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Geschichte des Zigeunermädchens: Eine Novelle - Miguel de Cervantes Saavedra - Es scheint, daß die Zigeuner und Zigeunerinnen nur auf die Welt kommen, um Spitzbuben zu werden. Sie stammen von Eltern, die Spitzbuben sind, werden mit Spitzbuben erzogen, studieren das Spitzbubenhandwerk und werden endlich Spitzbuben, die auf alle Fälle gemacht und bedacht sind; die Lust am Stehlen und das Stehlen selbst sind gleichsam unabtrennbare Teile ihres Wesens, das sie erst mit dem Tode verlieren.
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Seitenzahl: 126
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Eine Novelle vonMiguel de Cervantes
Verlags-Signet
Im Insel-Verlag zu Leipzig
Es scheint, daß die Zigeuner und Zigeunerinnen nur auf die Welt kommen, um Spitzbuben zu werden. Sie stammen von Eltern, die Spitzbuben sind, werden mit Spitzbuben erzogen, studieren das Spitzbubenhandwerk und werden endlich Spitzbuben, die auf alle Fälle gemacht und bedacht sind; die Lust am Stehlen und das Stehlen selbst sind gleichsam unabtrennbare Teile ihres Wesens, das sie erst mit dem Tode verlieren.
Eine nun von diesem Volk, eine alte Zigeunerin, die in der Kunst des Cacus[1] bereits ihr Jubiläum gefeiert haben mochte, erzog als ihre Enkelin ein junges Mädchen, dem sie den Namen Preziosa gab und das sie in all ihren Zigeunerstreichen, Gaunereien und Diebeskünsten unterrichtete. Preziosa wurde die vortrefflichste Tänzerin im ganzen Zigeunervolk und das schönste und verständigste Kind, das man nicht nur unter Zigeunern, sondern unter allen Schönen und Klugen finden konnte, deren Ruhm je erschollen ist. Weder Sonne noch Luft noch auch alle Unbilden der Witterung, denen die Zigeuner mehr ausgesetzt sind als andre Leute, vermochten ihrer Schönheit Abbruch zu tun oder ihre Hände zu bräunen. Ja, was noch mehr ist, die rauhe Erziehung, die sie erhielt, konnte nicht verdecken, daß sie von gesitteteren Eltern abstammte, als es Zigeuner sind; denn sie war äußerst gewandt und sehr verständig. Bei all dem war sie frei, ohne die Grenzen der Sittsamkeit zu überschreiten; sie war vielmehr bei allem Witze so züchtig, daß in ihrer Gegenwart keine Zigeunerin, mochte sie alt oder jung sein, ein unanständiges Lied zu singen oder üble Worte zu sprechen wagte. Kurz die Großmutter erkannte, welchen Schatz sie in der Enkelin besaß, und so beschloß denn die alte Dohle, ihr junges Dohlchen ausfliegen zu lassen und es zu lehren, sich den Unterhalt mit den eignen Fängen zu gewinnen. Preziosa zog aus, reich versehen mit Festgesängen, Volksliedern, Seguidillas, Sarabanden und andern Versen, besonders Romanzen, die sie mit eigentümlicher Anmut vortrug; denn die schlaue Alte erkannte, daß bei der Jugend und Schönheit ihrer Enkelin dergleichen Schwänke und Spiele ein sehr glückliches Reiz- und Lockmittel abgeben müßten, das ihr Vermögen vermehren würde. So hatte sie denn auf allen möglichen Wegen nach solchen Dingen gesucht, und es fehlte nicht an Dichtern, die sie damit versahen; denn es gibt ebensogut Poeten, die sich mit den Zigeunern verstehen und Werke an sie verkaufen, wie es andre für die Blinden gibt, denen sie Wundergeschichten erfinden, um den Gewinn mit ihnen zu teilen. In der Welt kommt alles vor, und der Hunger treibt manche Köpfe, Dinge zu tun, die ihnen nicht an der Wiege gesungen worden sind.
