Geschichte der Niederlande - Friso Wielenga - E-Book

Geschichte der Niederlande E-Book

Friso Wielenga

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Beschreibung

Eine Geschichte der Niederlande vom 16. Jahrhundert bis ins Jahr 2016. Friso Wielengas "Geschichte der Niederlande"? als Originalausgabe für den Reclam Verlag verfasst, konnte sich sowohl in den Niederlanden selbst als auch in englischer Übersetzung bereits als Standardwerk etablieren. Der Münsteraner Historiker wirft einen detailreichen und kritisch-loyalen Blick auf eine Nation, deren Geschichte turbulenter und spannungsreicher war und ist, als es das Klischee von der Konsenskultur will. Ein kompaktes Standardwerk, das bereits ins Niederländische und ins Englische übersetzt wurde, jetzt in aktualisierter Auflage.

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Seitenzahl: 579

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Friso Wielenga

Geschichte der Niederlande

Reclam

Die Übersetzung dieses Buches wurde durch den Nederlands Letterenfonds (Niederländische Stiftung für Literatur) und die Stichting Dr. Hendrik Muller’s Vaderlandsch Fonds finanziell ermöglicht. Annegret Klinzmann, M. A., hat den Text ins Deutsche übertragen.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012, 2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Kartengestaltung: Martin Völlm

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2016

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961121-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019336-5

Inhalt

Einleitung

Opposition und Aufstand. Entstehung und Konsolidierung der Republik der Vereinigten Niederlande (1555–1609)

Epochenüberblick

Die Niederlande auf der Landkarte

Wirtschaft, Finanzen und politische Struktur

Reformation

Loyalität, Opposition und Krise (1555–1566)

Radikalisierung, misslungene Mäßigung und der Weg in die Republik (1567–1588)

Militärische Erfolge, politische Konsolidierung und Waffenstillstand (1589–1609)

Eine wirtschaftliche Großmacht im Entstehen

Die Republik im Goldenen Zeitalter

Epochenüberblick

Von der zwölfjährigen Waffenruhe zum Westfälischen Frieden (1609–1648)

Die Republik um 1650

Die »wahre Freiheit« (1650–1672)

Die Rückkehr von Oranien: Die Republik unter Wilhelm III. (1672–1702)

Wirtschaft, Handel und Seefahrt

Kunst, Architektur und Wissenschaft

Eine Macht zweiten Ranges. Der Niedergang der Republik im 18. Jahrhundert

Epochenüberblick

Internationale Beziehungen: Das Ende der Politik der Stärke

Stagnation in der Innenpolitik (1702–1780)

Patriotenzeit und Restauration unter Oranien (1780–1795)

Wirtschaft in einem Jahrhundert der Stagnation

Die Batavische Republik und die französische Zeit (1795–1813)

Von der Restauration zum liberalen Jahrhundert (1813–1917)

Epochenüberblick

Ein misslungenes Experiment: Das Vereinigte Königreich (1815–1830)

Politischer Stillstand und Malaise (1830–1848)

Die Verfassungsreform von 1848

Parteienbildung rund um Schulkampf, soziale Frage und Wahlrecht

Wirtschaftswachstum und Modernisierung

Ein neutraler Kleinstaat mit einem großen Imperium

Staat und Nation im 19. Jahrhundert

Der Erste Weltkrieg und die innenpolitische »Pazifikation« von 1917

Die Niederlande seit 1918

Epochenüberblick

Politik und Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit (1918–1940)

Neutral zwischen den Mächten: Außenpolitische Entwicklungen

Krieg und Besatzung (1940–1945)

Zwischen politischer Erneuerung und Kontinuität (1945–1966)

Der Bruch in der Außenpolitik und die Dekolonisierung Indonesiens

Entsäulung, Polarisierung und »Poldermodell« (1966–2002)

Rechtspopulismus und die Folgen: Die schwierige Suche nach Normalität seit 2002

Schlussbetrachtung

Anhang

Nachbemerkung

Literaturhinweise

Verzeichnis der Abbildungen, Tabellen und Karten

Personenregister

Zum Autor

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Für Lorenz und Max

Einleitung

Fragt man danach, wann die Geschichte eines Landes beginnt, dann verweist die Antwort oftmals auf das Ausbrechen eines Unabhängigkeitskampfs, auf die Proklamierung der Souveränität oder den Augenblick der internationalen Anerkennung. Bei der Geschichte der Niederlande kommt man mit solchen Antworten nicht weit, und es fällt auf, dass es in den Niederlanden keinen Nationalfeiertag gibt, an dem die Gründung des eigenen Staats gefeiert wird. Die Nationalfeiertage der Niederlande stammen aus dem späten 19. Jahrhundert (Koninginnedag – der Geburtstag der Königin; seit 2014 Koningsdag) oder aus der Mitte des 20. Jahrhunderts (Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung 1945). Kein heroischer oder symbolischer Moment aus dem sogenannten »Achtzigjährigen Krieg« (1568–1648), in dem die Niederlande als Staat Gestalt annahmen, hat sich zu einem Nationalfeiertag entwickelt.

Das ist durchaus nachvollziehbar. Zu Beginn des Aufstands, in der zweiten Hälfte der 1560er Jahre, ging es nicht um die Unabhängigkeit eines bestimmten Gebiets, sondern vor allem um die Aufrechterhaltung von Privilegien in einem sich zentralisierenden Reich. Auch nachdem um 1580 klargeworden war, dass die Abtrennung einiger niederländischer Provinzen vom spanischen Reich Philipps II. unvermeidlich geworden war und sich eine Spaltung der Niederlande in einen nördlichen und einen südlichen Teil vollzog (ungefähr die heutigen Niederlande und Belgien), ging es noch nicht um die Selbständigkeit eines fest umrissenen Gebiets. Es fällt beispielsweise auf, dass in den 1580er Jahren die aufständischen Provinzen zweimal ihre Souveränität ausländischen Fürsten angeboten haben. Erst nachdem dies misslungen war, zogen die nördlichen Provinzen 1588 die Souveränität an sich, und es entstand eine föderal organisierte Republik mit selbständigen Provinzen und Städten. Sie wurde unter dem Namen »Republik der Vereinigten Niederlande« bekannt, hat aber diesen Namen nie offiziell angenommen.

Über die endgültigen Grenzen dieses lockeren Zusammenschlusses gab es 1588 noch keine Klarheit. Diese kristallisierten sich in den 1590er Jahren heraus, als das Territorium der heutigen Niederlande mit den militärischen Erfolgen gegen Spanien Konturen erhielt. Dieses Gebiet konsolidierte sich bis 1609 und sollte sich in den Jahren um 1630 noch um die heutigen Gebiete Nordbrabant und Südlimburg erweitern. Mit dem Westfälischen Frieden (1648) – in den Niederlanden als Frieden von Münster bezeichnet – wurde der Krieg mit Spanien beendet und die Republik als selbständiger Staat definitiv international anerkannt.

Dieses Ergebnis wies wenig Überschneidungen mit den Zielsetzungen des Aufstands aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf. In dieser Periode selbst wurde der Begriff Aufstand noch nicht einmal verwendet. In Rückblicken von Zeitgenossen und in der frühen Geschichtsschreibung war von »Kriegen«, »Unruhen« und »Wirren« die Rede. Erst im 18. Jahrhundert wurde der einfache Begriff »Aufstand« geprägt, und im darauffolgenden Jahrhundert wurde dieser zum Eigennamen. Erst jetzt wurde dem Historiker Ernst H. Kossmann zufolge aus dieser Aneinanderreihung von Ereignissen, die sich über viele Jahrzehnte erstreckten, ein Ganzes gebildet, und diese Jahrzehnte bekamen »einen Zusammenhang, ein Ziel, eine Einheit«. Unter den Historikern herrscht inzwischen Einigkeit darüber, dass aus dem Kampf zwischen niederländischen Provinzen und dem spanischen Landesherrn völlig unvorhergesehen und unbeabsichtigt zwei verschiedene staatliche Einheiten entstanden. Der Aufstand war, so der Historiker Anton van der Lem, »eine lange Aneinanderreihung zufälliger und unvorhersagbarer Ereignisse, politischer, militärischer und ökonomischer Kettenreaktionen«. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass Erinnerungen an den Aufstand in erster Linie lokaler Natur sind und dass Gedenkfeiern sich auch heute noch auf lokale Ereignisse beschränken.

Niederländische Protestanten haben allerdings bis ins 20. Jahrhundert hinein den Aufstand als einen zielgerichteten nationalen Kampf um Unabhängigkeit und um Freiheit für den eigenen Glauben interpretiert. Dieses Geschichtsbild deckt sich genauso wenig mit der historischen Wirklichkeit wie der Mythos um die Person Wilhelms von Oranien (1533–1584), der als »Vater des Vaterlandes« diese Unabhängigkeit immer vor Augen gehabt und konsequent dafür gekämpft habe. Zweifellos entwickelte der aus der Grafschaft Nassau-Dillenburg stammende Wilhelm sich zum Anführer des Aufstands, was er 1584 mit dem Tod bezahlen musste. Ihm schwebte anfangs jedoch kein Bruch mit Spanien vor und gewiss auch keine Nord-Süd-Spaltung der niederländischen Provinzen.

Solche Bilder des Aufstands sind Bestandteil der nationalistischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und sind schon lange als Mythen ad acta gelegt worden. Einigen Aufständischen ging es um den Calvinismus als einzige erlaubte Religion, andere hingegen setzten sich für religiöse Toleranz oder das für diese Zeit neue Prinzip der parallelen Existenz verschiedener Religionen innerhalb eines Verwaltungsgebiets ein. Stellt man die Religionsfrage in den Mittelpunkt, kann man den Kampf sogar als einen Bürgerkrieg in den Niederen Landen charakterisieren, so wie es zu jener Zeit auch in anderen europäischen Territorien Religionskriege gab. Stellt man hingegen die Frage der Freiheit in den Mittelpunkt, ist zunächst festzuhalten, dass es dabei nicht um »nationale Freiheit« geht, so wie sie heutzutage definiert wird. Im damaligen Freiheitsbegriff muss zwischen denjenigen unterschieden werden, denen es anfangs um die Aufrechterhaltung ihrer eigenen Privilegien ging – jener alten, traditionellen Freiheiten also, die in dieser Periode der Zentralisierung, Professionalisierung und Bürokratisierung in Bedrängnis gerieten –, und denjenigen, die den Begriff Freiheit in seiner jüngeren Bedeutung verwendeten und für die Befreiung von der »spanischen Tyrannei« kämpften. Hinzu kommt, dass in dem jahrzehntelangen Kampf die Motive und Ziele der vielen Akteure auch noch Überschneidungen und Verschiebungen aufwiesen.

