Gesammelte Liebesromane & Novellen - Elisabeth Bürstenbinder - E-Book

Gesammelte Liebesromane & Novellen E-Book

Elisabeth Bürstenbinder

0,0
1,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieses eBook: "Gesammelte Liebesromane & Novellen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Inhalt: Am Altar Glück auf! Gesprengte Fesseln Vineta Um hohen Preis Frühlingsboten Ein Gottesurteil Die Alpenfee Fata Morgana Adlerflug Hexengold Der höhere Standpunkt Der Lebensquell Edelwild Elisabeth Bürstenbinder (1838-1918) war eine deutsche Schriftstellerin. Zeitgenossen galt Elisabeth Bürstenbinder als "unbestrittene Beherrscherin der Damenlektüre". Sie schrieb unter dem Pseudonym E. Werner. Erste kleinere Veröffentlichungen Elisabeth Bürstenbinders erschienen in einer kleinen Zeitschrift in Süddeutschland. Einem größeren Publikum wurde sie durch Romane, die sie in der Zeitschrift Die Gartenlaube veröffentlichte, bekannt. Bald zählte sie zu den beliebtesten Autoren der Zeitschrift.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Elisabeth Bürstenbinder

Gesammelte Liebesromane & Novellen

Frühlingsboten, Gesprengte Fesseln, Vineta, Ein Gottesurteil, Adlerflug, Glück auf!, Am Altar, Um hohen Preis, Die Alpenfee, Fata Morgana, Hexengold, Der höhere Standpunkt, Der Lebensquell, Edelwild

e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]

INHALTSVERZEICHNIS

Romane

Am Altar

Glück auf!

Gesprengte Fesseln

Vineta

Um hohen Preis

Frühlingsboten

Ein Gottesurteil

Die Alpenfee

Fata Morgana

Adlerflug

Erzählungen

Hexengold

Der höhere Standpunkt

Der Lebensquell

Edelwild

ROMANE

Inhaltsverzeichnis

AM ALTAR

Inhaltsverzeichnis

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

1

Inhaltsverzeichnis

Der Herbstmorgen war grau und trübe. Der Nebel lagerte noch feucht und dicht auf der Erde, er hing in schweren Tropfen an den dunklen Tannenzweigen und deckte als leichter weißer Reif den Boden der kleinen Waldlichtung, die inmitten der umfangreichen S.’schen Forsten lag. Am Rande der Lichtung stand ein junger Bursche von vielleicht sechszehn oder siebzehn Jahren in der groben Uniform, wie sie die Leute des königlichen Försters gewöhnlich trugen, eine gedrungene kräftige Gestalt, die Jagdtasche an der Seite, das Gewehr auf der Schulter. Er schien augenblicklich jedoch keine Jagdzwecke zu verfolgen, sondern stand ruhig an einen Baum gelehnt und blickte mit gleichgültiger Miene in den Wald hinaus, als ein fernes Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte. Es klang wie der Galopp von Pferden, der immer näher kam und in einiger Entfernung von der Wiese plötzlich aufhörte; statt dessen vernahm man Fußtritte, gedämpfte Stimmen wurden laut, Sporen klirrten; gleich darauf rauschten die Gebüsche und mehrere Officiere traten auf den freien Platz.

„Wir sind die Ersten, scheint es!“ sagte der eine von ihnen, ein schöner hochgewachsener Mann in der Uniform eines Cavallerierittmeisters, indem er flüchtig den Ort musterte.

Einer seiner Begleiter zog die Uhr. „Erst drei Viertel auf Acht! Wir sind zu scharf geritten; vor Acht werden sie schwerlich hier sein. Ihr hättet übrigens keinen schlechtern Morgen wählen können; der verdammte Nebel hindert ja überall!“

Der Rittmeister zuckte leicht die Achseln. „Bah! Auf unsere Distance sieht man klar genug. Wer von Euch hat die Pistolen?“

„Halt!“ rief plötzlich einer der jüngeren Officiere. „Wir sind nicht allein! Wer steht dort?“ Er wies auf den jungen Jäger am andern Ende der Wiese, der die Ankommenden mit einem raschen scharfen Blick gemustert hatte, aber, ohne sich weiter um sie zu kümmern, stehen geblieben war.

„Irgend ein Jägerbursche,“ sagte der Rittmeister gleichgültig hinübersehend. „Indessen, er scheint hier Posto gefaßt zu haben. Saalfeld, sieh zu, daß Du den Menschen wegbringst; er könnte uns stören.“

Der Angeredete folgte der Weisung, indem er über die Wiese schritt und die Unterhandlung mit dem Betreffenden einzuleiten begann; diese schien aber nicht das gewünschte Resultat zu haben, denn nach Verlauf von fünf Minuten kehrte der Lieutenant aufgeregt und hochroth im ganzen Gesicht zu seinen Cameraden zurück.

„Nun? Was giebt es?“ trat ihm der Rittmeister entgegen.

„Der Mensch will nicht fort!“ rief Saalfeld heftig. „Er ist widerspenstig und unverschämt im höchsten Grade; wir werden ihn zwingen müssen!“

„Damit er Lärm macht, uns seine Cameraden oder gar den Förster auf den Hals hetzt und dadurch vielleicht das ganze Recontre in Frage stellt, nicht wahr? Mit Zwang ist hier nichts auszurichten; Du wirst den Burschen mit Deiner brüsken Manier gereizt und uns wieder unnöthige Schwierigkeiten bereitet haben. Ich werde selbst mit ihm sprechen.“ Damit schritt der Rittmeister, von den übrigen Officieren gefolgt, auf den Jäger zu und redete ihn leutselig an.

„Hast Du hier an dem Orte irgend etwas zu thun, mein Junge?“

„Nein!“ lautete die sehr lakonische Antwort.

„Oder wartest Du vielleicht auf den Förster oder auf sonst Jemand?“

„Nein!“

„Nun, dann wirst Du uns wohl auch ohne Schwierigkeit den Platz räumen. Wir beabsichtigen hier Schußwaffen zu probiren und wünschen dabei ungestört zu sein. Hier ist ein Trinkgeld für Deine Gefälligkeit; geh jetzt und laß uns allein!“

Die Worte wurden mit ruhiger, freundlicher Herablassung, aber doch in einem Tone gesprochen, der keinen Widerspruch zuließ, und die ganze Art und Weise hatte etwas so Imponirendes, daß das Gehorchen sich von selbst zu verstehen schien; aber ob der Jägerbursche nun zu Denen gehörte, die sich nicht imponiren ließen, oder ob die brüske Art des Lieutenant Saalfeld, der im Tone des Befehls seine Entfernung verlangt, ihn in der That gereizt hatte, – er kümmerte sich durchaus nicht um den dargebotenen Thaler, sondern entgegnete trocken:

„Danke, Herr Officier! Ich bleibe hier!“

„Aber ich sage Dir doch, daß wir hier Schießübungen vornehmen wollen!“ In der Stimme des Rittmeisters verrieth sich bereits einige Ungeduld.

„Meinetwegen!“ war die kaltblütige Antwort. „Mich hindert das nicht.“

„Aber uns!“ rief der Officier, nun auch gereizt werdend. „Wir wünschen überhaupt keinen Zuschauer, Du hörst es ja!“

Der junge Jäger lehnte sich ruhig wieder an seinen Baum. „Ja, das höre ich. Ich bleibe aber nun einmal hier. Wenn also durchaus Einer von uns gehen muß, so –“

„Unverschämter Bursche!“ brauste Lieutenant Saalfeld auf und legte die Hand an seinen Degen. Der junge Mensch trat einen Schritt zurück, sah ihn von oben bis unten an, nahm dann langsam sein Gewehr von der Schulter und untersuchte den Hahn desselben. So ruhig und kaltblütig diese Bewegung auch ausgeführt wurde, den Officieren trat doch das Herausfordernde derselben vor Augen; sie nahmen eine drohende Haltung an, und der Widerspenstige hätte seinen Trotz vielleicht arg büßen müssen, wäre der Rittmeister nicht dazwischen getreten; auch er war offenbar heftig gereizt, aber er beherrschte sich.

„Keine Gewaltthätigkeiten!“ sagte er leise, doch in sehr entschiedenem Tone. „Das Forsthaus ist nicht allzu weit entfernt und Ihr wißt, daß wir allen Grund haben, Aufsehen zu vermeiden. Wenn der Bursche durchaus nicht fortzuschaffen ist, so bleibt uns nichts anderes übrig als das Terrain zu wechseln. Seht zu, daß Ihr einen andern geeigneten Platz im Walde ausfindig macht, während ich unsere Gegner hier erwarte.“

Die Officiere zeigten indeß sehr wenig Lust, sich dieser Anordnung zu fügen, sie waren im höchsten Grade aufgebracht und es bedurfte des ganzen Ansehens ihres Cameraden, sie von Gewaltschritten gegen den unwillkommenen Störer abzuhalten, der vollkommen gleichgültig und unbewegt dreinschaute, als ginge ihn die Sache nicht im mindesten an. Es gab ein heftiges Hin- und Herreden, das erst durch die Ankunft dreier anderer Herren unterbrochen wurde. Sie blieben befremdet stehen, als sie den Wortwechsel auf der Wiese vernahmen, und blickten fragend auf die Officiere. Lieutenant Saalfeld trat sogleich höflich auf sie zu.

