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Der neue Untermieter von Innendekorateurin Suzanne Barron könnte gefährlicher nicht sein - und auch nicht anziehender. Ex-Navy SEAL John Huntington - der Midnight Man - weckt nie gekannte Leidenschaften in Suzanne. Doch die junge Frau hat Angst vor ihren eigenen Gefühlen und versucht jeden Kontakt zu ihm zu vermeiden. Doch als Killer auf sie angesetzt werden, bleibt Suzanne nur noch eine Möglichkeit, ihr Leben zu retten: John! Band 1 der romantisch-spannenden Midnight-Serie von Lisa Marie Rice.
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Seitenzahl: 464
LISA MARIE RICE
Midnight Man
Gefährliche Mission
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Angela Koonen
1
Portland, Oregon
21. Dezember
Sie hat Angst vor mir, dachte er.
Zu Recht.
Es war erst sieben Stunden her, da hatte er zwei Männer getötet und vier verwundet. Tod und Gewalt klebten an ihm wie ein Leichentuch. Er war noch aufgedreht vom Töten, sein Blut in Wallung.
Daher kam es vielleicht, dass er, seit er Suzanne Barrons Büro betreten hatte, an nichts anderes mehr denken konnte als sie flachzulegen.
John Huntington betrachtete Suzanne Barron in ihrem sehr eleganten Büro an ihrem sehr eleganten Schreibtisch. Sie selbst war ebenfalls elegant. Elegant, mondän und umwerfend schön. Sie hatte glatte, sahneweiße Haut, dunkelhonigblonde Haare, graue Augen wie stille Gebirgsseen. Sie schaute misstrauisch.
»Mr Huntington, Sie haben in Ihrer E-Mail nicht ausgeführt, was für ein Geschäft Sie betreiben.«
Ihrem Blick nach würde sie ihm sofort glauben, wenn er antwortete: Bärenjagd und Kannibalismus.
In der Geschäftswelt war er ein Wolf, der sich sorgfältig in den Schafspelz der Krawattenheinis kleidete – Brioni und Armani. Es dauerte eine Weile, bis man den Mann sah, der er wirklich war, und manche Leute sahen es zu spät.
Doch im Augenblick, wo er gerade aus Venezuela zurück war und das Adrenalin noch durch seinen Organismus strömte, wirkte er wie der Wolf, der er war. In schwarzer Lederjacke, schwarzem Stehkragenpullover, schwarzen Jeans und Kampfstiefeln war er keiner von den Adretten, die Ms Barron in ihrem Hause haben wollte oder sollte. Besonders da sie allein lebte; die Anzeichen dafür hatte er schon gesehen.
Sie war bereits misstrauisch und ahnte nicht einmal etwas von der SIG Sauer im Schulterholster, dem KA-BAR in der Scheide zwischen den Schulterblättern oder der 22er im Stiefelschaft, sonst hätte sie ihn wahrscheinlich schon rausgeworfen.
Sie musterte ihn. Angst verdunkelte ihre strahlenden Augen.
Er kam gerade von einem Adrenalinrausch herunter. Bei dem Auftrag in Venezuela, wo er Ölmanagern beibringen sollte, mit einer harten Welt fertig zu werden, hatte sich sehr bald ein sehr übler Zwischenfall ereignet. Eine Gruppe Terroristen der Frente de la Libertad kam aus den Bergen herab und versuchte, das gesamte Management der Western Oil Corporation auf eine Vergnügungsfahrt mitzunehmen.
Zum Glück war er vor Ort und überwältigte sie, eliminierte zwei und machte vier kampfunfähig. Die übrigen erledigte die Polizei.
Der dankbare Firmenchef schloss mit John einen Vertrag über weltweiten Schutz von Western Oil, gab ihm einen Bonus-Scheck über 300000 Dollar und ließ ihn in seinem Privatjet zurück in die Staaten bringen, pünktlich zu dem Termin mit der umwerfenden Ms Suzanne Barron.
Es wurde Zeit, sie zu überzeugen, dass er nicht gefährlich war. Er war es, aber nicht für sie.
»Ich habe eine Sicherheitsfirma, die Alpha Security International, die ich selbst leite, Ms Barron. Die Geschäftsräume befinden sich am Pioneer Square. Aber ASI expandiert, und ich brauche neue Räumlichkeiten. Hier ist reichlich Platz.«
Er sah sich in ihrem Büro um. So etwas hatte er nicht erwartet. In der Anzeige im Oregonian waren nur Größe und Lage genannt worden. Pearl war ein raues Pflaster, das nur langsam etwas aufgewertet wurde. Rings um das zweigeschossige Backsteingebäude lagen ungenutzte Grundstücke. Wenn man dagegen durch die Haustür trat, war es, als gelangte man in ein Stück Himmel.
Und die vier Räume, die sie ihm gezeigt hatte – als wären sie für ihn gestaltet worden. Groß, hohe Decken, der Geruch von neuem Holz und alten Ziegelmauern. Das war etwas anderes als der moderne Quatsch, den er in dem teuren Hochhaus am Pioneer Square gemietet hatte.
Von innen erschien das Gebäude wie ein kostbares Juwel: lauter Messing, helle Holzböden, weiche, pastellfarbene Möbel, unaufdringliche Lampen, und es duftete nach den Tannenzweigen auf dem Kaminsims und nach Orangen und Zimt.
Aus versteckten Lautsprechern klang leise Harfenmusik, als würde sie direkt aus dem Himmel übertragen.
Er hatte augenblicklich das Gefühl gehabt, nach Hause zu kommen, was für einen Mann, der nie ein Zuhause gehabt hatte, bemerkenswert war. Seine Anspannung, die noch von dem Zusammenstoß mit den Terroristen zurückgeblieben war, begann sich zu legen. Er hatte gefunden, was er ganz unbewusst immer gesucht hatte.
Genau wie die kühle, knackige Blondine, die ihn an der Tür empfangen und ihm die zarte, schmale Hand gegeben hatte. Sein ständig kampfbereiter Körper war sofort zum Sex bereit gewesen.
