Gesammelte Werke: Drachen (Sage und Naturwissenschaft) + Eiszeit und Klimawechsel - Wilhelm Bölsche - E-Book

Gesammelte Werke: Drachen (Sage und Naturwissenschaft) + Eiszeit und Klimawechsel E-Book

Wilhelm Bölsche

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Beschreibung

Dieses eBook: "Gesammelte Werke: Drachen (Sage und Naturwissenschaft) + Eiszeit und Klimawechsel + Das Leben der Urwelt" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Wilhelm Bölsche (1861/1939) war ein deutscher Schriftsteller. Obwohl die meisten Schriften Bölsches naturwissenschaftliche Themen behandeln, war er kein Naturwissenschaftler, sondern er hat als Schriftsteller naturwissenschaftliche Themen popularisiert: Als ein fachkundiger Laie schrieb Bölsche für Laien. Inhalt: Eiszeit und Klimawechsel (1919) Drachen: Sage und Naturwissenschaft (1929)

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Wilhelm Bölsche

Gesammelte Werke: Drachen (Sage und Naturwissenschaft) + Eiszeit und Klimawechsel

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-1505-1

Inhaltsverzeichnis

Eiszeit und Klimawechsel (1919)
Drachen: Sage und Naturwissenschaft (1929)

Eiszeit und Klimawechsel (1919)

Inhaltsverzeichnis

Der Wanderer im Riesengebirge, der auf einem früher fast ungangbaren, neuerlich etwas gebesserten Pfade von der sogenannten großen in die kleine Schneegrube klettert, sieht sich vor dem bedeutsamsten Landschaftsbild.

Tief herabschleifende und schattende Wolken, eine im Riß auftauchende unermeßliche Fernsicht sonnenbeglänzter Talweiten, das bezeichnende Knieholz (Legföhren), das sich wie ein tiefgrünes Riesenmoos zwischen die grauen Verwitterungsscherben des Gesteins schmiegt, erwecken den unzweideutigen Eindruck großer Höhe. Wo der zerfressene Granitgrat sich in die kleine Grube senkt, erscheint in dieser eine liebliche Alpental-Matte, je nach der Jahreszeit mit violettbraunem Türkenbund, rosig angehauchtem weißem Berghähnlein (Narzissenanemone) und den hohen Stauden tiefblauen Eisenhuts und Enzians in dichtem Pflanzenfilz über murmelnden Wassern. Unwillkürlich sucht der Blick im tiefsten Grunde der Matte den Gletscher, der aber fehlt.

Um so deutlicher prägen die Spuren sich aus, daß er einmal da war. Man glaubt noch zu erkennen, wo er zuletzt, den großen Grubenkessel ausräumend, geruht hat, – sieht niederschauend vor den ersten dickpelzigen Gebirgsfichten unten den gewaltigen Schuttring, den er schmelzend, ersterbend, zurückweichend als Seiten- und Stirnmoräne aus dem Gestein, das ursprünglich in sein kriechendes Eis eingebacken war, gehäuft. Ein kleiner Schneefleck zeigt sich öfter auch sommerlich noch am innersten Grubenhang erhalten, – offenbar mangelte sehr wenig, den Eisriesen selber wieder aufzuerwecken. Hier, wo die Volkssage Rübezahl umgehen läßt, scheint auch sein Gespenst noch greifbar zu spuken.

Aber am Knieholzpfad zwischen den Granitscherben fesselt ein kleines Pflänzchen, das, bescheiden an den Boden geschmiegt, mit rötlichen, nach Vanille duftenden Glöckchen nickt. Es ist die vielbesagte Linnaea borealis, und sie ist in der Tat ein noch lebender Zeitgenosse des alten Gletschers selbst. Mit einer weißen Steinbrechart auf dem Basaltgang der andern Grubenseite, der dem Botaniker noch köstlicheren Saxifraga nivalis, und ein paar ähnlichen Seltenheiten ist sie noch zugehörig zu der wirklichen Hochalpenwelt, die vormals hier bestand. Die eigentliche Heimat dieser Irrgäste, im Geiste weithin über die ganze deutsche Tiefebene da unten und die Ostsee dazu gesucht, sind Island, Lappland, Norwegen, Schweden, wo einst diese unscheinbare und doch so liebliche Linnaea den Namen des großen Linné selber erhielt. Von dort sind die verscheuchten Polarkinder bis hierher getrieben worden vom unaufhaltsam vorrückenden Eis.

So erzählen sie uns noch, daß damals nicht nur Gletscher hier wie ungeheure Eiszapfen des nie tauenden Firnschnees herabhingen, sondern daß auch jene ganze Meeresfläche und Ebene von Skandinavien bis zum deutschen Sudetenfuß unter einer einzigen unermeßlichen blauen Glasschale von Inlandeis (Binneneis) lag. Als das wieder schwand, sind sie am eigenen Gletscher des Gebirges noch geblieben. Und als auch der endlich schmolz, dauerten sie allein – die Winzigen, Vergessenen neben dem sich weiter wendenden Schritt der Riesenzeit – bis heute. Diese Pflänzchen sind nicht bloß starres Gespenst, die sind noch lebendig zu uns hereinragende Zeugen – – der Eiszeit.