„Ich bedaure, meine Herren, Sie von einem sehr unangenehmen Zwischenfall in Kenntniß setzen zu müssen. Wir fanden bei unserer Ankunft hier diesen Menschen vor, der sich starrköpfig weigert, den Platz zu räumen, und auf keine Weise fortzuschaffen ist. Es wäre ein Leichtes, ihn mit Gewalt wegzubringen, aber Sie begreifen – der Lärm, den der Bursche erheben würde – es ist empörend!“

„Allerdings sehr unangenehm!“ stimmte einer der neuen Ankömmlinge bei. „Könnte man nicht – aber ich vergesse, die Herren einander vorzustellen. Herr Doctor Ried, der die Güte haben wird, uns seinen ärztlichen Beistand zu leihen – Herr Baron von Saalfeld, der Secundant des Grafen Rhaneck.“

Die Herren verneigten sich und der Arzt warf einen Blick hinüber nach dem Störenfried.

„Der da?“ sagte er kopfschüttelnd. „Da geben Sie nur die Hoffnung auf, ihn mit Güte oder Gewalt fortzubringen, Herr Baron. Ich kenne den Burschen, es ist der Sohn des Unterförsters Günther. Der läßt sich zur Noth todtschlagen, wenn es nicht anders geht, aber wegbringen von dem Platze, auf dem er sich einmal vorgenommen hat, stehen zu bleiben, läßt er sich nicht, das ist vergebene Mühe.“

Saalfeld unterdrückte einen halblauten Fluch. „Graf Rhaneck schlug allerdings vor, das Terrain zu wechseln, aber es wäre doch unerhört, müßten wir der Unverschämtheit eines solchen Menschen weichen –“

„Das ist nicht nöthig!“ nahm jetzt der jüngste der zuletzt Gekommenen, der bisher schweigend zugehört, das Wort. „Lassen Sie ihn hier, wenn er durchaus nicht fortzubringen ist. Herr Doctor, da Sie den jungen Menschen kennen, so haben Sie wohl die Güte, ihn unter Ihre Obhut zu nehmen, damit er uns nicht etwa stört oder verräth. In einer Viertelstunde ist unsere Angelegenheit abgethan, verborgen kann der Ausgang doch nicht bleiben, und – jetzt keinen Aufschub weiter, ich bitte dringend darum.“

Saalfeld vernahm mit augenscheinlicher Befremdung den Vorschlag, der so sehr gegen das Herkommen stritt, dennoch ging er, ihn seinem Freunde mitzutheilen. Wider Erwarten willigte der Rittmeister sofort ein.

„Er hat Recht!“ sagte er hastig. „Nur jetzt keinen Aufschub, der neue Störung bringen könnte. Der Doctor mag für den Burschen einstehen. Triff Deine Vorbereitungen, Saalfeld.“

Der Arzt war inzwischen zu dem jungen Günther getreten und blieb dicht vor ihm stehen. „Guten Morgen, Bernhard!“

„Guten Morgen, Herr Doctor!“ erwiderte der Angeredete, höflicher als man es, seinem früheren Benehmen nach, ihm hätte zutrauen sollen.

„Warum in aller Welt willst Du den Platz hier durchaus nicht räumen?“ examinirte der Arzt, indem er mit einem halb zornigen, halb verwunderten Blick den sechszehnjährigen Burschen maß, der allein den fünf Officieren die Spitze bot.

„Ich will nicht!“ war die gleichgültige Antwort, in der doch zugleich ein störrischer Trotz lag.

„So? Höre, Bernhard, es ist ein Glück, daß du nächstes Jahr in die Stadt und zum Militär kommst. Man wird Dir Dein ‚Ich will nicht!‘ mit der Disciplin wohl etwas austreiben, und gnade Dir Gott, wenn einer von den Officieren dort Dein Vorgesetzter wird, Du würdest den Trotz arg zu büßen haben, wie Du ihn jetzt schon büßen müßtest, hätten die Herren nicht allen Grund – ja so, das brauchst Du nicht zu wissen. Nun aber sei einmal vernünftig! Das Hierbleiben hast Du durchgesetzt, jetzt bleibst Du aber ruhig hier an meiner Seite stehen und rührst Dich für’s Erste nicht. Hast Du mich verstanden?“

Die leise, aber nachdrückliche Strafpredigt, so ernstlich sie auch gemeint sein mochte, wurde doch in einem so väterlichen Tone, mit so unverkennbarem Wohlwollen gehalten, daß sie ihre Wirkung auf den jungen Starrkopf keineswegs verfehlte. Ihm genügte es augenscheinlich, daß er den Officieren gegenüber seinen Platz behauptet hatte, und er fügte sich jetzt der ihm gewordenen Anweisung, ohne eine Miene zu verziehen.

„Nun?“ fragte der Begleiter des Arztes herantretend.

„Ich nehme den Störenfried auf mich, er wird uns nicht hindern. Wenn es also durchaus sein muß –“

Der Andere unterdrückte einen Seufzer. „Sie wissen wohl, daß es hier keine Wahl giebt. Also auf Ihre Verantwortung – darf ich bitten, Herr von Saalfeld?“

Die Secundanten maßen die Schritte ab und luden die Waffen. Was die beiden Parteien hier auf den Kampfplatz geführt, war sicher nicht eine gewöhnliche, vielleicht in der Hitze oder Uebereilung gefallene Beleidigung und die Nothwendigkeit einer Genugthuung dafür. Man sah es an dem furchtbaren Ernst auf all den Gesichtern ringsum, an dem entsetzlich kleinen Raum, auf dem die Kugeln gewechselt werden sollten, vor Allem an der Haltung der beiden Gegner, daß es sich hier um Leben und Tod handelte. Sie standen abgewendet von einander, noch hatte Keiner dem Anderen einen Blick gegönnt, selbst die alte Sitte des Grußes vor dem Zweikampfe war unterblieben, die Verneigung hatte nur den beiderseitigen Begleitern gegolten. Der Rittmeister stand mit verschränkten Armen und folgte schweigend den Vorbereitungen, aber selbst diese ruhige Haltung vermochte nicht die Erregung zu verbergen, in der er sich sichtlich befand. Die Stirn war dunkelroth, die Lippen zuckten bisweilen leise, und doch bedurfte es nur eines Blickes in das Gesicht des Mannes, um zu wissen, daß die bevorstehende Gefahr keinen Antheil an dieser Erregung hatte. Der Muth, den schon sein Stand ihm zur Pflicht machte, sprach zu deutlich aus diesen kühnblitzenden Augen, aus diesem schönen lebensvollen Antlitz, das nur durch Eins entstellt ward, durch eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen, die erst dort stand, seit der Gegner den Kampfplatz betreten, und sich mit jeder Minute tiefer in die Stirn grub, der sie ein eigenthümlich hartes und feindseliges Gepräge lieh.

Sein Gegner in bürgerlichem Anzug war bedeutend jünger als er, eine hohe schlanke Gestalt, ein blasses ernstes Gesicht, mit tiefschwarzem Haar und tiefen dunklen Augen. Die Züge redeten von angestrengter geistiger Arbeit, von Nachtwachen und dumpfer Stubenluft, vielleicht auch von Sorgen und Entbehrungen, sonst mochten sie wohl leidenschaftlich aufflammen können, jetzt lag eine starre finstere Ruhe darauf, die eisig Alles gefangen hielt, was sich vielleicht früher darunter geregt und gezuckt hatte. Er schenkte den Vorbereitungen wenig oder gar keine Aufmerksamkeit; an den Stamm der großen Eiche gelehnt, die inmitten des Platzes stand, blickte er unbeweglich hinaus in den verschleierten Wald. Schon kämpfte die Sonne mit dem Nebel, aber noch vermochte sie nicht, ihn zu durchdringen, es lagerte noch ringsum schwer und grau wie Todesschatten. Der Morgenwind strich mit leisem Wehen über das braune Haidekraut und flüsterte in dem Wipfel der Eiche, von der die welken Blätter niedersanken; eins davon streifte feucht und kalt die Stirn des unten Stehenden. Er blickte schweigend nieder auf das fallende Laub und dann wieder hinein in den Nebel, der vor ihm wogte.

Die Vorbereitungen waren geendigt, die Gegner empfingen die Waffen und nahmen ihre Plätze ein. Zum ersten Male begegneten sich jetzt ihre Augen und vorbei war es mit der finsteren Ruhe des Jüngeren, vorbei mit all der mühsam erkämpften und bis hierher behaupteten Selbstbeherrschung. Was jetzt in seinem Antlitz aufflammte, das war eine so furchtbare Drohung, ein so wilder tödtlicher Haß, daß man wohl sah, hier galt es Tödten oder Fallen, es gab kein Drittes, aber die furchtbare Erregung drohte verhängnißvoll für ihn zu werden, die Waffe bebte in seiner Hand.

Ihm gegenüber stand der Officier. Nicht die Kugel, das Auge des Gegners war es, was er gefürchtet, und unter diesem Auge stieg langsam eine flammende Röthe in seinem Gesicht auf, wo eine tödtliche Scham mit verhaltenem Ingrimm kämpfte, aber zugleich trat jener grausame Zug auf der Stirn schärfer und deutlicher hervor und die Waffe hatte fest und sicher die tödtliche Richtung, als das Zeichen gegeben ward.

Der jüngere schoß zuerst, die Kugel flog dicht an dem Haupte des Officiers vorüber und riß ihm die Epaulette von der linken Schulter, er selbst stand unverletzt, in der nächsten Secunde krachte auch sein Schuß – ein halb erstickter Schrei, ein Niederstürzen, ein hervorquellender Blutstrom – das Duell war zu Ende.

Der Arzt und der Secundant waren zu dem Gefallenen geeilt und Ersterer untersuchte die Wunde, auch die Officiere waren näher getreten und warteten schweigend das Resultat der Untersuchung ab; nach einigen Minuten blickte der Arzt auf und zuckte ohne zu sprechen die Achseln.

„Tödtlich?“ fragte der Rittmeister halblaut.