Verdammte Scheiße, seit wann war er so leicht ablenkbar? Normalerweise ließ er sich nicht mal durch Schüsse von einem Ziel ablenken. Natürlich waren Schüsse nicht mit einer wahnsinnig attraktiven Frau vergleichbar, aber sein Ziel hier war es, ein neues Büro zu finden, und nun, wo er diese Räume gesehen hatte, war er entschlossen, sie zu bekommen. Und die Vermieterin. Aber zuerst musste er seine Hormone unter Kontrolle bringen, denn sonst würde er mit leeren Händen abrücken.
Ruhe, Junge!, befahl er sich.
Offenbar versprühte er tonnenweise Hormone in seine Umgebung, denn sie saß mit großen Augen weit zurückgelehnt in ihrem Schreibtischsessel, um ganz unbewusst Distanz zu gewinnen. Der Gedanke, dass ihn ein Schreibtisch aufhalten könnte, wenn er sie wirklich bespringen wollte, war so lächerlich, dass er beinahe schnaubte.
Aber er sollte sie jetzt mal bewegen, ihre ängstliche Haltung aufzugeben, und ihr versichern, dass er sie nicht fressen wollte.
Noch nicht jedenfalls.
Mit höflicher Miene sah er sich in dem Büro um und vermied Blickkontakt, um ihr Zeit zu geben, ihn zu mustern. Dabei hörte er sie nach und nach ruhiger atmen.
Es war zwar eine List, den Raum so genau zu betrachten, doch dessen Schönheit lenkte ihn bald davon ab. Ihm fehlte das fachliche Wissen, um zu analysieren, wie sie die erreicht hatte, das Resultat jedoch wusste er zu würdigen. Verblüffende Farbwahl. Bequeme Möbel, die modern und feminin wirkten. Die architektonischen Merkmale der Epoche – frühe Zwanzigerjahre, schätzte er – hatte sie beibehalten. Jedes Detail, jede Ecke, jeder Gegenstand war wunderschön.
Nun hatte er ihr genug Zeit gelassen, sich zu beruhigen, und drehte sich wieder zu ihr um.
»Haben Sie die Restaurierung gemacht, Ms Barron?«
Die Frage entspannte sie. Sie schaute sich um, und ein Lächeln krümmte ihre weichen, hellrosa Lippen. Draußen regnete es. Das gedämpfte, verwässerte Licht, das durch die hohen Fenster hereinkam, gab ihrer Haut den gleichen Perlmuttschimmer, den die Schale mit der duftenden Pflanze auf dem Fensterbrett hatte.
»Ja. Ich habe das Gebäude von meinen Großeltern geerbt. Es war eine Schuhfabrik, die vor zwanzig Jahren bankrott ging und seitdem leer stand. Da ich Innenarchitektin bin, habe ich seinerzeit beschlossen, es in Wohn- und Geschäftsräume umzuwandeln, anstatt es zu verkaufen.«
»Sie haben großartige Arbeit geleistet.«
Sie begegnete seinem Blick und starrte ihn an. »Danke«, sagte sie nach einem unwillkürlichen Atemstoß.
Einen Moment lang spielte sie mit einem Stift und tippte damit auf die glänzende Schreibtischplatte. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihre Nervosität verriet, legte sie ihn weg. Ihre Hände waren schlank und weiß, so schön wie alles an ihr. An der rechten trug sie zwei teuer aussehende Ringe, aber keinen an der linken.
Gut. Es gab also keinen Mann, der sie besaß, und nachdem er sie entdeckt hatte, würde sie auch kein anderer mehr bekommen. Nicht solange sie mit ihm zusammen war, und das würde sehr, sehr lange dauern.
Ihre Hände zitterten ein wenig.
Suzanne Barron war sicher die schönste Frau, die er je gesehen hatte, aber aufs Wesentliche reduziert war sie ein Tier – ein menschliches Tier. Sie spürte, roch wahrscheinlich sogar seine Gefährlichkeit, und jetzt besonders intensiv.
Diese Wirkung hatte er auf Zivilisten immer. Allerdings war er inzwischen selbst Zivilist, rief er sich in Erinnerung. Er war nicht mehr bei den Streitkräften, wo sofort jeder sah, was er war.
Sein bisheriges Leben hatte er in einer Gemeinschaft gleichgesinnter Männer zugebracht, unter Soldaten, die wussten, wer er war, und in seiner Gegenwart leise auftraten.
Zivilisten wussten nie, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten. Sie waren wie Lämmer, die den Tiger in der Herde wittern. Ihnen war unwillkürlich mulmig.
Mit langsamen Bewegungen, um sie nicht zu erschrecken, reichte er ihr eine Mappe über den Schreibtisch. Kurz berührte er ihre Hand. Sie fühlte sich an wie Seide. Ms Barrons graue Augen weiteten sich, und er zog sich zurück.
Sie ließ die Hand auf dem Deckblatt ruhen, während eine kleine Steilfalte zwischen den geschwungenen Brauen erschien.
»Was ist das, Mr Huntington?«
»Referenzen, Ms Barron. Lebenslauf, Wehrpass, Bonitätsbewertung von meiner Bank, drei Empfehlungsschreiben und eine Auflistung der Hauptkunden meiner Firma.« Er lächelte. »Ich bin ehrlich, zahle meine Steuern, bin solvent und hygienebewusst.«
»Das bezweifle ich nicht, Mr Huntington.«
Mit zusammengezogenen Brauen blätterte sie in der Mappe. Er verhielt sich still und bewegte nur die Lungen, ein Trick, den er sich bei seinen Einsätzen angeeignet hatte.
»Wehrpass? Wieso – oh.« Sie schaute auf, und in ihren Augen ging etwas vor. »Sie sind Commander. Ein Offizier der Army.« Sie wurde eine Spur gelöster. Ein Offizier schien ihr ungefährlich zu sein. Sie wusste nicht, was er im Dienst getan hatte, sonst würde sie sich garantiert nicht entspannen.
