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Bei dem Blick auf die geistliche Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy sind dem Autor zwei Aspekte wichtig. Er möchte zeigen, dass dessen Schaffen auf dem Gebiet der Geistlichen Musik etwa den gleichen Umfang hat wie jenes für seine Instrumentalmusik. Als zweites soll gezeigt werden, dass Mendelssohn mit seinem Einfluss auf die Textgestaltung seiner Oratorium eine pazifistische Einstellung verfolgt. Dazu wird auf die umfassende Allgemeinbildung Felix Mendelssohns verwiesen. Zu seiner Haltung dürften die Ansichten seines Großvaters Moses Mendelssohn und von Friedrich Hegel beigetragen haben. Es fehlen verweise auf werke von Dvorak und Janacek
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Seitenzahl: 365
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Vorwort
(Riehn-Kommentar als Anhang)
Geistliche Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy
Allgemein - Rezeption bis zur Gegenwart
Kurzbiographie
Geistliche Werke
Einleitung
Frühe Zeit (bis 1836)
Kürzere Stücke
Choralkantaten
Paulus (1836)
Einführung
Handlung
Die Musik
Zeit 1837 bis 1841
Psalmkantaten (Psalmen Nr. 115, 42, 95, 114, 98)
Lobgesang (1840)
Entstehung
Text
Die Musik
Zeit ab 1841
(Weitere Psalmen, Motetten, Lauda Sion)
Elias (1846)
Entstehung
Handlung
Die Musik
Rolle des Chors
Christus
Einführung
Text
Die Musik
Nachbetrachtungen
Gedanken zur Religion von F.M.B.
Literatur (zu F.M.B.)
Antonin Dvořák: Stabat Mater
Allgemein
Text
Die Musik
Literatur
Leoš Janáček: Glagolytische Messe
Kurzbiographie
Ergänzung
Die Messe (Allgemein, die Sätze und Zusatz)
Literatur
Glossar
1. Vorbemerkung:
Mit diesem Buch möchte ich meine Eindrücke beschreiben, die ich beim Hören geistlicher Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy empfinde. Dabei habe ich mich bemüht, meine Gedanken aufgrund meiner Kenntnisse zu Musik allgemein und auch meiner persönlichen Überzeugung für eine friedliche Gemeinsamkeit aller Menschen (Frieden, Religion, Zusammenleben etc) darzulegen.
Zu meiner Art, Musik zu hören und um meinem Thema näherzukommen, beginne ich wie folgt: Wer äußert sich zu Musik? Zum einen sind es häufig Musikwissenschaftler oder Journalisten, die manchmal lediglich deduktiv vorgehen. Gemeint ist, dass sie während des Studiums oder in ihrem Berufsleben konfrontiert werden mit dem Namen eines bestimmten Komponisten, zu dem sie sich äußern sollen. Darauf machen sie sich, wenn sie nicht als Experte des Gesuchten informiert sind, dann ein Bild aus vorhandener Literatur, dies wäre für mich eine deduktive Betrachtung.
U.U. kann dann beim anschließenden Hören von Musik des Betroffenen ein Vorurteil mitwirken.
Der zweite Weg ist induktiv und das wäre auch meiner. Ich höre eine bestimmte Musik, lasse sie auf mich wirken und spüre in dem einen oder anderen Fall emotionell bewegende Eindrücke. Sind sie positiv, beginne ich mit einer eingehenden Beschäftigung. Dabei ist jedoch ganz überwiegend das eigene Empfinden Richtschnur. Damit mag ich mich unwissenschaftlich verhalten. Aber ich bin kein Pädagoge, sondern möchte Interessenten meine Sicht und Erfahrung zu der jeweiligen Musik vermitteln.
[Bei meiner jetzigen Einstellung zur Musik ist neben der emotionelle Wirkung, die die jeweilige Musik auf mich macht, noch folgendes zu berücksichtigen. In meinem Alter spielt inzwischen natürlich auch die Erinnerung an frühere Eindrücke bei derselben Musik eine Rolle. Und gerade bei den bekannten bzw. „berühmten“ Interpreten (Orchester und Solisten) ist häufig Routine statt Engagement zu vernehmen. Dafür ist mir der Ausdruck ‚kalter Kaffee’ geläufig.
Und auch bei textgebundener Musik hat für mich immer die Musik das Primat. Allerdings muss bei gründlicher Betrachtung dann auch der Text Berücksichtigung finden.]
2. Felix Mendelssohn Bartholdy:
Meine eingehende Beschäftigung mit seinem Schaffen zu geistlichen Texten war ursprünglich durch einen Aufsatz von Rainer Riehn aus der inzwischen eingestellten Buchreihe: Musik-Konzepte der edition: text + kritik angestoßen worden. Da ich Riehn schwer einordnen kann, sei es als Judenfreund, Kirchenhasser oder überzeugten Adorno-Adepten - nichts davon lässt sich sicher beantworten -, habe ich den durch ihn angeregten Anstoß noch einmal aufgegriffen. Gemeint ist, dass Riehn Mendelssohns geistliche Musik (oder nur Teile daraus??) für minderwertig hält und dies bei mir eine gründliche Befassung mit diesem Thema erzwungen hat, weil dies mit meiner Erfahrung kollidierte. Riehn nennt kein Beispiel, aber auch wenn er vielleicht nur die Musik, die für den Berliner Domchor entstanden war, gemeint haben könnte und alles andere ausschließt, kann ich es nur als seine eigene ganz persönliche Sicht ansehen.
Nachdem ich aber 2018 den erwähnten Text (s. unten) in meinem Buch: H-Moll Messe ein kürzeres Kapitel zu Mendelssohn veröffentlicht habe, fühlte ich mich bei bleibender guter gesundheitlicher Verfassung veranlasst, Felix Mendelssohn Bartholdys Musik zu geistlichen Texten eingehender zu betrachten, nun mit einem Blick auf alle für mich zu erwähnenden Werke. Ich meine nun besonders Berücksichtigung der großen Oratorien und die erst Ende des letzten Jh. erschienenen zumeist frühen Werke.
Und schon jetzt ist es mir ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass nach meinem Eindruck Mendelssohn Bartholdy fälschlicherweise hauptsächlich als Komponist weltlicher Musik wahrgenommen wird. Ich versuche zu zeigen, dass sich die Anteile weltlich - geistlich in etwa die Waage halten. Dazu würde auch passen, dass 1842 die Stadt Leipzig bei Felix angefragt hatte, ob er das Kantorat an der Thomaskirche übernehmen wolle. Dies hatte er allerdings nicht wahrgenommen, sondern statt seiner Moritz Hauptmann empfohlen.
Und ich muss zu dem anscheinend vorherrschenden Missverhältnis hinzufügen, dass heute noch auch viele Angehörige des Klerus an der Geringschätzung seiner Musik nicht schuldlos sind; es mögen Ignoranz, Vorurteile, Judenhass oder was auch immer der Grund sei. Aber für mich ist dies ein Grund zum Schämen, weil ich mich als Pastorensohn diesen Leuten zugehörig fühlen muss. Ich möchte daher auch hier etwas gutmachen, zumal ich mich dabei mit vielen Musiksachverständigen einig fühle.
3. Antonin Dvořák und Leoš Janáček
Meine Neigung zur geistlichen Musik ist nicht nur auf die mitteleuropäischen Klassiker beschränkt. So haben mich u. a. auch zwei Werken aus dem tschechischen Musikkreis besonders angesprochen. Es sind von Antonin Dvořák das Stabat mater und von Leoš Janáček die glagolytische Messe. Betrachtungen zu beiden Werken runden den Inhalt des Buches ab.
