Gedanken Fänger - Birgit Gürtler - E-Book

Gedanken Fänger E-Book

Birgit Gürtler

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Beschreibung

"Ein gefährliches Spiel zwischen Macht und Wahrheit - Eine junge Frau, in den Fängen einer Scheinfirma des FBI, wird vor die Wahl gestellt. Entweder sie knackt die verschlüsselten Daten, oder sie verliert ihre Freiheit. Doch was sie in den Tiefen dieser geheimen Informationen entdeckt, lässt sie an allem zweifeln, was sie zu wissen glaubte. Gedanken lesen, Willensbeeinflussung - das kann es nicht geben, davon ist Mara überzeugt. Doch kommt sie genau diesem Geheimnis und einem Mann auf die Spur, der ihr zunächst unheimlich ist, aber von Tag zu Tag ihre Gefühlswelt mehr und mehr durcheinanderbringt. Darf sie diesem Gefühl Raum geben? Miguel wird des Mordes beschuldigt und sie gefährdet ihre Freiheit, wenn sie nicht seine verschlüsselten Daten dem FBI übermittelt. Als sie Zeuge eines Mordes wird, muss sie sich für eine Seite entscheiden und steht fortan zwischen den Fronten.

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Seitenzahl: 366

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Birgit Gürtler

Gedanken Fänger

Verschlüsselte Gefahr

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Titel

Gedanken Fänger

Verschlüsselte Gefahr

von Birgit Gürtler

1. Kapitel

Maras Finger huschten über die Tastatur des Laptops. Die Geräusche der Anschläge und des Lüfters klangen fremd in der Stille des verlassenen Gebäudes.

Zum dritten Mal hatte sich Mara mit Leuten getroffen, die an eine bessere Welt glaubten. Eine Welt, in der die Reichen den Armen Lebensnotwendiges abgaben, in der Profit eine nebensächliche Rolle spielte. Doch keiner glaubte an Wunder, weswegen sie sich berufen fühlten, bei der Entwicklung einer freigiebigeren Gesellschaft nachzuhelfen.

Motorengeräusche ließen Mara innehalten. Sie rieb die klammen Finger aneinander. Fragend blickte sie zu Scott, der aufsprang und zu dem Fenster rannte.

Sein fahles Gesicht, das im Mondlicht gespenstisch wirkte, nahm einen gequälten Ausdruck an. Mara sprang auf, um nachzusehen. Ihr Herz raste. Es durfte jetzt nichts dazwischenkommen, sie waren so nah dran.

Drei Limousinen parkten vor der verlassenen Lagerhalle. Dumpf schlugen Autotüren ins Schloss. Schwarz gekleidete Gestalten verließen gehetzt die Wagen.

„Wir müssen weg hier“, schrie Scott. Entschlossen fasste er Maras Hand und zog sie hinter sich her.

„Wie sollen wir das machen? Der Eingang ist umstellt“, schrie Mara verzweifelt. Tränen füllten ihre Augen.

„Es gibt noch einen anderen Ausgang. Wir werden denen die

Arschkarte zeigen.“

 

Entsetzt blickte Scott zur Tür. Der Rest der achtköpfigen Gruppe war kopflos losgestürmt und reagierte nicht auf seine Rufe. Sie rannten in die falsche Richtung.

„Verdammt. Das geht nicht gut“, murmelte er kaum hörbar und riss Mara mit sich. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe tanzte wild vor ihnen her, nur schemenhaft erkannten sie die Beschaffenheit des Bodens. Vergessenes Werkzeug, Dreck und alte Matratzen lagen ihnen im Weg. Zweimal stolperten sie über herumliegende Bretter.

Ihre Schritte dröhnten in den leeren Hallen und Gängen. Sie erreichten die Treppe, die nach unten führte, und nahmen gleich zwei, drei Stufen auf einmal.

Schüsse donnerten durch das Gebäude.

„Die schießen doch nicht auf uns?“, japste Mara. Ihre Lunge brannte vor Anstrengung und dem Staub, den sie aufwirbelten. Scott antwortete nicht. Mit ganzer Kraft stemmte er seinen Oberkörper gegen eine Flügeltür aus Eisen, bis sie scheppernd aufsprang. Misstrauisch spähte Mara in einen Innenhof, der von schäbigen Bauwerken umschlossen war. Das Bild des Vollmondes schimmerte in den Fenstern.

„Da vorne gibt es einen Zugang zu einem stillgelegten Tunnel“, flüsterte Scott und blickte noch einmal zurück.

Wie flinke Wiesel huschten sie über den Hof. Vor einem eisernen Gullideckel gingen sie in die Hocke. Das Geräusch von Eisen, das auf Beton schabte, durchdrang die Dunkelheit, während sie den Deckel zur Seite schoben.

„Geh du zuerst“, raunte Scott hektisch.

Mara kroch mit den Füßen voran in das Loch und griff nach den rostigen Stäben der Leiter. Feuchte, faulig riechende Luft stieg in ihre Nase.

„Das ist ja eklig.“ Angewidert leuchtete sie mit einer Taschenlampe auf das Rinnsal am Boden. „Hast du nicht irgendwas von stillgelegtem Abwassertunnel gemurmelt?“ Scotts Zähne blitzten für einen Moment zu einem Grinsen auf. „Muss ich mich wohl getäuscht haben. Wenn du dir Kugeln um die Ohren schießen lassen willst, kannst du es ja woanders versuchen.“

Mara stöhnte. „Ich hoffe, du weißt wenigstens, wohin der Tunnel führt. Am Ende landen wir noch vor einer

Polizeistation, bei deinem lausigen Informationsstand.“

Scott lachte und schob Mara voran. Geduckt balancierten sie auf dem etwas höher gemauerten Rand, um sich nicht an der gewölbten Decke zu stoßen. Mara schmerzte bereits der Rücken, als der Tunnel eine enge Kurve machte. Schummriges Licht fiel in einiger Entfernung durch die Decke.

Mara hörte Scotts Warnung, doch es war zu spät. Ein

Lichtkegel erfasste sie.

„Bleiben Sie stehen und nehmen Sie die Hände hoch!“, tönte eine Männerstimme durch den Tunnel.

„Ich bin alleine und unbewaffnet“, rief sie laut zurück.

Sie konnte nichts erkennen, hinter dem Licht wirkte alles schwarz. Scott kauerte noch unentdeckt im Dunkeln.

„Mach, dass du verschwindest“, raunte sie in seine Richtung.

Ihr Herz raste, während sie zu dem Umriss einer Gestalt lief. Als sie näherkam, erkannte sie zwei Personen. Einer hielt ihr eine Waffe entgegen und dirigierte sie forsch die Leiter nach oben.

2. Kapitel

Mara entstieg der muffigen Unterwelt und nahm einen tiefen Atemzug der frischen Nachtluft. Sie befand sich in einer Seitenstraße, in der ein schwarzer BMW mit geöffneter Fahrertür parkte. Im Inneren erleuchtete die Glut einer Zigarette das Gesicht eines Mannes.

„Sie können die Hände runternehmen, Miss. Bucher“, hörte sie eine gelassene Stimme aus dem Wageninneren.

