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Das Haus ist verflucht!
In einem verflucht schlechten Zustand, aber davon lässt sich Joanne den Einzug ins Eastend House nicht vergällen. Und wenn sich die Geister bis zur Decke stapeln, aus ihrem neuen Zuhause bekommt sie keiner raus!
Da beißt auch der mürrische Geist Ewan auf Granit. Die karrierebesessene Firmenanwältin hat keine Zeit für Angst. Seine besten Spuke sind verschwendete Geistermüh. Es braucht schon brachiale Gewalt, um Joannes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Kaum gelingt ihm das, passiert etwas, womit er im Tode nicht gerechnet hat: Plötzlich werden Teile an ihm lebendig, die schon lange vermodert sein sollten – darunter sein Herz. Aber davon darf sich Ewan nicht beirren lassen. Sein Fluch muss erfüllt werden.
Er hat dreiunddreißig Tage Zeit, die aufmüpfige Bewohnerin hinauszuekeln, oder sie wird wie alle vor ihr sterben. Joanne wäre jedoch nicht Joanne, wenn sie nicht sogar dem Teufel sein letztes Hemd – oder seinen letzten Geist – aus den Rippen klagen würde!
Der #1-Fantasybestseller bildet das Prequel zu den drei höllisch lustigen Geschichten um die drei teuflischen Brüder Merdian, Talan und Shytan.
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Geist, ledig, schlecht gelaunt, zu verschenken*
Allyson Snow
*nur leichte Gebrauchsspuren
© Copyright: 2019 - Allyson Snow
Cover created by © Michaela Feitsch / Premade Cover & more 1. Lektorat, Korrektorat: Juno Dean2. Lektorat, Korrektorat: Mathew Snow
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»Das Haus ist verflucht.«
Diese Worte drangen aus Mr Boyles Mund, wurden vom Wind zerrissen, und doch konnte Joanne nicht behaupten, dass sie wirkungslos verhallten. Sie sorgten dafür, dass sich Joannes Lippen spöttisch kräuselten. Würde ihr nicht jeder Knochen im Leib klappern, käme Joanne nach diesem Satz nicht mehr aus dem Lachen heraus.
Das Haus ist verflucht. Jedem gutgläubigen Idioten lief bei einem solchen Satz ein Schauer über den Rücken. Joanne hingegen war schlicht und einfach kalt. Das Wetter war sicher ebenfalls verflucht, passte es doch wunderbar zu dem verfallenen, düsteren Eastend House und Mr Boyles Warnung.
Der Wind zerrte an Joannes Mantel, blies ihr immer wieder ins Gesicht, und bei einer erneuten Böe musste sich Joanne mit aller Kraft dieser Naturgewalt entgegenstemmen, um nicht kurzerhand gegen Mr Boyles schwarzen Rover geschleudert zu werden.
Dünne, ununterbrochene Bindfäden feinen Regens fielen auf die Erde und vernebelten die Silhouette von Eastend House.
Selbst durch das Rauschen des Wolkenbruchs hindurch, meinte Joanne, das Klappern der Dachziegel zu hören. Oder waren es Mr Boyles Zähne? Der Bürgermeister von Thankerton lehnte an seinem Wagen, hielt seinen Hut mit beiden Händen fest und verzog unwillig das Gesicht, als ihm der Wind einen Schwall Nässe ins Gesicht blies.
Owen Boyle war ein Mann, von dem man sich wünschte, dass er schnellstens wieder verschwand. Am Telefon war er schwatzhaft gewesen, und jetzt starrte er sie Beifall heischend an. Nicht einmal das verflixte Mistwetter hielt ihn davon ab, seinen idiotischen Begrüßungssatz zu wiederholen: »Ein Fluch liegt über Eastend. Es tötet Menschen.«
Joannes Nase kribbelte, und sie blinzelte gegen den Niesreiz an. Vergeblich. Ihr entfuhr ein Laut, als wäre ein Elefant geplatzt. Nicht dieses Haus würde sie umbringen, sondern die Lungenentzündung, die sie sich auf seinem Vorplatz einfing. Sie holte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich kräftig.
Das war mit Sicherheit nicht die Reaktion, die sich der Unheilverkünder erhoffte. Er presste die Lippen aufeinander und zog endlich einen Schlüsselbund aus seiner Manteltasche. Mr Boyles knollige Nase in dem aufgedunsenen Gesicht färbte sich bereits rot. Aber der beginnende Schnupfen hinderte den Bürgermeister keineswegs daran, wie eine hängende Schallplatte zu klingen: »Sie sollten hier nicht einziehen. In dem Haus gibt es einen Geist.«
Gute Güte, wie oft wollte er es noch sagen? Joanne verdrehte die Augen. »Ich bin ewig über holprige Landstraßen gefahren, um dann auf Sie zu warten! Ich will mich endlich an die Heizung setzen. In der Küche. In diesem Haus. Sehe ich aus, als ob ich jetzt umkehre? Mein Wagen hat keine Sitzheizung, genau genommen funktioniert in dem Ding gerade mal die Gangschaltung.«
Das Metall des wuchtigen Schlüssels schabte über den Eisenring, so aufgeregt schwang ihn Mr Boyle herum. »Sie verstehen nicht, Miss Hunter. In diesem Haus sterben Menschen unter ungeklärten Umständen! Es ist blanker Selbstmord einzuziehen!«
Es war auch Harakiri, bei Max Blackburn als Leiterin der Rechtsabteilung einen Vertrag zu unterschreiben. Der Mann dehnte sämtliche Gesetze, bis sie nicht nur ächzten, sondern sich samt den Richtern übergaben. Aber Joanne war noch nie einer Herausforderung aus dem Weg gegangen, und sie würde heute nicht damit anfangen. Es war ja nicht so, dass sie eine Wahl hatte. Eastend House gehörte ihr seit dem Tod ihrer Granny. Diese hatte es teilweise sanieren lassen. Der Plan, ihre letzten Jahre in Eastend zu genießen, ging allerdings nicht auf. Letztendlich waren es nach ihrem Einzug nur ein paar Wochen gewesen.
Über Jahre stand es leer, ignoriert von Joanne, nicht mehr als ein Posten in ihrem Vermögensportfolio, aber vor knapp zwei Monaten zog Mrs Hoops ein und besserte mit ihren Mietzahlungen Joannes Gehalt auf. Geld, das ihr verschwenderischer Ex-Ehemann auch nur für sauteure Huren und schnelle Autos hinauswarf. Oder die Schönheitsreparaturen der Nutten, wenn er ihre Brüste zerquetscht hatte, oder eben der Autos, wenn dieser Volltrottel mal wieder in einen Kiosk gekracht war. Irgendwie musste sich ein Mann ja trösten, wenn seine Frau vierzehn Stunden täglich arbeitete. Yanis hatte wohl geahnt, dass Joanne mit dieser Art der Güterteilung nicht einverstanden sein würde und hatte sie in weiser Voraussicht die acht Ehejahre in Unwissenheit gelassen. Allein ein Slip seiner Stammnutte in Joannes Badezimmerschrank verriet ihn, und kaum hatte sie ihn hinausgeworfen, räumte dieser Mistkerl ihr Konto leer, und zu allem Überfluss brannte das jahrhundertealte Wohnhaus in Edinburgh inklusive Joannes Luxusappartement bis auf die Grundmauern ab.
Ihretwegen konnten sich die Geister im Eastend House bis zur Decke stapeln, Joanne würde mit ihrer verbliebenen Habe hier einziehen.
Außerdem gefiel ihr das Haus. Es sah aus, als hätte der Architekt seinem Kind ein paar Bauklötze in die Hand gedrückt und das Ergebnis abgezeichnet. Von außen könnten es vier einzelne Häuser sein, die man einfach nur nahe beieinander gebaut hatte, um in deren Mitte noch ein Türmchen zu quetschen. Aber von ihrer Großmutter wusste sie, dass alle Teile des Hauses mit langen, verwinkelten Fluren und windschiefen Treppen verbunden waren. An die brüchige Fassade klammerten sich die Zweige eines Efeus, der die Frontseite in saftigem, gesundem Grün erstrahlen ließ.
