Gefährliche Ideen - Alf Rehn - E-Book

Gefährliche Ideen E-Book

Alf Rehn

5,0

Beschreibung

Es gibt zwei Arten von Kreativität: die nette, bunte Kuschelkreativität, die uns seit Jahren in Büchern und Seminaren verkauft wird. Und die Kreativität, die Sie in diesem Buch finden werden: schmutzig und weltverändernd. Es ist diese Art von Kreativität, die wirklich zum Erfolg führt. Sie ist Revolution! Sie ist Punk! Sie ist gefährlich! Alf Rehn, der Bad Boy of Business School, liefert ein höchst provokatives Manifest für einen kreativen Umgang mit Kreativität: "Ich hoffe inständig, dass nicht jedem der Inhalt dieses Buches gefallen wird. Ich würde es sogar als persönliches Versagen bewerten, falls sich niemand über manches, was hier geschrieben steht, ärgert oder tierisch aufregt. Ich werde mir also viel Mühe geben, ein bisschen gemein und respektlos und sogar hochnäsig zu sein. Und mein Herzenswunsch ist es, dass zumindest einem Leser dieses Buches bei der Lektüre richtig übel wird."

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 250

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alf Rehn

Gefährliche Ideen

Von der Macht des ungehemmten Denkens

Aus dem Englischen von Jan W. Haas

Über das Buch

Ein Wort zur Warnung! Dieses Buch ist nicht so nett und kuschelig wie die meisten Bücher über Kreativität. Ganz im Gegenteil: Es ist ein wenig zornig und schwimmt entschieden gegen den Strom. Vielleicht werden Sie es ungemütlich und verstörend finden, und ich wünsche mir das sogar. Es wird nicht so hilfreich und liebenswürdig wie andere Bücher sein – jene, die Ihnen zu mehr Kreativität verhelfen wollen, indem sie Ihnen kleine Bausteine mit lustigen und fröhlichen Übungen präsentieren. Und das ist kein Zufall. Denn wer kreativer werden will, darf nicht gepampert, sondern muss herausgefordert werden – und da nützt es wenig, wenn ich ständig überlege, wie ich Sie glücklich machen kann. Daher wird dieses Buch, im krassen Gegensatz zu vielen anderen seiner Gattung, Sie nicht verhätscheln, sondern Klartext reden und dabei manchmal richtig gemein sein. Ich werde ordinäre Ausdrücke gebrauchen, launisch sein und ganz sicher auf motivationsfördernde Hurrarufe verzichten. Meine Grundannahme lautet vielmehr, dass Kreativität etwas Schwieriges und Anspruchsvolles ist. Ich behaupte daher, dass seine Kreativität nur steigern kann, wer seine Sicht darauf sowie seine Denkprozesse verändert – und dazu noch eine ganze Reihe anderer Dinge infrage stellt, einschließlich des Kreativitätsbegriffs an sich.

Seien Sie also gewarnt!

Der Autor

(Alf Rehn, ein Mann, der nicht gerade für sein sonniges Gemüt bekannt ist und der ganz sicher nicht Ihre liebe Mutti ist ...)

Über den Autor

Alf Rehn ist Ordinarius für Management und Organisationslehre an der Åbo Akademi University in Turku (Finnland). Zuvor war er Professor für Innovation und Unternehmertum an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm. In seinen Forschungsarbeiten, deren Ergebnisse in einer Reihe von Büchern sowie in zahlreichen Artikeln erschienen sind, beschäftigt er sich mit einer großen Bandbreite von Themen, darunter Kreativität, Haute Cuisine, Projektmanagement, Populärkultur, Philosophie, Langeweile, Innovation sowie Luxus. Darüber hinaus ist er ein gefragter Vortragsredner und Berater auf den Gebieten Kreativität, Innovation, Strategieentwicklung sowie Verbraucherverhalten und hat mit den leitenden Persönlichkeiten vieler Konzerne und anderer Organisationen zusammengearbeitet. Er ist ein ergebener Fan von Ethel Merman und der göttlichen Patsy Cline.

Weitere Informationen finden Sie unter www.alfrehn.com.

Ein Wort zur Warnung

Dieses Buch ist nicht so nett und kuschelig wie die meisten Bücher über Kreativität. Ganz im Gegenteil: Es ist ein wenig zornig und schwimmt entschieden gegen den Strom. Vielleicht werden Sie es ungemütlich und verstörend finden, und ich wünsche mir das sogar. Es wird nicht so hilfreich und liebenswürdig wie andere Bücher sein – jene, die Ihnen zu mehr Kreativität verhelfen wollen, indem sie Ihnen kleine Bausteine mit lustigen und fröhlichen Übungen präsentieren. Und das ist kein Zufall. Denn wer kreativer werden will, darf nicht gepampert, sondern muss herausgefordert werden – und da nützt es wenig, wenn ich ständig überlege, wie ich Sie glücklich machen kann. Daher wird dieses Buch, im krassen Gegensatz zu vielen anderen seiner Gattung, Sie nicht verhätscheln, sondern Klartext reden und dabei manchmal richtig gemein sein. Ich werde ordinäre Ausdrücke gebrauchen, launisch sein und ganz sicher auf motivationsfördernde Hurrarufe verzichten. Meine Grundannahme lautet vielmehr, dass Kreativität etwas Schwieriges und Anspruchsvolles ist. Ich behaupte daher, dass seine Kreativität nur steigern kann, wer seine Sicht darauf sowie seine Denkprozesse verändert – und dazu noch eine ganze Reihe anderer Dinge infrage stellt, einschließlich des Kreativitätsbegriffs an sich.

