Geschichte der Niederlande - Christoph Driessen - E-Book

Geschichte der Niederlande E-Book

Christoph Driessen

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Beschreibung

Hätten Sie gedacht, dass die Oranje-Trikots der niederländischen Fußballfans auf einen deutschen Prinzen zurückgehen? Und dass ihr Schlachtruf mehr als 400 Jahre alt ist? Die Geschichte der Niederlande steckt voller Überraschungen. Wissenschaftlich fundiert, doch zugleich packend und amüsant beschreibt Christoph Driessen das Land von Rembrandt und Mata Hari, Anne Frank und König Willem-Alexander. Seit der Erstveröffentlichung 2009 hat dieses ungewöhnliche Geschichtsbuch viele begeisterte Leser gefunden. "Spannend wie ein Abenteuerroman, unterhaltsam wie wissenschaftliches Kabarett", urteile die "Münstersche Zeitung". Für die neue Ausgabe wurde das reich illustrierte Standardwerk überarbeitet, aktualisiert und vor allem im letzten Teil neu geschrieben.

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Christoph Driessen

Geschichte der Niederlande

Von der Seemacht zum Trendland

Verlag Friedrich PustetRegensburg

Für meine Eltern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.dnb.de abrufbar.

4., aktualisierte und erweiterte Auflage 2022

ISBN 978-3-7917-2173-6

© 2009 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de

Satz: Martin Vollnhals, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2022

eISBN 978-3-7917-6227-2 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie unter www.verlag-pustet.de

Inhalt

Einleitung: Ein Land wie kein anderes

Kapitel 1Rebellion in Orange – Der Aufstand gegen Spanien

Albrecht Dürer im Wunderland. Eine Reise durch die habsburgischen Niederlande

Tage, die Geschichte machten 25. Oktober 1555. Machtwechsel in Brüssel – Kaiser Karl dankt ab

Ein schwieriges Erbe. Philipp II. und die Niederlande

… nur ein paar Bettler. Der erste Aufstand

Porträt: Erasmus von Rotterdam. Lichtgestalt des Humanismus

Der Eiserne Herzog. Die Bestrafung der Rebellen

Stichwort: Wilhelmus

Die Geusen kommen. Der zweite Aufstand

Porträt: Wilhelm von Oranien. Der Vater des Vaterlandes

Die Stunde des Prinzen. Der dritte Aufstand

Stichwort: Oranje

Es geht auch ohne König. Die Entstehung der niederländischen Republik

Stichwort: Niederländisch

Kapitel 2Weltmacht Holland – Das Goldene Zeitalter

Die fliegenden Holländer. Rotweißblau auf allen Meeren

Stichwort: Der Fliegende Holländer

Herren der Ozeane. Expansion in Übersee

Verkaufte Seelen. Leben und Sterben für die Compagnie

Tage, die Geschichte machten 8. September 1628. Piratenschatz für Holland – Piet Hein kapert die spanische Silberflotte

Wer regiert die Republik? Innenpolitik im Goldenen Zeitalter

Stichwort: Holland

Handelsfürsten und Kanonenbarone. Die Mijnheren aus dem Grachtengürtel

Bürgerregenten und Tulpenspekulanten. Noch mehr Mijnheren

Stichwort: Käse

Die Bilderfabrik. Die holländische Malerei

Porträt: Rembrandt. Maler und Kaufmann

Freier Geist in freier Republik. Die Niederlande als Hort der Toleranz

Stichwort: Calvinismus

Angriff auf den Goldberg. Die Seekriege gegen England

Porträt: Michiel de Ruyter. Hollands Admiral

Lynchmord in Den Haag. Das Katastrophenjahr

Stichwort: Den Haag

Kapitel 3Am Rande Europas – Das Königreich der Niederlande

Revolution ohne Guillotine. Der Untergang der Republik

Stichwort: Prinsjesdag

Louis Bonaparte, König von Holland. Monarchie von Napoleons Gnaden

Ungeliebte Verwandte. Die gescheiterte Wiedervereinigung

Stichwort: Fahrrad

Das freiste Volk der Welt. Der Weg zur parlamentarischen Demokratie

Porträt: Vincent van Gogh. Genialer Selbstzerstörer

Der Smaragdgürtel. Das niederländische Kolonialreich

Tage, die Geschichte machten 26. Februar 1856. Ein Beamter klagt an – Protest gegen koloniale Ausbeutung

Städte auf dem Meeresgrund. Die Zuiderzee-Werke

Stichwort: Windmühle

Besuch aus Deutschland. Der unheimliche Nachbar

Porträt: Mata Hari. Opfer ihrer eigenen Legende

Kein Grund zur Sorge. Die 30er-Jahre

Kapitel 4Holland unter Hitler – Krieg und Besatzung

Fünf Tage im Mai. Die deutsche Invasion

Porträt: Prinz Bernhard. Eine Karriere in den Niederlanden

Die unwilligen Arier. Widerstand und Kollaboration

Im Untergrund. Überleben in der Illegalität

Porträt: Johannes Heesters. Eine Karriere in Deutschland

Amsterdam, Westerbork, Auschwitz. Die Ermordung der Juden

Tage, die Geschichte machten 4. August 1944. Als das Tagebuch abbricht – Anne Frank wird entdeckt

Das bittere Ende. Arnheim und die Folgen

Stichwort: Mof

Die Guten und die Bösen. Die Niederländer und der Zweite Weltkrieg

Kapitel 5Die große Freiheit – Die Niederlande seit 1945

Vertreibung aus dem Paradies. Der Verlust des Kolonialreichs

Porträt: Johan Cruyff. Weltstar aus Betondorp

Crazy Holland. Die experimentelle Gesellschaft

Stichwort: ABC der Nachkriegsniederlande

Mit dem Rücken zum Nachbarn. Das Verhältnis zu Deutschland

Porträt: Rudi Carrell. Der Lieblingsniederländer der Deutschen

Porträt: Prinz Claus. Der Lieblingsdeutsche der Niederländer

Selfie mit König. Kontinuität und Anpassung der Monarchie

Stichwort: Koningsdag

Professor Pim und seine Erben. Rechtspopulismus in den Niederlanden

Tage, die Geschichte machten 2. November 2004. Heiliger Krieg auf dem Fahrrad – Theo van Gogh wird ermordet

Der Zwarte Piet wird weiß. Migration und gesellschaftlicher Wandel

Höhenflug und Staatsversagen. Die Niederlande des Mark Rutte

Ausblick: Was ist niederländisch?

Anhang

Zeittafel

Kommentiertes Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Register

Orte

Personen

Stichworte

EINLEITUNG

Ein Land wie kein anderes

1780 kam der spätere US-Präsident John Adams als erster amerikanischer Botschafter in die Niederlande. „Das Land, in dem ich bin, ist die größte Kuriosität auf der Welt“, schrieb er an seine Frau. „Es ist ein einzigartiges Land, es ist wie kein anderes.“ Das wisse im Ausland aber niemand, denn: „Diese Nation ist nirgendwo bekannt, nicht einmal bei ihren Nachbarn. Die holländische Sprache wird nur von ihnen selbst gesprochen.“ In gewisser Weise stimmt das noch heute. Der Schriftsteller Cees Nooteboom nennt seine Heimatbasis Amsterdam eine offene und gleichzeitig verschlossene Stadt. Offen sei sie für die zahllosen Besucher aus aller Welt. Aber „sie wird sich dem Fremden nie ganz erschließen, der die Sprache und die Geschichte nicht kennt“. So gesehen gebe es eigentlich zwei verschiedene Städte, „eine für uns, eine für die anderen“.

Das Ziel dieses Buches ist es, die dramatische, aber weithin unbekannte Geschichte der Niederlande einem breiten Publikum im deutschsprachigen Raum vorzustellen – wo immer möglich am Beispiel einzelner Menschen. Das Hauptinteresse gilt dem Besonderen, dem Prägenden, das die Niederlande zu dem gemacht hat, was sie sind und heute von anderen Ländern unterscheidet. Die Darstellung setzt ein zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als die Niederlande sowohl ein Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren als auch zum Länderkomplex der Habsburger gehörten. Der Konflikt mit dem spanischen Habsburgerkönig Philipp II. leitete die Entwicklung zum unabhängigen Staat, zur eigenständigen Nation ein.

Dabei ist es gerade auch der Kontrast zur eigenen Geschichte, der die Niederlande für den deutschen Leser so interessant macht. Der Schriftsteller Maarten ’t Hart, dessen Romane in der Welt strenggläubiger Calvinisten spielen, hat mir einmal gesagt, er erkläre sich seinen Erfolg in Deutschland mit eben diesem Gegensatz: „Für die Deutschen ist es wahrscheinlich interessant zu sehen, da gibt es ein Land, das liegt ganz nah bei uns und ist doch total anders.“

Ich danke meinem Vater, der mich über zwei Jahre hinweg mit Bergen von Fachliteratur aus den Niederlanden versorgt hat, und ganz besonders meiner Frau Barbara Driessen, die es mir ermöglichte, in einer turbulenten Zeit mit drei kleinen Kindern dieses Buch zu verfassen.

Köln, im Januar 2009 Christoph Driessen

Im Vorwort von 2009 hatte ich die Hoffnung geäußert, dass mit dem Buch ein größeres Publikum in die Geschichte der Niederlande eintauchen würde. Das ist tatsächlich geschehen, so dass der Pustet-Verlag nunmehr schon die 4., vollständig aktualisierte Neuauflage herausbringen kann.

Im Laufe der Jahre haben mich zahlreiche Leserinnen und Leser kontaktiert und unter anderem auf Fehler und Unklarheiten aufmerksam gemacht. Diese Hinweise haben wir jeweils in der nächsten Ausgabe berücksichtigt. Auch das ab der 2. Auflage wesentlich erweiterte Literaturverzeichnis geht auf die Anregung von Leserinnen und Lesern zurück.

