Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die in diesem Band enthaltenen Beiträge zum Vaticanum II sind von Zeitzeugen der damaligen Ereignisse verfasst. Für sie, deren jugendliche Wahrnehmung es beeindruckt und deren Bild und Hoffnung von Kirche es geformt hat, ist die Wirkungsgeschichte auch heute noch nicht abgeschlossen, die Hoffnungen nicht abgegolten und manchmal die Frage bedrückend, was von den Impulsen geblieben ist. Eine spannende Lektüre für alle, die dem Konzil verpflichet sind.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 402
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Generation Konzil –Zeitzeugen berichten
Herausgegeben von Konrad Hilpert
Gefördert durch Mittel des Zentrums Seniorenstudium der Ludwig-Maximilians-Universität München
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
ISBN (E-Book) 978-3-451-80065-8
ISBN (Buch) 978-3-451-30916-8
Inhalt
VorwortKonrad Hilpert
Die Kernaussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine Einführung in das „Weltereignis Konzil“Peter Hünermann
Das Konzil und die MedienHans Wagner
Im Grunde nichts Neues? Was hat das Konzil mit der Kirche gemacht?Franz-Josef Nocke
Ökumene – eine Utopie?Helmut Krätzl
Das Zweite Vatikanische Konzil: Ordensleben und Spiritualität. Wende zum Ursprung – Wende zum Heute, zur ZukunftOdilo Lechner
Die Kirche verkümmert, wenn sie keine Visionen hat. Warum die Gemeinde „vor Ort“ bleiben mussEhrenfried Schulz
Hat sich für Ehe und Familie durch das Zweite Vatikanische Konzil etwas geändert?Johannes Gründel
Kirche und Politik im Fokus des Zweiten Vatikanischen KonzilsAlois Baumgartner
Das Konzil und die FrauenRita Süssmuth
Kirche wohin? – 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen KonzilLeo Karrer
Karl Rahner in München und beim KonzilJörg Splett
„Unerschrocken in die Zukunft schauen“ (Johannes XXIII.). Impulse des Konzils für Wege aus der KriseOtto Hermann Pesch
Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils
Autorenverzeichnis
Personenregister
Die in diesem Band enthaltenen Beiträge sind dem Zweiten Vatikanischen Konzil gewidmet, das vor 50 Jahren am 11. Oktober 1962 feierlich eröffnet und nach vier Sitzungsperioden im Dezember 1965 abgeschlossen wurde. Es war ein Großereignis der katholischen Kirche, wohl das wichtigste in den letzten 100 oder sogar 150 Jahren, initiiert von einem mutigen Papst, dem das niemand zugetraut hatte. Es war getragen vom Bemühen, dass die katholische Kirche sich von neuem vergewissern wollte, was ihre genuine Aufgabe in der Gegenwart und für die in ihr lebenden Menschen ist, die ja nicht alle Katholiken und nicht einmal alle Christusgläubige sind. Wie immer man die Ergebnisse dieses Bemühens aus heutiger Sicht beurteilen mag, so steht außer Frage, dass es in allen Beratungen um vier zentrale Anliegen ging: nämlich 1. um die Rückbesinnung und den Versuch der Wiedergewinnung der ursprünglichen Quellen, 2. um den Willen zur Wahrhaftigkeit des kirchlichen Handelns, Feierns und Sprechens, und 3. um die Bereitschaft, das Viele, was sich im Laufe der letzten Jahrhunderte angesammelt hat, daraufhin zu überprüfen, ob und inwieweit es transparent ist auf das Evangelium. Denn Kirche sieht sich 4. unter dem Auftrag, Zeichen des Heils für alle Menschen zu sein.
Ein Konzil will nie bloß ein Großereignis für den aktuellen Augenblick sein, sondern es möchte auch nachhaltig wirken. Und deshalb will auch dieses Buch nicht einfach nur der Erinnerung dienen. Vielmehr geht es auch darum, das Großereignis Konzil und die damit aufgebrochenen Fragestellungen gegenwärtig werden zu lassen und der Überlegung Raum zu geben, was es für die Gegenwart bedeutet. Das ist wichtig für die Jüngeren wie für die Älteren. Für die Jüngeren, selbst für die, die jetzt Theologie studieren, liegt das Zweite Vatikanische Konzil unendlich weit zurück, in der „Vorzeit“, als sie selbst noch gar nicht geboren waren. Und für die Älteren, deren jugendliche Wahrnehmung es einst beeindruckt und deren Bild und Hoffnung von Kirche es geformt hat, ist die Wirkungsgeschichte bei weitem noch nicht abgeschlossen, die Hoffnungen nicht abgegolten und manchmal die Frage bedrückend, was von den Impulsen und Absichten von damals geblieben ist. Die Beschäftigung mit dem Vaticanum II ist also so oder so mit der Frage verbunden, wohin der Weg der katholischen Kirche (und vielleicht sogar der des Christentums und der Religion insgesamt) geht.
Man kann in einem solchen Sammelband diese Fragen natürlich weder abschließend klären noch entscheiden. Aber man kann darüber zusammen mit solchen nachdenken, die dieses Ereignis Konzil, die mit ihm verbundenen Aufbrüche, die Umsetzung, vielleicht aber auch manche Irritation und Ernüchterung beobachtet haben und sachkundig beurteilen können. Sie waren Augenzeugen des Geschehens und als Akteure selber in die Entwicklungen verwickelt; deshalb sind ihre Lebenserfahrungen, persönlichen Erinnerungen, sicher auch Deutungen und Systematisierungen von besonderem Wert.
Ursprünglich wurden die Beiträge als öffentliche Vorträge innerhalb einer Vorlesungsreihe, die gemeinsam von der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München und dem Seniorenstudium getragen wurde, im Wintersemester 2012/13 gehalten. Es hat den Herausgeber besonders gefreut, dass er bei seinen Referentenanfragen für diesen Vorlesungszyklus überall auf Interesse und Bereitschaft gestoßen ist. Es gab nicht eine Absage. Dafür ist der Herausgeber den Autoren und Autorinnen sehr dankbar, denn es zeigt, welche Bedeutung diesem Ereignis in den aktuellen Entwicklungen von Kirche, Glaube und Religion zugemessen wird. Der Wunsch, diese Vorträge auch als Buch zur Verfügung zu haben, wurde aus dem großen Kreis der Zuhörer geäußert. Diese haben sich an den Diskussionen lebhaft beteiligt. Das Vorgetragene war für sie Anlass zur Erinnerung, aber vielfach auch Anstoß, sich der Situation der Kirche heute zu vergewissern. Möge auch die gedruckte Fassung die Wahrnehmung, die Reflexion und das Suchen nach Perspektiven für die Zukunft anregen.
Besonderer Dank gilt dem Zentrum Seniorenstudium der LMU für die Unterstützung bei der Durchführung und Dokumentation der Vortragsreihe sowie für einen Druckkostenzuschuss.