Jetzt aber strahlte einzig und allein das Weiß der Fensterrahmen. Neugierig betrachtete Joanne Fenster für Fenster, und wen wunderte es? Kein Geist presste seine hässliche Visage gegen die Scheiben.
Es war doch immer wieder das Gleiche. Eastend House war alt und inzwischen so zerbrechlich, dass man ihm, wäre es ein Hund, schon längst den Gnadenschuss gegeben hätte. An der rechten Seite stach ein Balken zwischen den Dachziegeln hervor. Die Linien der Dachfirste waren nicht mehr gerade, sondern bogen sich nach unten. Der Statiker musste bekifft gewesen sein, als er feststellte, dass das Haus zwar ein wenig zugig, aber dennoch bewohnbar war. Natürlich hauste darin ein Geist! Was sonst? Aber würde sie sich beschweren?
Joanne streckte die Hand aus. »Es ehrt Sie sehr, dass Sie persönlich vorbeigekommen sind, um mir den Schlüssel zu überreichen, Mr Boyle. Dürfte ich nun bitten …«
Sie schnippte mit den Fingern, aber Boyle starrte sie lediglich an. Die Nässe sammelte sich in der Krempe seines Hutes, und als der Kanal voll war, tropfte das Wasser über den Rand. Ein faszinierender Anblick. Wenn man ein wenig Amüsement genießen wollte, während man sich den Tod holte.
»Mr Boyle, wenn Sie mir endlich den Schlüssel geben könnten«, blaffte Joanne, aber als sie nach dem Schlüssel schnappte, zog Boyle seine Hand zurück und verbarg sie hinter dem Rücken. Herrgott. Das Regenwasser sickerte bereits in ihre Schuhe. Sie würde den Kerl nicht nur aus dem Amt, sondern auch in die Obdachlosigkeit klagen, wenn sie wegen ihm eine Erkältung bekam!
Boyle legte den Kopf schief, sodass sich ein Schwall Wasser über seine Schulter ergoss. »Es ist verflucht.«
»Ich habe Sie bereits beim ersten Mal verstanden.« Joanne knirschte mit den Zähnen. »Geben Sie mir jetzt diesen verdammten Schlüssel, oder ich schicke Ihnen meine Arztrechnung und die Quittung für neue, trockene Manolos!«
Zögerlich streckte ihr der Bürgermeister den Schlüssel entgegen. »Ich kann Sie nur eindringlich warnen, junge Lady. Dieses Haus hat Ihre Großmutter getötet und viele seiner Bewohner vor ihr.«
»Menschen sterben wie die Fliegen, und es ist auch völlig unrealistisch, dass in einem 165 Jahre alten Haus nicht alle den Anstand besaßen, es gefälligst außerhalb des Gebäudes zu tun.« Sie entriss Boyle den Schlüssel. Endlich. Er lag schwer in ihrer Hand, und bevor Boyle vielleicht noch auf die dumme Idee kam, ihn zurückzufordern, steckte sie ihn in ihre Tasche.
»Guten Tag, Mr Boyle«, verkündete Joanne, streckte den Regenschirm ein wenig nach vorn und setzte sich in Bewegung.
»Warten Sie.« Boyle packte sie am Arm und zog sie so schnell herum, dass ihre Sohlen keinen Halt mehr auf der durchweichten Wiese fanden. Allein Boyles beherzter Zugriff bewahrte sie beide davor, dass Joanne mit ihm eine Runde Schlammcatchen einlegte.
»Alle Bewohner dieses Hauses sind nur wenige Wochen nach ihrem Einzug gestorben.« Boyle grub seine Finger schmerzhaft in ihren Arm. Zum Teufel, man könnte denken, dieser angebliche Geist schickte ihm jeden Tag Morddrohungen.
»Einschließlich Mrs Hoops«, fügte Boyle hinzu.
»Sie war 40 Jahre alt und hatte einen Herzinfarkt. Ich finde es unfair, dass Sie die Unfähigkeit ihres Arztes, einen Herzfehler rechtzeitig zu behandeln, diesem Haus in die Schuhe schieben wollen.«
»In ihrem Gesicht war blanke Panik zu lesen, als man sie fand«, beharrte der Bürgermeister.
»Ich weiß ja nicht, wie Sie Herzinfarkte handhaben, aber ich würde auch nicht selig lächeln, wenn ich mit gerade mal vierzig Jahren den Löffel abgebe.«
»Der Gärtner ist im Komposthaufen erstickt.«
Gut, zugegeben, das interessierte sie. Joanne zog ihren Arm aus Boyles Griff und stemmte sich samt ihrem Schirm gegen eine Windböe. »Wie hat er das geschafft?«
»Er steckte kopfüber im Mist.«
»Das Leben ist nun einmal zynisch. Beziehungsweise der Tod. Solcher Humor gefällt mir.«
»Sie können sich die Liste der Bewohner ansehen, alle, die nicht rechtzeitig wieder auszogen, starben! Ein Geist geht um in Eastend House. Möbel bewegen sich, Blut läuft aus den Wänden.«
Pah, da hatte jemand jeden verfügbaren Horrorfilm gesehen.
»Wenn ich die Wahl habe, bei meinem betrügerischen Ex-Mann und seiner Lieblingsnutte zu wohnen oder in diesem Haus, dann wähle ich den Hausgeist. Und wehe ihm, wenn er meine neuen Tapeten versaut. Guten Tag, Mr Boyle.«
Joanne nutzte einen windstillen Moment und marschierte über die Wiese. Ihre hohen Absätze versanken in der durchweichten Erde, das Gras war vom Regen schwer. Dieser wiederum peitschte gegen ihren Schirm, und der Wind drückte sie mehr als einmal wieder ein ganzes Stück zurück. Es schien, als ob nicht nur Boyle, sondern auch das verflixte schottische Wetter ihr den Einzug in das eigene Haus verwehren wollten. Aber sie ließ sich von einem Geist garantiert nicht das Leben vermiesen.
Einen solchen Humbug hatte sie bisher nur in Büchern gelesen. Aber was wollte man von einem Ort wie Thankerton erwarten? Fünfhundert Einwohner, die sonntags ohnehin nichts Besseres zu tun hatten, als sich Schauergeschichten auszudenken. Kein Wunder, dass dieses Haus in einem solch miserablen Zustand war. Einzig und allein ihre Großmutter hatte nach Jahrzehnten des Leerstandes ein wenig Mühe und Geld hineingesteckt.
Ob sie zu ihrem Einzug mit einem ebenso miesen Wetter gekämpft hatte? Vielleicht war das ja die Art des Hausgeistes, seine neuen Mitbewohner zu begrüßen. Er beeinflusste die Grashalme und die matschige Erde so, dass sie kaum vorankam.
Joanne entfuhr ein leises Lachen. Ihr unpassendes Schuhwerk konnte man kaum einem Geist ankreiden. Die roten Sohlen ihrer Manolos mochten zwar hübsch aussehen, aber sie waren nur für fünfminütige Sprints auf städtischen Gehwegen geeignet.
Als der Feuermelder Joanne mitten in der Nacht weckte, hatte sie nur wenig Möglichkeiten besessen: Entweder den Feuermelder mit dem Absatz zertrümmern oder die Schuhe anziehen und sich in die rettenden Arme eines Feuerwehrmannes zu werfen, dem Ruß im Gesicht zwar umwerfend stand, der aber leider verheiratet war.
Doch egal, wie mühsam sie um jeden Zentimeter kämpfte, Joanne bereute es nicht, hier zu sein. Natürlich, sie hätte bei ihrem verräterischen, heuchlerischen Ex einen Teil ihres Geldes zurückfordern können. Sie hätte auch sein, nein, ihr Auto verkaufen können, aber sie hatte seinen geliebten Ferrari lieber mit einem Baseballschläger zerschlagen.
Und warum sollte sie den Vorschuss auf ihr nächstes Gehalt für ein Hotel auf den Kopf hauen, wenn sie damit genauso gut ihr neues Zuhause renovieren könnte?
