zurückziehen. –
Die Goelette glitt mit geblähten Segeln nach der Mündung des Stromes, die Brigg lag ruhig vor Anker auf der entgegengesetzten Seite, so nahe dem Land, daß die Verfolgten zwischen ihr und dem Ufer unmöglich entweichen konnten. Die Rückkehr nach dem Ufer von Uruguay hinderte der Schoner, und zwischen diesem und der Brigg lag in der fernen Nebelbank das vierte Schiff des Geschwaders.
Wie eine Arena dehnte sich die Wasserfläche auf eine Strecke von vielleicht einer Meile Breite frei innerhalb der Nebelmauern.
Unter dem Hauch der auffrischenden Brise kam die Goelette ziemlich rasch heran.
Das Boot schoß kühn auf den ihm entgegentreibenden Schoner zu.
Ein Blitz erhellte den dunkeln Schiffsrumpf, eine Wolke kräuselte empor – und man sah die Kugel des langen Neunpfünders vom Vorderkastell des Schoners über die Wasserfläche flitzen.
Der Bootssteuermann hielt ein kurzes Glas am Auge. Er hatte die Gefahr wohl erkannt und zur rechten Zeit gewendet; die Kugel flog weit backbord ab. Dreimal wiederholte sich dies Spiel; immer näher kam das Boot. Aber durch das wiederholte Wenden war es gezwungen worden, allzusehr steuerbord abzuweichen, und der Führer schien die Unmöglichkeit einzusehen, die Lücke zwischen Schoner und Goelette jetzt noch zu erzwingen.
Das kleine Fahrzeug hielt plötzlich an; das Segel wurde umgeschwenkt; das Boot schoß nach der Mitte des sich immer mehr verengenden Raumes zurück.
Schuß auf Schuß donnerte aus den langen Vorderdeckgeschützen der drei Schiffe; es gehörte große Geschicklichkeit dazu, durch fortwährendes Abfallen den immer gefährlicher werdenden Geschossen kein sicheres Ziel zu bieten.
In diesem Augenblick wurde die Aufmerksamkeit des Pardos und des Schwarzen von dem fesselnden Schauspiel durch ein näher kommendes Schnauben und den Hufschlag eines Pferdes abgelenkt.
Manuelo wandte sich um.
»Bei Gott!« rief er. »Es ist die Herrin! Gott schütze ihren Hals! – Der wildeste Gaucho würde sein Tier nicht so hetzen!«
La-Muerte grinste vor Freude und klatschte auf seine derben Schenkel.
»filhinha!«
Die Warnung verhallte im Getöse der Schüsse und fand wenig Beachtung. Die kecke Reiterin galoppierte auf ihrem kleinen indianischen Pferd den schmalen Felsensteig hinauf und war mit einem Satz auf der Felshöhe. Ein zweiter brachte das Tier bis dicht an den Rand des Abgrundes; aber seine Dressur war so vortrefflich, die Hand der Reiterin so fest und sicher, daß es nur einer leichten Bewegung des dünnen, aus Riemchen zierlich geflochtenen Zügels bedurfte, um das erhitzte Tier sofort zum Stehen zu bringen.
»Logo, logo pai negro – was gibt's hier? Was machen die Republikanos für einen Höllenlärm? Ich hoffe, es ist eine neue Höflichkeit der Capitanos mir zu Ehren!«
»Blutiger Ernst, Aniella!« antwortete Manuelo. »Sieh selber; ihre Schiffe haben eine armselige Barke unserer Landsleute aufgebracht!«
»Ah, du bist da, collaço!« Sie reichte ihm die Hand. »Es ist nicht hübsch von dir, daß du mich allein läßt unter all den Cavalieros, während mein Verlobter nicht im Hause ist. Ich suchte dich und sattelte mein Pferd, während die Señors beim Spiel sitzen.«
Sie lehnte sich weit über den Hals des Pferdes und überflog das Schauspiel zu ihren Füßen mit großen Augen.