München, im Juli 2013
Konrad Hilpert
Peter Hünermann
Was berechtigt uns, vom „Weltereignis Konzil“ zu reden? Dieses Konzil, 1962 begonnen, 1965 beendet, nimmt in der Reihe der Konzilien einen besonderen Platz ein. Die neuere Konzilienforschung hat Gruppen von Konzilien bestimmt, die sich durch Aufgabenstellung, Verfahren und Ergebnisse unterscheiden. Die Konzilien der Patristik von Nikaia 325 bis zum 2. Konzil von Nikaia 787 bilden so eine erste Einheit, zusammen gehalten durch die christologische Problematik bis hin zum Bilderstreit am Beginn des Mittelalters. Es gibt die große Reihe der mittelalterlichen Konzilien bis hin zu Trient, in denen es wesentlich immer wieder um die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern geht. Diese Linie kommt zu einem unvollendeten Abschluss im Vaticanum I: Das Konzil führt an die Schwelle der Moderne und schließt zugleich in den beiden dogmatischen Konstitutionen ebenso die voraufgehende Periode ab, wie sich bereits eine neue Fragestellung in Bezug auf die Positionsbestimmung des Glaubens und der Kirche in der Moderne abzeichnet.1
Die Aufgabenstellung, die Johannes XXIII. dem Konzil vorgegeben hat, ist anderer Art. In der Eröffnungsrede Gaudet Mater Ecclesia, mit der Johannes XXIII. die erste Sitzung des Konzils eröffnet, charakterisiert er den Anlass des Konzils: „Die Menschheit tritt in eine neue Zeit ein“. Er spricht von einer neuen Epoche der Menschheit. Diese neue Epoche verlangt eine Neupositionierung der Kirche in der Welt von heute. Der Papst spricht deswegen von einem „pastoralen Konzil“, wobei zu beachten ist, dass das Wort „pastoral“ in einem engen Sinn gebraucht werden kann, nämlich als Reflexion auf konkrete seelsorgliche Maßnahmen, die zu treffen sind. Dagegen gebraucht Johannes XXIII. dieses Wort in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle im allgemeinen, weiten Sinne, um das Wirken und die Sendung der Kirche im Blick auf die geschichtliche Situation, im Hinblick auf die heutigen Menschen zu bezeichnen.2 In Bezug auf die neue Epoche und diese generelle pastorale Zuwendung der Kirche, die den einzelnen Gläubigen ebenso fordert wie die Bischöfe, Ordensleute und Priester, spricht er von der Notwendigkeit eines Aggiornamento. So heißt es in der zitierten Eröffnungsansprache:
„Heute ist es wahrhaftig nötig, dass die gesamte christliche Lehre ohne Abstrich in der heutigen Zeit durch ein neues Bemühen angenommen werde … Ja, diese sichere und beständige Lehre, der gläubig zu gehorchen ist, muss so erforscht und ausgelegt werden, wie unsere Zeit es verlangt … Wie es einem Lehramt entspricht, dessen Wesen vorwiegend pastoral ist“3.
Vorausgesetzt ist in diesem Programm eine tiefe Glaubensüberzeugung:
„In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche diese Menschheit in eine Neuordnung einzutreten scheint, muss man … einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen. Dieser verfolgt mit dem Ablauf der Zeiten durch die Werke der Menschen und meistens über ihre Erwartung hinaus sein eigenes Ziel, und alles, auch die entgegen gesetzten menschlichen Interessen, lenkt er weise zum Heil der Kirche“4.
Deswegen ist Johannes XXIII. „völlig anderer Meinung als diese Unglückspropheten, die immer Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde“5.
Wie haben die Konzilsväter, wie hat die römische Kurie die Bestimmung dieses Konzils und die Vorgaben Johannes XXIII. aufgegriffen? Die puren Fakten sprechen eine sehr deutliche Sprache: Die Vorgabe vom pastoralen Konzil, die Johannes XXIII. nicht nur in der Eröffnungsrede, sondern bei zahlreichen Stellungnahmen vorher bereits charakterisiert hatte, wird von der Kurie interpretiert im Sinn einer engen Auslegung des Wortes „pastoral“. Dies zeigt sich deutlich an der Organisation der vorkonziliaren Kommissionen, die der Kardinalstaatssekretär Domenico Tardini einrichtete. Die vorbereitenden Kommissionen werden gegliedert in eine theologische Kommission unter Vorsitz von Kardinal Alfredo Ottaviani vom Heiligen Offizium, der heutigen Glaubenskongregation, der Rest untersteht jeweils einem Kurienkardinal entsprechend der Gliederung der Kurie. Diese Kongregationen sind zuständig für die Bischöfe, den Klerus, die Religiosen, die Mission, die Riten etc., dazu kommt das Sekretariat für die Laien. Sie haben die pastoralen Fragen zu behandeln, mit denen sie sowieso beschäftigt sind. Lediglich der Kommission von Kardinal Ottaviani, dem Präfekten des Heiligen Offizium, obliegt die Behandlung der Fragen der Glaubenslehre.
Es ist wirklich kein Wunder, dass die vorbereiteten Schemata, 76 an der Zahl, nahezu alle von den Konzilsvätern verworfen bzw. lediglich als „Steinbrüche“ für neue Texte Verwendung finden.
Wie haben die Konzilsväter die Aufgabe des Konzils verstanden und umzusetzen versucht? Die Konzilsväter haben unter Rückgriff auf die Schrift, die Patristik, das Mittelalter und auch die neuzeitlichen Lehraussagen das bisherige Verständnis der Glaubenslehre wie das Verständnis der Kirche, ihrer Lebensformen, einer grundlegenden Revision unterzogen. Dies lässt sich deutlich an der Arbeitsweise des Konzils ablesen: Die Zahl der Verweise auf Schriftstellen des Neuen und Alten Testaments übersteigt bei weitem die Zahl der Zitate in allen früheren Konzilien zusammen genommen. Die patristischen Aussagen des ersten Jahrtausends werden in einer neuen Weise aufgenommen und einbezogen. Ähnliches gilt für die Einordnung von mittelalterlichen Texten und Texten des Trienter Konzils in diese neue Gesamtsicht des Glaubens. Zugleich wird in der Bearbeitung der eingereichten Verbesserungsvorschläge für die sechzehn erarbeiteten Konzilsdokumente deutlich, wie bei der Begründung von Ablehnungen oder Annahmen von eingereichten Verbesserungsvorschlägen, nach dem damaligen, allgemeinen Stand der exegetischen Forschungen, gewisse Bedeutungen der Schrifttexte abgelehnt oder differenziert werden etc.
Dieses Faktum, dass in einer neuen Weise von den Glaubenswahrheiten gesprochen wird, zeigt sich nicht zuletzt darin, wie frühere lehramtliche Aussagen etwa des Trienter Konzils oder des Vaticanum I deutlich sichtbar in einen anderen Gesamtzusammenhang gestellt werden, so dass sie von daher einen anderen Ort haben und in einen veränderten Bewandtniszusammenhang gehören. Ein Beispiel: Das Konzil von Trient behandelt – in Abwehr der unterschiedlichen Aussagen der Reformatoren – die Lehre von der Eucharistie in getrennten Dekreten: Im Dekret über das Sakrament der Eucharistie (Denzinger-Hünermann 1635–1661), in der „Lehre und Kanones über die Kommunion unter beiderlei Gestalten und die Kommunion der kleinen Kinder“ (Denzinger-Hünermann 1725–1734) sowie in der „Lehre und Kanones über das Messopfer“ (Denzinger-Hünermann 1738–1760). Ziel ist die einzelne Verteidigung und Bekräftigung katholischer Positionen. Das Vaticanum II behandelt dagegen die Feier der Eucharistie im Rahmen eines theologischen Liturgieverständnisses als das Fundament und den Höhepunkt des Mysteriums der Liturgie, in dem die Kirche das Mysterium paschale des Herrn mitvollzieht.