Zögerlich ließ sie die Arme sinken. „Woher kennen Sie meinen Namen?“

Der Mann schüttelte den Kopf. „Das ist jetzt nicht Ihr Ernst? Sie erpressen große Pharmaunternehmen und sind so naiv zu glauben, keine Spuren hinterlassen zu haben?“

Mara presste die Lippen zusammen. Sie wollte nicht als Kriminelle angesehen werden. Er musste es doch verstehen. Verstehen, dass gute Pläne mitunter drastische Mittel verlangten.

„Uns entstehen keine Vorteile. Wir helfen lediglich etwas nach, um die Firmen zu einer guten Tat zu bewegen. Dort werden Milliarden umgesetzt. Was ist schlimm daran, wenn sie etwas von ihren Medikamenten an die Ärmsten der Armen abgeben?“ „Ich bin nicht hier, um ethische Fragen zu beantworten, sondern um das Gesetz zu vertreten und das Gesetz hat kein Verständnis für einen Cyber-Robin Hood.“ Er zog noch einmal kräftig an seiner Zigarette, ehe er sie wegschnippte und aus dem Wagen stieg. Er war groß, athletisch und trug einen grauen Anzug. Sein rotblondes Haar schimmerte im Licht der Straßenlaterne.

Ohne Kommentar hielt er ihr die hintere Wagentür auf. Mara kam der unausgesprochenen Aufforderung nach und ließ sich auf die Rückbank sinken. Einer der Männer aus dem Tunnel saß dort. Er musste in den Morast getreten sein. Gereizt schaute er zu ihr rüber, während er seine Schuhe in den Händen hielt.

Die Fahrt verlief ruhig. Niemand sprach ein Wort. Die Straßenbeleuchtung erhellte in gleichbleibenden Abständen den Innenraum. Mara dachte an die Schüsse, die sie gehört hatte.

„Ist jemand verletzt worden?“ Ihre Stimme bebte.

„Wie kommen Sie darauf?“

„In der Lagerhalle. Ich konnte Schüsse hören.“

„Nur ein Warnschuss. Ein gutes Mittel, um sich größeres Gerenne zu ersparen. In der Regel bleibt jeder stehen“, nuschelte der Typ am Steuer undeutlich, da er gerade eine neue Zigarette anzündete.

Knirschender Kies durchbrach die wieder eingekehrte Stille, als der Wagen bremste. Sie kannte das Haus, an dem sie anhielten. Ein älteres Bürogebäude. Nie hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, welche Branche darin arbeitete.

Ein Schild hing neben dem Eingang, worauf der Name einer Sicherheitsfirma gedruckt war. Handelte es sich gar nicht um Leute der Polizei? Hatten sie überhaupt das Recht, sie zu zwingen, mitzukommen? Der Gedanke an die Pistole, die ihr im Tunnel vor die Nase gehalten wurde, ließ sie einsehen, dass sie keine andere Wahl hatte.

Wortlos schloss der Rothaarige einen Nebeneingang auf. Sie passierten einen Raum mit Glasfenster und stiegen in den Fahrstuhl. Vielleicht der Lieferanteneingang, überlegte Mara, während sie sich umsah.

Im dritten Stock liefen sie einen Flur entlang, bis sie vor einer schäbigen Bürotür stoppten. Die Tür ächzte in den Angeln. Das Inventar war alt und abgenutzt.

„Warten Sie hier“, murmelte der Typ und ließ sie allein. Ein Holztisch und drei Stühle standen im Raum. Mara trottete ans Fenster. Nachtfalter umschwärmten die erleuchtete Scheibe, in der sich ihre müden Augen spiegelten. Sie wusste, dass Ärger auf sie zu kam.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als die Tür aufgerissen wurde.

„Also, Miss Bucher. Mein Name ist Agent Taylor“, begann der Rothaarige scharf und öffnete dabei eine Akte. „Ich arbeite für eine Sicherheitsfirma, die sich dem Gebiet der Datenkriminalität widmet. Ist es richtig, dass Sie aus Deutschland stammen, einundzwanzig Jahre alt sind und seit vier Jahren bei einer Pflegefamilie leben?“

Unschlüssig, ob sie sich nun setzen oder einfach stehen bleiben sollte, nickte Mara. Ob die Papiere in der Akte alle von ihr handelten? Der Typ Beth anrufen würde? Sollte sie lieber verheimlichen, bei der Pflegefamilie ausgezogen zu sein? Sie hatte ihnen bereits bei der letzten Verhaftung jede Menge Ärger bereitet.

„Sie sind auf Bewährung. Sie wissen, was das für Sie bedeutet?“ Alles in ihr verkrampfte sich. Natürlich wusste sie, was das bedeutete. Gefängnis, vielleicht sogar Ausweisung. Ausweisung aus dem Land ihrer Träume. Mit zusammengepressten Lippen nickte sie.

„Es ist spät, deswegen werde ich mich kurzfassen. Der Geschäftsführer des von Ihnen attackierten Pharmakonzerns ist ein Bekannter. Ich könnte ein gutes Wort für Sie einlegen.“ Schweigend ließ er seine grauen Augen auf ihr ruhen.

Mara war klar, nichts geschenkt zu bekommen. Tief durchatmend schob sie ihre verschwitzten Locken über die Schulter.

„Was erwarten Sie im Gegenzug?“

„Sie haben angefangen, Kryptografie zu studieren mit dem

Schwerpunkt Kryptoanalyse?“

„Ja, aber das Studium abgebrochen.“

„Darüber bin ich informiert, doch so, wie ich Sie einschätze, schmälert das nicht Ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet. Wenn Sie sich bereit erklären, einige Daten zu decodieren, lassen wir Sie und Ihre Freunde gehen.“

Mara hatte keine Ahnung, warum er sie dafür brauchte, garantiert kannte er genug Leute, die sich auf diesem Gebiet auskannten, wenn er in einer Firma arbeitete, die der Datenkriminalität verschrieben war. Sie nickte, ehe er es sich anders überlegen würde.

 

3. Kapitel

Gefrustet klopfte Mara an Taylors Tür. Zigarettenqualm verwirbelte, als sie eintrat. Sein rötliches Haar war straff nach hinten gekämmt. Er sah aus wie ein reicher Mafioso in einem italienischen Film.

Mit einer Handbewegung wies er in Richtung des leeren Platzes auf der gegenüberliegenden Seite seines

Schreibtisches.

Regungslos saß Mara da und unterdrückte ein Gähnen. Verstohlen blickte sie zu seinem vergoldeten Kuli. Ein altes Laster, das sie seit ihrer Kindheit begleitete. Aus Rache stahl sie unliebsamen Leuten ihre Lieblingsschreiber. Doch mit so etwas Albernem wollte sie sich keinen zusätzlichen Ärger einfangen. Hier saß schließlich nicht die Leiterin des Waisenhauses, in dem sie aufgewachsen war.

Taylor verengte die Augen und lehnte sich in den Stuhl zurück. Mara hatte keine Ahnung, warum er sie anstarrte. Hatte sie noch Zahnpasta im Gesicht?

„Sie sehen nicht gut aus“. Seine grauen Augen schienen sie wie ein Laser abzutasten. „Haben Sie heute Nacht schlecht geschlafen, oder ist das nicht Ihre Zeit? Und fangen sie bloß nicht an, sich rechtfertigen zu wollen. Für mich zählt nur Ihre Effizienz und wann die am effektivsten ist.“

Mara hatte ein paar bissige Worte auf der Zunge, doch die waren jetzt unangebracht. „Ich arbeite als Bedienung. Es ist eine Mischung aus Café und Pub. Da kann es schon mal spät werden.“

„Dann sollten Sie sich die Bürozeiten notieren. Von mir aus können Sie auch nachmittags kommen,“ murmelte Taylor genervt.