Eben.
Die Reite des Schlüssels bildeten kunstvolle Verzierungen, deren Enden sich in Joannes Hand bohrten, so fest packte sie ihn, als sie endlich die Tür erreichte. Warum war die eigentlich blau angestrichen? Sie würde einen Teufel tun und sich noch einmal zu Mr Boyle umdrehen, um ihn zu fragen.
Joanne streckte den Rücken durch, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Es klickte, knarzte und ächzte, und nach der zweiten Umdrehung sprang die Tür auf.
Überrascht bemerkte sie das Pochen ihres Herzens gleich unter ihrem Hals. Herrgott, sie ließ sich doch nicht unbewusst von den Erzählungen dieses abergläubischen Menschen verrückt machen? Geister. Allein der Gedanke war lächerlich. Warum sollte sich eine Seele über Jahrzehnte, ja, Jahrhunderte hinweg in einem Gebäude aufhalten und darauf warten, dass mal jemand zum Erschrecken vorbeikam? Das war schlichtweg unrealistisch und nicht die Vorstellung, die Joanne vom Dasein nach dem Tod besaß. Bevor sie sich in einem alten Gemäuer zur ewigen Langeweile verdammen ließ, brachte sie lieber die Hölle auf Zack.
Das Dämmerlicht des verregneten Wetters, das durch die Fenster fiel, erhellte das Innere des Hauses nur wenig. Der Geruch alten Holzes und ungelüfteter Zimmer schlug ihr entgegen. Joanne tastete sich die Wand entlang, bis zum Lichtschalter. Als sie ihn drückte, summte es, und über Joannes Kopf sprang flackernd eine Glühbirne an. Mrs Hoops hatte nun wirklich nicht viel Miete bezahlt, sie hätte sich ruhig eine ordentliche Flurlampe zulegen können. Die nackte Birne schaukelte hin und her. Na toll, anscheinend zog es hier wie Hechtsuppe. Trotzdem umfing sie leichte, wohlige Wärme. Boyle hatte wie versprochen die Heizung eingeschaltet.
Joanne legte ihre Handtasche auf der Kommode im Flur ab.
Stammten die Möbel noch von ihrer Granny oder von Mrs Hoops? Sie wusste es nicht. Wenn der Geist persönlich dieses Haus eingerichtet hatte, dann pflegte er eindeutig eine Vorliebe für Flohmärkte. Die Kanten der Kommode waren abgestoßen, einer der Griffe hing windschief nach unten, und die rote, abgeblätterte Farbe passte nicht zu dem feudalen Stil der Treppe.
Zu allem Überfluss stank der gesamte Flur nach Mottenkugeln. Der Geruch juckte sie in der Nase, Joannes Kopf schnellte vor, und ein weiteres Mal platzte ein kleiner Elefant. So zumindest hatte ihre Großmutter Joannes Niesen immer beschrieben.
Joanne wischte sich über die Nase und strich über den Handlauf der Treppe. An die Mauer geschmiegt, wand diese sich nach oben. Die Stufen waren hoffnungslos krumm getreten.
Himmel, sie liebte solche alten Gebäude. Diese Häuser besaßen Seele, sie waren von Leben erfüllt gewesen. Leben, das seine Spuren hinterlassen hatte. Genau auf diesen Stufen. Joanne konnte es kaum glauben. Dieses alte, vernachlässigte und angeblich verfluchte Haus gehörte ihr. Warum war sie nicht viel früher eingezogen? Ach ja, weil ihr Ex luxuriöse Appartements mit Edelstahlmöbeln und Ledersesseln bevorzugte.
Schlimm genug, dass Yanis sie abgehalten hatte, schon viel eher hier einzuziehen. Zu allem Überfluss war sie auch noch nie in Eastend House gewesen, auch nicht, als ihre Großmutter eingezogen war. Joanne hatte zu viel Arbeit gehabt, und bevor sie es geschafft hatte, einen Oma-Besuch zwischen ihre vielen Termine zu quetschen, war Granny bereits gestorben.
Joanne würde gern an Geister glauben, denn dann könnte doch der Geist ihrer Großmutter in Eastend unterwegs sein, oder?
Seufzend wandte sie sich von der Treppe ab. Ihre Klamotten waren nass, ihre Schuhe hoffnungslos durchweicht. Sie sollte sich schnellstens umsehen, das Nötigste ins Haus bringen und andere Sachen anziehen.
Sie ging an der Wendeltreppe vorbei. Der Schein der Glühlampe reichte gerade so bis an das Ende des Flures. Die Dielen knarzten unter ihren Füßen. Ungehört einbrechen konnte schon mal niemand, jeder ihrer Schritte wurde von einem mühseligen Ächzen des Holzes belohnt.
Sie erreichte die Küche, ohne durchzubrechen. Joanne drückte den Lichtschalter, und bei dem Anblick, der sich ihr bot, sog sie die Luft ein. Joanne hatte mit altmodischen Möbeln im Landhausstil gerechnet, doch der große Küchenwürfel in der Mitte war bis auf die schwere Granitplatte in einem zarten Grün gehalten, ebenso wie der Rest der Küchenzeile. Der Kühlschrank sah aus wie ein Coca-Cola-Schrank, feuerrot und mit einem zerkratzten silbernen Logo. Die Küche war ein Traum!
Joanne zog die Tür des Kühlschranks auf, doch bis auf das grelle Licht war er leer. Ihre Einkäufe warteten noch im Wagen auf sie, aber im Regen wollte sie diese nicht holen. Sie schloss den Kühlschrank und trat an die breite Fensterfront. Auf dem Fenster perlten die Regentropfen, von hier aus konnte man direkt in den Garten sehen. Der niedrigen Mauer, die ihn vom Rest des Grundstückes trennte, fehlten Teile der obersten Steinschicht. Das dort hinten war wohl der Komposthaufen, in dem der Gärtner erstickt war (hoffentlich lag er nicht mehr drin), und zwischen den hohen Bäumen wucherten nach Herzenslust Sträucher und Unkraut. Sie bildeten ein undurchdringliches Gewirr aus Ästen und Wurzeln.
Während Joanne den Garten betrachtete, fiel ihr eines auf. Die Regentropfen auf der Scheibe wurden weniger. Ha, der Regen ließ nach. Das war ihre Gelegenheit!
Joanne drehte sich um, rannte zurück zur Haustür und krallte sich gerade noch rechtzeitig an das Geländer der Wendeltreppe. Himmel noch eins, ihre Mutter hatte völlig recht – eines Tages würde sie sich in ihren hohen Absätzen den Hals brechen.
Joannes rechtes Handgelenk schmerzte, und Blut trat unter dem abgescheuerten Hautfetzen hervor. Nun, sie beklagte sich lieber darüber als über einen gebrochenen Hals. Vorsichtig löste Joanne ihren Klammergriff.
Auf dem Boden klebte weiße Flüssigkeit. Joanne fuhr mit ihrem Schuh darüber, und wieder rutschte sie beinahe aus. Sie wollte lieber nicht wissen, woher die Flüssigkeit kam. Jedenfalls nicht heute.
Behutsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie draußen die frische, kühle Luft in ihre Lunge saugen konnte. Herrlich, sie liebte die Minuten nach dem Regen. Die nasse Erde rieb die schmierige Masse von ihren Sohlen, und sie schleppte Beutel für Beutel aus ihrem Auto ins Haus. Ein paar Klamotten und vor allem Lebensmittel. Der Kühlschrank füllte sich, und sie konnte sich das zufriedene Lächeln nicht verkneifen, als sie die drei Flaschen Cider in die Türablage stellte. Nur der Himmel wusste, wo hier der nächste Supermarkt war, aber für die nächsten zwei Tage war sie ausreichend versorgt.
Die halbe Stunde, die der Schlummertrunk brauchte, um kühl zu werden, konnte Joanne dazu nutzen, um den Rundgang fortzusetzen. Diesmal achtete sie genau, wo sie hintrat, erst recht, als sie ihre Füße auf die ersten Stufen der Wendeltreppe setzte. Es knarzte schrecklich. Himmel, sie würde gleich morgen einen Tischler anrufen. Es würde sie nicht wundern, wenn sie das nächste Todesopfer dieses Haus wurde, aber nur weil die verfluchte Treppe unter ihr in sich zusammenbrach.
