Germania - Johannes Scherr - E-Book

Germania E-Book

Johannes Scherr

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Beschreibung

... Was Verfehlungen und Verbrechen überhaupt betrifft, so haben unsere Vorfahren von Uralters her unterschieden zwischen solchen, welche dem Gemeinwesen, und solchen, welche den Einzelnen Schaden brachten. Jene, also Landesverrat und Fahnenflucht, konnten nur durch den Tod des Schuldigen gesühnt werden, diese dagegen mittels Gutmachung, d. h. der Schädiger war gehalten, den Einem oder Einer an Ehre, Gut, Leib und Leben zugefügten Schaden dem oder der Beschädigten, beziehungsweise ihren Rechtsnachfolgern zu vergüten mittels des sogenannten "Wergeldes", dessen Anlässe je nach der Schwere des Schadenshöher oder niedriger waren und das in Ermangelung baten Geldes auch in Vieh oder Fahr habe entrichtet werden konnte. Diese Rechtssatzung, die Sühnung der Schuld mittels Geldes, ist ein nach unserem Gefühle freilich roher erster Versuch gewesen, den Verheerungen, welche der urzeitliche Brauch der Blutrache in dem Gemeindewesen anrichtete, Einhalt zu tun. Aus diesem Brauche war das urgermanische Faust- und Felderecht entsprungen. Der unbedachtsame Mörder, der vorsätzliche Totschläger brach mittels seiner Tat den Frieden mit der Sippschaft des Getöteten. Dieser lag die Pflicht ob, den ihr gegenüber "friedlos" gewordenen Täter zur Rechenschaft zu ziehen. ...

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Germania

Zwei Jahrtausende deutschen Lebens

 

 

von

Johannes Scherr

______

Erstmals erschienen im: C. B. Beach & Co.,

Chicago, 1891

_______

Vollständig überarbeitete Ausgabe.

Ungekürzte Fassung.

Buchbearbeitung: Nadja Mondy

© 2019 Klarwelt Verlag

ISBN: 978-3-96559-199-8

www.klarweltverlag.de

Inhaltsverzeichnis

 

Titel

Das germanische Altertum.

1. Ur- und Vorzeit.

2. Heidnisch-germanisches Land und Volk.

Das Mittelalter.

1. Völkerwanderungszeit.

2. Der karlingische Zeitraum.

3. Unter den Ottonen.

4. Unter den Heinrichen.

5. Unter den Friedrichen.

6. Die Ritterburg.

7. Dorf und Stadt.

8. Kirche und Staat.

Die Reformationszeit.

1. Vorwehen und Vorläufer.

2. Von Wittenberg bis Münster und Osnabrück.

3. Das eherne Zeitalter der Orthodoxie.

4. Landsknechtschaft und Kriegsfurie.

5. Von Künstlern und Dichten, von Musikanten und Komödianten, von Zeitungszufertigern und Buchhändlern.

6. Hütte und Haus, schloss und Palast.

Die Neuzeit.

1. Geist der Neuzeit.

2. Zopf und Puder.

3. Aufklärung und Kraftgenialität

4. Klassik und Romantik.

5. Idealismus und Materialismus.

6. Das neue Reich.

Erstes Hauptstück.

Das germanische Altertum.

Pfahlbaudorf.

 

1. Ur- und Vorzeit.

 

 

 

ann der Mensch seine Fußstapfen dem deutschen Boden eingedrückt habe; das ist die eine Frage, welche beantworten zu wollen selbst die Phantasie nicht Kühnheit genug besitzt, geschweige die Wissenschaft. Dagegen vermag diese doch mit einiger Sicherheit zu sagen, dass schon in jener nebelgrauen Vergangenheit, als da, wo jetzt der Bodensee flutet, ein Eiszeitgletscher starrte, das schwäbische Land von Menschen bewohnt oder wenigstens durchschweift sein müsse. Um ein Beträchtliches jünger sodann sind die Spuren, welche Muscheln essende Bewohner nordgermanischer Küsten von ihrem Dasein in vorgeschichtlicher Zeit hinterlassen haben. Der geschichtlichen Zeit aber und damit auch der Vorstellbarkeit bedeutend näher gerückt ist, was uns die Pfahlbauten aus der „Steinzeit“ offenbarten, der Überreste in den Seen und Torfmooren der Schweiz aufgefunden wurden.

Die Hinterlassenschaft der Pfahlbauten, deren jüngste den Übergang vom Steinalter zur „Bronzezeit“ aufzeigen, während die ältesten den Pyramiden von Gizeh an Alter gleichkommen oder gar vorgehen mögen.

Er erbringt den deutlichen Beweis, dass der menschliche Gedanke und die menschliche Arbeit mitsammen dazumal bereits zu großen Ergebnissen gelangt sein müssten. Denn die Bewohner der Pfahlbaudörfer lebten ja seßhaft und gesellig. hielten Haustiere, Rindvieh, Schafe, Ziegen, dörrten für diese zum Winterfutter das Wiesengras, wie für sich selber die Frucht des wilden Apfelbaums, trieben Ackerbau und buken Brot. In ihren „Bäumen“, wie ihre aus Baumstämmen zugehauenen und gehöhlten Kähne hießen, fuhren sie zum Fischfang und sicherlich auch auf Raub aus. Schon wärmte sich an ihrem Herdfeuer die gezähmte Katze und war der Hund der Wächter ihrer Inselhütten und ihr Führer auf der Fährte vom Ur und Elenn,

Von welcher Herkunft und Rasse die uranfänglichen menschlichen Betreter deutscher Erde gewesen sein mögen, ist selbst der Vermutung entrückt. In den Pfahlbauern dagegen Menschen kaukasischer Rasse und Sprößlinge der großen arischen oder indogermanischen (indoeuropäischen) Familie zu erkennen, wird durch keinen triftigen Grund verwehrt. Auch nicht, sie dem arisch-keltischen Zweige dieser großen Familie zuzuteilen. Denn es darf ja für eine sichere Tatsache gelten, das; bei der Einwanderung der Indogermanen aus Asien in das nördliche und mittlere Europa die Kelten den Germanen und Slaven vorangezogen waren.

Die Einbildungskraft mag mit den Jahrtausenden spielen, welche verflossen sind, seit unsere Urahnen mit denen ihrer Stammesbrüder, der Inder, Iraner, Hellenen, Italiker, Kelten und Slaven, in der arischen Urheimat, im Alpenlande des Hindukusch, in den Quellengebieten des Indus und des Oxus, zusammengesessen und gemeinsam zu den Urgöttern aller „Arja“, zu den Lichtgeistern — denn auf die Wurzel div (leuchten) ist ja der arische Gottesbegriff dêva und das gesamte indogermanische Gottesbewusstsein zurückzuführen — gebetet haben. Die Wissenschaft aber besitzt kein Mittel, diese Zeitfernen zu messen. Sie weiß auch die Ursachen, wodurch die arische Völkerlawine ins Rollen gekommen und warum oder wie sie nach verschiedenen Richtungen, in die Gangeshalbinsel, ins Hochland von Baktrien und Iran, gegen den Ural, den Kaspiasee, den Ponteuxin hin, auseinandergeborsten, nicht einmal ahnungsweise zu erraten. Ebenso wenig, wie aus dem ursprünglich gemeinsamen Ariertum der andern ebenfalls nach Europa wandernden Indogermanen, also der Hellenen und Italiker, der Kelten und Slaven, die germanische Eigenart scharf und immer schärfer sich herausgebildet habe. Endlich ist es kein sicheres Wissen, sondern nur eine durch die vergleichende Sprachenkunde an die Hand gegebene Aufstellung, dass die Trennung der Germanen von der arischen Familie vor sich gegangen sein müsse, bevor die Arja von der niedrigeren Kulturstufe des Hirtendaseins zu der höheren des Ackerbaulebens völlig sich erhoben hatten, also jedenfalls vor dem 12. Jahrhundert vorchristlicher Zeitrechnung.

Der Volksname „Germanen“ ist, wie gerade hier gesagt sein mag, ebensowenig ein ursprünglicher wie die Namen der übrigen Reste des arischen Stammes. Jedoch sind unsere Altvorderen unter diesem Namen in die Geschichte eingetreten. Er soll, wie behauptet und geglaubt worden, Speermänner bedeuten, als vom alten Worte Ger, d. i. Speer stammend, also Kriegsleute, und dieser Sinn des Namens bliebe, auch wenn die Herleitung desselben aus dem Keltischen („gairm“ oder „garm“) die richtigere sein sollte, weil er auf den von feindlichen Kelten gekennzeichneten germanischen Brauch, mit Ruf und Sang in die Schlacht zu gehen, hinwiese. Möglich auch, dass der Name Germanen, welchen Gallier zuerst dem Stamme der Tungern gegeben und den von diesen allmälig ihre sämtlichen Volksgenossen entlehnt haben sollen, ursprünglich ein keltischer Schimpf- und Spottname gewesen — („Gairmanen“, Lärmer, Schreier, Prahler) — aber aus einem solchen, weil von den Verspotteten trotzig festgehalten und mit Stolz getragen, nach und nach zu einem Ehrennamen geworden. Ist es doch in späteren Zeiten mit berühmten Parteischimpfnamen gerade so gegangen („Geusen“, „Hugenotten“, „Chouans“, „Whigs“, „Tories“). Die Vermutung, dass unser Volk anfänglich Teutomannen oder Teutonen geheißen haben könnte, und zwar zu Ehren seiner mythischen Stammväter Teut (Thuisko, Thuisto) und Mannus, ist eine immerhin statthafte, weil sich bei einem römischen Autor, dem älteren Plinius, die aus dem Reiseberichte des Griechen Pytheas und demnach aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert stammende Angabe findet, dass ein den Guttonen, welche an der Ostsee hauseten, benachbarter Stamm den Namen der Teutonen geführt habe. Als aber dieser Name verhältnismäßig sehr spät, im 10. Jahrhundert, unter der Kaiserschaft Otto’s des Großen wieder auftauchte und zwar zunächst in lateinischer Form („Theutones“, „Theutonici“), als dann mälig die Bezeichnung „Deutschland“ für unsere Gesamtheimat und der Name „Deutsche“ für sämtliche Stämme bräuchlich wurden, da konnte von dem Wiederaufleben einer Erinnerung an so urzeitlich Mythisches, wie die Vorstellung vom göttlichen oder halbgöttlichen Stammvater Teut gewesen, freilich keine Rede sein. Das Dasein der „deutschen“ Sprache, als einer der lateinischen und den romanischen Mischidiomen gegenüberstehenden Nationalsprache, ist frühestens im Jahre 813 urkundlich bezeugt und diese unsere Sprache selbst nun leitet uns an, den Ursprung unseres Volksnamens „Deutsche“ auf das gotische Wort „Thiuda“ (althochdeutsch „Diota“, Volk, das Volk, nämlich das eigene Volk im Gegensatze zu sämtlichen fremden) zurückzuführen und in unserem heutigen „Deutsch“ die späte Enkelin der Urahne „Thiudiska“ zu erkennen.