Ebenso erreichen mich immer wieder Vorschläge, diesen oder jenen Aspekt noch mit aufzunehmen. Jedes Mal werden dafür gute Gründe angeführt. Aber leider müssten dafür dann andere Passagen gestrichen werden, wodurch sich auch wieder inhaltliche Lücken ergeben würden. Dieses Mal ist es erfreulicherweise so, dass der Verleger Fritz Pustet das Buch um eine Reihe von Seiten erweitert hat, wodurch auch jüngste Entwicklungen berücksichtigt werden können.

Oft werde ich auch gefragt, warum das Buch erst im 16. Jahrhundert einsetzt und nicht schon viel früher. Das ist gleichfalls ein berechtigter Einwand, doch die Alternative dazu wäre, die Dinge geraffter darzustellen, um so größere Zeiträume abdecken zu können. Das würde dem Lesefluss vielleicht nicht zugute kommen. Wer sich mit der Geschichte der Niederlande zu burgundischer Zeit im Spätmittelalter vertraut machen will, sei auf mein Buch über die Geschichte Belgiens verwiesen, in dem diese Epoche recht ausführlich behandelt wird.

Ich interpretiere die Anregungen so, dass viele Leserinnen und Leser die „Geschichte der Niederlande – Von der Seemacht zum Trendland“ als „ihr Buch“ angenommen haben. Sie identifizieren sich in gewisser Weise damit. Etwas Schöneres kann es für einen Autor kaum geben. Haben Sie ganz herzlichen Dank dafür.

Köln, im März 2022 Christoph Driessen

KAPITEL 1

Rebellion in OrangeDer Aufstand gegen Spanien

Albrecht Dürer im Wunderland.Eine Reise durch diehabsburgischen Niederlande

Am 12. Juli 1520 verließ der Maler Albrecht Dürer seine Heimatstadt Nürnberg und begab sich trotz seines fortgeschrittenen Alters von 49 Jahren auf eine weite und gefährliche Reise. Sein Ziel war ein Land, von dem man sich überall Wunderdinge erzählte – die Niederlande oder mit einem anderen Namen: die 17 Provinzen. Unter diesem Begriff wurden die habsburgischen Länder im Nordwesten Europas zusammengefasst. Sie reichten von Friesland an der Nordsee bis hinunter nach Luxemburg. Auch ein Stück von Nordfrankreich rund um die Stadt Arras gehörte dazu. Die locker miteinander verbundenen Herzogtümer, Grafschaften und Herrlichkeiten galten als besonders reich und fortschrittlich. Nirgendwo sonst lebten so viele Menschen in Städten: Neunzehn niederländische Städte zählten mehr als 10 000 Einwohner – auf allen britischen Inseln waren es nur vier. Unter den stolzen Giebeln blühten Handel und Gewerbe, Künste und Wissenschaften. Menschen aus aller Herren Länder trafen sich dort, und was immer man an Kostbarkeiten und Kuriositäten begehrte, in den Niederlanden würde man es finden. Oft wohl hatte Dürer die Nürnberger Großkaufleute von diesem Land erzählen hören, vieles darüber gelesen – nun wollte er es selbst sehen.

Schon nach drei Wochen traf er zusammen mit seiner Frau Agnes in der Metropole der Niederlande ein; einer Stadt, geschäftiger als London und prachtvoller als Paris: Antwerpen. Eigene Kaufleute von Weltrang besaß die Stadt zwar nicht, auch keine eigene Handelsflotte, aber ihre Lage im Schnittpunkt nordeuropäischer Handelsstraßen war so günstig, dass sich in ihren Mauern Kaufleute von überall her angesiedelt hatten: aus den Hansestädten, aus England, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal.

Wie ein moderner Tourist besichtigte Dürer alle Sehenswürdigkeiten. Er zeichnete den Hafen mit seinen Hulken und Barken, Galeonen und Karavellen, bestaunte das Domizil des Bürgermeisters, „ein so herrliches Haus, wie ich desgleichen in allen deutschen Landen nie gesehen habe“, verfolgte eine Festprozession, bestieg den 122 Meter hohen Turm der Kathedrale Zu Unserer Lieben Frau: „Auf demselben habe ich die ganze Stadt nach allen Seiten übersehen, was da gar lustig ist.“ Das Innere war „überaus groß, so dass man viele Messen auf einmal darin singt, ohne dass eine die andere stört“. Auch das Chorgestühl der Abtei zu St. Michael beeindruckte ihn: „Zu Antwerpen spart man keine Kosten zu solchen Dingen, denn da ist Geldes genug.“ Anders als einem gewöhnlichen Besucher öffneten sich dem gefeierten Künstler die höchsten Kreise der Stadt. Er wurde ins Fuggerhaus eingeladen und von der Malergilde festlich bewirtet, er traf den Antwerpener Meister Quentin Massys. Er porträtierte einen portugiesischen Handelsvertreter, einen italienischen Kaufmann und den Hofastronomen des Königs von England, sogar den berühmten Humanisten Erasmus von Rotterdam.

Ständig war Dürer auf der Suche nach Reiseandenken, und besonders interessierte ihn Exotisches, wie er es daheim in Nürnberg nicht bekommen konnte. Als Geschenke erhielt er unter anderem einen „Zinken weißer Korallen“, zwei Papageien, einen indischen Schild, ein Bambusrohr, Zuckerwaren, eine Kokosnuss, Muscheln, Korallen und präparierte Fische. Aus eigener Tasche bezahlte er einen lebenden kleinen Affen, eine Schildkröte und Kämme aus Elfenbein.

Nächste Station seiner Reise war die Hauptstadt Brüssel, Sitz der Regierung. 1430 hatte Philipp der Gute, Herzog von Burgund, das Herzogtum Brabant geerbt und Brüssel zur Hauptstadt seines Burgunderreiches gemacht. Dieser Länderkomplex erstreckte sich von den Nordseeprovinzen Holland und Friesland bis tief nach Frankreich. Seit dieser Zeit traten in Brüssel in unregelmäßigen Abständen die Generalstaaten zusammen, die allgemeine Ständeversammlung. Diese Vertretung von Adel, Geistlichkeit und Bürgertum hatte weitgehende Machtbefugnisse, vor allem entschied sie über Steuerfragen. Das blieb auch so, als die Niederlande 1477 den Habsburgern zufielen, wobei die französischen Territorien großenteils verloren gingen.

Spätestens in Brüssel muss Dürer deutlich geworden sein, dass die niederländischen Provinzen keine natürliche Einheit bildeten. Denn während in Antwerpen Niederländisch gesprochen wurde, herrschte in den besseren Kreisen von Brüssel das Französische vor. In den angrenzenden südlichen Provinzen Namur, Artois, Hennegau und Tournai, aber auch in Teilen Brabants und Flanderns wurde überhaupt nur Französisch gesprochen.

Brüssel hatte einen ganz anderen Charakter als Antwerpen, es war keine Kaufmanns-, sondern eine Residenzstadt mit Teppichwebern, Goldschmieden und Bildhauern. Hier entstanden Luxusgüter wie Gobelins und die berühmten Brüsseler Spitzen. Im Mittelpunkt des höfischen Lebens stand der Repräsentant des Landesherrn Karls V., der Generalstatthalter. Seine Berater kamen aus dem niederländischen Hochadel. Es waren Grafen, Kardinäle und Ritter vom Goldenen Vlies, über deren Pracht und Prunk ganz Europa erzählte und die in Brüssel jeweils einen Hofstaat mit mehreren hundert Dienern unterhielten.

Am Grand Place – dem prächtigsten Platz der Niederlande – bewunderte Dürer „ein gar köstliches Rathaus, groß mit schön gehauenem Maßwerk und mit einem herrlichen, durchsichtigen Turme“. Er spazierte durch die Residenz der Herzöge von Brabant mit ihren „Springbrunnen, Labyrinthen und Tiergärten, dass ich etwas so Lustiges, mir Wohlgefälliges, gleich einem Paradiese, nie gesehen habe“. Die Residenz beherbergte die kostbaren Geschenke, die der spanische Conquistador Hernán Cortés wenige Jahre zuvor von dem Aztekenherrscher Moctezuma bekommen hatte. „Ich habe all mein Lebtag nichts gesehen, das mein Herz so erfreut hätte wie diese Dinge“, schwärmte Dürer. „Denn ich sah darunter wunderbare, kunstvolle Sachen und verwunderte mich über die subtilen Ingenia der Menschen in fremden Landen. Ja, ich kann gar nicht genug erzählen von den Dingen, die ich da vor mir gehabt habe.“

Zurück in Antwerpen, wurde er Zeuge eines festlichen Einzugs von Karl V. unter eigens errichteten Ehrenbögen. Einige Wochen darauf, am 23. Oktober 1520, sah er ihn wieder: In Aachen verfolgte er Karls Krönung zum Kaiser. Über ’s-Hertogenbosch nach Antwerpen zurückgekehrt, erfuhr er bei seiner Ankunft: „Es ist zu Zierikzee in Zeeland ein Walfisch mit einer großen Flut und durch Sturmwind an Land gekommen.“ Mehr als hundert Klafter – über 170 Meter – solle der Wal lang sein. Das Ereignis faszinierte Dürer dermaßen, dass er sofort beschloss, hinzufahren. Zehn Tage später erreichte er per Schiff die Küste von Walcheren, der größten Insel des zeeländischen Archipels. „Wir lagen die erste Nacht vor Anker auf der See; es war sehr kalt und wir hatten weder Speise noch Trank.“ Bei Tageslicht erblickte er seltsame Dinge: „Zeeland ist hübsch und wunderlich zu sehen des Wassers halber, denn das steht höher als das Erdreich.“ Das Land lag unter dem Meeresspiegel und wurde nur durch Deiche vor der Überflutung geschützt. Nicht immer hielten sie den Wassermassen stand: „Wir fuhren an einem untergegangenen Flecken vorbei, wo wir die Spitzen der Dächer aus dem Wasser herausragen sahen.“ Deichbrüche hatten in Zeeland immer wieder katastrophale Überschwemmungen nach sich gezogen. Im Herbst 1376 etwa wurden ganze Dörfer von den Fluten verschlungen. Die St. Elisabethsflut am 18. November 1421 war für die Niederländer eine ähnliche Heimsuchung wie der Schwarze Tod für andere Teile Europas: Nördlich von Zeeland brach das Meer weit ins Landesinnere ein, Tausende ertranken.