Mit einem einzigen Blick glaubt man, an solchem lehrreichen Fleck gelagert, die große Frage dieser »Eiszeit« nicht bloß naturgeschichtlich, sondern auch rein geschichtlich in den Stufen ihres Werdens im Menschengeiste zu überfliegen.

Es sind heute nicht ganz hundert Jahre, daß kein geringerer als Goethe (der bekanntlich auch ein recht tüchtiger Geolog war) die Worte niederschrieb: »Zu dem vielen Eis brauchen wir Kälte. Ich habe eine Vermutung, daß eine Epoche großer Kälte wenigstens über Europa gegangen sei. – Damals gingen die Gletscher des Savoyer Gebirges bis an den (Genfer) See, (wobei) sie die noch bis auf den heutigen Tag auf den Gletschern niedergehenden langen Steinreihen, mit dem Eigennamen Goufferlinien benannt, ebensogut durch das Arve- und Dransetal herunterziehen und die oben sich ablösenden Felsen unabgestumpft und -abgerundet in ihrer natürlichen Schärfe bis an den See bringen konnten, wo sie uns noch heutzutage bei Thonon scharenweise in Verwunderung setzen.« 1 Die denkwürdige Stelle ist datiert vom 5. November 1829, Goethes Gedanken zur Sache gehen aber mindestens um ein Jahrzehnt weiter zurück.

In diesen paar Sätzen ist gleichsam schon die »Urzelle« der ganzen Eiszeitlehre enthalten. An ein paar natürliche Scherben knüpft sie an, ähnlich denen des kleinen Moränenwalles dort, den der sterbende Schneegrubengletscher hinterlassen, wie ein schmelzender Schneemann einen Schmutzfleck hinterläßt. Bloß ein paar größere Scherben noch, einzelne Riesenscherben wie ungeheure Blöcke groß. Solche Scherben lagen rings um die Schweizer Hochalpen zerstreut, vielfach weitab von den heutigen Gletschern. Trotzdem sahen sie mit ihren scharfen Bruchflächen nicht aus, als seien sie vom Wasser verrollt. Eine kühne geologische Idee, die damals umging: die ganzen Alpen seien einer wilden vulkanischen Explosion verdankt, bei der solche Blöcke wie vulkanische Wurfbomben herumgespritzt wären, fand auch nicht jedermanns Beifall. (Goethe nannte sie eine »vermaledeite Polterkammer«.) So kam man auf genau den Gedanken, mit dem Partsch uns viel später hier die Schneegruben enträtselt hat: die Schweizer Gletscher waren einst auch bis dahin gegangen, wo heute die Blöcke liegen. Sie hatten die riesigen verwitternd abgesprengten Felsscherben des Hochgebirges, die oben auf sie gestürzt oder unten von ihrer stets rutschenden Sohle eingeklemmt worden waren, selber damals soweit verschleppt. Größere Gletscher offenbar, als heute, – Ergebnis einer offenbar feuchtkälteren Zeit. Schlichten Schweizer Gemsjägern soll die einfache Logik zuerst gekommen sein, – vielleicht ist sie von ihnen zu den damals noch spärlichen fremden Gebirgskletterern (bei denen auch Goethe war) weitergegeben worden.

Aber solche ungeschlachten Steinkerle lagen, fremd ihrem Ort, auch da unten mitten im norddeutschen Sand bis zur Ostsee herab verstreut, – wer sollte sie dahin gebracht haben? Der Volksscherz läßt sie in einer Nacht vom Teufel verschleppt sein; aber das konnte wohl schon in des Walpurgisdichters Zeiten nicht mehr gut als wissenschaftliche Theorie gelten. Ein märkischer oder mecklenburgischer Geheimvulkanismus, der aus (allerdings vorhandenen) tiefen Bodenlöchern heraus gewirkt hätte, schien noch weniger rätlich als in den Alpen. Durfte man also annehmen, auch die alten Riesengebirgsgletscher hier wären in jener Kältezeit etwa so riesig gewesen, daß sie bis Fürstenwalde bei Berlin gereicht hätten? Wo doch ein solcher Block lag, der eine der sogenannten Markgrafensteine, aus dessen 1600 Zentner schwerem Teilstück man die 7 m klafternde Granitschale im Berliner Lustgarten gemacht und noch ein paar andere städtische Denkmäler dazu?

