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Der Preis für ihre Leidenschaft könnte ihr Leben sein ...
Viktor "Drake" Drakovich ist Inhaber eines Millionen Dollar schweren Unternehmens, das im Waffenhandel tätig ist. Mit seinen rücksichtslosen Geschäftspraktiken hat er sich viele Feinde gemacht, die schon lange auf Rache sinnen. Doch Drake hat keine Schwächen ... bis er in einer Galerie die Künstlerin Grace sieht. Ihre Schönheit raubt ihm den Atem und seine Gedanken drehen sich nur noch um sie. Schon bald gerät Grace jedoch ins Visier von Drakes Feinden, die alles tun würden, um ihm zu schaden. Kann Drake die attraktive Künstlerin für sich gewinnen, ohne sie in Gefahr zu bringen?
Spannend und gefährlich sexy - die Dangerous-Royals-Reihe von Lisa Marie Rice.
Band 1: Gefährlicher Fremder
Band 2: Gefährliches Spiel
Band 3: Gefährliche Wahrheit
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Seitenzahl: 481
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Prolog
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Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Alle Titel der Autorin
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Impressum
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Viktor »Drake« Drakovich ist Inhaber eines Millionen Dollar schweren Unternehmens, das im Waffenhandel tätig ist. Mit seinen rücksichtslosen Geschäftspraktiken hat er sich viele Feinde gemacht, die schon lange auf Rache sinnen. Doch Drake hat keine Schwächen … bis er in einer Galerie die Künstlerin Grace sieht. Ihre Schönheit raubt ihm den Atem und seine Gedanken drehen sich nur noch um sie. Schon bald gerät Grace jedoch ins Visier von Drakes Feinden, die alles tun würden, um ihm zu schaden. Kann Drake die attraktive Künstlerin für sich gewinnen, ohne sie in Gefahr zu bringen?
LISA MARIE RICE
Gefährliche Wahrheit
Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Oder
Dieses Buch widme ich meiner besten Freundin, der Schwester, die ich nie hatte: Lorena Rossi. Danke für all die Jahre der Freundschaft. Dies ist für dich, Lorenchen!
Manhattan
12. November
Gefühle töten schneller als Kugeln.
Diesen Spruch hatte der ehemalige Oberst der russischen Armee, Dmitri Rutskoi, seinen Truppen in Tschetschenien immer wieder eingebläut.
Es stimmte.
Dein Finger liegt schon auf dem Abzug. Halte kurz inne beim Anblick dieses niedlichen dunkelhaarigen kleinen Jungen – er kann keinen Tag älter als acht Jahre sein –, und ehe du dichs versiehst, zieht dieser süße kleine Kerl eine AK-47 hervor und macht Hackfleisch aus dir.
Diese liebe alte Oma in der Burka? Sie trägt sieben Pfund Sprengstoff um die unförmige Taille gebunden und wartet nur auf den richtigen Moment, um zu Allah zu gehen und dich mitzunehmen.
Und dann wäre da auch noch Afrika … Ganze Armeen voller süßer kleiner Zwölfjähriger, die Kalaschnikows mit sich herumschleppen, die größer sind als sie selbst. Sie tragen Amulette, die sie ihrer festen Überzeugung nach unverwundbar machen, und sind bereit, dich in Stücke zu hacken, nur weil du in ihre Richtung gesehen hast.
Die ganze Welt ist dein Feind.
Darum lehrte Rutskoi seine Männer Unbarmherzigkeit, lehrte sie, ihre Gefühle einfach abzustellen, denn Gefühle sind tödlich. Gefühle machen dich verletzlich, lassen dich zögern, wenn du handeln solltest, machen dich weich anstatt stark.
Das tödlichste aller Gefühle ist die Liebe zu einer Frau. Eine Frau ist wie ein Schwert, das direkt auf dein Herz zielt.
Rutskoi hätte niemals zu hoffen gewagt, dies dazu nutzen zu können, Drake zu erledigen. Viktor Drakowitsch besaß keine menschlichen Schwächen, und wenn, dann zählten Frauen gewiss nicht dazu. Er vertraute niemandem, er war niemandes Freund, er liebte niemanden.
Niemand hatte Drake je mit einer Frau im Arm gesehen.
Selbstverständlich nicht.
Drake war schlau. Er wusste, eine Frau wäre ein Schwachpunkt, eine Bürde. Er hatte in den letzten zehn Jahren fünf Anschläge auf seine Person überlebt, indem er keinerlei Schwächen zeigte.
Rutskoi bedauerte es, dass ausgerechnet er derjenige sein würde, der Drake auslöschen würde. So hätte es nicht sein müssen. Er war nach Amerika gekommen, um eine Partnerschaft mit Drake einzugehen, nicht, um ihn umzubringen.
Er war von Viktor Drakowitsch fasziniert, seit er ihn vor fünfzehn Jahren als junger Leutnant der russischen Armee in Tschetschenien kennengelernt hatte. Von Drakes Geschichte hatte er verschiedene Versionen gehört. Er sei Russe, er sei Ukrainer, er sei Moldauer, er sei Tadschike. Niemand wusste es wirklich. Er war in den Neunzigern irgendwo aus dem Nichts aufgetaucht – ein unglaublich kluger und ungemein starker junger Mann, der ein mächtiges Imperium aufbaute, das den ganzen Globus umspannte.
Drake hatte sowohl die Obshchina, die tschetschenische Mafia, als auch die russische Armee, die gegen sie kämpfte, mit Waffen und Munition versorgt. Als der Waffennachschub von Moskau versiegte, wandte sich Rutskoi an Drake, der sich als absolut zuverlässig herausstellte. Drake lieferte, was ausgemacht worden war, pünktlich und genau an den Ort, der abgesprochen war, alles voll funktionstüchtig. Und er verfügte über eine eigene Flotte von Flugzeugen, Helikoptern und Schiffen, mit denen er all dies bewerkstelligte.
Drake war eine Legende. Ein Mann, auf den in Geschäftsdingen hundertprozentig Verlass war, der seine Geschäftspartner fair behandelte, aber zu einem grausamen, tödlichen Feind wurde, wenn er sich hintergangen fühlte.
Rutskoi hatte nicht die Absicht, ihn zu hintergehen. Ganz im Gegenteil, er scheute keine Mühe, um Drake zu helfen. Nachdem er die russische Armee verlassen hatte, machte sich Rutskoi auf den direkten Weg in die Vereinigten Staaten, wo Drake sich niedergelassen hatte.
Drake war einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt, der jetzt im reichsten und mächtigsten Land der Welt lebte. Rutskoi wollte ein Stück vom Kuchen abhaben, und zwar unbedingt.
Warum auch nicht? Drake leitete ein milliardenschweres Unternehmen im Alleingang. Wie jeder gute General brauchte er einen Leutnant. Wer wäre dazu besser geeignet als Rutskoi, der das Geschäft von der Pike auf gelernt hatte und selbst über eigene weitreichende, langjährige Kontakte in Afrika und der riesigen Landmasse von Splitterstaaten verfügte, die früher unter dem Namen Sowjetunion bekannt gewesen war?
Es war eine neue Welt, und in dieser neuen Welt musste ein Mann große Träume haben und Risiken eingehen. Er war bereit.
Rutskoi hatte ein größeres Waffengeschäft vermittelt und über eine Million Dollar kassiert. Er hob die Hälfte von seinem Schweizer Bankkonto ab und war vor einem Monat in New York gelandet. Er hatte den gesamten Monat in einer Suite im Waldorf Astoria verbracht und sich mit Drakes neuem Terrain vertraut gemacht.
Amerika – ah, Amerika! So entzückend, so bezaubernd dekadent und dabei immer sauber und effizient. Es gab kein Vergnügen, das man nicht kaufen konnte – alles fein säuberlich eingepackt, hygienisch, steril und zahlbar per Kreditkarte. Rutskoi genoss es in vollen Zügen. Das hatte er sich schließlich verdient. Die langen, harten Jahre in einer verarmten Armee, die unmenschlichen Bedingungen des Tschetschenienkrieges, die ständige Gefahr – alles vergessen.
Wer konnte sich schon an harte Zeiten erinnern, wenn er auf einem weichen Bett lag, eine noch weichere Frau unter sich? Am Ende des Monats, erfrischt und zu allem bereit, nahm er mit Drake Kontakt auf. Drake reagierte prompt und professionell. Rutskoi bekam gleich am nächsten Tag einen Termin.
Wunderbar. Rutskoi konnte fühlen, wie ihn die Macht durchströmte. Jetzt würde die zweite Hälfte seines Lebens beginnen. Er hatte die schlimmsten Dinge überlebt, die ihm im Leben passieren konnten, und war dadurch noch stärker geworden. Bald würde er reich und mächtig und gefürchtet sein, der Stellvertreter eines unerhört reichen, mächtigen und gefürchteten Mannes.
Er würde sich mit einem Herrscher des Universums zusammentun und ewig leben. Er wusste, wo man sich neue Herzen und Lebern und Nieren kaufen konnte.