Preziosa war in verschiedenen Gegenden Kastiliens aufgewachsen; in ihrem fünfzehnten Jahre aber führte ihre angebliche Großmutter sie in die Residenz, und zwar auf ihren alten Lagerplatz, die Felder der heiligen Barbara, wo sich die Zigeuner gewöhnlich aufhalten. Sie hoffte, in der Hauptstadt, wo alles gekauft und alles verkauft wird, werde auch sie ihre Ware losschlagen können. An dem Tage, als Preziosa ihren ersten Einzug in Madrid hielt, war das Fest der heiligen Anna, der Patronin und Schutzherrin der Stadt. Acht Zigeunerinnen, vier ältere und vier junge, führten unter der Leitung eines Zigeuners, eines vorzüglichen Tänzers, einen Tanz auf, und wenn sie auch alle sauber und geputzt erschienen, so trat doch Preziosens Zierlichkeit so sehr hervor, daß sie allmählich die Blicke aller Zuschauer auf sich zog. Durch den Klang der Schellentrommel und Kastagnetten, durch die Wirbel des Tanzes scholl der Ruf, der die Schönheit und Anmut des Zigeunermädchens pries. Jünglinge und Männer strömten herbei, um sie zu sehn; als man sie aber gar singen hörte (denn der Tanz war mit Gesang verbunden), wurde der Lärm so groß, daß das Lob der Zigeunerin von allen Seiten widerhallte und die Vorsteher des Festes ihr einstimmig den Preis für den besten Tanz zuerkannten. Nachher führten die Zigeuner in der Kirche der heiligen Maria, vor dem Bildnis der glorreichen Anna, den Reigen noch einmal auf, und nachdem er beendigt war, ergriff Preziosa ein Tamburin, zu dessen Klang sie sich aufs leichteste und zierlichste im Kreis bewegte, und sang folgende Romanze:
Köstlichster von allen Bäumen,
Der so lang nicht Frucht getragen,
Jahre, die wie einer Trauer
Hülle düster auf ihm lagen
Und auf reine Herzenswünsche
Eines liebevollen Gatten,
Überwölkend seine Hoffnung,
Schatten trüb geworfen hatten,
So daß aus der langen Säumnis
Kummer ward, der bitter nagte,
Und der aus dem heilgen Tempel
Den gerechten Mann verjagte.
Heilig unfruchtbarer Boden,
Dem im Anfang doch entsprossen
Jene überreiche Fülle,
Die die ganze Welt genossen.
Haus der königlichen Münzstatt,
Wo der Stempel ward geschlagen,
Der dem Gott die Form gegeben,
Die als Mensch er hat getragen.
Mutter du von einer Tochter,
In der wollt und konnt entfalten
Alle Tugenden der Höchste,
Die sonst Menschen nie erhalten.
Durch dich selbst und durch die Tochter
Bist die Zuflucht du, o Anne,
Welcher wir zur Rettung nahen
Hier in unsres Elends Banne.
In gewisser Art auch darfst du,
Keinen Zweifel laß ich walten,
Über deinem heilgen Enkel
Als gerechte Herrin schalten.
Mitzuthronen, gleich dir Hohen,
In der höchsten Himmelsfeste,
Hielten wohl viel tausend Eltern
Für der Glückesgaben beste.
Welche Tochter! welch ein Enkel!
Welcher Eidam! Hier ist wieder,
Ist gerechterweise Anlaß
Für Triumph- und Siegeslieder.
Aber du in deiner Demut
Bist ihr still voraufgeschritten:
Drauf hat demutsvoll dir deine
Heilge Tochter nachgelitten.
Und jetzt neben ihrer Seite
Vor den Höchsten zugelassen,
Schmeckest du die hohen Wonnen,
Die wir ahnend kaum erfassen.