Mit anderen Worten: Das Resultat des Aufstands wich stark von den anfänglichen Intentionen und Zielsetzungen ab, aber rückblickend ist der Aufstand doch der zentrale Faktor in der Entstehung des niederländischen Staats. An seinem Ende gab es ja – ungefähr in den Grenzen der heutigen Niederlande – eine international anerkannte niederländische Republik. Die Republik entwickelte sich seit dem späten 16. Jahrhundert zu einer wohlhabenden Welthandelsmacht, die auf allen Kontinenten präsent war und über eine reiche Kultur verfügte. Auch in technologischer Hinsicht war die Republik vom späten 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert international tonangebend. Während der Jahre des Aufstands entstand außerdem ein weltweites niederländisches Handelsnetzwerk, das tiefe Spuren hinterließ, die bis zum heutigen Tag sichtbar geblieben sind. Das gilt auch für Art und Weise der politischen Entscheidungsfindung. Suche nach Übereinstimmung, nicht das Erzwingen von Entscheidungen lautete zur Zeit der Republik die Devise. Nicht von ungefähr ist der in jener Periode entstandene Ausdruck des »schikken en plooien« (sich anpassen und fügen) eine in den Niederlanden immer noch benutzte Redensart. Damit soll nicht behauptet werden, dass in der politischen Geschichte der Niederlande Verhandlungen und Konsensbildung vorherrschten – dazu gibt es in der Vergangenheit zu viele Beispiele für hart ausgefochtene politische Kämpfe, die in diesem Buch noch ausführlich behandelt werden sollen. Worum es hier geht, das ist die Feststellung, dass die spätere niederländische politische Kultur ihre Wurzeln auch in den Jahren des Aufstands und der frühen Republik hat. Hinzu kommt, dass in der Zeit der Republik die Begriffe »Freiheit« und »Toleranz« eine Bedeutung erhalten sollten, die sie auch für die späteren Niederlande zu Schlüsselbegriffen machen würden.

Die Entstehungsgeschichte des niederländischen Staates ist also eng mit dem Aufstand verbunden. Die Frage nach einem »Anfang« der niederländischen Nationalgeschichte ist damit aber noch nicht beantwortet, zumal es schwer ist, dem Aufstand ein konkretes Anfangsdatum zuzuweisen. In der nationalen Geschichtsschreibung wurde lange Zeit unter Hinweis auf den von Wilhelm von Oranien organisierten und missglückten militärischen Vormarsch in das Gebiet der Niederlande das Jahr 1568 als Anfang genannt. Inzwischen scheint es eher so, als sei dieses Jahr gewählt worden, damit man, wenn man bis zum Jahr 1648 weiterrechnet, von einem »Achtzigjährigen Krieg« sprechen kann (von dem dann im übrigen sehr wohl die zwölf Jahre des Waffenstillstands zwischen 1609 und 1621 abgezogen werden müssen).

Aus einer anderen Perspektive könnte das Jahr 1566 genannt werden, in dem der niedere Adel bei der Landvogtin Margarethe von Parma eine Bittschrift einreichte, um eine Aussetzung der Erlasse gegen die Ketzerei und die Einberufung der Generalstände zu erreichen. Später brach im selben Jahr, besonders in den Provinzen Flandern und Brabant, der sogenannte Bildersturm aus, bei dem katholische Kirchen aller Abbildungen und Gemälde beraubt und die Kirchengebäude für den Calvinismus eingefordert wurden. Damit war 1566 unverkennbar ein Jahr, in dem die aufgekommenen Gegensätze zum spanischen Landesherrn zugenommen hatten, und so schreibt dann auch ein großer Kenner dieser Periode, der Historiker Arie Th. van Deursen, dass in jenem Jahr der Aufstand »ein Faktum« geworden sei.

Auf der Suche nach dem »Anfang« der Geschichte der Niederlande ist der genaue Beginn des Aufstands jedoch nicht entscheidend. Viele Historiker, die über den Aufstand schreiben, setzen im Jahr 1555 ein, das Jahr, in dem Karl V. vom Kaiserthron abdankte und sein Sohn Philipp II. Herr der Niederlande wurde. Das große Standardwerk des britischen Historikers Jonathan I. Israel über die Republik, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness and Fall, 1477–1806, nimmt einen längeren Anlauf. Es beginnt in jenem Jahr, in dem der über die Niederlande herrschende burgundische Herzog Karl der Kühne starb und seine Tochter Maria von Burgund seine Nachfolge antrat und zugleich den Habsburger Maximilian von Österreich heiratete. Der Tod Karls des Kühnen leitete nicht nur das Ende der burgundischen und den Beginn der habsburgischen Niederlande ein. Wichtig war auch, dass die Niederlande seinen Tod ausnutzten, um die von ihm eingeführte Zentralisierung der burgundischen Niederlande für kurze Zeit rückgängig zu machen. Aber Vereinigung und Zentralisierung sollten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Karl V. stärker als je zuvor wieder konsequent und erfolgreich in Angriff genommen werden. Damit bietet Israel eine ausführliche Vorgeschichte des Aufstands und der Republik, was sich für ein umfangreiches Werk, das mit Verve und Überzeugung die gesamte Geschichte der niederländischen Republik bis 1806 präsentiert, auch anbietet. Horst Lademacher beginnt seine großangelegte Monographie Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung nicht mit einer konkreten Jahreszahl, aber sein Blickwinkel deckt sich mit dem Israels: Die spätmittelalterliche Vereinigungspolitik der Burgunder, die nach dem Tod Marias von Burgund im Jahr 1482 von der nun habsburgischen Dynastie fortgesetzt wurde.

Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, dieses Buch über die Geschichte der Niederlande im Jahr 1555 mit einem kurzen Vorlauf ab dem späten 15. Jahrhundert anfangen zu lassen, um die Mitte des 16. Jahrhunderts herrschende Ausgangslage verständlich zu machen. Endstation dieser Geschichte der Niederlande sind die turbulenten ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts, in denen mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus eine lange Periode der Stabilität und der politischen Kultur des konsenualen Pragmatismus zu Ende gegangen zu sein scheint. Für eine endgültige Antwort auf die Frage, wie tiefgehend diese Veränderungen sind, ist es noch zu früh. Allerdings spricht vieles für die These, dass im frühen 21. Jahrhundert infolge sich global verschiebender ökonomischer Gewichte zum Nachteil des Westens, aus der Migrations- und Integrationsproblematik sich ergebender innenpolitischer Spannungen und des Verblassens von über einen langen Zeitraum hinweg scheinbar stabilen politisch-sozialen Relationen eine neue Phase eingetreten ist, die sich auch in der niederländischen Geschichte als Zäsur erweisen wird.

In dieser historischen Übersicht über die Niederlande vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart steht die politische Geschichte im Mittelpunkt. Die Republik der Vereinigten Niederlande entwickelte sich im 17. Jahrhundert auf ökonomischem, politischem, militärischem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet zu einer Weltmacht (Kapitel 2 und 3). Wie erklärt es sich, dass ein kleiner, föderaler Staat mit einer recht losen Verwaltungsstruktur eine derartige Machtentfaltung aufwies, die bis ins späte 17., ja, ins frühe 18. Jahrhundert anhielt? Welche politische und ökonomische Struktur machte dies möglich, und welche Rolle spielte dabei der für die Republik so kennzeichnende bürgerliche Charakter mit seiner relativ großen religiösen Toleranz? Diese Fragen sind selbstverständlich nicht zu beantworten, ohne den internationalen politischen und ökonomischen Verhältnissen Beachtung zu schenken, die ebenfalls ausführlich zur Sprache kommen. Wegen der großen Bedeutung dieses sogenannten Goldenen Zeitalters für die Geschichte der Niederlande wird dieser Periode im Nachfolgenden relativ viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Von zentraler Bedeutung ist dabei auch die Rolle der Statthalterschaft des Hauses Oranien-Nassau, die in dieser Zeit mit dem bereits genannten Wilhelm von Oranien einsetzte. Einerseits hatten die Statthalter als militärische Oberbefehlshaber eine mächtige Position und sie genossen aufgrund ihrer Abstammung aus dem Hochadel großes Prestige mit ebenso großem politischem Einfluss. Andererseits wurden sie von den Provinzen ernannt und standen damit in ihrem Dienst, wobei Holland die stärkste Kraft war. So existierten in der Republik komplizierte politische Verflechtungen, in denen Macht und Einfluss mit wechselnden Faktionen reicher Bürger geteilt werden mussten, die als Regenten die mächtigen Städte führten. Die sich daraus ergebenden Konflikte spitzten sich wiederholt zu und waren charakteristisch für die politische Geschichte der frühmodernen Zeit. Als die Republik sich Mitte des 17. Jahrhunderts auf ihrem Höhepunkt befand, hatte man in den wichtigsten Provinzen das Amt des Statthalters sogar abgeschafft (1650–1672). Auch während eines großen Teils des 18. Jahrhunderts war das der Fall (1702–1747).