Keine andere niederländische Stadt hat Dürer so begeistert wie die Hauptstadt der Meeresprovinz Zeeland, das stolze Middelburg mit seiner Abtei aus dem 12. Jahrhundert und dem Rathaus mit Skulpturen der zeeländischen Grafen und Gräfinnen an der Außenfassade. „Überaus schön“ fand er es. Von Middelburg fuhr er nach Veere, dem wohlhabenden Stapelplatz für schottische Wolle, „wo aus allen Landen die Schiffe anlegen“. Dann allerdings erwartete ihn eine Enttäuschung: „Und am Montag früh fuhren wir zu Schiffe wieder aus und fuhren von Veere nach Zierikzee und wollten den großen Fisch zu sehen bekommen; da hatte ihn die Flut wieder hinweggeführt.“ Auf der Rückreise nach Antwerpen konnte er wenigstens noch den Kopf eines in der Nordsee gefangenes Walrosses zeichnen. Später hat Dürer den Besuch in Zeeland möglicherweise bereut: Bald darauf wurde er von einem Fieber befallen, von dem er vermutete, dass er es sich dort eingefangen hatte. Es handelte sich wohl um Malaria, die damals in Zeeland sehr verbreitet war.

Im Frühjahr besuchte Dürer die beiden flämischen Städte Brügge und Gent. Brügge, die „herrliche, schöne Stadt“, war der Welthafen des Mittelalters. Bis das Zwin, die Verbindung zur Nordsee, langsam versandete, standen zwischen Belfried und Beginenhof die Kontore lombardischer Bankiers und die Speicherhäuser kastilischer Kaufleute. Sogar das aus dem Niederländischen kommende Wort „Börse“ soll in Brügge entstanden sein, möglicherweise abgeleitet vom Namen der Kaufmannsfamilie van der Beurse. Dürer allerdings interessierte sich vor allem für die Kunstschätze, die Bilder des Jan van Eyck und Hans Memling oder die Marmormadonna seines italienischen Zeitgenossen Michelangelo, die von der Familie Mouscron nach Brügge gebracht worden war. In der Tuchmacherstadt Gent zeichnete Dürer lebende Löwen in der Residenz der Grafen von Flandern.

Immer wieder muss der Besucher aus Deutschland in diesen Monaten auch über das beherrschende Thema der Zeit diskutiert haben – die Religion, die Erschütterung der katholischen Lehre. Mehrmals traf er Erasmus von Rotterdam; in Antwerpen porträtierte er Cornelis Grapheus, der 1522 wegen seiner Kritik an der Kirche zu „Abschwörung und Widerruf“ gezwungen werden sollte. Dürer erstand während der Reise auch mehrere Schriften Martin Luthers, und als ihn im Mai 1521 die Nachricht von der Gefangennahme Luthers erreichte, zeigte er sich tief erschüttert: „Lebt er noch? Oder haben sie ihn gemordet – was ich nicht weiß – dann hat er das erlitten um der christlichen Wahrheit willen, weil er gezüchtigt hat das unchristliche Papsttum.“ In Wahrheit war Luther zu seinem eigenen Schutz von den Soldaten des Kurfürsten Friedrich von Sachsen auf die Wartburg gebracht worden.

Gerade zu Beginn der 1520er-Jahre hatte Luther in den Niederlanden viele Anhänger. 1523 starben auf dem Grand Place in Brüssel die ersten protestantischen Märtyrer nicht nur der Niederlande, sondern Europas überhaupt – zwei Augustinerpatres aus ’s-Hertogenbosch. Luther schrieb daraufhin seinen Brief „an die Brüder in Christo, so in Holland, Brabant und Flandern sind“.

Am 12. Juli 1521, genau ein Jahr nachdem er von Nürnberg aufgebrochen war, machte sich Dürer mit seiner Frau auf den Heimweg. „Viel köstliche Dinge“ hatte er gesehen. Die Fülle der während des Aufenthalts entstandenen Zeichnungen und Gemälde ist ein Beleg dafür, wie sehr ihn das neue Umfeld inspiriert hatte.

Tage, die Geschichte machten25. Oktober 1555Machtwechsel in Brüssel – Kaiser Karl dankt ab

Es ist Punkt drei Uhr nachmittags, als die Flügeltüren des großen Sitzungssaals im Brüsseler Schloss geräuschlos aufschwingen. Jetzt wird Weltgeschichte gemacht, und jeder hier weiß es. Gleich wird er eintreten, der mächtigste Mann des Erdkreises: Karl V., deutscher Kaiser und König von Spanien, Herr der Niederlande und weiter Teile Italiens, Gebieter in Asien und Afrika. Sein Wahlspruch lautet plus ultra – immer weiter, und sein Anspruch ist kein geringerer, als Universalherrscher über die ganze Christenheit zu sein. Und da kommt er, der Gewaltige – aber, ach, ist das möglich, ist er es wirklich? Fünfundfünfzig Jahre ist er alt und sieht doch aus wie ein Greis: mager, mit gebeugtem Rücken, die Hände steif, die Haare grau und spärlich, dazu ganz in Schwarz gehüllt. Kaum einen Schritt kann er allein tun. Mit der linken Hand stützt er sich auf einen Stock, mit der rechten auf einen jungen Mann. Es ist sein Günstling, Prinz Wilhelm von Oranien, gekleidet in ein geschlitztes Wams mit glitzernden Silberfäden. Erst hinter ihm, in der zweiten Reihe, folgt der Thronerbe Philipp II.

Etwa tausend Menschen sind im Saal versammelt, und doch ist es so still, dass man die Schritte des Kaisers und seiner Gefolgschaft hört. Langsam humpelt der Kaiser an den Rittern vom Goldenen Vlies vorbei, den Angehörigen des niederländischen Staatsrates, des Finanzrates und Geheimen Rates, den Generalstaaten und Abgesandten der Provinzialstaaten, den Statthaltern der einzelnen Provinzen, der hohen Geistlichkeit, den adeligen Kavalieren, den Gerichtsbeamten und schließlich auch einigen hundert Zuschauern aus dem Volk. Vorsichtig steigt er die sechs Stufen zu einem Lehnstuhl unter einem wappengeschmückten Baldachin, einem Thronhimmel, empor. Rechts von ihm nimmt sein Sohn Philipp Platz, links von ihm die Generalstatthalterin der Niederlande, Maria. Die Wände sind mit den schönsten Gobelins geschmückt, doch in diesem Moment beachtet sie niemand. Alle Blicke ruhen auf dem Kaiser. Die Zeremonie kann beginnen. Ein Mitglied des Staatsrates, des wichtigsten Beratergremiums der Generalstatthalterin, ist der erste, der das Schweigen durchbricht. Diesem Philibert von Brüssel fällt die Aufgabe zu, das Ungeheuerliche dieses Tages als Erster auszusprechen. Vor den höchsten Repräsentanten der Niederlande bestätigt er, dass Karl V. von all seinen Ämtern zurücktreten wird. Ein beispielloser Entschluss – so etwas hat es einfach noch nie gegeben. Man muss schon bis ins Altertum zurückgehen, um etwas annähernd Vergleichbares zu finden: Der römische Kaiser Diokletian hatte damals dem Thron entsagt, weil er meinte, es sei viel schöner, im Garten Gemüse anzupflanzen.

Im Auftrag des Kaisers legt Philibert von Brüssel noch einmal den Grund für die Abdankung dar. Es ist Karls schlechte körperliche Verfassung, die ihm die weitere Ausführung seiner Ämter unmöglich macht. Die Anwesenden wissen: Die Gicht hat ihn lahm gemacht und steif wie eine Puppe. Er kann noch nicht einmal mehr ein Pferd besteigen; auf einem kurzbeinigen Maultier ist er vorhin den kurzen Weg zum Palast geritten. Und doch haben viele den Verdacht, dass es noch etwas anderes ist, das den Kaiser vor dieser Welt in die Abgeschiedenheit eines Klosters fliehen lässt. Er ist tief enttäuscht, geradezu verbittert über den Verlauf seiner Herrschaft. Gescheitert ist sein großes Lebensziel, ein unter ihm geeintes Imperium des Abendlandes zu schaffen. Seinen Erzfeind, den französischen König Franz I., hat er nicht besiegen können. Und genauso wenig ist es ihm gelungen, die Alleingültigkeit der katholischen Lehre zu erhalten, die nach seinem Willen die geistige Grundlage dieses Reiches bilden sollte. Mit dem Doktor Luther ist er nicht fertig geworden. Trotz unnachgiebiger Verfolgung hat sich dessen Lehre immer weiter ausgebreitet.