„Ja!“

Da schlug der Verwundete noch einmal das Auge auf und heftete es auf den Fragenden. Es war nur ein einziger Blick, der brechende Blick eines Sterbenden, aber es mußte etwas Furchtbares darin stehen, der Officier zuckte zusammen, er war todtenbleich geworden und wendete sich hastig ab.

„Meine Herren, ich lasse den Verwundeten in Ihrer Obhut! Wenn meine Cameraden Ihnen in irgend einer Weise Beistand leisten können –“

Der Arzt machte eine abwehrende Bewegung. „Was hier noch zu thun ist, dazu reichen wir Beide allein aus. Gehen Sie, meine Herren, und überlassen Sie das Weitere uns.“

„Dürfen wir Ihnen vielleicht unseren Wagen – ?“ fragte Saalfeld.

„Ich danke, wir haben den unsrigen gleichfalls in der Nähe. Sorgen Sie nicht, das hier noch Mögliche wird geschehen!“

Die Officiere grüßten schweigend und entfernten sich, die Sporen klirrten, die Gebüsche rauschten, dann vernahm man den Hufschlag der Pferde, der sich weiter und weiter entfernte, endlich ward es still.

Und still war es jetzt auch auf der Wiese, der Sterbende lag bewußtlos mit geschlossenen Augen, sein Secundant kniete neben ihm, mit den Armen seinen Kopf stützend, der Arzt stand an der anderen Seite und zählte die Pulsschläge, die nur seine geübte Hand noch zu finden vermochte, auf einmal fühlte er leise seinen Arm berührt, der junge Günther stand neben ihm.

„Unser Haus ist nicht weit,“ flüsterte er, „wenn Sie vielleicht –“ ein Blick auf den Verwundeten vollendete den Satz.

„Danke, mein Junge!“ gab der Arzt in demselben Tone zurück, „aber es ist zu spät, hier kann nichts mehr helfen.“

Der Secundant blickte auf. „Aber, Doctor, wollen wir ihn denn hier auf dem feuchten Waldboden sterben lassen? Wir könnten ihn doch wenigstens in’s Forsthaus tragen.“

„Nein!“ sagte der Arzt bestimmt. „Er hält den Transport nicht aus, die erste Bewegung hat den Tod zur Folge, und übrigens stirbt es sich grade so leicht oder so schwer unter freiem Himmel, als zwischen vier engen Wänden. In wenig Minuten ist ohnedies alles vorüber.“

Die Unterredung war im leisen Flüstertone geführt worden, jetzt trat eine Pause ein, keiner der drei Männer sprach, schweigend erwarteten sie das Nahen des Todes. Man vernahm nichts als die immer schwächer und schwächer werdenden Athemzüge des Sterbenden, dann noch ein letztes tiefes Aufathmen, ein Aufzucken, ein erneutes Hervorbrechen des Blutstromes – es war vorüber.

Der Secundant ließ langsam den Kopf seines Freundes niedergleiten, er hatte den Todeskampf mit keiner Bewegung gestört; jetzt, wo nichts mehr zu schonen war, brach die Fassung des jungen Mannes zusammen; der Arzt ehrte seinen Schmerz, er winkte dem jungen Günther, sich mit ihm zurückzuziehen, erst in einiger Entfernung von der Gruppe blieben sie stehen.

„Nun, Bernhard,“ die sonst so freundliche Stimme des Doctors hatte einen Klang tiefer Bitterkeit, „also Du hast es mit Deinem Starrkopf wirklich durchgesetzt, ein Duell mit anzusehen. Bist Du nun zufrieden?

Bernhard blickte ihn alt, sein vorhin so ruhiges Gesicht war bleich, die Gleichgültigkeit, die er während des ganzen Streites mit den Officieren bewahrt hatte, war jetzt völlig geschwunden.

„Das war ja – ein Mord!“ sagte er langsam.

„So? Meinst Du? Nun, dann sahest Du wenigstens, daß er in vollster Ordnung, mit aller gegenseitigen Höflichkeit und Einwilligung vor sich ging, und daß wir Anderen dabei standen, ohne auch nur die Hand zur Rettung zu rühren. Die Herren in der Stadt haben ein Privilegium auf diese Art Mord, mein Sohn!“

„Aber weshalb schossen sie beide?“ fragte Bernhard, das Auge noch immer unverwandt auf den Todten gerichtet.

„Hm, das ist schwer zu erklären, wenigstens Dir gegenüber. Es handelte sich um eine tiefe, eine tödtliche Beleidigung, die mit Blut gesühnt werden sollte. Wie sie gesühnt ward, das hast Du ja soeben gesehen! Der Beleidigte wußte nicht mit Pistolen umzugehen, deshalb fehlte er, und der Beleidiger war ein trefflicher Schütze, deshalb schoß er den Gegner nieder – man nennt das auf deutsch ‚seiner Ehre genug thun‘, merke Dir das!“

Mit diesen in schneidendem Tone gesprochenen Worten wandte der Arzt sich von ihm und trat wieder zu der Gruppe. Der Secundant hatte sich inzwischen etwas gefaßt, er stand auf.

„Wir werden ihn jetzt wohl in den Wagen tragen müssen, Doctor! Wollen Sie mich auf einem schweren Gange begleiten? Sie wissen, wohin ich mit der Leiche fahre; ich habe nicht den Muth, allein hinzutreten mit einer solchen Nachricht!“

Der Arzt reichte ihm die Hand. „Ich komme mit Ihnen! Freilich ist’s ein schwerer Gang, noch dazu hier, wo mit dem einen Leben Alles zusammenbricht. Wollte Gott, wir hätten die Stunde erst hinter uns!“

Sie hoben den Todten empor, Bernhard legte unaufgefordert mit Hand an und Niemand wehrte ihm; langsam traten die Männer mit ihrer Last den Rückweg an und schlugen die Richtung nach dem in einiger Entfernung wartenden Wagen ein. –

Still und einsam lag die kleine Waldwiese, wo sich vor kurzem noch so viel Leben geregt, wo eins davon sich verblutet hatte. War es der letzte Act eines längst begonnenen Drama’s, was sie soeben gesehen, oder der erste eines eben beginnenden – wer konnte Auskunft darüber geben? Die Sonne kämpfte sich allmählich durch den Nebel, er wallte und wogte hin und her und verschwebte endlich als blauer Duft fern im Walde. Siegreich behaupteten die Strahlen ihre Bahn, hellbeschienen standen die riesigen Föhren mit ihren rothen Stämmen und hoben die starren Häupter empor in die klare duftige Herbstluft, und goldene Lichter spielten auf dem herbstlich bunten Laub der Eiche. Die Sonne schmolz den Reif vom Boden und mit ihm die Spuren der Fußtritte, die einzigen Spuren des stattgehabten Kampfes. Nur dort, wo der Todte gelegen, zeichnete sich in schwachen Umrissen, aber noch deutlich erkennbar, ein dunkler Fleck auf dem Rasen ab; es sah aus, als sei ein Schatten dort zurückgeblieben, der Schatten irgend eines unsichtbaren Gegenstandes, der unverrückbar und geisterhaft mitten in dem hellen Sonnenscheine lag.

2

Inhaltsverzeichnis

Ein leichter offener Jagdwagen, von zwei munteren Braunen gezogen, rollte im schärfsten Trabe den Waldweg entlang, der von der Eisenbahnstation E. hinein in das Gebirge führte. Der Herr, welcher von seinem Sitze aus das Gefährt selbst lenkte, hielt die Zügel mit so gleichgültiger Ruhe, als sei es eine Kleinigkeit für ihn, die jungen wilden Thiere zu bändigen. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, eine gedrungene, markige Gestalt; schwarzes kurzgeschnittenes Haar umgab eine breite, massive Stirn, auf die Erfahrungen und Sorgen schon manche Linien gezeichnet hatten. Die Züge konnten für gewöhnlich, ja für plump gelten, und sie wurden es noch mehr durch einen Ausdruck von Phlegma, der anscheinend darauf ruhte; wer aber länger und tiefer in dies Gesicht sah, fand bald genug heraus, daß es mehr enthielt, als es beim ersten Anblick zu versprechen schien. In dem scharfen, wachsamen Auge zumal lag entschieden nichts Gewöhnliches, es war der Blick eines Mannes, der gewohnt ist, ohne Hast, aber auch ohne Rast im Leben vorwärts zu gehen, ein Blick, der wenn er erst einmal ein Ziel in’s Auge faßt, es auch unverrückbar festhält und nicht wieder losläßt, bis er es erreicht hat. Was in den Zügen als Phlegma erschien, das gab sich in dem Auge als kalte überlegene Ruhe kund, die zwar erst allmählich und langsam, aber desto sicherer auf den Beobachter wirkte.

Es konnte nicht leicht einen schärferen Contrast geben, als diesen Mann und das junge, kaum dem Kindesalter entwachsene Mädchen, das an seiner Seite saß. Diesem rosigen Antlitz war sicher noch nie der Ernst des Lebens genaht, diese klare, weiße Stirn hatte gewiß keine Sorge je berührt; das volle Kinderglück strahlte noch aus den dunkelblauen Augen, die groß und verwundert in die fremde Welt hineinblickten, lächelte noch schelmisch unbefangen aus den kleinen Grübchen der Wangen, das ganze reizende Gesichtchen war ein Sonnenschein. Eine Fülle brauner Locken quoll lose, nur an der Stirn von einem Bande zusammengehalten, unter dem kleinen Strohhute hervor und wallte herab auf das einfache graue Reisekleid, das die feine zierliche Gestalt umschloß. Die schwindelnd schnelle Fahrt gewährte ihr augenscheinlich großes Vergnügen und es lag nicht die leiseste Spur von Besorgniß, wohl aber sehr viel jugendlicher Uebermuth in dem silberhellen Lachen, womit sie jetzt ausrief:

„O! Wir fliegen ja förmlich! Am Ende gehen die Pferde noch mit uns und dem Wagen durch.“

„Wenn ich die Zügel in Händen habe, sicher nicht!“ lautete die im ruhigsten Tone gegebene Antwort, ohne daß auch nur der geringste Versuch gemacht ward, den Lauf der Thiere zu mäßigen.