Seien Sie also gewarnt!

Der Autor

(Alf Rehn, ein Mann, der nicht gerade für sein sonniges Gemüt bekannt ist und der ganz sicher nicht Ihre liebe Mutti ist ...)

Einleitung

Provokation und gefährliches Denken

[Bild vergrößern]

Pure Digital Technologies galt innerhalb seiner Branche nicht unbedingt als das, was man eine Zugmaschine nennen würde. Das Unternehmen war ein Mitläufer, ein unbedeutender Spieler, der sich auf Einwegvideokameras spezialisiert hatte. Analog zum Geschäftsmodell von Einwegkameras waren diese über eine Drogeriemarktkette vertrieben worden und hatten innerhalb ihrer Marktnische einen mäßigen Verkaufserfolg erzielt. Sie waren das bescheidene Produkt eines bescheidenen Unternehmens: nichts, wofür man sich schämen müsste, aber eben weder revolutionär noch besonders innovativ. Doch das Unternehmen wollte höher hinaus. Eines Tages beschloss es, etwas Neues zu testen, und zwar eine echte Videokamera. Dabei stieß Pure Digital Technologies jedoch auf ein Problem: Das Unternehmen erkannte, dass es im Wettbewerb mit den großen Konzernen auf diesem Markt gnadenlos untergehen würde. Weder verfügte es über die nötigen Ressourcen, um der Konkurrenz bei der Produktentwicklung die Stirn zu bieten, noch über die erforderliche Finanzstärke, um im Preiswettbewerb in den bestehenden Marktsegmenten mithalten zu können. Kurz gesagt: Man wäre nicht in der Lage gewesen, eine bessere Videokamera zu bauen, so sehr man es auch gewollt hätte.

Diese Situation kennen viele Unternehmen. Wer nicht gerade Marktführer ist, verfügt nur selten über die notwendigen Kapazitäten, um die etablierten Spieler auf einem bestimmten Feld ernsthaft herauszufordern. Im harten Konkurrenzkampf gerät immer irgendjemand ins Hintertreffen, wenn es um die Entwicklung verbesserter Produkte geht. Oft genug führt dies zu Apathie und einer Geisteshaltung, die für Verlierer typisch ist, – und schließlich zum Niedergang und zum Tod des Unternehmens. In einer solchen Situation hilft der unbekümmerte Ruf nach »Innovation« oder »Kreativität« nicht wirklich weiter. Wozu eine brillante Idee entwickeln, wenn man doch genau weiß, dass die Konkurrenz sie einfach übernehmen wird? Und übrigens kosten gute Ideen oft richtig, richtig viel Geld … – Was also tat Pure Digital Technologies?

Im Rückblick war die Lösung ganz einfach, sie lag eigentlich auf der Hand. Da das Unternehmen im Konkurrenzkampf um den Bau der besten Kamera nicht mithalten konnte, produzierte es einfach eine deutlich schlechtere. Das mag wie ein seltsames Vorhaben klingen, aber tatsächlich handelte es sich um eine geniale, eine wirklich gefährliche Idee, deren Zeit gekommen war. Pure Digital hatte bemerkt, dass einige ältere, weniger ausgefeilte Methoden der digitalen Videoaufnahme inzwischen sehr preiswert geworden waren. Da die meisten Firmen von den neuesten und besten Techniken besessen sind, konnte man die Grundtechnologie für die Aufnahme relativ grobkörniger Videofilme zu einem Spottpreis erwerben. Pure Digital verpackte das Ganze in ein billiges Plastikgehäuse, und da das Unternehmen keine Lust hatte, horrende Summen in die Entwicklung ausgefallener Spielereien zu investieren, verzichtete es einfach darauf. Stattdessen beschränkte man sich auf die unverzichtbaren Bauteile: Aufnahmetaste, Abspieltaste, Löschtaste und wenig mehr. Das einzige Extra war ein integrierter USB-Anschluss, um das Gerät direkt an einen Computer anschließen zu können. Es war klein, billig, unfassbar leicht zu bedienen und damit genau das Richtige für die Youtube-Generation, aber auch für diejenigen, denen normale Videokameras zu kompliziert und natürlich auch zu teuer waren.