Preziosens Gesang erregte bei allen Zuhörern Bewunderung. Die einen sagten: „Gott segne dich, Kind.“ Andre: „Wie schade, daß das Mädchen eine Zigeunerin ist, wahrlich und wahrhaftig, sie verdiente die Tochter eines großen Herrn zu sein!“ Und wieder andre, die derber waren, sprachen: „Laßt das Dirnchen nur heranwachsen, sie wird schon ihre Streiche machen; bei Gott, sie wird ein hübsches Schleppnetz zum Fischen der Herzen.“ Wieder ein andrer, artiger, aber plump und ungeschickt in seinen Ausdrücken, rief, als er sie so flink im Tanz dahinschweben sah: „Auf, Töchterchen, auf! Und die Füße gerührt, mein Liebchen, damit es staubt.“ „Und ich Euch den Staub wieder ausklopfe,“ erwiderte sie, ohne den Tanz zu unterbrechen.
Als die Vesper und das Fest der heiligen Anna vorüber war, fühlte Preziosa sich ein wenig erschöpft, aber um ihrer Schönheit, ihres Witzes und Verstandes und ihrer Tanzkunst willen war sie auch schon so berühmt, daß man in der ganzen Residenz auf allen Straßen von ihr sprach. Vierzehn Tage nachher kam sie abermals nach Madrid, und zwar in Begleitung von drei andern Mädchen, mit Schellentrommeln und einem neuen Tanze. Alle waren sie ausgerüstet mit Romanzen und munteren, aber sittsamen Liedchen, denn Preziosa gab nie zu, daß ihre Gefährtinnen unschickliche Lieder sangen, so wenig sie selbst jemals mit dergleichen vortrat. Viele merkten das denn auch und hielten sie deshalb besonders hoch. Nie trennte sich die alte Zigeunerin, die sie wie ein Argus bewachte, von ihr, denn sie war immer in Angst, man könnte ihr das Mädchen entführen. Sie nannte sie ihre Enkelin, und Preziosa hielt sie für ihre Großmutter. Um den Zuschauern ein Vergnügen zu machen, stellten sie sich in der schattigen Toledostraße zum Reigen auf, und bald sammelte sich das ihnen nachziehende Volk zu einem großen Kreise. Während des Tanzes bat die Alte die Umstehenden um einen Beitrag, und die Achtel- und Viertelrealen regneten wie Hagelschauer auf sie ein, denn die Schönheit hat die Kraft, die schlafende Freigebigkeit zu wecken.
Als der Tanz zu Ende war, sprach Preziosa: „Wenn mir jeder vier Viertelrealen gibt, so will ich euch allein eine gar schöne Romanze singen über den ersten Kirchgang, den unsre Königin Doña Margarita nach ihrem Wochenbett in Valladolid gehalten hat, und zwar zur Sankt-Lorenzkirche; und ich sage euch, es ist ein Meisterstück, von einem Kapitalpoeten, der seinen Mann zu stellen vermag.“
Kaum hatte sie dies ausgesprochen, als alle Umstehenden mit lauter Stimme riefen: „Singe, Preziosa, da sind meine vier Quartos.“ Und von neuem hagelten die Geldstücke auf sie ein, so daß die Alte kaum Hände genug hatte, um sie zu sammeln. Als die Ernte geborgen war, griff Preziosa nach ihrem Tamburin und sang zu dem rauschenden Geklingel folgende Romanze:
Ersten Kirchgang nach den Wochen
Hielt der Fürstinnen Europens
Größte, die nach Wert und Namen
Strahlet über jedem Lobe.
Wie die Augen sie emporschlug,
Hat die Herzen sie erhoben
Aller, die bewundernd schauten
Ihre Andacht, ihre Hoheit.
Und zu zeigen, daß der Himmel
Raum hat auf der Erde Boden,
Wandelt hier die Sonne Östreichs,
Dort die schmelzende Aurora.
Hinter ihr kam nachgezogen
Hell der lichte Stern des Morgens,
Der so plötzlich aufgegangen,
Daß von Tau die Himmel flossen.
Und wenn Sterne hat der Himmel,
Die umstrahlte Wagen formen,
Schönre Sterne ihrem Himmel
Hier auf irdschen Wagen folgten.
Hier der alternde Saturnus
Glättet und verjüngt den Bart sich
Und geht schnell, der sonst so langsam,
Denn von Gicht heilt ihn die Wonne.
Und der Gott der leichten Rede
Spricht in süßen Schmeichelworten;
Und in bunten Chiffren Amor,
Die Rubin und Perl' umbortet.