Vom Sonnenaufgang her waren also unsere Altvorderen gen Sonnenuntergang gezogen und in Europa eingewandert. Warum, wann, wie, auf welchen Wegen, — das alles war schon in das Schweigen der Vergessenheit versenkt, als die Germanen zuerst in den Umkreis geschichtlicher Helle traten. Eine leise Erinnerung an die arische Urheimat und die indogermanische Urgemeinschaft scheint das deutsche Gemüt allerdings bewahrt zu haben in einzelnen Anklängen der germanischen Götter- und Heldensage an die altindische und altiranische. Allein dieser unbewusste Nachhall längst verstummter Laute hinderte unsere Ahnen nicht, sich für ein „Urvolk“ zuhalten, welches vom Urbeginn an mit seinem, dem deutschen Heimatlande verwachsen gewesen sei. Dem war aber schon darum nicht so, weil die Germanen ihren Wanderzug vom Ural her nicht geradewegs nach Deutschland, sondern allem nach zuvörderst nach Skandinavien gerichtet hatten. Dort in der halbinsularen Entlegenheit der skandinavischen Länder hat sich denn auch das germanisch-heidnische Wesen lauterer und länger erhalten als anderswo, und als ihm auch dort Verunreinigung und Vergewaltigung durch das eindringende Christentum drohte, fand es auf der fernen Eis- und Feuerinsel Island eine letzte Zuflucht, welche ihm gestattete, vor seinem Untergange noch seine heiligen Überlieferungen, seinen Götterglauben und seine Heldensänge schriftlich aufzuzeichnen und. also eine germanische Bibel, genannt die „Edda“ (Urahne), den nachgeborenen Geschlechtern als ein unschätzbares Vermächtnis zu hinterlassen.

Kimbrische Priesterinnen.

Der Mehrzahl der Germanen hatte es aber auf dem kargen Boden Skandinaviens nicht lange gefallen können. Während der kleinere Teil des Volkes dort zurückblieb, war der größere wieder auf die Wanderschaft gegangen und hatte sich über Deutschland ergossen, ein gewaltsamer Strom, welcher die daselbst vorgefundenen Kelten vernichtend überflutete oder aber aus dem Lande schob, südwärts und westwärts. Dann war der germanische Wanderstrom vorerst zum Stauen und Stehen gekommen und hatten unsere Altvorderen angefangen, in den weiten Landen zwischen der Nord- und Ostsee, der Donau und den Alpen, zwischen Oder. Elbe und Rhein häuslich sich einzurichten. dass dieses in der Form ackerbaulicher Seßhaftigkeit geschehen sei, muss im Allgemeinen angenommen werden, obzwar es fraglich, dass schon sämtliche germanische Stämme zur Ackerbaustufe der Zivilisation vorgeschritten sein mochten. Unzweifelhaft aber waren sie es zur Zeit, als sie zuerst in die Geschicke der griechisch-römischen Welt einzugreifen begannen und damit ihr geschichtliches Dasein anfingen.

Das geschah im Jahre 113 vor Christus, als die Wanderheere der Kimbrer und Teutonen, welche, sagten sie, durch eindringende Meeresfluten aus ihren Wohnsitzen an den Nord- und- Ostseegestaden vertrieben worden, in der Steiermark und in Kärnten an die Gebirgspässepforten der römischen Reichsgrenze klopften und Einlass begehrten. Schon dazumal regte sich in den deutschen Seelen die noch heute wache Sehnsucht nach dem blauen Himmel und der Fülle des Daseins jenseits der Alpen. Allein dieses Vorspiel der Völkerwanderung, welches den Schatten von Zukünftigem mehrere Jahrhunderte weit voranwarf und den „kimbrisch-teutonischen Schrecken“ in der Welthauptstadt Rom sprichwörtlich machte, schloss tragisch mit der Vernichtung der beiden germanischen Wanderstämme, deren ungestüme Tapferkeit bei und Vercellä (102 und 101 v. Chr.) der römischen Staats- und Kriegkunst erlag. Was uns die Sieger von den Besiegten gemeldet haben, ist namentlich für dass Wesen germanischer Weiblichkeit kennzeichnend. Diese erscheint nicht anmutig, aber großartig in den Gestalten jener kimbrischen Priesterinnen, welche im Lager den grausen Brauch des Menschenopfers vollzogen. Barhäutig und barfüßig, das weiße Linnengewand mit ehernem Gürtel unter der Brust befestigt, blanke Schwerter in den Händen haltend, so umschritten sie feierlich einen auf hohem Gerüste stehenden Kessel aus Erz. Gefangene Römer wurden herbeigeführt, die Priesterinnen nahmen sie in Empfang und bekränzten sie wie Opfertiere. Die Oberpriesterin stieg zu dem Kessel empor, einer der Gefangenen nach dem andern wurde zu ihr hinaufgehoben, über den Kesselrand gebeugt und einem nach dem andern durchschnitt sie die Kehle. Aus dem Blute, welches in den Kessel geflossen, weissagte sie. Schon hier also, beim ersten geschichtlich beglaubigten Auftreten der Germanen, erscheint bedeutsam das frauliche Priester- und Prophetentum derselben, während die Erinnerung an den urgermanischen Opferkessel bis zur Stunde noch unter uns fortlebt in der Vorstellung vom Hexenkessel. Germanische Keuschheit sodann offenbarte sich in waldursprünglicher Herbigkeit, wenn die Frauen der besiegten Kimbrer und Teutonen sich, wie sie taten, den Tod gaben, um nicht dem Mutwillen der Sieger preisgegeben zu sein. Was die Männer angeht, so ist für sie vor allen der Zug charakteristisch, dass sie mittels einer ihnen eigenen naiven Ritterlichkeit den Gegensatz ihrer Nationalität und Bildungsstufe zu der kühlrechnenden römischen markierten. So, wenn Bojorix, der Herzog, der Kimbrer, vor der Entscheidungsschlacht an den römischen Lagerwall heranritt und den Marias aufforderte, ihm Ort und Tag zu bestimmen, wo und wann sich die Römer den Germanen zum Kampfe stellen wollten, und der römische General seinerseits erklärte, seine Landsleute wären nicht gewohnt, über das Wo und Wann einer Schlacht zuvor mit den Feinden zu ratschlagen. Er bestimmte aber doch die Ebene von Vercellä zur Walstatt, weil er dort die ganze Überlegenheit seiner Reiterei ausnützen konnte, und Bojorix nahm den Vorschlag an, weil er einmal seinen Gegner aufgefordert hatte, einen zu machen.

Der Art begann der weltgeschichtliche Gegensatz von germanischem und romanischem Wesen. Seit nahezu zweitausend Jahren ist er da, hat im Laufe dieser Zeit verschiedene Formen angenommen, ist aber im Wesen derselbe geblieben und noch heute der Pol, um welchen die Entwickelung Europas sich dreht.

Die römische Politik war zunächst das Schicksal für Germanien. Genau in demselben Maße, in welchem Rom der großen Krisis des Überganges von der Republik zur Monarchie zueilte, steigerte sich die römische Ausdehnungskraft und die römische Eroberungsgier. Unfreie Völker sind ja vom Bejochungsteufel allzeit besessen. Schon Julius Cäsar trug sich während seiner Statthalterschaft in Gallien mit Eroberungsentwürfen gegen Germanien, hatte sich aber zuvörderst in seiner Provinz selber der germanischen Waffen zu erwehren. Der König der Sueben, Ariovist, war, als von den gallischen Sequanern gegen ihre Landsleute, die Aeduer, zur Hilfe gerufen, über den Rhein gezogen und hatte sich, da ihm das Land wohlgefiel, drüben festgesetzt. Cäsar, welchem dieser germanische Einbruch sehr unliebsam sein musste, versuchte zuerst mittels diplomatischer Kunst die Eingebrochenen zur Rückkehr über den Rhein zu bewegen. Um so mehr, als der „kimbrisch-teutonische Schrecken“ den Römern noch immer in den Gliedern lag und durch das, was die Gallier von ihren gefürchteten Nachbarn zu erzählen wussten, noch verstärkt wurde. Denn, so lauteten gallische Aussagen, wie Cäsar selbst sie uns überliefert hat, — die Germanen wären mächtig groß und stark und besäßen eine unglaubliche Tapferkeit, eine wundersame Fertigkeit in der Waffenführung; oft hätten sie, die Gallo-Kelten, es mit den Germanen aufzunehmen versucht, aber nicht einmal den Feuerblick der germanischen Augen zu ertragen vermocht. Der römische Heerführer hatte große Mühe, die nach seiner eigenen Schilderung bis zum Kindischen gehende Angst seiner Offiziere und Soldaten zu verscheuchen. Nachdem ihm dies aber gelungen, konnte es seiner strategischen Genialität, unterstützt von der taktischen Überlegenheit des römischen Heerwesens über das germanische, nicht allzu schwer werden, im Jahre 52 v. Chr. unweit von Mümpelgard den Ariovist zu schlagen, zu vernichten. So misslang den Sueben, was ein Halbjahrtausend später einem anderen germanischen Volksstamm, den Franken, gelang: germanische Festsetzung und Herrschaft in Gallien. Cäsar selbst hat seine mittels zweimaligen Rheinübergangs ins Werk gesetzten Eroberungspläne gegen Germanien bald wieder aufgegeben. Dagegen ist es ihm gelungen, das leidige deutsche Söldnerwesen in Gang zu bringen. Er war es, welcher, die uralte germanische Abenteuer-, Rauf- und Beutelust schlau benutzend und nährend, germanische Häuptlinge und Dienstmannen unter die römischen Feldzeichen lockte. Damit hob die deutsche Landsknechtschaft an, welche so oder so durch die Jahrhunderte herab bis heute gewährt und nur allzu häufig dem eigenen Lande zu großem Schaden gereicht hat. Jedennoch darf nicht übersehen werden, dass in dem Solddienste der Germanen bei Fremden, zunächst bei den Römern, auch ein höchst wirksames zivilisatorisches Element sich regte und betätigte. Die nationale Empfindsamkeit mag es beklagen, dass dem deutschen Volke nicht gegönnt gewesen, seine Eigenart in völlig selbständiger, von fremdem, also hier von romanischem Wesen unberührter Weise zu entwickeln. Allein die Kulturgeschichte arbeitet ja nicht mit schönen Gefühlen, sondern vielmehr mit harten Tatsachen und sie bestätigt daher allenthalben die Tatsache, dass, wo eine niedrigere Kultur mit einer höheren in Berührung kommt, jene von dieser beherrscht oder wenigstens stark beeinflusst wird. Es kann auch gar nicht anders sein. Ganz naturgemäß also nahm der Einfluss Roms auf Germanien seit den Tagen Cäsars beständig zu, an Umfang und an Kraft, und die tätigste Vermittler-in dieses Einflusses war eben die germanische Söldnerei, welche vom Anfang der römischen Kaiserzeit bis zum Ende derselben in die Geschicke Roms häufig genug eingegriffen hat. Die germanischen Leibgarden spielten in den römischen Palastrevolutionen vortretende Rollen, germanische Fürsten und Krieger stiegen im römischen Dienste zu den höchsten Hof- und Staatswürden empor und lenkten als Minister und Generale die Geschäfte des römischen Reiches. Allerdings haben diese Beziehungen — mächtig unterstützt durch die römische und römisch-gallische Handelstätigkeit — ihre volle Wirkung erst später getan, erst dann, als der römische Kriegs- und Zivildienst zugleich eines der bedeutendsten Mittel der anhebenden Verchristlichung der Germanen geworden war. Indessen hatten die Wechselberührungen von Rom und Germanien doch schon viel früher, schon beim Beginne der christlichen Zeitrechnung, eine beträchtliche Ausdehnung gewonnen.