„Da gibt es noch ein Problem.“

Der harte Ausdruck wich aus seinem Gesicht. Fragend zog er die Augenbrauen hoch.

„Ich bin Nichtraucherin und kann mich nicht konzentrieren, wenn in meiner Nähe geraucht wird. So viel zur Effizienz.“ Unschuldig zuckte sie mit den Schultern und blickte auf die dicken Rauchschwaden, die durchs Zimmer zogen. Taylor starrte einen Moment nachdenklich auf den edlen Holztisch.

„Es gibt ein kleines Zimmer am Ende des Ganges. Ich werde jemanden beauftragen, es bis morgen fertigzumachen.“

Sie verließen sein Büro und betraten das Nachbarzimmer, in dem drei Mitarbeiter saßen. Auf jeden der Schreibtische stapelten sich schiefe Papiertürme. Desinteressiert schauten alle kurz hoch.

„Das sind Agent Ann Cortes, Agent Steven White und Agent Stacy Miller. Sie wird Ihnen das Wichtigste erklären. Für heute werden Sie sich mit deren Nikotinausdünstungen bequemen müssen“, erwähnte er beiläufig.

Mara spürte die gespielte Freundlichkeit Stacys. Sie war einen Kopf kleiner als sie selbst. Das blonde Haar umrahmte, tadellos geföhnt, ihr Gesicht. Ein Hosenanzug aus Satin umspielte Ihre Figur. Mara schätzte sie auf Ende zwanzig.

Mara setzte sich auf den ihr zugewiesenen Bürostuhl. Der Tisch war bis auf typisches Bürozubehör und eine Amerikakarte, die als Schreibunterlage diente, leer. Sie konnte noch immer nicht glauben, von einer Sicherheitsfirma angeheuert worden zu sein, Daten zu entschlüsseln. Irgendwo gab es da noch einen Haken, einen großen Haken, sinnierte sie. Stacy legte eine Mappe auf den Tisch. Ihre grünen Augen blickten abschätzig.

„In dieser Akte befindet sich ein USB-Stick. Sie werden feststellen, die Daten darauf wurden mit viel Aufwand verschlüsselt. Worin dabei Ihre Aufgabe besteht, können Sie sich alleine zusammenreimen. Ich gehe davon aus, Ihnen ist die Frage durch den Kopf gegangen, warum wir Ihre Hilfe in Anspruch nehmen? Natürlich ist es kein Problem für uns, einen der hiesigen Kryptografen damit zu beauftragen. Es ist nur so, dass wir unter Personalmangel leiden und Mr. Taylor gerade ein Helfersyndrom zu haben scheint. Er kann Ihre Bemühungen, Medikamente für Arme zu besorgen, verstehen. Das trifft aber keinesfalls auf mich zu. Ich habe für Systemcracker nicht viel übrig. Nutzen Sie die Chance, die er Ihnen bietet.“

Mara ärgerte sich, als Cracker bezeichnet zu werden. Das waren schließlich die Bösen. Sie sah sich als Hacker, auch wenn sie die Firmen erpresste, um an ihr Ziel zu gelangen. Sie nahm den Stick aus der Akte, verband diesen mit dem Computer und wartete ab, was sie darauf vorfinden würde. „Das sieht kompliziert aus. Ich werde Zeit brauchen. Gibt es persönliche Aufzeichnungen über die Person, die das ausgetüftelt hat? Was er gelernt hat, oder mich sonst weiterbringt?“

„Informationen gibt es, soweit mir bekannt ist, nur in dieser Akte. Falls sie nicht ausreichen, erkundige ich mich bei Taylor, ob er noch etwas auftreiben kann.“ Gleichgültig zog sich Stacy an ihren Platz zurück.

Misstrauisch grübelte Mara darüber nach, was der Grund sein mochte, dass sie an diesen Daten arbeiten sollte. Sie würde sich nicht wohlfühlen, solange sie die Antwort nicht wusste. Ob der Inhalt der Akte einen Hinweis darauf gab? Zu ihrer Enttäuschung entdeckte sie nichts Spektakuläres.

Es handelte sich um einen Mann spanischer Abstammung. Miguel Lopez. Dreiundzwanzig Jahre alt, Wohnort unbekannt. Er wurde beschuldigt, geheime Informationen gestohlen und einen Polizisten erschossen zu haben.

Ihr fiel etwas auf. Das war merkwürdig. Sie musste zwei Mal hinsehen, um sich zu vergewissern. Auf einer der Seiten endete der letzte Satz mittendrin.

Auf die Buchstaben starrend, kaute Mara auf ihrer Unterlippe. Vielleicht war dieser Lopez doch nicht so unspektakulär, wie die Akte den Eindruck erweckte. Warum sonst hätte Taylor einige Seiten aus der Akte entfernen sollen? Gaben die fehlenden Seiten den Hinweis, warum sie jetzt hier saß? Oder hatte Taylor sie gar nicht mit Absicht herausgenommen und sie interpretierte zu viel in dieses Detail hinein? Vielleicht hatte Taylor tatsächlich etwas für ihre Bemühungen übrig?

Mit einem Druck an ihre Schläfen versuchte sie den Schmerz zu vertreiben, der sich anbahnte. Sie warf noch mal einen Blick auf die Daten des Sticks, doch hier war es ihr nicht möglich, die erforderliche Konzentration aufzubauen.

Sie gab vor, auf die Toilette zu müssen, um etwas Bewegung zu bekommen.

Ihr Blick wanderte den Flur entlang, dessen grauer Linoleumboden schon bessere Zeiten gesehen hatte. Nach einigen Schritten kam ein junger Mann auf sie zu, der sie interessiert musterte.

„Guten Morgen. Ein neues Gesicht, wie ich sehe. Arbeiten Sie hier, oder statten Sie uns einen Besuch ab?“ In seinem Versuch, charmant zu wirken, scheiterte er kläglich, trotzdem schien er ein ganz netter Kerl zu sein. Wenn er lächelte, entstanden Fältchen um seine blauen Augen, die ihm einen warmherzigen Ausdruck verliehen.

„Es ist mein erster Tag.“

„Na, dann freut es mich, gleich heute schon Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Fred Parker. Aber nennen Sie mich Fred.“

„Mara. Werde für drei Monate hier sein“, antwortete sie und hoffte, er würde nicht allzu genau nachbohren, was sie genau machte.

„Ah, sicher werden Sie hier auf dem Gebiet Programmiersprachen weitergebildet.“ Selbstsicher verschränkte er die Arme vor der Brust und sah sie erwartungsvoll an.

„Ja, so etwas in der Art“, gab sie lächelnd zurück.

Er machte einen komischen Eindruck mit seinen

Sommersprossen und dieser Igelfrisur. Er passte nicht zu den anderen Leuten, die sie bisher gesehen hatte.

Sie schwatzten noch eine Weile. Mara nutzte die Möglichkeit, strahlte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen an und legte ihre brünetten Locken über die Schulter.