Es wird in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils sicherlich auch sichtbar, wie man versucht hat, bei den Texten eine möglichst große Zustimmung bei den Abstimmungen zu erreichen. Aber man sollte hier nicht einfach von kontradiktorischen Gegensätzen gegenüber früheren Lehrsätzen sprechen. Es ist ja nicht, und es kann nicht Aufgabe eines Konzils sein, die ganze theologische Vermittlungsarbeit zwischen neuen Formulierungen und alten Formeln im Einzelnen durchzuführen und so Differenzen nach allen Seiten befriedigend zu vermitteln. Es ist an den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils selbst aber deutlich ablesbar, dass die zitierten Definitionen oder Hinweise auf Trient oder das Vaticanum I dem Gesamtkontext nicht vorgeordnet werden, sondern dass diese früheren Texte dahinein einzuordnen sind. Wenn Erzbischof Lefebvre und die Piusbruderschaft, wenn traditionalistisch gesonnene Kreise in der Kirche behaupten, von den Dogmatisierungen in Trient her seien die Aussagen in Unitatis redintegratio unterzuordnen, ja abzulehnen, dann übersehen sie völlig, dass die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils bei aller Achtung vor Trient zugleich ausdrücklich sagen, dass auf Grund der veränderten geschichtlichen Verhältnisse heute anders von und mit den evangelischen Christen zu reden ist, weil von ihnen nicht gesagt werden kann, dass sie schuldig am Schisma seien. Sie sind ja vielmehr in den evangelischen Kirchen, in den reformierten Kirchengemeinschaften groß geworden. Sie haben das Verlangen nach Einheit, und auf Grund dessen steht im Mittelpunkt die dringende Aufgabe, im Dialog miteinander die noch bestehenden Differenzen zu klären und aufzuarbeiten. Folgte man der Hermeneutik Lefebvres und traditionalistischer fundamentalistischer Kreise in der katholischen Kirche heute, dann gäbe es in alle Ewigkeit keine Möglichkeit, dass wir je wieder zueinander fänden und unsere kirchliche Einheit besiegelten.
Ich habe deswegen in einer Analyse der Konstitutionen des Vaticanum II insgesamt festgestellt, dass es sich hier um Texte mit einem neuen Charakter von Verbindlichkeit handelt: Es sind keine Dogmen, aber gleichwohl verbindliche Texte.6 Ich habe sie als „konstitutionelle Texte“ bezeichnet, weil sie die geistliche Verfassung charakterisieren, in der die Gläubigen, die Kirche in der heutigen Zeit, in der Epoche der Moderne den Glauben zu bezeugen und entsprechende Lebensformen kirchlicher Art auszubilden haben. Es ist von daher wirklich berechtigt, vom „Weltereignis Konzil“ zu sprechen, weil hier – für katholische Christen und darüber hinaus für viele Christen und angesichts der Weltöffentlichkeit – in einer neuen Weise das Evangelium zur Sprache gebracht worden ist. Damit aber werden zugleich wesentliche öffentliche Positionsbestimmungen der Kirche in Bezug auf die menschliche Gesellschaft in ihren mannigfachen Formen vorgenommen.7
Wir kommen damit zum zweiten Teil unserer Darlegungen.
Ich gliedere diese Antwort in zwei Abschnitte: Im ersten Abschnitt geht es um vier neue öffentliche Positionsbestimmungen des Glaubens und der Kirche angesichts der kirchlichen Glaubens- und Praxisgeschichte. Im zweiten Teil möchte ich einige Züge der neuen Rede von Gott, vom Menschen, von der Kirche, von den Sakramenten, der Liturgie, der Pastoral und der Diakonie erläutern.
Ich gehe aus vom Dekret über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae. Dass dieses Dekret trotz seiner Kürze im Konzil keine Beiläufigkeit darstellt, sondern hier eine grundsätzlich neue öffentliche Positionsbestimmung der Kirche und ihrer Botschaft stattgefunden hat, war sehr deutlich abzulesen an den Stimmen in der Weltöffentlichkeit anlässlich der Aufhebung der Exkommunikation für die vier Bischöfe der Piusbruderschaft. Schien damit doch in Frage gestellt, dass die Kirche mit dem Judentum in einen Dialog getreten ist und dass sie ebenso mit den anderen großen Religionen ein Gespräch angefangen hat. In der Weltöffentlichkeit hatte man Dignitatis humanae als eine verbindliche öffentliche Positionierung verstanden. Sollte das in Frage gestellt werden? Damit wäre der öffentliche Status der Kirche verändert.
Dass zugleich mit dieser Erklärung Abschied genommen wird von einer fast 1700-jährigen Geschichte, die tiefe Spuren in der Lehre und in der Praxis hinterlassen hat, war vielen in dieser Situation gar nicht klar bewusst.
Nur wenige Hinweise: Staatskirchentum, in seinen zahlreichen Spielarten, war für Glauben und Leben der Kirche nicht einfach etwas Äußerliches, sondern hat das Glaubensverständnis und die Lebensform der Kirche in der Vergangenheit mitgeprägt. Das Staatskirchentum zieht sich hin von Konstantin bis zum Ausklang des Franco-Regimes. Von der grundlegenden Identifikation von Ordnungen des Glaubens und der Kirche mit staatlichen oder imperialen öffentlichen Rechtsordnungen rührt das Verständnis von Glaubenssätzen als Rechtssätzen her, die strafbewehrt sind. Die ausgrenzende und abgrenzende Definition des Glaubens zeigt sich dann in den unterschiedlichen Spielarten von verwaltungsmäßigen Maßnahmen bis hin zur Machtpolitik, Kämpfen gegen andere Religionen etc. Charakteristiken des neuen Profils, das die Kirche sich durch die Anerkennung der Religionsfreiheit gibt, zeigen sich nicht nur in Nostra aetate, der Erklärung zur Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Auch das Konzept der christlichen Mission hat sich dadurch tiefgehend verändert, wie es im Missionsdekret Ad gentes zutage tritt. Das Amtsverständnis war tief vom Staatskirchentum geprägt, das zeigt sich etwa an der seit dem Mittelalter geläufigen Erklärung, dass es grundsätzlich zwei Weisen von Ständen in der Kirche gäbe: den Stand des Klerus und das Volk Gottes, das grundsätzlich zu gehorchen habe. Die Kirche sei eine Gesellschaft von Ungleichen. So noch im vorbereiteten Entwurf zur Kirchenkonstitution der Ottaviani-Kommission. Die Subjekthaftigkeit des Volkes Gottes wird grundsätzlich bestritten.
Eine zweite neue Positionsbestimmung: Die Kirche nimmt auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil Abschied von rund 1000 Jahren Spaltung in Ost- und Westkirche, so in dem Dekret über die Ostkirchen, Orientalium Ecclesiarum 14–18, und über Unitatis redintegratio 13–17. Das bedeutet den Abschied von der ruhigen Hinnahme dieses Schismas. Im Westen hatte sich eine monokulturelle Kirche ausgebildet, die für ihre monokulturelle Gestalt universale Gültigkeit einforderte. Von der Wende zum 12. Jahrhundert ab, wird bis in die Zeit der Gegenreformation hinein von vielen Theologen und von nahezu allen Kanonisten gelehrt, dass Jesus Petrus exklusiv zum Bischof geweiht habe. Mt 16,16–198 habe die Ankündigung stattgefunden und Joh 21,15–199 der Vollzug. Erst von Petrus hätten die anderen Apostel gleichfalls die Bischofsweihe empfangen. Bis zum Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils, bis zu Pius XII. hält sich die Lehre durch, dass die Bischöfe vom Papst her ihre Jurisdiktion empfangen. Erst das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, dass den Bischöfen mit der Bischofskonsekration auch die grundlegende Vollmacht der Leitung der Kirche übertragen wird. Der Papst hat lediglich die Aufgabe, Abgrenzungen zwischen den Bischöfen und der Ausübung ihrer Leitungsvollmachten zu überwachen und zu regulieren.
Diese Form der Monokulturalität lässt in den wenigen Begegnungen mit der Ostkirche die Forderung entstehen, die Ostkirche müsse die Eschatologie und die Sakramentenlehre der Westkirche übernehmen, ebenso die in der lateinischen Form herausgebildete Verfassungsform des Primats. Dagegen wird in den Texten des Vaticanum II ausdrücklich bestätigt, dass die orthodoxen Kirchen ihren Ursprung zum Teil von den Aposteln selbst her nehmen. Dass sie einen Schatz haben, aus dem die Kirche des Westens in liturgischen Dingen, in der geistlichen Überlieferung und in der rechtlichen Ordnung vieles entnommen hat. Es wird das Prinzip aufgestellt: „Das von den Aposteln überlieferte Erbe aber wurde in verschiedenen Formen und Weisen angenommen und daher von den ersten Anfängen der Kirche selbst an hier und dort verschiedenartig ausgelegt, auch wegen der Verschiedenheit der Sinnesarten und der Lebensbedingungen“. Von hier aus wird ausdrücklich die Notwendigkeit einer Pluralität in der Kirche bejaht, eine Pluralität von Ausdrucksformen des Glaubens und des kirchlichen Lebens begründet. Dies ist eine grundsätzliche Entscheidung im Blick auf die heutige Situation der Kirche in Asien, Afrika, Nord- und Südamerika und ihre unterschiedlichen Großkulturen.