Als die Videokamera im Mai 2006 auf den Markt kam, hieß sie »Pure Digital Point & Shoot«, aber das änderte man rasch zu »Flip Video«. Im September 2007 erschien die etwas ausgeklügeltere »Flip Ultra«, die sich unmittelbar zu einer der meistverkauften Videokameras der Welt entwickelte. In nur wenigen Jahren sicherte sich die Flip den Löwenanteil des Marktes und wurde zum Marktführer in ihrem Segment – mit 1,5 Millionen verkauften Geräten weltweit. Und das Unternehmen? Nun, das wuchs innerhalb von fünf Jahren um satte 50000 Prozent und wurde später für 590 Millionen US-Dollar von Cisco erworben. Gar nicht übel für einen unbedeutenden Spieler mit einem technisch minderwertigen Produkt!1

Es ist leicht, die eigentliche Botschaft dieser kleinen Anekdote zu übersehen. Oft konzentrieren wir uns allein auf das Unternehmen, das ein bahnbrechendes Produkt entwickelt, und vergessen dabei die entscheidende Frage: Warum ist den anderen nicht dasselbe eingefallen? Zahllose Unternehmen hatten schließlich die gleiche Chance, ohne jedoch etwas daraus zu machen. Und häufig vergessen wir noch etwas anderes: Das Entscheidende ist nicht unser Wissen, sondern vielmehr, was wir damit anstellen. Tatsache ist nämlich, dass der Rest der Branche sich angesichts der Flip keineswegs dafür verfluchte, sie nicht selbst entwickelt zu haben. Ganz im Gegenteil! Man fand die Flip abscheulich.

Wenn Ihnen das seltsam vorkommen sollte, dann stellen Sie sich doch einmal vor, Sie wären Spezialist für Videokameras. Ihr gesamtes Arbeitsleben ist der Verfeinerung Ihrer Fähigkeiten gewidmet, Videokameras zu entwickeln und zu verbessern, um Ihren Kunden die bestmögliche Videokamera an die Hand zu geben. Und plötzlich taucht ein Unternehmen auf, von dem Sie noch nie gehört haben, und präsentiert etwas viel Schlechteres als das, woran Sie arbeiten, mit weitaus weniger Funktionen. Wären Sie verärgert? Aber sicher! Dieses neue Ding wäre der krasse Gegensatz von allem, was Sie verkörpern und woran Sie glauben. Wahrscheinlich würde das auf Sie mehr als nur ein bisschen bedrohlich wirken. In ähnlicher Weise wie es der Billigfluglinie Ryanair gelang, die Flugbranche zu verärgern, indem sie jede Spur von Service ausmerzte – und das auch noch auf effekthascherische Weise –, spiegelte die Flip eine Idee wider, die innerhalb ihres Kontextes als gefährlich angesehen wurde.

Wir neigen dazu, uns Kreativität als etwas Angenehmes, Spaßiges und Schönes vorzustellen. Eine gute Idee ruft demnach bei allen, denen sie begegnet, ein ermutigendes Lächeln hervor. Doch dabei unterliegen wir einer Täuschung und einem Missverständnis. Denn im Gegenteil ist wahre Kreativität zumeist ein wenig gefährlich, bedrohlich und provokativ. Die Hersteller von Videokameras haben durchaus versucht, kreativ zu denken und über den Tellerrand hinauszublicken. Doch da sie nicht mit unbequemen oder bedrohlichen Ideen umgehen konnten, wurden sie von der Entwicklung der Flip eiskalt erwischt. Die Flip war eine wirklich gefährliche Idee, und ihr größter Triumph lag in der Unruhe, die sie innerhalb der Branche stiftete.

Daher wird sich das vorliegende Buch nicht mit einer Kreativität beschäftigen, wie sie üblicherweise in Seminaren gelehrt wird. Dieser Kreativitätsbegriff ist zu einem kraftlosen und verwässerten Konzept geworden. Stattdessen beschäftigt sich dieses Buch damit, wie Sie gefährliches Denken entwickeln können. Bücher über Kreativität neigen für gewöhnlich dazu, die immergleichen ausgelutschten Geschichten und faden Gedanken zu wiederholen. Oft sind sie unterwürfig im Ton und versuchen beim Leser ein lahmes Wohlgefühl hervorzurufen. Dieses Buch möchte ein wenig anders sein. Es wird sich mit ungemütlichen Dingen beschäftigen, die uns so lästig erscheinen werden wie vermutlich damals die Flip ihren Wettbewerbern. Der Grund dafür ist ganz einfach: Nur wenn wir aus der heimeligen Kuschelecke herausgedrängt werden, finden wir das radikal Neue und Gefährliche – jene Dinge, die den Status quo infrage stellen. Veränderung ist niemals ein gemütlicher, schmerzloser Prozess, und dasselbe gilt für echte Kreativität. Dennoch spricht man über Kreativität häufig so, als handelte es sich um einen harmlosen Teddybären, um ein hübsches, flauschiges Konzept, das wir uns alle mühelos zu Eigen machen könnten. Dieses Buch möchte diesen Mythos zerschlagen.

Auf dem Weg zu gefährlicherem Denken: 5 Schritte

Menschen, die althergebrachte Denk- und Handlungsweisen infrage stellen – sei es in einem Unternehmen, in einer Branche oder in der Gesellschaft als Ganzes –, sind stets Individuen, denen es gelungen ist, einen Schritt weiter zu denken. Dieser Vorgang ist nicht identisch mit »Kreativität« im engeren Wortsinn, sondern weitaus radikaler. Flip war nicht nur eine kreative Videokamera, ebenso wenig wie Ikea nur eine kreative Idee war (wir werden später noch darauf zurückkommen). Beide brachen radikal mit der bisherigen Art und Weise, ein Produkt, ein Unternehmen sowie eine Branche zu begreifen.