Er konnte sich immer noch an seine fiebrige Aufregung erinnern, als ihn die Limousine vor Drakes Gebäude absetzte. Sein Gesicht war zu einer ungerührten Maske erstarrt – er hatte weiß Gott genug Erfahrung im Umgang mit betrunkenen, inkompetenten Generälen –, aber in seinem Inneren vollführte er wahre Freudensprünge.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis sich Rutskoi durch Drakes Sicherheitsvorkehrungen durchgearbeitet hatte, was ihm zu diesem Zeitpunkt durchaus nicht missfallen hatte. Der Mann war unbesiegbar, unangreifbar. Jede neue Stufe der Sicherheitsmaßnahmen, von Drakes Bodyguards mit perfekter höflicher Professionalität durchgeführt, trug zu seiner Beruhigung bei. Das war wirklich absolute Spitze. Der einzige andere Mann, der so gut beschützt wurde, konnte nur der Präsident der Vereinigten Staaten sein, der in seiner Welt vermutlich weniger einflussreich war als Drake in seiner. Drakes Welt war keine Demokratie.
Endlich wurde Rutskoi in einen Raum geführt, dessen Tür sich wie die eines Tresorraums hinter ihm schloss.
Ah! Der Geruch von Leder, gutem Whiskey und ausgezeichneten Zigarren. Der Duft des großen Raumes erreichte ihn, ehe seine Augen die Chance bekamen, sich an das dort herrschende Dämmerlicht zu gewöhnen. Es brannten nur einige wenige Lampen, aber er gewann den Eindruck eines großen Raums mit einer ungeheuer hohen Decke. Und Komfort. Alles war zum größtmöglichen Komfort eines Mannes eingerichtet. Große Lederarmsessel, dicke, weiche Teppiche. Eine ganze Reihe kostspielig aussehender Alkoholika in Kristallkaraffen. Ein Humidor aus Holz und Messing.
»Kommen Sie herein«, erklang eine tiefe Stimme aus den Tiefen des Raums. Und da war er: Drake.
Rutskoi ließ sich nicht leicht beeindrucken, genauso wenig, wie er sich leicht Angst einjagen ließ. Aber Drake beeindruckte und ängstigte ihn gleichermaßen. Obwohl von durchschnittlicher Größe, wirkte er unglaublich kräftig. Seine riesigen Hände und Füße waren mit gelblichen Schwielen überzogen. Rutskoi hatte einmal mit angesehen, wie er einen Mann so hart geschlagen hatte, dass es schien, als wäre er von einer Kugel getroffen worden. Er war ebenfalls Zeuge gewesen, als Drake einen Mann mit einem einzigen Tritt ins Jenseits befördert hatte.
Drake war ein Meister des Sambo, einer russischen Kampfsportart, und des Savate, des französischen Kickboxens. Es war unmöglich, ihn im Kampf von Mann zu Mann zu schlagen. Er schlug seinen Gegner einfach zu Boden und machte Hackfleisch aus ihm. Dazu kam seine erschreckende Intelligenz. Manchmal schien es fast so, als hätte er Zugang zu einem geheimen Spionagedienst, der ausschließlich ihm zur Verfügung stand. Außerdem war es unmöglich, ihn zu überraschen.
Es hieß, dass die Ermordung von Ahmed Massoud am 9. September 2001 für ihn das klare Signal gewesen sei, auf der Stelle seine Waffenlieferungen an die Taliban einzustellen.
Bis zum 12. September hatte er sein gesamtes Geschäft in die Staaten verlegt und sich mit der CIA verbündet, um die Nördliche Allianz mit Waffen zu versorgen. Ab diesem Tag verkaufte er nie wieder auch nur eine Waffe an einen Islamisten oder einen Anhänger des Dschihad.
Obwohl er auf jeder internationalen Liste von Verbrechern aufgeführt wurde, die von der UN und Interpol gesucht wurden, wurde er unantastbar, beschützt von den Amerikanern. Seine Piloten hatten Eier so groß wie Kühlschränke. Sie brachten den US-Soldaten im Irak Waffen und es waren die einzigen Piloten, die mutig – oder verrückt – genug waren, den internationalen Flughafen von Bagdad täglich anzufliegen, ganz gleich, wie groß die Gefahr war.
Als Drake auf ihn zukam, richtete sich jedes einzelne Härchen an Rutskois Körper auf. Er schluckte Angst und Ehrfurcht hinunter, schob sie weit weg. Entweder würde er Drake als ebenbürtig gegenübertreten oder er konnte das Ganze vergessen.
»Setzen Sie sich, Dmitri«, sagte Drake und lauschte aufmerksam. Das Nächste, was er sagte, war: »Raus!«, nachdem Rutskoi erklärt hatte, was er wollte.
Ohne dass er einen Klingelknopf gedrückt oder irgendein Zeichen gegeben hätte, erschienen Drakes Bodyguards und schleppten Rutskoi hinaus. Er wurde im wahrsten Sinne des Wortes von zwei riesigen Leibwächtern durch die Tür auf die Straße geworfen.
Rutskoi schwor Rache, aber es war wirklich nicht so leicht, sich an einem Mann zu rächen, der einen nicht einmal bemerkte.
Also sorgte er dafür, dass es sich herumsprach, dass auf Drakes Kopf fünfzigtausend Dollar ausgesetzt wären, machte es sich gemütlich und wartete ab. Und wartete. Und wartete. Offensichtlich bezahlte Drake seine Leute zu gut, als dass fünfzigtausend einen ausreichend großen Anreiz dargestellt hätten. Entweder das, oder sie hatten vor lauter Angst vor ihm die Hosen voll. Vermutlich beides.
Rutskoi analysierte und wartete und plante vergeblich, bis er endlich die Nachricht erhielt. Nicht etwa irgendeine Nachricht. Die Nachricht. Die Nachricht, die sein Leben verändern würde.
Endlich brachte das Geld, mit dem er um sich warf, ein Ergebnis. Rutskoi hatte eine Hotmail-Adresse angegeben und erhielt eine anonyme Nachricht.
Wenn Sie Informationen über Drake wollen, transferieren Sie $ 50 000 auf dieses Konto.
Am Ende der E-Mail stand eine IBAN, deren ersten beiden Buchstaben CH lauteten: ein Schweizer Bankkonto.
Rutskois Bank auf den Kaimaninseln war effizient und schnell. Eine halbe Stunde später kam die nächste Mail.
Drake schleicht sich jeden ersten und dritten Dienstagnachmittag des Monats aus seinem Gebäude, ohne Bodyguards, und das schon seit einem Jahr.
Dazu noch eine Reihe von Anhängen. Mit zitternden Händen öffnete Rutskoi die Anhänge, und da waren sie: Informationen über Drake! Besser noch: Informationen über eine Schwäche.
Endlich! Ein Riss in seiner Rüstung, direkt über seinem Herzen.
Drake begab sich jeden zweiten Dienstagnachmittag zwischen zwei und drei Uhr zu einer renommierten Kunstgalerie auf der Lexington. Rutskoi wusste eine Menge über Drake, und eine Leidenschaft für Kunst besaß dieser seines Wissens nach nicht. Dass er eine Galerie aufsuchte, war daher eine atemberaubende Neuigkeit.
Nein, das wirklich Unglaubliche war, dass Drake die Galerie niemals betrat. Er wartete Monat für Monat draußen in der Dunkelheit einer schattigen Seitengasse und beobachtete durch ein kleines Fenster, was darin vor sich ging. Und was darin jeden zweiten Dienstag im Monat mit der Genauigkeit eines Uhrwerks vor sich ging, war die Ankunft einer jungen Künstlerin, Grace Larsen, die ihre neuesten Werke zur Ansicht vorbeibrachte.
Und diese Werke wurden ebenso pünktlich von einem unbekannten Käufer erworben. Jedes gottverdammte Stück. Seit einem Jahr nun schon kaufte ein Rechtsanwalt, der eine Firma mit Sitz in Aruba vertrat, per Telefon jedes neue Werk von Grace Larsen. Der Preis spielte keine Rolle.
Rutskoi kannte den Namen der Firma. Es war eine der zahlreichen Strohfirmen, die Drake nutzte, um seine Fluggesellschaften zu betreiben. Drake war der Käufer der Gemälde, daran bestand überhaupt kein Zweifel.
Wie nicht anders zu erwarten, waren die Preise des Galeriebesitzers für Larsens Arbeiten im Laufe des letzten Jahres um über dreihundert Prozent gestiegen. Und doch verkauften sie sich immer noch. Immer an denselben Käufer.
Ungeduldig klickte sich Rutskoi durch die verschiedenen Anhänge, auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich diese Informationen zunutze zu machen. Dann hielt er inne. Und starrte.
Ah!
Es gab fünf Anhänge, JPEGs, über die Künstlerin. Rutskoi lehnte sich zufrieden zurück.
Das sah doch schon besser aus. Er hatte eine Schwäche gefunden, die Drake endlich vernichten würde.