»Ich war Offizier. Meine Entlassungspapiere sind auch dabei. Und ich war in der Navy, nicht in der Army.« Diese Memmen. Er unterdrückte ein Schnauben und einen abfälligen Ton in seiner Stimme. »Das ist nicht dasselbe.«
Ihr Lächeln vertiefte sich, sie taute auf. Gut. John konnte Körpersprache lesen. Sie hatte sich bereits entschieden, an ihn zu vermieten. Während sie in seinem Wehrpass las, entspannte sich Ms Barron.
Darin waren einige seiner Orden aufgeführt, genug, um einen Zivilisten zu beeindrucken. Die übrigen, die er für geheime Einsätze bekommen hatte, hingen in seiner Vitrine.
Die Auflistung der Kunden schadete auch nicht. Es waren etliche darunter, die zu den fünfhundert umsatzstärksten Unternehmen der Welt gehörten.
Sie wusste nun, dass er sich nicht betrank oder ein zügelloses Leben führte. Er würde sich nicht aus dem Staub machen, ohne seine Miete zu zahlen. Er würde nicht mit ihrem Tafelsilber verschwinden. Was ein großes Plus war, denn an Silber besaß sie einiges, hauptsächlich in Form von antiken Bilderrahmen und Teeservicen. Jedes Blatt in seiner Mappe wies ihn als soliden, hochgeachteten Bürger aus.
Einiges war in der Mappe jedoch nicht erwähnt: Bevor er Offizier wurde, war er Kundschafter-Scharfschütze gewesen, der auf 1500 Meter sicher töten konnte. Er kannte fünfundvierzig Methoden, einen Menschen mit bloßen Händen zu töten. Er konnte mit dem, was unter ihrer Küchenspüle stand, ein Gebäude sprengen. Und morgen Abend würde er in ihrem Bett sein, in ihr.
»Navy. Navy-Offizier. Verzeihung. Soll ich Sie mit Commander Huntington oder mit Mister Huntington ansprechen?«
»John genügt vollauf, Ma’am. Ich bin aus dem Dienst ausgeschieden.«
»John. Ich heiße Suzanne.« Soeben ließ der Regen nach und schuf eine Oase der Stille.
Johns Sinne waren geschärft. Er hörte sie ein- und ausatmen und die Nylonstrümpfe aneinanderreiben, wenn sie unter dem Schreibtisch die Beine mal so und mal so übereinanderschlug.
Er konnte nur die schmalen Fesseln sehen, wusste aber, dass sie zu langen, schlanken Beinen gehörten. Er fühlte schon ihre Oberschenkel an seiner Taille, die Waden an seiner Hüfte …
»Wie bitte?« Ihm war glatt entgangen, was sie gesagt hatte, weil er mit Bettfantasien beschäftigt gewesen war.
Er wechselte die Körperhaltung, während ihm unangenehm bewusst wurde, dass er seit über einem halben Jahr keinen Sex mehr gehabt hatte. Der Aufbau seiner Firma hatte ihn restlos in Anspruch genommen. Ihre Blicke trafen sich.
»Sie werden sicher die Leute auf der Liste anrufen wollen.« Er sprach leise, ruhig, unbedrohlich.
»Ja, gewiss.« Sie holte tief Luft. »Nun, äh …« Sie drehte nervös einen Ring um den Finger. »Nun, dann … dann werden Sie wohl mein neuer Mieter werden. Mein erster. Sie können die Räume nutzen, wie Sie möchten. Mir wäre allerdings lieb, wenn Sie keine Wände einreißen.«
»Eine so gute Raumgestaltung wie in Ihrem Büro würde ich im Leben nicht hinbekommen. Eigentlich sollte ich Sie engagieren, damit Sie mein Büro einrichten.«
»Ehrlich gesagt, nun ja …« Ihre blasse Haut nahm ein zartes, köstliches Rosa an. Sie griff nach einem Aktenordner, der hinter ihr lag, schlug ihn auf und drehte ihn zu ihm herum. »Während der Arbeit an diesem Büro habe ich mich mit einigen Ideen für die gegenüberliegenden Gewerberäume beschäftigt. Ich habe eine andere Farbgebung gewählt und sie eher«, sie schaute unter den Wimpern hervor zu ihm auf, »maskulin gestaltet.« John rückte mit dem Stuhl nach vorn. Seine Wahrnehmung war so geschärft, dass er den Duft ihrer Haut riechen konnte, eine Mischung aus Bodylotion, Parfüm und warmer Frau. Sein intensiver Blick brachte sie heftig zum Erröten.
John riss sich von dem Anblick los, um sich den Zeichnungen zuzuwenden, die sie vor ihm ausgebreitet hatte, dann nahm er schließlich wahr, was er vor sich sah.
Fantastisch.
»Das ist wunderbar«, staunte er. Er betrachtete jedes Blatt eingehend. Sie hatte ungewöhnliche Farben zusammengestellt, Dunkelgrau und Creme und ein komisches Blau, und damit eine glatte, moderne Umgebung geschaffen. Funktional, bequem, kultiviert. Es war, als hätte sie ihm in den Kopf geschaut und seine Wünsche besser erkannt als er selbst. »Elegant, aber dezent. Die beige Decke mit den blauen Dingsda gefällt mir ausgezeichnet.«
»Ecru.« Sie lächelte.