Es wird drittens auf dem Konzil Abschied genommen von 500 Jahren der Spaltung von Katholiken und Protestanten. Damit verabschiedet man das Konzept der Konfessionskirche, das sich daraus ergibt, dass die jeweiligen kontroversen Punkte der Lehre hochstilisiert und zu den Grundlagen der eigenen Identitätsbestimmung und der Systematisierungsbestrebungen werden, so dass ein Bild des Glaubensverständnisses und der christlichen bzw. kirchlichen Lebensformen präsentiert wird, das ganz von den Gegensatzpunkten her orientiert ist. So wird etwa seit Trient in der katholischen Theologie vom allgemeinen Priestertum des Volkes Gottes nicht mehr gesprochen, im Verständnis des Amtes werden einige wenige Aspekte als die entscheidenden eingestuft. Das entscheidende Signal für den Aufbruch besteht nicht nur darin, dass von Schuld an der Trennung auf beiden Seiten gesprochen wird. Die wesentliche Aussage in Bezug auf die gegenwärtige Situation lautet: „Die aber jetzt in solchen Gemeinschaften geboren und mit dem Glauben an Christus erfüllt werden, können nicht wegen der Sünde der Trennung angeklagt werden und die katholische Kirche umfängt sie mit brüderlicher Ehrfurcht und Liebe“. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass der Geist Christi sich „nicht weigert“, die getrennten Kirchen und Gemeinschaften „als Mittel des Heils“ zu gebrauchen. Damit ist im Prinzip der Konfessionskirche und der Konfessionalisierung des Glaubensverständnisses im oben charakterisierten Sinn eine prinzipielle Absage erteilt. Es wird das gesamte Volk Gottes, die Angehörigen der katholischen Kirche wie der anderen Kirchen, aufgefordert, „am ökumenischen Werk erfinderisch teilzunehmen“10.
Schließlich werden die Aussagen des Vaticanum I in einen neuen Kontext gestellt und erfahren damit eine andere Verortung, eine wichtige Neuinterpretation. Wie geschieht dies?
In der Glaubenskonstitution des Vaticanum I werden die vernünftige natürliche Erkenntnisordnung und die Erkenntnisordnung des Glaubens, die sich auf die Offenbarung stützt – hier liegen die Aussagen des Thomas von Aquin zugrunde –, so verstanden, dass beide Erkenntnisordnungen gleichsam nebeneinander liegen und etwa so zu unterscheiden sind, wie sinnliche und rationale Erkenntnis. So erklären sich etwa die lehramtlichen Erklärungen der Bibelkommission am Beginn des 20. Jahrhunderts, so erklären sich viele Aussagen in den Modernismusstreitigkeiten. Erst Gaudium et spes hat von der wechselseitigen Durchdringung, der Perichorese, beider Ordnungen gesprochen, und Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika Fides et ratio die innere Durchdringung und den wesentlichen Wechselbezug von Denken und Glauben thematisiert.
Etwas Ähnliches gilt im Blick auf die Aussagen in der Konstitution des Vaticanum I Pastor aeternus. Das Vaticanum I begründet die kirchliche Autorität durch die Offenbarung. Es setzt bei der höchsten Autorität in der Kirche an, bei Petrus und seinen Nachfolgern, und definiert den Jurisdiktionsprimat und das diesem Jurisdiktionsprimat entsprechende Magisterium des Papstes. Dies wird der Neubegründung der öffentlichen Autorität aus der Selbstbestimmung des Menschen bzw. des Staatsvolkes entgegengesetzt. Das Zweite Vatikanische Konzil zitiert das Vaticanum I, ordnet aber dem Primat die Kollegialität der Bischöfe zu. Jurisdiktionsprimat kann ja sehr Verschiedenes bedeuten, es heißt nicht, dass dem Papst die alleinige Regelungskompetenz zukommt, ohne Beachtung und konstitutive Einbeziehung des Kollegiums der Bischöfe und ohne die Beachtung des Volkes Gottes und der ihm von Christus her zuerkannten, vom Heiligen Geist begründeten freiheitlichen Würde. (Ich halte die Einführung des außerordentlichen Ritus ohne Konsultation des Bischofskollegiums für eine Verletzung des Prinzips der Kollegialität.)
In Bezug auf die Lehrkompetenz wird im Vaticanum II thematisiert, wie sie auszuüben ist, nämlich unter Einbeziehung der unterschiedlichsten Instanzen, in denen die Glaubensbezeugung gegeben ist: die sogenannten Loci theologici, auf die alle kirchliche Autorität in der Verkündigung und in der Lehre angewiesen sind.
Fazit: Es ergibt sich von diesen vier neuen Positionsbestimmungen her, wie die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils, gestützt auf das heutige Verständnis der neu- und alttestamentlichen Schriften wie auf Grund einer sorgfältigen Einbeziehung der patristischen, mittelalterlichen, aber auch der neuzeitlichen Entwicklung, die bisherige kirchliche Glaubens- und Lehrgeschichte einer kritischen Revision unterzogen und so ein Aggiornamento erzielt haben. Es waltet hier durchaus eine Kontinuität, aber es findet zugleich auch eine sehr tiefgreifende Revision und Reform statt. Zu dieser neuen öffentlichen Positionsbestimmung kommt eine neue, noch tiefer greifende Revision der zentralen Glaubensinhalte und der Sprache, von diesen zentralen Glaubensinhalten zu reden.
Wenn man von einer neuen Weise des Redens von Gott spricht, erwartet man, dass neue Worte, neue Formeln, neue Sprachwendungen auftauchen. Liest man die einschlägigen Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils, so ist man enttäuscht, dass solche neuen Worte, neue Formeln, neue sprachliche Wendungen nicht zu finden sind. Und doch hat sich das „Wie“ des Redens von Gott grundlegend gewandelt. Es ist auf neue Weise biblisch geworden. Wo und wie zeigt sie dies? Ich zeige dies zunächst an einem Beispiel auf. Die neue Weise, von Gott zu sprechen, erweist sich sehr deutlich in den ersten Nummern der Konstitution Dei Verbum über die Offenbarung Gottes. Dort heißt es (DV 2,1): „Es hat Gott in seiner Güte und Weisheit gefallen, sich selbst zu offenbaren und das heilige Geheimnis seines Willens bekannt zu machen (vgl. Eph 1,9), durch das die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und der göttlichen Natur teilhaftig gemacht werden (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4)“. Gott habe durch das Wort alles geschaffen und er gebe in den geschaffenen Dingen ein ständiges Zeugnis von sich. Er habe sich den Ureltern von Anfang an „selbst kundgetan“. Gott habe auch nach dem Sündenfall für die Menschen Sorge getragen, zu ihnen gesprochen, zuletzt durch seinen Sohn, „damit er unter den Menschen wohne und ihnen das Innerste Gottes auslege“11. Hier wird Gott von vornherein als jener charakterisiert, der die Menschen von Anfang ihrer Geschichte an anredet. Dieses Ansprechen des Menschen wird im Licht des Neuen Testaments als ein Ansprechen durch sein ureigenstes Wort gekennzeichnet. Gott schafft nicht nur die Welt durch sein Wort, das heißt in seinem Sich-Selbst-Mitteilen, er ist zugleich auch der, der den Menschen anspricht. Und dies gilt für die ganze Geschichte der Menschheit, dies gilt für alle Menschen. Wie geschieht dies?