Aniella Crousa war die einzige Tochter eines vornehmen portugiesischen Offiziers, der 1817 bei der Besitzergreifung Uruguays dorthin gekommen war und bedeutenden Landsitz an beiden Ufern des La Platas erworben hatte. Ihr offenes Gesicht mit der gebräunten, durchsichtig klaren Haut der Kreolin verriet bedeutende Willenskraft; die blauen Augen, eine seltene Schönheit unter diesem Himmelsstrich, strahlten klug und lebendig in die Weite.
Mit einem Sprung war sie aus dem Sattel. Der weißseidene, silberbestickte Rock reichte bis zur Hälfte der Waden, über dem in landesüblicher Freiheit weit, fast bis zum Gürtel über der bloßen Brust ausgeschnittenen weißseidenen Leibchen trug das achtzehnjährige Mädchen ein kurzärmeliges offenes Jäckchen von schwarzem Sammet. Eine Schärpe in der roten Farbe der Föderalisten, zu denen ihr Verlobter gehörte, umschloß die schlanken Hüften und ließ die befransten Enden weithin im Luftzug flattern. Über den spanischen Schnürstiefeln umhüllten hoch hinauf rote Gamaschenstrümpfe die Beine.
Einen seltsamen Schmuck trug die schöne Kreolin auf der Haarkrone vor dem mit Granaten ausgelegten Schildpattkamm: einen lebenden Kolibri. Das Tierchen, nicht größer als ein Daumenglied, war eines der gezähmten Vögelchen, die von den vornehmen Damen in Montevideo und Buenos Aires selbst in Gesellschaft mit herumgetragen wurden, obgleich es sehr schwer war, die kleinen fliegenden Edelsteine zu gewöhnen. Der Kolibri, mit rotfunkelnder Brust und smaragdnem Gefieder, saß auf dem schwarzen Haar und begleitete flügelschlagend jede Bewegung seiner Herrin.
»Santa virgen! Beschütze die armen Menschen!« flüsterte sie atemlos, als der Pardo ihr mit schnellen Worten die Lage erklärte. »Es sind unsere Landsleute – ich möchte viel darum geben, wenn wir ihnen zu helfen vermöchten!«
»Laß das Señor Adeodato nicht hören, mana,« spöttelte Manuelo. »Er möchte es dir übel gedenken, daß du die Blauen in Schutz nimmst, während die Farbe deiner Charpa rot ist. Aber bei Gott, es sind kühne Gesellen – da versuchen sie aufs neue an der Goelette vorüberzukommen!«
»Ihre Kugeln werden sie in den Grund bohren! – Barmherziger Heiland, beschütze sie!«
Sie legte die Hand über die Augen und verfolgte die gefährliche Szene.
»Poltaros!« fluchte der Neger. »Sie tun fort die Flagge – sie ergeben gefangen!«
In der Tat – das Bootssegel sank; die Barke steuerte auf das Bugspriet der Goelette zu, die Flagge von Montevideo flatterte nieder. Ein Triumphgeschrei auf dem Deck und im Takelwerk des Kriegsschiffs antwortete. Die Goelette drehte den Bug gegen die Höhe des Stroms und traf Anstalten, die Prise in Empfang zu nehmen.
Langsam trieb das Boot auf sie zu, die Ruder eingezogen; der Mann am Steuer stand aufrecht, die Linke lässig auf der Pinne des Steuerruders.
Die Sonne war schon untergegangen; Nebel und Abendschatten erschwerten es den Zuschauern auf dem Felsen, den Vorgängen auf dem Wasser zu folgen.
Wie absichtslos war das Boot am Fallreep vorbei nach dem Heck des Kriegsschiffs getrieben und legte an der Schanze an. Die Offiziere und Matrosen lugten über das Bollwerk herunter, riefen ihnen zu, heraufzukommen, und warfen ihnen ein Tau zu. Der Mann am Steuer fing es auf und zog sich dicht an die Schiffswand. Dadurch geriet die Barke vollkommen außer den Bereich der Kanonen. Im nächsten Augenblick hörte man bis auf die Höhe der Klippe den mächtigen Ruf einer klangvollen Stimme.