»Wie bitte?«
»Sie werden in Ihrer Branche sicher auch Fachausdrücke haben, Commander Huntington – John –, wie ich in meiner. Die Farben heißen Schiefer, Ecru und Petrol, und die blauen Dingsda sind Schablonenmuster.« Sie schob die Entwürfe zu ihm hin. »Behalten Sie sie. Sie dürfen sie gern benutzen, und wenn Sie Hilfe bei der Möbelbeschaffung brauchen, sagen Sie es mir. Ich entwerfe nichts, was eine Sonderanfertigung benötigt. Alles, was Sie da sehen, können Sie sofort kaufen. Es würde mich freuen zu helfen. Ich bekomme bei allen großen Händlern Rabatt.«
»Das ist sehr großzügig von Ihnen. Wären Sie auch bereit, meine Wohnräume zu gestalten? Gegen Honorar natürlich.«
Sie atmete scharf ein. »Wohnräume? Sie möchten – Sie möchten hier auch wohnen?«
»Hmhm. Hier ist reichlich Platz. Die drei angrenzenden Zimmer sind für mich mehr als genug. In meiner Branche hat man ungewöhnliche Geschäftszeiten. Ich muss nahe bei meiner Firma wohnen. Die Raumaufteilung hier passt mir ausgezeichnet. Und jetzt möchte ich, dass Sie jemanden von der Liste auf Seite zwei anrufen.«
»Wie bitte?« Als sie sich auf ihrem Sessel bewegte, wehte ein blumiger Duft zu ihm herüber. Er blähte die Nasenflügel, um ihn aufzunehmen.
»Ich habe fünf Leute für eine persönliche Empfehlung angegeben. Rufen Sie sie an. Tun Sie es, bevor wir den Mietvertrag unterschreiben. Das können wir morgen erledigen.«
»Ich bin sicher, das wird nicht nötig sein, Comm … John.«
»Das ist unbedingt nötig, Suzanne.« Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und zu ihr zurückkehren. »Das sind sehr schöne Räumlichkeiten, die Sie großartig hergerichtet haben, aber wir befinden uns in einem heruntergekommenen Viertel.«
Das war einer der Gründe, weshalb er seine Firma hierher verlegen wollte. Manchmal beschäftigte er Leute, die in dem gelackten Hochhaus in der City völlig deplatziert wirkten. Zum Beispiel Jacko mit seinen Nasenpiercings und den Schlangentattoos.
»Wenn Sie allein mit einem Mann im selben Haus wohnen, müssen Sie wissen, wer er ist und ob Sie bei ihm sicher sind.« Er sah ihr tief in die Augen. »Bei mir werden Sie sicher sein.«
Aber nicht vor mir, dachte er.
»Da sind Sie wohl Experte.« Sie stieß leise den Atem aus.
»Ja, Ms Barron. Werden Sie anrufen?«
Sie senkte den Blick auf das Papier. »Natürlich, wenn Sie es wünschen. Die Liste ist beeindruckend. Augenblick. Lieutenant Tyler Morrison, Portland Police Department. Sie kennen ihn?«
»Bud? Sicher. Wir haben zusammen gedient. Dann hat er den Dienst quittiert und ist zur Polizei gegangen. Rufen Sie ihn an. Und noch eins, bevor ich unterschreibe. Welches Sicherheitssystem haben Sie?«
»Sicherheitssystem? Sie meinen die Alarmanlage? Da muss ich nachsehen.« Sie schlug ein Notizbuch auf und ging mit einem oval gefeilten, rosa lackierten Fingernagel über die Seiten. »Ich weiß es nicht auswendig, aber sie war teuer. Ach, da steht es. Interloc. Kennen Sie das Fabrikat? Oh, wie dumm von mir. Natürlich kennen Sie es. Das ist ja Ihre Branche.«
»Ich biete Personenschutz, keinen Gebäudeschutz an, aber ich kenne die Firma.« Interloc war eine miese Truppe. Die hatten sie sicher mit schicken Geräten und siebenstelligen Codes eingewickelt, aber die waren nicht mehr wert als ein Spielzeug aus einer Kellogs-Schachtel. Auf keinen Fall würde er in einem Haus wohnen, das von Interloc gesichert war. Er stand auf. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Alarm einschalten, nachdem ich gegangen bin.«
»Ich … okay.« Sie stand ebenfalls auf und kam ein wenig verwirrt um den Schreibtisch herum. »Wenn Ihnen das wichtig ist. Meistens schließe ich tagsüber nur die Tür ab, weil es so umständlich ist, das Alarmsystem einzuschalten und dann wieder aus- und einzuschalten, wenn ich das Haus verlasse. Nun … wir sind uns also einig?«
»Aber sicher.«
Er streckte die Hand aus. Nach einer Sekunde Zögern nahm sie sie. Ihre Hand war nur halb so groß wie seine und sehr feingliedrig. Er drückte sie behutsam und zwang sich, wieder loszulassen. Es fiel ihm verdammt schwer. Stattdessen wollte er sie an sich ziehen und direkt auf dem Teppich flachlegen.
Seine Fantasie musste nach außen gedrungen sein, denn sie riss alarmiert die Augen auf. Er trat einen Schritt zurück.
»Morgen werde ich mit den ersten Sachen einziehen. Und ich werde Ihr Angebot, mir beim Einrichten zu helfen, annehmen. Natürlich würde ich die Entwürfe gern bezahlen. Ich sehe, dass eine Menge Arbeit drinsteckt.«
Sie winkte ab. »Nein, machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Die habe ich nur so hingeworfen, ganz nebenbei, zum eigenen Vergnügen. Betrachten Sie sie als Willkommensgeschenk.« Sie betrat den Hausflur, und er folgte ihr. Er riss sich zusammen, um nicht auf ihren Hintern zu gaffen und nicht allzu auffällig ihren Duft einzuatmen, der hinter ihr herwehte. Seine Männer sagten immer, er habe den Geruchssinn eines Jagdhunds. Noch am nächsten Tag konnte er riechen, ob jemand geraucht hatte. Der Duft von Suzanne Barron brachte ihn beinahe auf die Knie.
Ihr Geruch setzte sich zusammen aus einem leichten, blumigen Parfüm, einem Apfelshampoo, frisch gewaschener Wäsche und etwas Undefinierbarem, das ihr Eigengeruch sein musste. Bald, sehr bald würde er ihre Haut dicht vor seiner Nase haben. Es war nur eine Frage der Zeit.
Je eher, desto besser. Der Anblick von hinten war so verlockend wie der von vorn – sanfte Kurven und honigblonde Haare, die bei jedem Schritt wippten.