Günther Zedler Seeheim-Jugenheim August 2022
Nachbemerkung - mein Text von 2017 (Buch Messe H-Moll) zu Riehn
<Bisher hatte ich bei der Betrachtung von geistlicher Musik, die nach Bach entstanden ist, einen Bogen um Mendelssohn gemacht. Ich halte den Elias und auch den 2. Teil des sogenannten Lobgesangs für Höhepunkte der Musik des 19.-Jh. mit Musik zu geistlichen Texten. Aber darüber gibt es auch von mir geschätzte Literatur, so konnte ich zunächst auf die Niederschrift eigener Betrachtungen verzichten.
Nun lese ich in der Zeitschrift Konzepte in der Nummer 14/15, die Mendelssohn zum Thema hat, einen Artikel (Rainer Riehn: Das Eigene und das Fremde), in dem ich Folgendes finde:
„Dass sein Protestantismus Mendelssohn wohl doch nicht so sehr am Herzen lag, verrät allein schon das Steife, Zeremonielle, formalistisch Distanzierte, ja Falsche mancher seiner Kirchenkompositionen … es waren halt Auftragskompositionen.“ Ich stutze, weil sich dies überhaupt nicht mit meinen eigenen Erfahrungen deckt. Allerdings nennt Riehn kein Beispiel, aber der gesamte Aufsatz lässt den Schluss zu, dass er damit nicht nur einzelne, zugegebenermaßen schwächere Kompositionen meint, sondern wohl generell den Komplex: Geistliche Musik.
(Im Übrigen gibt es auf den 146 Seiten dieser Konzepte Nummer keinen Beitrag zu geistlicher Vokalmusik.)
Bei allem Groll, den ich gegen den Verfasser Riehn hege, muss ich ihm aber auch Dank aussprechen, weil er - offenbar zur Untermauerung seiner Ansichten - den mir dahin nicht bekannten Musikwissenschaftler und Mendelssohn-Biografen Eric Werner zitiert. So habe ich mir dessen Buch besorgt und kann feststellen, dass ich sehr angetan von den Aussagen aus dieser Biografie bin. Sie übertrifft alles, was ich sonst zum Leben von Mendelssohn an Kenntnissen erworben hatte. Die Beurteilungen Werners stehen im krassen Gegensatz zu den Ansichten Riehns.
Um dies näher zu beleuchten, lasse ich einen längeren Text aus dem Wernerbuch folgen:
Zu den folgenden drei Psalmen: „Psalm 42 (sei) der empfindsamste, Ps. 95 der den Bedürfnissen der Liturgie am ehesten entsprechende und Ps. 114 (Da Israel aus ….“) bei weitem der stärkste, ja, er erscheint uns (nach dem Elias) als das beste geistliche Werk Mendelssohns überhaupt.“
(S. 378)
Später: Die drei Chöre aus op. 78 „gehören zum Besten, was Mendelssohn an Kirchenmusik geschrieben hat. (S. 441)
Zitat zu Mendelssohns Religiosität:
Er hat „für die protestantische und die katholische Kirche Musik geschrieben, auch die Synagoge bedacht ...“ Werner resümiert, dass die Frage nach Mendelssohns wahrer Gesinnung nicht leicht zu beantworten sei. „ Der Synagoge war er zwar entfremdet“ aber er spürte wohl eine Verpflichtung gegenüber den Ahnen. „Der katholischen Kirche war er fremd, aber er respektierte sie … in der evangelischen Religion war er zu Hause. Der Enkel Moses’ des Emanzipationspredigers, war dem Judentum noch menschlich nahe, der katholischen Kirche musikalisch verbunden, im Protestantismus aber fand er Erfüllung.“ (S. 476).
Ich tue mich schwer, dieser Einschätzung eine eigene Überzeugung entgegen zu halten.
Werners Gedanken sind mir sympathisch in der Weise, dass Mendelssohn nicht unterstellt wird, seine Musik solle nur den Rahmen für wichtige kirchliche Handlungen liefern. Mendelssohn äußert sich in Aufzeichnungen dergestalt, dass er nicht beabsichtige, Musik für die Kirche zu fertigen, die auf der gleichen Ebene wie Kerzenlicht, Weihrauch und weiteres frommes Zeremoniell allein der Andacht und dem Zweck diene, für den Empfang der Botschaft bereit zu sein. Für ihn war Musik eine eigenständige Kunstform, mit der sich religiöse Gedanken vermitteln ließen. Er hat aber doch auch betont, dass eine gute Kirchenmusik „mit fortdauernden Erinnerung an den kirchlichen Zweck geschrieben sein müsse“.
Werners Einschätzung lese ich dann aber auch aus folgenden Gründen mit Zustimmung:
Eric Werner war Jude - er war vor den Nazis emigriert - und hat auch Bücher zur jüdische und hebräischen Musik verfasst und
Seine Einschätzung unterscheidet sich wohltuend von vielen christlich gebundenen Autoren, die in der Kirchenmusik - dies besonders bei Bach - immer nur den liturgische Charakter betonen und der Musik einen eigenständigen Status kaum zugestehen wollen.>
Abkürzungen:
EKG Evangelisches Kirchen-Gesangbuch (ab Anfang 1950er Jahre)
(Zuvor gab es – je nach Region – jeweils eigene Bücher. Aus einem solchen habe ich viele Chorlieder zuerst kennengelernt und musste dann Anfang der 50er mit 16/17 Jahren schon vieles neu lernen)
EG Evangelisches Gesangbuch (gilt ab 1993)
SATB Sopran, Alt, Tenor Bass
MWV A … und B …
Mendelssohn Thematisches Werkeverzeichnis (der Sächsische Akademie der Wissenschaften).
Die Liste unterteilt Werkkategorien. Daraus bedeuten die Buchstaben vor der jeweiligen Nummer:
A - groß besetzte geistliche Vokalwerke , B - klein besetzte geistliche Vokalwerke
Weitere Werke erhalten weitere Grossbuchstaben vor einer neuen Nummer
I Allgemein – Rezeption bis zur Gegenwart
Ich versuche, auf folgende Fragen ein zugehen:
1. Wie ist Mendelssohn in die Musikgeschichte einzuordnen?
2. Akzeptanz, Rezeption seiner Musik
3. Heutige Situation
ZU 1. Wie ist Mendelssohn in die Musikgeschichte einzuordnen?
Zu diesem Abschnitt gibt es für mich zwei Fragen.
1. Wer macht eine solche Zuordnung?
2. Welches sind die Kriterien dafür?
Zuordnung
Im Vorwort hatte ich bereits auf die beiden Annäherungsformen für eine Aussage hingewiesen. Es geht um eine deduktive bzw. induktive Betrachtungsweise. Dazu ließe sich sagen, dass die deduktive eine objektivere Art benennt, weil sie alle relevanten Punkte berücksichtigt. Aber ist sie damit auch wahr? Dies möchte ich bezweifeln. Dazu liefern die heutzutage vielfach anzutreffenden „Fakten“ beste Beispiele: Beurteilung der Form des Lobgesang durch einen verärgerten Musikprofessor (s. Lobgesang) und das Verhältnis Schumann - Mendelsohn ebenfalls durch einen Musikprofessor, der Texte aus Schumann-Tagebücher grob fälscht (s. unten). (Und weiter gibt es immer noch durch Vorurteile geprägte Anmerkungen gegenüber ausübenden Künstlern mit jüdischen Wurzeln zu deren Musikdarbietungen, s. u. a. Erfahrung des Pianisten Igor Levit.)