Vielleicht war es ein Kompliment an ihr Fliegengewicht – das morsche Ding hielt.
Joanne drückte die Klinke der ersten Tür hinunter und schaltete die Lampe ein. Die prompt wieder ausging. Sie drückte wieder den Schalter, und erneut flammte das Licht in den vier Leuchten der Deckenlampe auf. Nur, um dann sofort wieder zu erlöschen.
»Dann halt nicht«, brummte Joanne, zog ihr Handy heraus und schaltete die Taschenlampenfunktion ein. Das grelle Licht blendete sie für einen Moment, aber ha, da konnten die Stromleitungen noch so marode sein, ihr Smartphone stellte sogar einen Suchscheinwerfer in den Schatten.
Der Lichtstrahl huschte über ordentlich gefaltete Bettwäsche, dicke Kissen und einen dunklen Holzrahmen. Hervorragend, es musste eines der Gästezimmer sein. Neben dem Bett stand ein kleiner Nachtschrank, und der Kleiderschrank war bis auf ein paar Seifenpackungen leer. Es war genau das richtige Zimmer für die erste Nacht.
Joanne öffnete das Fenster und streckte den Kopf hinaus. Sie musste sich dringend einen Gärtner zulegen. Von oben sah der Garten noch schlimmer aus. Der einst gepflegte Rasen war hoffnungslos von Sträuchern und wildem Unkraut überwuchert.
Das Fenster ließ Joanne offen stehen, und sie verließ das Zimmer, um sich dem nächsten zuzuwenden. Sie fand einen Abstellraum und eine Tür weiter ein Badezimmer, das jeglichen Luxus vermissen ließ, aber hey, es war zwar etwas staubig, aber sonst sauber. Allerdings jauchzte sie begeistert auf und ließ beinahe ihr Handy fallen, als sie in einem anderen, wesentlich größeren Badezimmer einen Whirlpool fand.
»Danke, Granny«, seufzte sie inbrünstig. »Danke, danke, danke.«
Das war genau das, was sie jetzt brauchte. Cider und eine Runde Whirlpool.
Der Freudenschrei dieser impertinenten Frau zerrte an seinen Geisternerven. Der Aufschrei war dermaßen schrill, dass selbst Ewan das durchscheinende Blut in den Adern gefror. Welcher idiotische Schöpfer segnete eine Frau mit einem solchen Organ? Sie sollte sich auf einem Schiff anstellen lassen, für den Fall, dass das Nebelhorn ausfiel.
Waren die Wohnräume in der heutigen Zeit dermaßen knapp? Früher hatten die Lebenden wenigstens den Anstand, ein bis zwei Jahre zu warten, bis sie die Dummheit begingen, hier einzuziehen. Aber seit dem Tod dieser unsäglich nervtötenden Mrs Hoops waren erst vier Wochen vergangen.
Jetzt hüpfte die neue Bewohnerin von Eastend um die ovale Badewanne herum, als wäre diese das goldene Kalb. Zu schade, dass Ewan hier keine Schmierseife hinterlassen hatte, sie könnte sich auf den harten Fliesen wunderschön den Hals brechen. Warum musste er sich an diese, im wahrsten Sinne des Wortes verfluchten 33 Tage halten?
Jetzt drehte sie sich herum und rannte geradewegs durch ihn hindurch. Das war leicht und für sie unschädlich (leider!). Den Spaß, aus dem Nichts in verschiedenen Gestalten vor ihr aufzutauchen, würde er sich für später aufheben. Jetzt verfolgte er sie auf des Geistes leisen und unsichtbaren Sohlen.
Dumm war sein neues Opfer nicht. Sie misstraute der morschen Treppe und hangelte sich am Geländer hinab wie ein trunkenes Klammeräffchen. Aber sie näherte sich zu Ewans Freude dem angenagten Dielenbrett am Fuße der Treppe.
Es hatte ihn eine Menge seiner toten Nervenstränge gekostet, die Holzwürmer des gesamten Hauses ins Erdgeschoss zu befehlen. Wer einmal auf einen vollgefressenen Holzwurm hatte warten müssen, der wusste, die Viecher waren langsamer als jede Schnecke. Aber während der unerwünschte Gast den Kühlschrank einräumte, fraßen sie brav die Diele durch, bis auf ein kleines Stück. Und diesem Stück näherte sich die Frau jetzt. Er freute sich bereits diebisch auf den Schlag, der ertönen würde, wenn sie einbrach.
Ewan schwebte über dem ersten Treppenabsatz. Von hier aus hatte er einen wundervollen Blick. Noch ein kleines Stück, und dann würde sie … einen großen Schritt über die Diele machen. Bah, so ein blöder Mist. Woher hatte sie das gewusst? Die Diele lag genau zwischen der Kommode und der Schmierseife. Sie musste darauf treten. Eigentlich. Konnte sie hellsehen? Sie war doch nicht etwa eine von diesen parapsychologisch begabten Frauenzimmern, die nachts ständig Kameras aufstellten und schrille Töne ins Weltall sendeten?
Während sie mit ihren Absätzen Abdrücke auf dem Holz hinterließ und in die Küche stöckelte, schwebte Ewan näher heran. Er beugte sich über die Diele und stöhnte innerlich auf.
»Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt euch dann wieder verziehen«, zischte er. Aber ach, war doch eh vergebliche Liebesmüh. Die Holzwürmer räkelten sich dick und faul auf den Dielen. Kein Wunder, dass sie sich geweigert hatte, in einen großen Haufen Würmer zu treten. Selbst verwesende Leichen ekelten sich vor diesen Tieren.
Ewan war gerade im Begriff, sich wieder aufzurichten, als feiner Sprühnebel auf ihn niederging. Der zarte Geruch dieser Frau wurde urplötzlich aus seiner empfindlichen toten Nase gedrückt und machte dem stinkenden Aroma verfaulender Bisons Platz.
Das unsägliche Weibsstück richtete eine hohe Flasche auf ihn und drückte auf den weißen Deckel. Erneut stoben feine Tropfen aus dem Loch, und der Gestank intensivierte sich. So schnell war vermutlich noch nie ein Geist gesprungen, wie Ewan einen Satz zurück auf den ersten Treppenabsatz machte. Er nieste, und diese Frau schrak zusammen. Aber dann beugte sie sich wieder über die Holzwürmer, und mit einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht hielt sie sich die Nase zu und sprühte unentwegt auf seine winzige Armee.
Erst als die Flasche offenbar leer war, richtete sie sich auf. Sie kniff die geröteten Augen zusammen, und eine Träne rollte ihr über die Wange. Sie hustete, keuchte und begann sogar zu würgen. Recht geschah ihr, aber der stinkende Nebel erreichte nun auch wieder seine feingeistigen Sinne. Was zum Henker war das? Drei Tage vermoderte Chamäleons? Ewan schoss mit seiner gesamten Energie gegen eines der Fenster. Der Riegel brach, die Fensterflügel schwangen auseinander und ließen feuchte, frische Luft herein.
Einen Geist brachte so schnell nichts um, aber die Atemwege weggeätzt zu bekommen, war nicht gerade die perfekte Art für einen neuen Mitbewohner, seinen Einstand zu feiern.
Ewan setzte sich gerade auf das Fensterbrett, als der Störenfried die Treppe hochgetrampelt kam, an das Fenster taumelte und sich am Sims festkrallte.
Sie rang keuchend nach Luft. Jetzt war der perfekte Moment, ihr als Gestalt zu erscheinen, denn sein jüngstes Opfer stützte sich mit der linken Hand genau durch seinen Schritt ab.