„Durch diese Offenbarung redet also der unsichtbare Gott (…) aus dem Übermaß seiner Liebe die Menschen als Freunde an (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14–15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie zur Gemeinschaft mit sich einzuladen und in sie aufzunehmen. Dieses Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Taten und Worten, die inwendig miteinander verknüpft sind … Die innerste durch diese Offenbarung sowohl über Gott als auch über das Heil des Menschen (gegebene) Wahrheit aber leuchtet uns in Christus auf, der zugleich als Mittler und als Fülle der ganzen Offenbarung hervortritt“.
Hier wird ausdrücklich auf Texte aus dem Alten Testament verwiesen.
Das bedeutet aber doch, dass hier in der gesamten Menschheitsgeschichte – durchaus überdeckt von der Sünde als Verweigerung, auf das Wort Gottes zu hören und vermittelt durch die unterschiedlich und langsam sich ausprägenden vernünftigen Verstehens- und Denkformen des Menschen – Gottes Selbstmitteilung erfolgt. Das heißt, der Mensch wird angesprochen durch das Wort Gottes selbst und kraft des Geistes Gottes. Dieses Wort, das von jenseits seiner Potenz zum Sprechen auf ihn zukommt, kann er hören und im Glauben beantworten.
Wie kann das sein? Wir sehen und hören doch nur weltliche Dinge. Die Antwort: In den mannigfachen Worten und Zeichen, in den Ereignissen der Heilsgeschichte, kommt „das in ihnen enthaltene Mysterium ans Licht“. Zuhöchst aber leuchtet die Wahrheit dieser Offenbarung auf „in Christus“, der „zugleich als Mittler und als Fülle der ganzen Offenbarung hervortritt“. Das Wort, mit dem Gott die Menschen anredet, das Wort, das den Menschen in die Gemeinschaft mit Gott hineinführt, die sein Heil ist, ist und bleibt Mysterium. Es leuchtet auf sowohl in den Worten, Ereignissen etc. von Anfang der Schöpfung und der Menschheitsgeschichte an wie durch Jesus Christus selbst.
Man versteht von dieser neuen Weise, von Gott zu sprechen, her, warum die Väter des Vaticanum II mit großer Mehrheit dem Dekret Nostra aetate zugestimmt haben, über das Verhalten der Kirche zu den anderen Religionen, und warum sie dem Dekret über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae zugestimmt haben – die theologische Begründung liegt im Wesentlichen hier bereits in den ersten Nummern von Dei Verbum vor, in denen von der Offenbarung Gottes selbst gehandelt wird. Diese Art, von Gott zu sprechen, ist weiß Gott eine andere Weise, als die, wie sie die Theologie und Katechese vom Mittelalter ab gewohnt waren. Dort war zunächst von dem einen Gott die Rede, den man in vernünftiger Weise erkennen kann, von dem dann in einem mühseligen Ergänzungsprozess aufgezeigt wurde, dass Gott in sich – nach den Texten des Neuen Testamentes und der frühen Patristik, also auf Grund der Offenbarung – als dreifaltiger zu denken ist. Die Rede von dem einen Gott wurde über Jahrhunderte hin als philosophische Rede verstanden. Am Anfang standen Gottesbeweise. Der Polytheismus wurde philosophisch-argumentativ zurückgewiesen. Der eine Gott – das höchste Seiende – aber musste mit Eigenschaften ausgestattet gedacht werden, die reine Vollkommenheiten bedeuteten, dem reinen, alles umfassenden Wissen und dem alles vermögenden Wollen.
Dies war die Standardargumentation vom Hochmittelalter ab bis zu Leibniz und Wolff.
Daran schloss sich der Traktat von Gott, dem Dreifaltigen an. Dies war dann die eigentliche theologische Gottesrede. Sie handelte vom Geheimnis Gottes, dessen Wort Fleisch wird und den Glaubenden den Heiligen Geist sendet.
Das Vaticanum II hingegen spricht in Dei Verbum (DV 2–4) von Anfang an vom Mysterium des sich selbst mitteilenden, des sich offenbarenden Gottes und versteht von daher den Menschen von vornherein als den von Gott ins Dasein gerufenen und von Gott selbst in der Geschichte angesprochenen Menschen. Er ist von Anbeginn an in die Gemeinschaft mit Gott selbst berufen. Zugleich ist der Mensch aber auch jener, der sich der Anrede Gottes entziehen kann. Er kann sich diesem ihm schlechthin vorausgehenden Gott, sich seinem alles erst freisetzenden Wort verweigern, und nicht an ihn glauben, seine Gemeinschaft verweigern. Er kann sündigen und er sündigt faktisch.
Das Vaticanum II fasst dieses Verhältnis mit dem Wort mysterium oder sacramentum. Dieses Wort, ursprünglich im hellenistisch religiösen und philosophischen Sprechen verankert, wird von späten Büchern des Alten Testaments übernommen12 und bezeichnet in den Evangelien das Geheimnis der Herrschaft Gottes13. Für Paulus ist das Mysterium Gottes Jesus Christus und sein Evangelium14. Viel gebraucht in der Patristik, wird der Begriff vom Hochmittelalter an in der lateinischen Theologie auf die sieben Sakramente (lat. Übersetzung von griech. mysterion) eingeengt.
Vom 20. Jahrhundert ab gewinnt der theologische Begriff „Mysterium“ – im Kontext transzendentalen Denkens – ein neu akzentuiertes Profil: Die schlechthin vordenkliche Wirklichkeit Gottes, der der Mensch sich mit allem, was er ist, verdankt, ermächtigt ihn zur Sprache, zum freien Sich-Verhalten zur Welt.15 So leuchtet das vordenkliche Wirken Gottes in der Freiheit des Menschen auf, der sich als der von Gott angesprochene, glaubende Mensch vollzieht.16
Dieser Rede von Gott entsprechend wird in den Texten des Vaticanum II der Mensch als jener charakterisiert, der von Gott angesprochen ist. In Gaudium et spes steht im Mittelpunkt des ersten grundlegenden Kapitels der Mensch in seiner unbedingten Würde, die es schlechthin verbietet, ihn in irgendeiner Weise instrumentell zu benutzen. Diese unbedingte Würde, die in der modernen Geistes – und Gesellschaftsreflexion herausgearbeitet worden ist, aber wird in Gaudium et spes aufgegriffen und im Licht des Glaubens zurückgeführt auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen, auf das Faktum, dass er der von Gott in seinem Wort Angesprochene und kraft des Geistes Gottes auf dem Weg in die Gemeinschaft mit Gott Befindliche ist. Von daher entfaltet Gaudium et spes dann im ersten grundsätzlichen Teil die Lehre von der Gemeinschaft der Menschen, die zutiefst in der Gemeinschaft der Menschen mit Gott und untereinander verwurzelt ist und von dorther die ganze Sinnfülle empfängt. Ebenso wird ebenso das menschliche Schaffen und das „Projekt der Moderne“ charakterisiert: Der Mensch ist – bei aller sündhaften Verkehrung und Gefährdung – jener, der Gottes Wirken mitvollziehen soll und kann, wobei ihm zugleich durch diese Verwurzelung in Gottes eigenem Heilsmysterium gewährt ist, der Versuchung zur Ideologiebildung zu widerstehen und durch Absolutsetzungen seiner Kreativität die Schöpfung zu verderben. Der Mensch ist auf Grund der schlechthin zuvorkommenden Zuwendung Gottes selbst ein nicht definierbares Mysterium in der Geschichte. So heißt es GS 40:
„So geht die Kirche, zugleich ‚sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft‘, den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam und erfährt das gleiche irdische Geschick wie die Welt und ist gewissermaßen der Sauerteig und gleichsam die Seele der in Christus zu erneuernden und in die Familie Gottes umzugestaltenden menschlichen Gesellschaft“.