Doch nun will Karl selbst das Wort an die Versammlung richten. Er setzt sich seine große Brille auf, nimmt einen Zettel mit Notizen zur Hand und beginnt mit seiner Abdankungsrede. Er spricht leise und undeutlich, wie man es von ihm gewohnt ist: Sein Unterkiefer ist so stark vorgewölbt, seine Unterlippe hängt so weit herunter, dass sich der Mund nie ganz schließt – man spottet über das „Habsburgerkinn“. Doch was der Kaiser nun sagt, ist so ergreifend, dass er immer wieder von Schluchzen unterbrochen wird. Es ist der Rechenschaftsbericht seines Lebens. Vor genau vierzig Jahren, so sagt er, hat ihn sein Großvater Kaiser Maximilian eben hier für mündig erklärt, in diesem Saal zu Brüssel. Im nächsten Jahr schon erbte er die Königskrone Spaniens und mit 19 Jahren die Kaiserwürde. „Nicht um meine Besitzungen auszudehnen, sondern um nachdrücklicher für das Wohl Deutschlands und meiner anderen Königreiche, namentlich der belgischen Provinzen wirksam sein zu können.“

Was dann folgt, ist eine schonungslose Bilanz. Die Gäste des Staatsaktes erleben einen Mann, der resigniert hat: „Große Hoffnungen hatte ich – nur wenige haben sich erfüllt. Und um den Preis welcher Mühen! Das hat mich schließlich müde und krank gemacht. Ihr wisst alle, wie sehr. Bis heute habe ich alle Wirrnisse ertragen, damit niemand sagen könne, ich wäre fahnenflüchtig geworden. Aber jetzt wäre es unverantwortlich, die Niederlegung noch länger hinauszuzögern. Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin.“ So übergebe er nun das Deutsche Reich an seinen Bruder Ferdinand und die restlichen Länder seinem Sohn Philipp. „Ich für meinen Teil muss bekennen, dass ich mich zu mannigfachen Irrtümern habe verleiten lassen, sei es durch jugendliche Unerfahrenheit oder durch den Stolz des reiferen Alters oder durch eine andere Schwäche der menschlichen Natur; aber ich erkläre, dass ich niemals wissentlich und freiwillig Unrecht oder Gewalt verübt oder andere dazu veranlasst oder ermächtigt habe. Wenn trotzdem Handlungen dieser Art mit Recht mir zur Last zu legen sein mögen, so gebe ich Euch die feierliche Versicherung, dass ich sie gegen meine Absicht begangen habe, und ich bitte diejenigen, welchen ich in dieser Weise zu nahe getreten bin, diejenigen, die heute hier anwesend, sowie diejenigen, die abwesend sind, mir zu vergeben.“

Vom Stehen und Sprechen erschöpft und innerlich aufgewühlt, lässt sich der Kaiser auf seinen Stuhl sinken, um sich kurz auszuruhen. Dann erhebt er sich wieder, um sich nunmehr an seinen Sohn Philipp zu wenden, der neben ihm steht. Ja, es sei ungewöhnlich für einen Herrscher, seine Länder noch zu Lebzeiten abzutreten. „Meine Handlungsweise wird wenig Nachahmer finden, wie sie wenige Beispiele hat, aber sie wird gepriesen werden, wenn du mein Vertrauen rechtfertigst und fortfährst, der eifrige Verteidiger des katholischen Glaubens zu sein. Mag auch dir ein Sohn beschieden sein, dem du in gleicher Weise deine Macht übertragen kannst.“ Nun umarmt der Kaiser seinen Sohn, der niedergekniet ist und ihm die Hand küsst, und erteilt ihm seinen väterlichen Segen. Der Augenblick geht ihm so nahe, dass ihm die Tränen kommen, wofür er sich sogleich entschuldigt. Die Zuhörer sind tief bewegt. Eine solche Rede hat noch niemand gehört, schon gar nicht von einem Fürsten. Aber, so mögen viele bei sich denken, er ist eben einer von ihnen, gebürtig aus Gent.

Und nun also Philipp – ein blasser, schmalschultriger Mann, der direkten Blickkontakt meidet. Unnahbar soll er sein und tieffromm. Was für ein Kontrast zu dem anderen jungen Mann in der unmittelbaren Nähe des Kaisers, dem beredten und gewandten Grand Seigneur Wilhelm von Oranien. In holprigem Französisch liest Philipp nun einige Sätze von einem Zettel ab: „Meine Herren! Ich verstehe zwar das Französische ganz ordentlich, jedoch beherrsche ich es noch nicht so geläufig, dass ich darin zu Ihnen sprechen könnte. Sie werden also hören, was der Bischof von Arras Ihnen in meinem Namen sagen wird.“ Eisiges Schweigen. Schon mit seinem ersten Auftreten hat der neue Herrscher Sympathien verspielt. Nur zu deutlich ist nun, dass die Niederlande künftig von einem Fremden regiert werden, einem Spanier durch und durch, der noch nicht einmal eine ihrer Sprachen beherrscht. Der Bischof von Arras, Philipps Vertrauter Antoine Perrenot de Granvelle, versichert den niederländischen Amtsträgern an seiner Stelle, dass der König ihre alten Rechte und Freiheiten achten und ihre Privilegien verteidigen will.

Nun wird das Siegel Karls zerbrochen. Langsam erhebt er sich von seinem Stuhl und bittet Philipp, seinen Platz einzunehmen. Deutlicher hätte die Zeremonie den Machtwechsel nicht demonstrieren können. Als Karl wenig später den Saal verlässt, wieder gestützt von Prinz Wilhelm, ist er nur noch Privatmann. Eine Epoche ist zu Ende, eine neue beginnt. Spätestens seit diesem Tag wissen die Niederländer, dass sie einer ungewissen Zukunft entgegengehen.

Ein schwieriges Erbe.Philipp II. und die Niederlande

Schon einen Tag nach der feierlichen Abdankung Karls V. gab es den ersten Zwischenfall, der nichts Gutes verhieß. Als die Vertreter der einzelnen Provinzen Philipp den Treueid leisteten, weigerten sich die sieben Deputierten aus Friesland, den Eid kniend zu sprechen. Selbstbewusst erklärte ihr Wortführer Gemme van Burmania: „Wij Friezen knibbelje allinne for God.“ – „Wir Friesen knien nur vor Gott.“ Missbilligend zog der junge König die Brauen hoch und murmelte einige unverständliche Worte. Und das war nicht das einzige Ereignis, das den Unwillen des Monarchen erregte. Die Provinzen Gelderland und Hennegau sowie die Stadt Löwen weigerten sich, Philipps Inthronisierung anzuerkennen. Ihren Privilegien gemäß seien nicht etwa sie verpflichtet, den neuen Souverän aufzusuchen, sondern dieser müsse umgekehrt zu ihnen reisen und sich dort bestätigen lassen, argumentierten sie. Hennegau ließ sich nach langen Verhandlungen von seiner Weigerung abbringen, Gelderland und Löwen dagegen blieben bei ihrer Ablehnung. Ihre Deputierten fehlten bei der Eidesleistung ebenso wie die Gesandten der Provinz Overijssel, die der Zeremonie unter Berufung auf ein altes Vorrecht fern blieben.

Wieder einmal bestätigte sich damit, dass die Niederländer stolze Leute waren, das selbstbewusst auf seinen Rechten beharrte und dabei auch vor offenem Widerstand nicht zurückschreckte. Vor allem die großen Städte in Flandern, Brabant und Holland hatten in der Vergangenheit immer wieder gegen den Landesherrn aufbegehrt und sich dabei neue Freiheiten ertrotzt, die sie seitdem eifersüchtig verteidigten. In einer Zeit, in der der jeweilige Herrscher oft über nahezu uneingeschränkte Macht verfügte, boten diese Privilegien, die auf schwer versiegelten Pergamentrollen in den Rathäusern aufbewahrt wurden, den einzigen Schutz vor der Fürstenwillkür.

Karl V. (1500–1558) war stolz darauf, seinem Sohn ein blühendes Land zu hinterlassen, doch es war von Anfang an ein schweres Erbe, das Philipp antreten musste: Jahrzehntelang hatten die Niederländer Karls Kriege gegen Türken und Franzosen mitfinanziert – Kriege, die nach ihrer Überzeugung nicht in ihrem Interesse geführt wurden. Die Stadt Gent hatte sich 1539 schlicht geweigert, ihren Anteil an der Steuer zu entrichten. Karl V. ließ seine Geburtsstadt daraufhin besetzen, die Abteikirche niederreißen und aus ihren Steinen eine Festung errichten. Gent verlor sämtliche Privilegien und musste zusätzlich zu den Steuern noch Strafgeld bezahlen. Auf nackten Füßen und mit einem Strick um den Hals mussten Vertreter der Bürgerschaft den Kaiser um Vergebung bitten. Unmissverständlich hatte Karl demonstriert, dass es mit der alten Autonomie der Städte nicht mehr weit her war.

Schon ein Jahr nach seiner Thronbesteigung ersuchte Philipp die Generalstaaten um die unerhörte Summe von drei Millionen Gulden zur Finanzierung seines Krieges gegen Frankreich. Zwei Jahre lang weigerten sich die Generalstaaten, und dann gaben sie das Geld nur zu ihren Bedingungen. Philipp, zutiefst überzeugt von der unantastbaren Souveränität des Königtums, empfand dies fast schon als Kampfansage. 1559 bestieg er im Hafen von Vlissingen ein Schiff, das ihn nach Spanien zurückbrachte. Er hoffte, bald wieder in die Niederlande zurückzukehren, doch er sah sie nie wieder. Bis zu seinem Tod knapp vierzig Jahre später regierte er über ein Land, das er nur noch aus einigen wenigen mündlichen Schilderungen, vor allem aber aus Briefen kannte. Der menschenscheue Herrscher vermied persönliche Begegnungen, wo immer er konnte. Ein venezianischer Botschafter schrieb über ihn: „Sein größtes Vergnügen ist es, allein zu sein.“ Philipp regierte sein Imperium vom Schreibtisch aus und wurde deshalb oft „der Papierkönig“ genannt. Acht bis neun Stunden am Tag studierte er Akten und Briefe, verfasste Antwortschreiben und Anweisungen, oft bis spät in die Nacht bei flackerndem Kerzenschein mit rotgeränderten Augen. Alles wollte er selbst sehen, unermüdlich kratzte seine Feder über das Papier. Der Mann, in dessen Reich die Sonne nie unterging, versah die ihm vorgelegten Schriftstücke an den Rändern nicht nur mit inhaltlichen Kommentaren, sondern korrigierte nebenbei in seiner spinnenhaften Handschrift auch noch Satzbau und Schreibfehler. Einmal zeichnete er in einem einzigen Monat 1252 Dokumente ab. Sogar ein Kritiker musste zugeben: „Das Gehirn Seiner Majestät muss das größte der Welt sein.“ Aber sein Beichtvater redete ihm ins Gewissen: „Die Könige haben nicht Autorität von Gott bekommen, um sich in ihr Arbeitszimmer zurückzuziehen, um zu lesen und zu schreiben. Arbeit ist für Eure Majestät doch nur ein Vorwand, um keine Menschen um sich haben zu müssen.“

Wer einmal von Madrid aus zum Escorial gefahren ist, Philipps Granitpalast am Fuße der Sierra de Guadarrama, und dort durch ein Gewirr von Gängen bis zu seinem winzigen Arbeitszimmer vorgestoßen ist, dieser fensterlosen Zelle mit dem abgenutzten Stuhl, der begreift ein wenig besser, wie sich das Drama des niederländischen Aufstands entfalten konnte. Der König, der den Anspruch erhob, bei allen wichtigen Entscheidungen in all seinen Erbländern das letzte Wort zu haben, hatte den direkten Kontakt zu den Niederlanden verloren. Dazu kam, dass der Eremit auf jede Entwicklung mit großer Verzögerung reagierte. Ein Brief von Madrid nach Brüssel war mindestens zwei Wochen unterwegs; bis die Antwort eintraf, war ein Monat vergangen. „Entfernung war der Staatsfeind Nummer 1“, folgert der Historiker Fernand Braudel.