Dem Gedanken widersetzte sich schon zu Goethes Tagen entschieden eins. Das Gestein dieser norddeutschen Irr- oder Erratischen Blöcke entsprach nicht unsern deutschen Gebirgen hier, wohl aber wie ein abgebrochener Henkel seiner Tasse denen des fernen Skandinavien. Hätten also schwedische und norwegische Gletscher über die ganze Ostsee fort bis Berlin gereicht? Vor dieser Kühnheit staute sich noch einmal die Theorie, hören wir abermals dazu Goethe selbst, der auch hier an der Spitze marschierte. »Bergrat Voigt zu Ilmenau, – als wir uns lange über die wunderbaren Erscheinungen der Blöcke über Thüringen und über die ganze nördliche Welt ausgebreitet öfter besprachen und wie angehende Studierende das Problem nicht loswerden konnten, geriet auf den Gedanken, diese Blöcke durch große Eistafeln herantragen zu lassen; denn da es unleugbar schien, daß zu gewissen Urzeiten die Ostsee bis ans sächsische Erzgebirge und an den Harz herangegangen sei, so dürfte man natürlich finden, daß bei laueren Frühlingstagen im Süden die großen Eistafeln aus Norden herangeschwommen seien und die großen Urgebirgsblöcke, wie sie unterwegs an hereinstürzenden Felswänden, Meerengen und Inselgruppen aufgeladen, hierher abgesetzt hätten. Wir bildeten mehr oder weniger dieses Phänomen in der Einbildungskraft aus, ließen uns die Hypothese eine Zeitlang gefallen, dann scherzten wir darüber; Voigt aber konnte von seinem Ernst nicht lassen.« Voigt ist schon 1821 gestorben, die Gespräche müssen also weiter zurückliegen. Jedenfalls hat aber auch Goethe die Sache später nicht immer bloß scherzhaft genommen. Und in den 30er Jahren hat der Engländer Lyell sie als eigene sogenannte Drift-(Treibeis)Theorie so nachhaltig in die Fachgeologie eingeführt, daß sie fast ein halbes Jahrhundert dort herrschend bleiben sollte. Aber die wahren Wunder der Eiszeit waren doch noch größer als selbst diese Theorie.

Wenn Gletscher sich langsam dahinschieben (und immer schieben sie sich so, oben belastet vom neu vereisenden Firnschnee, unten abschmelzend wie eine zähflüssige Riesenträne), so schreiben sie auf ihre Unterlage eine seltsame Hieroglyphenschrift. Die eingebackenen Steinscherben ihrer Sohle polieren und schrammen wie Nägel eines groben Bergschuhs den darunterliegenden Fels. Es hat lange gedauert, bis man auch dieser Naturschrift Herr wurde, wie der Geschichtsforscher mühsam erst Keilschrift und echte Hieroglyphen entziffern gelernt hat. Wer sie aber durchschaut hat, der weiß, daß, wo ehemals ein Gletscher gekrochen ist, man an dieser geheimen Radierung und Krakelschrift sein Dasein noch ablesen kann, auch wenn er längst dahingeschwunden, – genau so, wie wir die Taten der alten assyrischen und ägyptischen Könige noch lesen, Jahrtausende, nachdem sie mit ihrer ganzen Generation vergangen. Und es geschah im Jahre 1875 (Goethe ruhte allerdings jetzt längst in seiner Fürstengruft), daß ein Schwede, Torell, eine solche Hieroglyphenschrift auch mitten in der Mark entdeckte. Rüdersdorf heißt der Ort. Nahe dem blauen Müggelsee, vom hohen Turm sieht man noch den Rauch von Berlin. Muschelkalkfels stößt als willkommener Baustein hier inselhaft aus dem unendlichen Sandmeer der Reichsstreusandbüchse. Auf der empfindlichen Haut dieses alten Kalksteins aber fand jener Schwede damals bei flüchtigem Besuch die Hieroglyphe des Gletschers, hier waren nicht Eisberge oder Eisschollen hoch hinweg gefahren, sondern der alte Gletscher selbst hatte in fester Fron auf den Schichtenköpfen des noch älteren Bodengesteins gelastet, es bald streichelnd und polierend, bald kratzend, wie das auch bei menschlicher Fron wohl üblich ist. Heute steht ein Gedenkstein, selber ein schwedischer Findling, in der Nähe der ewig bedeutsamen Stelle, nachdem der rastlos weiterschreitende Bergwerksbau die eigentliche Urkunde längst getilgt. Als am Abend jenes Tages aber Torell in der Sitzung der Deutschen Geologischen Gesellschaft zu Berlin seinen Bericht erstattete, da starb die Drifttheorie nach vieljährigen treu geleisteten Diensten. Und es entstand dafür jetzt wirklich jener kolossale Gedanke des europäischen Binneneises, das von Skandinavien mit einheitlicher Gletschertatze bis in die Mark und noch weiter gelangt. Das ganz gewaltige Bild der »Eiszeit« stieg auf, noch unverhältnismäßig größer, als es Goethe geahnt.