Nach dem Höhepunkt des 17. Jahrhunderts gilt das 18. Jahrhundert als eine Periode des politischen und ökonomischen Verfalls (Kapitel 4). Vorbei war die Zeit, in der die Republik ihre ökonomischen und politischen Interessen aus eigener Kraft oder in selbst geschmiedeten internationalen Koalitionen sichern konnte. Dabei handelte es sich nicht um einen abrupten wirtschaftlichen Verfall, sondern um einen allmählichen Niedergang, der mit einer unvermeidlichen Schwächung der internationalen Position einherging. Ab 1780 war die Republik nicht mehr als ein Spielball vor allem der englischen, preußischen und französischen Politik, was im Jahr 1795 zum Untergang und zur Flucht des letzten Statthalters führte. Damit begann eine Periode, in der die Niederlande in zunehmendem Maße von Frankreich abhängig wurden und die mit ihrer Einverleibung in Napoleons Reich (1810–1813) endete. Während es in der Außenpolitik zu einem dramatischen Verlust der Selbständigkeit kam, gab es in der Innenpolitik sehr wohl eigenständiges reformerisches Gedankengut und Modernisierung. Diese Entwicklung fand 1798 ihre Krönung in der ersten niederländischen Verfassung, die den Einheitsstaat schuf und demokratische Aufklärungsprinzipien triumphieren ließ. Auch wenn diese Prinzipien in den darauffolgenden Jahren wieder verschwanden, sollte am Einheitsstaat nicht mehr gerüttelt werden.

Im Gegenteil, nach der Niederlage Napoleons im Jahr 1813 erhielt der niederländische Einheitsstaat im 19. Jahrhundert seine endgültige Form (Kapitel 5). Die Niederlande wurden zu einem Königreich unter dem Haus Oranien-Nassau, anfangs zusammen mit Belgien im Vereinigten Königreich (1815–1830) und danach als Königreich der Niederlande in den Grenzen, die bis zum heutigen Tag nahezu unverändert geblieben sind. Nach der liberalen Verfassungsreform im Jahr 1848 fand ab ca. 1870 ein dynamischer Prozess der Industrialisierung, Urbanisierung und politischen Modernisierung statt. Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war die Verfassungsreform von 1917, die einige zentrale Konfliktpunkte des späten 19. Jahrhunderts beendete (u. a. die Einführung des allgemeinen Wahlrechts) und so die Basis für die Niederlande im 20. Jahrhundert schuf (Kapitel 6). In diesem Jahrhundert entwickelte sich das Land von einem neutralen, sich abseits haltenden und ziemlich nach innen gekehrten Land zu einem aktiven Bündnispartner in der westlichen Zusammenarbeit, der in die modernisierende Pax Americana der Zeit nach 1945 aufgenommen wurde. Dieser Bruch wurde durch den Zweiten Weltkrieg eingeleitet, der auch zur Entkolonialisierung Indonesiens führte. Mit der Übertragung der Souveränität an Indonesien im Jahr 1949 verloren die Niederlande ihren Status als bedeutende Kolonialmacht. Einen zweiten Bruch stellten die 1960er Jahre dar, als die traditionellen politischen Strukturen erodierten, die Demokratisierung ganz oben auf die Tagesordnung kam und neue politische Umgangsformen Einzug hielten. Wie oben angedeutet, endet die vorliegende Geschichte der Niederlande in der Aktualität des 21. Jahrhunderts. Resümierend werden im Kapitel  7 einige Grundlinien der politischen Geschichte der Niederlande vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart skizziert.

Opposition und Aufstand

Entstehung und Konsolidierung der Republik der Vereinigten Niederlande (1555–1609)

Epochenüberblick

Um 1550 bestand das Gebiet, das als die »Niederlande« beschrieben wurde, aus siebzehn Provinzen, die in einem gemeinsamen Reichskreis dem Deutschen Reich angehörten. Als Kaiser Karl V. 1555 abdankte, gingen die Niederlande als »unteilbare Einheit« an seinen Sohn Philipp II., der von seinem Vater zugleich die spanische Krone erbte. Nichts deutete darauf hin, dass die nördlichen und die südlichen Niederlande am Ende der 1570er Jahre getrennte Wege gehen und dass wiederum zehn Jahre später sieben nördliche Provinzen die »Republik der Vereinigten Niederlande« bilden würden. Diese Entwicklung war das Ergebnis dessen, was in der niederländischen Geschichte als der »Aufstand« bezeichnet wird und was schließlich im spanisch-niederländischen Teilfrieden des Westfälischen Friedens (1648) seinen Abschluss fand. Wie in der Einleitung bereits deutlich wurde, ging es bei dem »Aufstand«, der in den 1560er Jahren ausbrach, nicht um »nationale Unabhängigkeit«, wie in der späteren Geschichtsschreibung zuweilen behauptet wurde, und wie es Generationen von Schulkindern im 19. und 20. Jahrhundert lernen mussten. Vielmehr gab es eine Vielzahl von Faktoren, die – in Wechselwirkung zueinander – unbeabsichtigt zur Bildung der Republik führten. Auf diese Faktoren soll in diesem Kapitel ausführlich eingegangen werden. Anfangs sah es keineswegs danach aus, dass die Aufständischen gegen die Übermacht der Spanier erfolgreich sein würden, aber in den 1590er Jahren verzeichnete die Republik militärische Erfolge und konnte sich konsolidieren. Das sich stabilisierende Kräfteverhältnis mündete 1609 in einen Waffenstillstand, der für die Dauer von zwölf Jahren geschlossen wurde.

Wichtiger Faktor für den Erfolg der Aufständischen war die wirtschaftliche Potenz des betreffenden Gebiets. Während des Aufstands verschob sich der wirtschaftliche Schwerpunkt von den südlichen in die nördlichen Niederlande, eine Entwicklung, die auch durch den Zustrom vieler Tausender von Emigranten getragen wurde, die in den Norden auswichen, nachdem der Süden in den 1580er Jahren fest in spanische Hand geraten war. In dieser Periode entstand im Norden ein Wirtschaftswachstum, das jahrzehntelang anhalten sollte und bei dem sich die Erfolge in den verschiedenen Sektoren gegenseitig verstärkten. Handel, Fischerei, Landwirtschaft, Viehzucht sowie Handwerk und frühe Industrie – auf allen Gebieten gab es ein spektakuläres Wachstum, und sowohl der Binnenmarkt (Bevölkerungswachstum, Urbanisierung, wachsender Wohlstand) als auch der Auslandsmarkt trieben das Wachstum voran. So entwickelte sich die Republik zur Welthandelsmacht Nummer eins, und es wurde die Basis für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Kraft gelegt, die die Republik im 17. Jahrhundert (Gouden Eeuw, das Goldene Zeitalter) entfalten sollte.

1524–1543

Karl V. gliedert Friesland, Utrecht, Overijssel, Drenthe und Geldern in sein niederländisches Territorium ein.

1544

Der 1533 geborene Wilhelm von Nassau erbt das französische Fürstentum Orange und erhält anschließend als junger Prinz von Oranien am Hof Karls V. in Brüssel eine katholische Erziehung.

1548

Der deutsche Reichstag bringt auf Bitte Karls V. die 17 niederländischen Provinzen in einem gemein- samen Reichskreis unter. Kurz darauf legt Karl V. fest, dass dieses Gebiet »bis in die Ewigkeit« ein unteilbares Ganzes sein soll.

1555

Karl V. überträgt in Brüssel seinem Sohn Philipp II. die Herrschaft über die Niederlande.

1559

Philip II. verlässt die Niederlande (für immer) und geht nach Spanien. Seine Halbschwester Margarethe von Parma wird Landvogtin und Wilhelm von Oranien Statthalter von Holland, Zeeland und Utrecht.

1566

Bittschrift des Adels und Bildersturm.

1567

Mit der Ankunft des Herzogs Alba zunehmende Gewalt und Zuspitzung der Konflikte. Wilhelm von Oranien flieht nach Deutschland.

1568

Misslungener Versuch Wilhelms von Oranien, mit einer Armee seine Position in den Niederlanden zurückzugewinnen.

1572

Holländische Stadt Den Briel durch die Wassergeusen von den Spaniern zurückerobert. Verschiedene andere Städte in Holland und Zeeland ergreifen Partei für Wilhelm von Oranien.

1576

Genter Pazifikation: Generalstände und die aufständischen Provinzen Holland und Zeeland schließen ein Bündnis mit dem Ziel, die spanischen Truppen aus allen Provinzen zu vertreiben.

1579

Union von Atrecht und Union von Utrecht: Die Einheit der Genter Pazifikation zerbricht. Nach Rückkehr zweier katholischer Provinzen ins spanische Lager (Union von Atrecht) Gründung der Union von Utrecht durch nördliche Provinzen. Anfang der staatlichen Trennung der südlichen und nördlichen Niederlande.

1580

Philipp II. belegt Wilhelm von Oranien mit dem Bann.

1581

Plakkaat van Verlatinghe: Die nördlichen Provinzen erklären sich von Spanien unabhängig.

1584

Wilhelm von Oranien wird ermordet.

1585

Antwerpen wird von spanischen Truppen erobert. Prinz Moritz wird Statthalter von Holland und Zeeland.

1588

Nach den Misserfolgen unter den Landesherren Anjou und Leicester beschließen die aufständischen Provinzen, ohne Fürst als Republik weiterzumachen. Landesadvokat Oldenbarnevelt und Statthalter Moritz bilden gemeinsam eine enge politisch-militärische Führung. Zusammen mit England besiegt die Republik die spanische Flotte. Wichtiger militärischer Wendepunkt.

1590–1598

Die Republik gewinnt in den südlichen, östlichen und nördlichen Provinzen Terrain zurück. 1596 schließen England, Frankreich und die Republik ein Abkommen gegen Spanien, was die Anerkennung der Souveränität der Republik durch die Großmächte England und Frankreich impliziert.

1602

Gründung der Verenigde Oost-Indische Compagnie (VOC).

1609

Anfang der zwölfjährigen Waffenruhe zwischen der Republik und Spanien.

Die Niederlande auf der Landkarte

Mit dem Begriff der »Niederlande« wurde Mitte des 16. Jahrhunderts ein Gebiet umschrieben, das in geographischer Hinsicht ungefähr mit den heutigen Benelux-Staaten übereinstimmt. Politisch einte dieses Gebiet jedoch noch nicht viel mehr als der gemeinsame Name auf der Karte, und auch juristisch und ökonomisch betrachtet war von einer Einheit keine Rede. Die Verfügungsgewalt über die vielen Kleinstaaten war auf Herrscher verschiedenster Couleur und verschiedenen Ranges verteilt. Um 1500 regierte in den meisten südlichen Provinzen sowie in Holland und Zeeland Herzog Philipp der Schöne, Sohn der Maria von Burgund und des Habsburgers Maximilian von Österreich. In den Provinzen Lüttich und Utrecht residierten Bischöfe, wobei sich die Herrschaft des Utrechter Bischofs auch auf Drenthe und Overijssel erstreckte. Im Osten gehörten Geldern und Teile des heutigen Limburgs dem Herzog Karl von Geldern – die Grafschaft Geldern war 1339 zum Herzogtum erhoben worden –, während in Friesland und Groningen eine zentrale Macht fehlte.