Die junge Dame sah etwas enttäuscht aus, es schien fast, als habe sie sich auf das Durchgehen und das damit nothwendig verbundene Abenteuer gefreut. „Werden wir bald in Dobra sein?“ begann sie voll neuem, nach einem mißlungenen Versuch, durch die dichten Waldbäume hindurch irgend etwas von der Gegend zu entdecken.

„In einer halben Stunde. Nimm Dich zusammen, Lucie, ich werde Dich sogleich bei unserer Ankunft Deiner neuen Erzieherin vorstellen.“

Lucie verzog die rosigen Lippen, als gebe man ihr etwas sehr Bitteres zu kosten. „Wenn ich nur wüßte, was ich jetzt noch mit einer Erzieherin anfangen soll! Du weißt doch, Bernhard, daß ich bereits im vorigen Monat sechszehn Jahre geworden bin!“

Es lag sehr viel Selbstgefühl und noch mehr Indignation in diesen Worten, leider blieben sie aber ganz und gar wirkungslos dem starren Begleiter gegenüber, auf dessen Lippen nur ein sarkastisches Lächeln erschien.

„Sechszehn Jahre? Allerdings ein sehr ehrwürdiges Alter, nichtsdestoweniger wirst Du verzeihen, daß es mir nicht genügenden Respect einflößt, um Dich sofort zur Dame und Herrin von Dobra zu erheben, und daß ich es vielmehr vorziehe, Dich für’s Erste noch unter die Obhut einer Gouvernante zu stellen. Uebrigens bringt Fräulein Reich die besten Empfehlungen und alle die nöthigen Eigenschaften zu ihrem, wie mir scheint, nicht gerade leichten Amte mit. Du wirst Dich bald mit ihr befreunden.“

„Ich mag sie gar nicht!“ schmollte Lucie mit dem ganzen Eigensinn eines verzogenen Kindes; „ich weiß im Voraus, daß ich sie nie werde leiden mögen. Die Gouvernanten sind alle steif und langweilig wie Miß Gibbon, oder nervös und sentimental wie Mademoiselle Ormond, oder feierlich wie Madame Schwarz höchstselbst, die beim bevorstehenden Weltuntergange noch ihre Robe in Falten legen würde, um mit Anstand unterzugehen, oder –“

„Ich bitte Dich, Lucie, geht das so fort, bis wir in Dobra sind? Du hast eine eigenthümliche Art, Dich für genossene Erziehung dankbar zu erweisen. Nach dem Resultat freilich, das ich vor mir sehe, scheint die pädagogische Befähigung jener Damen auf keiner allzuhohen Stufe stehen.“

„O, mit mir richteten sie Alle nichts aus,“ Lucie schüttelte triumphirend ihre Locken, „trotzdem sie mindestens einmal in der Woche allesammt über mich zu Gericht saßen. Madame Schwarz hielt mir dann jedesmal vor, ich sei ein Irrwisch, der ihr ganzes Pensionat in Verwirrung bringe, und überall Revolution anstifte; Mademoiselle vergoß Thränen und erzählte, wie oft ich ihr wieder Nervenzucken verursacht, und Miß Gibbon stand dabei, schüttelte ihr weises Haupt und murmelte indignirt: ’t is shocking – ich glaube, sie waren sämmtlich froh, als Du mich zurückfordertest und ich der Pension den Rücken kehrte.“

„Wirklich! Nun dann ist es allerdings nothwendig, daß Du in andere Hände kommst. Ich habe bisher nicht viel Zeit gefunden, mich um Deine Erziehung zu kümmern, Lucie, und werde sie auch in Zukunft kaum finden, aber merke Dir ein für allemal, daß, wenn die Autorität von Fräulein Reich nicht ausreichen sollte, jetzt die meinige dahinter steht, der Du Dich hoffentlich fügen wirst, und daß ich Verwirrung und Revolutionen in meinem Hause überhaupt nicht dulde, am allerwenigsten aber von einer Schwester, die mir soeben deutlich beweist, daß sie, anstatt in den Salon, noch ganz und gar in die Kinderstube gehört.“

Die Zurechtweisung wurde sehr ruhig, aber zugleich so bestimmt gegeben, daß Lucie gar nicht einmal Miene machte, die letzten, höchst beleidigenden Worte übel zu nehmen. Halb verwundert, halb eingeschüchtert sah sie den Bruder von der Seite an, ob es ihm wohl mit der Strenge Ernst sei, aber der Blick in sein Gesicht mochte ihr nicht viel Tröstliches zeigen. Die weitere Opposition unterblieb, wenn es auch in dem Antlitz der jungen Dame deutlich geschrieben stand, daß die aufgedrungene Erzieherin gerade kein beneidenswerthes Loos haben werde, und daß der Zögling sich bereits vornahm, ihr das Leben nach Kräften schwer zu machen.

Bernhard zog die Zügel plötzlich an sich, in der Biegung der Straße ward jetzt ein zweiter Wagen sichtbar, und es schien bei dem schmalen, dicht am Abhang entlang führenden Wege allerdings nicht rathsam, in dem bisherigen Tempo daran vorüberzufahren. Es war eine herrschaftliche Equipage, wohl aus der Residenz mit hergebracht; denn für eine Fahrt in den einsamen Bergen schienen diese prachtvollen Seidenpolster, dieser wappengeschmückte Schlag und die reiche grüne und goldene Livree der Dienerschaft kaum passend. Zwei schon ältere Damen in reichster und elegantester Stadttoilette saßen darin, aber obgleich die Wagen langsam und ganz nahe aneinander vorüberfuhren, wurde doch weder ein Gruß, noch ein Zeichen des Erkennens zwischen ihren Insassen gewechselt. Die Damen sahen vornehm zur Seite und Bernhard schien seine ganze Aufmerksamkeit den Pferden zuzuwenden; in weniger denn einer Minute war man aneinander vorbeipassirt und setzte gleichzeitig wieder zu schneller Fahrt ein.

„Bernhard, wer waren die Damen?“ Lucie legte mit kindlicher Neugierde beide Hände auf den Arm des Bruders.

„Gräfin Rhaneck und ihre Gesellschafterin!“ antwortete er kurz.

„Du kennst sie also?“

„Es sind meine nächsten Gutsnachbarn. Ich sitze in Dobra gerade eingekeilt zwischen Aristokratie und Clerus, rechts liegt Schloß Rhaneck, links das Stift mit ihren beiderseitigen Ländereien. Kaum einen Schritt kann ich aus meinem Gebiete hinausthun, ohne mit den Insassen des einen oder des anderen in Berührung zu kommen – eine beneidenswerthe Nachbarschaft!“

„Aber wenn Dir die Lage der Güter nicht gefiel, weshalb kauftest Du sie denn eigentlich?“ fragte Lucie naiv.

„Weil sie für einen Spottpreis zu haben waren, und weil ich bei den dortigen Verhältnissen Erfahrungen verwerthen und Erfolge erreichen kann, die in unserm Norden mit dem zehnfachen Kostenaufwande nicht durchzuführen wären. Doch davon verstehst Du nichts!“ brach er plötzlich kurz ab und wies mit der Hand nach links. „Sieh Dir lieber den Waldweg dort an, er führt gleichfalls nach Dobra.“

Die junge Dame fuhr wie elektrisirt in die Höhe. „O, wie schattig und kühl! Laß uns ein wenig aussteigen und zu Fuße gehen, wir haben lange genug im engen Wagen gesessen!“

„In der Mittagsgluth? Was fällt Dir ein, Kind!“

„O, ich bin so lange nicht im Walde gewesen! Jahrelang habe ich nichts zu sehen bekommen, als nur den Stadtpark und unseren ummauerten Pensionsgarten. Bitte, bitte, Bernhard, laß mich in den Wald, nur auf eine einzige Viertelstunde!“

Es lag eine so unverkennbare Sehnsucht in der schmeichelnden Bitte, daß der Bruder unwillkürlich nachgiebiger gestimmt ward.

„Nun, meinetwegen! Eine Viertelstunde lang will ich Dir den Willen thun, Joseph mag bis zur Waldecke vorausfahren und uns dort erwarten.“

Er gab die Zügel dem hinter ihnen sitzenden Kutscher, stieg ab und wandte sich dann um, ihr die Hand zum Aussteigen zu bieten, aber das junge Mädchen wartete gar nicht darauf; ohne den Wagentritt auch nur zu berühren, sprang sie mit gleichen Füßen auf den Boden nieder und flog ihm voran, dem Walde zu.

Es war allerdings ein schattiger und lieblicher Fußweg, den Beide jetzt einschlugen, aber für Lucie schien er nur da zu sein, um ihn in allen möglichen und unmöglichen Windungen zu umkreisen. Wie ein junges Reh, das der Gefangenschaft entflohen und der Waldesfreiheit zurückgegeben ist, so sprang sie dahin, das ging immer mitten durch Gebüsch und Haidekraut, ohne nach Weg und Steg zu fragen. Jetzt lief sie einem Schmetterlinge nach, um in der nächsten Secunde drüben auf der entgegengesetzten Seite ein Eichhörnchen aufzujagen, oder eine Blume zu pflücken. Bald hier, bald dort sah Bernhard den blauen Schleier ihres Hutes zwischen den Bäumen aufflattern, und dann wehte er wieder dicht neben ihm, wenn sie athemlos an seiner Seite kam, beide Hände voll Blumen; dabei plauderte der kleine Mund unaufhörlich und floß über von Fragen und Neckereien, sie war zu glückselig.