Ewan sammelte seine Energie, er zog sie aus jeder elektrischen Quelle im Haus. Die Leitungen zischten. Das Handy, das sie noch immer in der Hand hielt, flackerte, bis das Display dunkel wurde. Er wusste selbst, dass er kaum mehr war als eine Silhouette. Ein Schemen, der nur wenig von dem Mann zu erkennen gab, der er einst gewesen war. Der Abklatsch seines Lebens. Noch immer griff sie durch ihn hindurch und kniff die tränenden Augen zusammen. Er beugte sich zu ihr und presste die Lippen gegen ihr Ohr. »Ich muss zugeben, ich wurde noch nie am ersten Tag von einem Neuankömmling sexuell belästigt.«
Sie riss die Augen auf, und er konnte die winzigen, geplatzten Adern an ihren Augäpfeln sehen. Bevor er sein fiesestes Grinsen zeigen konnte, zuckte sie zurück, drehte sich um und krachte mit der Stirn gegen den offenen Fensterladen.
Der Zusammenstoß hinterließ einen unschönen Fettfleck auf der Scheibe, sie taumelte durch Ewans halbtransparente Erscheinung hindurch, schrie gellend laut auf und machte einen großen Satz von ihm fort. Auf der obersten Stufe der Treppe strauchelte sie, verlor den Halt und polterte hinab.
Pah, und ein so sensibles Gemüt zog ernsthaft in ein Geisterhaus. Klarer Fall von Selbstüberschätzung. Ewans Gestalt verblasste, und er schwebte die Treppe hinunter. Die neue Bewohnerin des Hauses lag regungslos auf dem Boden, direkt neben dem Loch, wo einst eine Diele gewesen war. Aus einer Schürfwunde an ihrer Schläfe tropfte Blut.
»Du hast sie k. o. geschlagen«, erklang eine Stimme hinter Ewan. Sie war jung, ein wenig mädchenhaft und vor allem vorwurfsvoll.
Ewan drehte sich um. Vor ihm stand ein Junge, der ihm gerade mal bis zur Brust reichte, aber der ihn so streng anstarrte, als wäre er Ewans Mutter.
Ewan schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie hat sich selbst ausgeknockt. Und das Zeug hat die Diele weggeätzt.« Schließlich hatte er sie kaum gegen das Fenster gedonnert, das hatte sie selbst getan.
Ewan wollte sich gerade abwenden, um sich in einem anderen Teil des Hauses an seinem toten Leben zu erfreuen, da packte ihn der Bursche am Arm.
»Du kannst sie hier nicht in diesem Mief liegen lassen. Sie erstickt.«
»Das wäre nur fair. Das Leben der Holzwürmer wusste sie nicht zu würdigen.«
»Seit wann magst du Holzwürmer?«
Ewan riss sich los. »Es sind possierliche Tierchen und wesentlich weniger schrill als diese Frau.«
»Das ändert nichts daran, dass du sie in den kommenden 32 Tagen zwar terrorisieren, aber nicht töten darfst.« Die Stimme des Jungen wurde schriller, bis sie sich überschlug. Der Bengel räusperte sich, aber sein Stimmbruch hielt ihn nicht davon ab, Ewan finster anzustarren.
Dieser starrte ohne mit der Wimper zu zucken zurück. »Was machst du überhaupt hier?«
»Aufpassen, dass du dich an die Regeln hältst«, gab der Rotzlöffel schnippisch zurück.
Pah, Ewan musste man ganz gewiss nicht an diese Tatsache erinnern, da gab es ganz andere Geister. Überhaupt, wer machte solche dummen Regeln? 33 Tage – der Erfinder der Geister stand eindeutig auf Schnapszahlen.
Der Junge hörte auf, die Augenbrauen zusammenzuziehen, und seine Stirn glättete sich. Er trat neben Joanne, hockte sich zu ihr und stupste sie vorsichtig an. »Wir könnten sie ins Bett legen.«
»Wir könnten ihr auch ein Tablett mit Abendessen bringen«, ätzte Ewan.
Der Kurze hob den Kopf, die Lippen zu einem Grinsen verzogen. »Würdest du das tun?«
Der Teufel sollte Ewan in die Hölle holen, wenn er sich zu so etwas herabließ! Bedauerlicherweise hatte der vorlaute Knirps recht. Der Gestank der Chemikalien hielt sich hartnäckig in der Eingangshalle. Wenn der Geist Pech hatte, erstickte dieses trottelige Weib tatsächlich, und dann konnte er sich von den Klugscheißern vom Dienst etwas anhören. Denen war er ohnehin schon ein Dorn im astralen Auge.
Wieder begann Ewan, Energie zu sammeln. Ein wenig nahm er vom Kühlschrank, ein bisschen von den Stromleitungen für die Lampen, sogar aus dem Holz holte er ein wenig von dessen Energie. Die Dielen ächzten, genauso wie er.
Der Junge kicherte. »Stell dich nicht so an, so schwer ist sie nicht.«
»Ruhe«, knurrte Ewan.
Die leblose weibliche Gestalt erhob sich. Sie schwebte erst wenige Zentimeter über den Boden, dann immer höher, die Stufen hinauf. Mit dem Wink seines Zeigefingers dirigierte Ewan den Transport, und natürlich war es reines Versehen und mangelnde Übung, dass sie am Geländer entlangschrammte.
»Ich sehe das, ich bin hinter dir!«, kiekste es empört.
Ewan verdrehte die Augen, und den Rest des Weges in die erste Etage nahm die Frau ohne einen weiteren Zusammenstoß. Sie schwebte über den Flur, die Tür zu dem Schlafzimmer öffnete sich, und er ließ sie unsanft auf das Bett fallen.
Der Knirps schob sich an ihm vorbei und beugte sich über die Leblose. »Ich glaube, sie wird wieder. Du hättest ordentlich Ärger bekommen, wenn sie vor den 33 Tagen stirbt.«
»Pah«, schnaubte Ewan. »Bei dieser Stimme zählt alles unter Notwehr.«
Autsch. In Joannes Kopf hämmerte es fürchterlich. Jemand stöhnte. Der Geist? Ach nein, das war ja sie. Vorsichtig hob sie die Hand und tastete über ihre schmerzende Stirn. Himmel, was war nur passiert?
Sie bewegte die Beine, und unter ihr knisterte Stoff. Seit wann war der Flur mit Leinen ausgelegt? Joanne setzte sich auf und presste die Hand gegen die Schläfe. Fuck, tat das weh. Sie begutachtete das weiße Laken und den braunen Rahmen des Bettgestells. Die Decke lag neben ihr, zu einer Rolle geformt. Wow, sie hatte sich nach diesem Zusammenstoß noch ins Bett geschleppt?
Sachte rieb sie sich über die pochende Stirn und betrachtete das getrocknete Blut, das an ihren Fingern kleben blieb. Joanne rollte sich von der Matratze und tappte zu dem angelaufenen Spiegel. Ein fingerbreiter roter Streifen verlief von ihrer Stirn über ihre linke Schläfe. Das würde eine hübsche Beule geben. Gute Güte, was hatte sie nur veranstaltet?
Das Letzte, woran sich Joanne erinnern konnte, war dieses unsagbar stinkende und ätzende Insektenspray. Für Menschen ungefährlich, pah. Den Hersteller sollte man wegen vorsätzlich versuchten Mordes einsperren! Ihr Hals kratzte noch immer von dem Zeug. Kein Wunder, dass sie sich hier hoch geschleppt hatte. In dem Dunst dort unten wäre sie erstickt. Ob die Holzwürmer sie jetzt als Gespenster verfolgten? Wenn es hier einen Geist gab, dann hatte er sich über ihren Auftritt mit Sicherheit totgelacht.
Joanne wankte aus dem Zimmer und kletterte die Treppe nach unten. Es roch immer noch chemisch, aber der meiste Dunst schien durch das offene Fenster abgezogen zu sein. Zwar hatte sie nun ein Loch im Fußboden, doch die Würmer waren weg. 1:0 für sie, oder?
Mit einem zufriedenen Lächeln ging sie mit einem großen Schritt über die fehlende Diele hinweg und zu ihrem Kühlschrank. Sie nahm eine Flasche Cider und seufzte, als sie die Kühle spürte. Der perfekte Abschluss für einen chaotischen Tag.