Dort geht Mars, der Muterfüllte,
Wunderbar herausgeputzt,
Wie ein kecker Jüngling, der sich
An dem eignen Schatten stößt.
Hart am Haus der Sonne schreitet
Jupiter; denn was erobert
Nicht das innige Vertrauen,
Das durch Klugheit wird gewonnen?
Luna folgt ihm, auf den Wangen
Mancher Menschengöttin thronend;
Venus, in den Zügen jener,
Welche diesen Himmel bilden.
Kleine, holde Ganymede
Schwärmen, drängen, gehen, kommen
Um den goldumstrahlten Gürtel
Dieses hehren Himmelsbogens.
Und damit sich alles wundre,
Alle ihr Erstaunen zollen,
Steigt die strahlende Verschwendung
Nun hinan zum Wundervollen.
Mailands reiche Prachtgewebe
Liegen hier der Menge offen,
Indiens helle Diamanten
Und Arabiens Arome.
Denen, welche bösen Sinnes,
Muß der Neid im Herzen toben,
Aber Jubel füllt den Busen
Jedes echten spanschen Sohnes.
Fliehend aus der Trauer Banden
Zieht der allgemeine Frohsinn
Durch die Straßen, durch die Plätze,
Wie auf lauten Wahnsinns Wogen.
Zu viel tausend Segenswünschen
Tut der Mund sich auf der Stille,
Und es wiederholt die Jugend,
Was das Alter ausgesprochen.
Einer spricht: „Ergiebge Rebe,
Wachs empor und schling dich eng
Her um die geliebte Ulme,
Daß ihr Schatten dich umflore,
Dir zu deinem eignen Ruhme
Und zu Spaniens Ehr und Frommen
Und zur Förderung der Kirche
Wie zum Grausen des Mahoma!“
Eine andre Stimme rufet:
„Lebe hoch, o Taube, holde,
Die für uns du hast geboren
Einen Aar mit zweien Kronen,
Zu vertreiben aus den Lüften
Jeden raubergebnen Vogel,
Mit dem Fittich zu bedecken
Jeder Tugend bange Sorgen!“
Noch ein andrer, der noch feiner
Gab des raschen Witzes Proben,
Sprach, in Augen und im Munde
Ausgedrückt das Herz, das frohe:
„Diese Perle, die du schenktest,
Östreichs Perlenmutter, große,
Wie viel List hat sie vereitelt,
Wie viel Wünsche sie gebrochen!
Was zerstört sie nicht an Ränken,
Was gewährt sie nicht an Hoffnung,
Welche Fehlgeburten treibt sie
Jetzt nicht aus dem Zeitenschoße!“
Mittlerweile kam zum Tempel
Man des Phönix, der in Roma
Hat den Flammentod bestanden
Und nun lebt in ewger Glorie.
Und zum Bild des ewgen Lebens,
Zu der Königin dort oben,
Die, weil sie in Demut wallte,
Über Sterne ward erhoben,
Zu der Mutter und der Jungfrau,
Zu der Tochter und Verlobten
Gottes hat, aufs Knie gesunken,
Margarita so begonnen:
„Was du gabst, geb ich dir wieder,
Hand zum Geben stets erschlossen,
Denn wem deine Gnade fehlet,
Der wird stets vom Weh getroffen.
Sieh, den Erstling meiner Früchte
Bring ich, Jungfrau, dir zum Opfer;
Wie sie ist, nimm hin die Gabe,
Und laß herrlicher sie sprossen.
Seinen Vater auch empfehl ich,
Der, ein Atlas, unverdrossen
Sich der Last so vieler Reiche
Beugt, so vieler fernen Zonen.
Denn ich weiß, das Herz des Königs
Ruhet in den Händen Gottes,
Und ich weiß, daß Gott nie weigert,
Was du bittest, Demutvolle!“
Als geendet diese Rede,
Haben andre sich ergossen
In Gesänge, die bewiesen,
Daß auf Erden Himmel rollen.
Als vorüber dann des Hochamts
Königliche Zeremonien,
Kehrte heim der hehre Himmel
Mit den wundervollen Sonnen.