[Bild vergrößern]

Doch wo findet man die Möglichkeiten für solch radikale Umbrüche? In diesem Buch werden wir ein Fünf-Phasen-Modell (siehe Abbildung) entwickeln, das detailliert aufzeigt, wie man die hierzu notwendigen Schritte durchläuft. Betrachten wir zunächst die Grundlagen dieses Prozesses – von der Nachahmung von Kreativität bis zu echtem gefährlichem Denken.

Schritt 1: Nachahmung

Das Hauptproblem bei der Kreativität liegt darin, dass der Mensch von Natur aus gut nachahmen kann. Tatsächlich sind wir darin so gut, dass wir kaum bemerken, wenn wir es tun. Besonders heikel wird die Sache, sobald man sich klar macht, dass selbst Bücher über Kreativität sich zumeist darauf beschränken, andere Bücher über Kreativität nachzuahmen – oder von ihnen abzuschreiben. Der Drang zur Nachahmung ist Teil unseres Wesens: Sobald wir eine gute Idee erkennen, nimmt sich unser Unterbewusstsein vor, sie zu imitieren. Das gilt selbst dann, wenn es sich um eine Idee über Kreativität handelt! In der Videobranche hatte man sich auf eine bestimmte Spielart von Kreativität geeinigt, deren Hauptmerkmal in der Hinzufügung immer neuer Funktionen und Designschnörkel bestand. Jeder wusste genau, worin Kreativität bestand, und versuchte, dieser Erwartung gerecht zu werden. Flip stand für etwas, das andere Branchenangehörige nicht einmal als Kreativität empfanden, sondern vielmehr als etwas anderes, etwas Bedrohliches.

Ein erheblicher Teil kreativer Arbeit, insbesondere in Großunternehmen (und in Büchern über Kreativität), steckt in dieser Phase fest. Das Problem ist nicht, dass die Menschen versuchen, der Kreativität auszuweichen – sie bemühen sich vielmehr durchaus, kreativ zu sein –, sondern dass sie unbewusst nur in der ihnen vertrauten Art und Weise kreativ zu sein versuchen. Ohne es wirklich zu begreifen, ahmen sie nur frühere Formen von Kreativität nach, denn schließlich hat man ihnen weisgemacht, dass sie genau dies tun sollten. Die meisten Bücher über Kreativität befassen sich mit dem, was früher einmal funktioniert hat, und ihre Leser in den Unternehmen führen sie sich in aller Ruhe zu Gemüte – während die wahren Erneuerer längst neue, wundersame Pfade erkunden.

Schritt 2: Erweiterung

Bisweilen glauben wir, dass wir der Imitation durch Erweiterung entrinnen können, das heißt durch Vergrößerung unseres Konzeptraums. Dazu eignen wir uns neue Wissensgebiete an, sammeln zusätzliche Informationen und suchen nach weiteren Lösungen. Viele Unternehmen leisten Hervorragendes in dieser Disziplin und haben davon stark profitiert. Doch Firmen können auch in dieser Phase stecken bleiben, ohne wirklich zu begreifen, warum ihnen nicht mehr Entwicklungen gelingen. Erstaunlicherweise gibt es nicht wenige Kreativitätsexperten, die kurzsichtig genug sind, Erweiterung als Königsweg anzupreisen. Problematisch ist: Erweiterung findet stets innerhalb eines vorgegebenen Rahmens statt. Das ist ungefähr so, als würde man um einen Plan herum improvisieren. Viele Unternehmen schätzen die Bequemlichkeit dieses Ansatzes, der ihnen sicher und vertraut erscheint und das Gefühl vermittelt, dass der Kernbereich ihres Geschäfts weiterhin intakt und kontrollierbar ist.

Wir denken nur selten über die Entstehungsgeschichte neuer Geschäftsmodelle nach, doch oft entspringen sie etwas weitaus Radikalerem als einer reinen Erweiterung. Ikea, der beherrschende Riese der weltweiten Möbelindustrie, verkörpert einen solchen radikalen Umbruch. Als Ikea das Konzept von preiswerten Möbeln zum Selbstaufbau einführte, geschah dies in einer Branche, die über einhundert Jahre hinweg ihren Horizont beständig erweitert hatte – mit neuen Designern, neuen Materialien und neuen Möbelarten. Doch niemand hatte es gewagt, auf gefährliche Art über die Grundlogik hinter dem Produkt und der Geschäftsidee als solcher nachzudenken. Ikea tat dies, und wie im Fall der Flip-Videokamera reagierte die Branche darauf mit einer Mischung aus Schock und Ungläubigkeit – und sogar Abscheu. Die »Erweiterung des Spielfelds« reicht bei weitem nicht aus, um die althergebrachte Ordnung der Dinge ernsthaft aufzuwirbeln. Deshalb müssen wir anderswo nach Inspirationsquellen suchen.