»Fuego!«
Eine Salve von dreizehn Pistolenschüssen knallte über die Wasserfläche.
Ein kräftiger Fußstoß des Steuernden trieb das Boot vom Schiff ab und bis unter dessen Stern. Gleichmäßig tauchten die zwölf Ruder ein – die Barke schoß dem Ufer zu, ehe die Föderalisten sich von ihrer Überraschung erholen und das Schiff zu einer Breitseite wenden konnten. Kühn stieß sie in die Nebelbank am Zugang der Kluft, auf deren überragender Felsplatte die Señora mit ihren Gefährten stand.
»Großer Gott – sie wagen sich wirklich in den Höllenschlund! Sie werden an der Brandung der Barre zerschellen – sie sind verloren!« rief Aniella Crousa. »Kein Ausgang gibt aus dieser Bucht ihnen Aussicht zur Flucht!«
»Narren,« grinste La-Muerte, »wenn nicht ersaufen in Brandung, werden umkommen in diese PamperosPamperos, ein Gewittersturm mit wolkenbruchartigem Regen, der auf dem La Plata wegen der ungeheuren Schnelligkeit, mit der er auftritt, gefürchtet ist., was kommen. Filinha müssen kehren eilig nach Hause!«
»Nein«, sagte das Mädchen entschlossen. »Was kümmert mich der Pamperos? Ich will das Schicksal der mutigen Männer erfahren!«
Indes schienen die untrüglichen Anzeichen des drohenden Unwetters zum Vorteil der Verfolgten zu dienen. Die Segel der Goelette wurden eingezogen, man hörte das Rasseln der Ankerketten, wie sie durch die Klüsen sausten, das Schiff drehte und legte sich in der Entfernung von etwa fünfzehn Knoten vor die Schlucht, in die sich die Barke geflüchtet hatte. Dort war es bei dem morastigen, tonigen Ankergrund sicher vor den Gefahren des herannahenden Sturmes und dem Wüten der Brandung, die an dem Felsen und der die Bucht sperrenden BarreBezeichnung für Sand- oder Schlammbänke, die den Eingang zu Flußmündungen oder Buchten versperren und der Schiffahrt sehr gefährlich werden können. tobte. Seine Kanonen beherrschten zugleich den einzigen Ausgang und schnitten den Flüchtlingen jeden Ausweg ab.
Jetzt wurde ein Boot von der Goelette niedergelassen und bemannt.
»Sie wollen ihnen folgen – sie wollen sie angreifen in diesem Höllenschlund«, sagte Aniella und griff nach der Büchse, die sie am Riemen auf dem Rücken trug. »Wir müssen ihnen helfen!«
»Was denkst du? Diese Schufte von Liberalos wissen, was ihr Leben wert ist, und werden sich nicht in diese Gefahr begeben! Überdies sind ihrer zu wenig in dem Boot; sie rudern zum Landungsplatz; sie wollen die Gauchos aufbieten, um sie vom Land abzusperren! Ich wundere mich überhaupt, daß ihre Schüsse die villaos noch nicht herbeigeführt haben. Sie könnten sich die Mühe sparen – es führt kein Ausweg aus der Bucht über die platten Felsen, und sie haben ihre Leichen sicher genug!«
»Por Deos! Wenn es nur das wäre!« Aniellas Blick suchte die Augen La-Muertes. »Von den Gauchos haben sie wenig zu fürchten; der Oberst ist in Buenos Aires, und die Offiziere sind in der Villa. Sie wissen so gut wie wir, daß der Pamperos nahe ist. – Aber beug' dich über den Felsrand, Muerte, und sieh zu, ob du die Fremden erspähen kannst!«
Der Schwarze umschlang mit seiner Rechten einen vorragenden Stein und reckte sich weit über den Felsen hinaus.
Die Brise war schärfer und schärfer geworden, hatte die Nebel gehoben und ballte sie zu Wolken, die den Himmel verfinsterten. Der Gipfel der Klippe war jetzt vom Dunst eingehüllt, während die Wasserfläche frei sich ausdehnte.