Unter Karl V., 1500 als Sohn Philipps des Schönen und der aus Spanien stammenden Johanna von Kastilien geboren, vereinigte sich in diesen Jahren ein großes europäisches Reich. Johanna hatte die spanischen Königreiche Aragón und Kastilien geerbt, aber durch den frühen Tod ihres Mannes im Jahr 1506 und ihre eigene Geisteskrankheit ging die spanische Krone – nach dem Tod des Zwischenregenten, Karls Großvater Ferdinand von Aragón – 1516 auf Karl über. Im Jahr zuvor hatte Karl im Alter von fünfzehn Jahren bereits die Regierung über die Niederlande erhalten, und 1519 trat er die Nachfolge seines Großvaters, Maximilian von Österreich, als König des Deutschen Reichs an.

Seit den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts vergrößerte sich sein Einfluss in den Niederlanden. 1523 fand – durch Eingreifen Hollands – die Unabhängigkeit Frieslands ein Ende, und 1528 zog Karl V. die weltliche Macht im Bistum Utrecht an sich und erhielt damit auch die Verfügungsgewalt über Overijssel und Drenthe. In den Bistümern Kamerijk und Lüttich konnte sich Karl V. nach Vereinbarungen mit dem Papst ihm wohlgesinnter Kirchenfürsten versichern, und in den 1530er Jahren kam auch Groningen unter seine Herrschaft. Nachdem 1543 mit der Eroberung Gelderns eine siebzehnte Provinz hinzugekommen war, stimmten die Niederlande in geographischer Hinsicht nahezu mit den heutigen Benelux-Staaten überein. Allerdings wurde dieses zusammenhängende Gebiet durch das neutrale Bistum Lüttich unterbrochen, wodurch Luxemburg und die Gebiete im heutigen Limburg keine gemeinsame Grenze mit anderen niederländischen Provinzen besaßen. Hinzu kamen noch einige kleinere Enklaven, besonders an der Grenze zwischen Holland und Utrecht sowie in Geldern. Die Pläne Karls V., den niederländischen Provinzen auch Ostfriesland und das Bistum Münster hinzuzufügen, misslangen, allerdings errang er die Grafschaft Lingen, die er ebenfalls seinen niederländischen Besitzungen zurechnete (Karte 1).

Karte 1:Die niederländischen Provinzen um 1550

Die letztlich entstandene niederländische Ostgrenze war keineswegs natürlich, sondern das Ergebnis von Erbschaften, Kriegen und Konflikten, wobei vor allem der Kampf zwischen Habsburg einerseits und Frankreich und dem Herzog von Geldern andererseits von Bedeutung war. 1548 beschloss der Deutsche Reichstag auf Bitten von Karl V., die niederländischen Provinzen in einem gemeinsamen Reichskreis unterzubringen, einer selbstverwalteten Einheit innerhalb des Deutschen Reichs. Dadurch wurde der Zusammenhalt der Provinzen untereinander verstärkt, während das Band zum Reich gerade gelockert wurde. Gleichzeitig wurde in diesem Beschluss, der sogenannten Pragmatieke Sanctie, festgelegt, dass dieses Gebiet »bis in die Ewigkeit« als Einheit bestehen bleiben und nicht auf verschiedene Erben aufgeteilt werden sollte. 1549 bestätigten die siebzehn niederländischen Provinzen die Pragmatieke Sanctie, und der Sohn Karls V., Philipp II. (1527–1598), machte als vorgesehener Nachfolger mit einer ersten Reise durch die Niederlande seine Aufwartung.

Die Pragmatieke Sanctie sollte nicht lange standhalten. In den nördlichen Niederlanden scheiterte der Beschluss bereits unter Philipp II.: Mit einer Abschwörungserklärung, der sogenannten Plakkaat van Verlatinghe von 1581, entließen die nördlichen Provinzen den Landesherrn Philipp II., und sieben Jahre später beschlossen sie, als souveräne Provinzen in der Form fortzubestehen, die als die »Republik der Vereinigten Niederlande« bekannt wurde. Diese sollte nach der internationalen Anerkennung beim Frieden von Münster im Jahr 1648 bestehen bleiben, bis sie 1795 in der französischen Expansion untergehen würde. Die südlichen Provinzen blieben hingegen als Resultat des Aufstands bis 1794 unter den Habsburgern, das Jahr, in dem Frankreich dieses Gebiet unter seine Verwaltung brachte. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft in Europa im Jahr 1813 sollte auf dem Wiener Kongress (1814–1815) die frühere geographische »Einheit« der Niederlande für kurze Zeit im Vereinigten Königreich wiederhergestellt werden. Belgien und die Niederlande wurden unter König Wilhelm I. vereint, der zugleich Großherzog von Luxemburg wurde. Die belgisch-niederländische Einheit ging 1830 zu Ende, und mit dem Tod König Wilhelms III. im Jahr 1890 wurde auch die Verbindung zwischen den Niederlanden und Luxemburg beendet. Damit waren die Niederlande wieder bei der geographischen Position der Republik angelangt, die ihrerseits wiederum mehr oder weniger mit dem Umfang der sieben nördlichen Provinzen der habsburgischen Niederlande übereinstimmte.

Wirtschaft, Finanzen und politische Struktur

Die habsburgischen Niederlande waren um die Mitte des 16. Jahrhunderts vor allem dank der relativ dicht bevölkerten und urbanisierten Provinzen Flandern, Brabant und Holland ein wirtschaftlich und damit strategisch wichtiges Gebiet. Mit dem Aufschwung des Welthandels im 16. Jahrhundert entwickelte sich dieser Teil Europas zum zentralen internationalen Knotenpunkt, dessen wichtigste Stadt Antwerpen war. Die Stadt an der Schelde wuchs schnell zu einer der größten Städte Europas heran (von 40 000 Einwohnern im Jahr 1495 auf mehr als 100 000 im Jahr 1565) und in den Provinzen um Antwerpen herum nahm die Urbanisierung ebenfalls zu. Holland hatte sich bereits im Mittelalter zu einem Gebiet mit vielen kleinen Städten entwickelt, und diese Struktur war auch für das 16. Jahrhundert charakteristisch. 1514 war Leiden mit rund 14 000 Einwohnern die größte Stadt in Holland. In dieser Provinz lebten bereits 46 % der Bevölkerung in den Städten (in Brabant 41 %). Auch wenn diese Städte oft noch klein waren, nach damaligen europäischen Maßstäben zeichneten sich diese Gebiete durch einen sehr hohen Urbanisierungsgrad aus. Charakteristisch für die Verstädterung im Norden blieben im 16. Jahrhundert das Fehlen einer Metropole sowie die Verteilung der Bevölkerung über eine Reihe mittelgroßer Städte, ein Phänomen, das sich für die Entwicklung von Wirtschaft und Staatssystem als sehr bedeutsam erweisen sollte.

Bevölkerungswachstum und Urbanisierung ließen die Nachfrage nach Massengütern wie Getreide und Holz aus dem Ostseeraum zunehmen. Das galt im Norden insbesondere für die Provinz Holland. Gleichzeitig fand im Westen eine Intensivierung und Spezialisierung der Landwirtschaft statt, und durch verbesserte Techniken stieg die Produktivität an. Die wirtschaftliche Blüte ermöglichte ein Bevölkerungswachstum, das seine Ursache auch in der Migration aus anderen, ärmeren Provinzen hatte. Amsterdam entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum für den Handel mit Getreide und Holz, und nirgendwo sonst in Europa hatten am Ende der 1550er Jahre so viele hochseetaugliche Schiffe ihren Heimathafen wie in Holland.

Der große Unterschied zwischen Antwerpen und Amsterdam bestand darin, dass in der Scheldestadt der sogenannte »reiche Handel« (Textilien, Kolonialwaren) konzentriert war und in Amsterdam der Handel mit Massengütern. Dies hatte zur Folge, dass die holländische Flotte aus vielen, relativ großen und billig gebauten Schiffen bestand, die für den Transport großer Ladungen geeignet waren. Die Antwerpener Flotte war hingegen kleiner und für den Transport kostbarerer Produkte über weite Entfernungen ausgerüstet. Ein weiterer Unterschied lag darin, dass der Handel in Antwerpen in erster Linie passiver Natur war. Das heißt, dass vor allem Kaufleute, die von anderswo kamen, die Stadt ansteuerten. Spanier und Portugiesen brachten Produkte aus Asien, Afrika und Amerika, und die Stadt war auch stark von der holländischen und zeeländischen Schifffahrt abhängig. Nach 1585, als Antwerpen in spanische Hände fiel und die nördlichen Provinzen die Schelde absperrten, sollte sich dieser »reiche Handel« in den Norden verlagern.

Insgesamt wurde im frühen 16. Jahrhundert die Nordsee zum wichtigsten Handelsgebiet und die Niederlande übernahmen die zentrale Rolle im Welthandel von Italien. Hier kreuzten sich die wichtigen Wasserwege zwischen Nord- und Südeuropa und zwischen England und dem Deutschen Reich. Außerdem gab es in den Küstenprovinzen eine Infrastruktur, die dieser Entwicklung eine starke Dynamik verlieh. Von einer ökonomischen Einheit der habsburgischen Niederlande konnte allerdings in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine Rede sein. Der Historiker Simon Groenveld hat die Wirtschaft der siebzehn Provinzen in dieser Periode als »unbeständig« und »inkohärent« charakterisiert. Ein Teil der Niederlande, vor allem der dünn besiedelte Nordosten, war noch hauptsächlich durch eine agrarische Struktur geprägt. Hier wurde für den lokalen und den regionalen Markt produziert. Ärmlich und größtenteils vom Wachstum der westlichen Landesteile abgeschnitten war auch der Südosten. Modern war hingegen die Entwicklung in Antwerpen, die zugleich eine große Ausstrahlung auf die unmittelbar benachbarten Provinzen hatte. Eine »nationale« Ökonomie gab es also noch nicht, wohl aber ein sich rund um Antwerpen entwickelndes ökonomisches und militärisch-strategisches Herz Nordwesteuropas, das für die Konsolidierung und Expansion der Stellung der Habsburger in Europa und der Welt eine gewichtige Bedeutung hatte.