Für mich sollte die Zuordnung vom vorurteilsfreien Individuum und nicht von einer allgemeinen Sicht aus gehen. Die induktive Annäherung schließt natürlich nach ersten Eindrücken aufgrund der Musik gründliche Studien der einschlägigen Literatur nicht aus. Nur gibt es dabei wieder eine Besonderheit. Ich gehe auf Schriften, die meinem Empfinden widersprechen, nach ihrer Kenntnisnahme nicht weiter ein und benenne sie zumeist auch nicht. Dies mag man unwissenschaftlich nennen. Aber dazu stehe ich, zumal ich ja gar nicht sicher bin, ob meine Sicht allgemein gültig ist. Insofern wäre aber die negative Kritik zu anderen auch wieder einseitig. Hier mögen dritte nötigenfalls korrigierend eingreifen, vielleicht gelingt es, die Wahrheit zu finden. Ich versuche immer wieder heraus zu stellen, dass meine Ansichten nicht Allgemeingut, sondern individuell sind. Bei vielen „Wissenschaftlern“ möchte ich mir eine entsprechende Vorgehensweise wünschen.
Es ist also für mich essenziell, ob man sich persönlich vorurteilslos mit der jeweiligen Musik auseinander gesetzt hat oder nur liest, was zu dem jeweiligen Gegenstand andere sagen. Letztere schreiben dann manchmal bei vermeintlichen Kompetenzen ab. Mit Bezug auf Mendelssohn fallen mir u. a. die vielen negativen Äußerungen von Neidern (z. B. Wagner) oder Antisemiten ein. Es ist das Bild über ihn, das seit dem Beginn des letzten Jh. schließlich seinen Höhepunkt in der Kulturpolitik der Nazizeit erreicht hatte und auch nach dem zweiten Weltkrieg vielfach immer noch nicht verschwunden ist. Für die neuere Zeit sind auch Kommentare zum Verhältnis Schumann - Mendelssohn zu bewerten. Kann man von jungen Menschen, die in Göttingen bis in die 80er Jahre Musikwissenschaft (Institutsleiter Prof. Boetticher) studiert haben, erwarten, dass sie zumindest hier objektiv gebildet wurden? (s. weiter unten).
Es muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass man allgemein heutzutage mit einem Bild zu Mendelssohn Bartholdy konfrontiert wird, das ganz stark durch Ansichten geprägt ist, die erst nach seinem Tod veröffentlicht worden sind. Neben A. B. Marx zum Lobgesang als missratene Nachahmung der 9. Sinfonie Beethovens (s. Lob-gesang) waren es weitere Kritiker aus Mendelssohns Umfeld, die in ihren Konzertkritiken mit ihrem Judenhass nicht hinterm Berg bleiben konnten. Nach Mendelssohn’ Tod sind dann besonders die Beschimpfungen des (späteren) Wagners und dessen vielen Bewunderer zu nennen. Und es endete während der Nazizeit damit, dass alles zu Mendelssohn-Bartholdy verschwand. Und dies wirkt bis in unser Jh. nach.
Da im Falle Felix Mendelssohn Bartholdy während seiner Lebenszeit viele der heute bekannten Vorurteile zu seinem Leben ja noch fremd waren, möchte ich gerechter-weise positive Kommentare heranziehen.
In dem Band Musik Konzepte zu Mendelssohn Bartholdy (s. Literatur) haben sich die Herausgeber die Mühe gemacht, Aufzeichnungen der Schumanns (Robert und Clara) auszuwerten.
Ihr Text beginnt schlicht: „Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann waren befreundet“. (Dies verstehe ich als Replik auf Prof. Bötticher, dem Brieffälscher.)
Und die Aufzeichnungen können dies immer nur bestätigen. Natürlich gibt es keine generelle Darstellung der Schumanns zu Mendelssohn’ Wirken. Aber es finden sich unter den Materialen neben Gedichten verschiedener Autoren auch zwei Artikel. Dabei handelt es sich um würdigende Texte zweier kompetenter Journalisten. Es sind ein Aufsatz von G. Kühne in der ‚Europa’ und ein weiterer von J. Kinkel in d. Allg. Augsb. Ztg.
Beide Artikel sind im Konzepte Band wiedergegeben worden. Und aus beiden Artikeln möchte ich kurz zitieren.
Gustav Kühne am 13. Nov. 1847 (also eine Woche nach Mendelssohns Tod) in Europa: Chronik der gebildeten Welt. (Die Schumannschen Aufzeichnungen notieren hierzu. „das Beste, was über Mendelssohn geschrieben“.)
Ich lese dort zu seiner Musik u. a. „dass ein eigenthümlicher Schwung auf dem religiösen Gebiet der Musik ihn gleichwohl zur wahrhaften Größe der Empfindung“ führte. Weiter: „hat er uns doch eine neue Welt von Tönen eröffnet, die an Erhabenheit nur bei Händel und Bach ihresgleichen … findet“
J. Kinkel in der Allgemeine Augsburger Zeitung, (bis 1866 die bedeutendste Tageszeitung Deutschlands. Die Zeitung hatte auch generell einen guten Ruf hinsichtlich Berichten zu Musik.)
Dort heißt es schon am 8. November „Seit gestern ist hier die Trauerkunde verbreitet, dass der größte Tonkünstler der Jetztzeit, Felix Mendelssohn Bartholdy, zu den Toten gegangen ist. Die Höhe seines Ruhmes hat er erlebt, als sein letztes großes Werk, das Oratorium ‚Elias’ die ganze musikalische Welt in Aufregung versetzte“.
Soviel zu Schumann - Felix Mendelssohn Bartholdy und damit auch ein Blick auf die allgemeine Wertschätzung bis zu seinem Tod.
Kriterien
Auch der Biograph Eric Werner versucht eine Einordnung der Musik von Mendelssohn in den Rahmen der deutschen Musik zu dessen Lebenszeit. Dabei gibt es große Schwierigkeiten bei den äußeren Umständen (Umfeld, Allgemeinbildung, Geschichte, Gesellschaft, Staatswesen, Philosophie usf.), die zu diskutieren wären, auf die ich aber nicht im Detail eingehen will.
Werner resümiert, dass insbesondere ästhetische Klassifizierungen in der Regel von Literaten jedoch nicht von Musikern konzipiert worden sind. Zumal, wenn dann Begriffe wie Objektivismus und Subjektivismus auftreten. Und selbst wenn man versucht, sich auf Ästhetik und Emotionen zu beschränken, kann es kein objektives Ergebnis geben. Jeder Mensch ist anders, empfindet unterschiedlich, hat andere Erfahrungen, anderes Vorleben usf. Und eigentlich lässt sich einfach das Meiste, was man emotional empfindet, ausgelöst durch das Hören nicht mit adäquaten Worten ausdrücken. Jeder mag abweichend empfinden und auch wenn er versucht, es mit Worten zu beschreiben, müssen diese nicht mit jenen, die anderer Menschen darunter verstehen, identisch sein. Und so können hier auch keine objektiven Kriterien greifen.
An anderer Stelle schreibt Werner, Merkmal der Musik von Mendelssohn sei „…Eleganz und Vollkommenheit“ der musikalischen Faktur. Vollkommenheit kann ich unterstützen, Eleganz weniger, es klingt mir zu sehr nach Salon. Ich neige stattdessen zu Begriffen wie Wahrheit (aber was ist Wahrheit?), Ehrlichkeit, auch Einfachheit, Schlicht-heit als Gegensatz zum Pathos und Heroismus à la Beethoven in manchen symphonischen Sätzen.