Mit der Begründung, nicht gleich zu Anfang in ein Fettnäpfchen treten zu wollen, hatte sie ihn mit Leichtigkeit um den Finger gewickelt. Beinahe fürsorglich hatte Fred genickt und erklärt, wie die Sicherheitsvorkehrungen in dieser Abteilung funktionierten. Er war so nett gewesen, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam, ihn ausgefragt zu haben.

Als sie das Büro wieder betrat, entdeckte sie einen Karton auf ihrem Schreibtisch. Ein Zettel klebte daran, auf dem Taylor ihr eine Notiz hinterlassen hatte. Sie sollte vergleichen, ob die Daten von einem der USB-Sticks aus dem Karton mit den Daten des USB-Sticks, den man ihr bereits übergeben hatte, in Verbindung standen.

Das haben die Jungs hier bestimmt schon zehn Mal überprüft, stöhnte sie innerlich, nahm sich aber trotzdem einen nach dem anderen vor. Die meisten schienen leicht zu knacken. Ein banales Decodierungsprogramm aus dem Internet, das sich jeder Anfänger herunterladen konnte, würde ausreichen. Dies war Nichts im Vergleich mit den Daten vom USB-Stick aus der Akte. Auf Anhieb war ihr die brillante Arbeit aufgefallen. Dies war eine Herausforderung, die sie nur ungern ablehnen würde. Gut möglich, dass bisher tatsächlich jeder daran gescheitert war, doch konnte ihr es gelingen? Und was sollte sie dann tun? Die Arbeit für diese merkwürdige Firma erledigen? Für diesen Taylor, der ihr so unsympathisch war, wie eine dicke Schmeißfliege auf dem Frühstückstisch?

Es war der achte Stick, der Maras Interesse weckte. Ungläubig starrte sie auf den Bildschirm. Es gab tatsächlich Übereinstimmungen. Regelmäßigkeiten. Für einen Laien nicht sichtbar. Vorsichtig hob sie den Kopf. Hatte jemand bemerkt, wie sich ihre Augen geweitet hatten? Niemand schien sie zu beachten, konzentriert widmeten sich alle ihrem Papierkram. Enttäuscht stellte sie fest, dass ihre Zeit dem Ende zuging. Nur zu gerne würde sie alles mit nach Hause nehmen, doch das war sicher nicht in Taylors Sinn.

4. Kapitel

Mara entschied sich, zu Fuß ins Pub zu gehen, da der Regen nachgelassen hatte. Überall gluckerte noch das Wasser in den Kanälen. Am Abendhimmel rissen die Wolken auseinander, die in den letzten Sonnenstrahlen violett schimmerten. Nach den vergangenen heißen Tagen war die kühlere Temperatur ungewohnt. Fröstelnd zog Mara ihre Ärmel tiefer über die Hände.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bemerkte sie einen komischen Kauz. Sie konnte nicht einmal genau sagen, warum, doch er erweckte den Eindruck, als wolle er besonders unauffällig wirken. Er las die Zettel, die im Schaufenster einer Tierpension hingen. Ihrer Meinung nach war das kein Typ für Haustiere. Er sah wie ein Bürohengst aus, der außer Arbeit nichts kannte. Einen verheirateten Eindruck machte er auch nicht. Er war ein etwas klein geratener Mann mit Halbglatze und trug einen, für seine Größe, viel zu langen Trenchcoat. Mara war sich sicher, eine Frau hätte ihn so nie auf die Straße gelassen.

Beobachtete er sie sogar genau in diesem Moment durch die Spiegelung des Schaufensters? So ein Quatsch. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. Taylor hatte sicher Wichtigeres zu tun, als ihr hinterherzuschnüffeln. Zügig ging sie weiter. Heute war die Chance, einmal pünktlich zu sein. Das wollte sie sich auf keinen Fall vermasseln, aufgrund irgendwelcher Hirngespinste.

Mara öffnete die schwere Holztür des Pubs, in dem sie abends arbeitete. An der Theke entdeckte sie Scott und Andy. An ihren ernsten Gesichtern las sie ab, dass ihnen das Ereignis vom Vorabend noch zu schaffen machte.

„Ich hätte dich nicht alleine lassen dürfen.“ Scott senkte seinen Kopf und fuhr sich durch seine blonden Locken.

„Blödsinn. Was hätte das gebracht? Ich habe mich nur geärgert, dass du nicht als Erstes gelaufen bist.“

Scott lächelte verkrampft. „Was ist danach passiert? Warum hast du dich nicht mehr gemeldet?“

Mara zuckte die Schultern und zog einen Schmollmund.

„Jetzt erzähl schon. Wirst du Ärger bekommen?“

„Ich weiß nicht. Eine ziemlich verrückte Geschichte ist das. Wie konnten diese Mistkerle nur wissen, wo wir uns treffen?“ Nachdenklich band sie sich ihre Schürze um, unter der sich das Portemonnaie befand.

„Da muss wohl jemand geplaudert haben“, schlussfolgerte Scott und starrte einen Moment auf den Boden. Das Blau seiner Augen erinnerte an Vergissmeinnicht und er besaß das Gehirn eines Einsteins, wenn es um Computer ging.

„Was ist jetzt mit dieser verrückten Geschichte? Jetzt spann uns doch nicht auf die Folter.“ Beipflichtend nickte Andy.

Mara stieß einen langen Seufzer aus, erzählte ihnen die Geschichte mit den Sicherheitsleuten und, dass sie noch irgendeinen Haken daran vermutete.

„Ganz komisch ist, dass sich die Leute als Agent bezeichnen. Agent Taylor, Agent Miller, Agent Stone. Entweder sind das irgendwelche Möchtegerngeheimagenten oder ich habe es mit mehr, als einer normalen Sicherheitsfirma zu tun.“

Scott und Andy tauschten ungläubige Blicke. Eine Gruppe Studenten, die gerade hereinkam, unterbrach ihr Gespräch.

5. Kapitel

Die ersten Sterne funkelten am Firmament. Ein schwaches Dämmern am westlichen Horizont war vom Tageslicht übriggeblieben. In einer Seitenstraße traf sich Miguel mit Ivan. Gemeinsam schlenderten sie durch die schmalen Gassen, in denen der Duft verschiedener Gerichte in der Luft lag.

„Was ist so wichtig, dass du mich heute noch sehen musstest?“, fragte Miguel, und hielt aufmerksam die Umgebung im Auge. Er vertraute Ivan, doch er erinnerte sich noch gut an dessen Leichtsinnigkeit, als sie Partner beim FBI gewesen waren. Ivan war um einiges älter und derjenige, der ihm immer zugehört hatte, wenn es Probleme gab.