Ebenso wird in einer neuen Weise von den Kirche und ihren Grundvollzügen geredet. Das erste Kapitel von Lumen gentium trägt die Überschrift: „Das Mysterium der Kirche“. Dieses Mysterium wird gleich im ersten Satz angesprochen, mit dem die Constitutio dogmatica de Ecclesia beginnt: „Da Christus das Licht der Völker ist, wünscht diese, im Heiligen Geist versammelte hochheilige Synode dringend, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten“. Dieser Auftakt wird erläutert:
„Der ewige Vater hat nach dem völlig freien und verborgenen Ratschluss seiner Weisheit und Güte die gesamte Welt erschaffen; er hat beschlossen, die Menschen zur Teilnahme am göttlichen Leben zu erheben und als sie in Adam gefallen waren, verließ er sie nicht, indem er ihnen stets Hilfen zum Heil im Hinblick auf Christus, den Erlöser gewährte … Die aber an Christus glauben, beschloss er in der heiligen Kirche zusammen zu rufen, die, schon seit dem Ursprung der Welt vorausgestaltet, in der Geschichte des Volkes Israel und dem Alten Bund auf wunderbare Weise vorbereitet, in den letzten Zeiten gegründet, durch die Ausgießung des Geistes offenbart wurde und am Ende der Zeiten in Herrlichkeit vollendet werden wird“17.
Kirche gibt es also – in Vorausgestaltungen – in der ganzen Geschichte der Menschheit. Völlig ans Licht tritt dieses Geheimnis in und durch Jesus Christus. Sie wird das messianische Gottesvolk genannt, das die Sendung Jesu Christi in dieser Welt nachzuvollziehen hat, wobei Christus jener ist, der durch seinen Geist diese Kirche jeweils trotz immer durchbrechender Kleingläubigkeit, Sündhaftigkeit etc. als Gemeinschaft der Glaubenden auf den Weg zur Vollendung führt. Auch die Kirche entzieht sich deshalb jeder menschlichen Definition. Sie ist und bleibt Geheimnis Gottes, das in der Institution der katholischen Kirche subsistit. Das aber meint, dass sie in dieser sichtbaren Institution aufscheint. Hier ist keine platte, vordergründige Identität gegeben.
In Bezug auf die Sendung dieser Glaubensgemeinschaft aber gilt, dass der Herr selbst in der Gemeinschaft der Glaubenden anwesend ist, dass er der eigentlich Handelnde, die Kirche Auferbauende ist, und zwar durch seinen Geist. Dies gilt für die Kirche im Ganzen als Volk Gottes und die wesentlichen Grundvollzüge ihrer Sendung wie die missionarische Bezeugung und Verkündigung und Bezeugung der frohen Botschaft wie der Gottesverehrung in der Liturgie, die das Volk Gottes mitvollzieht und mit Jesus Christus zusammen vollbringt, und die Sorge um die anderen Menschen, die Diakonie. Die Sendung der Kirche ist sakramentaler Art: Durch sie handelt der Herr selbst. Dies gilt für die Diener der Kirche, die ministri, jene, die den Dienst für diese Gemeinschaft leisten, damit „alle, die zum Volk Gottes gehören und sich daher der wahren christlichen Würde erfreuen, zum Heil gelangen, indem sie frei und geordnet auf dasselbe Ziel hin zusammen wirken“18.
Ich kann diese Dinge hier nicht weiter entfalten, vor allen Dingen nicht die Kontraste gegenüber der vorkonziliaren Kirchenkonzeption, der Amtskonzeption, auch der Sakramentenkonzeption aufzeigen. Kirche im Ganzen ist mit ihren Sendungen von sakramentaler Art, das heißt, dass die abgesonderten sieben Sakramente des Mittelalters zurückgebunden werden in die grundlegenden Feiern der Kirche, in denen sie ihre eigene Identität, ihre von Christus und durch die Ausschüttung des Geistes gegebene Erlösung feiert und vollzieht.
Abschließend sollen einige Reflexionen über eine gewisse Blockierung des Konzils in der Rezeption durch traditionalistische Kreise angestellt, ihre Tendenzen aufgezeigt und die Frage nach der Zukunft des Konzils gestellt werden.
Das Zweite Vatikanische Konzil und seine Kernaussagen führten im Konzil selbst zu scharfen theologischen Kontroversen, wobei die Minderheit – dies bezeugen die Abstimmungsergebnisse über die einzelnen Dokumente – zahlenmäßig sehr klein war. Unmittelbar nach dem Konzil bildeten sich eine Reihe kleinerer Gruppen – wie etwa die Gruppe „Una Voce“ –, die die Liturgiereform in Frage stellten oder wie einzelne Publikationsorgane – beispielsweise „Der Fels“ – weitere neue Positionen des Konzils angriffen. Kardinal Alfredo Ottaviani selbst formuliert 1966 insgesamt 60 Fragen, die sich kritisch auf das Konzil beziehen. Er sendet diese Fragen an die Bischofskonferenzen, findet allerdings kein Echo.19 Die entschiedenste Gruppe von Traditionalisten und traditionalistisch eingestellten Kritikern des Zweiten Vatikanischen Konzils sammelt sich um Erzbischof Marcel Lefebvre, der zunächst in Freiburg/Schweiz, dann in Ecône ein Priesterseminar gründet und eine erhebliche öffentliche Bewegung, vor allem in Frankreich, aber auch in einigen anderen Ländern, initiiert.20
Diesen Entwicklungen zum Trotz findet die Liturgiereform des Vaticanum II mit einer breiten Zustimmung von Seiten der katholischen Gläubigen statt. Die ökumenischen Gespräche werden aufgenommen und bringen erste Annäherungen und wechselseitige Verständigungsprozesse. Der Codex Iuris Canonici von 1917 wird außer Kraft gesetzt und die Arbeiten an einer Neufassung des Codex werden mit großer Energie aufgenommen. Ebenso werden die ersten Gespräche mit den verschiedenen Religionen vorbereitet. Entsprechend den großen Arbeitsaufgaben des Vaticanum II wird die Struktur der Vatikan-Administration verändert, indem neue Institutionen geschaffen werden, wie etwa die päpstlichen Räte. Es werden neue Ordnungen für die bestehenden Kongregationen und ihre Arbeitsgremien erlassen. Die Einführung der Bischofskonferenzen und die vorgesehenen Beratungsgremien von Laien auf der Ebene unterhalb der Diözesen werden Schritt für Schritt eingeführt.
Diese Entwicklung – wir haben hier lediglich einige wichtige Punkte von zentraler Bedeutung genannt – verläuft etwa bis 1985 und erstreckt sich somit bis in die ersten Jahre des Pontifikats von Johannes Paul II. hinein.
In den Rahmen dieser anfänglichen, relativ ruhig verlaufenden Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils fällt die erste Verurteilung und Suspension von Erzbischof Lefebvre durch Paul VI.21 Am 22. Juli 1976 wird von Paul VI. die Suspension des Erzbischofs ausgesprochen. Es wird ihm verboten, irgendeinen Akt der Weihegewalt, der potestas ordinis, zu setzen. Der Grund: „Die Ablehnung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils, die Missachtung des Leitungsamtes des Papstes und der Verstoß gegen die Einheit der Kirche“22.