Rutskoi spürte, wie das Adrenalin durch seine Adern schoss, als er sich näher zum Bildschirm hinlehnte, um die Fotos genauer anzusehen. Nachdem er jedes einzelne studiert hatte, drückte er auf Drucken und musterte noch einmal jeden einzelnen Ausdruck sehr sorgfältig.
Grace Larsen war eine ungewöhnlich attraktive Frau von mittlerer Größe, schlank, ohne knochig zu wirken, wie so viele Frauen in Manhattan. Sie besaß welliges kastanienbraunes Haar, edle Gesichtszüge und perlweiße Haut – eine altmodische Schönheit. Zweifellos war sie der Grund, wieso Drake all ihre Werke kaufte und jeden zweiten Dienstagnachmittag in einer düsteren Gasse vor einem kleinen Fenster stand.
Um sie zu sehen.
Zugegeben, es war schon seltsam, sich Drake vorzustellen, wie er … wie lautete das Wort noch mal? Nach ihr schmachtete. Drake war kein Mann, der nach irgendetwas schmachtete. Was er wollte, nahm er sich, was auch immer dazu nötig war. Es gab nichts, was er nicht haben konnte. Wenn er diese Frau haben wollte, musste er sie nur kaufen. Warum sollte er jeden Monat völlig ungeschützt stundenlang in einer Gasse warten, nur um sie zu sehen?
Sie schien kein Make-up zu tragen, und ihre Kleider waren unauffällig, aber bei so einer Frau war Make-up nahezu überflüssig, und sie brauchte auch keine Kleider, um ihre Schönheit zu betonen.
Sie wirkte völlig natürlich, ohne Schminke oder irgendwelche Tricks auf unspektakuläre Art schön, dazu sehr ernst. Ganz und gar nicht Drakes Typ. Obwohl, wenn er so darüber nachdachte … wer wusste schon, was Drakes Typ war? Wer wusste, ob er überhaupt einen Typ hatte?
Drake konnte sich das Beste vom Besten leisten, und auch wenn die Frau hinreißend war, stand ihr nicht »Geliebte« ins Gesicht geschrieben wie so vielen Frauen. Rutskoi hatte sich genug Frauen gekauft, um mit diesem Typ vertraut zu sein. Die Art Frau, die erst einmal Armbanduhr und Schuhe eines Mannes musterte, ehe sie sein Gesicht ansah, die Art, die nach Tiffany und Armani süchtig war wie ein Straßenjunge nach Crack.
So sah diese Frau ganz und gar nicht aus. Sie wirkte nicht teuer. Sie wirkte nicht so, als ob man sie kaufen könnte.
Was ging nur in Drakes Kopf vor sich? Bei seinem Geld und seiner Macht würden die schönen Frauen geduldig bis zum nächsten Block Schlange stehen, um ihm auf welche Weise auch immer zu Diensten zu sein. Er könnte einen ganzen Harem haben, dazu ausgebildet, ihn in jeder erdenklichen Position zu ficken, genau wie er es mochte. Was Sex betraf, gab es nichts, was er nicht haben oder sich nicht kaufen konnte.
Inmitten der Kälte eines eisigen Winters oder der schwülen Backofenhitze eines Sommers in Manhattan stundenlang in einer finsteren Seitengasse herumzulungern, ohne seine Bodyguards, ohne irgendeine Art von Sicherheit, nur um einen kurzen Blick auf eine Frau zu werfen … das war Wahnsinn.
Alle Informationen zu dieser Frau waren negativ. Keine bekannten Drogen. Kein Sexleben, von dem der Informant wüsste, weder mit Männern noch mit Frauen. Sie war weder nach Klamotten noch nach Schmuck süchtig. Es gab eine einzige Kreditkartenrechnung über dreihundert Dollar bei GAP, über die jede elegante Dame in Manhattan nur gelacht hätte.
Rutskoi öffnete die Anhänge nochmals und starrte sie an.
Warum sollte er so ein Risiko eingehen? Drake war der am meisten auf Sicherheit bedachte Mensch, den Rutskoi je getroffen hatte. Mehr noch als die Mafiya-Bosse zu Hause in Russland. Mehr noch als Putin.
Warum riskierte er es jeden Monat, einige Stunden lang vollkommen schutzlos zu sein? Was könnte so viel wert sein? Drake war nicht nur in der Zeit verletzlich, in der er vor der Galerie stand, sondern auch auf der Fahrt dorthin und zurück.
Wofür? Warum?
Es konnten nicht die Gemälde und Aquarelle und Zeichnungen selbst sein. Die sammelte er sowieso schon alle ein. Wo auch immer er sie lagerte – wenn er sie sehen wollte, würde er jederzeit Zugang zu ihnen haben. Nein, es war mehr als die Kunst an sich. Es musste an der Frau liegen.
Drake wollte die Frau unbeobachtet beobachten. Um dieses Risiko einzugehen, musste man schon besessen sein. Und er konnte es sich nicht leisten, seine Männer diese Besessenheit sehen zu lassen. Sicher, sie waren loyal, aber in ihrer Welt war Loyalität etwas, das man sich kaufte. Drake hatte keine Freunde, er hatte Angestellte. Und Angestellte konnten illoyal werden. Das beste Beispiel: sein Informant. Der hatte eben erst für mickrige fünfzigtausend Dollar ein gewaltiges Loch in die nahezu undurchdringliche Panzerung, die Drake umgab, gerissen.
Also, das waren die Tatsachen: Drake war von einer wunderschönen Frau besessen, die von seiner Existenz nicht die geringste Ahnung hatte. Jeden Monat war er mehrere Stunden lang vollkommen schutzlos.
Schnapp dir die Frau, zwing Drake, seine Codes preiszugeben, bring Drake und die Frau um, und du wirst einer der mächtigsten Männer auf der ganzen Welt – alles auf einen Streich.
Das war’s!
Die Entscheidung war gefallen. Es war Donnerstag. In ein paar Tagen könnte er alle Vorbereitungen getroffen haben. Schon am nächsten Dienstagabend könnte er auf Drakes Platz sitzen – der König der Welt.
Rutskoi griff zum Telefon. Zeit, sich einen Partner zu suchen.
Gasse vor der Feinstein Art Gallery
Manhattan
17. November
Gefühle töten schneller als Kugeln, besagte ein altes russisches Armeesprichwort, das Viktor »Drake« Drakowitsch in dem Moment durch den Kopf schoss, in dem er das Geräusch hinter sich vernahm. Es war kaum hörbar. Der schwache Laut von Metall, das Leder streifte, eine Oberfläche, die sich an einer anderen rieb, und ein hauchzartes metallisches Klicken. Der Klang einer Schusswaffe, die aus ihrem Halfter gezogen und entsichert wurde. Diesen Klang hatte er im Laufe der Jahre schon tausendfach und in Tausenden von Varianten gehört.
Seit einem Jahr wusste er, dass dieser Moment kommen würde. Es war nur eine Frage, wann, nicht ob es geschehen würde. Er hatte sich mit rasender Geschwindigkeit im Laufe des letzten Jahres auf diesen Moment zubewegt, gegen sämtliche Instinkte seines Körpers, außer Kontrolle.
Seit seiner Kindheit, die er auf den Straßen von Odessa verbracht hatte, hatte er immer wieder auch die grauenhaftesten Lebensbedingungen überstanden, indem er vorsichtig gewesen war, indem er sich niemals unnötig Gefahren ausgesetzt hatte, indem er immer auf seine Sicherheit bedacht war.
Was er im Laufe des vergangenen Jahrs getan hatte, kam einem Selbstmord gleich. Auch wenn es sich nicht so anfühlte.
Es fühlte sich an wie … das Leben selbst.
Er konnte sich noch an die genaue Sekunde erinnern, in der sich sein Leben verändert hatte. Vollständig, ganz und gar, augenblicklich.
Er hatte in seiner Limousine gesessen, von Mischa, seinem Chauffeur, durch die schalldichte Scheibe getrennt. Im Wagen redete er nie. Er nutzte die Zeit dazu, den Papierkram zu erledigen, der sich angesammelt hatte. Es war schon Jahre her, seit er zuletzt zum Vergnügen irgendwohin gefahren war. Autos waren dazu da, um von A nach B zu kommen, wenn man nicht fliegen konnte.
Die Fenster waren dunkel getönt, aus Gründen der Sicherheit natürlich. Aber auch weil es schon lange her war, dass ihn die Welt dort draußen so sehr interessiert hatte, um einen Blick durch das Fenster auf die Gegend zu werfen, durch die sie fuhren.
Der schwere, gepanzerte Mercedes S600 steckte im Verkehr fest. Immer wieder durchlief die Ampel über ihnen den Zyklus grün-gelb-rot, grün-gelb-rot und noch einmal dasselbe, und immer noch rührte sich nichts. Irgendwo vor ihnen musste etwas passiert sein. Das Heulen ungeduldiger Sirenen drang durch die gepanzerten Wände und die kugelsicheren Scheiben des Wagens, sodass es klang, als kämen sie von sehr weit weg; wie das Surren wild gewordener Insekten in der Ferne.