Die zwingende Notwendigkeit der monarchischen Politik hatte den Oktavianus Augustus vermocht, die Entwürfe seines Großoheims in umfassenderem Maße wieder aufzunehmen und auszuführen. Demzufolge hatten in Süd- und Westgermanien, in den Donau-, Rhein- und Moselgegenden, nicht allein Roms Standarten, sondern hatte auch der ganze Apparat römischer Zivilisation festeren Fuß gefasst. Zur Zeit, wo, wie die christliche Mythologie später dichtete, der „Heiland der Welt“ arm und bloß in der Krippe zu Bethlehem lag, hatte es ganz den Anschein, als würde in dem römischen-Staatshandbuch bald von einer „Provinz Germanien“ die Rede sein, wie sie von einer „Provinz Gallien“ war. An Verräterei und Verwelschungseifer hat es damals unter den deutschen Großen so wenig gefehlt als zu Anfang des 19. Jahrhunderts und der alte Cheruster-Häuptling Segest konnte wohl einem modernen Rheinbundsfürsten zum Vorbilde dienen. Es ist auch wahr, dass die Rettung der Reinheit und Selbständigkeit deutscher Nationalität, wie sie durch Segests Tochtermann und Gegner Armin bewerkstelligt worden, keineswegs ein reiner Triumph germanischer Mannhaftigkeit gewesen ist. An der Ermöglichung der von Armin an der Spitze der verbündeten Germanen im Jahre 9 n. Chr. über die vom Prokonsul Varus befehligten römischen Legionen im teutoburger Waldgebirge gewonnenen Entscheidungsschlacht hat ja auch die Politik der Schlauheit und Verstellung, wie der germanische Edeling sie im römischen Dienste den Römern abgelernt hatte, einen nicht zu unterschätzenden Anteil gehabt. Immerhin jedoch muss Armin als der Bewahrer unserer Deutschheit vor Romanisierung angesehen und darf als ein Nationalheld im Hochsinne des Wortes gefeiert werden. Schon darum, weil der hochbegabte und warmfühlende Mann, nicht zufrieden, mittels der teutoburger Waldschlacht und mittels seines späteren höchst geschickt geführten Heerbefehls gegen die Römer die Eroberung und Bejochung seines Landes verhindert zu haben, den deutschen Grundschaden, die politische Zersplitterung, deutlich erkannte, als Heilmittel den großen Gedanken der nationalen Einheit aufstellte und der Eifersucht und Selbstsucht seiner Mitfürsten zum Opfer gefallen, der erste Blutzeuge dieses Gedankens geworden ist.

Ohne ihn hätte der römische Historiker Tacitus, als er auf der Grenzmarke des ersten und zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung sein berühmtes Büchlein „Germania“ schrieb, um seine Landsleute über deutsches Land und Volk aufzuklären, nicht sagen können, die Deutschen seien ein „eigenartiger, reiner, nur sich selbst ähnlicher Menschenstamm“.

Diesen wollen wir uns sehe näher ansehen. Tacitus selber soll uns in erster Linie die Mittel zu dieser Rückschau auf das Sichhaben und Gebaren unserer Altvorderen liefern. Andere viele müssen wir von anderwärtsher holen, aus den Berichten griechischer und römischer Schriftsteller, aus einheimischen Überlieferungen und aus den alten, in lateinischer Sprache verfassten Gesetzbüchern der deutschen Volksstämme. Denn die Absicht geht dahin, alle Charaktermerkmale des germanischen Daseins während der sogenannten heidnischen Zeit in den Kreis dieser Schilderung zu ziehen und demnach von unseren Vorfahren zu reden, wie sie leibten und lebten bis zur Zeit, wo mit dem durch Karl den Großen angebahnten Sieg der christlich-romanischen Weltanschauung über das germanische Heidentum das deutsche Mittelalter anhob.

 

 

2. Heidnisch-germanisches Land und Volk.

 

 

 

us der Wurzel kaukasischer Menschenrasse wuchs der Riesenstamm der arischen Nationenfamilie empor. Dieser Stamm trieb den gewaltigen germanischen Ast, welcher seinerseits in zwei ungleich mächtige Zweige sich spaltete: Nordgermanen (Skandinaven) und Südgermanen (Deutsche). Diese, unser Volk, lassen schon in ältester Zeit, wie noch heute, deutlich wahrnehmen, dass die Gegensätze und Widersprüche der Menschennatur auch in den Völkernaturen wiederkehren. Denn, wenn es keinem Zweifel untersteht, dass in unseren Vorfahren ein tiefes Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit lebte, so wurde dadurch die Tatsache nicht aufgehoben oder auch nur gemindert, dass die Deutschen, soweit geschichtliche Kunde zurückreicht, niemals eine Gesamtmasse gebildet, niemals den Einheitsstaat gekannt haben. Die Grundursache hiervon mag in dem starken Persönlichkeitstrieb der Germanen gesucht werden, in jenem stolzen Aufsichgestelltseinwollen, welches allerdings alle Tugenden der Mannhaftigkeit zeitigen kann, aber auch die Fehler des Eigendünkels und der Rechthaberei. So wie jedoch der deutsche Individualismus einmal war, musste diesem Volkscharakterzug die politische Form des Föderalismus am besten entsprechen.

Die nationale Persönlichkeit hatte sich, so zu sagen, schon von uraltersher in Stämmepersönlichkeiten zerlegt und diese traten, wann die Not es erforderte, als Gleiche mit Gleichen zu gemeinsamen Zwecken in Bündnisse, deren Zeitdauer die Umstände bestimmten. Nationale Bindemittel waren nur das Bewusstsein gemeinsamer Herstammung, dann die obzwar schon frühzeitig mundartlich auseinandergefaltete Muttersprache und endlich die gemeinsame religiöse Grundanschauung.

Aus dieser stammte auch die älteste, entschieden mythisch gefärbte Einteilung des deutschen Volkes, von der wir wissen. Durch den Römer Tacitus nämlich, bei welchem zu lesen steht: „In alten Liedern, ihren einzigen Urkunden und Jahrbüchern, verherrlichen die Germanen den Gott Thuisto, der Erde Sprößling, und seinen Sohn Mannus als ihres Volkes Stammväter und Stifter. Dem Mannus aber teilen sie drei Söhne zu, nach welchen die zunächst dem Meere wohnenden Germanen den Namen Ingävonen, die in der Mitte den Namen Herminonen und die übrigen den Namen Istävonen empfangen haben sollen.“

Diese Dreiteilung muss sich jedoch rasch vervielfältigt haben. Tacitus selbst macht noch weitere Stämme namhaft und schon früher, zu Cäsars Zeiten, traten andere hervor, die später wieder von anderen abgelöst wurden. Von alten Volksbünden, zu welchen sich verschiedene Stämme vereinigten, kennen wir den in Cäsars Tagen mächtigen Suebenbund, sowie den etwas später durch Armin gestifteten niederdeutschen Cheruskerbund und den diesem durch Marbod entgegengestellten oberdeutschen Markomannenbund. Oberdeutsch und Niederdeutsch — dieser Unterschied trat schon frühzeitig und gegensätzlich genug hervor und er besteht ja noch jetzt als der Gegensatz von Süd- und Norddeutschland. Das Alter der Sueben als des oberdeutschen und das der Sachsen als des niederdeutschen Hauptstammes reicht weit hinauf. Gegen die Zeit der Völkerwanderung hin und rascher und bunter noch während des Gewoges derselben verschoben sich die Verhältnisse der germanischen Stämme gar mannigfaltig. Alte Namen verschwanden, neue kamen auf. Im Verlaufe der ungeheuren Umwälzung, welche das weströmische Reich in Trümmer warf und das stolze Wort: „Die Welt gehört den Germanen!“ für eine Weile zur Wahrheit machte, sind namentlich die Stämme der Goten, der Heruler, der Vandalen, der Langobarden, der Burgunder, der Alemannen und der Franken in den geschichtlichen Vordergrund getreten.