(Letzteres bezieht sich bei Beethoven aber wohlgemerkt auf seine große symphonische Musik, jedoch nicht auf die Kammermusik. Und bei der Symphonik ist auch die Aufführungspraxis zu berücksichtigen, Beethoven hat ebenso wie Mendelssohn nicht für ein großes Mahlerorchester komponiert. Die Coronazeit - 2020/21 - hat hier bei der Beschränkung ganz überraschende, positive Ergebnisse gezeigt.)
Ich denke, wenn es überhaupt wichtig wäre, das Schaffen von Felix Mendelssohn Bartholdy geschichtlich einzuordnen, ist eine Reihe von Randbedingungen zu beachten:
1. Sein Schaffen begann in ganz jungen Jahren, er war gerade 14, 15 Jahre alt. Seine Ausbilder und Vorbilder lehrten ihn Theorie im überlieferten Stil der „Wiener Klassik“, Beethoven und Schubert lebten noch. So waren diese stilistischen und formalen Kriterien Ausgangspunkt. Viele seiner Zeitgenossen (Schumann, Liszt, Wagner und weitere) hatten nicht die Möglichkeit für eine derart gründliche Ausbildung.
2. Er stand dann aber auch schon ab ca. 1830 am Anfang einer freieren Kompositionsweise, wobei ich Musik als eigenständige, absolute Ausdrucksart neben den Kunstformen Sprache und Malerei ohne formale „Fesseln“ sehe. Dazu gibt es eine Reihe von Beispielen, z. B. sein erstes Heft der Lieder ohne Worte datiert aus dem Jahr 1830 (Erst-Veröffentlichung 1832).
3. Vielleicht ist es Kennzeichen seiner Kompositionen, dass er sowohl mit seinen Lebensdaten als auch musikgeschichtlich den Übergang Klassik - Romantik repräsentiert. Für mein jetziges eigentliches Betrachtungsfeld, die textgebundene geistliche Musik, hatten offenbar die Vorbilder und Anreger Bach und Händel einen besonderen Stellenwert. Doch auch seine zahlreichen Präludien und Fugen, Rondos, Variationen usf. für alle Musizierformen inklusive der Orgel stützen sich auf Vorbilder, jedoch ohne sie sklavisch zu kopieren. (Besserwisser rügen zuweilen, dass er formale Kriterien missachtet habe!)
Konold weist in seinem Mendelssohn-Buch auf die Unwägbarkeiten bei den Begriffen Romantik, Biedermeier, Klassizismus hin, die zuweilen bei der Einordnung seiner Musik gebraucht werden (Entsprechendes Kapitel, S. 58ff).
4. Vielleicht ist auch seine außergewöhnlich breite Allgemeinbildung ein zu berücksichtigender Faktor. Schumann, der ja ebenfalls literarisch bewandert war, erwähnt dies ausdrücklich.
Felix Mendelssohn Bartholdy hatte dann sehr früh großen Zuspruch in interessierten Kreisen. Dies waren Chorvereinigungen, aber auch kammermusikalisch aktive Menschen. Ja, auch Salons, s. die „Lieder ohne Worte“. Letztere sind jedoch für mich weit entfernt von seichter „Salonmusik“, zu welcher man „geistreiche“ Gespräche bzw. „small talks“ führen kann. Konold zeigt auf, dass der Verruf der ‚Salonmusik’ wohl erst entstanden ist aufgrund der vielfach ‚schwachen’ Stücke von Epigonen, die sich Mendelssohn als Vorbild genommen hatten (s. Schlusskapitel im Mendelssohnbuch).
Im weiteren Verlauf seiner künstlerischen Aktivitäten mit breiter Anerkennung kamen dann aber auch schon früh Besserwisser, Neider auf den Plan, die nach Negativa suchten. Schnell waren auch schon damals Judenhasser zur Stelle. Aus rassistischen Gründen wurden von dort Menschen mit jüdischen Wurzeln geradezu absurde Eigenschaften nachgesagt. Es wird ihnen mangelnde Naturnähe, fehlende Volksnähe, keine Volksliedhaftigkeit etc. zum Vorwurf gemacht. Eigentlich genau das, was die judenfeindlichen Kritiker auch Mendelssohn, ja sogar heute noch als fehlendes Element vorwerfen. Sie mussten dann aber viele Lieder einfach anderen Autoren oder der Rubrik:‚Verfasser unbekannt’ zuordnen. Und auch die erstaunliche Fähigkeit, Natur im Bild (Zeichnungen) zu gestalten, kenne ich von keinem anderen deutschen Komponisten in der Qualität, wie es Mendelssohn konnte. Und zu Zeichnungen habe ich noch nicht gehört, dass der jeweilige Künstler „jüdisch“ zeichne, während gewisse Leipziger Kritiker schon zu Mendelssohn’ Lebenszeit angeblich in der Lage waren, zu hören, dass seine Musik „jüdisch“ klinge.
Zu 2. Akzeptanz, Rezeption seiner Musik
Nun ist bereits mein zweiter Punkt erreicht, nämlich der besonderer Vorwurf fehlender schöpferischer Qualität bei den Juden (s. Pamphlet des zunächst unbekannten Karl Freigedank weiter unten). Damit ist gemeint: Es fehle der Musik der Juden die Eigenschaft von Tiefe - wie sie der deutscher Musik eigen sei - und man nennt als Beispiel Bach. Diese Kritiker übersehen offenbar in ihrer Verblendung, dass es Mendelssohn war, der als erster die Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte mit der Aufführung von Bachs Meisterwerk, der Matthäuspassion. Ja, es gibt unzählige absurde Vorwürfe, die eigentlich nur die Verfasser in ihrem blinden Hass desavouieren. Und solche gab es lange vor der Hitlerzeit und frei ist man davon auch heute vielfach immer noch nicht.
NB: Was ist Tiefe in der Musik. Manchmal denke ich, dabei ist gemeint, was man bei der jeweiligen Musik nicht versteht. Gut, es gilt natürlich die Einschränkung, dass Emotionen gemeint sein müssen. Aber die kann man nicht objektivieren und wer es trotzdem tut, schließt nur von sich auf alle anderen. Aber dann soll man es doch sagen. Ich habe noch nirgendwo eine Definition für die Tiefe in der Musik gefunden. Ich akzeptiere, dass man Entsprechendes dann empfindet, wenn die Musik zutiefst berührt, in Dimensionen, die sich mit Worten nicht beschreiben lassen. Denn genau dies ist eine Erfahrung, die ich in großen Umfang bei Musik von Mendelssohn empfinde. Ich bin mir aber sicher, dass jeder Mensch Musik in vollkommen eigener Weise erlebt. (Das sogenannte „Gänsehaut“gefühl ist vollkommen individuell, weder näher zu orten noch in jedem Fall eindeutig und reproduzierbar.)
Und wenn dann bei Kritikern noch eine unbewusst antisemitische Prägung zu vermuten ist oder gar eine solche vorliegt, dann gibt es vielleicht eine ungewollte Hemmschwelle, die Musik überhaupt an sich heranzulassen. Etwas Ähnliches muss es z. B. bei einem meiner Lehrer gegeben haben. Denn sein Einwand gegen die Musik von Mendels-sohn galt damals nicht dem Komponisten, sondern dem von jüdischen Vorfahren stammenden Mendelssohn. Für ihn waren Juden schlechthin unsympathisch und deshalb könne er a priori keine Musik von ihnen interpretieren. (NB: Dies hatte sich in seiner späteren Lebensphase geändert.)