„Nun aber ist’s genug!“ sagte Bernhard endlich und zog ihre Arme in den seinigen. „Jetzt bleibst Du an meiner Seite, dort drüben ist bereits der Ausgang des Waldes, wo der Wagen uns erwartet.“

„Schon? O laß mich nur noch einen Blick in die Schlucht dort thun, nur einen einzigen! Ich muß durchaus wissen, wo der kleine Bach herkommt, der dort drüben plätschert; in zwei Minuten bin ich wieder zurück.“

Und fort war sie, Bernhard sah den blauen Schleier bereits wieder drüben an der Felswand flattern und in der nächsten Minute dahinter verschwinden.

„Nun Gott sei Dank, eine geschraubte Modedame wenigstens hat die Pension nicht aus ihr gemacht! Das ist noch ganz das Kind, das ich vor vier Jahren dorthin brachte,“ sagte er, mit dem Ausdruck tiefster Befriedigung ihr nachblickend, und blieb geduldiger, als es wohl sonst seine Art war, stehen, um ihre Rückkehr zu erwarten.

Lucie hatte inzwischen die Schlucht erreicht und blickte neugierig hinein; es war ein reizendes Stück Waldeinsamkeit, das sich hier vor ihren Blicken aufthat. Rauschend und silberhell kam der Bach von der Höhe herab und stürzte, über glatte Kiesel und moosige Steine, an dunklen Felswänden vorüber, in den Wald hinein. Darüber wölbten sich hohe Buchen und dazwischen grünte weiches Moos und rankte sich blühendes Gesträuch – es war ein Ort, so recht zum Träumen und Sinnen geschaffen, aber gerade dies lag der jungen Dame himmelweit entfernt. Ihr erster Blick galt dem Orte selbst, ihr zweiter einem Himbeerstrauch, der, in der Felswand wurzelnd, mit einer Fülle dunkelrother Beeren über den Bach hinaushing. Das sehen und einen unbezwinglichen Appetit danach verspüren, war für Lucie Eins; vergessen war das Versprechen, sogleich zurückzukommen, vergessen das drohende Stirnrunzeln des Bruders. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, trat sie sofort den Weg nach der Felswand an; daß er mitten durch den Bach ging, kümmerte sie durchaus nicht. Ihr Kleid zusammennehmend, sprang sie leicht wie eine Elfe von Stein zu Stein. Das Wasser rieselte unter ihren Füßen und durchnäßte völlig die beiden Residenzstiefelchen, die für Spaziergänge im Gießbach wohl nicht berechnet waren, aber das erhöhte nur ihr Vergnügen; sie lachte laut auf, wenn die hellen Wassertropfen emporspritzten oder das niederhängende Gezweige ihre Stirn streifte. Der kleine Strohhut hatte sich schon beim ersten Schritt als zu lästig erwiesen, er hing am Arme und mußte einstweilen die duftende Fülle der im Walde gepflückten Blumen bergen; die Locken, von keinem Bande mehr gehalten, wehten lose um Hals und Schultern; dabei ging es vorwärts, über Felsgeröll, Baumwurzeln und Wassersturz, immer aufwärts, den Bach hinauf. Je schwieriger der Weg, desto größer wurde der Eifer, das junge Mädchen war nur eine Jugendlust, ein jubelnder Uebermuth, und jetzt endlich stand sie oben, hell beschienen von dem Sonnenstrahl, der durch das Laubdach drang und gerade auf das rosige Kinderantlitz fiel, mit flatternden Locken, mit glühenden Wangen und strahlenden Augen, und streckte die Hand nach dem ersehnten Gesträuche aus.

Aber plötzlich ließ sie dieselbe wieder sinken und stieß einen leisen Ausruf des Schreckens aus. Drüben vom Rande der Felswand blickten ein Paar große unheimlich tiefe und dunkle Augen starr zu ihr herüber, und als sie erschreckt noch weiter zurückwich, tauchte eine Gestalt in langem schwarzem Gewande aus dem Gebüsch hervor, und stand hochaufgerichtet ihr gegenüber.

Die erste Regung Luciens war, trotz der so nachdrücklich betonten sechszehn Jahre, eine ganz gründliche Gespensterfurcht, und ihre erste Bewegung ein Versuch davon zu laufen, aber schon im nächsten Augenblick siegte die Vernunft. Gespenster am hellen Mittage! Während die Sonne so goldig durch die Buchenzweige schien und der Bach zu ihren Füßen so lustig plätscherte, als wolle er sie auslachen über ihre kindische Angst – sie nahm allen Muth zusammen und wagte einen zweiten Blick hinüber.

Da sah sie nun allerdings, daß es ein Mensch war, der dort drüben stand, ein Mann in langem geistlichem Talar, der bisher im Moose gelegen und von dort aus vermuthlich den ganzen Spaziergang durch den Gießbach mit angesehen hatte. Das Buch, in dem er gelesen, lag noch am Boden, er selbst aber stand mit verschränkten Armen und blickte düster und unverwandt auf sie hin.

Also ein Geistlicher, der wahrscheinlich seine Predigt einstudirte, und der hatte sie so erschreckt! Luciens ganzer Uebermuth kam zurück; ohne sich weiter um den fremden Zuschauer zu kümmern, der ihr jetzt ganz und gar kein Interesse mehr einflößte, begann sie eine gründliche Plünderung des Himbeergesträuches und schickte sich dann an, den Weg, den sie gekommen war, wieder hinabzusteigen.

Jetzt aber mußte sie bei dem Fremden vorüber, er stand noch immer wie angewachsen, ohne sich zu regen, und dabei stand er gerade auf einem der großen Steine, die den Pfad durch den Bach bildeten. Der unhöfliche Mann dachte nicht daran, auch nur einen Schritt zur Seite zu treten, trotzdem er doch sah, daß sie hinab wollte. Lucie begann sich über diese Rücksichtslosigkeit zu ärgern, sie setzte nachdrücklich ihr Füßchen in’s Wasser, daß es hoch aufspritzte, um ihm begreiflich zu machen, wie sehr störend ihr sein Standpunkt sei, und warf ihm einen ihrer allerungnädigsten Blicke zu.

Dabei begegnete sie aber zum zweiten Male seinen Augen, die noch immer unbeweglich auf ihrem Antlitz ruhten, gerade so starr und düster wie vorhin. Es mußte doch etwas Gespensterhaftes in dem Manne sein, denn dem jungen Mädchen ward auf einmal glühend heiß unter diesem seltsamen Blick, die ganze vorige Angst kam verdoppelt zurück, sie wünschte sich weit weg in die schützende Nähe des Bruders und doch stand sie wie gefesselt von einer fremden Macht und wagte keinen Schritt vor- oder rückwärts zu thun. So vergingen in paar beängstigende Secunden, da endlich wich der unheimliche Fremde langsam zur Seite, er gab den Weg frei und wie ein gescheuchtes Reh flog Lucie an ihm vorüber, den Bach hinab, und in den Wald hinein.

Hier kam ihr Bernhard, durch ihr langes Außenbleiben beunruhigt, bereits entgegen. „Sind das etwa die gewünschten zwei Minuten? Du scheinst wirklich – aber was hast Du denn, Kind, Du siehst ja ganz verstört aus!“

Lucie hing sich fest an seinen Arm, jetzt, wo sie sich geschützt wußte, brach der alte Uebermuth schon wieder durch, sie warf noch einen scheuen Blick zurück nach der Schlucht, aber es zuckte bereits schelmisch um ihre Lippen, als sie antwortete:

„Ich bin dem Währwolf begegnet, von dem es in den Märchen heißt, daß er in Menschengestalt umgehe! Drüben stand ein Mann, so finster und unheimlich, er trug einen langen schwarzen Talar –“

„Das wird einer von den Mönchen des Stiftes gewesen sein,“ meinte Bernhard gleichgültig. „Die Herren Benedictiner pflegen zwar sonst nicht gerade die einsamen Waldgründe aufzusuchen, wenn sie sich außerhalb des Klosters amüsiren! – Das Ordenskleid also hat Dich so erschreckt?“

Lucie sah zu Boden und schüttelte den Kopf. „Nicht das Kleid,“ sagte sie leise, „der Blick war es. Er hatte so seltsame Augen, wahre Gespensteraugen!“

Das Spottlächeln von vorhin erschien wieder auf dem Gesicht des Bruders. „Dein Heroismus scheint nur den Gouvernanten gegenüber zu existiren! Noch vor einer Viertelstunde prahlst Du damit, Dein ganzes Pensionat in Schach gehalten zu haben, und jetzt läufst Du vor einem Mönchsgewand und einem Paar Mönchsaugen davon. In der That, eine rechte Heldenseele, die ich da in meiner Schwester entdecke!“

Lucie wollte auffahren und sich eifrig gegen den Vorwurf vertheidigen, aber das Wort erstarb ihr auf den Lippen; denn in diesem Augenblick traten sie aus dem Walde auf die Höhen hinaus, und eine prachtvolle Gebirgslandschaft rollte sich vor ihren Blicken auf. Rauschend schoß der Bergstrom durch ein weites offenes Thal, im hellsten Sonnenstrahl schimmerten Flecken, Dörfer und einzelne Gehöfte, theils am Strome, theils am Bergeshang zerstreut liegend, von nah und fern herüber, dazwischen leuchtete das sonnige Grün der Matten, die ringsum all die tiefer gelegenen Höhen umkränzten, und darüber hinaus strebten dunkle Tannenwälder höher und höher an den Bergwänden empor, bis zum Gipfel hinauf. Im Vordergrunde lag ein Schloß, eine malerische alte Bergveste, die gerade hinab zum Strom blickte, aber so kühn es sich auch auf seinem Felsen hob, und so trotzig die grauen Erker und Söller aus dem Tannengrün hervorschauten, es trat doch zurück vor dem mächtigen, schloßartigen Gebäude, das sich ihm gegenüber auf einer Anhöhe ausdehnte, von weiten Gärten umgeben, mit Mauern und Pfeilern, die wie für die Ewigkeit gegründet schienen, mit langen Fensterreihen und zwei prachtvollen Thürmen über dem Hauptportal. Die Sonnenstrahlen fielen mit vollster Kraft auf die leuchtend weißen Mauern; vom hellsten Mittagsglanz umflossen lag die Benedictinerabtei stolz und mächtig da, weithin das Thal beherrschend, die Krone und der Mittelpunkt des ganzen herrlichen Landschaftsgemäldes, und über das alles hinaus hoben sich die riesigen Häupter des Gebirges, von blauem Duft umwoben, und ragten ernst und gewaltig hinein in die sonnige Welt.