Aus Philipps Sicht gab es in den Niederlanden ein großes Problem: die Ausbreitung des Protestantismus. Philipp, Seine Allerkatholischste Majestät, war ein auch für seine Zeit ungewöhnlich religiöser Mensch. Täglich besuchte er die Heilige Messe. Den Mönchen im Escorial fiel auf, dass manchmal, wenn er ins Gebet vertieft war, Tränen über sein Gesicht flossen. In seinen späteren Jahren konnte er von seinem Bett im Escorial durch ein kleines Gitterfenster direkt auf den Hochaltar schauen. Der Klosterpalast, das größte Renaissancegebäude der Welt, war im Grundriss dem Gitterrost nachempfunden, auf dem der Heilige Laurentius von seinen Peinigern zu Tode gemartert worden war. Philipp war ein so großer Heiligenverehrer, dass er am Ende seiner Herrschaft 7422 Reliquien besaß, darunter 12 ganze Körper, 144 Köpfe und 306 komplette Arme oder Beine. Der für die Aufbewahrung zuständige Bruder im Escorial glaubte sagen zu können: „Wir wissen nur von drei Heiligen, von denen wir hier noch nicht das eine oder andere Körperteil aufbewahren.“

Es war Philipps feste Überzeugung, dass er Gottes auserwähltes Werkzeug war. Seinem Generalstatthalter in den Niederlanden schrieb er einmal: „Sie stehen in Gottes und meinem Dienst, was dasselbe ist.“ Folglich betrachtete er es als seine heilige Pflicht, den wahren Glauben zu verteidigen. Um diesen aber war es in den Niederlanden schlecht bestellt. Das Beunruhigendste war noch nicht einmal die Ausbreitung des Protestantismus, sondern die Gleichgültigkeit der schweigenden katholischen Mehrheit. Die Eintritte ins Kloster gingen immer weiter zurück, die Kirchen blieben halb leer. In der friesischen Hauptstadt Leeuwarden hielt ein Inquisitor 1559 fest, dass an Ostern Tausende weniger zur Kirche gingen als noch einige Jahre zuvor. Der wichtigste Grund dafür war – wie in Deutschland – die Entfremdung von der Kirche, die Unzufriedenheit mit den Priestern, die ihren eigenen moralischen Ansprüchen oft so gar nicht gerecht wurden. Auf den Bildern des Hieronymus Bosch (um 1450–1516) wimmelt es nur so von Karikaturen aus dem kirchlichen Leben: Bettelmönche mit Schnatterschnäbeln (ihre Predigten sind nichts als Geschwätz), Säue mit Äbtissinnenhauben, Teufel als Klosterglöckner, Beichtväter, bei denen sich hinten der Teufelsschwanz aus der Kutte ringelt. „Die Zeit ist aus den Fugen“, lässt William Shakespeare den Hamlet sagen – und genau das war das beherrschende Gefühl der Epoche.

Philipps Plan zur Rettung des Glaubens sah eine grundlegende Erneuerung der katholischen Kirche in den Niederlanden vor. Der erste Schritt dazu sollte eine Neuordnung der Bistümer sein. Die gesamten Niederlande waren zu dieser Zeit in gerade einmal vier Bistümer unterteilt. Nach langem Verhandeln einigte sich Philipp 1559 mit dem Papst auf die Schaffung von vierzehn Bistümern. Dies geschah heimlich und ohne Absprache mit den führenden Politikern aus dem niederländischen Hochadel, was großes Misstrauen weckte. Dermaßen tiefgreifende Änderungen seien ein Verstoß gegen verbriefte Rechte und hätten niemals ohne vorherige Zustimmung der Provinzialstaaten beschlossen werden dürfen, hieß es von Seiten der Niederländer. Neu eingerichtet wurde auch das Amt eines niederländischen Primas, eines obersten Erzbischofs mit Sitz in Mecheln. Philipp entschied sich dafür, diese herausragende Position mit seinem Vertrauten Antoine Perrenot de Granvelle zu besetzen, der bei der Abdankung Karls V. bereits seine Erklärung verlesen hatte. Granvelle war kein Niederländer, sondern stammte aus der Freigrafschaft Burgund, der Franche Comté, die damals ebenfalls zum habsburgischen Länderkomplex gehörte. Er war zum Zeitpunkt seiner Erhebung zum Primas bereits Hauptratgeber der unsicheren niederländischen Generalstatthalterin Margarete von Parma, einer illegitimen Halbschwester Philipps. Als solcher führte er in Brüssel praktisch die Regierungsgeschäfte. Obendrein wurde ihm vom Papst nun auch noch die Kardinalswürde zuerkannt, was ihm bei Ratssitzungen der Brüsseler Regierung eine Vorrangstellung sicherte. Der einheimische Hochadel war sehr verärgert. Dies galt vor allem für seine drei führenden Vertreter: die Grafen Egmont und Hoorn und den Prinzen von Oranien.

Der Mann, mit dem alles begann

. Prinz Wilhelm von Oranien in jungen Jahren. Gemälde von Anthonie Mor, um 1554.

Lamoraal von Egmont war ein Kriegsmann, dem Philipp viel verdankte. „Aller Ruhm häufte sich auf den Grafen von Egmont“, schildert es Friedrich Schiller in seiner „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande“ (1788). „Sein Name war in jedermanns Munde und die allgemeine Stimme erklärte ihn zum Helden seiner Zeit.“ Bevor Philipp die Niederlande verließ, ernannte er Egmont zum Statthalter von Flandern und Artois. Graf Hoorn – Philippe II. de Montmorency – hatte seit 1549 Philipps Leibgarde kommandiert und war so immer in seiner nächsten Umgebung gewesen. Als der König 1559 nach Spanien ging, begleitete ihn Hoorn auch dorthin. Die Gründung der neuen Bistümer kritisierte er jedoch mit solcher Vehemenz, dass er 1561 in Ungnade fiel und die Erlaubnis erhielt, in die Niederlande zurückzukehren. Wilhelm von Oranien schließlich hatte keinerlei militärisches Talent, doch er war der gefährlichste Gegner Granvelles, wie dieser selbst an Philipp schrieb: „verschlagen, raffiniert, mit tiefgründigen Ansichten, sehr schwierig zu behandeln und unbeirrbar in seinen Meinungen“. Zum endgültigen Bruch mit Granvelle kam es, als Oranien gegen dessen Willen die lutherische Anna von Sachsen heiratete, die Tochter des in Madrid verhassten sächsischen Kurfürsten.

Egmont, Hoorn und Oranien opponierten gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten gegen Granvelle. Sie gründeten feierlich eine Liga und kleideten sich fortan zu bestimmten Anlässen in einheitliche Uniformen mit dem Abzeichen einer Narrenkappe – als Parodie auf Granvelles Kardinalshut. 1563 verlangten sie von Philipp in einem Brief die sofortige Abberufung Granvelles. Um seinen guten Willen zu zeigen, gab Philipp nach. Unter dem Vorwand, seine kranke Mutter besuchen zu wollen, musste Granvelle Brüssel 1564 verlassen. Die Niederländer wussten gleich, dass er nie mehr zurückkehren würde: Schon bald hing an der Tür des Kardinalspalastes ein Schild mit der Aufschrift „Sofort zu verkaufen“.

… nur ein paar Bettler. Der erste Aufstand

Der Sturz Granvelles war ein enormer Erfolg für Oranien, Egmont und Hoorn. Noch im selben Jahr unternahmen sie einen weiteren Vorstoß, um die Verhältnisse nach ihren Vorstellungen zu verändern. Schon lange waren ihnen die harschen Ketzerverfolgungen ein Gräuel, wie sie etwa der Inquisitor von Flandern, Pieter Titelmans, vornahm. Von 1550 bis 1566 brachte dieser zusammen mit einigen wenigen Helfern jedes Jahr etwa hundert Fälle von Ketzerei vor Gericht. Er jagte auf seinem Pferd durch das Land, lag notfalls stundenlang auf der Lauer, schmiedete Komplotte und nahm Verdächtige auch mal mitten in der Nacht bei Blitz und Donner in Haft. Für Oranien und seine Freunde war Titelmans ein unerträglicher Fanatiker. Im versöhnlichen Geist des Erasmus erzogen, plädierten sie für die Freiheit des Gewissens. „So sehr ich meinem katholischen Glauben auch verbunden bin, ich kann es nicht gut heißen, dass Fürsten über das Gewissen ihrer Untertanen herrschen und ihnen die Glaubens- und Religionsfreiheit nehmen wollen“, verkündete Oranien in seiner bis dahin gewagtesten Rede im Staatsrat. In seinem eigenen Fürstentum Orange im Südosten von Frankreich ließ er 1563 eine begrenzte Tolerierung von Calvinisten zu. Die Sympathie der niederländischen Bevölkerung war ihm gewiss, denn die Inquisition war verhasst. Mehrmals kam es vor, dass Gefangene von einer aufgebrachten Menge befreit wurden. Die Stadträte wiederum waren vor allem deshalb Feinde der Inquisition, weil diese die Verfolgung von Verdächtigen an sich zog, obwohl die Strafjustiz seit jeher Sache der Stadtbehörden war. Einmal mehr sahen die niederländischen Patrizier ihre Rechte verletzt.