Die habsburgische Expansion kostete Geld, viel Geld, das vor allem in Kriegen gegen Frankreich und die Türken ausgegeben wurde. Karl V. und sein Sohn und Nachfolger in den Niederlanden, Philipp II., waren auch auf die Steuereinkünfte aus den niederländischen Provinzen angewiesen, wobei vor allem die sich stark entwickelnden westlichen Provinzen als wichtige Ressourcen betrachtet wurden. Unter den Burgundern hatte es kein geregeltes Steuersystem gegeben, sondern ein System von sogenannten Beden (›inständige Bitte‹), bei dem der Landesherr in regelmäßigen Abständen seine Provinzen aufforderte, Abgaben zu leisten. Dies hatte stets zu komplizierten Besprechungen zwischen dem Fürsten und den Provinzialständen geführt, bei denen die Provinzen in erster Linie versuchten, ihre eigenen regionalen Interessen zu wahren, während der Fürst bemüht war, seine finanzielle Not zu lindern. Wie im folgenden noch erläutert werden wird, sollten die Versuche Philipps II., ein zentralistisches Steuersystem zu schaffen und durch die Abschaffung der Beden die Position der Provinzialstände zu schwächen, im Aufstand gegen ihn eine Rolle spielen. Die fiskalische Selbständigkeit der Stände und damit vor allem die Freiheiten von Adel und Bürgertum drohten ja hierdurch angetastet zu werden, eine Entwicklung, gegen die sie sich mit aller Kraft wehren sollten.

Diese Gegensätze bei der Steuereinziehung deuten nicht nur auf unterschiedliche Interessen des Landesherrn und der Provinzen, sondern auch auf eine unterschiedliche Perspektive des Fürsten und der Bevölkerung in den Provinzen hin. Karl V. und Philipp II. blickten in erster Linie von oben herab nach unten und sahen die niederländischen Provinzen als ein Ganzes, das weiter zu einem zentral regierten Königreich zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich zusammengefügt werden müsse. Aus der Perspektive des in Brüssel residierenden Karls V. bestand aller Grund, in dem Flickenteppich aus Grafschaften, Herzogtümern, Herrlichkeiten und selbständigen Städten, die zusammen die Niederlande bildeten, eine Vereinheitlichung der Regierung herbeizuführen. Diese Vereinheitlichung hatte bereits unter den Burgundern eingesetzt, und sie passte in das allgemeine europäische Muster. Auch andernorts stärkten die Fürsten die zentrale und provinziale Macht auf Kosten der lokalen Autoritäten, auch andernorts wurde die Macht des Adels eingeschränkt und auch andernorts gab es eine Vereinheitlichung von Recht und Rechtsprechung. Für eine Vereinheitlichung der Verwaltung und eine Zentralisierung der Niederlande sprach nicht zuletzt der enorme Umfang des Reichs Karls V., der ja den deutschen Kaisertitel trug und darüber hinaus in Personalunion noch zwei spanische Königreiche sowie deren überseeische amerikanische Gebiete regierte.

In den Provinzen jedoch blickte man von unten nach oben, und so erhob sich bei den dort vorhandenen regionalen adeligen und bürgerlichen Eliten Widerstand gegen die Zentralisierungspolitik Brüssels. Schließlich drohten diese Eliten ja Macht und Einfluss zu verlieren. In den nördlichen und östlichen Provinzen war überdies die Erinnerung an die jüngste Unterwerfung unter Karl V. noch sehr frisch und die Bereitschaft zu einem weiteren Machtverlust verständlicherweise gering. Dies stellte Karl V. vor ein Dilemma: Einerseits begriff er, dass er die administrative Unterstützung dieser Eliten brauchte, um sein Streben nach Einheit zu einem Erfolg zu machen, und auch für die Finanzierung seiner kostspieligen Kriege war er auf sie angewiesen. Das bedeutete andererseits, dass er, würde er die Interessen der regionalen Eliten zu wenig berücksichtigen, diese Unterstützung nicht in ausreichendem Maße erhielte. Die Folge dieses grundlegenden Gegensatzes zwischen der zentralen Macht und den regionalen Eliten war, dass die Verwirklichung einer stärkeren administrativen Einheit an deutliche Einschränkungen gebunden war. So ging die Vereinigung dann auch mit starken Spannungen einher, die zur Zeit Philipps II. zu einem wichtigen Faktor beim Aufstand werden sollten.

In der Praxis bedeutete dies, dass eine Mischform aus Altem und Neuem entstand, wobei von Brüssel aus dem bereits bestehenden Verwaltungsnetzwerk einige zentrale Ämter und Einrichtungen hinzugefügt wurden. Von oben nach unten sah die Verwaltung folgendermaßen aus: An der Spitze stand selbstverständlich der habsburgische Fürst selbst (Karl V. beziehungsweise Philipp II.), der als Landesherr in jeder einzelnen Provinz die Macht ausübte. Da sie aufgrund anderweitiger Verpflichtungen oftmals nicht in Brüssel waren, ließen sie sich durch einen Landvogt – zumeist ein naher Verwandter – vertreten. Ab 1531 blieb der Landvogt auch bei Anwesenheit des Fürsten im Amt, wobei er sich allerdings ganz nach den Anweisungen des Fürsten zu richten hatte. Im selben Jahr wurden drei in Brüssel tagende Zentralräte, die sogenannten Kollateralräte, gebildet. Der wichtigste war der Staatsrat, ein einflussreiches Beratungsorgan in internationalen Fragen und »nationalen« Angelegenheiten religiöser, finanzieller und administrativer Art. Seine Mitglieder kamen anfangs aus dem Hochadel und dem Klerus, aber schon bald hielt eine neue Gruppe von Verwaltungsangehörigen Einzug, die Juristen. Bei der Abdankung Karls V. 1555 waren dem Rat neben sieben adeligen Vertretern bereits fünf Juristen beigetreten, sehr zum Missfallen der Erstgenannten, die ihren Einfluss schwinden sahen. Neben dem Staatsrat war der Geheime Rat gegründet worden, der gänzlich aus der neuen leitenden Gruppe von Berufsbeamten und Rechtsgelehrten bestand, täglich zusammentrat und eine regierungsvorbereitende und – ausführende Aufgabe hatte. Schließlich gab es noch den Finanzrat, der – besetzt mit drei Vertretern des Hochadels und drei im Rechts- und Finanzwesen versierten Beamten – die Einziehung der Beden vorbereitete und die Finanzorgane der Provinzen beaufsichtigen sollte.

Wie der König in Brüssel – auf zentraler Ebene – vom Landvogt vertreten wurde, so wurde er in den Provinzen von einem dem Hochadel entstammenden Statthalter repräsentiert. Dieser befehligte nicht nur die Truppen in der Provinz und war für die Wahrung der Ordnung verantwortlich, er trug auch die Sorge für den Besitz des Fürsten, für die Stellung der Kirche, und er spielte in einigen Provinzen eine wichtige Rolle bei der Ernennung von städtischen Amtsträgern. Selbstverständlich stand er in regelmäßigem Kontakt mit Brüssel, sei es, um Rechenschaft abzulegen, beratend tätig zu sein oder Anweisungen entgegenzunehmen. Oft übten die Statthalter ihre Funktion in mehreren Provinzen aus. Wie im weiteren noch verdeutlicht werden wird, sollte sich die Statthalterschaft unter den völlig anderen Bedingungen der Republik zu einer Achse in der politisch-administrativen und militärischen Struktur entwickeln.

Der Statthalter war gleichzeitig befugt, die Provinzialstände zusammenzurufen, in denen seit dem späten Mittelalter der Adel, die Städte und der Klerus vertreten waren. Die wichtigste Funktion der Stände war die Beratung über königliche Geldforderungen. Da der König keine Steuern auferlegen konnte, lag hierin für die Provinzen die Möglichkeit, auch eigene Interessen einzubringen und ein Gegengewicht gegen zentralisierende Tendenzen zu bilden. Ebenfalls aus der burgundischen Zeit stammten die Generalstände, die Versammlung der einzelnen Provinzialstände, die zum ersten Mal 1464 zusammengekommen waren. Auch in den Generalständen ging es zumeist um die Beratung anlässlich königlicher Beden. Unter Karl V. und Philipp II. wurden die Generalstände regelmäßig zusammengerufen, wobei die Vertreter der Provinzen, nachdem sie die Beden vernommen hatten, sich zur »Rücksprache« in ihre Ständekollegien zurückzogen, um anschließend mit der Antwort zu den Generalständen zurückzukehren. Ebenso wie die Provinzialstände entwickelten sich die Generalstände zunehmend zu einer eigenen politischen Körperschaft, welche die Zustimmung zu den königlichen Forderungen an Bedingungen knüpfte und damit ein Gegengewicht zur fürstlichen Machtkonzentration bildete. Übrigens entsandten unter Karl V. und Philipp II. nicht alle Provinzen Vertreter in die Generalstände. Die Provinzen, die Karl V. selbst den habsburgischen Niederlanden hinzugefügt hatte – Friesland, Groningen, Drenthe, Overijssel, Geldern und Utrecht –, hatten durchgesetzt, dass sie hiervon freigestellt wurden und nur bei ganz besonderen Anlässen an einer Großen Versammlung teilnehmen würden. Das war beispielsweise bei der Abdankung Karls V. im Jahr 1555 und der Abreise Philipps II. nach Spanien im Jahr 1559 der Fall.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass unter den Habsburgern stärker als zuvor eine Entwicklung in Richtung auf Zentralisierung und Bürokratisierung einsetzte. Eine neue Gruppe akademisch gebildeter Juristen erlangte in verschiedenen neugegründeten Räten einflussreiche Positionen, wodurch die alte adelige Elite Macht einbüßte. Gleichzeitig nahm der zentralisierende Druck auf die Provinzialstände zu, wobei die Finanznot des Königs in zunehmendem Maße eine Quelle von Konflikten darstellte. Ein stabiler habsburgischer Einheitsstaat, wie er Karl V. und besonders Philipp II. vor Augen stand, lag damit noch nicht in Reichweite. Wie auch in anderen Gebieten Europas war ein composite state (Groenveld) das Äußerste des Erreichbaren: eine Bündelung verschiedener Einheiten, zusammengefügt unter einer einzigen, allgemeinen Verwaltung. In diesem sich bildenden Staat hatten sich die Befugnisse und die wechselseitigen Beziehungen zwischen der zentralen, regionalen und lokalen Obrigkeit noch nicht herauskristallisiert. Die hierbei auftretenden Spannungen sollten in den Jahren des Aufstands eine wichtige Rolle spielen.