Lucie war überrascht stehen geblieben, nur ein lautes Ah der Bewunderung entfuhr ihren Lippen, dann blieb sie regungslos im Anschauen versunken, Bernhard beugte sich zu ihr nieder.

„Nun, Lucie, wirst Du hier Deine engen Residenzstraßen, Deine hohen Häuser und den ummauerten Pensionsgarten vermissen? Ich denke nicht.“

Das junge Mädchen fuhr aus dem athemlosen Schauen auf bei dieser Anrede, sie schlang plötzlich ihre beide Arme um den Hals des Bruders und rief mit der ganzen stürmischen Freude eines Kindes: „O, ich habe nicht gewußt, daß die Welt so schön ist!“

Bernhard lächelte. „Du hast freilich noch nichts davon gesehen, als nur unsere märkischen Haiden. Sieh dort hinüber, dort liegt Deine künftige Heimath, und jetzt laß uns eilen, daß wir sie endlich erreichen, es ist hohe Zeit!“

Er hob sie in den bereits wartenden Wagen und nahm an ihrer Seite Platz, ein Druck mit dem Zügel, und die ungeduldigen Thiere griffen aus; dahin rollten sie, dem Thale zu, hinein in die Berge.

3

Inhaltsverzeichnis

„Ist Pater Benedict schon zurückgekehrt?“

„Noch nicht, Euer Gnaden!“

„Er soll sofort nach seiner Ankunft benachrichtigt werden, daß ich ihn zu sehen wünsche, und daß der Herr Graf Rhaneck ihn hier erwartet.“

Der Kammerdiener schloß die Thüren und entfernte sich, den soeben erhaltenen Befehl auszuführen; die beiden Herren, welche sich im Arbeitszimmer des Prälaten befanden, blieben mit einander allein.

Es war ein großes, mit fürstlicher Pracht eingerichtetes Gemach. Die schweren purpurrothen Seidenvorhänge des hohen Bogenfensters wehrten, zur Hälfte herabgelassen, den glühenden Strahlen der Mittagssonne den Eingang. An einem Tisch, der mit kostbarem Schreibgeräth, mit Briefschaften und Papieren aller Art bedeckt war, saß der Prälat im reichvergoldeten, mit dunklem Sammet überzogenen Lehnstuhl, während Graf Rhaneck von seinem Sitze ihm gegenüber aufgestanden war, und mit raschen, etwas ungeduldigen Schritten das Zimmer durchmaß.

Es war nicht schwer, in den Beiden gleich beim erstens Blick zwei Brüder zu erkennen, die Aehnlichkeit zwischen ihnen trat deutlich genug hervor: dieselbe hohe, imponirende Gestalt, dieselben großen blauen Augen, derselbe Schnitt des Gesichtes, mit dem gleichen Ausdruck eines unnahbaren Stolzes. Es waren offenbar Familienzüge, die Züge eines edlen, kräftigen Geschlechts, die sich in diesen regelmäßigen Linien wiederholten, und vielleicht war sie auch unter den Rhanecks erblich, jene eigenthümliche Linie auf der Stirn, gerade zwischen den Augen, die, in ruhigen Momenten kaum sichtbar, sich bei jeder Erregung zu einer drohenden Falte vertiefte, ein Zug von Härte, ja von Grausamkeit, der, wenn er erst einmal hervortrat, das Antlitz fast entstellte und ihm einen ganz anderen Charakter lieh.

Aber trotz aller Aehnlichkeit waren die Brüder doch verschieden genug von einander. Auf dem Gesicht des Prälaten lag kalte leidenschaftslose Ruhe, die Augen blickten so scharf und durchdringend, als seien sie gewohnt, Alles und Jedes, was ihnen nahte, bis in die innersten Tiefen hinein zu durchschauen und zu ergründen; die Haltung war ernst und gemessen und das bereits ergraute Haar, im Verein mit dem schwarzen Ordensgewande, ließen ihn um ein ganzes Theil älter erscheinen als den Bruder, obgleich in Wirklichkeit nicht viel mehr als ein Jahr zwischen ihnen liegen mochte. Das volle dunkelblonde Haar des Grafen dagegen zeigte nur hin und wieder einige Silberfäden, das Auge war noch voll Feuer, die Bewegungen rasch und energisch, in Gang, Haltung und Ausdruck sprach sich eine Lebhaftigkeit aus, die in früheren Jahren wohl Leidenschaftlichkeit gewesen sein mochte, und die reiche Uniform, welche einen hohen militärischen Grad kennzeichnete, hob die Erscheinung des noch immer schönen Mannes noch um ein Bedeutendes.

Er wartete, bis sich die Thür hinter dem Kammerdiener geschlossen hatte, und nahm dann das vorhin unterbrochene Gespräch wieder auf.

„Du scheinst so zurückhaltend über Bruno. Giebt er Dir irgendwelchen Anlaß zur Klage, oder was ist sonst mit ihm?“

„Nicht doch!“ sagte der Prälat ruhig. „Pater Benedict fährt nach wie vor fort, sich unter all seinen Mitbrüdern auszuzeichnen. Er ist streng gewissenhaft in der Erfüllung seiner Pflichten und sehr eifrig in seinen religiösen Uebungen, nur allzusehr.“

„Zu eifrig?“

„Ja, ich liebe es nicht, wenn meine jungen Mönche in diesem letzten Puncte allzu weit gehen. Diese ewigen Bet- und Bußübungen, dies fortwährende Fasten und Kasteien ist auf die Dauer nicht durchzuführen; es muß nothwendig einen Rückschlag erzeugen, der gefährlich werden kann.“

Der Graf lächelte. „Das mußt Du ihm zu Gute halten. Er ist nun einmal ein Schwärmer, ist es von jeher gewesen.“

„Es taugt aber hier nicht mehr!“ Die Stimme des Prälaten nahm unwillkürlich einige Schärfe an. „Ich habe schon öfter damit zu kämpfen gehabt. Das kommt aus den Seminarien mit seinen Idealen von begnadigter Priesterschaft, von ascetischer Weltentsagung und gottgeweihtem Leben und findet – ein Kloster, wie es eben in unserer Zeit besteht. Die Ernüchterung kann nicht ausbleiben, und was dann? Es will mir nicht gefallen, dies finstere, scheue Absondern von den Brüdern, dies fortwährende einsame Umherschweifen in den Wäldern, dies nächtelange Studiren und Brüten über den Büchern –“

„Und das machst Du ihm zum Vorwurf?“ unterbrach ihn der Graf rasch und beinahe unmuthig. „Du, der von jeher über die geistige Indifferenz und Trägheit Deiner Mönche klagtest! Ich begreife Dich nicht! Gerade dieser rastlose Wissensdrang im Verein mit seiner eminenten Begabung und seinem Feuereifer, das sind die Elemente, aus denen man die Stützen der Kirche heranzieht.“

„Oder die Apostaten!“

„Um Gotteswillen, Du glaubst doch nicht, daß Bruno –“

„Nein!“ sagte der Prälat. „Ich wiederhole es Dir, er hat mir noch keinen Grund zum Tadel gegeben; ich mißtraue nur dieser Richtung im Allgemeinen, und das muß anders werden, wenn er die Hoffnungen verwirklichen soll, die Du auf ihn setzest. Du schmeichelst Dir damit, in ihm dereinst meinen Nachfolger, vielleicht noch etwas Höheres zu sehen; Talent dazu hat er genug, aber ihm fehlt der freie Ueberblick, die Berechnung. Mit Beten und Kasteien, das einer untergeordneten Mönchskutte ziemen mag, erringt man keine hervorragende Stellung in der Kirche, noch füllt man sie damit aus. Er muß hinweg über das Schülerhafte des Neophyten, wenn er empor will, und daß er das noch immer nicht kann, flößt mir Besorgniß ein!“

Der Graf antwortete nicht, mit einem unterdrückten Seufzer trat er zum Fenster und schaute, den Vorhang zurückschiebend, hinaus in das sonnenbeschienene Thal. Der Prälat folgte der Richtung seines Blickes.

„Was sagst Du zu der neuen Nachbarschaft in Dobra?“ fragte er, plötzlich von dem soeben verhandelten Gegenstande abbrechend.