Die tonangebenden Mitglieder des Brüsseler Staatsrates, des wichtigsten Beratergremiums der Generalstatthalterin Margarete von Parma (1522–1586), beschlossen deshalb 1564, dem König eine Lockerung der bestehenden Ketzergesetze vorzuschlagen. Graf Egmont wurde damit beauftragt, das Ersuchen am spanischen Hof persönlich vorzutragen. Gleichzeitig sollte er den König dazu bewegen, die Machtbefugnisse des Staatsrates zu erweitern. Zu seinem Entzücken wurde Egmont in Madrid mit allen Ehren empfangen. Philipp soll ihn sogar umarmt haben. In der Königskutsche durfte er in die Sierra fahren und das graue Palastviereck bewundern, das langsam aus der kastilischen Einöde emporwuchs, den Escorial. Philipp bedachte ihn mit Schmeicheleien, Geschenken und vagen Versprechungen, denn, so schrieb er einem Vertrauten: „Wenn wir rundheraus ablehnen würden, würden wir ihn nie mehr los werden.“ Auf der Rückreise in die Niederlande fühlte sich Egmont als „der glücklichste Mann der Welt“. Im Staatsrat verkündete er, der König habe sich mündlich mit einer milderen Anwendung der Ketzergesetze einverstanden erklärt. Dies war jedoch eine völlige Fehleinschätzung, wie bald darauf aus schriftlichen Anweisungen des Königs hervorging. Darin befahl dieser eine nach wie vor unnachgiebige Verfolgung der Häresie und lehnte jede Aufwertung des Staatsrates ab. In einem Brief an den Papst versicherte er: „Lieber als der Religion und dem Dienst an Gott auch nur im geringsten zu schaden, würde ich all meine Länder verlieren und hundert Leben, wenn ich sie denn hätte. Denn ich wünsche nicht, ein Herrscher über Häretiker zu sein.“ Egmont war blamiert. Widerstrebend rief der Staatsrat die Provinzialbehörden dazu auf, den Ketzeredikten Geltung zu verschaffen.

Mittlerweile hatte der Protestantismus – und hier vor allem der Calvinismus – aber auch im Adel solchen Rückhalt gefunden, dass viele die Politik des Königs nicht mehr hinnehmen wollten. Die Lehre des Reformators Johannes Calvin (1509–1564) hatte sich erst seit Ende der 1550er-Jahre, dafür aber erstaunlich schnell in den Niederlanden ausgebreitet. Eine entscheidende Rolle dabei spielten niederländische Calvinisten, die sich in Deutschland zu gut organisierten Exilgemeinden zusammenschlossen, zum Beispiel in Emden, Wesel, Duisburg und Frankfurt. Ein Hauptgrund für den Erfolg des Calvinismus war, dass er der bis dahin zersplitterten protestantischen Bewegung in den Niederlanden eine klare Richtung und Struktur verlieh. Die im Genfer Katechismus festgelegten Dogmen und die von Calvin entwickelte straffe Kirchenordnung gaben den vom alten Glauben Abgefallenen den nötigen Halt. Zudem handelte es sich bei den aus Deutschland wirkenden Calvinisten um absolut Überzeugte, die gemäß der calvinistischen Vorbestimmungslehre fest daran glaubten, dass sie auserwählt waren. In den kommenden zehn Jahren sollten sie immer wieder demonstrieren, wie eine Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufzwingen kann, wenn sie sich ihrer Sache nur sicher genug ist und mit der nötigen Entschlossenheit auftritt.

Kurz nachdem die kompromisslose Linie des Königs deutlich geworden war, schlossen sich einige zum Calvinismus tendierende Adelige zu einer geheimen Liga für die Lockerung der Ketzergesetze und die Abschaffung der Inquisition zusammen. Insgesamt vierhundert Edelmänner – ungefähr ein Zehntel des gesamten niederländischen Adels – unterstützten diese Gruppe, indem sie ein Dokument mit den Hauptforderungen unterschrieben. Die Anführer der Bewegung verfassten daraufhin eine Bittschrift an die Generalstatthalterin. 1566 war es so weit: Vor Margarete von Parma, der Schwester des Königs, erschienen dreihundert Edelleute mit voller Bewaffnung unter Führung von Oraniens jüngerem Bruder Ludwig von Nassau und dem Grafen Hendrik van Brederode und überbrachten ihre Forderungen. Ein spanischgesinnter Berater raunte Margarete zu: „Madame, ce ne sont que des gueux.“ – „Es sind doch nur Bettler.“ Es soll Brederodes Idee gewesen sein, diese Schmähung aufzugreifen und in einen Ehrennamen zu verwandeln. Bald gingen die aufsässigen Adeligen in Sackleinen und mit Filzhut und ließen dazu einen Bettelpfennig schlagen: Auf der einen Seite befand sich ein Bildnis Philipps, auf die andere wurden zwei ineinandergeschlagene Hände geprägt und dazu der Spruch: „Königstreu bis an den Bettelstab.“ Es dauerte nicht lange, und die Bettler – niederländisch geuzen – wurden in Liedern besungen. „Vivent les gueux!“ und „Leve de geuzen!“ erklang es in den Straßen.

Margarete war isoliert. Sie verfügte über keine Soldaten und sah Zugeständnisse deshalb als einzigen Ausweg. Schon einen Tag nach dem Besuch der Adeligen erklärte sie sich dazu bereit, einen milderen Umgang mit den Ketzern anzuordnen. Die Staatenversammlungen fast aller Provinzen zeigten sich hocherfreut. Doch Oranien gab sich damit nicht zufrieden, sondern verstand es sofort, die geschwächte Position der Generalstatthalterin auszunutzen. Just an jenem Tag, als Margarete den Befehl für eine weniger strenge Verfolgung unterzeichnete, gab der Prinz im Staatsrat seinen Rücktritt von allen Ämtern bekannt, weil er sich vom König ungerecht behandelt fühle. Philipp frage ihn nie um Rat und unterrichte ihn auch nicht über wichtige Angelegenheiten, hieß es zur Begründung. Daraus werde er nun die Konsequenzen ziehen und schon am nächsten Tag auf sein Stammschloss Dillenburg im Westerwald zurückkehren. Ebenso äußerten sich Egmont und Hoorn, die gleichfalls ihre Abreise nach Deutschland ankündigten. Der Zeitpunkt war perfekt gewählt: Aus Angst, der Lage allein nicht mehr Herr zu werden, bekniete Margarete die drei, noch eine Weile zu bleiben. Zum Dank wolle sie sich bei Philipp dafür einsetzen, dass künftig „über alles und jedes, früh, mittags und spät der Staatsrat befinden“ solle. Ihre Bitten wurden gnädig erhört.

Doch nun gerieten die Dinge außer Kontrolle. Von überall her strömten geflohene Calvinisten ins Land, und dies keineswegs heimlich. Schon bald hielten sie sogenannte Heckenpredigten auf freiem Feld ab, wo kein Zugriff städtischer Behörden zu befürchten war. Sie hatten gewaltigen Zulauf, was möglicherweise auch mit allgemeiner Unsicherheit aufgrund einer Wirtschaftskrise durch strenge Winter, Missernten und einen Krieg in der Ostsee zusammenhing. Am 30. Juni 1566 beteiligten sich nach einer Schätzung allein im Raum Antwerpen 30 000 Menschen an calvinistischen Zusammenkünften. Solche Volksmassen konnte keine frühmoderne Regierung beherrschen. Zu allem Überfluss erschienen die Besucher der Heckenpredigten vermehrt bewaffnet. Pieter Bruegel hat eine der Versammlungen in seinem Gemälde „Die Predigt Johannes des Täufers“ festgehalten: Indem er die biblische Szene in die Gegenwart verlegte, verlieh er ihr enorme Brisanz.

Einen Monat später eskalierte die Lage vollends. Mit Keulen, Äxten und Hämmern bewaffnet, brachen kleine, aber entschlossene Gruppen unter Anführung radikaler Prediger die Pforten der Kirchen auf, stürzten die Altäre um, zerschmetterten Heiligenbilder, schlugen die Kanzeln in Stücke und raubten Monstranzen, Kelche und Messgewänder. Ein Bildersturm raste über das Land. Die prunkvolle Ausstattung der Kirchen mit Gemälden und Skulpturen war den Calvinisten schon lange ein Dorn im Auge gewesen, weil sie nach ihrer Überzeugung in götzenhafter Weise vom Wort Gottes ablenkte. Allein in Antwerpen wurden alle 42 Kirchen einschließlich der Kathedrale Zu Unserer Lieben Frau geplündert: Mit dem Ruf „Es leben die Geusen!“ durchstachen die Eiferer ein Marienbild mit Schwertern und Dolchen, brachten einen lebensgroßen Christus zu Fall, zertrümmerten die Orgel, verstreuten Hostien auf dem Boden, prosteten sich mit Messwein zu und putzten sich mit Weihwasser die Stiefel. Sogar halbverweste Leichen wurden aus den Gräbern gerissen und mit Füßen getreten. Der Schaden in der Kathedrale wurde auf 400 000 Goldgulden geschätzt. „Es war die kostbarste Kirche Europas, und sie haben sie dermaßen verwüstet, dass kein Platz übrig geblieben ist, wohin man sich setzen kann“, beklagte ein englischer Kaufmann.