In einem Hängeschrank fand sie ein Glas, und aus ihrer Tasche zog sie ihren Laptop hervor. Damit konnte sie es sich im Bett gemütlich machen. Aber halt, da fehlte noch das Eis!
Ihren Rechner stellte sie auf den Küchenwürfel und drückte die On-Taste. Während ihr Computer hochfuhr, schenkte sie sich etwas ein und öffnete das Gefrierfach. Schade, niemand hatte hier Eiswürfel vergessen, aber dafür fand sie die Form. Diese hielt sie gerade unter den Wasserhahn, als sie entzückt aufschrie. Aus dem Hahn purzelten kleine Eisstücke! Wow! Das war Technik, die begeisterte!
»Granny, du bist die Beste. Du hast echt an alles gedacht.« Joanne füllte das Glas mit Eiswürfeln, schnappte sich ihren Laptop und sauste zurück ins Schlafzimmer (natürlich nicht, ohne einen großen Schritt über das Loch in ihrer Diele zu machen). Das Bett ächzte, als sie sich darauf fallen ließ.
Joanne klickte auf ihren Posteingang. Fuck, 194 ungelesene Mails? Sie war heute den ersten Tag nicht im Büro! Doch als sie genau hinsah, war die Zahl nur noch halb so schlimm. Allein die Hälfte der Nachrichten stammte von ihrem untreuen Ex-Mann, der, wie sie in der obersten Mail las, doch noch einen Tausender von ihr brauchte, um über die nächsten vier Tage zu kommen.
Seine Mails verschob sie in den Spamordner und blockierte den Absender. Der Rest stammte von ihrer Assistentin Cassy und folgte dem gleichen Schema: Eine Mail voller Hysterie, bevor eine Viertelstunde später die Entwarnung kam. Joanne gratulierte sich einmal mehr dazu, Cassy niemals ihre richtige Handynummer gegeben zu haben. Auch Cassys Mails löschte sie ungelesen. Joanne genoss gerade den ersten Schluck des süßherben Alkohols, als eine Meldung auf ihrem Bildschirm aufploppte.
Wie ein Tier lauerte Ewan auf ihre Reaktion. Er musste zugeben: Seit langer Zeit reizte es ihn herauszufinden, was eines seiner Opfer zu seinem Tun zu sagen hatte. Er wollte sehen, wie sie erst überlegte und dann, wenn ihr Verstand die Puzzleteilchen richtig zusammensetzte, blass wurde und in Panik verfiel. Wenn ihr klar wurde, dass er ihr diese Botschaft sandte. Dass er Zugriff auf ihre Technik hatte, sie beobachtete und seine Spielchen mit ihr trieb.
Aber sie tat nichts von alldem. Sie stöhnte, strich sich über die Nase und stellte das Glas ab, um nach diesem viereckigen Ding zu greifen, auf dem Menschen so gern herum wischten. Wie hatte die alte Granny das Ding genannt? Smartphone?
Sie drückte eine Taste, das Display blinkte für einen kurzen Moment, und als es erlosch, schüttelte sie es. Natürlich, der Akku war leer. Ewan hatte die Energie schließlich gebraucht, sonst wäre ihnen der Spaß auf der Treppe entgangen.
Allerdings behob sie das Problem recht schnell. Sie steckte ein Kabel, das an dem Computer hing, an das Smartphone. Für einen Moment betrachtete sie es sinnierend und wieder drückte sie eine Taste. Nur diesmal blieb der Bildschirm hell. Naja, jedenfalls so lange, wie Ewan brauchte, um dem Ding erneut die Energie zu entziehen. Den Laptop tastete er nicht an, denn diesem speiste er die nächste Fehlermeldung ein.
Joanne erstarrte, blinzelte und hielt dann ihren Mittelfinger dicht an den oberen schwarzen Rand, der den Bildschirm einfasste. »Glaub ja nicht, du könntest durch die Webcam irgendwelche perversen Filme drehen!«
Das ging? Vielleicht hätte sich Ewan in der Unzahl seiner verfluchten Jahre doch etwas genauer mit der heutigen Technik beschäftigen sollen. Für Fehlermeldungen reichte es gerade so. Mrs Hoops war nach der ersten auf ihrem Fernseher in Ohnmacht gefallen. Dieses Frauenzimmer hier hingegen wurde nicht einmal blass. Im Gegenteil, als er ihr die nächste Fehlermeldung zeigte, färbten sich ihre Wangen feuerrot.
»Pornos alter Schachteln?« Ihre schrille Stimme überschlug sich vor Empörung. Mit einem Ruck riss sie ihre Bluse auf. Was zum Henker? Ewan verlor die Verbindung zu ihrem Smartphone, stattdessen konnte er den Blick nicht von ihrem Dekolleté abwenden. In den Schalen ihres BH’s ruhten zwei weiche, wohlgerundete Schönheiten.
»Jetzt sag mir, dass diese Titten zu einer alten Schachtel gehören!«, blaffte Joanne.
Er würde es nicht einmal unter den schrecklichsten Feuerqualen der Hölle gestehen, aber ihr Anblick verschlug ihm die Sprache. Sein totes Gehirn waberte im Raum, wie der Rest seiner Existenz, unfähig eine gewaschene Erwiderung auf ihre Unverblümtheit zu finden.
»Ich wusste es«, verkündete Joanne zufrieden und griff nach ihrem Smartphone.
Ewan wollte ihr wieder den Strom entziehen, doch aus ihm unverständlichen Gründen hatte er für den Moment vergessen, wie das funktionierte.
Sie wischte so flink auf dem Smartphone herum, dass einem Geist ja schon vom Zusehen schwindlig wurde. Wenn sie genauso schnell Staubwischen konnte, würde sie im saubersten Haus aller Zeiten sterben.
»Hi, Steve«, rief dieses unsägliche Weib aus. »Kannst du dich bitte auf meinen Rechner einklinken? Irgendjemand hat mich schon wieder gehackt.«
Warum zum Teufel klang sie so freudig? Sie hatte gerade einem vermeintlich perversen Hacker ihre Brüste gezeigt. Genau genommen tat sie das immer noch, denn ihre Bluse stand weit offen.
Eine männliche Stimme drang blechern aus dem Smartphone. »Joanne! Ich habe dir schon tausend Mal gesagt – klick nicht auf die Werbung von den Sexshops!«
»Hab ich nicht.«
»Ja, ja.«
»Vielleicht ist es auch nur ein Virus.«
Sie wischte wieder über das Gerät, und der Bildschirm wurde schwarz. Sie hieß also Joanne. Was hatte sie da gesagt? Virus? War sie krank? Sie konnte damit doch hoffentlich keine Geister anstecken, oder?
Langsam, ganz langsam gelang es Ewan, den Blick von ihrer Brust abzuwenden und ihn auf den Bildschirm des Laptops zu lenken. Der Mauszeiger bewegte sich, ohne dass sie etwas tat. Er verstand nicht viel von dieser Technik, aber das war nicht normal. Hey, war in Eastend noch ein anderer Geist aktiv, von dem er nichts wusste? Das war sein Revier!.
Joanne hingegen besaß wirklich keinen Respekt gegenüber den Bemühungen untoter Wesen. Ewan blies ihr seinen Geisteratem in den Nacken, aber genauso gut könnte er ihr einen Heiratsantrag machen. Sie reagierte nicht. Jeder, ausnahmslos jeder, erschauderte unter Ewans verfluchtem Atem. Joanne schüttelte lediglich ihren Pferdeschwanz, und ein vergnügtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Das Telefon klingelte, und diesmal ließ Ewan ihr absichtlich den Strom für das Telefongespräch. Er war immer noch viel zu sehr damit beschäftigt, sich nicht von ihren Brüsten ablenken zu lassen. Wenn er noch mehr Strom in sich aufsaugte, würde er mit einem Ständer vor ihr erscheinen, und dann würde sie sich in tausend Jahren nicht vor ihm fürchten. Aber halt, Moment! Ständer? Pah. Dort unten hatte sich seit fast hundert Jahren nichts mehr geregt, da brauchte es schon mehr als diese schrille Stimme, um das zu ändern. Aber zur Hölle, er schweifte ab.