Unser Vaterland ist weit davon entfernt, eine geologische Einheit darzustellen. Ja der außerordentlich großen Mannigfaltigkeit seiner Bodengestaltung waren die vielfältigen Unterschiede vorgebildet, welche die deutschen Bevölkerungen in physischer und moralischer Beziehung schon in alter Zeit aufwiesen, wie das noch heute geschieht. Allerdings bewegten und bewegen sich diese Verschiedenheiten innerhalb des Rahmens der Nationalität, aber innerhalb dieses Rahmens sind sie auffallend genug. Man denke sich, wie sich heute der Friese zum Tiroler der Baier zum Pommer, der Rheinländer zum Steirer, der Märker zum Schwaden, der Thüringer zum Holsten stellt, und man wird sich vom Verhalten der alten Sachsenstämme Niederdeutschlands zu den altalemannischen Oberdeutschlands eine ungefähre Vorstellung bilden können. Oder man halte den landschaftlichen Charakter Süddeutschlands, Mitteldeutschlands und Norddeutschlands zusammen und man wird unschwer verstehen, dass sich den territorialen und klimatischen Abweichungen dieser Gebiete voneinander gemäß auch die Fassung und Führung des Daseins, Empfindungsweise, Sitte und Recht verschiedenartig gestalten mussten. Ein Blick auf die geologische Karte von Deutschland genügt, um zu begreifen, dass unsere Vorfahren sich nicht zu einer staatlichen Einheit entwickeln konnten, sondern in eine Vielheit von Staaten und Stämmen auseinanderfallen mussten. Die Nationaleinheit der Deutschen ist nicht das Werk der Natur, sondern das der Kultur. Die deutsche Bildung hat den Gedanken dieser Einheit geschöpft und die deutsche Bildung war und ist es auch, welche diesen Gedanken verwirklicht oder wenigstens zu verwirklichen entschieden angefangen hat. Das bezeugt unwidersprechlich welche hohe sittliche Kraft und Macht diesem Gedanken innewohnen muss.

Die Römer, mit ihren von dem lachenden Anblick der italischen und römisch-gallischen Landschaften, dieser von einer gütigen Natur so reich gesegneten Fluren, dieser mit allen Schätzen der Zivilisation prangenden Städte verwöhnten Augen, blickten nur mit einer Art von Schauder auf Germanien als auf ein Land, dessen Erde und Himmel gegen die Bewohner gleich erbarmungslos sich erwiesen. Der Verfasser der „Germania“ meinte sogar, die Germanen müssten wohl Erdentsprossene (Autochthonen) sein, denn wie hätte es Menschen einfallen können, aus einem andern Lande in dieses „von Wäldern und Sümpfen starrende“ einzuwandern? Nur einen Römer, den älteren Plinius, hat eine flüchtige Ahnung von dem poetischen Zauber germanischer Urwaldsherrlichkeit angewandelt, während früher schon Julius Cäsar das, was über die Menge und die Gewaltigkeit deutscher Waldtiere zu seinen Ohren gedrungen war, in seinen Schilderungen vom germanischen Elenn und Renn so ins Märchenhafte steigerte, dass man ihm zufolge glauben müsste, mammutartiges, elefantengestaltiges Wild sei in den altdeutschen Forsten von unseren Ahnen gejagt worden. So karg, wild und unwirtlich, wie die Römer wähnten, sah es aber denn doch in Germanien nicht aus. Allerdings im Vergleiche mit Italien und einem großen Teil von Gallien musste es als eine Wildnis erscheinen. Denn der weitaus größte Teil der Bodenfläche war mit Wäldern und Sümpfen bedeckt und auf dieser düsteren Eintönigkeit der Landschaft lastete den größten Teil des Jahres hindurch ein nebelgrauer, regen- oder schneeschwerer Frosthimmel. Wenn man nun aber erwägt, welche Masse von streitbaren Männern und Jünglingen Germanien zur Zeit der Völkerwanderung ausschüttete, so muss man schließen, dass die Bewohnerzahl des Landes schon zur Zeit des Tacitus eine beträchtliche gewesen sei. Eine so zahlreiche Bevölkerung vermochte von dem Reichtum an Wildbrät und Geflügel, wie die Wälder und Sümpfe, und an Fischen, wie die Seeküsten und Ströme sie boten, nicht zu leben, sondern musste in schon bedeutendem Maße Ackerbau und Viehzucht zur Hilfe nehmen. Das war dann auch geschehen und wir wissen, dass unter den ackerbauenden Händen unserer Urväter besonders Gerste und Hafer gerieten, dass sie in milderen Gegenden, namentlich am Rhein, Kirschen- und Apfelbäume pflanzten, dass sie dem Wießwachse Sorge zuwandten und dass auf ihren Weiden zahlreiche Herden von Rindern, Kühen und Schafen grasten. Neben diesen Nutztieren werden auch Schweine, Ziegen und Gänse erwähnt. Winterfütterung mit Heu war bräuchlich. Als Zugtiere spannte man vor die zwei-und vierräderigen Karten Ochsen oder Stuten, während die Hengste als Reittiere dienten. Hund und Katze waren altherkömmliche Hausgenossen. Butterung und Käserei wurden fleißig geübt. Der Flachsbau ward der Kleiderbereitung wegen mit Sorgfalt betrieben. Harten, Spaten, rohgefügte Pflüge und Eggenmachten das Feldgeräte aus. Ob schon Dünger in Anwendung gekommen, ist zweifelhaft, und entschieden wird bestritten dass die Germanen bereits die sogenannte Dreifelderwirtschaft gekannt hätten. Wohl mit Fug, denn allen auf uns gekommenen Zeugnissen zufolge überwog in der Landwirtschaft unserer germanischen Vorfahren die Fleischproduktion die Getreidebeschaffung weit, was sich ja mit dem vorzugsweise auf letztere abzielenden Dreifeldersystem nicht vertragen hätte.

Wie die Erscheinung der germanischen „Barbaren“, der Anblick dieser waldfrischen, von Gesundheit und Kraft strotzenden Gestalten auf die Römer wirkte, ist schon berührt worden. Schrecken erregend, Neid und wohl auch böse Zukunftsahnung. Da Tacitus die „Unvermischtheit“ der Germanen ausdrücklich betont, so mag es auch glaubhaft erscheinen, wenn er von der germanischen Körperbeschaffenheit als von einer typischen spricht. Als Charaktermerkmale derselben kommen bei ihm und anderen Römern vor der hohe und schlanke Wuchs mit knappem Unterleib, das trotzige Blau- oder Grauauge, das rötlichblonde — nicht brand- oder fuchsrote — Haupt- und Barthaar, die helle Hautfarbe und das Wangenrot. Frost und Hunger lehrten dieses Volk sein Land und Klima ertragen, Sonnenhitze dagegen und Durst auszuhalten war es wenig geeignet. Der deutsche Durst scheint so recht ein germanischer Urdurst zu sein, denn unbändige Trunksucht und eine damit häufig verbundene zügellose Spielwut werden frühzeitig als Nationalhafter tadelnd erwähnt. Nichts kam der germanischen Waghalsigkeit gleich, vor nichts schrak die germanische Kühnheit zurück und keiner Probe versagte sich der germanische mut. Dem Ungestüm des germanischen Angriffs war schwer zu widerstehen und jener vom römischen Dichter Lukanus gekennzeichnete deutsche Kampfzorn („teutonicus furor“), welcher bei den Skandinaven zur „Berserkerwut“ verwilderte, machte selbst tapfere Gegner zittern. Ein lug und trugloses Volk nennt Tacitus unsere Ahnen. Mit einem starken Selbstgefühl verbanden sie ein tiefreligiöses Bewusstsein der menschlichen Unzulänglichkeit und Bedürftigkeit. Offen, wahrhaft, worttreu und gastfrei, ließen sie in- ihrer Fröhlichkeit das sehen, was die nur den Deutschen eigenen Worte „Gemüt“ und „Gemütlichkeit“ ausdrücken. Dem Mute der Männer entsprach die Keuschheit der Frauen, der Unverdorbenheit der Jünglinge die jungfräuliche Zucht der Mädchen.

Unzucht und Ehebruch zählten zu den schwersten Verbrechen. Dieses von staunenden und wohl auch etwas schönfärbenden Fremden entworfene Lichtgemälde der waldursprünglichen Tugenden unseres Volkes hat aber schon zur Völkerwanderungszeit bedenkliche Trübungen erlitten. Die Wirkungen der Bekanntschaft mit den Anschauungen und Genüssen römischer Verbildung und Verderbtheit waren eingetreten: die barbarische Gesundheit der Germanen hatte den Giften einer raffinierten Kultur nicht völlig standzuhalten vermocht.

Die teutonische Roheit war geblieben, aber sie hatte sich die römische Lasterschminke aufgelegt und die Gier nach Genuss stand der Kraft zum Genießen nicht nach.

Ja Altdeutschland ist von einer Freiheit im neuzeitlichen Wortsinne gar keine Rede gewesen. Unser heutiger Freiheitsbegriff ist ja überhaupt eine Errungenschaft der modernen Kultur. Er ist auf die Vorstellung von Menschenrechten basiert. Solche aber kannten die Germanen nicht, sondern nur Ständerechte. Das ganze Volk schied sich streng in zwei große Stände oder Kasten: Freie und Unfreie, Herren und Knechte. Diese Scheidung war uralt und wahrscheinlich aus der arischen Urheimat mit nach Europagebracht. Daraufhin weist die Tatsache, dass wie nach indischer so auch nach germanischer Anschauung — diese ist im „Rigsmal“ der Edda mythologisch gestaltet — die schroffe Scheidung in erbliche Große und Geringe, in Gebietende und Gehorchende ein unmittelbarer Ausfluss des göttlichen Willens war. Aber der Unterschied ist, dass in Indien die ständische Einrichtung zum bleibenden Kastenwesen versteinerte, während sie in Deutschland schon zur Zeit der Völkerwanderung in ruhelosen fluss kam, in eine Regung und Bewegung, welche die kastenartige Erstarrung verhinderte und die zwischen Freien und Unfreien gesetzten Grenzmarken vielfach verrückte.

Deutscher Urwald.

Der ursprüngliche Stand der Freien oder Berechtigten hatte sich in zwei Unterarten gegliedert: die adeligen Freien und die gemeinen Freien. Die Adalinge (Edelinge, Urfreien, Semperfreien, nobiles) sind ursprünglich wohl nichts anderes gewesen als große Grundbesitzer, welche vermöge ihres Reichtums an Land und Vieh im Stande waren, eine zahlreiche Dienstmannschaft zu ernähren, und ihr „Allod“ (Freigut) nach dem Rechte der Erstgeburt vererbten. Die Bedeutung des Wortes „Adel“ selbst ist strittig. Den einen zufolge bedeutet es Geschlecht, nämlich edles, d. i. reiches und demnach einflussreiches, vornehmes Geschlecht, eine Familie, in welcher sich der Besitz von Land und Leuten von langher vererbt hat; den andern zufolge wäre das Wort Adal gleichbedeutend mit Odal und dieses zurückzuführen auf Od, d. i. Gut, so dass ein Odaling, ein Edelmann schlichtweg einen Gutsbesitzerbedeutete. Die Gemeinfreien (tiberi oder ingenui) scheinen sich durch Begabung, Verdienst oder Glück allmälig aus der Unfreiheit und Rechtlosigkeit zur Freiheit und Berechtigung emporgearbeitet zu haben, wozu der Waffendienst in den Gefolgschaften der großen Adalinge die besten Gelegenheiten bieten mochte.