Ein Motorrad schlängelte sich an den Autos vorbei wie ein Aal durchs Wasser. Ein Fahrer war bei dem Anblick des Motorradfahrers und seines Fortschritts so empört, dass er wutentbrannt auf die Hupe drückte, das Fenster herabließ und den Mittelfinger in die Luft stieß. Mit hochrotem Gesicht schrie er irgendetwas, dass die Speicheltröpfchen nur so flogen.
Drake schloss angewidert die Augen. Selbst in Amerika, wo Ordnung, Frieden und Überfluss herrschten, selbst hier gab es Aggression und Neid. Die Menschen lernten nie dazu. Sie waren wie gewalttätige Kinder, bockig und gierig und unbeherrscht.
Es war ein altbekanntes Gefühl, das noch aus seiner Kindheit stammte, so vertraut wie das Gefühl seiner Hände und Füße. Menschen waren fehlerhaft und habgierig und brutal. Das nutzte man aus, profitierte davon und ging ihnen ansonsten so gut wie nur möglich aus dem Weg. Dieser Grundsatz kam in seinem Leben einem Glaubensbekenntnis am nächsten und hatte ihm immer gute Dienste geleistet.
Seltsam nur, dass diese Art zu denken ihn in letzter Zeit immer so … ungeduldig machte. Unzufrieden. Als ob er das alles hinter sich lassen sollte. Irgendwo anders hingehen sollte. Etwas anderes tun sollte. Jemand anders sein sollte.
Wenn es eine andere Welt gäbe, würde er dorthin auswandern. Aber es gab nur diese eine Welt, voller gieriger, gewaltbereiter Menschen.
Wenn ihn diese Stimmung überkam, was in letzter Zeit immer öfter der Fall war, versuchte er, sich daraus zu befreien. Launen waren ein ausgezeichneter Weg, sich umbringen zu lassen.
Seltsam verdrießlich gestimmt, blickte er wieder auf die Tabellen in seinem Schoß. Sie bezogen sich auf einen Zehn-Millionen-Dollar-Vertrag bezüglich Waffenlieferungen an einen tadschikischen Kriegsherrn; das erste von, wie Drake hoffte, einer ganzen Reihe von Geschäften mit diesem selbst ernannten »General«. Auf dem Herrschaftsgebiet des Generals hatte man vor Kurzem Öl entdeckt – ein gottverdammter See aus Öl unter der kargen, unfruchtbaren Erde –, und der General war geneigt, alles zu kaufen, was nötig war, um an der Macht und dem Öl festzuhalten. Wenn dieses Geschäft glatt über die Bühne ging, wovon auszugehen war, wusste Drake, es würden noch eine Menge ähnlicher Geschäfte vor ihm liegen.
Vor einigen Jahren hätte ihm dieser Gedanke zumindest ein gewisses Maß an Befriedigung verschafft. Jetzt spürte er gar nichts. Es war ein Geschäftsabschluss. Er würde seinen Teil der Arbeit erledigen, und es würde ihm noch mehr Geld einbringen. Nichts, was er nicht schon Tausende von Malen zuvor getan hatte.
Er starrte auf die Ausdrucke vor sich und versuchte, ein gewisses Interesse zu entwickeln, bis sie ihm vor den Augen verschwammen. Es tat sich nichts, was beunruhigend war. Noch viel beunruhigender war allerdings das Gefühl der Leere in seiner Brust, als er über seine Gleichgültigkeit nachsann. Es war beängstigend, wenn einem egal war, dass einem alles egal war. Oder es wäre beängstigend gewesen, wenn er nur die Energie aufbringen könnte, so etwas wie Angst zu empfinden.
Unruhig blickte er nach rechts. Dieser Abschnitt der Lexington war voller Buchhandlungen und Kunstgalerien. Ihre Schaufenster waren ansprechender und nicht so gewöhnlich wie die der Boutiquen nur einen Block entfernt, mit ihren absonderlichen, albernen Kleidungsstücken.
Und dann sah er sie.
Gemälde. Eine ganze Wand voll, zusammen mit einigen Aquarellen und Tuschezeichnungen. Allesamt so schön, dass es ihm fast das Herz brach. Allesamt stammten sie offensichtlich von derselben feinen Künstlerhand. Eine Hand, deren Einzigartigkeit sogar er erkannte.
Zwar waren die Autofenster dunkel getönt, aber die Galerie war hell erleuchtet, und jedes Kunstwerk wurde noch dazu von einem eigenen an die Wand montierten Scheinwerfer angestrahlt, sodass Drake sie in aller Ruhe betrachten konnte, während er dort mitten in Manhattan in einem Stau festsaß. Außerdem besaß er die Augen eines Scharfschützen.
Er tat etwas, was er noch nie getan hatte: Er ließ das Fenster nach unten fahren. Dem Chauffeur fiel die Kinnlade herunter. Drakes Blick zuckte zum Rückspiegel. Der Mund des Fahrers schloss sich ruckartig, und sein Gesicht nahm einen teilnahmslosen Ausdruck an.
Augenblicklich füllte sich der Wagen mit dem Gestank der Abgase und dem Hupkonzert eines Staus in Manhattan.
Drake ignorierte beides vollständig. Das Einzige, was zählte, war, dass er jetzt einen besseren Blick auf die Gemälde hatte.
Das Erste von ihnen verschlug ihm glatt den Atem. Ein einfaches Motiv: Eine Frau saß bei Sonnenuntergang einsam an einem langen, leeren Strand. Die Wiedergabe des Meeres, die Farben des Sonnenuntergangs, der Strand – sämtliche Einzelheiten waren technisch perfekt. Aber was dieses Bild mit jeder Pore sehr überzeugend ausstrahlte, war die Einsamkeit der Frau. Es hätte das Porträt des letzten Menschen auf Erden sein können.
Der Mercedes rollte ein paar Zentimeter weiter und kam mit einem Ruck zum Stehen. Er bemerkte es kaum.
Die Bilder waren wie kleine Wunder an einer Wand. Ein glühendes Stillleben mit Wildblumen in einer Kanne und einem geöffneten Taschenbuch auf einem Tisch, als ob gerade jemand aus dem Garten hereingekommen wäre. Ein nachdenklicher Mann, der sich in einer Schaufensterscheibe spiegelte. Die feingliedrige Hand einer Frau, die ein Buch hielt. Die Gemälde waren realistisch, zart und überwältigend zugleich. Der Betrachter wurde in die Welt des Bildes hineingezogen und nicht mehr losgelassen.
Drake hatte nicht das Wissen, um die Kunstwerke sachverständig zu beurteilen. Er wusste nur, dass jedes einzelne Werk brillant und perfekt war; dass es etwas in ihm auslöste, was er noch nie gefühlt hatte.
Der Wagen rollte etwa drei Meter weiter, sodass ein neuer Abschnitt der Wand zu sehen war.
Das letzte Gemälde an der Wand versetzte ihm einen Schock.
Es zeigte einen Mann im Profil von links, in verschiedenen Erdtönen dargestellt. Das Gesicht des Mannes war hart, mit einer energischen Kieferpartie, ohne den Anflug eines Lächelns. Sein dunkles Haar war so kurz geschnitten, dass die Kopfhaut zu sehen war. Es war genau die Art Haarschnitt, wie Drake sie an der Front getragen hatte, vor allem in Afghanistan. Weit entfernt von jeglicher Hoffnung auf fließendes Wasser, hatte er sich immer Kopf- und Körperbehaarung rasiert, weil es der einzige Weg war, um Läuse zu vermeiden. Das Gesicht des Mannes ähnelte dem seinen nicht allzu sehr, aber trotzdem vermittelte das Porträt seinen Ausdruck: harsche, grimmige, unnachgiebige Züge.
Von der Stirn aus zog sich eine gezackte weiße Narbe über den hohen Wangenknochen hinweg, gefährlich nahe am linken Auge vorbei, bis hinunter zum Kiefer, wie ein Blitz, der sich in lebendes Fleisch eingebrannt hatte.
Nachdenklich hob Drake eine Hand an sein Gesicht. Er erinnerte sich.
Er war eine der zahllosen Straßenratten auf den Straßen von Odessa gewesen und schlief mitten im tiefsten Winter in einem Hauseingang. Durch die Ritzen der Tür sickerte etwas Wärme hindurch, sodass er trotz der Minusgrade schlafen konnte, ohne den Kältetod fürchten zu müssen.
Ausgehungert und in Lumpen gekleidet, war er die perfekte Beute für die Matrosen, die an Land kamen, nachdem sie monatelang in harten Schichten auf See geschuftet hatten, und jetzt betrunken durch die Straßen taumelten. Matrosen, die seit Monaten keinen Sex gehabt hatten und denen es egal war, wen sie fickten, ob Junge oder Mädchen, solange der- oder diejenige nur lange genug stillhielt. Den meisten war sogar das egal, weil der Mensch, den sie fickten, entweder gefesselt oder tot war.