»Sag mal, Joanne«, schallte die fremde, männliche Stimme aus dem Telefon. »Warum sitzt du halbnackt vor deinem Laptop? Hättest du mich nicht warnen können? Ich hab gerade deine Webcam überprüft!«
»Dieser blöde Hacker hat behauptet, ich wäre eine alte Schachtel«, empörte sich Joanne.
»Und da zeigst du ihm deine Titten?«
Wie, der Kerl aus dem Telefon konnte Joannes Brüste sehen? Ewan wusste selbst nicht, wie ihm geschah, doch allein der Gedanke brachte sein astrales Blut zum Kochen.
Ewan holte aus und schlug mit der Faust direkt auf den flimmernden Bildschirm. Er knackte, ein langer Riss zog sich über das Display, und die Helligkeit erlosch. Begierig starrte Ewan Joanne von der Seite an. Ihre ebenmäßigen Gesichtszüge verzogen sich, als ihr Mund aufklappte. Aber etwas fehlte ihm: Angst.
Joanne blinzelte, kniff die Augenbrauen zusammen und klappte den Mund wieder zu. »Äh, okay.«
Sichtlich verdutzt strich sie über den demolierten Bildschirm.
»Was ist los?«, fragte der Mann aus dem Telefon.
»Du, Steve«, gab Joanne zurück. »Ich glaube, mein Laptop hat soeben die Kündigung eingereicht.«
»Hä?« Der Mann sprach genau das aus, was Ewan dachte.
»Der Bildschirm ist kaputt.«
»Du sollst auf deinem Firmenlaptop keine Pornochats benutzen! Vor allem keine Videochats!«
»Das war einmal!«
»Und trotzdem konnte der Laptop den Anblick nicht ertragen und seine Linse ist geplatzt.«
Joanne lachte. Im Vergleich zu ihrer Stimme war es ein überraschend hübsches Lachen. »Ich besorge mir morgen ein neues Display. Dann melde ich mich wieder.«
»Ich lass dir eins per Post schicken. Inzwischen hau ich alle seltsamen Dateien von deinem Laptop«, versprach dieser Telefon-Steve.
Joanne wischte erneut über ihr Gerät, kletterte aus dem Bett, nahm sich Glas und Flasche und marschierte summend an Ewan vorbei.
Was lief mit dieser Frau nur verkehrt? Sie ärgerte sich nicht einmal über ihren zerstörten Besitz. Wenn sie schon keine Angst hatte, dann war Wut doch das Mindeste, was er erwarten konnte. Sie sollte schreien und toben. Er wollte das Temperament in diesen dunklen Augen aufblitzen sehen.
So schnell ihn die Geisterfüße trugen, heftete er sich an Joannes Fersen. Sie schlug die Badtür direkt vor seiner Nase zu, doch Ewan schwebte einfach hindurch.
Hatte ihm der Anblick von Joannes Brüsten, nur bedeckt von dem BH, beinahe die feinstofflichen Gehirnwindungen einfrieren lassen, so blieb er jetzt fast im Holz stecken.
Joanne hielt noch immer das Glas in der Hand, die Flüssigkeit hatte sich vermehrt, ihre Kleidung hingegen hatte das Gegenteil getan: Sie war fort. Genau genommen lag sie auf dem Boden, während Joanne die Arme hinter ihren Rücken bog. Es schnippte, und die zwei roten Satinkörbchen rutschten herab.
Fassungslos starrte Ewan sie an. Sie drehte sich vor dem bodentiefen Spiegel, strich über ihre Taille und schien seine Bemerkung mit den alten Schachteln schon wieder vergessen zu haben. Zu Recht. Sie war wunderschön. Die schwarzen Haare fielen ihr in sanften Wellen über die Schulter, und eine Strähne verdeckte ihre linke Brustwarze.
Als sie sich schließlich über den Whirlpool beugte, um das Wasser einzulassen, und ihm ihren Hintern entgegenstreckte, könnte er schwören, dass sich wider jede Vernunft Teile von ihm regten, die schon viel zu lange tot und vermodert waren.
Teufel noch eins. Vielleicht wurden die nächsten Wochen doch nicht so grässlich wie gedacht. Aber halt, was dachte er da? Natürlich sollten sie das. Vor allem würden sie für Joanne ausgesprochen beängstigend werden. Das war sein verdammter Job, und sein Opfer konnte noch so hübsch sein, was nützte es ihm?
Joanne stieg in das dampfende Nass und spielte an den Knöpfen herum. Er wusste, was sie suchte, aber die Funktion des blubbernden Wassers war schon lange defekt. Als die alte Dame dieses Ungetüm einbauen ließ, hatte ihn die Technik dermaßen fasziniert, dass Ewan sie im wahrsten Sinne des Wortes kaputt gespielt hatte.
Wind drückte gegen die Fenster und durch winzige Spalten und Löcher in den Raum. Ewan lenkte die Luft in die Düsen, ließ sie sogar über die nackten Schultern dieser Frau streichen. Ihr Haar wippte in dem Lufthauch, die Spitzen tauchten in das Wasser, bildeten einen Fächer und bewegten sich in dem blubbernden Wasser. Ein Anblick, dessen Faszination an die heranreichte, als er die Funktionsweise dieser Badewanne erkundet hatte.
Aber Ewan musste zugeben, dass das sprudelnde Bad wesentlich mehr Spaß machte, wenn eine schöne Frau darin lag. Hoffentlich holte ihn der Teufel, bevor er vollends den Verstand verlor.
Joanne legte den Kopf zurück, seufzte selig und angelte nach dem Glas und der Flasche. Konnte jemand diesen Moment bitte einfrieren? Er war herrlich. Sie hatte sich noch nie so erholt gefühlt. Nicht einmal die Zugluft störte sie. Sie kühlte angenehm, während das warme Wasser ihre Muskeln entspannte. Der morgige Tag versprach anstrengend genug zu werden. Sie brauchte einen Tischler für die Treppe und die Diele, einen Gärtner und ein paar neue Möbel. Mit eigenen Möbeln würde sie sich hier schnell heimisch fühlen.
Joanne trank von dem Schaumwein, und mit jedem Schluck ließ der Schmerz hinter ihrer Stirn nach.
Herrlich, dieser Aufenthalt entwickelte sich langsam ganz nach ihrem Geschmack. Steve kümmerte sich um ihren verrückt gewordenen Computer, keiner störte sie, sie hatte wenig Arbeit mitgenommen. Es gab nur das Haus und sie. Und natürlich den Geist. Der sich übrigens erstaunlich wenig blicken ließ. Vielleicht war er selbst im Urlaub?
Mit jedem Schluck mochte Joanne Eastend mehr. Es würde ein schönes Heim werden, wenn sie erst Farbe an die Wände gebracht hatte. Granny hatte entweder altmodisch gemusterte oder nüchtern weiße Tapeten bevorzugt. Joanne hingegen liebte kräftige Töne. Aber so sehr sich ihre Geschmäcker unterschieden, in den Annehmlichkeiten des Lebens waren sie sich doch einig. Wasserhähne mit integrierter Eiswürfelabgabe, ein Whirlpool – das war besser als jeder verdammte Strandurlaub.
Das Glas leerte sich und bereits eine halbe Stunde erging es der Flasche nicht anders. Schade, aber sie war zu faul, jetzt nach unten zu gehen und weiteren Cider zu holen. Das warme Wasser umhüllte sie wie eine Wolke und entlockte ihr ein wohliges Seufzen.
Also wenn sie der Geist des Hauses wäre, würde sie jeden Abend so verbringen. Hey, saß er vielleicht mit ihr in der Wanne? Das ungezogene Ding? Joanne legte die Finger auf ihren Mund und prustete unterdrückt. Wer wusste, was der mit ihrer Granny oder gar mit Mrs Hoops angestellt hatte. Ja, ja, simpler Herzinfarkt, durch einen scharfen Geist verursacht?