Beide Stände, die Ur- und die Gemeinfreien, haben sicherlich mannigfaltige, geschichtlich gar nicht genau nachzuweisende Wandelungen und Schicksalsläufe durchgemacht, bis später aus jenen der sogenannte hohe und aus diesen der sogenannte niedere Adel hervorging. Was den Stand der Unfreien angeht, auswelchem im Vorschritt des Mittelalters die Masse des freien Städtebürgertums und weit später erst die Masse der freien Bauerschaft sich entwickelte, so zerfiel derselbe zur heidnischen Zeit ebenfalls in zwei Unterarten: Liteur (liti, Hörige) und Schalke (servi, Sklaven). Die Hörigen saßen auf Grundstücken, welche ihnen ihre Herren zur Bebauung und Nutznießung überließen gegen bestimmte Dienstleistung und Abgaben. Ein solches von Hörigen bebautes Gut hies Feod (feudum) und das urzeitliche Verhältnis zwischen Grundbesitzern und Hörigen wurde die Basis, auf welcher sich die Sozialpolitik des Mittelalters, das Feudalwesen, aufbaute. Die Hörigen hatten es, so hart ihr Los war, doch entschieden besser als die eigentlichen Sklaven und zwar darum, weil sie nur zugleich mit dem Acker, aus welchem sie angesiedelt waren, verkauft werden durften und weil ihnen die Möglichkeit, etwas zu erwerben und damit aus der Knechtschaft—sich loszukaufen, nicht verschlossen war. Die Schalke dagegen, ursprünglich wohl lauter Kriegsgefangene, waren Sklaven im härtesten Sinne des Wortes, durchaus rechtlos, ein Tauschmittel, eine Ware, strafloser misshandlung und Tötung durch ihre Besitzer preisgegeben. Rechtsfähig und im Besitze des öffentlichen Rechtsschutzes waren überhaupt nur Freie, in deren Kreis ein freigewordener Lite erst im dritten Geschlechte wirklich eintrat. Nur Freie konnten Richter, Kläger oder Zeugen sein. Nur Freie konnten priesterliche Handlungen verrichten. Nur ihnen stand selbstverständlich das Recht der Waffenführung zu. Nur sie hatten in der Landsgemeinde Wort und Stimme. Ein „Volk“ im politischen Sinne gab es demnach in Altgermanien nicht, sondern nur eine mühselig frohnende Masse, auf deren breiter Grundlage das bevorrechtete Dasein einer Minderzahl von größeren und kleineren Herren sich erhob, welche Krieg, Jagd und etwa das Mitraten und Mittaten in öffentlichen Sachen für die einzigen eines freien Deutschen würdigen Beschäftigungen ansahen.

Hart und herb, wie das Verhältnis von Herr und Knecht, war auch das Verhältnis von Mann und Weib, wenigstens was die rechtliche Seite betraf. Denn von rechtswegen war dieses Verhältnis auf die einfache Formel gebracht: Herr und Magd. Die sehr verschiedene Wertung der beiden Geschlechtererhellt schon daraus, dass ein neugeborenes weibliches Kind auszusetzen und verkommen zu lassen so ziemlich für nichts geachtet wurde.

Veleda, die Prophetin der Brukterer.

Noch zur fränkisch-merowingischen Zeit stritten sich auf einer Kirchenversammlung die Priester über die Frage herum, ob die Weiber auch Menschen wären. Durchgehends war im germanischen Altertum dem Manne vor dem Weibe, dem Sohne vor der Mutter, dem Bruder vor der Schwester Vorzug und Vorteil eingeräumt. Kein Weib besaß rechtlich die „Selbmundia“, d. i. die freie Verfügung über die eigene Person oder über einen Besitz. Weder Mädchen noch Frau vermochte einen rechtsgültigen Akt zu vollziehen, vor Gericht eine Klage zu erheben, noch gegen eine solche sich zu verteidigen. Denn überall bedurfte das Weib eines Vertreters, Fürsprechers, Vormundes, Vogtes. Die Gattin war vom Gatten, die Witwe vom Sohne, die vaterlose Tochter vom Bruder bevormundet und bevogtet. Auch das Erbrecht der Frauen war da, wo überhaupt vorhanden, ein sehr beschränktes: regelrecht fiel beim Tode des Hausvaters das ganze Erbe den Söhnen zu und gingen die Witwe und die Töchter leer aus.

Trotz alledem muss in das Verhältnis von Mann und Weib in Germanien schon frühzeitig ein idealischer Zug eingegangen sein. Das Zeugnis des Tacitus, welcher von der germanischen Ehe mit hoher Achtung spricht, tritt hierfür ein, obzwar das Gewicht dieses Zeugnisses auch an dieser Stelle abgeschwächt wird durch die offenbare Absicht des Römers, mittels Schönmalerei germanischer Sittenreinheit seinen verdorbenen Landsleuten eine Strafpredigt zu halten. Die Sitte hat wohl den starren Rechtsbann kräftig durchbrochen und dein Weibe eine bessere Stellung verschafft, als das Gesetz demselben einräumen wollte. Die Sitte aber, beziehungsweise auch die Unsitte, wird ja allzeit und überall zumeist durch die Frauengemacht, und was schöne und kluge Weiber im Guten und im Bösen vermögen, steht auf gar vielen Blättern des Weltgeschichtebuches zu lesen. Wie sich, was das Verhältnis von Mann und Weib angeht in Germanien die Sitte schon frühzeitig zum Edleren gewendet habe, wird bezeugt durch die Tatsache, dass bei der großen Mehrzahl der deutschen Stämme Einweibschaft die Regel, Mehrweiberei die Ausnahme war. dass aber nur die Einweibschaft eine rechte Ehe und dass nur eine solche wiederum eine gesunde Familienhaftigkeit begründet, ist allbekannt. Nicht minder, dass die Familie die Grundlage jeder rechtlichen Gemeinschaft unter den Menschen war und ist und demnach auf ihr, nicht auf einem Märchending von sogenannten „Urvertrag“, alle Staatsbildungen ruhen.

Weiterhin spricht dafür, dass die sittliche Wertung des Weibes schon frühzeitig eine höhere gewesen sei als die rechtliche, jene unnachsichtliche Strenge, womit die Strafgesetze der germanischen Stämme jede Schädigung oder gar die Vergewaltigung weiblicher Scham und Zucht ahndeten. Endlich müssen wir annehmen, dass unsere Urältertmütter über alle die ihnen gesetzten rechtlichen Schranken hinweg eine einflussreiche Stellung in der Familie gewonnen und von dieser aus auch auf die öffentlichen Angelegenheiten einzuwirken gewusst haben. Denn eine solche Einwirkung fand tatsächlich statt. Zunächst in der Form weiblichen Priestertums, auf welches der berühmte Satz des Tacitus: „Die germanischen Völkerschaften glauben, dass den Frauen etwas Heiliges und Vorschauendes innwohne; darum achten sie des Rates und beherzigen sie die Aussprüche derselben“ — vornehmlich zu beziehen ist. Die zwischen der Rechtlosigkeit der germanischen Frau und dieser altgermanischen Frauenverehrung klaffende Kluft bleibt freilich unüberbrückt und wir müssen eben auch diesen Widerspruch hinnehmen wie so viele andere, von welchen die Geschichte des Menschen und der Gesellschaft voll ist. Schon bei den Kimbrern sind wir germanischen Priesterinnen begegnet. Cäsar sodann weiß uns bei Gelegenheit seines Zusammenstoßes mit Ariovist von weissagenden Frauen der Deutschen zu erzählen. Weiterhin wird in der „Germania“ eine Aurinia (Aliruna?)als eine von ihren Landsleuten hochverehrte Schicksalsverkünderin genannt. Zu noch höherem Ruf und Ansehen gelangte zur Zeit der Kämpfe des Civilis gegen die Römer am Niederrhein eine Jungfrau-Prophetin vom Stamme der Brukterer, Veleda geheißen. Weitumher erteilte sie Winke, Weissagungen und Befehle und fand Gehorsam. Wie eine Schicksalslenkerin erschien sie. Siegesbeute legte man ihr zu Füßen; Waffen, Adler, gefangene römische Offiziere, sogar ein eroberter römischer Kriegskahn, die prätorische Trireme, wurden ihr als Geschenke zugesandt. „Doch von Angesicht die Veleda zu sehen“ — erzählt Tacitus in seinen Historien –„war nicht gestattet. Man verwehrte es, damit die Ehrfurcht um so größer wäre. - Die Prophetin stand auf einem hohen Turme und ein Auserwählter ihrer Sippe vermitteln Fragen und Antworten wie ein Götterbote . . .“

Altgermanische Hochzeitsfeierlichkeit.

Zweifelsohne sind im alten Deutschland sämtliche Freie zugleich Grundbesitzer gewesen. Auf Bauernhöfen lebten sie mit Weib und Kind und Gesinde. Diese Höfe, je nach der größeren oder geringeren Hablichkeit der Besitzer an Umfang verschieden, bestanden entweder als „Einzechten“ oder aber warengruppenweise zu Weilern oder Dörfern vereinigt. Städte gab es in Germanien nur da, wo römische Standlager und Handelsfaktoreien allmälig zu solchen sich entwickelt hatten. Die Germanen ihrerseits hielten es für unmannhaft und verweichlichend, innerhalb von Städtemauern zu leben. Einzechten hatten ihren Grund und Boden als geschlossenes „Heimwesen“ — welches Wort in der deutschen Schweiz noch heute bräuchlich — rings um das Haus her liegen. Eine Anzahl von solchen Heimwesen bildete eine Gemeinde, welcher zu gemeinsamem Nießbrauch auch Weiden und Wälder eigen waren („Allmeind“). Bestand eine Gemeinde nicht aus Einzelhöfen, sondern in geschlossener Dorfgestalt, so teilte sie ihr Flurgelände der verschiedenen Bodenbeschaffenheit wegen in verschiedene Gebreite, so dass der Grundbesitz eines Dörflers nicht geschlossen, sondern zerstreut lag. Gemeinsame Wälder und Weiden besaß die Dorfgemeinde natürlich ebenfalls. Diese Daseinsweise deutscher Bauerschaft, der freien nämlich, ist aus der heidnischen Zeit in die christliche herübergekommen und hat sich in ihren Grundzügen bis auf den heutigen Tag erhalten. Welche Wechsel und Wandel dagegen müssen mit dem germanischen Großbauer vor sich gegangen sein, bis er zum mittelalterlichen Lehnsherrn und aus diesem zum modernen „Souverän“ geworden.