Ihm war noch keine Frau begegnet, die so kurvig und dabei so zart war wie Suzanne Barron. Alles an ihr war elegant und zierlich. Er würde behutsam sein müssen. Keinen harten Sex, wenn er sie im Bett hatte, langsam eindringen, sie erst an ihn gewöhnen …
Sie drehte sich um und lächelte ihn an. »Also gut, einverstanden.«
Einverstanden! Seine Augen wurden schmal, er ging schneller. Er konnte sich gerade noch bremsen, nicht nach ihr zu greifen. Sie meint den Mietvertrag, du Idiot.
»Ich lasse einen Mietvertrag aufsetzen und einen Satz Schlüssel für Sie anfertigen. Wann wollen Sie morgen mit dem Einzug denn beginnen?«
Sofort!, schrie sein Körper. In dieser Sekunde. Doch er hatte einiges zu erledigen. »Früh. Aber ich muss nicht viel hertransportieren, hauptsächlich Aktenschränke und Computer.« Er lächelte in ihre Augen. »Sie werden die übrigen Möbel für mich bestellen, ja? Geben Sie dafür aus, was nötig ist, ich kann es mir leisten.«
Sie starrte in seine Augen, ihr Atem ging langsam.
»In Ordnung, Suzanne?«
Sie blinzelte und schien aus einer Benommenheit aufzuwachen. »Ja, äh, in Ordnung. Und ich lasse Schlüssel für Sie anfertigen.«
Er öffnete die Tür. Angesichts des Kontrasts zwischen dem, was hinter ihm war – eine elegante Dame und ein Juwel von einem Gebäude –, und dem, was vor ihm lag – trostlose, ausgebrannte Ladenfronten und leere Grundstücke –, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Sie musste sich darüber klar werden, dass da draußen Spinnen lauerten. Große, gefährliche.
»Überprüfen Sie mich, Suzanne. Vergewissern Sie sich, wen Sie in Ihr Haus lassen. Rufen Sie Bud an. Jetzt gleich.«
Die hellrosa Lippen leicht geöffnet, starrte sie ihn an. »Okay, ich …« Sie schluckte. »Ich rufe ihn an.«
»Und schalten Sie die Alarmanlage ein.«
Sie nickte, ohne den Blick von seinem Gesicht zu wenden.
»Kennen Sie den siebenstelligen Code auswendig?«
»Woher wissen Sie –? Nein, ich habe ihn nicht im Kopf.«
»Gewöhnen Sie sich an, das Gebäude permanent zu sichern. Lernen Sie den Code auswendig. Ich möchte wetten, Sie haben ihn auf einen Zettel geschrieben und unter die Schreibtischplatte geklebt. Vermutlich auf der rechten Seite, da Sie Rechtshänderin sind.«
Sie stieß verblüfft den Atem aus und nickte. Bingo.
»Das ist nicht gut. Von jetzt an verwahren Sie den Code im Safe und prägen ihn sich ein. Sie haben eine Alarmanlage, also benutzen Sie sie. Ich will, dass das Haus verschlossen ist, sowie ich weg bin.«
»Jawohl, Commander, Sir.« Ein Grübchen erschien und verschwand. »Oder soll ich sagen: zu Befehl?«
»Die korrekte Antwort lautet: ›Ja, ich werde tun, was Sie sagen.‹«
Sie stand so nahe vor ihm, er hätte die Poren ihrer Haut sehen können, wenn welche zu sehen gewesen wären. Sie war jedoch glatt und makellos wie Marmor, nur eben warm und weich. Er setzte einen Fuß vor die Tür und trat in eine andere Welt. Er musste sich zwingen zu gehen.
»Schließen Sie hinter mir ab, Suzanne«, sagte er noch einmal, als er die Klinke in die Hand nahm.
Er wartete draußen auf dem Treppenabsatz, bis er das charakteristische Geräusch des sich einschaltenden Interloc-Alarmsystems hörte, dann ging er die Stufen hinunter in den verregneten Vormittag.
2
Puh.
Suzanne lehnte sich gegen die Tür und fasste sich mit zitternder Hand an die Brust. Ihr Herz raste. Ihre Beine waren wachsweich, als würde sie gleich zu Boden gleiten und in einer Wachslache landen.
John Huntington – Commander John Huntington – war nicht der Mieter, den sie erwartet hatte.
Seine E-Mail hatte harmlos geklungen: »Sehr geehrte Ms Barron, ich habe heute Ihre Anzeige im Oregonian gesehen, in der Sie Geschäftsräume zur Miete anbieten, und diese würde ich mir gerne ansehen. Ich suche nach einem Standort für meine Firma. Sofern es Ihnen passt, würde ich gern einen Besichtigungstermin für den 21. Dezember um 10 Uhr vereinbaren. John Huntington, Direktor, ASI.«
Wie angenehm, ein Unternehmer, dachte sie, während sie die Antwort formulierte, und sah einen grauhaarigen onkelhaften Typen vor sich. Ein Geschäftsmann. Perfekt.
Die Veränderung von Pearl ging schwindelerregend schnell voran, aber es gab noch immer einige sehr gefährliche Ecken. Mit einem Geschäftsmann im Haus würde sie sich sicherer fühlen.
Angesichts des Mannes, der ihr nun gegenübergesessen hatte, fühlte sie sich mitnichten sicher. Eher eingeschüchtert. Nein, nicht direkt eingeschüchtert, sondern … wie?
Er war kein grauhaariger, väterlicher Typ. Überhaupt nicht. Er war weder alt noch beruhigend. Er wirkte gefährlich. Ja, das war es. Das war es, was sie unruhig machte.
Zuerst hatte sie geglaubt, der Falsche sei gekommen. Er sah nicht aus wie ein Firmenchef. Er sah ungehobelt und gewaltbereit aus. Eher wie ein Biker als wie ein Geschäftsmann. Er war groß, mit Schultern so breit wie die Sessellehne, hatte schwarze, sehr kurz geschnittene Haare mit einem Anflug von Grau an den Schläfen und dunkle Augen, die irgendwo zwischen Blau und Braun lagen, das war bei dem trüben Vormittag schwer zu sagen.