»Was siehst du?«
»Beu den Gebeunen meines Vadders, Kind! Ich sehen ein schwarzes Ding da unten im Schlund – es bewegen sich – es sein Männer – sie gerettet aus Teufelswasser!«
»Ruf' ihnen zu! Sag' ihnen, daß Freunde hier oben sind!«
Der Neger brüllte durch die hohle Linke.
»Gente de Paz! – Vivan Apostolicos!«
Nichts als das Brausen der Brandung antwortete. Endlich drang aus der Tiefe vernehmlich eine kräftige Stimme.
»Wenn ihr wirklich Unidados seid, so sagt uns, wo der Feind steht, und was er beginnt!«
La-Muerte erwiderte, daß die Goelette den Ausgang der Bucht sperre und ein Boot abgesandt habe, um die Gauchos auf die Verfolgten zu hetzen.
Aniella Crousa beugte sich im Vertrauen auf die riesige Kraft ihres schwarzen Getreuen weit über ihn hinaus und versuchte mit blitzenden Augen das Dunkel in der Schlucht zu durchdringen. Ängstlich barg sich der kleine flatternde Kolibri in ihrem Haar.
»Sie dürfen nicht dort unten bleiben, Señor«, rief sie. »Ehe eine halbe Stunde vergeht, wird der Pamperos ausbrechen – Sie würden umkommen in dieser schrecklichen Kluft!«
»Wer Sie auch sein mögen,« schallte es herauf, »nehmen Sie unsern Dank für Ihre Teilnahme! Der Rat ist gut, aber – diavolo – er ist schwer genug zu befolgen. Wir stecken in einer verdammten Falle, und die Felswände sind glatt wie Spiegel!«
»Rudern Sie an das Ende der Schlucht, Señor, und warten Sie dort«, antwortete Aniella. »Wir sind gleich bei Ihnen!«
»Was meinst du damit?« fragte erstaunt Manuelo. »Gibt es einen Weg hinunter in die Schlucht?«
»Warum sollte man mich die Rostreadora nennen, wenn ich auf zehn Leguas in der Runde nicht jeden Pfad kennte! Frag' La-Muerte. Wir sind wohl zehnmal zusammen hinuntergestiegen. – Aber nun schnell, jede Minute ist kostbar. Komm, Bibi, in dein sicheres Versteck, damit dir nichts geschieht.«
Behutsam löste sie den kleinen Vogel aus der Haarkrone und barg ihn zwischen Jäckchen und Brust. Dann löste sie ihren Lasso vom Sattel und übersprang die Felsplatte, die zwischen der Klippe und dem heraufführenden Fußweg klaffte. Im nächsten Augenblick war sie, unbekümmert um das an Gehorsam gewöhnte Pferd, hinter den Felsvorsprüngen verschwunden.
Der Neger folgte ihr, aber die Hand Manuelos hielt ihn zurück.
»Beim Himmel, Muerte, das ist ein wunderbares Glück«, raunte er. »Diese Unidados kommen wie gerufen – nimm« – er drückte ihm den Diamanten in die Hand – »und laß uns die Gelegenheit benutzen!«
»Muerte sein bereit, aber Massa wissen, daß der Wille dieses Kindes Gesetz sein für Muerte!«
Beide eilten hinter dem jungen Mädchen her. An einer Biegung des steilen Pfades schwang sich der Schwarze auf ein vorspringendes Felsstück und half dem Gefährten herauf. In den Fugen des Gesteins wurzelten Schlingpflanzen; Muerte bog sie beiseite, stieg mit sicherm Fuß abwärts ins Innere der kleinen Bucht, von Stein zu Stein; da und dort gewährten ihm die nach der Tiefe zu immer üppiger wuchernden Schlingpflanzen Halt. Vertraut mit gefährlichen Wegen, folgte ihm der Gambusino; so gelangten beide nach einer kurzen, aber gefährlichen Anstrengung auf einen Vorsprung, wo Aniella schon ihrer wartete.