Rhaneck zuckte die Achseln. „Ich habe nicht geglaubt, daß die Seltenow’schen Besitzungen in solche Hände fallen würden!“ sagte er wegwerfend. „Es ist immerhin ein starkes Stück von diesem norddeutschen Bauer, sich so gerade in unsere Mitte hinzusetzen, als wäre er unseres Gleichen. Man ignorirt ihn einfach.“

Sehr ruhig stand der Prälat auf und trat gleichfalls zum Fenster. „Es ist von jeher Dein Fehler gewesen, Ottfried, die Gegner zu unterschätzen, und nichts rächt sich so schlimm wie gerade dies. Dieser Günther ist Keiner von Denen, die sich mit einem Stirnrunzeln und einem vornehmen Achselzucken abthun lassen. Man hatte allerdings die Absicht, ihn zu ignoriren; aber er kam uns zuvor und ignorirte einfach uns. Nebenbei ist er auf dem Wege, eine Macht in der Umgegend zu werden.“

„Warum nicht gar!“ fuhr der Graf auf. „Die Güter sind in Grund und Boden gewirthschaftet – er wird darauf zu Grunde gehen!“

„Ich fürchte, er bringt sie zu einer nie geahnten Höhe. Wo Graf Seltenow seinen Ruin fand, da findet dieser ‚norddeutsche Bauer‘ überall neue Hülfsquellen und deckt wahre Schatzgruben auf. Was er in dem einen Jahre schon geleistet, übersteigt alle Begriffe; seine Einrichtungen und Verbesserungen sind großartig, noch schlimmer, sie sind praktisch. Ich habe mir eingehenden Bericht darüber erstatten lassen. Geht das so fort, dann ist es allerdings keine Prahlerei mehr, wenn er behauptet, daß die Güter nach sechs Jahren das Sechsfache ihres bisherigen Werthes haben würden.“

„Nun, und wenn’s wäre, was geht das uns an?“ Der verächtliche Ausdruck lag noch immer um den Mund des Grafen. „Man wird dafür sorgen, daß er auf seiner Scholle bleibt. Uebrigens soll er ja, wie ich höre, ganz in seine wirthschaftlichen Angelegenheiten vertieft sein und gar nicht beabsichtigen, auf einem andern Gebiete irgend eine Rolle zu spielen.“

„Weil er noch fremd ist. Warten wir erst ab, wenn er festen Fuß gefaßt hat. Es ist immer gefährlich, wenn ein Fremder, ein Protestant, all die Arbeitskräfte der Umgegend an sich zieht und für sie eine Autorität wird. Es gährt ohnedies hier überall; man wird ihm gegenüber Stellung nehmen müssen.“

Der Graf hörte die letzten Worte kaum, er wandte sich hastig um, denn in diesem Moment wurde die Flügelthür von Neuem geöffnet und ein junger Mönch in der schwarzen Tracht der Benedictiner erschien auf der Schwelle.

Er konnte höchstens vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt sein, aber es lag nichts von Jugendfrische und Jugendleben in diesen Zügen, die Beides vielleicht nie gekannt hatten. Ueppiges dunkles Lockenhaar kräuselte sich um die hohe Stirn und umgab ein Antlitz, das selbst in seiner ascetischen Blässe und seinem Ausdruck finsterer Verschlossenheit noch schön zu nennen waren. Die kalte, fast eisige Haltung contrastirte seltsam mit dem düstern Feuer der großen tiefliegenden Augen, während das lange dunkle Ordensgewand den hohen Wuchs noch mehr hervortreten ließ. Er blieb schweigend, mit einer tiefen ernsten Verneigung an der Thür stehen, trotzdem er sah, daß Graf Rhaneck im Begriff stand, ihm entgegen zu gehen, und trat erst auf einen Wink des Prälaten langsam näher.

„Graf Rhaneck wünscht Sie zu sehen, deshalb ließ ich Sie rufen, Pater Benedict!“ erklärte dieser. „Du ziehst doch wohl vor, Deinen Schützling allein zu sprechen, Ottfried; ich will das erste Wiedersehen nicht stören. Im Cabinet findest Du mich.“

Er grüßte leicht mit der Hand und zog sich in das anstoßende Gemach zurück, Pater Benedict neigte sich, wie vorhin, tief und unterwürfig vor seinem geistlichen Oberherrn, der Graf aber trat jetzt auf ihn zu und bot ihm die Hand.

„Wir haben uns lange nicht gesehen, ein volles Jahr lang nicht! Muß ich jetzt auch dem hochwürdigen Herrn Pater die Ehren seines neuen Standes geben, oder ist mir noch die frühere Vertraulichkeit und der weltliche Name erlaubt?“

Die Worte klangen freundlich und herzlich, und es war ein eigenthümlicher, halb froher halb düsterer Blick, der dabei forschend über das Antlitz des jungen Mönches glitt, aber dieser erwiderte die Begrüßung kaum, seine Hand lag kalt und still in der des Grafen, ohne dessen Druck zu erwidern, und seine Züge blieben unbeweglich, als er ablehnend sagte: „O, ich bitte, Herr Graf!“

Rhaneck lächelte. „Nun, der Vormund und ehemalige Beschützer kann auch wohl noch das alte Recht in Anspruch nehmen, nicht, Bruno? Also jetzt endlich ist das Ziel erreicht, dem Du von frühester Jugend an bestimmt wurdest, nach dem Du selbst mit allen Kräften gerungen hast. Du gehörst nun dem alten berühmten Orden an, der jedem seiner Mitglieder die Priesterwürde verleiht, zu dem ein Jeder das Wissen und den Beruf des Priesters mitbringen muß. Nicht wahr, es ist ein anderes Gefühl, als Geweihter des Herrn vom Altare auf die Menge herabzublicken, die sich um Deinen Segen drängt, als unter ihr verloren zu knieen und zu beten?“

Es zuckte etwas auf in den Zügen des jungen Priesters bei den letzten Worten, vielleicht zustimmende Begeisterung, vielleicht auch etwas Anderes, deuten ließ es sich nicht, denn die langen Wimpern sanken sofort nieder und verschleierten den Blick, er sah zu Boden.

„Vor allen Dingen muß ich Ihnen, Herr Graf, meinen Dank aussprechen, daß Sie mir dies Ziel ermöglichten. Nur Ihrer Güte allein verdanke ich meine Erziehung und Ausbildung, verdanke ich die Aufnahme in das Stift, die dem armen elternlosen Knaben, von niedriger Herkunft, wohl nie zu Theil geworden wäre. Ich fühle tief die Schuld –“

Ueber die Stirn Rhaneck’s lief eine glühende, schnell verschwindende Röthe, und hastig, beinahe ungestüm fiel er dem Redenden in’s Wort.

„Nicht doch, nicht doch! Nur nichts von Dank, von Schuld und dergleichen! Es war mein Wunsch, Dich diesem Stande gewidmet zu sehen, und ich bin überzeugt, Du wirst ihm Ehre machen. Mein Bruder stellt Dir das ehrenvollste Zeugniß aus, aber auch ihm gehst Du zu weit in Deinem rastlosen Eifer. Ich hoffte, Du würdest nach dem angestrengten Studium des Noviziats hier im Kloster endlich die Ruhe finden, deren Du so sehr bedarfst, statt dessen überarbeitest Du Dich nach wie vor, wachst ganze Nächte hindurch, gönnst Dir selbst auf Deinen Spaziergängen keine Erholung. Der Pater Prior sagte mir, als ich bei der Ankunft nach Dir fragte, Du lägest sicher wieder im nahen Walde und brütetest über irgend einem canonischen Werke, das Du mit Dir genommen. Bruno, wo soll das denn endlich hinaus?“

Der Vorwurf klang sehr milde, aber er mußte doch irgend eine wunde Stelle berühren, bei Erwähnung des Waldes schoß plötzlich eine dunkle Gluth in dem Antlitz des jungen Mönches auf und färbte brennend heiß Stirn und Schläfe, der Blick suchte scheu den Boden und die Lippen zitterten leise, dann plötzlich sanken die Blutwellen wieder, so schnell und stürmisch, wie sie aufgestiegen waren, und das Gesicht wurde erschreckend bleich.

Der Graf, dem dieser jähe Farbenwechsel nicht entgangen war, schaute ihn betroffen an. „Du bist krank!“ sagte er unruhig. „Dein ganzes Aussehen verräth es! Solchen Anstrengungen und Bußübungen, wie die Deinigen, muß schließlich selbst eine eisenfeste Gesundheit unterliegen. Wozu das Alles? Du bist jung, Du hast noch keine Schuld auf Deinem Gewissen, mache ein Ende mit dieser ewigen Pönitenz, werde endlich einmal wie Deine anderen Mitbrüder. Schone Dich, Bruno, ich bitte Dich darum!“

Er hatte die beiden Hände des jungen Priesters ergriffen und zog ihn leise zu sich, während sein Auge mit unverhüllter Besorgniß auf dessen blassen Zügen ruhte. Es lag eine seltsame Weichheit in Ton und Blick, eine Zärtlichkeit, deren man dies Gesicht und diese Stimme kaum fähig gehalten hätte; es geschah sicher nicht oft, daß Graf Rhaneck bat, aber der Eindruck dieser Bitte war anders, als er erwartete. Benedict machte eine Bewegung, als wolle er die Hand zurückziehen, und ließ sie dann, wie sich plötzlich besinnend, in der des Grafen, in seiner ganzen Haltung war etwas wie unwillkürliches Zurückweichen, wie instinctmäßige Abwehr, und in dem Blick, den er jetzt langsam emporhob, lag noch Schlimmeres, ein vielleicht unbewußter, aber tiefer und nur mühsam bezwungener Widerwille, als er ehrfurchtsvoll, aber eisig antwortete: „Sie sind sehr gütig, Herr Graf.“

Rhaneck ließ seine Hand fallen und trat zurück; er schien die Abweisung zu verstehen, aber jener verächtliche Ausdruck, der seinen stolzen Lippen so sehr zu Gebote stand, als er vorhin von dem „Bauer“ gesprochen, erschien diesmal nicht, wo er doch fast beleidigt wurde; wohl zuckte eine tiefe Bitterkeit durch sein Gesicht, aber sie hatte mehr vom Schmerz, als vom Zorn an sich.