„Es gibt Neuigkeiten, die du wissen solltest. Taylor hat eine junge Frau auf die Datenträger angesetzt und er scheint von ihr ziemlich überzeugt zu sein.“ Ivan verengte drohend die Augen und kratzte sich an seinen grauen Bartstoppeln. Miguel nickte. „Wie ich dich kenne, weißt du bereits alles über sie?“

Ivan lachte. „Ja, natürlich. Ihr Name ist Mara Bucher, eine Deutsche, einundzwanzig Jahre alt, lebt seit vier Jahren in den Staaten. Eine Großtante hat sie aus dem deutschen Waisenhaus geholt und bei sich aufgenommen. Das Mädel gehört zu dieser Gruppe von Hackern, die

Pharmaunternehmen erpressen. Sicher erinnerst du dich an die Fälle. Zuerst setzte Taylor Stacy auf einen der Jungs an. Sie hat ihre Sache wie immer gut gemacht. Der Junge ist Stacy hörig und plappert wie ein Wasserfall.“

Ivan lachte wieder, wobei seine schmalen Augen listig aufblitzten. „Als Taylor erfahren hat, dass das Mädchen ziemlich gut sein soll, stellte er ihr beim letzten Treffen eine Falle. Nach der Verhaftung unterbreitete er ihr zwei Möglichkeiten, entweder Mitarbeit oder Knast.“

Sie erreichten ein abgelegenes Lokal, in dem trotz später Stunde noch eine Menge Leute saßen. Sie wählten einen Tisch etwas abseits. Ivan überreichte Miguel eine Akte, in der sich noch weitere Informationen über Mara befanden.

„Es war nicht einfach, daranzukommen. Taylor bewacht alles, was mit den Datenträgern auch nur im Geringsten zu tun hat, wie ein bisswütiger Schäferhund.“

Misstrauisch wartete Ivan ab, bis die Bedienung wieder den Tisch verließ, und schob ein Bündel Papiere über den Tisch. Miguel ließ sich in die Stuhllehne sinken und studierte die Akte. Als er aufblickte, sah er in Ivans breit grinsendes Gesicht.

„Ob das FBI mit ihrer Loyalität rechnen kann, falls es ihr gelingen sollte, den Code zu knacken? Wenn sie nur annähernd so scharfsinnig ist, wie sie reizend ausschaut, müsste es ihr doch aufgefallen sein, dass man ihr eine Falle gestellt hat und zwischen euch so eine Art Seelenverwandtschaft besteht?“ Kichernd tippte er bei seinen Worten auf die Fotografie, die er Miguel hinhielt.

„Seelenverwandtschaft? Ist das nicht ein bisschen hochgesteckt? Zudem wissen wir nicht, wie man mich darstellt.“ Ein Lächeln huschte über Miguels Lippen. Das Wort Seelenverwandtschaft gefiel ihm. Ein wenig hatte Ivan sogar recht, wenn sie wirklich so gut im Decodieren war, dachte er bei sich und blickte auf das Foto.

„Du solltest jedenfalls auf der Hut sein. Ich habe wirklich alles versucht, um an die Datenträger zu kommen, doch Taylor hat sie irgendwo versteckt. Ich habe keine Ahnung, wie du da noch rankommen kannst. Der einzige Weg ist zurzeit über die Kleine. Schade um sie.“

Miguel versuchte, seine Gedanken zu ordnen, doch er kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern.

„Ich muss jetzt wieder los. Hab da noch eine große Sache am Laufen. Wenn alles gut läuft, setzte ich mich zur Ruhe“, witzelte Ivan augenzwinkernd, trank hastig seinen Espresso aus und verschwand.

Es war bereits spät in der Nacht. Maras erste eigene Wohnung wirkte noch leer. Grübelnd saß sie in ihrem Ohrensessel, den sie auf einem Flohmarkt entdeckt hatte. Sie machte sich Gedanken über die Zukunft. Ihre Situation war gefährlicher, als es auf den ersten Blick schien. Was, wenn die Decodierungen geheime oder belastende Informationen enthielten? War das der Grund, warum Taylor sie daran arbeiten ließ? Und von wem wurde er eigentlich bezahlt? Handelte es sich um eine staatliche oder private Firma? Warum trugen alle die Bezeichnung Agent? Mit der immer wiederkehrenden Frage, ob Taylor etwas zu verbergen hatte, schlürfte sie den Rest ihres Tees aus.

6. Kapitel

Am späten Nachmittag betrat Mara das Gebäude der dubiosen Sicherheitsfirma. Diesmal nicht durch den Hintereingang. Eine breite, zweiflügelige Glastüre führte in einen Raum, den man aufgrund der gewaltigen Tür größer erwartet hätte. Ein Mann saß dort in einem gläsernen Kasten und blickte Mara erwartungsvoll an.

„Guten Tag, ich möchte zu Agent Taylor. Ich habe einen Termin. Mara Bucher.“

Der Mann lächelte. Er hatte eine Halbglatze, auf der sich das Licht der Deckenlampe spiegelte und einen ergrauten

Oberlippenbart. Seine braunen Augen hatten eine gutmütige Ausstrahlung. Er nickte, rückte die runde Brille zurecht und drückte auf einen Summer.

Mara blickte sich suchend um. Das sieht mir wieder ähnlich, ärgerte sie sich. Nur eine Tür weit und breit und sie glotzte unbeholfen im Raum herum.

Nervös beobachtete sie die Stockwerk-Anzeige des Aufzugs, während sie nach oben fuhr. Ob Taylor mit ihrem späten Auftauchen einverstanden sein würde? Das Letzte, worauf sie Lust hatte, war eine Standpauke von diesem Rotschopf.

Sie klopfte kurz an seine Tür.

Taylor stand mit rotem Kopf in der Mitte des Raumes. Stacy und Steven saßen an seinem Schreibtisch aus edlem Teakholz, ihre Hände im Schoß, so als hätten sie Angst, etwas im Büro des Chefs zu beschmutzen.

Es herrschte dicke Luft, doch Mara konnte nicht erkennen, worum es ging.

„Da sind Sie ja.“ In seinen Worten lag weder ein Hauch von Missbilligung noch des Einverständnisses, aber sie spürte seinen Ärger. Ob es nun an ihrem späten Auftauchen lag, oder doch nur an dem Thema, das eben noch sein Gemüt aufgeheizt hatte, konnte sie nicht sagen.

„Hier ist der Schlüssel für das Büro am Ende des Ganges.“ Ohne sich von seinem Platz wegzubewegen, hielt er ihr einen Schlüssel entgegen.

„Ich hoffe, es ist alles Notwendige angeschlossen worden, falls sich aber dennoch irgendwelche Fragen ergeben sollten, finden Sie einen Stock tiefer Mr. Osaka, unser Mann fürs Technische, er wird sich dann darum kümmern.“

Mara nickte und nahm den Schlüssel. Taylors ungeduldiger Blick ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sie am besten sofort verschwand.

Leise klangen ihre roten Sandaletten vom Boden wieder, während sie die zehn Meter bis zum Ende des Ganges lief. An den Wänden hingen bunte Kunstdrucke in Glasrahmen. Dies tat der Tristesse des Korridors jedoch nichts ab. Neugierig öffnete Mara die Tür. Taylors Bezeichnung kleines Zimmer war keine Übertreibung gewesen. Es war gerade genug Platz für einen alten schwarzen Drehstuhl und einem Schreibtisch, auf dem zwei Bildschirme standen.