Drake wachte abrupt auf, als er den stinkenden Atem zweier russischer Seeleute auf dem Gesicht spürte. Einer der beiden hielt Drake ein Messer an die Kehle, während der andere die Hose fallen ließ und seinen langen, dünnen, puterroten Schwanz herausholte.
Drake war der geborene Straßenkämpfer und kämpfte dann am besten, wenn er nahe am Boden kämpfen konnte. Er war mit dieser Fähigkeit auf die Welt gekommen und hatte sie durch Beobachtung und Praxis noch verfeinert. Den Kerl mit dem Messer brachte er zu Fall, indem er die Beine spreizte, dann ließ er sich mit aller Kraft gegen die Knie des zweiten Mannes fallen, der von der Hose, die ihm um die Beine hing, behindert wurde. Auch der stürzte schwer zu Boden, und sein Kopf traf mit einem Übelkeit erregenden Krachen auf den rissigen und löchrigen Asphalt.
Sogleich wandte sich Drake erneut dem ersten Mann zu, der inzwischen wieder auf den Beinen war und sein Messer vor sich hielt, als ob er Profi wäre – mit der Schneide nach unten. Die Chance, einen Messerkampf mit bloßen Händen zu überleben, stand gleich null. Drake wusste, er musste schleunigst etwas tun, um seine Aussichten zu verbessern, irgendetwas Unerwartetes.
Er warf sich nach vorn und stürzte sich direkt in das Messer. Die Klinge schlitzte ihm das Gesicht auf, aber in seiner Überraschung lockerte sich der Griff des Matrosen. Drake gelang es, ihm das Messer aus der Hand zu winden, und er stieß es bis zum Griff ins Auge des Mannes.
Der Matrose fiel zu Boden wie ein Stein.
Drake stand über ihm, keuchend. Sein Blut tropfte auf das Gesicht des Mannes. Dann zog er das Messer aus dem Schädel des Angreifers und wischte es an der zerfledderten Jacke des Mannes sauber.
Er nahm beiden Männern die Messer ab. Eines war ein nozh razvedchika, ein russisches Kampfmesser. Das andere war ein finnisches Puukko-Messer, sehr selten in dieser Gegend und sehr kostbar. Er tauschte die beiden Messer im Hafenviertel von Odessa gegen zwei Waffen ein – eine Skorpion-Maschinenpistole und ein AK-47 –, inklusive Munition und Schießunterricht. Beide bekam er relativ billig, weil sie gestohlen waren.
Damit war sein Weg vorgezeichnet.
Später, sobald er es sich leisten konnte, ließ er sich die lange, gezackte weiße Narbe auf der linken Seite seines Gesichts von einem Schönheitschirurgen entfernen. Er war dafür bekannt, sich unauffällig in beinahe jede Umgebung einzufügen, praktisch unsichtbar zu werden, aber eine überaus sichtbare Narbe war ein Merkmal, das ins Auge fiel, etwas, das niemand vergaß. Also musste sie weg.
Der Chirurg war gut, einer der besten. Nachdem er seine Arbeit getan hatte, war von der Narbe nichts mehr zu sehen. Abgesehen von ihm selbst und dem Chirurgen gab es niemanden, der sich an die vor langer Zeit verschwundene Narbe erinnern könnte. Trotzdem sah er sie jetzt vor sich, auf einem Gemälde in einer Galerie in Manhattan, eine halbe Welt weit entfernt und zwei Jahrzehnte später. So verrückt es auch klang: Die Narbe auf dem Bild war dieselbe Narbe, die der Chirurg vor all den Jahren entfernt hatte.
Mit einem Mal löste sich der Stau auf, und der Mercedes rollte ungehindert weiter. Drake drückte auf den Knopf in der Mittelkonsole, der es ihm gestattete, mit dem Fahrer zu kommunizieren.
»Sir?« Mischas verwunderte Stimme erklang über die Gegensprechanlage. Drake machte nur selten den Mund auf, wenn sie unterwegs waren.
»Biegen Sie an der nächsten Kreuzung rechts ab, und lassen Sie mich nach zwei Blocks aussteigen.«
»Sir?« Diesmal klang die Stimme des Fahrers verwirrt.
Drake verließ unterwegs niemals den Wagen. Er bestieg eines seiner zahlreichen Fahrzeuge in der Garage seines Gebäudes und stieg am Zielort wieder aus.
Dann hatte der Fahrer sich wieder gefangen. Drake hatte seinen Männern noch nie etwas zweimal sagen müssen. »Ja, Sir«, erwiderte der Fahrer.
Nachdem er aus dem Wagen ausgestiegen war, ging Drake weiter in dieselbe Richtung wie die Limousine, bis diese im Verkehr verschwand, dann schlüpfte er in ein nahe gelegenes Kaufhaus. Zehn Minuten später hatte er sich vergewissert, dass er nicht verfolgt wurde, und ging zu der Kunstgalerie zurück. Allerdings hatte er zuvor sein Achthundert-Dollar-Jackett von Boss, die Hose von Brioni und den Kaschmirpulli und den Schal von Armani weggeworfen. Stattdessen trug er jetzt einen billigen Parka, ein langärmliges Baumwoll-T-Shirt, Jeans, Wollmütze und Sonnenbrille. Er war so sicher, wie man nur sein konnte, dass ihn niemand beschattete und dass er nicht zu erkennen war.
Die Kunstgalerie erschien ihm nach der Kälte auf der Straße angenehm warm. Drake blieb gleich hinter der Tür stehen und sog tief den Duft nach frischem Tee und jener Mischung kostspieliger Parfüms und Rasierwasser ein, die typisch für die angesagten Läden Manhattans war, gemischt mit den etwas bescheideneren Gerüchen nach Harz und Lösungsmitteln.
Beim Klang der Glocke über der Tür kam ein Mann aus einem Hinterzimmer, lächelnd und mit einer Porzellantasse in der Hand, aus der in weißen Schwaden Dampf aufstieg.
»Hallo und willkommen.« Der Mann nahm die Tasse von der rechten in die linke Hand und streckte Drake die rechte entgegen. »Mein Name ist Harold Feinstein. Willkommen in der Feinstein Gallery!«
Das Lächeln schien aufrichtig zu sein, nicht das Lächeln eines Verkäufers. Von der Sorte hatte Drake schon zu viele gesehen, von Leuten, die wussten, wer er war und über welche Mittel er verfügte. Alles, was man verkaufen konnte – einschließlich Menschen –, hatte man ihm bereits mit einem Lächeln angeboten.
Aber der Mann, der ihm seine Hand hinstreckte, konnte nicht wissen, wer er war, und ging sicherlich nicht davon aus, dass er reich war – nicht so, wie er gekleidet war.
Drake nahm die angebotene Hand sachte in die seine. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt einem anderen Mann die Hand geschüttelt hatte. Er berührte andere Menschen nur selten, nicht einmal beim Sex. Normalerweise nutzte er die Hände dazu, seinen Oberkörper hoch- und von der Frau entfernt zu halten.
Harold Feinsteins Hand war weich und gepflegt, doch sein Griff war überraschend fest.
»Sehen Sie sich ruhig in aller Ruhe um«, drängte er ihn. »Sie müssen nichts kaufen. Die Kunst bereichert uns alle, ob wir sie besitzen oder nicht.«
Ohne ihn auffällig zu mustern, hatte Feinstein die billigen Kleidungsstücke erfasst und ihn in die Kategorie Schaufensterbummler einsortiert, ohne sich dadurch gestört zu fühlen. Ungewöhnlich für einen Geschäftsmann.
Drakes Blick wanderte über die Wand, und Harold Feinstein drehte sich aufmerksam um.
»Nehmen wir beispielsweise meine letzte Entdeckung.« Er zeigte mit der freien Hand auf die Bilder. »Grace Larsen. Ein bemerkenswertes Auge für Details, erstaunliches technisches Können, perfekte Pinselstriche. Und die Radierungen – sehen Sie, wie sie das Chiaroscuro beherrscht? Wirklich bemerkenswert.«
Der Künstler war eine Frau? Drake konzentrierte sich auf die Gemälde. Mann, Frau, wer auch immer der Künstler war, diese Arbeiten waren außergewöhnlich. Und jetzt, wo er sich in der Galerie befand, konnte er sehen, dass eine Seitenwand, die von der Straße aus nicht zu sehen gewesen war, mit Radierungen und Aquarellen bedeckt war.
Er blieb vor einem Ölgemälde stehen, dem Porträt einer alten Frau. Der Rücken gebeugt, die grauen Haare zu einem Knoten gerafft, das Gesicht von der Sonne gegerbt, die großen Hände von der schweren Arbeit rau und krumm, in ein billiges Baumwollkleid gekleidet. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment aus dem Gemälde heraustreten, auf die Knie fallen und anfangen, den Boden zu schrubben.
Und doch war sie wunderschön, weil die Künstlerin sie als schön ansah. Eine besondere Frau, der Inbegriff der arbeitenden Frau, die mit ihren Mühen die Welt zusammenhielt. Drake hatte Tausende dieser Frauen gesehen, wie sie rund um den Globus auf den Feldern schufteten und die Straßen von Moskau kehrten.