Reformation

Die oben angedeuteten Spannungen zwischen der sich formierenden Brüsseler Zentralgewalt und provinzialen und lokalen Verwaltungseinheiten waren nicht dergestalt, dass der Prozess der Vereinigung schon früh zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Im Gegenteil, solche Spannungen waren dem Weg zu mehr Einheit inhärent. Der britische Historiker Jonathan Israel schreibt sogar, dass alles darauf hindeutete, dass die habsburgischen Niederlande »erfolgreich zu einem lebensfähigen und kohärenten Ganzen aneinandergeschmiedet werden könnten, mit der Unterstützung durch den Hochadel und mit einer neuen, humanistisch gebildeten Beamtenelite«. Auch sein niederländischer Kollege Arie Th. van Deursen schätzt, dass die Vereinigung hätte gelingen können, »wenn nicht andere Ursachen zu Aufstand und Bürgerkrieg geführt hätten«. Es war die Religionsfrage, so van Deursen, die die Probleme der Vereinigung unlösbar machte.

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte sich die Stellung der Kirche grundsätzlich verändert. Hatte es um 1500 noch eine selbstverständliche Einheit der römisch-katholischen Kirche und der Gesellschaft gegeben, so war diese in der Mitte des Jahrhunderts verlorengegangen. Die zunehmende Kritik an der katholischen Geistlichkeit und ihr Verlust an Glaubwürdigkeit und moralischer Autorität hatten sich durch den wachsenden Einfluss Martin Luthers in den Niederlanden verstärkt. Angesichts der starken Urbanisierung, des hohen Alphabetisierungsgrades, der großen Zahl von Buchdruckern und des intensiven Austauschs mit deutschen Gebieten hatten sich Luthers Schriften in hohem Tempo in den Niederlanden verbreitet. Bereits im Mai 1519 berichtete Erasmus von Rotterdam, dass Luthers Werke »überall« in den Niederlanden gelesen würden. In den 1520er Jahren startete Karl V. jedoch eine kraftvolle und effektive Repressionspolitik, und die ersten Ketzer starben auf dem Scheiterhaufen der Inquisition. Dies hatte zur Folge, dass es der Reformation in den Niederlanden an organisatorischer Kraft und Kohäsion fehlte, wodurch die Verbreitung des Luthertums schon bald gebremst wurde. Dies führte zu einer Verinnerlichung der Reformation sowie dazu, dass sich in der Kirche eine Kluft zwischen der religiösen Überzeugung und der Religionsausübung auftat. Zwar blieb die Mehrheit der Bevölkerung in der Kirche, sie distanzierte sich jedoch innerlich vom alten Glauben und entwickelte eigene Richtungen. Israel spricht im Zusammenhang mit dem frühen niederländischen Protestantismus von einer »verblüffenden Unterschiedlichkeit von Lehrmeinungen und Standpunkten« und dass dieser »dogmatisch pluriform und weitgehend dezentralisiert« gewesen sei. Dabei dachten viele nicht an einen Bruch mit der katholischen Kirche, sondern forderten Raum für eine eigene Ethik und Interpretation.

Radikal und auf einen Bruch zusteuernd waren hingegen sehr wohl die Täufer gewesen, eine kleine Minderheit, die ab den 1530er Jahren bis zum Ende der 1550er Jahre in den Niederlanden die organisatorische Vorhut der Reformation bildeten. Ihrer Meinung nach musste der Bibeltext wörtlich genommen werden, und damit begründeten sie unter anderem, dass die Kindstaufe nicht anerkannt werden sollte. Nur als Erwachsener könne man sich bewusst für den Glauben entscheiden, so die Täufer, die auch die übrigen katholischen Sakramente als Irrtümer betrachteten. Versuche, das Königreich Gottes auf Erden mit Gewalt zu verwirklichen, führten 1534–1535 sogar zu der Besetzung der westfälischen Bischofsstadt Münster, und auch in anderen Städten kam es in dieser Zeit zu Ausschreitungen. Die Täufer wurden scharf verfolgt, und viele Täufer aus der Anfangsphase mussten ihre eigene Radikalität und Gewalt mit dem Leben bezahlen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts gaben die Täufer jedoch das Mittel der Gewalt auf, und gerade die Gewaltlosigkeit wurde ein wichtiges Charakteristikum der Bewegung. Von großer Bedeutung in dieser auf Ruhe abzielenden Entwicklung in der Täuferbewegung war die Rolle von Menno Simons (um 1496–1561) und Dirk Philips (1504–1568), die vor allem im Norden unter dem einfachen Volk viele Anhänger gewannen. In Relation zur Gesamtbevölkerung blieben die Täufer jedoch eine Minderheit, die, auch wenn sie ökonomisch erfolgreich war, nicht zur regierenden Elite durchdringen konnte. Charakteristisch blieben ihr kompromissloser Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes sowie die Bereitschaft, hierfür auch das Märtyrertum hinzunehmen. So waren sie dann auch noch vielfach Opfer von Verfolgungen, nachdem sie selbst der Gewalt abgeschworen hatten. Es wird geschätzt, dass in den Niederlanden zwischen 1531 und 1574 insgesamt rund 3000 Personen wegen ihres Glaubens hingerichtet worden sind und dass 2000 von ihnen Täufer waren.

Ab 1540 machte eine für die Niederlande wichtige dritte Gruppe von sich reden: die Calvinisten. Sie brachen mit dem Verhalten, das viele Anhänger der Reformation in der davor liegenden Periode an den Tag gelegt hatten: nur im stillen der neuen Richtung anzuhängen, nicht auf einen Bruch zuzusteuern, sondern auf eine Erneuerung innerhalb der bestehenden Kirche zu hoffen. Sie absorbierten einen Teil des noch wenig strukturierten und im Fluss befindlichen Protestantismus und waren anfangs im Süden stärker vertreten als im Norden. Ab den frühen 1560er Jahren verbreitete sich der Calvinismus rascher als zuvor, was zu einer Verschärfung der Verfolgung führte. Die Spannungen verstärkten sich, weil viele Katholiken die gewalttätige Unterdrückung und die damit einhergehende Unruhe verabscheuten. Dadurch entfremdeten sich nicht nur viele von der habsburgischen Regierung, sondern es nahm auch die Sympathie für die Calvinisten zu. Auch diese Entwicklung war ein wichtiger Faktor dafür, dass es zum Aufstand kam.

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts bot die religiöse Karte der Niederlande ein buntes Bild. Die Historiker Simon Groenveld und Gerrit Schutte sprechen von »gestaffelten religiösen Gesinnungen«, die von orthodoxen bis zu protestantisierenden Katholiken, von Täufern über starre und moderate Calvinisten bis zu einer Handvoll Lutheranern variierten. Die durch die Täufer verursachte Unruhe gehörte inzwischen der Vergangenheit an, und es schien wieder Ruhe eingekehrt zu sein, aber, so resümiert Israel, am Ende der 1550er Jahre war die Position der katholischen Kirche bereits so sehr geschwächt, dass ein Überleben in ihrer traditionellen Form zweifelhaft geworden war. Ab den 1560er Jahren sollte sich die Religionsfrage in noch nie dagewesener Heftigkeit manifestieren.

Loyalität, Opposition und Krise (1555–1566)

Im Oktober 1555 dankte Karl V. ab, und die niederländischen Gebiete gingen auf seinen Sohn Philipp II. über. Anfang 1556 folgten diesen auch die spanischen Königreiche. Die deutsche Kaiserkrone ging 1556 an Karls Bruder, Ferdinand I. In den Niederlanden sah sich Philipp II. mit den gleichen Problemen konfrontiert wie sein Vater. Als erstes stand außer Frage, dass der neue Fürst unerbittlich an der katholischen Kirche festhalten und die Verfolgung der Ketzer mit harter Hand fortsetzen würde. Zum zweiten hatte Philipp II. von seinem Vater eine leere Staatskasse geerbt und benötigte für den andauernden Krieg gegen Frankreich rasch viel Geld. 1556 richtete er an die Generalstände eine Bede, über die erst nach langen und mühsamen Verhandlungen im Jahr 1558 ein mit vielen Bedingungen versehenes Abkommen zustande kam. Eine dritte Quelle für Spannungen war die Beziehung zu den Angehörigen des Hochadels, auf deren Unterstützung er für die Implementierung seiner Politik angewiesen war, die jedoch gleichzeitig durch die Fortführung der Zentralisierung und Professionalisierung der Verwaltung an Einfluss verloren. Hinzu kam, dass sich Philipp II. in erster Linie mit Spaniern umgab und Niederländer kaum Zugang zu ihm hatten. Problematisch war überdies, dass er ein misstrauischer Mann war, weder Französisch noch Niederländisch sprach und den Staatsrat kaum in seine politischen Entscheidungen einbezog. So machte sich in den Niederlanden dann auch eine gewisse Erleichterung breit, als er 1559 nach Spanien abreiste, um sich dort als König inthronisieren zu lassen. Diese Abreise war, wie sich später herausstellte, endgültig, und Philipp II. sollte nie wieder niederländischen Boden betreten. Bei seinem Weggang ernannte er seine Halbschwester, Margarethe von Parma, zur Landvogtin. Sie verfügte über wenig Regierungserfahrung, wodurch sich für den Hochadel die Chancen zu vergrößern schienen, seinen Einfluss wieder auszuweiten. Diese Gruppe von Angehörigen des Hochadels war im übrigen nicht groß, und mit Wilhelm von Oranien und den Grafen von Egmond und Hoorn sind die bekanntesten Namen genannt.