Armin entführt Thusnelda.

Die Ansicht, welche ein altdeutsches Haus und Heim darbot, müssen wir uns jedenfalls nach den verschiedenen Gegenden verschieden denken. Die Unterschiede, welche z. B. noch heute statthaben zwischen Bauernhöfen in Westphalen und in der Steiermark, zwischen märkischen und bernischen Gehöften, zwischenschwäbischen und mecklenburgischen Dörfern, haben sich sicherlich schon in den Tagen unserer Vorfahren bemerkbar gemacht. Indessen gewisse nationale Merkmale müssen die altdeutschen heimwesen doch wohl mit einander gemeingehabt haben, und wenn wir die leider nur sehr dürftigen Angaben, welche aus uns gekommen sind, zusammenhalten, so ergeben sie diese Summe. Das germanische Wohnhaus war halb in, halb über der Erde gebaut. Der unterirdische Raum mochte zum Winteraufenthalte dienen, wurde aber auch sommerlang als Webkammer von den Frauen benützt. Die Wände des Hauses bestanden aus Fachwerk oder waren auch wohl aus Baumstämmen ausgeblockt. Die Dachbedeckung bestand aus Schilf oder Stroh und wurde zur Winterszeit mittels einer Lage von Dünger verdichtet- Das Übertünchen der Hauswände mit einer hellfarbigen und glänzenden Lehmart war schon frühzeitig üblich. Von Fenstern oder Schornsteinen keine Spur. Außer dem Wohnhause, dessen Inneres wir uns als in verschiedene Gelasse geteilt denken dürfen, war ein Vorratsspeicher und der Viehstall vorhanden. Diese beiden Räumlichkeiten waren entweder dem Wohnhause angebaut oder standen demselben abgesondert gegenüber. Keinem größeren Gehöfte fehlte wohl das „Ausgedinghäuschen“ („Altenteil“, „Ähnistübli“), in welchen Raum der alt und bresthaft gewordene Bauer nach Übergabe des Hofes an seinen Erstgeborenen sich zurückzog.

Auch ein Schuppen oder Gaden zur Aufbewahrung des Ackergerätes, des Pferdegeschirres und der Karren, sowie ein Verschlag zum Brauen des Bieres gingen einem richtig ausgestatteten Heim nicht ab. Den ganzen Raum, aus welchem diese sämtlichen Gebäulichkeiten standen, umgab eine Einzäunung, welche jenach der Bedeutung des Hauses mit sichernden Vorrichtungen verstärkt war, so dass sie den Wohnsitzen großer Adalinge sehen ein gewisses burgartiges Aussehen verlieh. An die stattlichen Burgpfalzen mittelalterlicher Dynasten darf dabei freilich nicht gedacht werden.

In sein also beschaffenes heimwesen führte der freie Mann - und nur dieser konnte eine rechte Ehe schließen - seine nach den Geboten der Standesgleichheit in der Familie eines Gleichfreien gekürte und - gekaufte Gattin. Denn das germanische Freien war ein Kaufen in der ganzen Prosa des Wortes. Schon sprachlich wurde die Frau als Ware, als Sache gestempelt durch den sächlichen Artikel (das Weib, nicht die Weib). Der Mann musste sie kaufen und konnte sie darum auch verkaufen, eine Barbarei, welche keineswegs nur eine Redensart, sondern ein Brauch war, der sich am längsten bei den Angelsachsen in England erhalten hat. Noch im Jahre 844 hat zu Nottingham auf dem Marktplatz ein Eheherr von Engländer seine Frau um einen Schilling losgeschlagen. Verbindungen zwischen Freien und Unfreien, da und dort sogar zwischenadeligen und gemeinen Freien, galten für sträfliche missheiraten. Nahm ein Freier eine Hörige oder eine Freie einen Knecht, so sanken sie mitsamt ihren Kindern selber in den Stand der Knechtschaft hinab. Bei den Sachsen stand sogar aus jeder nicht standesgleichen Ehe der Tod. Mit Eingebung des Ehebundes eilten unsere Vorfahren nicht allzu sehr. Für das richtige Ehealter sahen sie beim Manne die Zeit vom zwanzigsten bis zum fünfzigsten, beim Weibe vom achtzehnten bis zum vierzigsten Jahre an. Der Hochzeit ging die Verlobung voran oder auch nicht. Hatte der Heiratslustige oder ein Beauftragter desselben eine passende „Partie“ gefunden, so tat er dem Vater oder dem Vormund des Mädchens zu wissen, welchen Kaufpreis er zu zahlen gewillt wäre. Wurde man des Handels einig, so entrichtete der Käufer entweder den festgesetzten Preis sofort und erhielt die Gekaufte als rechtmäßig mit ihm Vermählte ausgehändigt oder aber wurden das Kaufgeschäft und die Kaufsumme nur vorläufig vereinbart und das war eine bloße Verlobung des Paares, während die Vollziehung der Ehe, d. h. die Entrichtung des festgesetzten Kaufpreises, erst später stattfand. Rinder, Pferde, Waffen waren die Münze, womit unsere Ahnen ihre Frauen den Familien derselben abkauften.

 

Heimfahrt von der Hochzeit.

Häusliche Szene.

Zur Zelt der Völkerwanderung sodann gab es auch Geldansätze, welche zeigen, dass die Weiberware doch hoch im Preise stand, namentlich wenn man berücksichtigt, wie außerordentlich viel höher denn heute der Geldwert damals war. Bei den Alemannen galt ein heiratsfähiges Mädchen bis aus vierhundert Schillinge, also mehr als tausend Mark. Das Heiraten war mithin in Germanien keine Romantik, sondern ein Geschäft und nur mittels Kaufes geschlossene Linien waren gesetzliche. Allein wie mächtig Sitte, Gesetz und Gewohnheit sein mögen, es gibt und gab allzeit noch ein Mächtigeres: das Menschenherz mit seinen Gefühlen und Leidenschaften. Darum ist uns denn schon aus ältester deutscher Geschichte ein richtiger Liebesroman wohlbezeugt, welcher dartut, dass doch nicht immer die Frauen gekauft und Ehebündnisse nur als Kaufgeschäfte behandelt wurden. Der Held dieses Romans ist kein geringerer Mann als der „Befreier“ Armin, welcher seine edle Gattin Thusnelda, während sie bereits einem Andern verlobt war, ihrem Vater Segest nicht abgekauft, sondern entführt hat. Übel freilich ist dieser Ehebund später ausgeschlagen. Armin, Thusnelda und ihr Sohn Thumelikus, alle drei sind sie einem tragischen Geschicke verfallen und so haben Gesetz und Sitte schließlich doch recht behalten.

Auf der Bärenjagd.

Die germanische Hochzeit ging nicht ohne Feierlichkeit vor sich. Nachdem in Gegenwart von Zeugen aus der beiderseitigen Sippe der Kaufpreis erlegt war, wurde dem Bräutigam die Braut gegenübergestellt. Das Haar, welches sie bislang freiwallend getragen, war ihr aufgebunden und unter eine Haube gesteckt(woher unser „Unter die Haube kommen“ stattheiraten) zum Zeichen, dass es mit ihrer Mädchenfreiheit nunmehr zu Ende. Ihren Gürtel zierte ein Schlüsselbund, denn sie sollte verwalten, was ihr Gatte Verschließbares besaß. Ein Jüngling, dessen Rolle in der des Brautführers bei schwäbischen Bauernhochzeiten jetzt noch fortlebt, stand ihr zur Seite, ein blankes Schwert haltend, welches sodann der Vater oder Vormund dem Bräutigam darreichte weil dieser von Stand an ebenso der Beschützer wie der Herr von des Weibes Leben sein sollte. Hierauf steckte der Bräutigam einen Ring an die linke Hand der Braut und zog ihr Schuhe an, jenes zum Zeichen, dass sie stets eingedenk fein sollte, wie sie gekauft worden sei — Metallringe waren ja das älteste Tauschmittel, die älteste Münze der Germanen — dieses, dass fortan all ihr Wandel in den Willen ihres Mannes gebunden und geschnürt sei. Wenn ein Rückschluss von den nordgermanischen Hochzeitbräuchen auf die deutschen gestattet ist — und er ist ja wohl gestattet —so fehlte der Vermählung auch die religiöse Weihe nicht. Denn zum Schlusse der feierlichen Handlung wurde der Braut ein Hammer in den Schoß gelegt. Den Hammer aber führte als Waffe der Blitz- und Donnergott Donar und also sollte der Braut bedeutet werden, dass der rächende Blitz des Gottes auf die Brecherin der ehelichen Treue fallen möchte. In reicheren Häusern währte der darauf folgende Hochzeitschmaus tagelang. Dann wurde die Braut mit allem, was Eltern, Geschwister und Sippen ihr an Hausrat, Kleidern und Schmucksachen zur Ausstattung mitgaben, auf einen Wagen gesetzt und in fröhlichem Zuge zur Behausung des Bräutigams gebracht.

„Das Weib war das gekaufte Eigentum des Mannes, seine Sache. Er konnte sie hudeln wie eine Sklavin, schlagen, verkaufen, auch ungestraft töten, wenn er sie für treulos erachtete. Die überwiesene Ehebrecherin verfiel barbarisch-harten Strafen. Da wurde sie splitternackt durch die ganze Gemeinde gepeitscht, dort im Sumpf erstickt, anderwärts gehangen, niedergehauen oder verbrannt. Auf der Hausfrau lastete großenteils die Sorge für den Haushalt, wozu namentlich auch die Beschaffung der Kleider für den ganzen Hausstand gehörte. Schafwolle, Flachs und Tierfelle lieferten die Stoffe der Gewandung.