Am Rand des Tisches entdeckte sie den Karton mit USB-Datenträgern vom Vortag. Übermütig ließ sie sich in den Drehstuhl fallen, der an die Wand rollte, lehnte ihren Kopf in den Nacken und starrte die Decke und Wände an. Eine Überwachungskamera hatte Taylor scheinbar nicht installieren lassen. Falls sie falsch lag, würde sich das heute noch herausstellen. Sie kramte im doppelten Boden ihrer Handtasche nach ihren USB-Sticks. Sie musste die Daten für sich haben. Taylor einen Schritt voraus sein. Nur so sah sie die Möglichkeit, den Überblick zu behalten. Denn, was war, wenn sie die Daten entschlüsselt hatte? Den Inhalt kannte? Würde Taylor sie dann tatsächlich einfach ziehen lassen? Sie wusste, dass sie eine Versicherung brauchte. Ein Druckmittel, ein Ass im Ärmel.

Es blieb ihr keine andere Wahl, sah sie ein und schloss den

Datenträger an, um eine Kopie anzufertigen. Während der Übertragung schlich sie immer wieder zur Tür und schaute durch einen Spalt den Flur entlang. Vor Nervosität bildeten sich Schweißflecken auf ihrer bordeauxfarbenen Bluse. Verärgert betastete sie die Placken unter ihren Achseln. Taylor würde sicher Verdacht schöpfen, sollte er sie so sehen.

Ihr Blick wanderte zur Uhr. Noch eine halbe Stunde, bis sie beinahe alleine auf diesem Gang sein würde. Nur das erste Zimmer war bis zum Schluss besetzt. Durch eine Glastür wurde jeder bemerkt, der diesen Gang betrat oder verließ. Das hatte ihr Fred erklärt.

Vorsichtig spähte in den Flur. Ob tatsächlich niemand mehr von Taylors Truppe anwesend war? Sie hatte die gestohlenen Daten gut versteckt, doch sie wollte Taylor nicht unterschätzen.

Verhalten tappte sie den Linoleumboden entlang, der den Geruch von Bodenwachs ausdünstete. Mit angehaltenem Atem passierte sie die Bürotür. Taylor schien tatsächlich bereits gegangen zu sein. Tief durchatmend ging sie weiter, blieb aber nach wenigen Schritten stehen.

Dies war eine der Gelegenheiten, die einem widerfuhren und niemals wiederkehrten. Sollte sie es wagen? In Taylors Schränken nach den fehlenden Aktenseiten suchen? Mara hatte, wie meistens, ein Pickwerkzeug eingesteckt. Ein Werkzeugset, womit man verschlossene Schlösser ohne Schlüssel öffnen konnte. Sie hatte nie vorgehabt, damit etwas Illegales anzustellen. Es war eher eine Art Sport für sie. Regelmäßig wurden Lock Picking-Meisterschaften ausgetragen. Das erste Treffen dieser Art, welches Mara besucht hatte, wurde vom Chaos Computer Club veranstaltet.

Mit zusammengepressten Lippen starrte Mara auf die Tür. Das Schloss war keine Herausforderung. Ihr Blick wanderte noch einmal den Flur entlang, ehe sie zurückschlich.

Sie spürte ihr Herz in der Brust hämmern, als sich ihre Hand um den Türknauf legte. Der Rotschopf hatte natürlich abgeschlossen. Mara zog ihr Set aus der Tasche. Alle Werkzeuge waren wie bei einem Schweizer Taschenmesser zusammengefügt. Bis auf den Spanner, dass erste

Hilfswerkzeug, welches sie in den Zylinder einführte, um das Innenleben auf Spannung zu bringen. Maras konzentrierte sich auf ihre Sinne. Es war anders als sonst, während sie den Pick zu einem illegalen Zweck über die Stifte gleiten ließ. Gefühlvoll übte sie Druck auf die Stifte aus, bis sie fixiert waren und sie den Spanner zum Öffnen drehte. Sie blickte auf die Uhr, das gehörte einfach dazu. Zehn Sekunden!

Sie huschte ins Büro. Unschlüssig stand sie nur so da. Wenn man sie hier erwischte! Mara schluckte. Sie ging zu einem Spind, der so gar nicht hierher passte. Sie konnte sich keinen Reim daraus machen, wieso Taylor diesen hässlichen Schrank hier stehen hatte. Die graue Farbe war an einigen Stellen abgeplatzt und rostig. Vielleicht erinnerte ihn der Spind an seine Schulzeit oder Sportclub. Sie zog an der Tür. Er war verschlossen. Ihre Hand glitt am oberen Rand des metallenen Schrankes und ertastete etwas. Der Schlüssel. Mara grinste. Es war nie klug, ein Versteck so nah an der Tür zu wählen.

Zu ihrer Enttäuschung war der Spind, bis auf eine dicke Staubschicht auf dem Boden leer. Sie hastete zum

Aktenschrank. Erleichtert stellte sie fest, dass das Schloss defekt und der Schrank offen war. Sie wollte hier so schnell wie möglich verschwinden.

Nacheinander durchstöberte sie die Fächer. Alles wirkte streng geordnet, doch unter Lopez konnte sie nichts finden. Angespannt strich sie sich eine nass geschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Die unterste Schublade enthielt unbeschriftete Aktenhüllen. Einige waren leer, andere nicht. Hülle für Hülle nahm Mara heraus und studierte flüchtig den Inhalt. Hektisch blickte sie auf die Uhr. Es waren bereits zehn Minuten vergangen. Ihr Herz raste, wie lange nicht mehr. Sie wollte schon abbrechen, weil ein ungutes Gefühl in ihr wuchs, doch dann fiel ihr eine unvollständige Akte auf. Es ging um einen ehemaligen Angestellten dieser Abteilung, auf den die Beschreibung Miguels passte.

Mara hatte keine Nerven, um alles sorgfältig durchzulesen. Aus der Handtasche fischte sie eine Digitalkamera, mit der sie den Inhalt fotografierte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie dachte an ihre Lieblingsserie, in der es um einen gutaussehenden Privatdetektiv ging, der stets heimlich etwas mit seiner Kamera festhielt. Sie wollte gerade nach dem Türknauf greifen, als Geräusche näherkamen. Es waren Stimmen. Taylors Stimme!

Panisch blickte sie sich um. Es war zu spät, um unbemerkt das Zimmer verlassen zu können. Unsicher schaute sie in Richtung Spind. Er war ja leer, bis auf die dicke Staubschicht. Taylor musste ihn schon länger nicht mehr benutzt haben, warum sollte er es an diesem Abend tun? Mara huschte zurück und zwängte sich hinein. Sie hielt den Riegel nach oben und ließ die Tür einrasten.

In Gedanken fluchte sie über ihr dummes Vertrauen in Freds Informationen. Sie schauderte bei der Vorstellung, dass gleich einige Leute im Büro auftauchten und sie versteckt in diesem engen Gefängnis saß. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was man mit ihr machen würde, sollte sie jemand entdecken. Mara zuckte zusammen, als die Tür aufsprang.

Hereingestürzt kamen Taylor, Stacy und Steven, in Begleitung von jemandem, besser gesagt von einem Gefangenen, was die Handschellen und das sich abzeichnende blaue Auge deutlich machten. All das konnte sie durch die Luftschlitze gut erkennen.

Ihr Blick fiel auf den Gefangenen. Er kam ihr bekannt vor. War das nicht der kleine Kauz mit dem hässlichen Trenchcoat? Auch wenn er heute etwas besser gekleidet war, hatte sie keinen Zweifel. Wurde sie tatsächlich beschattet? Doch warum tauchte er jetzt hier in Handschellen auf?

Steven schubste den Mann unsanft auf den Stuhl, der vor Taylors Tisch stand.