Wilhelm von Oranien war mit Abstand der reichste und vornehmste Repräsentant des niederländischen Hochadels. 1533 als Sohn des lutherischen Grafen Wilhelm I. von Nassau-Dillenburg und Juliana von Stolberg im deutschen Dillenburg geboren, erbte er im Alter von elf Jahren sowohl einen umfangreichen Familienbesitz in den Niederlanden als auch das französische Fürstentum Orange. Durch dieses französische Erbe rückte er in den Kreis der regierenden europäischen Fürsten auf. Karl V., als Kaiser von Deutschland der oberste Herr von Wilhelms Vater, knüpfte an die Annahme dieses Erbes die Bedingung, dass der junge Wilhelm am Brüsseler Hof eine katholische und niederländische Erziehung erhalten solle, und so entstand eine enge Beziehung zwischen dem Kaiser und dem jungen Prinzen. Bei seiner Abdankung im Jahr 1555 betrat Karl V. auf die Schulter des inzwischen 22jährigen Wilhelms von Oranien gestützt den großen Saal, in dem alle niederländischen Provinzen vertreten waren. Der Historiker Olaf Mörke hat in seiner Biographie Wilhelms von Oranien zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Geste sowohl als ein Zeichen für Oraniens hohe Position innerhalb des niederländischen Adels interpretiert werden muss wie auch als Bekräftigung der Loyalität des Oraniers gegenüber dem habsburgischen Landesherrn. Anfangs änderte sich für den Oranier unter Philipp II. nur wenig, und so wie er Karl V. treu gedient hatte, diente er auch dessen Nachfolger, für den er im Krieg gegen Frankreich eine große Stütze war, der 1559 mit einem Sieg der Spanier beendet wurde. Bei seiner Abreise nach Spanien machte Philipp II. Wilhelm von Oranien zum Statthalter der Provinzen Holland, Zeeland und Utrecht. Egmond erhielt die gleiche Funktion in den Provinzen Flandern und Artois.

Die Beziehungen innerhalb der Zentralgewalt in Brüssel verbesserten sich jedoch nicht, und es gelang dem Hochadel nicht, dem politischen Entscheidungsprozess seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Der eigentliche Machthaber in Brüssel – eingesetzt von Philipp II. – war Antoine Perrenot (1517–1586), besser bekannt als Granvelle, ein Jurist nicht-adeliger Herkunft und wichtiger Repräsentant der neuen Verwaltungselite. Besonders zwischen Granvelle, der ein loyaler Vollstrecker von Philipps Anweisungen war, und dem Hochadel eskalierten in den frühen 1560er Jahren die Spannungen. Dies fußte nicht nur auf der Unzufriedenheit über Granvelles großen Einfluss, sondern auch auf der Religionsproblematik. Im Jahr 1559 war eine neue kirchliche Einteilung der Niederlande verkündet worden, bei der die siebzehn Provinzen in drei Erzbistümer und diese wiederum in fünfzehn normale Bistümer aufgeteilt worden waren. Aus der Perspektive der katholischen Kirche war dies ein wichtiger Fortschritt, denn in den Jahren zuvor hatte es in den Niederlanden kein Erzbistum gegeben, und auch die Zahl der Bistümer war begrenzt geblieben. Darüber hinaus wurde diese Einteilung der politischen Vereinigung der Niederlande gerecht, da die neuen Erzbistümer gemeinsam ungefähr das Territorium der siebzehn Provinzen umfassten. Bei der Implementierung der neuen kirchlichen Einteilung, die zäh verlief, wurde Granvelle selbst Erzbischof von Mechelen. Darüber hinaus bekam er als Kardinal den kirchlichen Primat in den Niederlanden und damit eine sehr einflussreiche Stellung.

Die kirchliche Neueinteilung im Jahr 1559 weckte in verschiedenen Bevölkerungsgruppen Widerstand. Die lokale Geistlichkeit verlor an Einfluss, und das galt auch für den Hochadel. Es wurde festgelegt, dass die neu zu ernennenden Bischöfe eine Universitätsausbildung abgeschlossen haben sollten (mit einem Doktortitel in der Theologie) und damit – analog zur neuen Regierungselite – nicht mehr aufgrund ihrer Herkunft, sondern aufgrund von Ausbildung und Begabung ernannt werden sollten. Das war ein Angriff auf die traditionelle Stellung des Adels, dem bis dahin wie selbstverständlich die kirchlichen Karrieren offengestanden hatten. Widerstand erhob sich auch in breiten Bevölkerungsschichten, weil die neue kirchliche Einteilung zu verstärkter Kontrolle in religiösen Fragen führen würde und eine schärfere Verfolgung von abweichenden Standpunkten und Ketzerei zu erwarten war. Diese Furcht sollte sich als berechtigt erweisen: Granvelle war ein gehorsamer Vollstrecker der strengen Linie Philipps II., während sich gleichzeitig der Calvinismus weiter verbreitete.

In die entgegengesetzte Richtung bewegte sich Wilhelm von Oranien, der 1561 die lutherische Anna von Sachsen heiratete und damit das Misstrauen von Philipp II. und Granvelle weckte. Seinem Landesherrn schwor er Treue gegenüber der katholischen Kirche, der Familie seiner Braut versicherte er seine immer noch vorhandene Neigung zum Luthertum. Natürlich gab es für diese Hochzeit Prestigegründe, und der Oranier hatte auch politische Motive, aber seine Wandelbarkeit im Glauben war nicht Ausdruck von religiösem Opportunismus. Vielmehr wurde darin deutlich, dass er nicht in Kategorien konfessioneller Konfrontation dachte, sondern bereit war, religiöse Vielgestaltigkeit zu akzeptieren. Nicht nur auf religiösem Gebiet führte seine Hochzeit mit Anna von Sachsen zu einem Bruch im Vertrauensverhältnis mit Philipp. Auch in politischer Hinsicht büßte Wilhelm von Oranien Vertrauen ein, weil er durch diese Ehe den Kontakt zu protestantischen deutschen Fürsten ausweitete, die Gegner Philipps II. waren.

Die Spannungen mit Kardinal Granvelle und die Unzufriedenheit unter dem Hochadel über die vielen Entscheidungen, die ohne sein Wissen in Brüssel getroffen wurden, führten in den frühen 1560er Jahren wiederholt zu vergeblichen Klagen an die Adresse Philipps II. 1563 ließen die wichtigsten Angehörigen des Hochadels (unter anderem Oranien, Egmond und Hoorn) die Angelegenheit eskalieren, indem sie die Abberufung Granvelles forderten und sich nicht mehr für die Landesregierung zur Verfügung stellten. Nachdem die Landvogtin Philipp darüber informiert hatte, dass auch sie Granvelle nicht länger halten wolle, gab der König nach, und so reiste der Kardinal 1564 aus den Niederlanden ab. Damit war die Stellung des Hochadels auf dem Papier gestärkt, aber der König hielt unverändert an seinen Verordnungen (Plakkaten) gegen die Ketzerei und an seiner Politik der Professionalisierung und Bürokratisierung der Verwaltung fest. Ende Dezember 1564 hielt Wilhelm von Oranien im Staatsrat ein ausführliches Plädoyer, in dem er grundsätzlich dafür eintrat, die verschiedenen Religionen nebeneinander zuzulassen, und damit für die Gewissensfreiheit plädierte. Unter der Führung Egmonds reiste eine Delegation des Staatsrats nach Spanien, um Philipp II. persönlich zu einem Entgegenkommen zu bewegen. Die Mission blieb erfolglos, und im Oktober 1565 gab Philipp in Briefen – später als Briefe aus dem Wald von Segovia bezeichnet – bekannt, dass die Verfolgung von Ketzern unvermindert fortzusetzen sei. Danach verschlechterte sich die Lage rasch, und im Jahr 1566 sollte es zu einer entscheidenden Eskalation kommen.

Ende 1565 hatten sich Angehörige des niederen Adels unterschiedlicher religiöser Ausrichtung zu einem Bund zusammengeschlossen, den sie Compromis nannten. Auch der niedere Adel hatte auf administrativem und juristischem Gebiet Befugnisse an die neuen Berufsbeamten verloren und fühlte sich in Bedrängnis gebracht. Von einer tatsächlichen Zusammenarbeit mit dem Hochadel war noch keine Rede, dafür waren die niedrigeren Standesgenossen, die Gewalt nicht ausschließen wollten, in dessen Augen zu radikal. Allerdings konnte Wilhelm von Oranien beim niederen Adel eine Mäßigung im Ton erreichen, und er kanalisierte dessen Protest in einer Petitionsbewegung. Im April 1566 überreichten dreihundert Angehörige des niederen Adels der Landvogtin Margarethe von Parma ein tatsächlich gemäßigtes Bittschreiben, das als Bittschrift des Adels in die Geschichte eingehen sollte. Darin forderten sie vom König die Aussetzung der Ketzerverordnungen und die Einberufung der Generalstände, was seit 1559 nicht mehr geschehen war. Von letzteren erwarteten sie nicht nur eine Unterstützung für eine tolerantere Politik, sondern die Provinzen sollten dadurch auch wieder an Gewicht gewinnen und ihr eigener Einfluss gestärkt werden.

Mit der Bittschrift wurde nicht die Stellung des Königs und seiner Regierung angegriffen, die Adeligen wandten sich ausschließlich gegen die Inquisition. Beim Überreichen des Gesuchs soll die Landvogtin sehr nervös gewesen sein, und ihr Berater Karl von Berlaymont soll versucht haben, sie mit dem Satz »N’ayez pas peur, Madame, ce sont que des gueux« (»Haben Sie keine Angst, Madame, das sind nur Bettler«) zu beruhigen. Kurz darauf übernahmen die Angehörigen des niederen Adels diesen Namen als Ehrenbezeichnung, und der Begriff »Geuzen« wurde zum Synonym für diejenigen, die sich gegen die spanische Autorität wandten. Im Sommer 1566 überreichten zwölf Angehörige des niederen Adels der Landvogtin eine weitere Bittschrift, in der völlige Religionsfreiheit verlangt und der Wunsch ausgesprochen wurde, die Verwaltung möge in die Hände von Angehörigen des Hochadels wie dem Oranier, Egmond und Hoorn gelangen. Damit waren religiöse und politische Forderungen zusammengekommen.