Berauscht von ihren Erfolgen forderten die Calvinisten völlige Glaubensfreiheit. Margarete, die in diesen Tagen Angst hatte, dass das Volk ihren Palast stürmen könnte, gab nach. Auf Empfehlung der Hochadeligen ordnete sie die Duldung aller protestantischen Gemeinschaften an, die sich bis dahin gebildet hatten. Sie handelte dabei in Übereinstimmung mit Philipp, den sie in Briefen über den Gang der Dinge auf dem Laufenden hielt, wobei sie das Ausmaß der Rebellion in ihrer Panik noch stark übertrieb. Philipp erklärte sich mit der Aussetzung der Ketzeredikte einverstanden, dies jedoch nur, um Zeit zu gewinnen. Gleichzeitig ermächtigte er Margarete, in Deutschland 13 000 Soldaten auszuheben. Zusätzlich bereitete er die Entsendung einer spanischen Armee vor. Diese kriegerische Reaktion ist ihm später von vielen Historikern angekreidet worden, doch tatsächlich hatte Philipp wohl keine andere Wahl. Selbst die protestantische englische Königin Elisabeth – eine spätere Erzfeindin Philipps – zeigte sich in einem Gespräch mit dem spanischen Botschafter erstaunt und empört über ein solches Maß an Aufsässigkeit; wäre dies ihr widerfahren, hätte sie die Verantwortlichen hart bestraft, sagte sie. Es war schlicht nicht vorstellbar, dass ein König des 16. Jahrhunderts eine solche Herausforderung seiner Autorität wie die Adelsrebellion und den Bildersturm unbeantwortet ließ. Und Philipp war nicht irgendein König, sondern der mächtigste König seiner Zeit. „Wenn Spanien sich regt, zittert der Erdkreis“, hieß es.

Vergeblich rief Oranien zur Mäßigung auf. Ihm ging es einerseits darum, die Glaubensfreiheit zu erhalten, und andererseits, Übergriffe auf Katholiken zu verhindern. Unermüdlich vermittelte er vor allem im brodelnden Antwerpen zwischen den verfeindeten Konfessionen, handelte örtliche Übereinkommen aus, bei denen bestimmte Kirchen den Katholiken, andere den Calvinisten oder auch Lutheranern zugewiesen wurden. Ein englischer Gesandter meldete nach London, es sei bewundernswert, wie sich Oranien darum bemühe, Blutvergießen zu verhindern: „Ich versichere Euer Ehren, dass der Prinz Tag und Nacht unterwegs gewesen ist, um diese Stadt vor Totschlag und Plünderung zu bewahren, wozu es ohne seine Anwesenheit zweifelsfrei gekommen wäre. Denn ich habe noch nie Menschen gesehen, die so darauf aus waren zu kämpfen.“ Oranien riskierte dabei durchaus sein Leben, denn mit seiner gemäßigten Haltung machte er sich die Fanatiker auf beiden Seiten zum Feind.

Egmont und Hoorn dagegen waren von der Schändung der Kirchen dermaßen schockiert, dass sie sich ohne Wenn und Aber an die Seite Margaretes stellten. Sie ließen die Bilderstürmer scharenweise hinrichten und hoben Soldaten für die Regierung aus. In den letzten Dezembertagen wurden die zusammengewürfelten Truppen der Calvinisten von diesen Einheiten geschlagen. Nach einer weiteren Niederlage im März 1567 brach der Aufstand zusammen. Nun war es mit der offenen Ausübung des calvinistischen Bekenntnisses vorbei. Im April setzte sich Oranien nach Deutschland ab, nachdem er vergeblich versucht hatte, Egmont zum Mitkommen zu überreden. Der Kriegsheld glaubte, seine Treue zum König hinreichend bewiesen zu haben: Hatte er sich am Ende nicht mit allen Kräften an der Niederschlagung des Aufstands beteiligt? Einer Legende zufolge soll Egmont zum Abschied gesagt haben: „Lebt wohl, Prinz ohne Land.“ Woraufhin Oranien zurückgab: „Lebt wohl, Graf ohne Kopf.“

Sobald Margarete die Rebellen besiegt hatte, bat sie den König, auf die Entsendung zusätzlicher Truppen zu verzichten. Ausländische Soldaten auf den Straßen der niederländischen Städte könnten nun nur noch schaden, erklärte sie. Ihr Brief kam wenige Tage zu spät. Schon zogen zehntausend Mann von Italien aus über die Alpen, alles spanische Elitesoldaten. Ein Augenzeuge hielt bewundernd fest, die Musketiere glichen Fürsten und die einfachen Soldaten sähen mit ihren schimmernden Brustpanzern eher aus wie Offiziere. Am 3. August 1567 überschritt das Heer die Grenze zu den Niederlanden.

Porträt: Erasmus von RotterdamLichtgestalt des Humanismus

Erasmus von Rotterdam (1466/69–1536) gilt als Erzvater niederländischer Tugenden wie Toleranz, Kompromissbereitschaft, Friedensliebe, Nüchternheit und Individualismus. Er wurde in ganz Europa als größter Gelehrter seiner Zeit gefeiert, als der Mann, „der alles und alle kannte“. Sein Humanismus war geprägt von der Überzeugung, dass wahrer Glaube nur aus der persönlichen Beschäftigung mit der Heiligen Schrift erwachsen konnte und nicht über die Vermittlung durch die Kirche. Damit unterstrich er die Bedeutung des Einzelnen und das Recht jedes Menschen, offizielle Lehrmeinungen in Frage zu stellen.

Ein Wegbereiter Luthers und Calvins war er auch insofern, als er die Prunksucht der Kirche mit Biss und Witz anprangerte. Nicht auf feierliche Zeremonien und dogmatische Formeln kam es an, sondern auf das richtige Verständnis der „Philosophie Christi“, das eigene Gewissen und tätige Nächstenliebe. Die Radikalität Luthers lehnte er ab und empfahl stattdessen humanistische Werte wie Ausgleich und Mäßigung. „Niemals wird er Luthers Lust begreifen, einen Feind zu zertrampeln und zu zerstampfen, nie in einem seiner Federkriege ‚mörderischem‘ Hass sich hingeben, mit dem Luther seine Gegner angreift“, charakterisiert ihn der Schriftsteller Stefan Zweig. Das Zeug zum Reformator fehlte ihm – zu leicht zweifelte er an seiner eigenen Ansicht, zu bereitwillig bedachte er die Argumente des Gegners. „Ich ertrage diese Kirche, bis ich eine bessere sehe“, war seine Einstellung. Luther verglich ihn dafür mit einem Aal: „Niemand kann yhn ergreiffen.“ Sogar als „grimmigsten Feind Christi“ hat er ihn geschmäht.

Erasmus war auch ein zu großer Friedensfreund, um sich auf offene Rebellion einzulassen. Ein ungerechter Friede war seines Erachtens immer noch besser als ein gerechter Krieg. Der Rhein trennte Franzosen und Deutsche, aber doch nicht Christen von Christen! Ein schmaler Streifen Meer trennte Franzosen und Engländer, aber doch nicht Menschen von Menschen! Von sich selbst sagte er: „Ein Weltbürger zu sein begehre ich, allen gemeinsam – oder lieber für alle ein Fremdling.“ Er lebte in Flandern, Italien und Frankreich, England, Deutschland und der Schweiz. Über Holland hat er sich oft lustig gemacht, aber gleichzeitig hob er hervor: „Kein Volk neigt mehr zu Menschlichkeit und Wohlwollen, ist weniger wild und grausam.“ Der Geist des Erasmus – die Grundhaltung der Gemäßigten – hat denn auch an kaum einem anderen Ort so nachhaltig Wurzeln geschlagen wie im Land seiner Herkunft.

Der Eiserne Herzog.Die Bestrafung der Rebellen

In den 1560er-Jahren malte Pieter Bruegel das Bild „Triumph des Todes“ – eine der erschreckendsten Visionen in der Geschichte der Kunst. Bruegel zeigt eine Welt, die vom Tod beherrscht wird, einen Kosmos im Griff des Sensenmanns. Die Zeit der Menschen ist abgelaufen – aus einer großen Uhr tritt der Tod hervor und zeigt, was die Stunde geschlagen hat. Seine Heere in Gestalt zahlloser Knochengerippe schwärmen aus und halten Gericht. Sie bringen Brand, Pestilenz und Krieg über das Land, sie flechten die Menschen aufs Rad, stürzen sie in den Abgrund, knüpfen sie auf, hetzen sie mit Windhunden zu Tode oder schlagen ihnen den Kopf ab. Tote und Lebende liegen in großen Haufen übereinander, Leichen treiben im Wasser. Feuer und Rauch färben den Himmel rot und schwarz, und so weit das Auge reicht, ragen abgestorbene Bäume, Galgen und Scheiterhaufen in die kahle bräunliche Landschaft. Niemand entkommt, weder König noch Kirchenfürst, weder Mutter noch Kind. Selbst die Toten werden von den Knochenmännern wieder ausgegraben, so als wollten sie sie noch um ihr christliches Begräbnis bringen. Im Gegensatz zu anderen apokalyptischen Gemälden der Zeit fehlt in diesem Szenario jeder Bezug auf Gott und Auferstehung. Der einzige Hoffnungsschimmer ist ein musizierendes Liebespaar, hinter dem schon der Tod aufspielt, das aber gleichwohl entschlossen scheint, das Leben bis zum letzten Moment auszukosten.

Das Bild erinnert an Darstellungen totalitärer Regime von Goya oder Picasso, wobei der Bruegel-Kenner Roger-H. Marijnissen sogar meint, „dass dieses Werk die makabersten modernen Werke bei weitem übertrifft“. Manche Experten vertraten die These, dass der „Triumph des Todes“ unter dem Eindruck der spanischen Schreckensherrschaft entstand, die 1567 einsetzte. Heute allerdings wird das undatierte Gemälde meist früher, etwa um 1562, eingeordnet. Wie dem auch sei: Wer die Schilderungen der Gräuelszenen nachliest, die sich im weiteren Verlauf der Rebellion gegen Spanien in den Niederlanden abspielten, der fühlt sich unwillkürlich und auf geradezu unheimliche Weise an Bruegels Gemälde erinnert. Die Hinrichtungen, die Galgen, die Massaker – all das sollte mitten in diesem wohlhabenden und hochzivilisierten Land binnen kürzester Zeit Wirklichkeit werden.

Triumph des Todes.

Ausschnitt aus dem Gemälde von Pieter Bruegel, um 1562.