Ein wollener Leibrock und darüber ein je nach der Jahreszeit leichter oder schwerer Pelzmantel, das waren langehin die einzigen männlichen Kleidungsstücke; denn Wams und Beinkleider sind erst später aufgekommenen. Den Kopf trugen die Männer gewöhnlich unbedeckt, im Kriege aber setzten sie Helme auf, welche entweder aus den Schädeln germanischer Waldtiere gefertigt oder in der Form solchen Schädeln nachgeahmt waren. Körperpflege und Schmuckliebe waren nicht unbekannt, auch den Männern nicht. Der Hausherr liebte weit in den Tag hinein zu schlafen. Aufgestanden, wusch er sich, nahm ein Bad und widmete der Ordnung von Haar und Bart, als den Zeichen seiner Freimannheit, große Sorgfalt.

Auch Haarverschönerungsmittel konnten unsere Herren Altvorderen bereits, besonders eine Art Seife, womit der Natur nachgeholfen wurde, wenn diese das dem Edeling und Freiling wohlanständige Goldblond nicht in der richtigen Färbung hervorgebracht hatte. War der Anzug des Hausherrn mittels Anlegung seines Schmuckes, d. h. seiner Halskette, seiner Arm- und Fingerringe vollendet, so wurde für des Leibes anderweitige Notdurft mittels Einnahme eines reichlichen Frühmahls bedächtig gesorgt. Dies getan, nahm der Mann seine Waffen zur Hand und ging an seine Geschäfte, selbstverständlich an die eines Freien. War also kein Krieg, germanischer Männer Hauptgeschäft, so ging’s zur Jagd in den Wald oder auch wohl zur Beaufsichtigung der frohnenden Hörigen und Knechte aufs Feld. Die Hausfrau gebot derweil daheim den im Haus, Speicher und Stall schaffenden Mägden, überall selber mit Hand anlegend, die Spindel drehend, das Weberschifflein fliegen lassend, mit Schere und Nabel hantierend. dass auch die Frauen nicht weniger auf Reinlichkeit und Pflege des Körpers hielten als die Männer, ist selbstverständlich. Ihre Tracht war einfach und sittsam, doch verstanden auch sie schon den Gebrauch von Putz und Schmuck, liebten Ringe, Ketten und Spangen und wussten ihre Kleidersäume mit roten Borten oder auch mit Pelzwerk zu verzieren. Das linnene Hemd, welches sie trugen, fiel bis auf die Knöchel herab, ließ aber Arme, Nacken und den oberen Teil der Brust frei. Dies war innerhalb des Hauses das einzige Gewand der Germanin. Außerhalb trug sie über dem Hemde einen mantelartigen Überwurf, welcher von hinten angetan wurde und dessen Zipfelenden vor der Brust mittels einer Spange befestigt waren. Nicht lange jedoch stand es an, bis sich zwischen Hemd und Mantel noch ein drittes, weibliches Kleidungsstück einfügte, eine beärmelte Tunika, welche bis zu den Knien herabreichte und über den Hüften enggegürtet war, so dass sie die Körperformen hervorhob.

Einer Hauptsorge der heutigen Hausfrauen scheinen unsere Ältermütter ganz ledig gewesen zu sein, denn für Küche und Keller. Speise und Trank mussten sie nicht aufkommen. Wenigstens in keinem Haushalte, wo es nicht ganz an dienendem Gesinde fehlte. In jedem einigermaßen wohleingerichteten Hause lag weder der Frau noch den Mägden, sondern Knechten die Besorgung des Küchenwesens ob. Wir brauchen uns auch die Beköstigung keineswegs als allzu hinterwälderisch zu deuten. Unsere Vorfahren wussten in ihrer Art schon ganz gut, was gut, besser und am besten zu essen und zu trinken sei, obzwar Speise und Trank noch den Charakter der Einfachheit trugen. Sie waren ja im Besitze verschiedener Getreidearten, sie bereiteten Brot aus Hafer- und Gerstenmehlteig, hatten Wildbrät und Fische, zogen aber allem übrigen Fleische das der Schweine und der Pferde vor, aßen Eier, hatten Rüben, Rettige, Sauerampfer und andere Gemüsekräuter, auch Milch, Butter, Käse, Honig und tranken reichlich, überreichlich Bier, Met und an den Grenzen der römischen Ansiedelungen auch den auf dem Wege des Tauschhandelsgewonnenen Wein. Das Hauptgewürze der altdeutschen Küche war natürlich das Salz, welches man zuwegebrachte, indem man die Sole über glühende Eichenholzkohlen goss und also entwässerte.

Der germanische Haushalt musste so ziemlich alle Lebensbedürfnisse selber aufbringen, deren Befriedigung später das Handwerk und der Handel übernahmen. Ärmere Hausväter ließen sich noch herbei, den Schmied, den Zimmermann, den Maurer zu machen, reichere hatten unter ihren Leibeigenen und

Sklaven solche, welche die Arbeit des Zimmermanns, Maurers, Schmiedes, Bäckers, Schusters und Töpfers verrichteten. Jeder rechte Haushalt hatte auch seine eigene Müllerin, d. h. eine besondere Magd, welche die Handmühle trieb. Es konnte aber nicht ausbleiben, dass aus solcher häuslichen Gewerblichkeit allmälig eine öffentliche hervorging und dass sich neben dem Landbau das Handwerk mehr und mehr eine eigene Lebensstellung errang. Das geehrteste, auch eines Freien für würdig erachtete Gewerke war das eines Fertigers von Waffen und Schmuck. Ein tüchtiger Waffen- oder Goldschmied stand bei seinen Volksgenossen in hoher Achtung und Gunst und in der Sagenwelt genoß so ein Künstler, Wieland der Schmied, halbgöttlichen Ansehens. In den Gesetzbüchern der Germanen aus und unmittelbar nach der Völkerwanderungszeit ist schon von hörigen Handwerkern die Rede, welche zum Nutzen ihrer Herren für Andere arbeiteten. Hiermit hob das deutsche Handwerk als Beruf und Stand an.

Auch ohne Handel und Verkehr lässt sich eine Gemeinschaft von Menschen, welche einmal aus der Wildheit in die Zivilisation herübergetreten ist, nicht denken. Schon frühzeitig musste in Germanien ein primitiver Binnenhandel existiren, denn es gab ja allerlei zu tauschen, zu kaufen und zu verkaufen, Äcker, Weiden, Wälder, Vieh, Waffen, Schmuck, Sklaven, Weiber („ein Weib kaufen“ für heiraten zu sagen, war noch im späteren Mittelalter gebräuchlich). Uralte Rechtsbräuche, die jetzt noch nachklingen, haben solchen Warenumsatz begleitet. So wurde die Übertragung eines Grundstückes von dem Verkäufer an den Käufer durch die Überreichung eines Rasenstückes oder einer Erdscholle symbolisiert. Die Kaufpreisewurden freilich nicht in Geld entrichtet, weil die Germanen keins besaßen. Tauschmittel an der Stelle des Geldes waren demnach Waffen, Schmucksachen und am häufigsten Vieh. In diesem, in Rindern, Kühen, Pferden, wurden auch anfänglich die gerichtlichen Strafansätze entrichtet, bevor als Zahlungsmittel das Geld aufkam. Den Übergang zu diesem bildeten die Hals- und Armringe aus Edelmetall, welche eine so beliebte Schmucksache waren, zum Lieblingsgeschenk dienten und bald auch an Zahlungsstatt gingen, ganz oder auch in Stücke zerhauen, so dass solche Ringstücke zur Scheidemünze gedient haben mögen. Das Ringegold dürften unsere Ahnen zunächst aus den goldführenden Strömen ihres Landes gewonnen haben, insbesondere aus dem Rhein. Allerdings wird des Rheingoldes erst vom 5. Jahrhundert an gedacht, aber auf ein viel höheres Alter desselben weist bedeutsam der Mythus vom Nibelungenhort hin.

Wo einmal Kulturbedürfnisse sich regen, ist der Handel schnell bei der Hand, denselben genug zu tun und sie zugleich zu mehren und zu steigern. Römische und gallische Händler zögerten also nicht, von den Grenzen Germaniens im Süden und Westen her die begehrten Stoffe und Fabrikate einzuführen und dieselben gegen Landesprodukte umzutauschen. Was für Gewinnprozente dabei abfielen, kann man sich leicht vorstellen. In der kaiserlichen Zeit Roms wurde dieser Handelsverkehr immer lebhafter. Erz, Eisen, Silber, Gold, Wein, Kleiderstoffe und Schmucksachenwurden eingeführt, Zuckerrüben, Gänsefedern, Laugenseife, Pelze, Felle, Pferde, Sklaven und germanisches Haar — rotblonde Zöpfe und Perücken waren ja den römischen Modedamen unentbehrlich — gingen nach Italien und Gallien. Römisches Geld wurde hierbei das mehr und mehr gangbare Tauschmittel. Die Deutschen gewöhnten sich so sehr daran, dass sie die Geldprägung noch lange für ein ausschließlich römisch-kaiserliches Recht ansahen. Erst die Frankenkönige befreiten sich völlig von dieser Vorstellung und münzten Geld auf eigene Hand und mit ihrem eigenen Bilde. Der wichtigste germanische Ausfuhrartikel war schon frühzeitig der von den Ostseeküstenkommende Bernstein, welcher in Rom massenhaft zum Putz und Schmuck verbraucht wurde. Auch mit Griechenland brachte dieser Handelsartikel die Germanen in Berührung, wobei die griechisch-phokäische Pflanzstadt Massilia (Marseille) die Vermittlerin machte. Aus diesem Wege, d. h. auf dem Wege des Verkehrs germanischer und griechischer Händler soll auch, wie nicht unwahrscheinlich ist, zuerst der Gebrauch der Schrift nach Deutschland gekommen sein, sodass der germanischen Runenschrift das griechische (dorisch-äolische)Alphabet zu Grunde läge. Und noch anderweitig erwies der Handel seine zivilisatorische Kraft, indem er die Starrheit des germanischen Krautjunkertums brechen half. Da nämlich der Handelsbetrieb einerseits zum voraus eine gewisse Wohlhabenheit erforderte und anderseits einen kühn wagenden mut und eine wehrsfähige Hand, so konnte er nur Sache der Freien sein und erschien selbst für Adalinge nicht unziemlich. mussten doch Kauffahrten geradezu für Kriegsfahrten gelten angesichts von allen den Gefahren und Bedrohungen, welchen zum Trotze die Ausfuhrwaren in die Fremde zu bringen und die Einfuhrwaren aus dieser zu holen waren. Die Handelschaft musste aber in zahlreiche Wechselbezüge zu den aufkommenden Gewerken treten, wie auf der andern Seite mit der grundbesitzenden Aristokratie in Geschäftsverbindung bleiben und aus alledem ergab sich, dass der Handel ein wirksamer Sänftiger der schroffen Ständeunterschiede wurde. Endlich ist auch noch ein Wort darüber zu sagen, dass unsere Ahnen nicht allein Landhandel, sondern auch schon Seehandel getrieben haben. Selbstverständlich war dieser Sache der Anwohner der Nord-und Ostsee, welche an die Stelle des urzeitlichen Baumschiffes oder Schiffbaums im Verlaufe der sechs ersten Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung nach und nach das galeerenartige Ruderschiff zu setzen und dasselbe auch mit Segelwerk auszustatten gelernt hatten. Man suchte die Schiffsgestalt dieser oder jener Tiergestalt anzuähneln, bezeichnete Schiffsteile als Haupt, Hals und Schnabel, verzierte den Bug mit Pferde- oder sogenannten Drachenköpfen und nannte das Schiff selber Drache oder Roß. Die „Meerdrachen“ der skandinavischen „Wikinger“ waren in Sage und Geschichte eine gefürchtete Erscheinung. Überhaupt verschwand in alter Zeit die Grenzlinie zwischen Seehandel und Seeraub häufig genug, allzu häufig. Doch für die alte Seetüchtigkeit der Germanen zeugt, dass sie ohne Kompass in fremde Meeresich hinauswagten, dass sie Island, Grönland und — fünfhundert Jahre vor Kolon — Amerika („Vinland“) auffanden ….