Wie Grönland bis auf ein paar kleine Felsspitzen (Nunataker nennen sie's im Lande) untergegangen, versunken ist in einer einheitlichen Eismasse, so damals Skandinavien. Und dieses Eis dachte sich von der ungeheuren skandinavischen Hochburg schräg herunter wirklich über den Platz der heutigen Ostsee hinweg, in die Nordsee hinaus, über Kola ins nördliche Eismeer hinüber. Es floß (mit jenem gespenstisch starren Fließen des Gletschers) über Finnland in die wehrlos platten Ebenen Rußlands ein zum Ural, in lang ausgreifenden Pranken zur Wolga bei Nischninowgorod, südlich von Moskau bei Tula zum Don, bei Kiew zum Dnjepr; die heute berühmt gewordenen Rokitnosümpfe lagen an seiner Bahn, die vielbesprochenen Lysa-Gora-Höhen bildeten einen solchen Nunatak in ihm. Nachdem ganz Norddeutschland verschlungen war, erschien die Eiswelle im Oderquellgebiet. Hier unten quoll sie in den Hirschberger Kessel; noch heute schneidet die jedem Sommergast vertraute Krummhübeler Lomnitz dort eine Grundmoräne von abgesenktem heimischem Riesengebirgsschotter und skandinavischen Wanderscherben an. Sie erstarrte vor dem Gebirgssaum, schritt über Dresden, am Thüringer Wald entlang, begrub den späteren Sitz Goethes, bog vom Harz zum Rheinischen Schiefergebirge ab, um über die Rheinmündung die Themse zu erreichen, bis das schottische Eis mit dem skandinavischen zusammenschlug. Sechs Millionen Quadratkilometer blauen Gletschereises (falls man solches Eismeer, das an seiner Ausgangsstelle nicht mehr zwischen Gebirgen lagerte, sondern über sie hinwegging, noch als Gletscher bezeichnen will) schoben sich so über Europa, – im nordischen First sicher ein paar tausend Meter dick. Man erschauert, wenn man sich denkt, wie diese blinkende Mauer auftauchte. Nichts Lebendiges blieb, wo sie hinschritt, schon vor ihrem nahenden Eishauch verkümmerte weithin die blühende Vegetation zur armseligen Moossteppe (Tundra). Kein Traum eines Tamerlan mit seinen Siegessäulen aus Menschenknochen kommt gegen die Schrecken dieser Welteroberung auf ...

Schweizer Forscher (Venetz, Charpentier, vor allem ein vielbefehdeter, übertrieben gefeierter, aber auf jeden Fall bedeutender Mann, Louis Agassiz) hatten inzwischen dem alten Gedanken Goethes von der »Epoche großer Kälte« eine immer handgreiflichere Gestalt gegeben, – Schimper das unmittelbare Wort Eiszeit (zuerst in einem Gedicht 1837!) geschaffen. Man hatte ihren Ort in der Reihenfolge der geologischen Zeitabschnitte ungefähr bestimmt: nicht mehr in den alten Sauriertagen, sondern verhältnismäßig jung, im sogenannten Diluvium. 2 Wenn man von dem Abschluß der sogenannten Tertiärzeit bis an die ersten Nebel überlieferter Geschichte versuchsweise einmal noch eine halbe Million Jahre rechnete, so ging dahinein auch noch dieses ganze aufregende Ereignis. Wie sich neuerlich herausgestellt hat, ist der Mensch (mit vorgeschichtlicher Kultur) noch Zeuge seines gesamten Verlaufs gewesen, wenn er's auch in keiner Chronik eingezeichnet hat. Eine hochpolare Tier- und Pflanzenwelt begleitete neben ihm die Eisränder, Beweis, daß wirklich grönländische Verhältnisse bei uns eingekehrt waren. Die dick bepelzten Mammutelefanten und Schneenashörner haben sich daraus am stärksten eingeprägt. Eigentlich beweisender sind aber noch die mustergültig arktischen kleinen Pflänzchen, wie Zwergbirke, Polarweide, Silberwurz, aus deren Reihe auch das verschlagene Volk der Schneegruben hier stammt.

Aber die ganze Gewalt des Vorgangs sah man doch erst, als man sich an jenes ungeheure europäische Binneneis gewöhnen mußte. Es war nur noch wie eine Ergänzung, daß auch Nordamerika in anscheinend gleicher Zeit eine entsprechende und sogar noch größere (südlich bis in Breiten, wo bei uns Sizilien liegt, vorgerückte) Eisdecke getragen hatte, – während allerdings eine dritte erwartete Vereisung auf dem asiatischen Sibirien sich nicht zeigen wollte. Immerhin müßte die Erdkugel bei der nötigen Schiefsicht damals von fern bereits einen argen Eindruck beginnender Ganzvereisung gemacht haben. Während gleichzeitig die Einzelspuren oder mit unserem Bilde Hieroglyphen, nachdem man sie einmal lesen gelernt, sich auch im engeren immer unzweideutiger aufdrängten.