Nach dem Lesen in mehreren Biografien zu Mendelssohns Wirkung ergibt sich ein kompliziertes Bild. Die große Popularität zu Mendelssohns Lebenszeit sehe ich auch unter dem Blickwinkel der Wirkung auf die Ausführenden. Die war natürlich überwiegend positiv. Dabei ist noch erwähnenswert, dass im Unterschied zu den Vorgängern Haydn, Mozart, Beethoven, jetzt die Musik Mendelssohns für ein neues Publikum, das Bürgertum, gedacht war, während die zuvor Genannten ganz überwiegend adelige Kunden und Besteller hatten.
Bei dem Echo in den Medien, den Kritiken zur Musik von Mendelssohn, gab es aber auch bereits zu seinen Lebzeiten deutlich antisemitische Zeichen. Dies lässt sich gut nachlesen in den Studien, die Jacob (s. Literatur) in seinem Resümee unternommen hat. Ein auffälliges Zeichen einer Kritik zu Musik von Juden war der 1850 in der „Neue Zeitschrift für Musik“ erschienene Artikel „Das Judentum in der Musik“ eines gewissen Karl Freigedank. Dieses Pamphlet war aber keinesfalls die erste Veröffentlichung gegen Juden schlechthin. Zu ersten Ressentiments gegen jüdische Mitbürger wird häufig angeführt, dass deren Gleichstellung von oben kam: Napoleon, Hardenberg, Metternich, Friedrich Wilhelm IV von Preußen etc. Sie sei aber nicht aus der Basis entstanden sei. Meine Replik, wie sollte das denn geschehen? Soll es die unbestimmbare Masse tun? Einige aus der „geistige Elite“ hatten sich ja wie folgt geäußert. Schon 1816 hat der Philosoph und Professor Jakob Friedrich Fries in den Heidelberger Blättern einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel: „Über die Gefährdung des Wohlstandes der Deutschen durch die Juden.“ (Darin schlägt er u. a. bereits vor, dass man Juden mit einem Zeichen an ihrer Kleidung ausweisen solle). Entsprechendes ist darauf immer häufiger in Schriften zu finden.
Jakob schreibt, dass man nach Erscheinen des Freigedank-Artikels hoffte, dass Richard Wagner sich dagegen äußern würde. Hatte er doch viele jüdische Unterstützer und gar Förderer (s. Meyerbeer). Zeitweilig bewunderte er Felix Mendelssohn-Bartholdy und dies zeigte sich in seiner Würdigung des Oratoriums „Paulus“. Ich zitiere aus seinem Artikel, den er zu einer Aufführung des „Paulus“ in Dresden 1843 geschrieben hatte. Dazu heißt es, Mendelssohn habe : „ ... in aller Vollendung ein Werk gezeigt, welches ein Zeugnis von der höchsten Blüthe der Kunst ist und uns durch die Rücksicht, dass es in unseren Tagen geschaffen worden ist, mit gerechten Stolz auf die Zeit, in der wir leben, erfüllt.“ (Zitiert nach >Richards Wagners ausgewählte Schriften < Hesse und Becker Verlag, Dritter Teil, S. 96.)
Doch von Wagner kam nichts. Jakob sieht dann in seinem Buch ein neues Kapitel mit der Überschrift „Das Unfassbare“ vor. Der Freigedank war Wagner selbst. Um die Zeit des Erscheinens war er aber noch stark auch von Menschen mit jüdischen Wurzeln abhängig. Er hatte nicht den Mut, sich zu bekennen, weil er sich damit hätte schaden können. Zumindest hatte er auch den Tod Mendelssohns abgewartet. Sonst hätte man ihn gar der Lüge überführen können. Doch im Jahre 1869 ließ er eine kleine Broschüre erscheinen, mit der er sich insbesondere einer Mäzenatin gegenüber erkenntlich zeigen wollte. Nun war sein Ansehen derart gefestigt, dass er sich zu dem Pamphlet bekennen konnte. Zu beidem, dem ersten Erscheinen und auch später gab es von vielen Gelehrten Protest zu Wagners Thesen. Der bekannte Schriftsteller Gustav Freytag schrieb in seiner Rezension zum Text gar: „Im Sinne seiner Broschüre ist er selbst der größte Jude.“(zitiert aus wikepedia)
(Es ist für mich unvorstellbar, welch gespaltener Mensch Wagner gewesen sein muss. Für ihn galt nur sein Werk, alles andere war nebensächlich. Er hat in jeder Lebensphase jeweils die Seite unterstützt, von der er finanziell Unterstützung erhoffte bzw. erhielt.)
So versucht E. Werner sogar auch Positives aus dem Wagners Pamphlet herauszustellen. Immerhin spricht viel Neid daraus, vielleicht zuweilen auch berechtigt, z. B. die reiche Familie. Aber das will ich jetzt nicht herausstellen. Der Artikel trieft von Irrsinnigkeit und Falschheit. Und es zeigt sich weiter eine allgemeine Feststellung, dass häufig Menschen, die andere der Täuschung, der Gemeinheit, der Hinterhältigkeit bezichtigen, es viel mehr selbst sind. Wagner hatte sich später sogar zu der Äußerung hinreißen lassen, dass man sich der Juden in irgendeiner Weise entledigen müsse, die Deutschen seien dazu fähig! (aus Bayreuther Blätter 1881, zitiert nach E. Werner, S. 534). Dies also fast 80 Jahre bevor es tatsächlich begonnen wurde. Man brauchte viele Gedanken, Argumente, Maßnahmen gar nicht neu zu erfinden.
ZU 3: Heutige Situation
Ich selbst kann von ganz großem Glück sagen, dass mir heute alle Wege offen stehen, die meisten Werke Mendelssohns kennenlernen zu können. Das war in meiner Jugend noch anders. Und die ersten Schritte zu einer besseren Bewertung kamen aus der damaligen DDR. Masur (Musik), Karl-Heinz Köhler (Musikliteratur) und andere. E. Werner benennt selbst aus dem fernen Amerika die Bemühungen in der DDR positiv, das Werk Felix Mendelssohns bekannt zu machen. Erwähnenswert ist für mich die Tatsache, dass inzwischen im Mendelssohnhaus in Leipzig im oberen Stockwerk Kurt Masur ein besonderer Platz eingeräumt wurde. Mit vielen Schallplatten-Aufnahmen, die auf ihn zurückgehen, habe ich das erste Mal mehrere Mendelssohnkompositionen kennengelernt.
In der BRD gab es bis in die 1970iger Jahre immer wieder Vorbehalte gegenüber seiner Musik als Nachwirkung der Naziideologie. Die Protagonisten in Westdeutschland (F. Bernius, N. Matt, B. Engel und andere Chorleiter) hatten lange gegen irrsinnige Vorbehalte zu kämpfen, die ich selbst auch erleben musste. In meiner „aktiven“ Zeit (1955 bis 1963) als Sänger in verschiedenen Chören ist in keinem eine Komposition von Felix Mendelssohn Bartholdy gesungen worden.
In diesem Zusammenhang erwähne ich als Beispiel noch einmal die Karriere des Musikprofessors Wolfgang Boetticher (s. auch oben). Schon 1963 ist in der verdienstvollen Serie des Rowohltverlages zur Kunst im dritten Reich die unrühmliche Rolle dieses Professors (s. Musik im 3. Reich) genannt worden. 1980 erschien die von mir immer wieder genannte Mendelssohn-Biografie von Eric Werner auch in deutscher Sprache. (Die urprüngliche englisch-amerikanisch Ausgabe datiert aus 1963.)