Der breite, flache Stein, auf dem sie nun standen, lag etwa sieben Meter über dem Wasserspiegel der Bucht. Die Felswand fiel von dieser Stelle senkrecht ab; ein Erklimmen ohne besondere Hilfsmittel war hier undenkbar.
Dicht unter diesem Platz schaukelte die Barke der Unidados; ihre Bemannung, auf die Ruder gestützt, die Hand am Kolben der Pistolen, harrte aufmerksam des weiteren Verlaufs der Ereignisse.
Aniella ließ ein Ende des Lassos in die Barke fallen und schlang das andere Ende um einen Felsvorsprung.
»Es ist unmöglich, weiter hinunter zu gelangen, Señor«, sagte sie. »Sie müssen jetzt Ihrer eigenen Kraft vertrauen. Eilen Sie – jedes Zögern kann Ihr Verderben sein!«
Der Mann im Stern flüsterte seinen Gefährten einige Worte zu, man hörte das Knacken der Pistolenhähne – dann packte er den Riemen, schwang sich mit der Sicherheit des geübten Kletterers empor und stand vor den Helfern.
Man vermochte in der Finsternis seine Züge nicht zu erkennen; er war breit, mittelgroß und trug einen Bart.
»Señora,« sagte er, »empfangen Sie nochmals meinen Dank für die Hilfe, die Sie Unbekannten leisten. Aber erlauben Sie mir, ehe ich meine Gefährten heraufkommen lasse, Sie um Beantwortung einiger Fragen über unsere Lage zu bitten.«
»Fragen Sie, Señor!«
»Zuerst – es ist kein Mißtrauen, nur Vorsicht, denn ich bin für das Leben meiner Kameraden verantwortlich – wie kommt es, daß wir so unverhofft an diesem feindlichen Strand Freunden begegnen?«
»Mein Name, Señor, ist Aniella Crousa; ich bin die Tochter des verstorbenen Kapitäns Crousa da Pinheira aus Montevideo!«
»Wem sollte der Ruf des ehrenwerten Portugiesen und seiner schönen Tochter unbekannt geblieben sein, Señorita!« sagte der Fremde höflich. »Aber ich wundere mich, Sie hier zu sehen.«
Die Dunkelheit verbarg das Erröten des schönen Mädchens.
»Sie wissen wahrscheinlich nicht, Señor, daß ich Besitzungen auch diesseits vom La Plata habe; die Villa, zwei Leguas von hier, gehört dazu. Ich bin eine Frau und kümmere mich nicht um den politischen Streit. Ich hatte also keinen Grund, mich Don Manuel Rosas zu widersetzen, der mich aus meiner Heimat hierher führte, um mich zu verheiraten. Aber, ob Unidados oder Libertados – ich glaube hochherzig genug zu fühlen, um tapfere Männer nicht in die Hände gemeiner Übermacht fallen zu lassen. Dies sind mein Milchbruder und mein vertrauter Diener!«
»Das genügt, Señorita; ich bitte um Entschuldigung und vertraue Ihrem Wort. Was tun die Schiffe des Admirals Brown?«
»Der Admiral selber ist mit seinen beiden Fregatten den La Plata hinabgesegelt, um sich nach Buenos Aires zu begeben. Kommodore Pedro Ximeno befehligt den Rest des Geschwaders. Die Goelette, die Sie verfolgte, liegt etwa fünf Minuten entfernt, vor dem Eingang der garganto do diabalo, in die Sie wunderbarerweise den Eingang gefunden haben, ohne an den Klippen zu zerschellen. Die Schiffe haben jetzt Anker geworfen und bereiten sich auf den Pamperos vor. Aber es ist unmöglich, daß Sie die Brandung am Eingang der Schlucht in dieser Finsternis noch einmal bezwingen!«
»Ich weiß es, Señorita. Deshalb müssen wir den Landweg wählen. – Ahoi, Leute!«
»Si – si!«
»Einen Augenblick noch, Señor!« Aniella legte unwillkürlich die Hand auf seinen Arm. »Ich muß Sie von einem Umstand unterrichten, der Ihnen wahrscheinlich unbekannt ist. Eine Abteilung Gauchos lagert in der Nähe der Küste, zwischen hier und der Villa, wo sich die Offiziere aufhalten.«
»Das Boot der Goelette muß schon gelandet sein, um die Schufte zu benachrichtigen«, warf Manuelo ein.