Schritt 3: Provokation

Flip und Ikea zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich nicht darauf beschränkten, nach kreativen Lösungen zu suchen, also bisherige Vorstellungen von Kreativität zu imitieren. Auch erweiterten sie nicht einfach alte Konzepte. Vielmehr ging es ihnen um etwas weitaus Schlagkräftigeres, nämlich um eine radikale Provokation bestehender Denkmuster. Kurz gesagt taten sie etwas, das in ihrem Bereich als dumm, bedrohlich, fragwürdig, unpassend und unmöglich angesehen wurde. Dies unterscheidet sich grundlegend von einer reinen Horizonterweiterung und gleicht eher einem Neustart des Denkprozesses. Gefährliches Denken beginnt mit so einem provokativen Bruch – jenem Moment, in dem etwas eingeführt wird, das sich in bisherige Bezugssysteme nicht einordnen lässt und daher Reibung und Unbehagen erzeugt. Um diesen Schritt gehen zu können, gilt es zunächst die Mechanismen infrage zu stellen, die uns in unserer Komfortzone gefangen halten. Dafür müssen wir die »geheimen Schubladen« aufstoßen (keine Sorge, wir kommen noch darauf zurück) – gemeint ist der Bezugsrahmen, der die Stoßrichtung unserer Gedanken eingrenzt und in Schach hält. Dies ist nicht identisch mit »kreativ sein«, sondern stellt eine weitaus radikalere Konfrontation mit traditionellen Denkmustern dar.

Schritt 4: Neubewertung

Sobald man den Bruch mit den alten Bezugssystemen vollzogen und damit das eigene Denken neu programmiert hat, kommt es darauf an, große Teile des gewohnten Arbeitskontextes neu zu bewerten. Kreativität muss ab sofort als dauerhafter Bestandteil der eigenen Arbeit betrachtet werden, statt darauf zu vertrauen, dass der in Schritt 3 beschriebene Bruch bereits genügt. Gefährliches Denken erschöpft sich nicht darin, gute Ideen zu entwickeln, sondern beinhaltet eine laufende Neubewertung der Umwelt, einen ständigen Perspektivwechsel. Unternehmen, die kreativ werden möchten, müssen neue Denkweisen entwickeln. Kreatives Denken und kreative Führung sind nicht identisch, aber beide bilden gemeinsam die Voraussetzung für Effizienz.

Schritt 5: Gefährliches Denken

Kreativität sollte danach streben, sich in gefährliches Denken zu verwandeln. Dies ist die Stufe, auf die wirklich erfolgreiche Querdenker gelangt sind, und hier sind die tatsächlich herausfordernden, radikalen und revolutionären Ideen angesiedelt. Wir begegnen hier Kreativität, die sich nicht in hübsche Powerpoint-Präsentationen verpacken lässt, sondern Welten ins Wanken bringt. Da sie etwas weniger liebenswert ist, strafen wir sie oft mit Missachtung. Dennoch scheidet sich hier echte Kreativität vom Mittelmaß. Flip war eine Spielart gefährlichen Denkens, und wir werden auf den folgenden Seiten viele weitere Beispiele kennen lernen.

Es ist nicht leicht, diese Stufe zu erreichen, doch es zahlt sich vielfach aus: Gefährliches Denken erzeugt nicht nur Ideen, sondern kann die Welt verändern.

Wer ernsthaft an seiner Kreativität arbeiten möchte, muss die Schranken durchbrechen, die ihm die Schritte 1 und 2 auferlegen. Der Übergang kann schwierig sein und die Neubewertung von Dingen ist ohne Frage ein mühsamer Prozess, doch gleichzeitig ist es genau dieser Widerstand, für den sich all die Anstrengung lohnt. Ein Prozess ohne Widerstände ist ein Prozess, der zu keinen bedeutsamen Veränderungen führt.

Die vier Teile dieses Buches

Wie deutlich geworden sein dürfte, handelt dieses Buch davon, wie gefährliche Ideen geboren werden und wie mühsam der Prozess des gefährlichen Denkens sein kann. Im Wesentlichen folgt das Buch der oben beschriebenen Abfolge und bewegt sich Schritt für Schritt von bequemem zu gefährlichem Denken. Jeder Schritt ist auf seine Art wichtig, aber Sie sollten alle Schritte stets in Bezug zu Ihrem eigenen Kontext setzen.

Teil 1: Bequemes Denken

Der erste Teil dieses Buches untersucht, wie Kreativität in einen unkreativen, matten Abglanz ihrer selbst verwandelt wurde. Er zeigt, wie unser Gehirn uns weismachen will, wir seien kreativ, wenn tatsächlich das Gegenteil der Fall ist, und entlarvt dabei viele der so genannten »Wahrheiten« über Kreativität als groben Unfug.

Unser Potenzial ist größer, als wir glauben, doch gleichzeitig ist auch die Gefahr, im bequemen Denken stecken zu bleiben, weitaus höher, als wir bereitwillig zugeben. Folglich geht es hier um einen Aufruf zum Handeln: Schluss mit der Bequemlichkeit! Dieser Teil des Buches entspricht unseren ersten beiden Schritten, Nachahmung und Erweiterung.