Der Mann, der von Philipp den Auftrag erhalten hatte, die Ordnung in den Niederlanden dauerhaft wiederherzustellen, steht nunmehr seit Jahrhunderten für das hässliche Gesicht des spanischen Imperialismus, ja für die Tyrannei schlechthin: Ferdinand Alvarez de Toledo, der dritte Herzog von Alba. In Goethes Drama „Egmont“ ist er der „hohläugige Toledaner mit der ehernen Stirne und dem tiefen Feuerblick“, in Schillers „Don Carlos“ ein böser Intrigant. Schon zu Lebzeiten wurde er als „Schlächter von Flandern“ geschmäht. Gleichzeitig gab es nur wenige, die ihm persönlich begegneten und nicht beeindruckt waren. Alba war aus altem kastilischem Adel und ein Aristokrat durch und durch, ein Grande wie aus einem Gemälde von El Greco: groß, hager, mit Habichtnase, dunklen Augen und Silberbart. Er hatte vollendete Umgangsformen und war umfassend gebildet, auch humanistisch. In gewisser Hinsicht war er ein Kosmopolit, er sprach Spanisch, Lateinisch, Französisch, Italienisch, auch etwas Deutsch, er hatte in Diensten Karls V. und Philipps II. halb Europa bereist.

Aber gleichzeitig sah er auf alle herab, die nicht aus Kastilien kamen. Einer seiner Bewunderer, Hans Khevenhüller, der kaiserliche Botschafter in Spanien, bemängelte, dass er „ein Lästerer“ war, „der andere herabsetzte, viele kränkte und fremde Nationen verachtete“. Der US-Historiker Henry Kamen, der eine vorzügliche Biografie über ihn geschrieben hat, meint: „Er war nicht imstande zu begreifen, dass es außer den Spaniern noch andere Völker auf der Welt gab.“ Dazu war er ein eingefleischter Konservativer, der Neuerungen grundsätzlich misstraute. So tat er Kutschen – die zu Beginn des Jahrhunderts allmählich von den Spaniern aus den Niederlanden übernommen wurden – als Firlefanz ab und bevorzugte weiter den Pferdesattel. Vor allem aber war Alba kein Politiker, sondern ein Soldat, und deshalb hätte Philipp ihn nie mit dem schwierigsten Amt seines Reiches betrauen dürfen. Khevenhüller brachte es auf den Punkt: „Er ist viel besser im Krieg als im Frieden.“

Als Alba in die Niederlande kam, war er bereits 60 Jahre – ein Greis für die damalige Zeit. Er litt an der Gicht. In der niederländischen Frage hatte er dem König seit Jahren geraten, hart durchzugreifen, dann werde sich alles schon finden. Nun sollte er beweisen, dass er Recht hatte. Allerdings war anfangs nicht daran gedacht, dass er Margarete von Parma als Generalstatthalterin ablösen sollte; er sollte sie nur „unterstützen“. Am 22. August 1567 zog er in Brüssel ein. Meisterhaft hat Friedrich Schiller in seinem „Abfall der Niederlande“ die Stimmung voll unheilvoller Ahnung beschrieben: „Eine tote Stille herrschte jetzt in Brüssel, die nur zuweilen das ungewohnte Geräusch der Waffen unterbrach. Menschenleere Straßen, alle Häuser verriegelt, alle Spiele eingestellt, alle öffentlichen Plätze verlassen, die ganze Residenz wie eine Landschaft, welche die Pest hinter sich liegen ließ. Jedes Geräusch jagte Schrecken ein, als pochte schon ein Gerichtsdiener an die Pforte. Jede nächste Minute fürchtete man den niederfallenden Streich.“

Und der ließ nicht lange auf sich warten. Zwei Wochen nach seiner Ankunft gründete Alba unter dem Namen Rat der Unruhen ein Sondergericht, das alle Verantwortlichen für den Bildersturm zur Rechenschaft ziehen sollte. Zwar wurden führende niederländische Richter in den Rat berufen, doch Urteilsgewalt hatten nur zwei spanische Richter, von denen der eine weder Niederländisch noch Französisch sprach. Alle Urteile mussten außerdem von Alba persönlich abgezeichnet werden, so dass letztlich alle Macht bei ihm lag. Schon waren Gerüchte in Umlauf, wonach Alba selbst die Mächtigsten des Landes festsetzen wollte. Am Abend des 8. September erschien ein spanischer Offizier in der Residenz des Grafen von Egmont und beschwor ihn, das Land sofort zu verlassen. Doch Egmont blieb. Am nächsten Tag wurde er im Anschluss an einen Besuch in Albas Residenz festgenommen, ebenso wie Hoorn. Unter Bewachung von 300 Soldaten ließ Alba sie in die Zwingburg von Gent schaffen, eine der gewaltigsten Wasserfesten Europas, von deren unterirdischen Verliesen man sagte, dass dort „das Grauen schwelt“. Die Niederlande befanden sich in einem Schockzustand. „Niemand wagt es, mich zu fragen, ob ich zu dem ermächtigt bin, was ich tue“, schrieb Alba an den König. Dieser versicherte ihm: „Ihr habt freie Hand.“

Von Anfang an aber regte sich gerade auch unter den Beratern des Königs Widerstand gegen die Linie Albas. Ein von Philipp hochgeschätzter Geistlicher warnte ihn: „Eure Majestät sollten sich nicht dazu hinreißen lassen zu glauben, dass die Flamen Tiere und Trunkenbolde sind, denn es sind Menschen. Und wenn sie auch jetzt noch nicht zusammenstehen mögen in ihrem eigenen Land und mit Nachbarn, die ihnen helfen, so werden sie es doch eines Tages tun, und selbst wenn wir zehn von ihnen töten für jeden, den sie von uns töten, werden sie uns am Ende besiegen.“ Ebenso beschwor Margarete von Parma den König, dass Albas Unterdrückungspolitik „den Ruin und die völlige Zerstörung dieses Landes“ zur Folge haben werde. Vollends entsetzt war sie über die Verhaftung von Egmont und Hoorn, von denen sie nach dem Bildersturm so loyal unterstützt worden war. Sobald sie erkannte, dass Alba offenbar unbegrenzte Vollmachten vom König erhalten hatte, reichte sie ihren Rücktritt ein und vereidigte den Herzog als ihren Nachfolger.

Alba war sich wohl lange Zeit unschlüssig, wie er mit Egmont und Hoorn verfahren sollte. „Jeden Tag wird mein Kopf von Zweifeln darüber gepeinigt, ob die Schuldigen sterben sollen“, schrieb er im April 1568. Doch kurz darauf veränderte sich die Lage: Wilhelm von Oranien griff an. Von Deutschland aus stieß sein Bruder Ludwig von Nassau in die Provinz Friesland vor und besiegte die Streitkräfte des friesischen Statthalters. Da Alba nun eine neue Rebellion befürchtete, sah er Egmont und Hoorn als Sicherheitsrisiko – und ließ sie als Hochverräter zum Tode verurteilen und auf dem Grand Place in Brüssel enthaupten. Die abgeschlagenen Köpfe wurden auf Stangen gespießt und zur Schau gestellt. Alba verfolgte das Spektakel vom Fenster seines Palastes aus. Seit der ehemalige englische Lordkanzler und Gelehrte Sir Thomas Morus 1535 im Tower von London als Hochverräter enthauptet worden war, hatte keine Hinrichtung in Europa mehr so einhellige Empörung ausgelöst. Der deutsche Kaiser – ein Habsburger wie Philipp – schrieb einen Protestbrief. Auch viele Spanier hielten die Exekution für ein fatales Signal. Luis de Requesens – später Albas Nachfolger als Generalstatthalter – kritisierte die Verurteilung als ungesetzlich.

Kardinal Granvelle, mittlerweile spanischer Botschafter beim Papst, gab unterdessen zu bedenken, der Kopf der Verschwörung sei Oranien. „Solange er nicht in der Falle ist, hat der Herzog von Alba noch keinen Fang gemacht.“ So wandte sich Alba nun dem Oranier zu. Er verbannte ihn auf Lebenszeit und ließ all seine Güter beschlagnahmen, darunter den „Garten der Lüste“, das Hauptwerk von Hieronymus Bosch, das auf diese Weise nach Spanien gelangte. Schon im Februar hatte Alba Oraniens ältesten Sohn Philipp Wilhelm, der an der Universität Löwen studierte, festsetzen und nach Spanien schaffen lassen, wo er als treuer Untertan des Königs erzogen werden sollte; Vater und Sohn sahen sich nie wieder. Im Juli schließlich zog Alba mit 15 000 Soldaten nach Norden und machte in der Nähe der ostfriesischen Ortschaft Jemgum (damals Jemmingen) kurzen Prozess mit der Armee Ludwigs von Nassau. Die eingekesselten Rebellen hatten nur die Wahl, sich von den Spaniern abschlachten zu lassen oder sich in die Ems zu stürzen. Am nächsten Tag war das Ufer bedeckt mit den breitkrempigen Hüten der Ertrunkenen.

Mit der Niederlage von Jemgum brach der militärische Widerstand gegen Alba zusammen. Wilhelm von Oranien, einst einer der reichsten Männer Europas, stand am Rande des Bankrotts, und weder die protestantischen deutschen Fürsten noch die englische Königin Elisabeth waren nun noch bereit, Geld in das offenbar aussichtslose Unternehmen zu stecken. Aus einer bei Jemgum erbeuteten Kanone ließ Alba ein Standbild seiner selbst gießen, das in Antwerpen errichtet wurde und die Inschrift trug: „Ferdinando Alvarez von Toledo / Hertzogen von Alba / ist diß Bilde zu ehren auffgericht / daß er die zerruettungen gedempfft / die Rebellen und Auffruehrer vertrieben / den Gottesdienst wieder auffgericht / die Gerechtigkeit befordert unnd den Landen einen frieden bestettigt hat.“ (So eine zeitgenössische deutsche Übersetzung.)

„Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint in die Grenzen des Gehorsams zurückgekehrt“, stellt Alba in Goethes „Egmont“ zufrieden fest, und tatsächlich war dies die Überzeugung des Herzogs. Es hielt ihn allerdings nicht davon ab, nun mit besonderem Eifer an die Bestrafung der Rebellen zu gehen. Der Rat der Unruhen, von seinen Gegnern bald der Blutrat