»Wer befehligt die Gauchos? Wie stark sind sie?«
»Oberst Adeodato da Gondra,« entgegnete Aniella zaudernd, »es sind zwei Kompagnien.«
»Der Schurke! Ich kenne seine Grausamkeit, aber auch seine Feigheit!«
»Er ist abwesend,« setzte das Mädchen hastig hinzu, »er befindet sich in Buenos Aires und kehrt erst in drei Tagen zurück. Die Offiziere seiner Milizen sind jetzt in meinem Hause; ich hoffe, daß das Unwetter sie von Ihrer Verfolgung abhalten wird. Aber ich weiß in der Tat nicht, Señor, was ich weiter zu Ihrer Rettung tun soll.«
Die Luft in der Bucht wurde unerträglich schwül; von Zeit zu Zeit fuhr der grelle Schein von Blitzen darüber hin; aus der Ferne drang das dumpfe Rollen des Donners.
»Ist ein Boot in der Nähe, dessen wir uns bemächtigen könnten?«
»Nur das der Goelette; aber es wird zu gut bewacht sein. Alle anderen Boote sind bei den Schiffen. Ich muß gestehen, Señor, ich scheine selber eine Art Gefangene; wenigstens habe ich nicht Mittel, meine Estanzia an diesem Ufer zu verlassen.«
»So bleibt uns nur ein Mittel«, sagte der Fremde nach kurzem Sinnen. »Marochetti, Sacchi und ihr anderen, schneidet die Taue ab und befestigt sie an den Ruderhaken. Antonio und der Deutsche, herauf zu mir! Schnell, denn es gilt Leben und Freiheit. – Wieviel Fuß Wasser unterm Boot?«
»Vier Fuß am Felsen!«
Antonio und der Deutsche schwangen sich herauf.
»Seid ihr fertig da unten?«
»Ja!«
»Dann herauf bis auf die beiden Stärksten! Wir müssen das Boot aus dem Wasser heben und über die Felsen schaffen. Es ist unsre einzige Rettung. – Wo ist François?«
»Hier, Herr!«
Der Knabe, ein Bursche von etwa elf Jahren, aber behend wie ein Affe, sprang auf den Stein.
»Such' dir den Weg hier hinauf und halte Ausguck! Señorita, darf ich Sie bitten, zurückzutreten? – An die Taue, Männer! Das Boot von unten heben! Eins –«
Die Mannschaft der Barke war bis auf zwei Leute an dem Lasso heraufgeklommen und hielt die Stricke.
»Zwei – drei! – Zieht, Männer, so lieb euch das Leben ist! Jetzt kommt der höllische Pamperos!«
Ein Geheul wie von tausend Dämonen brach vom Meer her in den Felsenkessel. Es wirbelte in der Höhe, es kochte und brauste. Der Himmel stand in zuckenden Flammen; Tageshelle drang bis hinunter in die Tiefe und ließ jeden Gegenstand deutlich erkennen.
In dem fahlen Licht erblickte Aniella zum erstenmal das Gesicht des Fremden. Die gewaltige Anstrengung, die jede Muskel seines Körpers spannte, erhöhte noch das Eigentümliche seiner Erscheinung.
Er mochte etwa vierunddreißig Jahre zählen; sein ganzes Wesen trug das unverkennbare Gepräge des Gebietenden, des Befehlsgewöhnten. Sein Blick war offen, die Stirn hoch und vorspringend, die Nase schmal und leicht gebogen, der fest geschlossene Mund und das kräftige Kinn wurden von einem starken, rötlichen Bart bedeckt, das gelockte, zurückgestrichene, unbedeckte Haar war braun.
In der kochenden Tiefe mühten sich die beiden Männer vergebens, die Barke zu heben.
Aniella Crousa wies mit der Hand hinunter.