Skandinavien, auf dessen wohl höheren Gebirgen sich in der Fülle der Zeit das einzigartige Schauspiel vollzogen vom Zusammenwachsen der Firnschneefelder mit den Gletschern selbst, war allenthalben abgehobelt wie durch einen dämonischen Kunstschreiner des alten Asengeschlechts. Wenn man seine Fjorde als heute ins Meer versenkte alte Gletschertäler faßte, so glaubte man noch jetzt seine Urvergletscherung geradezu von der Karte ablesen zu können. Bei uns in Deutschland aber waren die großen Irrblöcke von da drüben nur die Rosinen eines feineren Teigs, der als sogen. Geschiebelehm überall noch ausgewalzt lag, soweit das Eisungetüm sein Lager gehabt. Wie seine letzten derberen Auswürfe bezeichneten Endmoränenringe stationenweise die äußerste Statt des Unholds. Die weiche Kreide der heutigen Ostseekante hatte er sich sielend geknetet und in anhaftenden ganzen Platten verschleppt. Seine jahrtausendelang abrinnenden Tropfen hatten jene tiefen Löcher (Gletschermühlen, Pfuhle, Sölle) in den Boden gebohrt, an die sich in der Jugend der Deutung einmal die Sage von norddeutschem Vulkanismus geknüpft. Unter seinem Eisbauch selber hatten sich Rippelungen in Gestalt fächerförmiger Hügelreihen und in der eigenen Kriechrichtung gehender Wälle (sogenannte Drumlins und Osar) gebildet. Unendliche Sande waren von seinen abgehenden Schmelzwassern weit vor die Grenzwälle seines eigentlichen Bettes verschwemmt worden. Wo er zwischen sich und dem Gebirge diese Wasser gestaut und zugleich die zur Ebene strebenden deutschen Ströme eingeengt, waren endlose Zeiten die gelben Schmutzfluten an ihm entlang gewirbelt, einem fernen Nordseeausschlupf zu: so hatten sich jene ungeheuren versandeten »Urstromtäler« gestaltet, wie sie heute noch der entschwundenen Eiskante getreu von der Weichsel zur Elbe ziehen, von Pygmäenflüßchen der Epigonenzeit wie der »Maus im Käfig des Löwen« (Ausspruch von Berendt) bewohnt. Bild um Bild, die doch alle nur das eine größte vertiefen konnten, wie es sich in jener entscheidenden Stunde blitzhaft vor Augen gestellt.

Die fortschreitende Geschichte menschlicher Wissenschaft möchte man aber bezeichnen als eine immer weiter hinausgeschobene Ursachenfrage. Goethe zu seiner Seit genügte es noch, daß eine »Epoche großer Kälte« die Ursache der Irrblöcke war. Seither ist immer lebhafter gefragt worden, was die Ursache der großen Kälte selbst gewesen sein könnte. Ja, diese Frage erfreut sich sogar weit über die Fachgelehrsamkeit hinaus heute einer gewissen Volkstümlichkeit. Nicht nur gibt es eine ganze Bibliothek wissenschaftlicher Bücher darüber, sondern es arbeitet auch beständig eine Menge mehr oder minder berufener freiwilliger Helfer aus weitesten Volkskreisen daran mit. Wer Gelegenheit hatte, selbst irgend etwas über die Eiszeittatsachen zu veröffentlichen, der hat das wohl mit einigem Schrecken erfahren: ungezählte Manuskripte in bedenklich umfangreichen Postpaketen mit und ohne Rückporto pflegen sich bei ihm zu versammeln, deren Sender alle verkünden: Auch ich ein Maler, – auch ich habe eine Lösung der Eiszeit gefunden. Einerseits lockt dazu, daß die strenge Forschung selbst bekennen muß, zu einem so auffälligen, ja einzigartigen Ereignis der Naturgeschichte immer noch keinen sicheren Grund zu wissen. Lesen wir doch in dem angesehensten und jedenfalls dicksten deutschen Sammelwerk von heute darüber, der ausgezeichneten Lethaea geognostica, von Geinitz' Hand den Satz in Sperrdruck: » Man kennt die Ursachen der Eiszeit nicht.« Andererseits berührt das Problem die Wetterfrage, die seit alters eine Volksfrage ersten Ranges gewesen ist. Das Wetter ist dem Landmann zu seinem Wohl und Weh eine hervorragend praktische Sache. Immer wieder halten sich alte Überlieferungen, es sei besser geworden oder es sei schlechter geworden. Es gibt wohl keinen schlichtesten Menschen, der nicht auch nur auf Grund seiner eigenen Lebenserfahrungen einmal versucht hat, in das ewig Wechselnde, Chaotische, Unberechenbare dieses Wetters irgendein Gesetz hineinzudeuten. Nirgendwo haben wir im Alltag so das Gefühl, ständig einer großen Lotterie ausgeliefert zu sein, und so sehr den Wunsch zugleich, irgendeine Rechnung zu ergrübeln, mit der man sicher die Bank sprengen könnte. In der Eiszeit aber scheinen sich gleichsam alle Wunder dieses Wetters zu vereinigen. Etwas wie eine uralte Volksangst unserer Ahnen scheint darin aufzuleben: vom Weltwinter, der alles vernichtete. Zugleich meint man, wer ihr Geheimnis löste, müßte auch den Wetterzauber von heute in Händen haben.