Die unter Druck geratene Landvogtin sagte zu, die Verordnungen gegen die Ketzerei auszusetzen, solange eine Antwort des Königs selbst noch auf sich warten lasse. Calvinistische Prediger, die sich durch die abbröckelnde Zentralgewalt gestärkt fühlten, zogen aufs offene Feld und feierten dort Gottesdienste. Vom Süden aus breitete sich im Sommer 1566 eine Massenbewegung von calvinistischen »Heckenpredigten« im Land aus, wobei sich, wie Israel es ausdrückt, »eine vierzig Jahre lang aufgestaute Spannung« entlud. Von dieser einmal genommenen Freiheit war es nur ein kleiner Schritt dahin, Kirchengebäude einzunehmen und diese für eigene Gottesdienste bereitzumachen. Hierzu mussten die Kirchen allerdings von den Heiligenbildern und anderem »papistischen Aberglauben« gereinigt werden, und so zog im August und September 1566 eine Bewegung durch das Land, die als Bildersturm in die Geschichte eingehen sollte. Dabei handelte es sich nicht um eine marodierende Meute, die plündernd von Kirche zu Kirche zog, sondern um eine recht kleine Minderheit, die zunächst in den südlichen Provinzen und anschließend auch im Norden die Kirchen effizient säuberte.

Auffällig war vor allem, dass die relativ kleine Gruppe von Bilderstürmern kaum auf Widerstand stieß und dass sich besonders im Norden sehr viele passiv verhielten. Offensichtlich empfand die Mehrheit der Bevölkerung keine starke Verbundenheit mit der bestehenden kirchlichen Praxis. So waren dann der Bildersturm und sein Ablauf in erster Linie Ausdruck einer Entfremdung von der katholischen Kirche, von ihren Symbolen, ihren Ritualen und ihrem Reichtum. Calvinistische Anführer (Prediger, städtische Magistrate und Angehörige des niederen Adels) hatten die Initiative zum Bildersturm ergriffen und wurden von Teilen der Bevölkerung unterstützt. Viele litten nicht nur unter der religiösen Verfolgung, sondern auch unter ernsten wirtschaftlichen Problemen und der Hungersnot. Die schlechte sozioökonomische Lage war nicht die Ursache für den Bildersturm, aber sie führte doch zu einer radikaleren und explosiveren Stimmung unter der Bevölkerung.

Unter diesen Umständen sah die Landvogtin keine andere Möglichkeit, als auf die Vermittlungsvorschläge des Oraniers und seiner Mitstreiter einzugehen, die besagten, dass protestantische Gottesdienste an den Orten, an denen sie faktisch schon stattfanden, abgehalten werden durften. Auch sollte sie gegenüber Philipp II. eine Einberufung der Generalstände befürworten. Als Gegenleistung löste sich der Verbund der Angehörigen des niederen Adels auf. Diese Vereinbarung, das »Abkommen« vom August 1566, erwies sich als äußerst wackelig und sollte schon bald zu einer weiteren Eskalation führen. Die Landvogtin schickte sich an, die Unruhen mit militärischen Mitteln zu bezwingen, und Philipp II. machte deutlich, dass er dies auch von ihr erwartete. In einem derartigen Klima der gewalttätigen Eskalation war es unvermeidlich, dass die Versuche Wilhelms von Oranien, einen Mittelweg zu beschreiten, zum Scheitern verurteilt waren. Er schloss auf der Grundlage des »Abkommens« hier und dort lokale Religionsfrieden, wobei sowohl den Katholiken als auch den Protestanten Kirchen zugewiesen wurden, aber vor dem Hintergrund eines drohenden Bürgerkriegs war für eine solche Versöhnung bald kein Platz mehr: Es blieb nur die Wahl zwischen Aufstand und Unterwerfung.

Inzwischen hatten die Versuche Margarethes von Parma, die Ruhe mit militärischen Mitteln wiederherzustellen, Erfolg. Von religiöser Toleranz war keine Rede mehr, protestantische Kirchen wurden geschlossen, und auch die Einberufung der Generalstände war vom Tisch. Sich ihrer Sache nun wieder sicher, verlangte die Landvogtin im Frühjahr 1567, dass der Hochadel dem König seine bedingungslose Treue schwören solle. Egmond und Hoorn legten diesen Eid ab, Wilhelm von Oranien weigerte sich und setzte sich zu seiner Familie nach Deutschland ab.

Das Jahr 1566/67 war ein Schlüsseljahr für den Verlauf des Aufstands. In verschiedenen sozialen und religiösen Gruppen hatte die Unruhe – nur zum Teil aus denselben Gründen – zugenommen. Von einer Gleichgesinntheit und einem gemeinsamen Auftreten für ein klares gemeinsames Ziel war jedoch keine Rede. Die verschiedenen Akteure teilten höchstens die – völlige oder partielle – Ablehnung der Politik Philipps II. Groenveld spricht daher auch von dem »widernatürlichen Bündnis« einiger Aufständischer unterschiedlicher Prägung: Hochadel, niederer Adel, Bürger und das niedere Volk. Einige forderten beispielsweise die Wiederherstellung ihrer alten Privilegien, anderen ging es vor allem um die Religionsfreiheit, und wieder andere wollten den Calvinismus als einzig erlaubte kirchliche Ausrichtung eingeführt wissen. Indem er auf verschiedene Seiten mäßigend einwirkte, hatte der Oranier versucht, die Ruhe wiederherzustellen und nach Möglichkeit die religiöse Gewissensfreiheit zu verwirklichen. Dieses Ziel hatte er verfehlt, und im Jahr 1567 schien jeder Kompromiss weiter entfernt als je zuvor. Die spanische Macht war wiederhergestellt, und Philipp II. schickte Don Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von Alba (kurz: Alba) mit dem Auftrag nach Brüssel, endgültig mit der Ketzerei in den Niederlanden abzurechnen. Nachdem sich Philipp II. seit seinem Fortgang im Jahr 1559 in erster Linie auf den Kampf gegen die Türken im Mittelmeerraum konzentriert hatte, verlagerte sich nun die Priorität in den Norden. Die Niederlande, so der Historiker Guido de Bruin, entpuppten sich aus der Sicht der Spanier als Prüfstein für den von ihnen gewünschten Aufbau des Reichs. Das Ergebnis des Kampfes mit den niederländischen Aufständischen schien damit auch für die Zukunft von Philipps Imperium entscheidend zu sein.

Radikalisierung, misslungene Mäßigung und der Weg in die Republik (1567–1588)

Zu den ersten Maßnahmen Albas, der im August 1567 mit einer umfangreichen spanischen Streitmacht eingetroffen war, gehörte die Schaffung eines neuen Gerichts, das die Verfolgung der Aufständischen in den Niederlanden in die Hand nahm. Dieser sogenannte Raad van Beroerten, Rat der Unruhen – im Volksmund schon bald Blutrat genannt –, verurteilte in den darauffolgenden Jahren mehr als 1000 Personen zum Tode, und 9000 Personen verloren ihren Besitz. Prominente Opfer von Albas Repressionspolitik waren die Grafen von Egmond und Hoorn, die Ende 1566 noch dem Aufruf Margarethes von Parma gefolgt waren, dem König Treue geschworen hatten und ihr bei der Wiederherstellung der Ruhe behilflich gewesen waren. Sie wurden 1568 auf dem Großen Markt in Brüssel enthauptet. Der Oranier, dem schon 1567 von Philipp II. die Statthalterschaft aberkannt worden war, verlor nicht nur alle seine Besitztümer, auch in persönlicher Hinsicht traf Alba ihn hart: sein zwölfjähriger Sohn, Philipp Wilhelm, wurde als Geisel nach Spanien geschickt, wo er erst 1596 freigelassen werden sollte. Zehntausende flohen aus dem Land, darunter viele prominente Bürger und Vertreter des niederen Adels.

Neben der Verfolgung der Aufständischen gehörte es auch zu Albas Aufgaben, die Zentralverwaltung auf Kosten der Provinzen zu stärken und die Generalstände gefügig zu machen. Zudem musste er das Problem der Steuereintreibung endlich im Sinne der Spanier lösen. Im Jahr 1569 versuchte er zu diesem Zweck, drei Steuern einzuführen, den hundertsten Pfennig (die einmalige Erhebung von 1 % auf alle Vermögen), den zwanzigsten Pfennig (5 % auf den Verkauf von Immobilien) sowie den zehnten Pfennig (eine Umsatzsteuer von 10 % auf den Handel mit beweglichen Gütern). Viel Erfolg hatte er damit nicht, und der Widerstand gegen seine Politik nahm weiter zu.

Der erste Versuch Wilhelms von Oranien, mit Waffengewalt zurückzukehren, scheiterte 1568. Seine Brüder Ludwig und Adolf von Nassau verbuchten anfangs im Norden einen Erfolg (Schlacht bei Heiligerlee, 1568), wurden danach jedoch schon bald gnadenlos von Alba geschlagen. Der Oranier selbst versuchte es mit einem Angriff auf Obergelderland (das heutige Nordlimburg), aber fehlende Unterstützung seitens der Bevölkerung, Geldmangel und Albas militärische Strategie führten dazu, dass er kein einziges Gebiet eroberte und seine Truppen schon bald entlassen musste. Einen bewaffneten Widerstand gegen den König hatte Wilhelm von Oranien nach eigener Aussage nicht entfesselt. Nicht als Rebell gegen die gesetzliche Autorität wollte er in die Niederlande zurückkehren, sondern als jemand, der es mit den schlechten Beratern des Königs aufnahm. Sie, nicht der König selbst, seien für die schlechte Regierung und die Eskalation der vergangenen Jahre verantwortlich. Pro rege, lege et grege