Kurz nach der Papstwahl Johannes Pauls II. (1978) kommt es zu einem Gespräch zwischen Erzbischof Lefebvre und dem Papst und Verhandlungen in der Glaubenskongregation. Gleichwohl verurteilt Erzbischof Lefebvre scharf die Antrittsenzyklika des neuen Papstes und das Interview, das Kardinal Joseph Ratzinger zu Beginn seiner Berufung nach Rom zur Lage der Kirche gibt. Er verurteilt das neue Kirchenrecht, das 1983 veröffentlicht wird, prangert das interreligiöse Gespräch und den Weltgebetstag für den Frieden in Assisi (1986) an. 1985 reicht Lefebvre 39 „Zweifel“ betreffend die Religionsfreiheit bei der Glaubenskongregation ein. Kardinal Ratzinger antwortet mit einem 50-seitigen Schreiben, dessen Argumentation Lefebvre scharf zurückweist. All dies, obwohl bereits 1984 durch ein Indult unter gewissen Auflagen der Gebrauch der Messformulare von 1962 gestattet wird.23 Um eine drohende Bischofsweihe durch Lefebvre und das damit verbundene Schisma abzuwenden, wird eine Verhandlungskommission um Erzbischof Lefebvre und Kardinal Ratzinger gebildet. Die Verhandlungen führen im Mai 1988 zur Unterzeichnung einer Erklärung von Erzbischof Lefebvre mit der Anerkennung des Primats des Bischofs, der Anerkennung von Nr. 25 der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium, der Zusicherung hinsichtlich gewisser, vom Zweiten Vatikanischen Konzil gelehrter Punkte, eine positive Haltung des Prüfens und des Austausches mit dem Heiligen Stuhl einzunehmen und jede Polemik zu vermeiden, die Gültigkeit des Messopfers und der Sakramente nach den offiziellen Ausgaben des römischen Messbuches und des Rituale für die Sakramente anzuerkennen und den Codex von 1983 zu achten, unbeschadet besonderer Ausnahmen für die Bruderschaft. Im Gegenzug verspricht Kardinal Ratzinger die Anerkennung der Priesterbruderschaft, die Weihe eines Bischofs aus der Bruderschaft und die Einsetzung einer römischen Kommission mit einem Kardinal als Vorsitzenden, wobei in der fünfköpfigen Kommission zwei Vertreter der Bruderschaft sein sollen. Lefebvre unterschreibt zunächst, zieht aber wenige Tage später seine Unterschrift zurück und weiht vier Mitglieder der Priesterbruderschaft zu Bischöfen, worauf Erz- bischof Lefebvre wie die beiden Bischöfe exkommuniziert werden (2. Juli 1988).
Auf Grund des ausgehandelten Vertrages von Kardinal Ratzinger und Erzbischof Lefebvre werden eine Reihe von Gruppen der Priesterbruderschaft in die katholische Kirche reintegriert, und zwar zu den Konditionen, die Erzbischof Lefebvre zugesichert worden waren.
Parallel dazu setzen zahlreiche Initiativen ein, das Schisma zu beenden. So zieht Bischof Fellay im Jahr 2000 mit etwa 5.000 bis 6.000 Pilgern durch die Pforte des Heiligen Jahres nach St. Peter ein, und zwar mit ausdrücklicher Billigung der römischen Kommission, die mit der Re-Integration der Piusbruderschaft befasst ist. 2001 veröffentlicht die Bruderschaft eine offizielle Studie über die Heilige Messe, in der sie die Liturgieauffassung und die Theologie des Messopfers, wie sie in der Konstitution Sacrosanctum Concilium vom Konzil vorgelegt worden ist, als den Aussagen des Trienter Konzils widersprechend verwirft. Parallel dazu veröffentlicht Pater Franz Schmidberger im Namen der Petrusbruderschaft eine Broschüre: „Die Zeitbomben des II. Vatikanischen Konzils“, der die Kritikpunkte an den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammenfasst und bekräftigt.
Nach der Papstwahl Benedikts XVI. findet ein erneutes Gespräch zwischen Papst Benedikt und Bischof Bernard Fellay statt. Fellay stellt zwei Bedingungen für die Wiederaufnahme von Verhandlungen und eine Rückkehr der Priesterbruderschaft in den Schoß der Kirche: Die Aufhebung des Verbotes des früheren Ritus für die ganze Kirche und die Aufhebung der Exkommunikation. Diesen Forderungen von Bischof Fellay entspricht Papst Benedikt, indem er 2007 durch das Motu proprio Summorum pontificumüber die außerordentliche Verwendung der alten Form des römischen Ritus (Denzinger-Hünermann 5109) – ohne vorherige Kontaktnahme mit den Bischofskonferenzen – eine zweite Form des lateinischen Ritus einführt und am 21. Januar 2009 die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Piusbruderschaft per Dekret verkündet.24
Die Vorgänge lösen eine erhebliche Unruhe innerhalb der Kirche und der Weltöffentlichkeit aus. Diese gilt insbesondere der Aufhebung der Exkommunikation von Bischofs Richard Williamson, der den Holocaust leugnet. Im Herbst 2009 beginnt eine gemischte Kommission aus Repräsentanten der Piusbruderschaft und des Vatikans ihre Tagungen. Die von den Mitgliedern der Vatikan-Kommission formulierten Ergebnisse des Resultates werden von der Piusbruderschaft nochmals nachverhandelt. Die damit verbundene Reflexionsfrist zur Annahme ist inzwischen überschritten und Benedikt hat nach der Ankündigung seines Rücktritts erklärt, dass er die Entscheidung über die Zukunft und die Beziehungen der katholischen Kirche zur Piusbruderschaft der Entscheidung seines Nachfolgers überlassen will.25
In diesen Jahren seit 1985 hat sich aber nicht nur die Position der Piusbruderschaft und ihrer Kritik am Zweiten Vatikanischen Konzil durchgehalten. Es haben sich in der römischen Kurie, aber auch quer durch die ganze Kirche Gruppen gebildet, zögerlich und langsam am Beginn, seit Mitte der 1980er Jahre aber in eine mehr und mehr öffentlichen Weise, die in der Kirche bleiben und mit den gleichen Argumenten wie Lefebvre und die Piusbruderschaft gegen das Konzil argumentieren. So erscheint 1985 das Buch von Romano Amerio: „Jota unum“. Der Untertitel lautet auf deutsch: „Eine Studie des Wandels in der katholischen Kirche des 20. Jahrhunderts“. Die nächsten italienischen Editionen erscheinen 1986 und 1989. Bereits 1987 wird das Werk auf Französisch, 1996 auf Englisch publiziert. 2009 folgen zwei weitere Ausgaben in Italien, eine davon mit einem empfehlenden Vorwort von Kardinal Darío Castrillón Hoyos, dem Präfekten der Kleruskongregation und der für die Piusbruderschaft zuständigen Kommission „Ecclesia Dei“. Inzwischen ist auch eine spanischsprachige Ausgabe erschienen. Amerio, selbst Konzilsberater und enger Mitarbeiter eines italienischen Konzilsvaters, geht von jenen theologischen Kriterien aus, die Lefebvre leiten. Für ihn ist das Vaticanum II der Höhepunkt des Modernismus im 20. Jahrhundert. Die Lehre von den Sakramenten, dem Priestertum, dem Naturrecht und der Ethik, die Lehre vom Verhältnis Kirche und Frauen und von der Eschatologie seien verbogen worden. Ein Domherr von St. Peter, Brunero Gherardini, hat in Rom seit Jahren ganz ähnliche Positionen vertreten und publiziert.26
Einige weitere Beispiele für die Ausweitung dieses traditionalistischen Denkens in der kirchlichen Öffentlichkeit: 2009 hat in Rom ein großer Kongress der Bewegung „Una Voce“ stattgefunden. Es waren 37 Nationalgruppen vertreten. Auf diesem Kongress in Rom wurde eine Änderung der Statuten vorgenommen. Dort heißt es jetzt:
„Eine neue Pflicht liegt auf den Gläubigen der Heiligen Kirche. Nachdem die erste Schlacht geschlagen ist durch die Anerkennung der Nicht-Unwiderrruflichkeit der Liturgie von immer, gilt es heute einen neuen Kampf aufzunehmen über die Erweiterung der liturgischen Praxis der traditionellen Liturgie, gilt es, die Rückkehr zur ganzen traditionellen Lehre anzuzielen, die an sich das Fundament einer gesunden Liturgie und einer gesunden Pastoral ist, unverzichtbare Instrumente für die Rettung des Glaubens.“
2010 wurde ein theologischer Kongress in Rom von den Franziskanern von der Unbefleckten Empfängnis veranstaltet, einer Gruppe von traditionalistisch gesonnenen Franziskaner-Konventualen, die seit den 1970er Jahren existiert. Die Thematik des Kongresses lautete: „Das Vaticanum II und seine angemessene Hermeneutik im Licht der Tradition der Kirche. Das II. Vatikanische Konzil ist kein Tabu mehr.“ Redner und Teilnehmer waren Franziskaner, Professoren der Gregoriana, Mitarbeiter vom Staatssekretariat; Velasio de Paolis, ein Kardinal, der persönlicher Delegat des Papstes mit der Aufgabe ist, die Legionäre Christi zu regieren, Kardinal Walter Brandmüller, Monsignore Guido Pozzo, Sekretär der Kommission „Ecclesia Dei“, die die Beziehungen mit der Priesterbruderschaft zur Aufgabe hat und Mitglied der Verhandlungskommission mit den Piusbrüdern war.27
Giovanni Miccoli hat im zitierten Buch eine Fülle von Entscheidungen, Äußerungen und Stellungnahmen Papst Benedikts vermerkt, die zeigen, dass er auf der einen Seite an der Gültigkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils festhält, auf der anderen Seite von Kriterien geleitet ist, die ihn stark in die Nähe der traditionalistischen Positionen rücken.