Jedenfalls schaute er sie an, als wollte er sie verschlingen.
Sie hatte noch keinen so … eklatant männlichen Mann gesehen. Natürlich waren die Männer, die sie als Innenarchitektin kennenlernte, ein bisschen anders als die Männer in der Navy. Die rohe Kraft, die er ausstrahlte, war wirklich überwältigend.
Dabei tat er gar nichts, rührte sich kaum in seinem Sessel, gestikulierte nicht und wechselte nicht die Sitzhaltung, sagte und tat nichts Unpassendes, und trotzdem hatte sie gespürt, wie ihr Körper völlig überreagierte. Nur mit äußerster Anstrengung hielt sie ihre Hände vom Zittern ab.
Das war verrückt und musste sofort aufhören. John Huntington zahlte eine hohe Miete, eigentlich mehr Geld als angemessen, wenn man die Lage berücksichtigte. Sie würde sich an ihn als Mieter gewöhnen müssen. Es ging nicht an, dass sie sich jedes Mal an die Tür lehnen und warten musste, bis sich ihr Puls normalisierte, nachdem sie ihm begegnet war.
Vielleicht sollte ich wieder mehr unternehmen, dachte sie. Nicht mehr so hart arbeiten. Ausgehen. Ein Privatleben führen.
Wenn der Filialleiter ihrer Bank sie noch einmal bat, mit ihm auszugehen, sollte sie vielleicht zusagen, anstatt unter Vorwänden abzulehnen. Sie waren ein paarmal zusammen essen gegangen. Leider war Marcus Freeman so farblos und langweilig, selbst nach den Maßstäben der Spießer von Portland. Seine Hände waren weich und weiß, nicht breit und dunkel und hart wie Huntingtons …
Stopp!
Großer Gott, was war mit ihr los?
Nachdem ihre Beine wieder fest geworden waren und ihr Gewicht tragen konnten, ging sie den Flur entlang und ins Büro zurück. Die vertrauten Dinge zu sehen, die mit Bedacht ausgewählt und mit Erinnerungen verbunden waren, beruhigte sie. Diese Räume einzurichten, die Holzböden, die Buntglasfenster, die Wandleuchter auszusuchen, hatte ihr Freude gemacht. Die Farben und Formen hoben ihre Laune, heiterten ihre Stimmung auf.
Seltsam, dass sie die Räume, die sie vermieten wollte, so ganz anders gestaltet hatte.
An einem verregneten Nachmittag, als sie nichts Besseres zu tun gehabt hatte, war sie in den anderen Gebäudeteil hinübergegangen, vier hintereinanderliegende Räume, die groß und leer gewesen waren wie die weiße Leinwand eines Malers.
Etwas zu gestalten, beflügelte sie immer, und sie kam meist schnell zu einem Ergebnis, doch an dem Tag, als sie mit gekreuzten Beinen auf den dicken Holzdielen saß, den Rücken gegen die Wand gelehnt, flogen ihr die Ideen nur so zu, als brächte sie eine Vision zu Papier, die sie lange in sich getragen hatte. Als hätte sie geahnt, was für ein Bewohner auftauchen würde.
Ihr eigenes Büro und die Wohnung waren farbig und feminin, die Mieträume dagegen funktional-elegant gestaltet, fast als hätte sie John Huntington vor Augen gehabt und seine bezwingende Kraft gespürt.
Sie hatte den Funken des Wiedererkennens in seinem Blick gesehen. Da war ihr sofort klar gewesen, dass sie etwas geschaffen hatte, das zu ihm passte.
Als hätte sie geahnt, dass er einen überbreiten Lehnstuhl aus weichem, schwarzem Leder brauchte. Als hätte sie geahnt, dass ein Mann wie er weder Schnickschnack noch Kunstgegenstände um sich haben wollte – nur einen langen, puristischen Schreibtisch aus Titan und schwarzem Marmor, offene Bücherregale, einen chinesischen Teppich mit geometrischen Mustern in Creme und Petrol.
Für sein Schlafzimmer hatte sie ein breites, überlanges Bett mit einem Mahagonibetthaupt gewählt. Plötzlich sah sie ihn nackt vor sich liegen und klemmte die zitternden Oberschenkel zusammen. Unter seinem Pullover hatten sich die Brustmuskeln deutlich abgezeichnet. Bestimmt war seine Brust mit dichten schwarzen, gekräuselten Haaren überzogen, die sich nach unten hin …
Das war verrückt. Sie war verrückt.
Erschüttert setzte sich Suzanne hinter ihren Schreibtisch und versuchte, ihre Gedanken auf etwas anderes zu lenken als John Huntingtons Körper. Obwohl er wirklich umwerfend war …
Sie ballte die Fäuste und schaute ein paar Augenblicke lang auf die weißen Knöchel, dann griff sie zum Telefon und ging das Verzeichnis durch, bis sie die gesuchte Nummer fand.
»Portland Police Department«, meldete sich eine gelangweilte Stimme.
»Lieutenant Morrison bitte.«
Es klickte, und eine andere Stimme sagte: »Morddezernat.«
»Ich würde gern mit Lieutenant Morrison sprechen.«
»Bleiben Sie dran.«
Es ging dort gerade recht laut zu. Jemand kreischte, Männer riefen durcheinander, es hörte sich an wie ein Handgemenge. Dann sagte eine tiefe Stimme in den Hörer: »Morrison. Was gibt’s?«
Suzanne lächelte. Bud klang gehetzt und atemlos. »Bud, hier ist Suzanne. Ich –«
»Suzanne.« Sein Ton wurde eindringlich. »He, ist etwas nicht Ordnung? Ist Claire etwas passiert?«
»Nein, nein, nichts dergleichen.«
Bud war mit ihrer besten Freundin, Claire Parks, verlobt. Suzanne hatte ihn zweimal bei gesellschaftlichen Anlässen gesehen. Er war völlig vernarrt in seine Verlobte, aber Claire kamen allmählich Zweifel. Er sei zu machohaft, zu einschränkend, zu beschützend, meinte sie. Suzanne verstand das gut; er war der gleiche Typ wie Huntington und noch dazu dessen Freund.