Teil 2: Denken provozieren

Der zweite Teil dieses Buches beschäftigt sich eingehend mit dem Thema Provokation. Um seine Denkweisen zu verändern und sein Gehirn aus der bequemen Abhängigkeit von bereits Bekanntem zu befreien, muss man es der Provokation aussetzen – also einer kreativen Schocktherapie. »Kreativitätsübungen« genügen dafür nicht, ganz im Gegenteil. Um unsere Komfortzone wirklich verlassen zu können, benötigen wir einige schockierende Gedanken. Das ist sicher nicht immer schön und kann mitunter regelrecht unangenehm enden. Dennoch ist es eine notwendige Voraussetzung, um die nächste Stufe zu erklimmen, auf der gefährliches Denken beheimatet ist.

Teil 3: Neubewertung des Kontexts

Um unser jetzt bereits leicht gefährlicheres Denken im richtigen Kontext anzusiedeln, müssen wir untersuchen, wie Unternehmen mit Kreativität umgehen können. Der gängigen Augenwischerei, wonach kreative Organisationen doch ach so nette und kuschelige Arbeitsumgebungen seien, muss energisch widersprochen werden. Irgendjemand muss sich trauen, die Führungsrolle zu übernehmen und das Unternehmen mutig auf eine neue Kreativitätsstufe zu heben. Echte Kreativität darf sich nicht in hübschen Ideen erschöpfen, sondern muss zum Handeln aufrufen.

Teil 4: Gefährliches Denken

Letztendlich möchte dieses Buch zeigen, dass Kreativität etwas Gefährliches ist. Es feiert Ideen, die nicht ins Raster passen und als unsinnig, lächerlich oder gefährlich angesehen werden – und die gerade deshalb so ungeheuer wichtig sind. Diese Ideen sind nicht einfach gut und auch nicht nur kleine, unbedeutende »Querdenkereien«. Nein, sie sind mehr, viel mehr.

[Bild vergrößern]

Teil 1

Bequemes Denken

[Bild vergrößern]

Kapitel 1

»Nicht noch ein Buch über Kreativität?!«

Es ist das übliche Schicksal neuer Wahrheiten, dass sie

als Ketzerei beginnen und als Aberglaube enden.

Thomas Huxley

[Bild vergrößern]

Erwähnen wir kurz das Offensichtliche, bevor wir uns mit den wichtigen Dingen beschäftigen: Kreativität ist wichtig. Wir benötigen sie dringend. Sie ist die treibende Kraft jedes modernen Unternehmens, ein wesentlicher Bestandteil unserer modernen Wirtschaft und für jeden unverzichtbar, der individuelle Höchstleistungen erzielen will. Manche behaupten sogar, sie sei Voraussetzung dafür, dass Menschen Ausgeglichenheit und Wohlbefinden erlangen. Also: Natürlich ist Kreativität wichtig, und genau deshalb beschäftigt sich dieses Buch damit, wie Kreativität entwickelt werden kann, wie Unternehmen durch die Steigerung ihres kreativen Potenzials vorankommen und wie Innovation sich tatsächlich vollzieht.

Doch braucht es wirklich ein weiteres Buch über Kreativität? In meiner Bibliothek stehen Hunderte von Titeln, in denen es um Kreativität, kreative Organisationen, kreative Ökonomien, Innovation, Geschäftsideen etc. pp. geht. Ich besitze langatmige theoretische Abhandlungen; kurze und bunte Schmöker; Bücher, die erklären, wie man mithilfe von Kreativität reich wird; Bücher, die davon handeln, wie man mit Kreativität die Welt rettet; und Bücher, die hauptsächlich aus hübschen Bildern bestehen. Meine Bücherregale enthalten Titel, die beschreiben, wie Kreativität im Gruppenverband funktioniert, wie man kreative Menschen führt oder sogar, wie man Kinder mithilfe von Kreativität großzieht. Kreatives Kochen, kreative Fitness, kreatives Problemlösen, kreatives Marketing – die Liste ist endlos.

Was in aller Welt hat mich also dazu veranlasst, ein weiteres Buch über Kreativität zu schreiben? Die Antwort ist einfach, aber auch ein wenig tragisch. Nach Lektüre von über einhundert Büchern zu den Themen Kreativität und Innovation wurde mir eine Tatsache schmerzhaft bewusst: Bücher über Kreativität leiden unter einem ernsthaften Mangel an Kreativität. Kurz gesagt gleichen sie sich viel zu sehr, sind voller ähnlicher und ausgelutschter Beispiele und wiederholen ihre Übungen oft in einer Weise, die eigentlich witzig wäre – wenn sie denn ironisch gemeint wäre. Doch das ist sie nicht! Bücher über Kreativität albern nicht herum, sondern nehmen sich selbst so bierernst, dass sie bisweilen wie die fleischgewordene Definition von »Unkreativität« daherkommen. Buch für Buch findet man die immergleichen Beispiele, die gleichen Übungen, die gleichen pompösen Behauptungen. Wenn die Literatur über Kreativität irgendetwas dringend benötigt, dann ist es Kreativität – und zwar reichlich!

Sagen Sie einfach Nein!