Nun ist solches Mitdenken im weiten Kreise an sich keineswegs zu verachten. Man soll sich immer freuen, wenn der Sinn für eine naturwissenschaftliche Frage im Volke geweckt ist. Schließlich fällt der geniale Gedankenblitz wirklich oft wahllos, der Laie kann auf das Ei des Kolumbus kommen, zumal wenn, wie hier, die strenge Forschung auch einstweilen nichts als mehr oder minder unbewiesene Vermutungen hat. Was aber zu jeder, ob nun wissenschaftlichen oder freien Mitarbeit als unumgängliche Voraussetzung nötig ist, wenn auch nur der kleinste wahre Fortschritt erzielt werden soll, das ist zweierlei.

Zunächst darf nicht ins Blaue dabei »erfunden« werden. Jede vernünftige Erklärung auf solchem naturgeschichtlichen Gebiet hat heute ihre gewisse Methode, die geachtet sein will. Etwas auf eine Ursache zurückzuführen, heißt zunächst, es an etwas sonst schon Bekanntes anschließen. Es heißt aber nicht, zu dem einen Unbekannten ein neues Unbekanntes als Ursache »erfinden«. Also, um ein drastisches Beispiel zu nehmen, es ist keine Erklärung, wenn ich etwa sagen würde: die Eiszeit entstand, weil damals die Vulkane der Erde plötzlich angefangen hatten, statt glühender Lava Eis zu speien. Oder: sie mußte kommen, weil ein Komet die Erde streifte, der Kälte aushauchte, von solchen Eisvulkanen wissen wir so wenig etwas, wie von solchen Kältekometen, in den gangbaren Gebrauch der Wörter »Vulkan« und »Komet« wird hier rein zum Zweck etwas hineinphantasiert, und die Benutzung der Wörter ist dann bloß ein Scheinspiel, das den Hörer betrügt. Die Beispiele wirken kraß, und doch sind eine Masse von Eiszeitdeutungen aus Laienkreisen und selbst manche oberflächlich wissenschaftlichen damit durchaus in ihrem Unwert bezeichnet.

vie zweite Bedingung ist dann, daß, wer sich an die Frage ernstlich heranmacht, eine Reihe Nebenfragen kennt, die bei heutigem Stande unserer Kenntnis untrennbar damit verknüpft sind. Weiß er bloß im Sinne Goethes, daß zur Erklärung der eben kurz gekennzeichneten diluvialen Tatsachen eine »Epoche großer Kälte« angenommen wird, so ist er heute doch noch nicht reif zum Weiterraten. Denn es haben sich dem einen Rätsel seither eine bestimmte Anzahl anderer angegliedert, die, an sich erst recht interessant, doch auf alle Fälle mitgelöst, also vorweg mitgekannt sein wollen. Ich bezeichne hier kurz ein paar auch dieser Hauptpunkte, die Goethe selbst noch nicht wissen konnte, die aber gerade den Reichtum andeuten, zu dem die ständig weiter schürfende Wissenschaft heute auch auf diesem Gebiete gelangt ist.

Als Goethe von seiner »Epoche großer Kälte« sprach, schwebte ihm zweifellos ein recht tüchtiges Maß Kälte vor. Wer sollte es nicht erwarten, wenn er die Alpengletscher bis in den Genfer- und Bodensee und schwedisches Eis bis ins Hirschberger Tal denkt. Agassiz, der als bibelgläubiger Mann immer eine Neigung spürte, in der Eiszeit eine Unterlage der weltumstürzenden Sintflut zu entdecken, hätte gern die ganze Erde unter furchtbarsten Minusgraden erfrieren lassen. Ein nüchterner Kopf wie Neumayr hat dagegen nachgerechnet, daß man schon mit einem Temperatursturz von bloß 5 – 6° C im Durchschnitt weniger als heute alle wirklich sicheren Erscheinungen der Eiszeit in Europa auslösen könnte. Die Schweizer Schneegrenze würde sich um mehr als 1000 m tiefer legen, und die heutigen Alpengletscher müßten bis Lyon und Ulm rücken, während am Titisee im Schwarzwald und hier aus den Schneegruben Gletscher flössen. Mehr als diese im Höchstmaß 6° abwärts brauchte also keine Theorie zu erklären, während man freilich zugleich sieht, wieviel schon solche paar Grad gegen unser so viel verlästertes gegenwärtiges Klima bedeuteten.