Nun aber ist es an der Zeit, dass wir uns wiederum zum Familienleben unserer Vorfahren zurückwenden.

Wir sahen, wie der germanische Hausherr seine Gattin als ein gekauftes Eigentum in sein Heimwesen führte. An ihr wird es gelegen sein, sich aus der „Sache“ des Mannes zu seiner Lebensgefährtin zu machen und den unumschränkten Gebiet zu einem vertrauenden und liebevollen Gatten herab- oder vielmehr hinaufzuzähmen. Kinder sind sicherlich wie überall und allzeit auch in Altdeutschland ein festes Bandzwischen den Eltern gewesen. Germanische Ehefrauen mögen aber ihrer ersten Entbindung nicht ohne Bangen entgegengesehen haben, denn es hing durchaus von dem Manne ab, das Kind anzuerkennen und leben zu lassen oder nicht. War ein Kind zur Welt geboren, so brachte es die Wehmutter dem Vater und legte es ihm unter der neben dem Herde aufragenden „Firstful“ seines Hauses zu Füßen. Anerkannte er es als Bein von seinem Beine und als Fleisch von seinem Fleische, so hob er es mit eigener Hand vom Boden auf oder ließ es durch die Wehmutter aufheben — (woher diese „Hevanna“, Hebamme hieß).Weigerte er sich der Aufhebung, so war damit die Verstoßung des Kindes erklärt und ward es ausgesetzt. Einmal aufgehoben, war das Kind seines Lebens sicher. Auch musste der Vater das Neugeborene aufheben oder aufheben lassen, so demselben schon irgend etwas Nährendes zuteil geworden, und wäre es nur ein Tropfen Milch oder Honig gewesen.

Altgermanisches Gastmahl.

Freilich das Recht, sein eigen Kind später zu verkaufen, war mit alle diesem dem Vater nicht bestritten. Dem Anerkennungsakte folgte eine Art von Taufe, indem das Neugeborene in frisches Wasser getaucht und durch einen zu diesem Zwecke bestellten Verwandten benamst wurde. Dieser Namengeber war auch gehalten, dem Täufling ein Geschenk zu geben, und ein Festschmaus beschloss die ganze Feierlichkeit.

Die Namensgebung haben unsere Ahnen für eine wichtige, gleichsam den Lebensgang des Benannten vorbedeutende Sache angesehen und sie sind demnach hierbei nicht so ganz sinn- und geschmacklos verfahren, wie ihre Nachfahren zu thun pflegen. Wie die altdeutschen Ortsnamen, so waren auch die Personennamen sinnvoll und kennzeichnend. Zuvörderst solche, welche auf den urzeitlich naturwüchsigen Verkehr zwischen Mensch und Thier hinweisen und wobei noch in Betracht kam, dass in germanischen Augen manches Thier etwas Heiliges hatte, weil religiöse Mythen von der Erscheinung der Götter in dieser oder jener Tiergestalt zu wählen wussten. Von solchen Tieren, als da waren Aar, Bär, Eber, Rabe, Schlange („lint“,)Schwein und Wolf, lauten die männlichen Namen Arno, Arnulf, Berno, Beringard, Berinhard, Beroald, Ebur, Eberhard, Edurwin, Eburgund, Eburtrud, Eburhilt, Raginald, Ragenhart, Regino, Wolfgar, Wolfgang, Wulftla, und die weiblichen Aranhilt, Aralind, Berilind, Eburhilt, Eburgund, Ragauberga, Ragamberta, Godalind, Theudelind, Swanaburg, Swanahild, Wolfburga, Wolfgunt, Wolfrun, Wulfhilt. Das religiöse Gefühl der Germanen liebte es, eine ganze Reihe von männlichen und weiblichen Namen an das uralte, nur dem Germanentum eigene Wort „Gott“ zu knüpfen. So Godo, Godebald, Godafrid, Gotahard, Godomar, Goda, Gotberga, Gotatrud.

Germanische Mütterlichkeit.

Oder in Anknüpfung an die Bezeichnung der Götter als „Ansen“ (nord. Asen, sächsisch Os) lauteten männliche und weibliche Namen Anso, Ansbald, Osmund, Oswald, Ansa, Ansberta, Osmundis. Die Vorstellung von den Elben (Zwergen) und Thursen (Hünen, Riesen) klingt an in den Namen Albo, Alfhard, Albuin, Albagund, Albigard, Hunibald, Hunimund, Hunila, Hunrada, Thurismund, Thusnelda. Eine Menge von Männer- und Frauennamen bezeugen laut die Kriegslust und Kampffreude unserer Vorfahren und erscheinen daher die alten Worte „Bad“, „Gund“, „Hild“, „Hadu“, „Wig“, „Isan“ (Eisen), „Ger“, „Brünne“ — lauter Ausdrücke für Krieg, Schlacht und Waffen —in mancherlei Zusammensetzungen: Baddo, Batuhelm, Badila, Baduhilt, Gundobad, Gundebaud, Aldagund, Chunigund, Hadubrand, Hadufrid, Hadamund, Hadaberga, Hathumot, Hildibrand, Hilduls, Hildiburg, Hildigard, Hildigund, Wigo, Wigand, Wighelm, Wigharta, Wigilinda, Isangrim, Isanhard, Isanbirga, Isanhilt, Bruno, Brunihild, Sigibert, Sigifrid, Sigiteud, Sigilind. In den Zusammensetzungen mit „Adal“, „Thiuda“ und „Liut“ (Adel und Volk) prägt sich der Stolz auf Abstammung und Volksgenossenschaft aus: Adalbert, Adalheid, Theodo, Theudofrid, Thiothelm, Theuda, Theutberta, Theutila, Lindo, Liudiger, Liudulf, Liuda, Liudiska, Liutberga. Zu den ältesten deutschen Frauennamen-werden mit Grund gezählt solche, welche wie Bertha (die Glänzende), Heidr (die Fröhliche), Liba (die Lebendige), Swinda (die Geschwinde) und Skonea (die Schöne) leibliche und seelische Eigenschaften bezeichnen.

Erziehung der Knaben.

Mit einem Schmause, sahen wir, wurde die germanische Taufhandlung beschlossen und im Schmausenwaren überhaupt unsere Vorfahren start. Jedes fröhliche, aber auch jedes traurige Vorkommnis gab ihnen zum zechen Veranlassung: die Geburt eines Kindes, die Wehrhaftmachung eines Sohnes, die Verheiratung der Tochter, der Tod eines Familiengliedes. Denn auch die Sitte oder Unsitte des „Leichentrunkes“ darf sich eines hohen Alters rühmen. Sodann war ja auch die Gastfreiheitmit dazu da, Gelegenheit zu Zechgelagen zu schaffen. Diese währten häufig bis die eigenen Vorräte aufgezehrt waren, in welchem Falle Wirth und Gast mitsammen zu einem Nachbar gingen, um bei und mit diesem weiterzuschmausen. Solche Zecherei hatte nicht selten den völligen Ruin einer glücklichen Familie zur Folge. Denn im Rausche das Würfelspiel bis zur Wut zu treiben, nach einander Fahr habe und Vieh, Haus und Heim, Weib und Kind und endlich die eigene Person zum Einsatze zu machen und nach dem letzten Unglückswurf in die Knechtschaft zu wandern, war gar nicht ungewöhnlich. Ja reichen Häusern, in den Gasthallen der Adalinge machten sich die Festmahle stattlich genug. Aber nur die Männer bankettierten, je zwei und zwei an einem Tische sitzend, während die Hausfrau — selbst Königinnen durften sich dessen nicht entschlagen — mit ihren Töchtern die Gäste bediente, das Auftragen der Speisen ordnete und die silberbeschlagenen Hörnerder Urochsen, welche als Pokale dienten, eigenhändig füllte und von Tisch zu Tisch umherbot. Wenn nicht der Spielteufel in der Halle umging, hatten die Festgenossen ein edleres Ergötzen. Harfner und Sänger waren da, rührten das „Lustholz“ (die Harfe) und sagten und sangen von Göttern und Helden, von der Weltschöpfung, vom Wodan und Donar, vom Thuisto und Mannus und vom Befreier Armin. So meldet uns Tacitus und im ältesten germanischen Heldengedicht, im „Beowulf“ heißt es: „Ja der Halle war da

Harfenklang, des Sängers lautes Singen; es sagte der Wissende der Menschen Ursprung in alten Zeiten“ - und an einer andern Stelle: „Da war Sang und Klang im Sale vereinigt; das Lustholz ward gerührt, das Lied gesungen.“ Zum Klang und Sang gesellte sich in der Festhalle auch das älteste deutsche Turnspiel, der Schwerttanz, vom Verfasser der Germania als das einzige bei den Germanen heimische Schauspiel genannt. „Nackte Jünglinge — so erzählt er — welchen das eine Lustbarkeit ist, tummeln sich zwischen drohend aufgerichteten Speerspitzen und Schwertklingen tanzend umher. Übung rief Fertigkeit, Fertigkeit Anmut hervor, doch nicht zum Erwerb oder um Lohn; denn des kecken Scherzes einzige Belohnung ist die Kurzweil der Zuschauer.“