Denken Sie beispielsweise an diese verdammten neun Punkte … Vermutlich gibt es irgendwo noch einen oder zwei Menschen, denen sie noch nie begegnet sind (zumindest unter den Ureinwohnern Borneos, die ich übrigens dafür beneide), aber es dürfte sich inzwischen um eine recht kleine Minderheit handeln. Hier dennoch eine kurze Beschreibung: Die Übung beginnt damit, dass der Autor in betont arrogantem Sprachduktus eine Abbildung vorstellt, in der neun Punkte in einer 3 × 3-Matrix angeordnet sind. Der Leser soll diese Punkte dann miteinander verbinden, indem er entweder vier Geraden zeichnet, ohne den Stift abzusetzen oder irgendeine Abwandlung dieses traurigen Motivs (meine Lieblingsvariante geht so: Man muss das Ganze mithilfe einer einzigen Geraden schaffen, wozu man die Punkte ausschneidet und neu anordnet, und zwar ... in einer Geraden). Die Übung ist trivial, überbeansprucht und eignet sich noch nicht einmal besonders gut zur Ausbildung kreativen Denkens. An sich ist sie völlig uninteressant, aber die Häufigkeit, mit der sie immer wieder eingesetzt wird, ist schon faszinierend.

[Bild vergrößern]

Wenn man darüber nachdenkt, was einem die Bücher mit derlei Übungen eigentlich sagen wollen, erkennt man schnell, dass sie aus einem einzigen Grund aufgenommen werden: um den Leser davon zu überzeugen, dass Kreativität eine Art Geheimkunst ist, eine mythische Form des Wissens, die der schon etwas erleuchtete Autor an eine leicht begriffsstutzige Leserschaft weitergeben sollte. Tatsächlich scheint in vielem, was über das Thema geschrieben wird, ein spürbarer religiöser Eifer durch, der mir sogar ein wenig Angst macht. Auch die größtenteils herablassende Haltung kann ich gar nicht leiden: »Hier hast du ein Rätsel. Kannst du es lösen? Nein? Das dachte ich mir schon. Komm her, mein beschränkter Freund, und ich zeige dir, wie dumm du eigentlich bist …« (Später werde ich genau dasselbe tun, jedoch unter der Annahme, dass ich kein bisschen intelligenter bin und womöglich sogar viel dümmer.)

Diese Übungen kurbeln das Ego des Autors an, verraten im Grunde aber nichts Interessantes über Kreativität. Das wird umso deutlicher, wenn man erkennt, dass dieselben Übungen in einem Buch nach dem anderen auftauchen! Als ich diesen Satz zu Ende geschrieben hatte, rief ich meinen Sohn und bat ihn, mir aus meinem Regal drei beliebige Bücher mit dem Wort »Kreativität« im Titel herauszusuchen, nur um meine Theorie zu überprüfen. Zwei enthielten die unsägliche Abbildung mit den neun Punkten. Das dritte Buch, Creativity von Mihaly Czikszentmihalyi, enthielt sie nicht – aber es enthält ohnehin weder Bilder noch Übungen. Diesen Umstand macht es immerhin wieder dadurch wett, dass es verschiedene Dinge wiederholt, die in Büchern dieser Art für gewöhnlich endlos wiedergekäut werden.

Schreiben Sie Ihr eigenes Buch über Kreativität!

Wenn es sich nur um eine einzige Übung handelte, die ständig wiederholt würde, könnte man ja noch großzügig darüber hinwegsehen. Tatsache ist jedoch, dass die meisten Bücher über Kreativität sich mehr oder weniger gleichen, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Man könnte auch sagen, dass sie alle ein ganz bestimmtes Modell wiederholen, das im Jahr 1926 entwickelt worden ist. Damals erfand ein Herr namens Graham Wallas (1858 –1932) ein Grundmodell für den kreativen Prozess, welches vier einfache Phasen umfasst:

Präparation,

Inkubation,

Illumination,

Verifikation.

Seitdem ist dieses Modell von Hunderten von Autoren modifiziert worden – durch Permutation nach Permutation nach Permutation. Manche fügen eine oder zwei Phasen hinzu, meist durch Unterteilung einer der oben genannten, und die meisten verpassen den Phasen schicke neue Bezeichnungen. Und natürlich werden hier und da ein paar zusätzliche Elemente eingebracht, die Teil der Präparation sein sollten, oder man betont die Bedeutung aktiven Handelns bei der Verifikation. Vielleicht werden die Phasen sogar in Kreisform angeordnet, sodass auf die Verifikation eine neue Runde der Präparation folgt. Dennoch weicht man im Grunde nicht vom Drehbuch ab.

Also, wenn die das können, dann können Sie das doch auch! Verwenden Sie einfach das obige Grundmodell, verpassen Sie den Phasen spritzige neue Namen, fügen Sie eine weitere Phase hinzu (welcher Art ist im Grunde völlig egal), und basteln Sie daraus ein hübsches und buntes neues Modell. Warum nicht in Form eines Hais? Sehen Sie, auch Sie können ein kreativer Kopf sein! Warum auch nicht? Es ist doch schon vielen gelungen … Sobald Ihr Modell steht, können Sie es mit einer Reihe von Beispielen und Übungen aufpeppen. Sollten Ihnen keine neuen einfallen, dann verwenden Sie einfach dieselben, die Sie in anderen Büchern vorfinden – das macht schließlich jeder. Simsalabim, fertig! Jetzt müssen Sie Ihr Werk nur noch mit einem Buch vergleichen, das vielleicht schon in Ihrem Bücherregal steht.