In der deutschen Ausgabe ist gezeigt (S. 286), wie Boetticher als Herausgeber von Schumann-Briefen (Berlin 1942) offensichtlich das Verhältnis Schumann zu Felix Mendelssohn Bartholdy in übler Fälschung „korrigiert“ hat. Schumann sollte als arischer Musiker der Romantik heraus gestellt werden. Trotz beider Bekanntmachungen (rororo Bände und E. Werner) durfte besagter Professor weiter in der BRD (Universität Göttingen) wirken. Erst nach einem Hinweis aus den USA zu einem dort geplanten Vortrag wurde man aufmerksam. Zuvor wollte man es offenbar nicht so genau wissen.
Hinsichtlich Aktivitäten in West-Deutschland möchte ich jedoch als positiven Fakt das musikwissenschaftliche Institut der Universität Kiel erwähnen: Friedhelm Krummacher, Wulf Konold, Martin Geck und weitere wären mit ihren Veröffentlichungen und Artikeln zu nennen. Auch die Kurzbiographie bei rororo-Bildmonographien von Hans Christoph Worbs ist als positive Würdigung zu erwähnen, der Autor hatte aber in Ost-Berlin studiert!
Nach den Arbeiten aus dem amerikanischen Exil (s. Eric Werner) erschien im Jahre 2008 die umfangreiche Darstellung „Felix Mendelssohn Bartholdy - Sein Leben Seine Musik“ von R. Larry Todd, der in den USA lehrt. (Zuerst 2003 erschien seine Arbeit in ‚Oxford University Press’ als „Mendelssohn A Life in Music“, s. Literatur)
Eine Ausnahme war in der DDR der eigentlich verdienstvolle K.H. Köhler. Auf ihn hatte sich der britische Herausgeber des New Groove (Stanley Sadie ab 1980) als ‚kompetenten’ Wissenschaftler verlassen. Leider basieren dessen Studien aus den 1970er Jahren auf der DDR-Ideologie insbesondere zur Geistlichen Musik. Wie zu Bach wurden auch geistliche Werke von Mendelssohn dort als völlig nebensächlich angesehen. Und dieser Tenor durchzieht das Buch Köhlers von 1980, deutsch 1995 in Stuttgart erschienen. Ohne auf Details einzugehen, ist für mich als Kirchenmusiker diese Darstellung schlechthin nicht empfehlenswert. Und es hatte offenbar niemand S. Sadie (und sein Team) darauf hingewiesen, dass es in der bereits vergangenen DDR ein anderes Gewicht bei der Bewertung von geistlicher Musik gab.
(Nur soviel, das Werkverzeichnis im deutschen New Grove Buch weist eine um das ca. siebenfache höhere Zahl zu weltlicher gegenüber der geistlichen Musik auf, dafür bekommt jedes Klavierstück und einzelne Kanon jeweils eine eigene Zeile, während z. B. die drei Psalmen op. 78 auch nur eine Zeile erhalten).
Zwei abschließende Anmerkungen:
1. Ich gebe zu, dass es mich manchmal irritiert, dass man inzwischen das Jugendschaffen des 12- bis 14-Jährigen Mendelssohn wie eine Welt-Entdeckung feiert, muss das sein? Wieviel Gier nach Schlagzeilen, nach Geschäftemacherei mit dem bekannten Namen steckt dahinter? Es ist gefällige Musik und das mit 16 Jahren entstandene Streichoktett und mit 17 komponierte Sommernachtsmusik kamen nicht aus dem Nichts. Aber im Vergleich mit dem „Sommernachtstraum“ und einigen bereits seit langem bekannten Kompositionen sehe ich vieles als erstaunliches Zeichen einer musikalischen Frühbegabung. Und warum wird nicht beachtet, dass Mendelssohn selbst vieles absichtlich nicht als veröffentlichungswürdig gesehen hatte. Ich kann dort kaum eine mit dem späteren Mendelssohn vergleichbare, eigene Sprache erkennen. Und so bin ich, vielleicht weil ich zu alt bin und dem späten egoistischen Super-Kapitalismus reserviert gegenüber stehe, betroffen, dass man heute das Schaffen von F.M.B. um alle frühen Werke ohne Unterschied in eine Reihe mit den seit langen bekannten bringt. Wäre es zu viel verlangt, sie besonders zu kennzeichnen? Z. B. Frühwerke oder Werke aus dem Nachlass, die nicht veröffentlicht werden sollten.
[Nach meinem Eindruck wird F.M.B. unterstellt, er sei nicht in der Lage gewesen, sein Schaffen richtig einzuordnen. Vergleichbares tut man Beethoven nicht an!]
2. Mir stößt noch heute auf, dass insbesondere Felix Mendelssohn Bartholdy immer wieder als jüdischer Musiker bezeichnet wird, sogar in einer offiziellen Werbung der Stadt Leipzig und auch von offiziellen Vertretern der jüdischen Seite. Dabei wird offenbar kein Unterschied gemacht zwischen Religionszugehörigkeit und Wurzeln der Vorfahren. Für mich ist jemand Jude, wenn er sich zur jüdischen Religion bekennt, jedoch nicht, wenn seine Vorfahren es waren, das wäre für mich Rassismus. Und dieser Bezug auf das Blut der Vorfahren wird eben leider häufig von beiden Seiten: Juden und Nichtjuden (jüdische bzw. arischen Vorfahren) gebraucht. Danach müsste man Felix Mendelssohn Bartholdy wohl einen evangelischen Juden nennen. (s. hierzu den Teil V Nachbetrachtungen.) Mir ist allerdings bewusst, dass auf beiden Seiten - für oder gegen Juden - nicht wissenschaftlich begründbare Glaubensüberzeugungen eine große Rolle spielen, gegen die Vernunft-Argumente, von welcher Seite auch immer, nichts ausrichten können.
Ich beabsichtige nicht, eine ausführliche Darstellung von Leben und Werk Felix Mendelssohn-Bartholdys zu schreiben. Es gibt nach meiner Einschätzung gute Biografien, zu deren Inhalt meine Erkenntnisse keinen wesentlichen, zusätzlichen Beitrag liefern könnten.
Allerdings gibt es den Punkt, dass Felix Mendelssohn Bartholdy in der Öffentlichkeit für mich zu wenig auch als Komponist geistlicher Musik wahrgenommen wird. Noch Ende seines Jahrhunderts haben Leipziger Bürger bei der Erinnerung an ihn mit einem großen Denkmal diesen Aspekt gebührend gewürdigt. Bei diesem Ehrenmal (eingeweiht 1892, zerstört 1936, eine Replik wiedererrichtet 2008) „zieren Schmuckmedaillons den Sockel - eines links mit Orgel als Sinnbild für die geistliche Musik Mendelssohns umgeben von einem Lorbeerkranz. Auf der rechten Seite ist, umkränzt von Tannenreis und Eichenlaub, die Symboldarstellung der weltlichen Musik dargestellt.“ (Beschreibung des Denkmals aus Veröffentlichung der Stadt Leipzig). So erlaube ich mir anzunehmen, dass beide Bereiche in etwa mit gleichem Gewicht zu sehen sein müssten.
Auslöser für meine vorliegende Zusammenstellung war die Betrachtung - gleichsam induktiv - der drei wichtigsten größeren Chorwerke, die der geistlichen Musik zuzurechnen sind. Diese sind: die Oratorien Paulus, Elias sowie der sogenannte Lobgesang. Aber auch die beiden fertigen Abschnitte eines dritten Oratoriums (vermutlich „Christus“) sind zu nennen. Alle sind Kirchenmusik im weitesten Sinn. Eine allgemeine Definition der Geistlicher Musik besagt, dass sie einen biblischen Bezug haben müssen (Bibelzitat, ggf. Choräle).