„Ihr seid doch dumme Esel“, beschwerte sich der Gefangene, was sich, mit dem russischen Akzent, beinahe komisch angehört hätte, wäre da nicht der Fausthieb Stevens gewesen, der in seiner Magengrube landete. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rang der Mann nach Luft.

„Jetzt gib endlich zu, die Pläne von N5 gestohlen zu haben. Gib sie zurück und wir vergessen den Fall“, versuchte es Taylor diplomatisch.

„Ich sag doch, ihr seid dumme Esel, gar nichts habe ich gestohlen.“

Stevens holte zu einem weiteren Schlag aus, doch Taylor gab ihm durch eine Handbewegung zu verstehen, sich zurückzuhalten.

„Ivan, du stehst auf der falschen Seite. Wir wissen, dass du Miguels Aufenthaltsort kennst. Du solltest uns helfen ihn zu kriegen. Zurück ins Team kommen.“

Bei diesem Namen durchfuhr Mara ein Schauer. So hieß der Mann, dessen Verschlüsselungen sie bearbeitete. Hatte dieser Kauz vielleicht für Miguel spioniert, um herauszufinden, wer sie war? Doch zu welchem Zweck? Sie begann langsam an ihrer Objektivität zu zweifeln. Was wenn sie sich das alles einbildete und Taylor es nur gut mit ihr gemeint hatte? Sie völlig sinnlos in diesem Spind geendet war?

Ivan stotterte. „Nein, nein, keine Ahnung, wo er steckt. Hab ihn mal getroffen, doch was hätte ich tun sollen? Ihn verhaften? Er hätte mich wahrscheinlich als verrückten Vogel ins nächste Irrenhaus geschickt. So wie dich mein Freund.“ Mit einem schadenfrohen Grinsen guckte er zu Steven, dessen blasses Gesicht rot anlief.

„Freunde waren wir nie und werden wir auch nie sein, du Stück Dreck“, schnaubte Steven und sah dabei aus, als wolle er ihn jeden Augenblick umbringen.

Taylor schlug verärgert die Faust auf den Tisch.

„Erzähl uns keinen Bullshit, du weißt ganz genau, wo er steckt. Ich gebe dir noch fünf Minuten, ansonsten bekommst du das Wahrheitsserum verpasst. Dir wird sicher in Erinnerung geblieben sein, dass es Stacy nicht so genau nimmt mit der Dosierung.“

Ivan lachte verzerrt. „Nicht so genau nimmt? Sie ist zu dumm, das ist alles.“

Steven unterbrach sein Kichern mit einem erneuten Hieb in den Magen. Auf Russisch fluchend hielt sich der Mann den Bauch.

Stacy, die bisher kein Wort gesprochen hatte, hielt plötzlich eine merkwürdige Spritze in der Hand, die sie aus einem Köfferchen entnommen hatte. Es war keine von den gewöhnlichen Einweg-Spritzen, die Mara von ihrem Arzt her kannte. Sie war groß und sah antiquiert aus. Mara schauderte.

Auf keinen Fall wollte sie mit ansehen müssen, wie sie damit dem armen Kerl etwas antun würden.

Als wäre die Situation nicht verfahren genug, breitete sich ein unangenehmes Kribbeln in ihrem rechten Bein aus. Für einen kurzen Augenblick lenkte sie das dermaßen ab, dass sie es fast übersehen hätte. In einem unbeobachteten Moment, während alle auf Stacy starrten, ließ Ivan etwas in den Papierkorb fallen. Stacy stach zu.

„Los, befrag ihn“, befahl Taylor und verschränkte die Arme. Stacy beugte sich zu dem Mann runter und begann ihm etwas ins Ohr zu nuscheln, was nicht bis ins Spind Innere vordrang. An ihrem verärgerten Gesichtsausdruck ließ sich erraten, die Antwort hatte nicht zu ihrer Zufriedenheit gelautet.

„Wir müssen ihm mehr verabreichen. Das Zeug wirkt bei dem nicht richtig.“ Nochmals stellte sie Fragen. „Wo sind die Unterlagen von N5? Was ist mit Miguel? Was hat er vor? Wo hält er sich auf?“

Schweiß durchdrang Ivans Hemd, mehrmals verdrehte er die Augen und stand kurz davor bewusstlos zu werden, was Steven durch regelmäßige Schläge ins Gesicht, zu verhindern suchte.

Der Mann tat Mara leid. Wie gerne hätte sie ihm irgendwie geholfen. Doch was hätte sie tun sollen? Aus dem Spind gesprungen kommen, um alle bewegungsunfähig zu erschrecken? Die dummen Gesichter wären es beinahe wert, ging es ihr durch den Kopf.

Langsam zeichnete sich ab, dass Ivan die Kontrolle über sich verloren hatte. Wirre stammelte er einiges durcheinander. „Im Spind, Schlüssel ist versteckt im Müll.“ Nur über Miguel verlor er kein Wort. Dann brach er zusammen und kippte vornüber vom Stuhl.

„Was machen wir jetzt mit dem Sack?“, fragte Steven und trat ihm dabei verächtlich in die Seite.

„Viel haben wir nicht aus ihm rausbekommen“, erwiderte Taylor in sich versunken. Die Pläne müssen in irgendeinem angemieteten Postfach stecken, von denen es Tausende gibt, und den beschissenen Schlüssel dürfen wir im Müll suchen.“ Nachdenklich kaute Stacy auf ihrem Bleistift. „Ob Miguel die Pläne gesehen hat? Wenn, dann haben wir ein Problem. Unser Überraschungseffekt wäre somit dahin und er uns wieder zwei Schritte voraus.“

„Das ist er sowieso“, entgegnete Steven gereizt. „Oder findet ihr es nicht auch merkwürdig, dass Ivan kein Sterbenswörtchen über Miguel verloren hat? Nicht einmal ein Elefant hätte dieser Dosis widerstanden.“

Mara wurde aus all dem nicht schlau, doch sie kombinierte, dass der Russe den besagten Schlüssel eben in Taylors Papierkorb geworfen hatte.

Taylor schüttelte genervt den Kopf. „Steven und ich bringen Ivan von hier weg. Falls er nicht schlappmacht, befragen wir ihn morgen noch mal. Stacy, du gehst zu seiner Wohnung und seinem Büro, vielleicht findest du dort den Schlüssel, oder irgendetwas das uns weiterhilft.“

Stacy nickte und hatte schon den Türknauf in der Hand, als sie innehielt. „Was ist mit Mara Bucher? Sie sollte auf keinen Fall etwas mitbekommen. Ist sie noch hier?“

Mara spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte.

„Ja, sie ist noch hier. Wenn sie uns nicht zufällig über den Weg läuft, brauchst du dir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Such jetzt lieber nach dem verdammten Schlüssel. Und lass den

Koffer mit dem Serum verschwinden!“

Stacy nickte. „Ich werde alles bei mir zuhause deponieren.“ Taylor und Steven zerrten Ivan hoch, was ihnen einiges an Kraft abverlangte, und schleiften ihn aus dem Zimmer.

Maras Herz raste. Vorsichtig bewegte sie den Verschlussriegel. Alles war wieder still, nur der Schmerz im Bein war von diesem Albtraum artigen Szenario noch übrig. Ihre Hände zitterten, während sie den Spind abschloss und den Schlüssel zurücklegte.