Alles Leid und alle Kraft der menschlichen Rasse sah er da vor sich, in ihren abfallenden Schultern und müden Augen.
Erstaunlich.
Die Glocke über der Tür klingelte, als jemand die Galerie betrat.
Feinstein richtete sich auf, und sein Lächeln wurde noch breiter. »Und hier ist die Künstlerin persönlich.« Er sah zu Drake in seinen einfachen Klamotten. »Lassen Sie sich Zeit und genießen Sie die Bilder«, sagte er freundlich.
Drake roch sie, ehe er sie sah. Ein frischer Duft nach Frühling und Sonne, kein Parfüm. Vollkommen fehl am Platz inmitten der Ausdünstungen Manhattans. Sein erster Gedanke war: Keine Frau kann die Erwartungen erfüllen, die dieser Duft weckt.
»Hallo, Harold«, hörte er eine Frauenstimme hinter sich sagen. »Ich habe einige Tuschezeichnungen mitgebracht, die Sie sich vielleicht gerne ansehen möchten. Und ich habe das Küstenbild fertiggestellt. Bin extra die ganze Nacht aufgeblieben.« Die Stimme war sanft, durch und durch weiblich, mit einem Lächeln darin.
Sein zweiter Gedanke war: Keine Frau kann die Erwartungen erfüllen, die diese Stimme weckt. Die Stimme war lieblich, melodisch. Sie packte ihn wie der Ton einer Stimmgabel, hallte mit solcher Kraft in ihm nach, dass er sich tatsächlich auf das Gesagte konzentrieren musste.
Drake wandte sich um – und erstarrte.
Sein ganzer Körper erstarrte. Einen Herzschlag lang – oder zwei – war er vollkommen unfähig, sich zu rühren, bis er diese Lähmung durch pure Willenskraft abschütteln konnte.
Irgendetwas, vielleicht ein primitiver Überlebensinstinkt tief in seiner DNA, brachte ihn dazu, sich ein Stück wegzudrehen, sodass sie ihm nicht direkt ins Gesicht sehen konnte, aber er verfügte über ein ausgezeichnetes peripheres Sehvermögen und beobachtete die Frau – Grace – aufmerksam dabei, wie sie ihre große Künstlermappe öffnete und damit begann, schwere Papierbögen herauszuziehen und sorgfältig auf einem großen Glastisch auszulegen. Dann holte sie etwas aus ihrer Handtasche, das wie eine ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter breite Papierrolle aussah.
Verdammt! Die Frau war … unglaublich. Mehr als schön. Schönheit war heutzutage gar nichts mehr. Schönheit, von der gewöhnlichsten Art, konnte man sich mit Leichtigkeit kaufen. Amerikaner konnten sich von allem das Beste leisten. Die jungen Mädchen wuchsen mit guter Ernährung, guten Zahnärzten, guten Schönheitschirurgen, guten Friseuren, guten Hautärzten auf. Sie schienen ohne Ausnahme gute Zähne, gesundes Haar und reine Haut zu haben. All das war nichts.
Sie war nicht sehr groß, aber vollendet proportioniert: lange Beine, langer Hals, geschmeidige Finger. Sie bewegte sich leichtfüßig und sicher, eher mit der unbeschwerten Grazie einer Tänzerin als mit der Kraft einer Athletin. Ihr schulterlanges Haar wirkte, als ob es eben erst gewaschen worden wäre, aber nicht beim Friseur. Sie hatte es gewaschen und an der Luft trocknen lassen. Ihr Haar war alles andere als perfekt, bis auf seinen Glanz und seine Farbe: eine Mischung aus Kupfer, Bronze und hellem Braun. Als sie jedoch unter einen der Deckenstrahler trat, wurde ihr Haar mit einem Schlag lebendig, eine Explosion leuchtender Farben.
Sie lächelte Feinstein an, aber in ihrem Lächeln lag eine Melancholie, eine Traurigkeit, als ob sie schon viele Male in das Herz der Welt gesehen hätte, nur um festzustellen, dass es kalt und schwarz war.
Drake erkannte diesen Blick. Er sah ihn jeden Morgen im Spiegel.
Sie war die Schlichtheit in Person: kein Make-up, kein Schmuck, keine modische Kleidung. Aber genau so sollte es auch sein, weil sie von einer beinahe extravaganten Schönheit war. Schmuck würde das Auge nur von ihrem Porzellanteint ablenken, von den grünblauen Augen, den perfekten hohen Wangenknochen, dem vollen, ernsten Mund.
Ein kühler Luftzug, ein Klingeln. Drei Leute betraten die Galerie: zwei Männer und eine Frau, die augenblicklich von der Kunst an den Wänden angezogen zu werden schienen, sich vor die Bilder stellten und begannen, Hmmm-Laute von sich zu geben.
Die perfekte Tarnung.
Drake beschrieb langsam einen Kreis, ohne auch nur einen Laut zu verursachen, bis er direkte Sicht auf die Stücke hatte, die Grace dem Galeriebesitzer zeigte, ein Blatt nach dem nächsten.
Wahre Wunder. Das war es, was sie dem Besitzer zeigte. Gottverdammte Scheißwunder, jedes einzelne.
Zeichnungen von so ziemlich allem, was auf Erden existierte. Die Frau schien alles zu zeichnen, was ihr vor die Augen kam. Außerdem hatte sie auch noch Bilder aus dem Reich der Fantasie dabei, als ob die Welt für ihre Vorstellungskraft nicht ausreichte, darunter der liebevoll ausgestaltete Drache auf einem Hügel, so fein wie eine klassische chinesische Zeichnung.
Zwei kleine Jungen im Central Park. Ein Polizist auf dem Rücken eines Pferdes, mit durchgedrücktem Rücken, die Augen starr geradeaus gerichtet, auf alles vorbereitet. Ein Hotdog-Verkäufer, der mit einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen zur Seite blickte. Rosen in einer Kristallvase, die kurz vor dem Verblühen standen, ein Blütenblatt gerade im Moment des Fallens eingefangen.
Eines nach dem anderen legte sie ihre Bilder Feinstein vor, der sie sorgfältig studierte, ohne dass seine Miene auch nur das Geringste verraten hätte. Wenn Drake der Besitzer dieser Galerie gewesen wäre, wäre er vor Freude an die Decke gesprungen und hätte sofort sein Scheckbuch gezückt.
Aber so wurden Geschäfte nun mal nicht abgeschlossen. Niemand wusste das besser als Drake. Man verhält sich zurückhaltend und bietet stets unter Wert. Zeige niemals, was du auf der Hand hast. Lasse niemals zu, dass Gefühle einen Geschäftsabschluss beeinträchtigen. Aber diese Kunst existierte jenseits aller Geschäftsregeln.
Sie war pure Magie.
Dabei war das noch nicht alles.
Sie reichte das eine Ende der Rolle Feinstein und begann rückwärtszugehen, sodass sie das Werk nach und nach entrollte. Sie lächelte, während Feinstein die Augen aufriss.
Da keiner von beiden auf ihn achtete, erlaubte sich Drake einen genauen Blick – und vergaß eine Sekunde lang zu atmen.
Was sie da ausrollten, war der Küstenverlauf von Manhattan, jedes architektonische Detail in schwarzer Tinte wiedergegeben. Immer mehr wurde aufgerollt, jeder Strich an jedem Gebäude präzise und perfekt. Er betrachtete jeden Zentimeter der Arbeit und konnte sogar sein eigenes Gebäude erkennen. Nur der oberste Stock, das Penthouse, in dem er lebte, war zu sehen. Sämtliche Einzelheiten waren vollendet wiedergegeben. So etwas hatte er noch nie zu Gesicht bekommen.
Hatte sie Monate auf einem Boot verbracht, vor Manhattan vor Anker gelegen und gezeichnet? Die Feinheit der Striche war bemerkenswert, ohne jeden Fehler.
Endlich hatte sie es komplett abgerollt und hielt das Ende fest. Das Bild war wenigstens vier Meter lang, jedes Detail formvollendet.
Die drei Neuankömmlinge sammelten sich um das Werk, stießen Oohs und Aahs aus, wanderten langsam daran entlang, den Blick wie hypnotisiert auf die Miniaturküste gerichtet, und wiesen einander auf bekannte Gebäude hin.
Feinstein zog den Streifen etwas strammer, damit sie besser sehen konnten, und Drake erlitt fast einen Herzanfall. Scheiße, nur ein kleines bisschen mehr Druck, und das Papier würde reißen und eine unersetzbare Kostbarkeit wäre verloren.
Drake konnte sich nur mit Mühe beherrschen, sich nicht auf der Stelle auf den Galeriebesitzer zu stürzen. Er musste seinen Muskeln bewusst befehlen stillzuhalten und hoffte nur, dass Feinstein genug Ahnung hatte, um gerade mit so viel Kraft zu ziehen, dass der Streifen nicht riss.
Sonst würde Drake ihn in Stücke reißen.