Es ist jedoch heute nicht mehr eindeutig, was Kirchenmusik ist. Bei Bernius heißen die entsprechenden Werke Kirchenstücke. Der Klerus möchte als Kirchenmusik nur solche Musik sehen, die direkt für den kirchlichen Gebrauch gemeint ist. Hierzu enthalte ich mich eines eingehenden Kommentars.
(Aber doch soviel: Die Theologen können machen, was sie wollen. Musik komponieren können sie zumeist nicht und so sollen sie den Komponisten keine Vorschriften machen, wie letztere mit geistlichen Texten umzugehen haben. Sie scheinen verärgert, dass es immer wieder Musikern gelingt, mit ergreifender Musik zu althergebrachten religiösen Texten die Menschen zu bewegen. Dies möchten die Geistlichen gern mit ihren Predigten auch erreichen, was jedoch überwiegend nicht gelingt. Schon in meinem letzten Buch hatte ich dargelegt, wie eigentlich alle großen Komponisten mit dem jeweiligen Klerus Probleme hatten.)
In der folgenden Kurzbiografie weise ich auch auf einige frühere, kürzere geistliche Musiken hin. Hierbei sei aber insbesondere auf die beiden CD Gesamt-Aufnahmen mit Frieder Bernius und Nicol Matt verwiesen. Dort gibt es auch zum Teil gute Kurzkommentare in den anliegenden Booklets. Ausdrücklich verweise auf jenen der Nicol Matt Produktion (Christian Wildhagen).
Weiter muss man bei den Daten zu Felix’ Schaffen unterstellen, dass er eine ausgesprochene Frühbegabung war - vielleicht noch vergleichbar mit Mozart. So sind ihm bereits im Alter von 14 bis 16 Jahren beeindruckende Kompositionen gelungen, die aus den meisten Arbeiten, die im Zusammenhang mit Unterricht entstanden sind, heraus ragen. Die meisten frühen Sachen waren eigentlich für den „Gebrauch im Hause Mendelssohn“ bzw. für den Chor der Singakademie entstanden, jedoch nicht als zu veröffentlichende Musik gedacht. Sie zeigen naturgemäß auch noch starke Einflüsse anderer Vorbilder, ein bei Schülerarbeiten erklärliches Phänomen.
In der folgenden Tabelle liegt hinsichtlich der angegebenen Daten der Schwerpunkt auf Werken mit geistlichen Texten. Nur die bekanntesten Werke, die der weltlichen Musik zuzuordnen sind, führe ich zur Orientierung an. Dabei sind zumeist zwei Zahlen angegeben. Die erste ist die vermutete bzw. dokumentierte Entstehung, die zweite das Jahr der Erst-Veröffentlichung (EV). Diese zweite Zahl habe ich nur zu bereits im 19. Jh. publizierten Werken angegeben. Fehlt eine entsprechende Angabe, sind die Werke erst in der 2. Hälfte des 20. Jh. erschienen, zumeist im Carus-Verlag.
Bedenken habe ich bei den Werken der Frühphase. Die sogenannten Streichersinfonien und Werke für einzelne Instrumente usf. waren für die Sonntagsmusiken im Hause Mendelssohn entstanden. Felix hatte die meisten Werke nicht als veröffentlichungswürdig angesehen. Daher bin ich verärgert, dass man sie heute, wohl durch Werbemanager gesteuert, in sein offizielles Werkregister einreiht. Sie sollten zumindest das Kennzeichen Werk ohne Opuszahl (Wo O) bzw. besser Frühwerke tragen. Dies gilt übrigens auch bei einigen Frühwerken, die der geistlichen Musik zuzuordnen sind. So übergehe ich beispielsweise Kompositionen, die bereits vor 1823 entstanden sind.
Jahr
Werk
Kommentar
Vater: Abraham (Bankier, Sohn des Philosophen und Geschäftsmannes Moses Mendelssohn) - Mutter Lea geb. Solomon
1809
3. Februar in Hamburg geboren
1811
Umzug der Familie nach Berlin
1816
21. März protestantische Taufe, gemeinsam mit den drei Geschwistern (Fanny *1805, Rebekka *1811 und Paul *1812) Im gleichen Jahr Klavier- und Violinunterricht
1819
Carl Friedrich Zelter übernimmt die Ausbildung von Fanny und Felix Schwerpunkte: Komposition (im alten Stil)
1820
Eintritt in Singakademie, Leitung Zelter. Durch Singen überwiegend ältere Musik deren gründliche Kenntnisnahme 1. Kompositionsheft, Zeichenunterricht.
1821
1. Besuch bei Goethe mit Zelter, der mit G. befreundet war.
1822
Beginn der Sonntagsmusiken im Elternhaus - Aufenthalt in Frankfurt/M, enger Kontakt mit Schelble und Kenntnis von dessen Arbeit mit älterer Kirchenmusik.
1823
Kyrie c-moll
Erstaunliche Qualität auf Basis des Gelernten im alten Stil (Palestrina usf.)
1823
Konz. für Vl, Klav. und Orchester
1. Anzeichen des eigenen Stils, s. Violine im langsamen Satz
1824
Jetzt waren seine Kenntnisse sowohl in der Kompositionslehre als auch im Klavierspiel so weit, dass anerkannte Lehrer ihn als fertigen Künstler ansahen. Zelter nannte ihn nun Gesellen, Moscheles sah keine pianistischen Defizite.
1824/25
Op. 3 EV 1825
Klavierquartett Nr. 3 (Goethe gewidmet)
1824
Op. 11 EV 1834
Sinfonie Nr.1 Einziges Jugendwerk, das zu Lebzeiten veröffentlicht wurde.
1824
Choral Motette
Jesus, meine Zubersicht
1825
Kyrie d-moll
Entstanden aufgrund der Bitte von Cherubini, sein Können zu zeigen.
1825
Op. 20 EV 1833
Oktett für 2 Streichquartette, 1. allgemein anerkannte Instrumentalkomposition des 16 Jährigen.
1826
Te deum
Es entstehen zahlreiche weitere Kompositionen auf geistliche Texte. Entsprechendes gilt für die in den Jahren 1827/28 und folgenden entstandenen.
1826
Op. 21 EV 1835
Ouvertüre zum „Sommernachtstraum. Besonders fällt hier die Reife einer eigenständigen Arbeit auf.
1827
Op. 111
EV 1827
Tu es Petrus
Für Chor und Orchester. Beginnt Studium an der Berliner Universität (Eignung durch Test nachgewiesen)
1827
Choralkantate
Christe, du Lamm Gottes
- Für Schwester Fanny
1828
Choralkantate
Jesu, meine Freude
1829
Choralkantate
Wer nur den Lieben Gott lässt walten
- gedacht für Musikfest in Birmingham
1828
Hora est
16 stimmig
1829
Im März Wiederaufführung der „Matthäuspassion“ von J.S. Bach mit vorsichtiger eigener Neueinrichtung und Kürzungen (Arien) Im April Aufbruch zur
ersten Bildungsreise
nach England und Schottland für 8 Monate. Konzerte in England
1829/30
Op. 56 EV 1842
Sinfonie Nr. 3 Schottische Sinfonie
1829/30
Op.107 EV 1868
Sinfonie Nr. 5 Reformationssinfonie
(Choral: Ein feste Burg)
1830 bis 1832
Große Bildungsreise von Mai 1830 bis Juni 1832
teils mit dem Vater. (über Weimar, Süddeutschland und Wien) nach Italien (November 1830 bis April 1831 in Rom, später noch südlicher) und zurück über München, Stuttgart, Frankfurt, Paris und London.