Sie humpelte zum Papierkorb. Sie hatte sich nicht getäuscht, der Schlüssel war leicht auszumachen, zwischen dem weißen Papier.

Sie war erleichtert, dass niemand die Tür zugeschlossen hatte und huschte aus dem Büro.

 

7.Kapitel

Mara spürte wieder die Angst, die sie ergriffen hatte, als sie sich in den Spind verstecken musste. Sie hatte tatsächlich noch nie so viel Schiss gehabt, in ihrem ganzen Leben nicht. Sie hoffte, dieser Alptraum war die Fotografien wert, als sie die Kamera an den Computer anschloss.

Es handelte sich tatsächlich um den fehlenden Teil aus Miguels Akte. Nervös zwirbelte sie eine ihrer Haarlocken, während sie die Informationen über Miguel Lopez ordnete. Er war FBI-Agent, den man vom Dienst vorläufig suspendiert hatte. Er wurde verdächtigt, einen Polizisten hinterrücks erschossen zu haben. Ein Mr. Thomson, der ebenfalls beim FBI arbeitete, wurde als sein Vorgesetzter angeführt.

Das FBI! Mara war verunsichert. Arbeitete diese

Sicherheitsfirma für das FBI?

Ohne Hoffnung, doch noch den entscheidenden Hinweis zu finden, warum sie an den Codierungen arbeitete, klickte sie die letzte Seite an. Ein unscharfes Passfoto lenkte sie ab. Miguel Lopez hatte schwarzes Haar und ebenso dunkle Augen. Sie war nie schnell zu beeindrucken gewesen, doch dieses Gesicht fesselte sie. Es strahlte einen gewissen Charme aus. Vielleicht waren es auch seine kniffligen Codierungen, weswegen ihr das Bild gefiel, sinnierte sie und las die letzten Zeilen.

Alles, was sie bisher aufgeschnappt hatte, schien sich wie ein Puzzle zusammenzufügen. Doch konnte das wahr sein? Ungläubig las sie die Seite abermals durch. In diesen wenigen Sätzen fand sie die Antwort auf alle Ungereimtheiten, warum man sie ausgesucht hatte. Ivans Hinweis, Miguel nicht einfach festnehmen zu können, aufgrund seiner Sorge, wie Steven im Irrenhaus zu landen. Nachdenklich kaute sie auf ihren Lippen. Ob Miguel wusste, wer an seinen Codierungen arbeitete? Wenn das stimmte, was sie gerade gelesen hatte, war sie ihm völlig ausgeliefert. Zweifelnd las sie alles noch mal.

Miguel besaß eine außergewöhnliche Fähigkeit. Er war imstande Gedanken zu lesen und Menschen seinen Willen aufzuzwingen.

Auch wenn es schwarz auf weiß auf diesen Papierseiten geschrieben stand, kam es ihr absurd vor. Über den Hinweis, dass er seine Gabe nur bis zu einem Abstand von zwei bis vier Metern einsetzen konnte, schüttelte sie den Kopf. War das FBI, oder wer auch immer diese Sätze verfasst hatte, nicht zu einer genaueren Erklärung fähig gewesen? Musste man darauf achten, wie der Wind stand? Müde schloss sie die Seiten und starrte an die Decke. Plötzlich fiel ihr der Mann mit dem russischen Akzent wieder ein. Wie er vor ihrem Haus rumgelungert hatte. Sie fühlte sich unwohl. Nachdenklich blickte sie auf den Schlüssel, den sie aus Taylors Papiereimer gefischt hatte. Ob es besser wäre, ihn zurückzulegen? Ihr Kater riss sie aus ihren Überlegungen. Er sprang auf den Arbeitstisch und lief über die Tastatur. Aufdringlich stellte er sich mit den vorderen Pfoten auf ihre linke Schulter und begann schnurrend seinen pelzigen Kopf an ihren zu stupsen. Er würde ja doch nicht lockerlassen. Mit Romeo im Arm ließ sich Mara erschöpft auf die Couch fallen und verdrängte ihre Sorgen. Das laute, eintönige Schnurren ließ Maras Lieder schwer werden. Verausgabt fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

8. Kapitel

Mara schreckte aus einem Traum hoch. Verschlafen blickte sie auf die Uhr, es war fast Mitternacht. Die Bilder des Russen, wie er die Augen verdrehte und das fiese Grinsen Stevens wollten sich nicht vertreiben lassen. Mara musste sich ablenken, wenn sie nicht panisch werden wollte.

Scott ging nie vor dem Morgengrauen ins Bett, weshalb Mara beschloss, zu ihm zu fahren. Sie löschte das Licht im Zimmer und beobachtete von ihrem Fenster aus, die Straße. Ihre Wohnung lag zu weit oben, um jedes Detail erkennen zu können, doch es wirkte alles friedlich. Nicht einmal Autos waren unterwegs.

Beim Verlassen des Hauses wurde ihr mulmig. Misstrauisch blickte Mara die Straße entlang und huschte zu ihrem Wagen. Gewiss hat Miguel Besseres zu tun, als nachts hier herumzulungern, sah sie ein und atmete tief durch.

Die Fahrt zu Scott dauerte nicht lange. Dort war wie immer noch was los. Vor Jahren hatten Scott und einige seiner Freunde zusammengelegt, um sich dieses mehrstöckige Haus zu kaufen.

Musik und Stimmen drangen aus den meist offenstehenden Wohnungen, an denen Mara auf dem Weg in die letzte Etage vorbeikam.

„Na, ich dachte schon, du willst dich überhaupt nicht mehr blicken lassen“, grüßte Scott überschwänglich und drückte Mara links und rechts einen dicken Schmatzer auf die Wangen. „Das war ein grauenvoller Tag“, jammerte Mara. Seufzend ließ sie sich in einen Sessel fallen.

Scott griff nach der gläsernen Teekanne, die auf dem Tisch stand, um ihr eine Tasse von dem roten, dampfenden Tee einzuschenken.

„Auf der Packung steht etwas von Harmonie. Vielleicht hilft es dir ja.“ Grinsend schob er ihr die Tasse rüber und setzte sich gegenüber in eine braune Cord Couch.

„Ich könnte deine Hilfe gebrauchen, doch wenn dir die ganze Sache zu heiß ist, kann ich das verstehen“, erklärte sie seufzend.

„Zu heiß? Dieses Wort kenne ich nicht.“ Seine blauen Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, blickte er abenteuerlustig.

Mara tat es gut, sich die erlebten Schrecknisse von der Seele zu reden. Auch wenn sie ein schlechtes Gewissen bekam, war es ein motivierendes Gefühl, einen Komplizen an ihrer Seite zu wissen.

„Das ist der Schlüssel, den der Russe in den Papierkorb fallen gelassen hat.“

Über Miguels Eigenart verlor sie kein Wort, das schien ihr doch zu aberwitzig.

Scott, der bis zum Schluss zugehört hatte, schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

„Du bist wohl nicht ganz bei Verstand?“

Mara zuckte mit den Schultern und sah zu, wie er den Schlüssel drehte und dann in seinem Rucksack kramte. Scotts blonde Locken wippten im Takt seiner nickenden Kopfbewegung, als er den Schlüssel mit einem anderen verglich.