»Hilf ihnen, Muerte!«
Man hörte einen plätschernden Fall und der nächste Blitz zeigte den aus den Wellen auftauchenden schwarzen Riesen, wie er sich an den Felsen stemmte und Kopf und Schulter unter den Kiel schob.
»Hoi!«
Ein Ruck – das Boot hob sich vom Wasser.
»Wir zwingen's, Kameraden! – Noch einmal: los! – Brav, Kerls! – Noch einmal! – So!«
Das Unmögliche war getan; der Rand der schweren Barke schob sich auf die Felsplatte. Die beiden Matrosen schwangen sich ihm nach; der Schwarze folgte.
»Faßt an, Kinder! – Gott und die Heiligen mögen uns beistehen!«
Auf die Schultern der Männer gehoben, wurde das Boot Schritt um Schritt den steilen Felspfad hinaufgeschleppt, gestoßen, gezogen – auf einem Weg, den kaum bei Tag der Fuß des Jägers zu betreten gewagt hätte. Nur die Gewohnheit der Seeleute, unbesorgt um den tobenden Sturm, auf schwanken Rahen und Tauen herumzuklettern, ermöglichte ihnen das Vordringen. Das grelle, fast ununterbrochene Leuchten der Blitze erleichterte ihnen das waghalsige Werk.
Der Knabe François war gleich einer Katze voran geklettert und hatte schon den gefahrloseren Pfad erreicht. Das Schnauben des Pferdes machte ihn stutzig. Die Hand am Griff seines Messers schob er sich lauschend vor, und erst das Herbeikommen Aniellas endete seine Besorgnis. Mit geringen Schäden wurde die Barke auf den breitern Pfad gehoben.
Einige Atemzüge lang ruhten alle von der übermenschlichen Anstrengung aus. Nur der bärtige Fremde, den sie Capitano Jose nannten, schien keiner Erholung zu bedürfen. Mit der vollendeten Höflichkeit des Weltmannes und der biedern Offenherzigkeit des Seefahrers näherte er sich Aniella und führte ihre Hand ehrerbietig an die Lippen.
»Senorita, der schwerste Teil unserer Rettung ist getan, und Ihnen verdanken wir sie! Tapfere Männer werden nie vergessen, in ihr Gebet den Namen Aniella Crousas einzuschließen. Aber die Schleusen des Himmels werden sich bald öffnen, und es ist Zeit, nicht mehr an uns, sondern an unsere schöne Retterin zu denken! Sie werden uns verlassen müssen. Wir werden von hier aus leicht eine Stelle des Ufers erreichen, an der wir unser Boot ins Wasser bringen können.«
»Ich werde Sie führen, Senor«, sagte Manuelo hastig.
»Aber der Pamperos? Die Gefahr ist zu groß!« warnte Aniella.
»Wir sind an Sturm und Gefahr gewöhnt, Senorita!« Ein kurzer scharfer Pfiff durchschnitt das Tosen des Sturmes. »Hören Sie das Zeichen meiner kleinen Meerkatze? Der Bursche scheint einen sichern Ort gefunden zu haben. – Es ist Zeit! Auf mit dem Boot, Leute; vorwärts! Senorita, leben Sie wohl!«
»Nein, Senor,« widersprach Aniella bestimmt, »ich werde von dieser Stelle nicht weichen, bis ich weiß, daß Ihre Rettung gelungen ist. Dieser Felsenhang schützt mich gegen das Unwetter, und mein Gebet wird Ihre Schritte begleiten.«
Die Seeleute waren mit ihrer Last schon voran – einige Sekunden noch zögerte ihr kühner Führer, während schon die ersten schweren Tropfen aus den tief niederhängenden Wolken herabfielen.
»Noch eins lassen Sie mich vor dem Abschied wissen, Señorita«, bat der Fremde. »Lassen Sie mich erfahren, unter welchem Namen ich später an Aniella Crousa denken muß, damit, wenn im Kampf mein Säbel auf den Ihres Gatten trifft, der meine sich senke im Gedächtnis an die Retterin unseres Lebens. Den Namen erbitte ich – den Namen Ihres Verlobten!«
Wie in tiefer Scham wandte sich Aniella Crousa ab; ihr Mund flüsterte kaum hörbar im Toben des Sturmes den erbetenen Namen.