»Ich rufe aus einem anderen Grund an. Mein neuer Mieter hat dich als Empfehlung genannt.«
»Also hast du endlich jemanden gefunden. Gut. Claire hat sich nämlich Sorgen gemacht, weil du in diesem Viertel ganz allein lebst, und ich offen gestanden auch. An wen vermietest du denn?«
»An einen Mann namens John Huntington, Commander John Huntington, ehemaliger Navy-Offizier. Kennst du ihn?«
»John?« Er lachte auf. »Aber sicher. Und wenn er dein neuer Mieter ist, dann hast du keine Probleme mehr, Honey.«
Oder sie fangen gerade an, dachte sie. »Kannst du mir etwas über ihn erzählen? Was für ein Mensch ist er?«
»Also, er war ein erstklassiger Soldat. Hat die Brust voller Orden.«
»Ja, das habe ich in seinen Entlassungspapieren gesehen.«
»Honey, da stehen nur die Orden drin, die man für Operationen bekommt, die der Öffentlichkeit bekannt sind. Von der anderen Sorte hat er auch einen Schrank voll, für Operationen, von denen wir nie etwas erfahren werden.«
Nie etwas erfahren werden? »Was – was für ein Soldat war er denn?«
»Ein SEAL. Spezialeinheit. Er war der Beste der Besten. Spezialist für verdeckte Operationen. Hat am besten bei Dunkelheit gearbeitet. Seine Leute nannten ihn darum Midnight Man. Er kann nachts ausgezeichnet sehen. Hat wahrscheinlich mehr Terroristen kaltgemacht, als du heiße Abendessen hattest.« Er lachte.
Suzanne lachte mit, aber voll Unbehagen. Es fiel ihr nicht im Geringsten schwer zu glauben, was Bud ihr erzählte. Diese Reglosigkeit, diese Gefährlichkeit, die er ausstrahlte, sprachen Bände. Sie hatte gerade einen sehr gefährlichen Mann in ihr Haus gelassen. Keinen einfachen Soldaten, sondern einen ausgebildeten Killer. Er tötete im Auftrag seines Landes, sicher, trotzdem war er ein Auftragskiller.
Bud unterbrach ihre Gedanken. »Sag mal, wie kommt es, dass er sich bei dir einmietet? Ich wusste gar nicht, dass er in der Stadt ist. Weiß nur, dass er wegen Dienstunfähigkeit entlassen wurde, und danach von der Bildfläche verschwunden war.«
»Wegen Dienstunfähigkeit?« Der Mann, den sie gesehen hatte, war ihr nicht invalide vorgekommen. Im Gegenteil. »Er sah nicht aus wie ein Invalider.«
»Er wurde übel angeschossen. Ist gut ein Jahr her. Hat ihm das Knie zertrümmert. Die Navy hat ihm ein neues bezahlt, aber für Spitzeneinsätze ist er nicht mehr tauglich. Ich weiß gar nicht, was er jetzt macht.«
»Er hat eine internationale Sicherheitsfirma. Alpha Security.«
»Sieh mal einer an.« Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Alpha Security ist eine erstklassige Firma. Hat einen sehr guten Ruf. Alpha gehört also John, hm? Er wohnt jetzt in Portland?«
»Scheint so.«
»Also, wie finde ich denn das? Du kannst dem alten Sch … Gauner ausrichten, dass er sich gefälligst melden soll, und zwar pronto. Jedenfalls brauchst du dich seinetwegen nicht zu beunruhigen. Er ist ehrlich und absolut verlässlich. Und wenn er der Kopf von Alpha ist, ist er mehr als solvent. Ich bin froh, dass er bei dir einzieht. Jetzt brauchen wir uns um dich keine Sorgen mehr zu machen. Du hast einen echt gefährlichen Kerl auf deiner Seite.« Im Hintergrund schwoll der Lärm an. Du liebe Güte, wurde da etwa geschossen?
»Morrison, mach gefälligst, dass du rüberkommst!«, rief jemand.
»He, Suzanne, ich muss auflegen. Hier steppt heute der Bär. Bis bald.«
Ein echt gefährlicher Kerl. Suzanne stand neben ihrem Schreibtisch. Sie legte das Telefon auf die Station und starrte ins Leere. Ein echt gefährlicher Kerl würde auf der anderen Seite des Flures wohnen.
Aber sie sollte sich keine Sorgen machen.
Klar.
»Sie haben also Bud angerufen. Gut«, sagte eine tiefe, raue Stimme, und sie stieß einen spitzen Schrei aus.
»Du meine Güte!« Sie wich erschrocken zurück.
Er stand genau vor ihr, noch größer und breiter als in ihrer Erinnerung.
»Hier.« Er öffnete die Hand, und eine Plastikkarte, eine nadelspitze Zange und ein gebogener Stahlstab fielen auf ihren Schreibtisch. »Damit konnte ich das Sicherheitssystem überwinden. Allerdings hatte ich es eilig. Hätte ich ein bisschen mehr Zeit gehabt, hätte ich es mit Spucke und Draht geschafft. Da sehen Sie, was Ihre Alarmanlage wert ist – he!«
Ihr Herz war dabei, sich einen Tunnel ins Freie zu hämmern. Sie musste sich hinsetzen, aber der Stuhl war weit weg. Als sie einen Schritt machte, taumelte sie und wurde an eine massige Brust gezogen, während sie versuchte, an den hellen Punkten vor ihren Augen vorbeizusehen.
»He, he, beruhigen Sie sich. Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Ich wollte Ihnen nur zeigen, dass Sie Ihr Haus besser sichern müssen. Es geht nichts über eine praktische Demonstration, wenn man Leute überzeugen will. Sie sollten nicht in Ohnmacht fallen.«
Sie gab gar nicht acht, was er sagte. Die Stirn an sein Schlüsselbein, die Handflächen an seine Brust gelegt, hörte sie nur tiefes, bedeutungsloses Brummen.