Augenblick mal! Woher war denn dieser Gedanke gekommen? Feinstein war ein behäbiger älterer Mann mit den typischen Altersflecken auf den weichen Händen. Ein Kunstgaleriebesitzer, um Gottes willen! Drake griff Zivilisten nicht an und ganz sicher würde er nicht über einen älteren Herrn herfallen, vor allem da er ihn intuitiv freundlich behandelt hatte und mit dieser bemerkenswerten Künstlerin befreundet war.
Aber trotzdem. Eine Sekunde lang, als er fürchtete, dieser wunderbare Papierstreifen würde zerstört werden, konnte er fühlen, wie sich seine Hände um den Hals des Mannes schlossen, samt Doppelkinn. Er hätte nicht die geringste Chance gehabt. Drake wusste seit seinem zehnten Lebensjahr, wie man einem Menschen das Genick brach, und mit den Jahren war er nur noch geschickter geworden.
Das Trio schlurfte an dem Papierstreifen entlang, einer wies den anderen mit aufgeregter Stimme auf bekannte Sehenswürdigkeiten hin.
»Franco«, sagte die Frau geziert, die rot bemalten Lippen formten das O am Namensende, »das würde doch einfach göttlich aussehen in deinem Studio, findest du nicht? An der gelben Wand.«
»Sì, cara.« Franco schüttelte bewundernd den Kopf. »Ich würde es mit einem ganz einfachen Rahmen versehen, um nicht von den klaren Linien abzulenken. A giorno.«
Nein! Mein! Drake musste die Lippen fest aufeinanderpressen, sonst hätte er die Worte hinausgeschrien.
Sie hallten in seiner Brust wider, rollten wie große Granitfelsen durcheinander und prallten von seinen Rippen ab.
Mein.
Er konnte sich nicht erinnern, wann er etwas zum letzten Mal so sehr begehrt hatte.
Er war jetzt schon seit langer Zeit reich. Es gab nichts Materielles, was er sich nicht kaufen konnte. Nichts. Ihm war sogar schon einmal ein eigenes Land angeboten worden, eine winzige Insel. Eigentlich eher ein kleiner Landflecken, der sich kaum über das Wasser erhob, aber trotzdem.
Er besaß einen ganzen Wolkenkratzer in Manhattan, dazu Villen rund um die Welt. Er hatte teure Flugzeuge, teure Autos, teure Kleidung, teure Frauen … obwohl er in letzter Zeit die Nase voll gehabt hatte von Sex.
Es war schon Jahre her, dass er dieses Brennen in der Brust gefühlt hatte, das bedeutete, dass er etwas unbedingt haben wollte. In seiner Kindheit war dieses Gefühl im Winter besonders stark gewesen, wenn er sich nach einem warmen Zimmer gesehnt hatte. Oder immer wenn er den Duft aus einem Restaurant in die Nase bekam und sein leerer Magen knurrte.
Wie er damals begehrt hatte. Diese Heftigkeit. Aber das war lange her, ein ganzes Leben lang.
Die Intensität seiner Begierde bestürzte ihn, das Echo des verzweifelten Verlangens eines Kindes im Kopf eines Mannes.
In seinem Kopf war einiges in Bewegung, als er dieses neue, unerwartete Verlangen zu begreifen versuchte. Manchmal kam es ihm vor, als ob schon die Vorstellung von Verlangen vollständig aus seinem Leben verschwunden wäre, und er hieß es vorsichtig erneut willkommen. Ein alter Feind, der sich irgendwie in einen Freund verwandelt hatte.
Er betrachtete noch einmal die Wände um sich herum und wusste, dass er alles haben musste, was dort hing. Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen. Alles. Es musste alles ihm gehören, es gab keine andere Möglichkeit.
Es würde anonym geschehen müssen, durch einen seiner zahlreichen Anwälte, mithilfe einer seiner Strohfirmen.
Er wandte den Kopf leicht zur Seite, dorthin, wo Grace Larsen die drei möglichen Käufer und Feinstein beobachtete, die vollen Lippen zu einem kleinen Lächeln verzogen. Er glaubte zu wissen, dass sie nicht sehr oft lächelte. Was er gut verstand, da er es auch nicht tat.
Die grauen Winterwolken draußen mussten sich wohl geteilt haben, denn mit einem Mal war Grace Larsen von Licht überflutet, das ihre Haut leuchten ließ und ihrem glänzenden Haar ein unglaubliches Farbenspiel entlockte. Sie stand in der Mitte eines Rechtecks aus Licht, das auf den Parkettfußboden gemalt zu sein schien, wie auf einer Bühne.
Feinstein begann den Streifen wieder aufzurollen. Er warf ihr einen Blick zu und sagte mit ruhiger Stimme: »Sehr gut, meine Liebe. Bravo!«
Sie neigte nur kurz den Kopf – ein Ritter, der das Lob eines Königs entgegennahm.
Wieder dröhnte das Wort mein durch Drakes Kopf, laut widerhallend, sodass es ihn vor Überraschung beinahe umgehauen hätte. Wenn es auch schon zig Jahre her war, seit er Dinge begehrt hatte, so war es noch nie der Fall gewesen, dass er Menschen begehrt hatte. Keine spezifischen Menschen.
Er hatte keine Geliebten, er hatte Sexpartnerinnen.
Er hatte keine Freunde. Er hatte Angestellte.
Er stellte ein, wer in seinem Job der Beste war, bezahlte ihm mehr als den Marktpreis und ließ ihn tun, was er am besten konnte.
Frauen kamen und gingen, hielten sich nur selten länger als ein oder zwei Nächte in seinem Leben auf. Er bezahlte nicht für Sex. Das musste er auch nicht. Die Frauen, die in sein Bett kamen, verstanden sehr gut, was er zu bieten hatte. Am nächsten Morgen erhielten sie immer ein kleines Dankeschön, das abwechselnd von Tiffany, Fendi oder Armani kam.
Eine Frau in sein Leben zu lassen – gesetzt den Fall, er wollte eine haben, was nicht der Fall war –, wäre reiner Wahnsinn.
Schließlich hatte es einen Grund, dass er so viel in seine Sicherheit investiert hatte. Er hatte Feinde. Schlaue, skrupellose Feinde, einige noch aus der Zeit von vor zwanzig Jahren. Eine Frau, für die er etwas empfand, könnte sich genauso gut gleich eine große Zielscheibe auf die Stirn malen. Sie wäre ein schneller, einfacher Weg, all seine Verteidigungsmaßnahmen zu durchbrechen; das am leichtesten verwundbare Ziel in seiner Welt.
Es gab keine Frau, die bereit wäre, unter seiner schweren Sicherheitsdecke zu leben. Sie könnte nirgendwo alleine hingehen, könnte nicht einmal selber einkaufen, geschweige denn spazieren gehen, denn er würde todsicher unter keinen Umständen erlauben, dass seine Frau sich zum Ziel machte.
Und was wäre der Sinn, wenn sie sich alle Kleider und Juwelen kaufen könnte, die sie nur wollte, sich aber nie mit ihnen zeigen dürfte?
Von Kindern gar nicht zu reden.
Gott, schon die Vorstellung, ein Kind zu haben, ließ ihn in Schweiß ausbrechen. Er hatte zu viele Kinder einen gewaltsamen Tod sterben sehen. Er würde verrückt werden, wenn irgendwo dort draußen in dieser kalten, grausamen Welt sein Kind herumliefe, ein Ziel für jeden, der auf Rache aus war.
Gelegentlicher Safer – sehr Safer – Sex mit wechselnden Partnerinnen war der intimste Kontakt, den er je mit einem anderen menschlichen Wesen hatte. Er erinnerte sich kaum an die Frauen, die schon einmal sein Bett geteilt hatten. Wenn er die Augen schloss, fielen ihm einige kleine Details ein: ein Muttermal auf der Unterseite einer Brust, eine rasierte Scham, hübsche Knie, ein künstlerisches Tattoo. So was halt.
Aber das war auch schon alles. Die Frauen, zu denen diese Details gehörten – weg. Er konnte sich weder an ihre Stimmen noch an ihre Namen erinnern. Sobald er sie gefickt hatte, waren ihre Gesichter schon aus seiner Erinnerung verschwunden.
Aber an ihr Gesicht erinnerte er sich. Oh ja. An jede Kleinigkeit.
Alles an ihr war so perfekt. Einfach … perfekt. Große Augen von der Farbe der See, Haare, in deren glänzenden Tiefen sich tausend Farben zu verbergen schienen, helle, perfekte Haut.
Und über dem Ganzen ein Anflug von Melancholie.
Sie hatte ihn verhext. Sie hatte keine Ahnung, dass er überhaupt existierte, aber ihr Dasein allein reichte aus, um sein Leben zu erfüllen.
Grace Larsen war also ihr Name, und sie kam jeden zweiten Dienstagnachmittag in die Feinstein Gallery, wie Drake bald herausgefunden hatte. Sobald er nach Hause gekommen war, hatte er sich darangemacht, alles über sie in Erfahrung zu bringen. Und darum war Drake nun auch jeden zweiten Dienstagnachmittag dort. In einer schmalen Gasse, in den Schatten, versteckt und allein, blickte er durch ein kleines Fenster, von dem aus er nur einen Teil der Galerie einsehen und nur hin und wieder einen kurzen Blick auf Grace erhaschen konnte.