Zweifellos hat Benedikt XVI., anfangs von Hause aus konservativ gesonnener Theologe, bei Antritt seines Pontifikats Hoffnungen und Zuversicht bei jenen geweckt, die – wie Lefebvre – die Geschichtlichkeit und den Wechsel in der Gesamtsicht des Glaubens in der Kirche, der sich im Zweiten Vatikanischen Konzil vollzogen hat, nicht verstehen. Das Konzil ist für sie ein Fremdkörper geblieben. Benedikt ist zweifellos den Anhängern Lefebvres und traditionalistisch gesonnenen Kreisen in der Kirche so weit wie möglich entgegengekommen, ja er hat zugunsten dieser Annäherung auch deutliche kirchenrechtliche Weisungen des Konzils übergangen. Die Zulassung des vorkonziliaren Ritus als außerordentlichen Ritus stellt eine Abkehr von grundlegenden Entscheidungen des Vaticanum II und Pauls VI. und Johannes Pauls II. dar, ohne dass irgendeine Absprache mit dem Kollegium der Bischöfe getroffen worden wäre. Was ist der Grund für diese Entwicklung bei ihm? Papst Benedikt war und ist geleitet von vormodernen Kriterien zur Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils. Sie sind aufgestellt vor der Entwicklung der modernen Philosophie, insbesondere der Sprachphilosophie, sie berücksichtigen nicht die Erfahrungen der modernen Geschichtswissenschaft. So bieten sie keinen Zugang zu dem Faktum, dass die Identität der Glaubensmysterien immer mit begrenzten geschichtlich eingefärbten Worten und Begriffen ausgesagt wird, die notwendigerweise epochal geprägt und Zeugen ihrer jeweiligen Zeit sind. Benedikt hat – das zeigen seine Jesusbücher sehr deutlich – keinen Zugang zu einer historisch argumentierenden Exegese. Er sieht nicht, wie man sie mit Glaubensaussagen über Jesus Christus nützlich und klärend verbinden kann und soll. Von dorther steht in der gegenwärtigen Lage für die Weiterentwicklung der Kirche viel auf dem Spiel.
Die Zeichen, die der neue Papst Franziskus bisher gesetzt hat, wie die pastorale Orientierung, die er im Rahmen der lateinamerikanischen Synode von Aparecida (Brasilien) 2007 vertreten und als Erzbischof von Buenos Aires umgesetzt hat, deuten – Gott sei Dank – in eine andere Richtung.
Hans Wagner
Am 13. Oktober 1962, also zwei Tage nach der feierlichen Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, empfing Papst Johannes XXIII. in der Sixtinischen Kapelle die Konzilsjournalisten. Es scheinen ausschließlich Männer gewesen zu sein; denn der Papst sprach sie mehrfach als „werte Herren“ an. Er wisse sehr wohl, sagt der Papst in einer sehr persönlich und liebenswürdig gehaltenen Ansprache, dass ein Ökumenisches Konzil viele äußerliche, aber zweitrangige Ereignisse biete, die der Publikumsneugier Nahrung lieferten. Jedoch wünsche er sich eine Berichterstattung, welche die religiöse und geistliche Dimension dieses Kirchenereignisses herausstelle, der Wahrheit diene, Vorurteile über die Kirche beseitige und zur „Abrüstung der Geister“ beitrage.1 Bei dieser Gelegenheit verwies der Papst ausdrücklich auch darauf, dass die Einrichtungen eines Pressebüros sowie eines Sekretariats für die Nachrichtenvermittlung ein Ausdruck der Wertschätzung für die journalistische Arbeit beim Konzil seien.
Wie immer in solchen Fällen hat mancher Journalist dies ganz anders gesehen. Der Holländer Frans Oudejans, der während der ersten Session Berichterstatter für die katholische Tageszeitung „De Volkskrant“ war, kritisierte noch zehn Jahre später:
„Die Umstände, unter denen die aus der ganzen Welt herbeigeeilte Presse arbeiten musste, waren unter aller Kritik. Denn außer dem Pressesaal – wo es nicht einmal etwas zu essen oder zu trinken gab – wurdekein einziger Service geboten. Die Journalisten mussten selbst das Wesentliche herausfinden, was sich in der Konzilsaula abgespielt hatte.“2
Ob man nun die Vorkehrungen für die Medienarbeit beim Konzil selbst, die im September 1963 von Papst Paul VI. wesentlich intensiviert und verbessert wurden3, als einen wenigstens kleinen Fortschritt oder als einen unzulänglichen Versuch bewertet, Tatsache ist, dass das Konzil ein großes und zumeist positives Medienecho gefunden hat. Wenn Kardinal Julius Döpfner nach den Sitzungsperioden nach München zurückkehrte, lud er stets unmittelbar nach seiner Ankunft zu einer Pressekonferenz ein, in der er über die Verhandlungen und Ergebnisse des Konzils berichtete. Diese Konferenzen hatte ich damals zu organisieren und vorzubereiten. Bei diesen Pressegesprächen waren die Säle am Flughafen oder in Münchener Hotels stets bis zum letzten Platz gefüllt. Zwischen 60 und 100 Journalisten aus allen Medienbereichen nahmen diese Termine wahr, eine Zahl, die bei späteren Gelegenheiten kaum noch erreicht wurde. Die Berichterstattung war freundlich bis angemessen, wenn auch nicht unbedingt umfassend. Auf jeden Fall zog Kardinal Döpfner im März 1965, also einige Monate vor der letzten Sitzungsperiode des Konzils vor dem Münchener Presseklub eine insgesamt positive Bilanz. Er verschwieg dabei nicht, dass die Kirche auch in den Medien immer wieder „einseitig gesehen und falsch verstanden“ werde. Er konzedierte, dass ein Konzilsjournalist „sich schwer tut, wenn es um grundlegende theologische Fragen geht. Ihn interessiert viel mehr, ob sich etwa in der Frage Episkopat und Primat etwas tut, in der Reform der Kurie, ob da einmal ein Kardinal gegen einen anderen auftritt, wie es mit dem Zölibat der Priester wird …“ Insgesamt aber, so Döpfner, sei die Kirche in des Wortes ursprünglichem Sinn interessant geworden.4
Es wäre sicher aufschlussreich, die Medienberichterstattung über das Konzil zu verfolgen und systematisch zu analysieren, was meines Wissens bislang nicht unternommen wurde. Denn die Konzilsberichte haben schließlich die Vorstellungen vom Konzil in den Köpfen der Menschen geprägt; die Vorstellungen davon, was sich bei diesem Konzil tat, Vorstellungen von geglückten oder versäumten Reformen, von Spielern und Gegenspielern in der Konzilsaula – Vorstellungen, die ihre Konsequenzen teilweise bis in die Gegenwart hinein haben. Aber das Konzil in