Joanne lächelte noch immer, als sie den Kopf zurücklehnte und seufzend die Augen schloss. Sie sollte aus der Wanne und ins Bett klettern, aber ihre Lider waren viel zu schwer. Das Glas hielt sie immer noch in den Fingern. Es war ihr zu mühsam, es am Wannenrand abzustellen. Dafür spürte sie dem leichten Schwindel des Alkohols nach.
Das Glas plumpste ins Wasser. Joannes Kopf neigte sich zur Seite, und sie rutschte nach unten, bis ihr Kinn ins Wasser tauchte.
War sie etwa vor ihrer Zeit gestorben? Aber nein, ihr Brustkorb hob und senkte sich mit jedem Atemzug, und ein leichtes Prusten schlüpfte über ihre Lippen und kräuselte das Wasser.
Schade, dass er niemanden hatte, mit dem er Wetten abschließen konnte, ob sie aufwachte, wenn sie das erste Mal Wasser einatmete. Betrunken in der Wanne einzuschlafen war schon seit Jahrhunderten die dümmste Idee, die man haben konnte.
Das Weib machte ihn fertig. Sie sollte erst am 33. Tag sterben, nicht jetzt! Himmel, was hatte er verbrochen, um mit dieser Frau bestraft zu werden? Und was zum Henker sollte er tun? Wenn Ewan sie hier liegen ließ, lief sie Gefahr, sich selbst zu ertränken. Er könnte das Wasser ablassen, aber dann holte sie sich in der Zugluft eine Lungen-entzündung.
»Du musst ihr helfen«, tönte es hinter Ewan. Oh, bitte, was machte der schon wieder hier?
»Sie ertrinkt sonst«, fügte der Junge hinzu.
Ach, nein! Da wäre Ewan im Leben nicht drauf gekommen. Das war ihm selbst klar, verflucht noch mal! Aber er ließ sich nicht wie ein Pfleger herumkommandieren.
Ewan drehte sich um und starrte den Bengel finster an. »Hilf du ihr doch. Ich bin nur der Hausgeist und kein Lebensretter für Suizidgefährdete.«
»Sie ist nicht selbstmordgefährdet.«
»Sie trinkt mit einer Kopfverletzung Alkohol!«
»Ach, das bisschen …«
»Sie ist betrunken!« Und Ewan hatte ihr auch noch die Eiswürfel dafür geliefert. Der Trick mit dem gefrorenen Wasser bescherte den hiesigen Klempnern sonst immer neue Arbeit! Ach, zum Teufel mit dieser Frau. Er würde sie ins Bett bringen und sich dann Spukereien ausdenken, die selbst der hohlste Kopf registrieren musste.
Ewan konzentrierte sich auf seine Energie, und ihr nackter, feuchter Leib erhob sich aus dem Wasser. Sittsam wandte er den Blick ab, denn wie zur Hölle sollte man sich da konzentrieren, als es auch schon platschte. Ups. Verdammt. Er hatte sie fallen lassen.
Aber entgegen seiner Erwartung bekam er nun keine kritischen Worte zu hören, sondern neben ihm erklang ein unterdrücktes Prusten, gefolgt von einem betont unschuldigen Hüsteln.
Joanne schreckte hoch, blinzelte für einen winzigen Moment, aber sie erwies Ewan nicht den Gefallen, die beiden ungebetenen Besucher in ihrem Badezimmer zu registrieren. Wäre auch zu einfach gewesen. Nein, sie legte den Kopf zurück, lächelte zufrieden und dämmerte wieder weg. Schlimmer noch, sie begann zu schnarchen.
Erneut konzentrierte er sich auf diese wandelnde Chaosgestalt, und Joanne erhob sich aus dem Wasser. Durch den Raum schwebend hinterließ sie eine tropfende Spur. Die Türen öffneten sich, und er geleitete sie zum Schlafzimmer, ließ sie sanft auf die Matratze sinken. Die Bettdecke gehorchte seiner Eingebung, rollte sich auf und bedeckte sie.
Ewan wandte sich dem Jungen zu, der ihnen gefolgt war, verschränkte die Arme vor der Brust und beugte sich zu ihm hinunter, bis sich ihre Nasenspitzen berührten. »Mach ihr gefälligst klar, dass sie aufhören soll, sich selbst umzubringen. Das ist mein Job!«
Was lief bei ihr verkehrt?
Joannes Kopf dröhnte, ihr Gehirn schien sich ununterbrochen um die eigene Achse zu drehen, und ihr war übel. Stöhnend fuhr sie sich über das Gesicht. Gute Güte, sie sollte aufhören, ihren Urlaub so intensiv zu feiern. Sie wurde zu alt dafür.
Joanne stützte sich auf die Ellenbogen und hob den Kopf. Wer hatte vergessen, die Welt in ihren Angeln festzuschrauben? Sie lebte doch nicht auf einem Globus, den man nach Belieben im Kreis drehen konnte.
Je länger sie blinzelte, umso mehr erkannte sie von dem Schlafzimmer. Aber in ihrem Augenwinkel bewegte sich etwas. Benommen drehte Joanne den Kopf ein wenig weiter und betrachtete einen Fleck, der über das Holz am Ende ihrer Federdecke ragte. Sie blinzelte, das Bild klärte sich, und verblüfft starrte sie den Jungen an, der die Arme auf das Fußteil des Bettes abgelegt hatte und seinen Kopf darauf stützte. Sie wusste, dass sie ihn mit offenem Mund anstarrte. Sie wusste auch, dass sie so absolut dämlich aussah. Aber was sollte sie sagen? Sie hatte es noch nie mit einem Einbrecher zu tun gehabt, der so verschmitzt grinste.
Sie schätzte ihn auf zehn oder elf Jahre. Vielleicht sogar zwölf. Die schwarzen Haare krausten sich auf seinem Kopf, standen wie wildes Gras ab. Eine Locke hing ihm ins Gesicht, und unermüdlich pustete er sie nach oben.
»Was zum Teufel hast du hier zu suchen?« Huch, klang sie schrill. Joanne räusperte sich und versuchte es erneut: »Ich meine, wer bist du und warum weißt du nicht, dass man nicht in fremde Häuser einbricht?«
»Ich bin nicht eingebrochen«, informierte sie der Knirps. Oh, hatte sie die Tür nicht zugemacht? Gut möglich, sie wusste ja noch nicht einmal, wie sie in ihr Bett gekommen war.
Joanne schluckte und fuhr sich erneut über die schmerzende Stirn. »Man geht nicht einfach in fremde Häuser, auch wenn die Tür offen steht.«
»Das ist kein fremdes Haus.« Der Junge hatte auch für alles eine Ausrede.
»Du bist doch nicht etwa durch einen Geheimgang hier reingekommen?«, forschte Joanne, aber er schüttelte den Kopf.
Sie wusste nicht, was ihr mehr Kopfschmerzen bereitete. Der Kater oder die Tatsache, dass ein fremdes Kind vor ihrem Bett hockte und sie anstarrte. Vielleicht war es auch sein permanentes Grinsen. Schnell sah sie an sich herab, aber nein, sie präsentierte ihm nicht versehentlich ihre nackten Brüste. Joanne hielt die Bettdecke darüber fest, sie waren bedeckt. Daran konnte es also nicht liegen.
Ihr Besucher hingegen gluckste belustigt.
»Was zum Henker ist so lustig?«, murrte Joanne.
»Beim Anblick deiner Brüste ist er gestern zu einer Salzsäule erstarrt.«
Ach ja? Dann war das ansteckend. Denn Joanne fühlte sich plötzlich auch wie eine Salzsäule. Ein panisches Kribbeln zog durch ihren Kopf. Woher wusste der Junge, dass sie gestern ihre Brüste vor ihre Webcam gehalten hatte?
»Er?«, fragte Joanne misstrauisch. »Also weißt du, wer sich in meinen Computer gehackt hat?«
»Zum Hacken ist er zu alt.«
Wie bitte? Sie hatte einem alten Knacker ihre Brüste gezeigt? Herr im Himmel, war das widerlich. Warum konnten die nicht ein Seniorenheim mit einem Fernglas beobachten?