Er hielt sie an sich gedrückt, so fest, dass sie seinen ruhigen, kräftigen Herzschlag hören, sogar fühlen konnte. Sein Herz schlug nur halb so schnell wie ihres.
Er war draußen im Regen gewesen. Er roch wunderbar – nach Regen, nach Leder, nach Mann. Sie schob die rechte Hand ein bisschen unter seine Jacke und stieß an einen Ledergurt. Neugierig tastete sie weiter und spürte narbiges Holz und einen Lauf aus Stahl.
Er ließ sie nicht los. Ein neuer Schock verschlug ihr den Atem. Eine große Hand legte sich um ihren Hinterkopf, die andere an ihre Taille. Er drückte sie energisch an sich, sodass ihr Bauch mit etwas Hartem in Kontakt kam.
Es war keine Waffe.
Sie fuhr zurück, als hätte sie sich verbrannt. Nebenbei begriff sie, dass sie das nur konnte, weil er sofort die Arme geöffnet hatte, als er ihren Ruck spürte. Andernfalls hätte sie sich aus der Umarmung nicht befreien können. Die Muskeln, von denen sie sich abgestoßen hatte, waren stahlhart.
Wortlos starrte sie ihn an.
»Sie brauchen ein neues Sicherheitssystem«, sagte er.
Sie machte den Mund auf, brachte aber keinen Ton heraus. Neues Sicherheitssystem. Die beiden Wörter kreisten in ihrem Kopf und fanden keinen Platz zum Landen. Sie konnte nicht darauf reagieren, bekam ihre Emotionen nicht in den Griff.
Sein Gesichtsausdruck war vollkommen unverändert. Bestimmt, sachlich, ernst. Sie konnte nicht sehen, was in ihm vorging.
Falls überhaupt etwas in ihm vorging. Er wirkte völlig unbeeindruckt. Und doch hatte sie den Beweis gespürt, dass er zumindest in einer Hinsicht stark beeindruckt war.
Sofort nach dem Schreck kam die Verlegenheit, und sie kam in großen Wellen. Hitze stieg ihr ins Gesicht, und eine andere Hitze strömte durch ihren Körper. Gegen beides war sie machtlos.
Suzanne überlegte fieberhaft, wie sie mit der Situation umgehen sollte, suchte nach einer netten, neutralen, damenhaften Anstandsgeste, die ihr darüber hinweghelfen würde, dass sie soeben den Penis eines wildfremden Mann gespürt hatte.
Den erigierten Penis sogar.
Den riesigen erigierten Penis.
Du meine Güte.
Ihr Blick huschte an ihm vorbei, ihre Kehle war trocken, ihre Lungen schmerzten.
»Sie brauchen ein neues Sicherheitssystem«, wiederholte er. Neues Sicherheitssystem. Neues … Sicherheits … system. Sie brauchte ein neues Sicherheitssystem.
Äh … ja. Wenn er während der Zeit, die sie für einen kurzen Anruf brauchte, in ihr Haus einbrechen konnte, benötigte sie wohl tatsächlich eine neue Anlage.
»Gut«, krächzte sie und räusperte sich. »Gut. Ich werde mich so bald wie möglich darum kümmern. Ich werde mich umhören –«
»Bemühen Sie sich nicht. Ich installiere Ihnen eins. Eins, das nicht mal ich überwinden kann. Als Dank für Ihre Gestaltung meiner Wohnung.«
»Es ist nicht nötig, dass Sie –« Suzanne sah ihn an. Dieses Gesicht machte ein Nein unmöglich. »Gut. Danke.«
»Wie heißt Ihr Lieblingsrestaurant in Portland?«
Sie keuchte verblüfft über den schnellen Themawechsel. »Nun, ich glaube … das Comme chez soi. Warum fragen –«
»Wir können uns beim Abendessen über Ihre neue Alarmanlage unterhalten.« Er sprach das aus, als wäre es eine selbstverständliche Tatsache, etwa wie die Schwerkraft.
»Beim Abendessen?«
Er nickte. »Ich hole Sie um sieben Uhr ab.«
Suzanne versuchte, ihre Verlegenheit abzustreifen, doch die gewohnte Ausgeglichenheit wollte sich nicht einstellen. Sie konnte nicht einmal richtig denken, nicht solange er mit ihr im selben Raum war und für Sauerstoffmangel in ihrem Gehirn sorgte.
Sie sagte das Einzige, zu dem sie imstande war: »Gut.«
»Bringen Sie mir einen Schlüssel mit, denn ich werde die neue Anlage frühestens übermorgen installieren können, und morgen Nacht werde ich schon hier schlafen. Mein Bettzeug bringe ich als Erstes her.«
Bettzeug. Sein Bettzeug. Suzanne konnte sich vorstellen, wie sein großer Körper in zerwühlten Laken schlief.
»Gut«, hauchte sie.
Ein paar Sekunden lang blickte er ihr in die Augen, so durchdringend, als könnte er ihre Gedanken lesen. Dann nickte er und ging zur Tür. Er beeilte sich nicht, aber mit seinen großen Schritten war er innerhalb einer Sekunde fort.
So groß er war, er bewegte sich völlig lautlos. Wie war das möglich? Er trug Stiefel. Die mussten doch auf dem Parkett zu hören sein, oder nicht?
Doch er verschwand so geräuschlos, wie er gekommen war. Plötzlich war er vor ihr erschienen wie ein Geist. Und nun war er wieder weg.
Nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, starrte sie noch eine Weile auf die Stelle, wo er gestanden hatte. Dann tastete sie blind nach einem Sessel. Sie hatte einen Tag voller Termine vor sich. Doch mit zitternden Beinen konnte sie nirgendwohin.
3
Um Punkt sieben klingelte John an Suzannes Haustür, und um eine Minute nach sieben hörte er ihre Absätze über den Boden klappern. Sie war pünktlich, das musste er ihr zugestehen.
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