1830
Choralkantate
O Haupt voll Blut und Wunden
- komponiert in Wien, September 1830)
1830
Op. 23
EV 1832
3 Kirchenmusiken: Aus tiefer Not – Ave Maria – Mitten wir im Leben
(zusammengestellt in Rom)
1830
Op. 31
1. Psalmkantate EV 1835
Psalm 115:
Nicht unsern Namen, Herr, erste bemerkenswerte Psalmkantate, s. auch ab 1837
1830 1837
Op. 39
3 Motetten EV 1837
Veni domine – Laudate pueri – Surrexit pastor
für Frauenchor und Orgel
1831
Choralkantaten
Vom Himmel hoch - Verleih uns Frieden - Wir glauben all an einen Gott
(entstanden in Rom)
1831/32
Op. 25 EV 1833
1. Klavierkonzert g-moll (vollendet in München)
1830/33
Op. 90 EV 1833
Sinfonie Nr. 4 Italienische Sinfonie
1831
o. op.
WO 05
Verleih uns Frieden
kurzes Stück für Chor und Orchester
1831
Auftrag zu einem Oratorium (
Paulus),
für den Cäcilien- Chor Frankfurt/M. (Wegen Erkrankung Schelbles fehlte anschließend Nachdruck zur Fertigstellung.)
1832
Choralkantate
Ach Gott vom Himmel sieh darein
(April 1832 für den Cäcilien-Chor in Frankfurt/M.)
1833
Op. 121 EV 1873
Vespergesang
für Männerstimmen mit Begleitung
1833-35
1. Engagement als Musikdirektor in Düsseldorf nach ersten guten Anfängen mündete das Engagement mit Rückzug
1832-37
Op. 35 EV 1837
6 Präludien und Fugen
(Nr. 1 mit Choralzitat)
1833-37
Op. 37 EV 1837
3 Präludien und Fugen für Orgel
1835
1. 6.: Wird Kapellmeister des Gewandhauses in Leipzig. Die Leipziger Arbeit wird mit wechselnden Funktionen bis zum Lebensende 1847 fortgesetzt.
1836
Op. 36
EV 1836/37
Paulus
UA am 22. Mai als Leiter des Niederrheinischen Musikfestes Düsseldorf
1837
28. März
Heirat mit Cécile Jeanrenaud in Frankfurt/M
1837
Op. 40 EV 1838
2. Klavierkonzert d-moll
1837/38
Op. 42
EV 1838
Psalm 42
: „Wie der Hirsch schreit nach Wasser“ von Felix hoch geschätzte Psalmvertonung
1837/38
Op. 44 EV 1839
3 Streichquartette
1838
Op. 46
EV 1842
Psalm 95:
Kommt, lasst uns anbeten
Psalm 5:
Lord, hear the voice für England
1839
EV 1840
Psalm 31
: Defend me, Lord
Op. 51
EV 1841
Psalm 114
: Da Israel aus Ägypten
1839
Op. 49 EV 1840
Klavier Trio Nr. 1 d-moll
1840
Op. 52
EV 1942
Lobgesang
Im gleichen Jahre Weitergabe der Leitung des Gewandhauses an Gade zur eigenen Entlastung.
1841 bis 1844
In der Zeit auf Initiative des ihm sehr gewogenen Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV Musikdirektor für die Kirchenmusik am Berliner Dom. Zeitweiliger Umzug nach Berlin. Dort jedoch größere Widerstände gegen den „Juden“
1843
o. Opuszahl
für Domchor Auftrag zur neuen (preußischen ) Agenda
Deutsches Te deum Herr Gott, dich loben wir
1843
Op. 91
EV 1851
Psalm 98: Singet dem Herrn
für Berliner Domchor
1843
Op. 96
EV ~1852
Psalm 8: Laß o Herr Hymne
(deutsche Fassung)
1843/44
Op. 78
EV 1848
Psalm 2: Warum toben; Psalm 43: Richte mich Gott; Psalm 22: Mein Gott, warum
für Berliner Domchor
1844
o. Opuszahl
Hör mein Bitten Hymne
1844
Später op. 70, 7
Denn er hat seinen Engeln
(a cappella) (1846 mit Orchesterbegleitung Nr.7 im Elias)
1844
Psalm 100:
Jauchzet dem Herren
1843/46
Op. 79
Sechs Sprüche
(einige Anlässe im Kirchenjahr)
1844/45
Op. 65
EV 1845
6 Orgelsonaten
(mit mehreren Choralzitaten)
1844/45
Op. 64
Violinkonzert e-moll, nicht zu Lebzeiten veröffentlicht
1845
Op. 66 EV 1846
Klavier Trio Nr. 2 c-moll
(im Finale Choralzitat: „Vor Deinen Thron tret ich hiermit“!)
1845
Op. 115
EV ~1870
Zwei Chöre:
1. Beati mortui 2. Periti autem - f. Männerchor
1845/46
Op. 73
EV 1849
Lauda Sion
für Fronleichnamfest in Lüttich
1846
Op. 70
EV 1847
Elias
UA (26.8.) in Birmingham mit engl. Text
1847
Op. 69
EV 1847, 1848 (deutsch)
3 Motetten für Chor : Herr nun lässest du - Jauchzet dem Herrn - Mein Herz erhebet Gott
1846/47
Op. 97
EV 1852
Entwürfe zu
„Christus“
(s. „Christus“) 1852 UA des Fragments wahrscheinlich in Birmingham, danach EA 1853 Wien und 1854 Leipzig im Rahmen von ‚in memoria’ Konzerten
1847
Op. 80 EV 1852
Streichquartett f-moll
Plötzlicher Tot der Schwester Fanny, die Trauer kommt mit diesem Werk deutlich zum Ausdruck
1847
4. November in Leipzig gestorben
Es ist mein Anliegen zu zeigen, dass sowohl die Paulusvertonung auf den zuvor komponierten Choralkantaten aufbauen und entsprechend die Komposition des Lobgesang (mit überwiegend Psalmzitaten) eingebettet ist in Psalmkantaten. So besteht für mich kein Zweifel, dass der Charakter beider Oratorien jeweils eine Folge der zuvor entstandenen Werke ist.
1. Einleitung zum Musikteil
Zu Beginn meiner Betrachtung der geistlichen Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy scheint mir folgendes wichtig. Die Eltern haben ihre Kinder 1816 christlich taufen lassen, Felix war gerade 7 Jahre alt. Und weil bereits früh die außerordentliche musikalische Begabung der vier Jahre älteren Schwester Fanny und von Felix aufgefallen war, haben die Eltern eine Ausbildung dieser Anlagen bewusst in eine „protestantische“ Richtung gebracht. Sie meldeten die beiden Kinder 1819/20 bei Carl Friedrich Zelter und dessen Singakademie an. Man wusste, dass dort ältere Musik besonders Bach und Händel, überhaupt Musik im stile antico, gepflegt wurde.
Eine zweite Person, zu dem der Kontakt ebenfalls von seiner Familie gesteuert wurde, war für Felix dann Johann Nepomuk Schelble, der in Frankfurt/ Main wirkte. Letzterer hatte dort den Cäcilien-Verein gegründet, in dem besonders ältere Musik der Italiener gepflegt wurde. Die dort vermittelten Erkenntnisse sollten auch Felix’ Bildungshorizont (1. Kontakt 1822) erweitern. Es zeigt sich später, dass diese Kontakte (Zelter und Schelble) ganz wesentlichen Anteil an Felix’ weiterer Entwicklung zu Musik auf geistliche Texte hatten (s. auch Paulus Vorspann).