Der Fremde zuckte zusammen.
»Oberst da Gondra? – Jener Höllenhund selber, der feige Schlächter eines Rosas und Oribe? O Señorita, ich konnte vielleicht verstehen, daß eine Tochter Montevideos einem Föderalisten, einem Feind ihres Landes Herz und Hand gab; aber einem Scheusal in Menschengestalt, einem Mörder um des Mordens willen – niemals! Ich wollte eher mich in jene Schlucht zurückwünschen, als diesen Namen von Ihren Lippen hören! So will ich denn der Tochter des Landes, für das ich mein Schwert führe, zeigen, was ein Fremder zu tun imstande ist, wenn die eigenen Kinder seinen Henkersknechten sich verbinden!«
Ein Schritt in den Schatten des Felsens – er war verschwunden. Ihr Ruf, ihr Wort verhallte in dem Toben der herabstürzenden Wassermassen. La-Muerte umfaßte sie und trug sie fast gegen ihren Willen in den Schutz des überhängenden Felsens. Dort suchte er die geliebte Gebieterin zwischen der rauhen Wand und dem zitternden Pferd vor dem Rasen des Wetters mit dem eigenen Körper zu schützen.
Eine Stunde war vergangen; die Regenmengen, an den Felsen zu reißenden Sturzbächen geworden, verrannen. Verrauscht war der grimme Pamperos, den gewaltigen Strom entlang zum Meer – leise nur rieselte es zwischen den Felsen noch hinab zum Grund der Schlucht; hell brach der Mond durchs Gewölk; weit über den Horizont breitete sich klar der sternenfunkelnde Himmel.
Starr, an den Sattel ihres Pferdes gelehnt, schaute Aniella Crousa stumm, ohne Antwort für den freundlichen Zuspruch La-Muertes, noch immer hinab auf die Wasserfläche.
Erst ein lauter Ausruf des Schwarzen weckte sie aus ihrer Erstarrung. Ihr Blick folgte der Hand Muertes; sie wies nach der Stelle, an der vor dem Sturm die Goelette vor Anker gelegen.
Die Stelle war leer. Das Schiff war fort, während die anderen noch sicher und ruhig an ihren Ketten lagen.
Von der Höhe des Stromes, dort, wo der Horizont sich mit den Wellen einte, blitzte es auf. Die letzten Luftwellen des verwehenden Orkans trugen auf ihren Schwingen den dumpfen Donner eines schweren Geschützes herüber.
Der Pamperos tobte in seiner tollsten Wut.
Die Luft schien eine feste, greifbare Düsternis, so ungeheure Massen von Staub, aufgewirbelt von den trockenen Ebenen, kamen sausend auf seinen Fittichen dahergefahren und vermischten sich mit den Regenströmen. Oft vermochte sie daher nicht einmal das Licht der zahllosen Blitze zu durchdringen, die in allen Richtungen das Firmament zerschnitten, begleitet von sinnbetäubenden, gewaltigen Donnerschlägen.
Durch diesen Aufruhr der Natur, durch diesen Gigantenkrieg von Wasser, Feuer und Luft brach sich die kleine Schar mit ihrem Boot Bahn; von Zeit zu Zeit rastete sie im Schutz eines Felsstücks und war hundertmal in Gefahr, zerschmettert, ersäuft oder zerrissen zu werden.
Der kurze Weg zur Küste hinab, der sonst wenige Minuten erforderte, kostete einen Kampf von fast einer halben Stunde. In den Pausen zwischen den Donnerschlägen, während die Männer unter dem umgestülpten Boot am flachen Ufer Schutz und neue Kräfte suchten, machte Capitano José ihnen ruhig und bestimmt einen Vorschlag, vor dem selbst der an Abenteuer gewöhnte Gambusino zurückbebte.
Aber diese Männer zauderten nicht einen Augenblick. François, der Knabe, klatschte in die Hände.