Es war Dummheit, es war Wahnsinn, aber er hätte nicht darauf verzichten können, selbst wenn jemand eine Waffe auf seinen Kopf gerichtet hätte.
So wie es gerade passierte.
Jetzt würde er den entsetzlich hohen Preis für seine Dummheit bezahlen.
Beim Klang der Kugel, die in die Kammer glitt, reagierte er instinktiv. Sein Hörvermögen war ausgezeichnet, darum war er in der Lage, den Ort zu berechnen, an dem sich die Waffe befand. Ungefähr einen knappen Meter hinter ihm und geringfügig zu seiner Rechten.
Alles schien in Zeitlupe abzulaufen, obwohl sich sein Körper schneller bewegte, als er denken konnte, instinktiv und brutal. Ihm blieben immer noch die Bruchteile einer Sekunde, ehe der Abzug durchgedrückt werden konnte, genug Zeit, um sich aus jeder möglichen Schusslinie zu entfernen.
Drake war ein Bodenkämpfer. Augenblicklich ließ er sich auf den kalten, ölverschmierten Beton fallen. Wer auch immer der Mann war, Drake wusste, dass er sich in diesem Moment ausschließlich auf den Schuss konzentrierte und er dadurch kopflastig war. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf Hände und Augen gerichtet, vermutlich spürte er seine Füße nicht einmal.
Drake hatte trainiert, sich während eines Kampfes sämtlicher Teile seines Körpers bewusst zu sein, aber er wusste, dass diese Fähigkeit selten war. Er ließ sich fallen und streckte blitzartig ein Bein aus. Seine Ferse hakte sich um den Fuß des Schützen und warf den Mann mit einem Footlock um.
Er hatte Sambo von einem der russischen Meister gelernt. Wenn er seinen Gegner erst mal zu Boden gebracht hatte, gehörte der Mann ihm.
Der Mann schwankte und fiel. Er war so groß, wie Drake aufgrund der Schallquelle intuitiv errechnet hatte, aber er war schwerer, als Drake es erwartet hatte. Er fiel ungünstig: direkt auf Drakes linkes Knie. Ein rot glühender Schmerz schoss durch das Gelenk, beinahe unerträglich. Eine Sekunde lang überlegte er, ob es gebrochen sein könnte, blendete den Gedanken aber gleich wieder aus. Wenn es so war, gab es nichts, was er deswegen tun könnte.
Allerdings glaubte er es eher nicht. Er kannte das Gefühl einer schweren Verletzung, und es fühlte sich anders an. Dies war nur Schmerz. Schmerz konnte er ignorieren.
Auch wenn Drake unter dem Mann lag, hielt er doch immer noch dessen Bein fest und stemmte dem Gegner den Ellbogen gegen den Hals. Doch mit seinem verwundeten Bein war er nicht in der Lage, den Unterkörper des Mannes zu blockieren. Durch die dicke Daunenjacke hindurch konnte Drake fühlen, dass sein Gegner kräftig war, muskelbepackt, könnte man sagen. Ungewöhnlich für einen Schützen … und sein verdammtes Pech.
Aber auch wenn Drake nicht ganz so massiv war, war er doch stark und fit. Seine Hände waren besonders stark, nachdem er sein Leben lang Judo betrieben hatte. Schwitzend und heftige Grunzlaute ausstoßend, bewegte er seine Hand nach unten, wo der Schütze seine Waffe festhielt, und versuchte, sie ihm aus der Hand zu drehen.
Der Schütze war stark, aber Drake war stärker.
Er grub den Daumen tief in die Sehnen auf der Innenseite des Handgelenks seines Gegners. Erst fühlte er Muskeln, dann Knochen unter seinen Fingern. Er verstärkte den Griff, als sich ein Schuss löste. Zu seinem Glück zielte die Mündung von ihm weg, und die Kugel prallte nahezu lautlos von der Ziegelmauer ab, sodass Fragmente gegen die Fensterscheibe prasselten und dann auf sie herabregneten.
Drake verstärkte den Druck seines Daumens, spürte, wie der Mann vor Schmerz stöhnte. Noch eine Sekunde, und der Griff des Mannes löste sich, die Waffe fiel mit leisem Poltern auf den Boden. Drake brach dem Mann das Handgelenk und hob die Waffe auf. Eine SIG P229.
Eine Seitentür öffnete sich, und ein längliches Rechteck aus Licht fiel auf die dreckige Gasse. Zwei Menschen standen im Türrahmen, hinter ihnen zwei weitere Männer. Eine blasse, wunderschöne Frau, der die Mündung einer Beretta 84 mit solcher Kraft an die Schläfe gehalten wurde, dass ihr das Blut in einem dünnen Rinnsal über die Seite ihres Gesichts lief. Der Mann, der ihr die Waffe an die Schläfe hielt, war ein großer, langhaariger Latino mit schlechter Haut und kalten, grausamen Augen in einem langen Ledermantel. Hinter ihm standen noch zwei weitere Männer, dem Anschein nach ebenfalls Latinos, etwas kleiner als er, aber nicht minder bösartig. Mitglieder einer Gang.
Und damit waren die Karten neu verteilt – denn die Frau, der das Blut übers Gesicht strömte, war Grace Larsen.
»Lass die Waffe fallen. Sofort!« Die Stimme des großen Latinos war kalt, leicht heiser.
Drake zögerte. Er besaß noch andere Waffen als die SIG. Er hatte eine Glock 19 in einem Schulterholster und eine Tomcat im Hosenbund, aber sein Instinkt sträubte sich mit aller Macht dagegen, die SIG aufzugeben. Wenn er Grace Larsen lebend aus dieser Situation herausholen wollte, brauchte er jeden Vorteil, den er kriegen konnte.
»Wirf sie weg!«, knurrte der Mann. Er legte den Arm um Grace’ wunderschönen Hals. Ihre Nasenflügel waren weiß und weit geöffnet, ihre Lippen begannen, blau zu werden. Er schnitt ihr den Sauerstoff ab.
Drake konnte ihm den Arm wegschießen. Es wäre nicht das erste Mal. Aber er konnte nicht garantieren, dass sich der Mann nicht im letzten Moment noch bewegen würde und er stattdessen Grace treffen würde.
»Wirf sie weg!«
Drake öffnete die Hand und ließ die SIG auf den Boden fallen.
Feinstein Art Gallery
17. November
»Dein geheimer Bewunderer wird es lieben«, sagte Harold Feinstein zu Grace. Er hielt ein Pastellbild hoch, an dem sie einen ganzen Tag lang gearbeitet hatte. Sie hatte nichts gegessen, nichts getrunken, hatte die Arbeit nur kurz unterbrochen, um das Bad aufzusuchen. Sie hatte fieberhaft gearbeitet, um jeden noch so dürftigen Strahl der Wintersonne auszunutzen, der durch ihr Oberlicht drang.
Als sie aufgewacht und zum Fenster gegangen war, um die Jalousien hochzuziehen, hatte sie das Bild vor sich gesehen. Eine Seemöwe, die sich vom Ozean in den Betondschungel Manhattans verirrt hatte. Ihre Federn stachen in makellosem Weiß gegen die verrußte Großstadtluft ab. Die Flügel weit ausgebreitet, ließ sie sich von der Thermik an dem Backsteinbau aus dem neunzehnten Jahrhundert auf der anderen Straßenseite emportragen.
Das Gebäude gegenüber von ihrem Apartment war alt, abgenutzt und verbraucht. Es war zum Abriss vorgesehen, und so sah es auch aus: zugenagelte Fensteröffnungen, zerbrochene Haustür … Die Hülle eines Hauses, in dem niemand mehr lebte und das niemand mehr liebte. Ein Kunstwerk, das im Sterben lag.
Im Gegensatz dazu hatte der Vogel Freiheit, Frische und Leichtigkeit verkörpert und die Fähigkeit, einfach abzuheben und die Probleme auf der Erde zurückzulassen. Sie hatte ganz verzaubert einige Minuten lang dem Vogel zugesehen, der seinen Flug genoss, am Himmel über der Straße kreiste – Leichtigkeit und Anmut. Ganz und gar unmenschlich, symbolisierte er das Beste des menschlichen Wesens.
Wie hart sie daran gearbeitet hatte, diesen magischen Moment vollkommener Freiheit einzufangen.
Harold legte das Bild andächtig auf den großen Glastisch im Zentrum der Galerie, gleich neben die Aquarelle, die sie mitgebracht hatte, und richtete ihre Arbeiten aus wie leuchtend bunte Soldaten. Es war ein Ritual, dem sie nun schon über ein Jahr lang folgten, seit sie mit einem Portfolio unter dem Arm und ganzen einhundertfünfzig Dollar auf der Bank in seine Galerie marschiert war.