Haben Sie eins gefunden? Lassen Sie mich raten: Zunächst füllt der Autor einige Seiten mit der These, dass Kreativität ungeheuer wichtig sei. Dann folgen mehrere Kapitel, in denen er einige Dinge skizziert, die Sie tun müssen: das Problem definieren, möglichst unter verschiedenen Aspekten, und dabei unzählige Ideen und Inputs sammeln. Mit anderen Worten: Genau das, was Wallas als Präparation bezeichnet hat. Dann sollen Sie begreifen, dass Kreativität nach Raum verlangt, nicht erzwungen werden kann und durch kleine Nickerchen unterstützt wird – Inkubation nach Wallas’ Definition. Irgendwann führt dies zur Entstehung neuer Ideen, obwohl das Buch in diesem Punkt recht vage bleiben wird. Wallas hingegen war erfrischend ehrlich und bezeichnete diese Phase als »Illumination«, da er verdammt genau wusste, dass er sie im Grunde auch nicht verstand. Die Ideen müssen schließlich getestet und evaluiert werden und Handeln auslösen. Anders ausgedrückt: Sie müssen verifiziert werden.

Das immergleiche Muster hat sich stets wiederholt, seit 1926! Seither ist viel passiert – Staaten sind entstanden und zerfallen, neue Branchen sind aufgeblüht, während andere kaputtgingen –, aber die Bücher über Kreativität zeigen immer noch eine verblüffende Ähnlichkeit mit denjenigen von anno dazumal.

Kreativität, Halleluja …

Traurig, aber wahr ist, dass Bücher über Kreativität nicht besonders kreativ sind, wobei das Wiederkäuen von Übungen nur das sichtbarste Symptom eines viel größeren Problems ist. Es ist gleichzeitig ein wichtiges Indiz dafür, wie Kreativität zum zahnlosen Tiger wurde, bis man sie schließlich für selbstverständlich hielt – als Ergebnis einer Kette von herzzerreißenden Anekdoten. Die meisten, wenn nicht alle Bücher über Kreativität reiten ewig darauf herum, wie wichtig Kreativität ist, dass kreative Unternehmen erfolgreicher sind als unkreative oder welchen Zugewinn an Glück diejenigen verbuchen, die sich ganz der Kreativität verschreiben. Diesem hartnäckigen Insistieren, dem beständigen Fordern, man müsse der Kreativität einen Platz im eigenen Leben einräumen, haftet etwas Fanatisches an. Dazu gehört ebenso die Unterstellung, dass jeder, der einen anderen Weg einschlagen möchte, ein Versager ist.

Die religiösen Töne, die in der Kreativitätsbranche allgegenwärtig sind, erschallen hier besonders laut. Entweder man checkt es oder man ist eine verlorene Seele. Unternehmen, die noch nicht erleuchtet wurden, sind fehlgeleitet und sollten entweder bekehrt oder gedemütigt werden. Und wehe, irgendjemand stellt den Begriff der Kreativität infrage! Niemals und nirgendwo wird man dazu ermutigt. Die selbstgerechten Missionare in dieser besonderen Angelegenheit bleiben die Antwort schuldig, wenn man sie fragt, ob es denn nicht auch mit etwas weniger Eifer ginge, aber ebenso wenig sind sie bereit, jedwede Kritik oder anderslautende Ansichten zu akzeptieren. Den meisten Autoren zu diesem Thema ist die Kreativität ebenso heilig wie Jesus, Buddha oder Allah, weshalb man alles kritisieren darf, solange man nicht versucht, kreativ mit Kreativität umzugehen. Es handelt sich um ein umfassendes Glaubenssystem, in dem die Kreativität das große, nicht hinterfragte Gute darstellt.

Mein Problem ist: Leider fällt es mir schwer, das einfach so hinzunehmen. Ich bin ein geborener Skeptiker und betrachte daher auch das Konzept der Kreativität mit einem skeptischen Blick. Das Argument, Kreativität könne jedes Problem lösen, überzeugt mich nicht. Ich glaube nicht daran, dass eine Organisation, die ausschließlich aus kreativen Menschen besteht, ein erstrebenswertes Ziel oder auch nur möglich ist. Auch wenn es zynisch klingen mag: Ich halte es keineswegs für erwiesen, dass Kreativität an sich stets vorteilhaft wäre. Vielmehr fallen mir mühelos zahlreiche Situationen ein, in denen Kreativität sehr schädlich ist. Doch Kreativität hat sich in eine Religion verwandelt, die Blasphemien dieser Art nicht akzeptiert. Als Ketzer stehe ich daher griesgrämig am Rande eines Spielfelds, auf dem ich mich gerne und mit Freuden tummeln würde. Aber das hat auch sein Gutes, denn wie Art Kleiner in seinem Buch The Age of Heretics erläutert, brauchen wir solches Denken, um unsere Fähigkeiten zu entwickeln.