Aber nicht einmal dieser Tiefstand soll während der ganzen Eiszeit angedauert haben. Als in der sogenannten Höttinger Breccie, einem alten verkitteten Bachschutt bei Innsbruck, zwischen zwei abgelegten Schotterhäuten des Eisriesen eine Einlage mit noch erkennbaren Resten pontischer Azaleen und des italischen Erdbeerbaumes ( Arbutus), den Horaz besingt und der ganz gewiß nicht nach Eiszeit ausschaut, gefunden wurde, kam zuerst die Lehre von den »Interglazialzeiten« auf, – wärmeren Schaltzeiten, die sich mehrfach noch in die eigentliche Kälteepoche hineingeschoben hätten, über diese weniger gestrengen Zwischenlagen gehen ja die Meinungen der Sachkenner heute noch ziemlich weit auseinander. Die einen rechnen mindestens drei solcher Schaltkapitel, womit wir folgerichtig eigentlich vier getrennte diluviale Eiszeiten hätten statt einer. Das Schulverslein gleichsam, das Penck und Brückner nach Flüssen des bayrischen Alpenvorlandes dafür geschaffen, zählt sie als Günz-, Mindel-, Riß-, Würm-Eiszeit her, wobei je eine günzmindelische, mindelrißliche und rißwürmliche Wärmepause den Einschlag gebildet hätten; die Rißkälte soll die schlimmste gewesen sein. Wer ganz kühn ist, läßt in den Interglazialzeiten überhaupt alle Schrecknis wieder heruntertauen, Binneneis und Riesengletscher schwinden, so daß wirklich jede neue Eiszeit wie ein neues Wunder vom Himmel gefallen wäre. Nun ist kein Zweifel, daß es in den Randgebieten des großen Eises überall so aussieht, als hätten gewisse Pausen tatsächlich in das Hauptdrama irgendwie hineingespielt. In Spanien und Frankreich, wo niemals Binneneis gelegen hat, aber auch am deutschen Südrand glaubt man eine ältere, wärmeliebere, fast noch afrikanisch anmutende Tierwelt jedesmal wieder einziehen zu sehen wie auf der Spur eines milderen Frühlingslüfterls, das plötzlich dem vernichtenden Eishauch für ein Weilchen entgegenarbeitete. Und gleichzeitig scheinen im Alpengebiet die Gletscher ähnlich den Schnecken in ihre Häuser zurückgekrochen zu sein wie unter einem geheimnisvollen klimatischen Gegenbefehl. Auch die Spuren trockener Steppenzeiten schalten sich recht verwunderlich in das Diluvium ein, deren Stürme in den Randzonen unendlichen gelben Staub (sogen. Löß) gehäuft und die man schwer anders unterzubringen weiß, als eben auch in solcher wärmeren Interglazialstimmung. Aber die Zweifler von der andern Partei meinen, daß es sich bei alledem mehr oder weniger nur um eine Randerscheinung gehandelt habe, bei der das Haupteis nicht rückte noch regte. Solche Südgärtlein zwischen dem Eis wie das Idyll der Höttinger Breccie könnten nach ihnen den wunderbaren »Eiswäldern« Alaskas entsprochen haben, wo heute noch in der Tat große Fichten-, Birken- und Ahorn-Urwälder samt ihrem Unterholz und Heidelbeergestrüpp nur durch eine dünne Isolierschicht erdreichen Moränenschutts getrennt unmittelbar auf dem kriechenden Gletscher wachsen. Die Sache ist noch im Fluß. Inzwischen muß aber, wenn auch nur die Freunde der zeitweise größeren Randwärme recht behalten sollen, irgend etwas da doch in die Eiszeit im Ganzen hineingewirkt haben, das zeitweise etwas am Thermometer rückte, – und auch diese Interglazialfrage muß die Erklärung also miterklären.

Ein dritter Punkt betrifft dann, wie sich auch während der schlimmsten Eiszeit im Norden die übrige Erde verhalten habe. Als weiland Herr Agassiz das Eiszeitthermometer seiner Schweiz gar nicht grauenhaft tief genug sehen konnte, da erwartete er bestimmt, daß auch in den tropischen Urwäldern am Orinoko zuletzt noch Kritzelhieroglyphen und Geschiebelehm auftauchen müßten. Davon kann nun in der Weise heute wieder keine Rede sein. Aber was man allmählich auch dazu wirklich gefunden hat, das waren starke Vergletscherungs-, d.h. Gletschervergrößerungsanzeichen für die Diluvialzeit auch gewisser Gebiete der Südhalbkugel. Auch die Alpen Neuseelands hatten zu irgendeiner Stunde damals stärkere Gletscher, die Berge Australiens, das südamerikanische Feuerland, das antarktische Kerguelenland tragen deutlich lesbare diluviale Eishieroglyphen. Sollte das genau gleichzeitig mit dem Nordeis gewesen sein, so würde es besagen, daß die Eiszeit »bipolar« war, das heißt, daß ihr Klimasturz über beide Erdpole zugleich ging. Oder, was auf die wichtigste Folge hinausläuft: daß eine gewisse Abkühlung damals um die ganze Erde schritt, wenn sie auch natürlich mit ihren paar Grad Kältesturz nicht gleich den Äquator mitvereisen konnte. Immerhin meint man neuerlich auch bis in diese Äquatorialländer doch etwas verfolgen zu können wie eine gleichzeitige starke »Pluvialzeit«, also eine extrem nasse Regenperiode, die man an alten Flußläufen der Sahara, höherem Nilstand und viel üppigerer Seenfüllung im äquatorialen Afrika wie an einem geologischen Pegel ablesen will. Und die erfolgreichen tropischen Hochalpenfahrten Hans Meyers von Leipzig, der uns zuerst den Kilimandscharo bestiegen hat und am Chimborasso und Kotopaxi viel weiter geklettert ist als selbst Humboldt, haben auch an diesen tropischen Schneeriesen allenthalben jetzt verlassenen Moränenschutt erwiesen, der auf eine niedrigere Schneegrenze und also größere Gletscher der Diluvialzeit gedeutet worden ist. Auch das muß der Eiszeitenträtseler also als möglich aufnehmen, wenn es auch dazu nicht an Gegnern fehlt. Sie fragen, warum nicht bei richtig bipolarem Verlauf das südliche Landeis noch viel weiter ging, z.B. in Südamerika entsprechend über ganz Argentinien, Paraguay und Bolivien floß, oder ob jene Gletscherschwankungen am Kilimandscharo nicht bloß Lokalerscheinungen unter örtlichen kleinen Temperaturperioden, die bis heute dauern, sein könnten usw. Wobei aber gerade solche Lokalgründe, etwa andersartige Land- und Wasserverteilung, auch wieder das Eiszeitbild der Südkugel schon damals von dem unserer Nordhalbkugel verschieden gestaltet haben könnten auch bei echt bipolarem Verlauf. Man bleibt auch hier in Debatten, aber berücksichtigt müssen diese Fragen werden, ob so, ob so.