„Du willst in mir immer und ewig nur den Gönner sehen, nie den väterlichen Freund!“ sagte er rasch und heftig. „Ich habe es nun bereits aufgegeben, bei Dir je eine Regung des Vertrauens der Offenheit zu finden. Immer diese unübersteigliche Kluft zwischen uns! und Du mußt Dir doch selbst sagen, daß Deine Stellung mir und der Welt gegenüber jetzt eine andere geworden ist.“

Benedict’s Wangen begannen sich wieder leise zu färben, aber diesmal war es unverkennbar die Röthe der Beschämung.

„Verzeihung, Herr Graf! Ich fühle tief mein Unrecht gegen den Mann, dem ich Alles danke, aber –“

„Aber Du kannst es nicht ändern! Laß gut sein, ich mag keine erzwungene Zuneigung, noch weniger eine erheuchelte. Wir werden uns jetzt wohl öfter sehen, da ich den Sommer über in Rhaneck zu bleiben denke. Für heute lebe wohl!“

Er wandte sich nach dem anstoßenden Gemach, aber auf der Schwelle zögerte er einen Moment, wie um eine nochmalige Annäherung Benedict’s zu erwarten, doch dieser verharrte unbeweglich auf seinem Platze, und mit einer raschen, unmuthigen Bewegung trat der Graf in das Cabinet seines Bruders.

„Ist die Unterredung schon zu Ende?“ fragte dieser befremdet aufblickend.

Rhaneck warf sich finster in einen Sessel. „Bruno ist wieder einmal unzugänglicher als je! Diese eisige Zurückhaltung und Verschlossenheit ist nicht zu überwinden!“

Der Prälat lächelte etwas hohnvoll und ein leiser Hohn lag auch in seiner Stimme. „Pater Benedict hat wohl wieder Deine Zärtlichkeit mit seiner unterwürfigen Kälte zurückgewiesen? Ich dachte es mir! Sonst wäre der Liebling nicht so schnell entlassen worden. Du thätest besser, sie Deinem eigenen Sohne zuzuwenden.“

Rhaneck fuhr auf. „Meinem Sohne! Und Bruno – ?“

„Ich meine den künftigen Majoratsherrn, Ottfried Grafen zu Rhaneck!“ Die Stimme des Prälaten klang scharf und schneidend. „Ihm allein bist Du diese Regungen von Zärtlichkeit schuldig, die Pater Benedict weder verstehen kann noch darf.“

Der Graf stützte den Kopf in die Hand. „Laß das ruhen!“ sagte er gepreßt. „Du weißt, in dem Punkte gehen unsere Ansichten auseinander.“

„Ja, nur allzusehr! Du wirst dieser Schwäche doch niemals Herr werden, das habe ich längst eingesehen. Du hast Recht, es ist am besten, der alte Streit bleibt ruhen. Laß uns davon abbrechen!“ –

Pater Benedict hatte inzwischen, als er sich verabschiedet sah, die Gemächer des Abtes verlassen und öffnete jetzt die Thür zu dem Kreuzgange, der die Prälatur mit den übrigen Räumen des Klosters verband. In dem schattig kühlen Raume gingen zwei Männer, im Gespräch begriffen, langsam auf und nieder. Der eine, gleichfalls ein Benedictinermönch, der Prior des Klosters, mit klugen, aber unangenehmen Zügen und stechenden schwarzen Augen, die einen eigenthümlich lauernden Ausdruck hatten, schien das Wort zu führen, während sein Begleiter mit einer Art unterwürfiger Freundlichkeit zuhörte. Es war ein Mann, schon hoch bei Jahren, er stand bereits auf der Schwelle des Greisenalters, die Kleidung eines Weltgeistlichen, die er trug, war sehr einfach, um nicht zu sagen dürftig, und doch schien sie mit ganz besonderer Sorgfalt in Stand gesetzt zu sein. Spärliches weißes Haar kam unter dem schwarzen Käppchen zum Vorschein, welches das fast kahle Haupt bedeckte. Das blasse eingefallene Gesicht verrieth zwar keine hervorragende Intelligenz, aber es hatte einen freundlich bescheidenen, ja demüthigen Ausdruck und in den hellen Augen, die das Alter noch nicht getrübt, lag etwas wie stille Resignation. Seine ganze Haltung hatte etwas Gedrücktes und Schüchternes, er fühlte sich offenbar nicht heimisch auf diesem Marmorfußboden und in der Gegenwart des Priors, der in gönnerhafter, vornehm herablassender Art zu ihm sprach.

Bei dem Eintritt Benedict’s verstummte die Unterhaltung und Beide wandten sich dem Eintretenden zu, der mit dem üblichen Klostergruße an ihnen vorüber wollte, der Prior hielt ihn jedoch zurück.

„Ist die Audienz bei dem Herrn Prälaten schon beendet?“

„Ja, Hochwürden.“

„So?“ Der Prior schien befremdet, er machte eine nachlässig vorstellende Bewegung mit der Hand. „Pater Benedict, der Jüngste unserer Brüder“ – und zu diesem gewendet fuhr er fort: „Sie kennen ja wohl den Herrn Pfarrer Clemens noch nicht?“

„Nein, Hochwürden.“

„Er ist unser Gast für einige Tage! Wird der Herr Graf Rhaneck heut zur Tafel bleiben?“

„Ich weiß nicht.“

Der Prior sah ihn mit einem Blicke an, der deutlich verrieth, wie wenig er mit diesen einsilbigen Antworten zufrieden war. Benedict schien das nicht zu bemerken, er wartete schweigend auf weitere Fragen seines Vorgesetzten, und als diese nicht erfolgten, neigte er sich wie vorhin, schritt durch den Kreuzgang, und verschwand durch die entgegengesetzte Thür.

Der Prior blickte ihm eine Weile nach und wendete sich dann mit dem Ausdruck unverstellten Hohnes zu seinem Begleiter.

„Da sehen Sie, Reverendissime, unseren zukünftigen Abt und Herrn – nach dem Willen des Prälaten und seines Bruders nämlich, die ihn schon als solchen betrachten.“

Der alte Pfarrer sah ihn fast erschreckt an. „Sie scherzen, Hochwürden! Dieser junge Priester!“

„Ist das Schooßkind des Prälaten, das Wunder des ganzen Klosters, man hat sehr hochfliegende Pläne mit ihm. Es ist nur ein Glück, daß mit dem Tode eines Abtes auch dessen Regiment aufhört, und die Freiheit der Wahl an uns zurückfällt. Pater Benedict müßte etwas weniger hochmüthig sein, und sich vor allen Dingen weniger Feinde unter den Brüdern machen, wenn er im Ernste von einer dereinstigen Erhebung träumen wollte, auf die jeder Andere denn doch mehr Anspruch hat, als er.“

„Mir schien in dem Wesen des jungen Paters nichts von Hochmuth zu liegen,“ wendete der Pfarrer schüchtern ein, „ich fand seine Haltung im Gegentheil unterwürfig und durchaus geziemend.“ Eifer ist mir verdächtig.

Der Prior zuckte verächtlich die Achseln. „Ja, die Klostervorschriften hat er trefflich eingelernt, und dennoch gebe ich Ihnen mein Wort, es ist der hochmüthigste Starrkopf, der je eine Kutte getragen. Sie haben es ja gehört. ‚Ja‘ und ‚Nein‘ und ‚Ich weiß nicht‘, weiter ist überhaupt nichts aus ihm herauszubringen. Blicken Sie einmal in seine Augen, ob da etwas von Demuth und Unterwerfung geschrieben steht, ich lese ganz andere Dinge darin. Wir werden noch etwas erleben an diesem Eindringling, der von Rechtswegen in einen Bettelorden gehört, und nicht in ein Herrenstift, das sich immer nur aus den ersten und besten Familien des Landes recrutirte und dies Privilegium bisher festgehalten hat, trotz aller Klosterregeln. Aber unser Herr Prälat wollte und Seine Gnaden haben uns Alle so trefflich in Zucht, daß kaum Einer es mehr wagt, sein Veto noch geltend zu machen, diesem allmächtigen Willen gegenüber, genug, die Aufnahme ward durchgesetzt.“

„Pater Benedict ist also von sehr niedriger Herkunft?“

Ein boshaftes Lächeln glitt über die unangenehmen Züge des Priors. „Wie man’s nimmt! Es heißt, er sei der Sohn eines ehemaligen Dieners des gräflich Rhaneck’schen Hauses. Bah, wozu geben solche Leute den Namen nicht her, wenn man es ihnen gut bezahlt! Thatsache ist, daß Graf Rhaneck ganz vernarrt ist in diesen – Schützling; er liegt seinem Bruder fortwährend mit Briefen, und jetzt sogar persönlich an, ihm das Kleinod nur ja recht zu behüten, und Pater Benedict weiß nur zu gut, unter welcher mächtigen Protection er steht. Er versteht es meisterlich, das noli me tangere im Kloster zu spielen, keinen von den Brüdern würdigt er seiner Unterhaltung oder seines Umganges, Alle hält er sie sich vornehm fern, er, der Jüngste, der nur aus besonderer Gnade hier Aufgenommene! Freilich, er weiß, daß er sich schlechterdings Alles erlauben darf und in Allem geschützt wird.“

„Aber ich hörte bereits den Eifer und den Fleiß des jungen Bruders rühmen,“ wagte der Pfarrer mit seiner leisen schüchternen Stimme zu bemerken.

Das häßliche Lächeln von vorhin trat wieder auf die Lippen des Priors. „O ja, daran fehlt es ihm nicht, aber gerade dieser Eifer ist mir verdächtig. Er denkt