Als Preziosa ihre Romanze beendet hatte, erhob sich aus dem glänzenden Kreis ihrer Zuhörer einstimmig der Ruf: „Singe noch einmal, Preziosa, es soll Geld absetzen wie Sand am Meer!“
Nun sahen dem Tanz der Zigeunerinnen mehr als zweihundert Personen zu, und alle lauschten ihrem Gesang, als zufällig (eben war das Gedränge am stärksten geworden) einer der Stadtschultheißen des Weges kam, und da er so viele Leute beisammen sah, fragte er, was es gäbe. Auf die Antwort, man höre der schönen Zigeunerin zu, die eben singe, trat der Schultheiß neugierig näher und horchte selbst ein Weilchen hin, wartete aber, um seiner Würde keinen Eintrag zu tun, das Ende der Romanze nicht ab. Da ihm jedoch das Mädchen außerordentlich gut gefallen hatte, befahl er seinem Pagen, der Alten zu sagen, sie möge gegen Abend mit den Zigeunerinnen in sein Haus kommen; er wünsche, daß auch seine Gemahlin, Doña Clara, sie höre. Der Page gehorchte, und die Alte versprach sich einzufinden. Als Tanz und Gesang zu Ende waren und man sich eben an einen andern Ort begeben wollte, trat ein zweiter, sehr wohl gekleideter Page zu Preziosa, gab ihr ein zusammengefaltetes Papier und sprach: „Prezioschen, singe die Romanze, die hier steht; sie ist sehr gut, und ich werde dir von Zeit zu Zeit noch andre geben, durch die du den Ruf der ersten Romanzensängerin der Welt erlangen sollst.“
„Ich werde sie mit großem Vergnügen lernen,“ entgegnete Preziosa, „und vergeßt ja nicht, mein Herr, mir auch die andern Romanzen zu bringen, von denen Ihr sprecht. Doch müssen sie anständig sein. Wollt Ihr, daß ich sie bezahle, so wollen wir nach Dutzenden miteinander abrechnen, so daß ich für ein Dutzend bezahle, wenn ich es gesungen habe. Im voraus zu zahlen ist mir unmöglich.“
„Wenn mir Jungfer Prezioschen dies schwarz auf weiß geben will,“ erwiderte der Page, „so bin ichs zufrieden, und obendrein soll eine Romanze, die nicht gut und ehrbar ausfällt, nicht gerechnet werden.“
„Die Wahl muß mir überlassen bleiben,“ antwortete Preziosa und ging mit ihren Begleiterinnen weiter, als einige Kavaliere sie aus einem Fenstergitter anriefen. Preziosa trat an das niedrige Gitter und sah in einem kühlen, freundlichen Saal mehrere vornehme Herren, von denen einige auf und ab gingen, andre sich mit allerlei Spielen unterhielten.
„Wollt ihr mir ein Aufgeld geben, meine Herren?“ fragte Preziosa mit dem lispelnden Ton der Zigeuner, der ihnen übrigens nicht natürlich, sondern künstliche Angewöhnung ist.
Da bei diesen Worten auch Preziosens Gesicht im Fenster erschien, verließen die Spieler die Tische, die Umhergehenden blieben stehn, und alle eilten sofort ans Fenster, um sie zu sehn; denn sie hatten bereits von ihr vernommen. „Kommt herein, kommt herein, ihr Zigeunerinnen,“ riefen sie, „wir wollen euch Aufgeld geben.“
„Es könnte uns teuer zu stehn kommen, wenn ihr uns da in die Falle locktet!“ antwortete Preziosa.
„Nein, auf Ritterwort,“ entgegnete einer, „du kannst getrost eintreten, Kleine, und bei dem Kreuz, das ich hier auf der Brust trage, du darfst sicher sein, daß dir niemand ein Haar krümmen wird.“ Damit legte er die Hand auf sein Calatravakreuz.
„Wenn du hinein willst, Preziosa,“ sprach eine ihrer drei Gefährtinnen, „so geh in Gottes Namen; ich für meine Person bleibe fort, wo so viel Männer sind.“