Nun aber noch zwei ganz große Dinge, zeitlich nicht auf die diluviale Eiszeit selber fallend, aber schlechterdings nicht mehr von ihr zu trennen, seit man sie hat. Goethe waren auch sie noch durchaus fremd, aber wie hätten sie ihn erregen müssen!

Die diluviale Eiszeit war, um immer noch einmal das Leitmotiv anklingen zu lassen, für ihn eine »Epoche großer Kälte«, heute ist's entschieden wieder wärmer bei uns. An sich ist schon das wieder eine recht beherzigenswerte Tatsache: der große Schüttelfrost unseres Planeten ist also doch noch einmal vorübergegangen, wie er, wenn die Interglazialzeiten wirklich bestanden haben, auch in sich selbst bereits fieberfreiere Momente gehabt hätte. Ob unsere Wiedererwärmung in geschichtlicher Zeit noch zugenommen, darüber streitet man sich ja auch wieder. Es wäre ganz gewiß sehr interessant. Aber gerade die besten Kenner schwanken. Afrika und Zentralasien sind auch seit Völkergedenken wohl sicher noch mehr ausgetrocknet, dort klänge also ersichtlich noch jene Pluvialzeit vor uns weiter ab. Dagegen hat sich das früher gerne behauptete klimatische Dürrwerden der Mittelmeerländer wenigstens im größern Umfang nicht als stichhaltig erwiesen; wo es seit dem klassischen Altertum eingetreten sein sollte, hat Verkarstung des Bodens durch leichtfertiges Abholzen der Wälder, Zerstörung alter künstlicher Wasserleitungen und allgemeiner Fluch orientalischer Mißwirtschaft den Löwenanteil gehabt, also Mensch gegen Natur, nicht Natur gegen den Menschen. Wenn es umgekehrt gelegentlich ein Beweis für erneute Temperatur abnahme sein sollte, daß vor 800 bis 900 Jahren der Weinbau bei uns noch viel weiter nördlich gegangen wäre, so hat sich freilich auch das als böser Trugschluß herausgestellt, denn nicht Klimawechsel, sondern Wirtschafts- und Kulturgründe (Geschmack an feineren Weinsorten und billigere Transportmittel) haben auch hier die eigene Zucht eingehen lassen. Und eine kleine periodische Wetterschwankung, die anscheinend durch die ganze historische Zeit geht (ich komme unten noch auf sie), darf ebenfalls nicht hierher gezogen werden. Ganz unzweideutig aber jetzt ist wieder der echt geologische Befund: vor der Eiszeit war's unvergleichlich viel wärmer in großen Gebieten der Erde als heute dort nach ihr.

Vor – oder wenn man von uns aus rückwärts denkt, hinter der Diluvialzeit mit ihrem großen Klimasturz liegt in der Sprache des Geologen die Tertiärzeit. Schon da, wo die Diluvialzeit in diese Tertiärzeit übergeht, also zeitlich einmal wieder schätzungsweise jenseits der letzten halben Million Jahre von uns zurück, merkt man aus allen Anzeichen, wie das Klima sich offenbar wieder hebt. Es geht zunächst mindestens wieder auf den heutigen Stand. Schon dabei wird man aber etwas stutzig, wenn riesige Elefanten damals bei uns lebten, so wird man das noch nicht ohne weiteres auf milderes Wetter deuten, denn kältefeste Elefanten haben auch noch in der Eiszeit selbst bei uns ausgedauert. Aber das Nilpferd schwamm in der Themse, das wir heute in unsern nordischen Tiergärten nur in geheizten Becken über den Winter bekommen. Und sowie wir jetzt noch ein Stück tiefer in die Tertiärzeit selber hineingehen, werden auch die gesteigerten Wärmezeichen unzweideutig.