Geschichten aus der Heimat - Dmitry Glukhovsky - E-Book

Geschichten aus der Heimat E-Book

Dmitry Glukhovsky

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Beschreibung

Ein tadschikischer Gastarbeiter, der in die Fänge des Moskauer Organhandels gerät. Ein Antikorruptions-Ermittler, der von seinem Verfahren abgezogen wird. Ein Regierungsbeamter, der sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere die Sinnfrage stellt. Ein Provinzpolitiker, der urplötzlich mit der bitteren Wahrheit unverfälschter Wahlergebnisse konfrontiert wird – Dmitry Glukhovskys »Geschichten aus der Heimat« sind kleine Fenster in die Untiefen der russischen Gesellschaft. Mit scharfem Blick für die Realitäten in seinem Heimatland zeigt der Bestsellerautor, wie Russlands Gesellschaft funktioniert – und was falschläuft.

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Seitenzahl: 461

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Das Buch

Ein tadschikischer Gastarbeiter, der auf schier aberwitzige Weise in die Fänge des Moskauer Organhandels gerät.

Ein Antikorruptions-Ermittler, der von seinem Verfahren abgezogen wird – und zu drastischen Mitteln greift, um seinen Fall doch noch abzuschließen.

Ein Regierungsbeamter, der sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt.

Ein Provinzpolitiker, der urplötzlich mit der bitteren Wahrheit unverfälschter Wahlergebnisse konfrontiert wird.

Und ein Geologe, der in Sibirien einen Zugang zur Hölle entdeckt – nur um festzustellen, dass der staatliche Gaskonzern schon lang Geschäfte mit dem Fürsten der Finsternis macht ...

Mit diesen und vielen weiteren auf Deutsch bislang unveröffentlichten Erzählungen verschafft uns Dmitry Glukhovsky, der Autor des Weltbestsellers METRO 2033, einen Einblick in die gegenwärtige russische Gesellschaft. Seine GESCHICHTENAUSDERHEIMAT sind Fenster ins Herz eines zerrissenen Landes.

Der Autor

Dmitry Glukhovsky, 1979 in Moskau geboren, studierte in Jerusalem Internationale Beziehungen und arbeitete als TV- und Radio-Journalist unter anderem für den Fernsehsender EuroNews und die Deutsche Welle. Mit seinem Debütroman METRO 2033, den er zu einer Trilogie ausarbeitete, landete er einen weltweiten Bestseller. Glukhovsky, der als einer der bedeutendsten russischen Autoren der Gegenwart gilt, hat sich immer wieder kritisch über Wladimir Putin und die Regierung Russlands geäußert und den Angriff auf die Ukraine scharf verurteilt. Einige Wochen nach Beginn des Krieges wurde er in Russland zur Fahndung ausgeschrieben und musste das Land verlassen.

Instagram: @glukhovsky

Twitter: @glukhovsky

Facebook: @glukhovskybooks

Mehr über Dmitry Glukhovsky und seine Werke erfahren Sie auf:

Dmitry Glukhovsky

Geschichtenaus der Heimat

Aus dem Russischen vonChristiane Pöhlmann, Franziska Zwergund M. David Drevs

Genaue Angaben zu den Originaltiteln und Übersetzungen finden Sie am Ende des Buches.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 10/2022

Redaktion: M. David Drevs

Copyright © 2022 by Dmitry Glukhovsky

Copyright © 2022 dieser Ausgabe und der Übersetzungenby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DASILLUSTRAT, München,unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com / Triff

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

Agreement by www.nibbe-literary-agency.com

ISBN 978-3-641-30282-5V002

www.diezukunft.de

Inhalt

Vorwort: Was ist mit Russland passiert?

Alles hat seinen Preis

From Hell

Vor der Flaute

Eine gute Sache

Sibirische Weisheit

Die wichtigste Nachricht

Utopia

Eine für alle

Die Erscheinung

Am Boden

Ex Machina

Appell

Futter für thailändische Welse

Telefonjustiz

Oppenheimer

Ein Jahr wie drei

Die Offenbarung

Schwefel

Die Reform

Tango

Nachweise

Vorwort

Was ist mit Russland passiert?

Seit dieser Krieg im Februar 2022 begonnen hat, haben mir viele Leserinnen und Leser aus der Ukraine geschrieben. Sie schickten mir Fotografien von U-Bahnhöfen aus Kiew und Charkiw, die sich bei russischen Artillerie- und Bombenangriffen in unterirdische Bunker und Städte verwandelten und in denen Menschen zum Teil wochen- und monatelang hausten. Sie schrieben mir: »Sehen Sie, Dmitry, Sie haben das alles vorausgesagt. Wir leben jetzt in Ihrem Buch Metro 2033.«

Natürlich habe ich – wie wir alle – diesen Krieg nicht voraussehen können. Sicher, ich habe mir schon immer gern apokalyptische Szenarien ausgemalt, aber dabei nie wirklich daran geglaubt, dass eine so ungeheuerliche Barbarei, eine so sinnlose Grausamkeit im 21. Jahrhundert möglich sein könnte und dass sich ein Volk so einfach von unsäglichen Propagandalügen in die Irre führen lässt. Doch dieser Krieg ist tatsächlich ausgebrochen und dauert nun schon viele Monate an. Und begonnen hat ihn Russland, mein Heimatland.

Wie und wann hat sich diese unheilvolle Wandlung vollzogen? Wie konnte aus dieser Weltmacht, die einst mit dem Totalitarismus brach, freiwillig ihre Panzerarmeen aus Europa abzog und sich mit großer Begeisterung den Vereinigten Staaten und dem Westen öffnete, wieder ein Schurkenstaat werden, der für die übrige Welt nichts als Zorn empfindet?

Wie konnte es dazu kommen, dass dieses Volk, das der ägyptischen Gefangenschaft entkommen war und bereits der Freiheit entgegenging, mitten in der Wüste auf einmal die Peitsche zu vermissen begann und von allein zu seinen Aufsehern zurückgekehrt ist?

Wann haben eigentlich diese seltsamen, hässlichen Dämonen von Russland Besitz ergriffen, die es nun zwingen, unkontrolliert um sich zu schlagen, wüste Verwünschungen und absurde Anschuldigungen auszustoßen und wutschnaubend seinen Nachbarn an die Gurgel zu gehen? Und was sind das für Dämonen?

Jeder russische Schriftsteller, der etwas auf sich hält, macht sich irgendwann einmal Gedanken über das »Schicksal des Vaterlands«. Denkt darüber nach, warum in Russland immer alles anders ist »als bei normalen Leuten«. Und sucht darin nach den Spuren jenes besonderen (und besonders steinigen) Weges unserer leidgeprüften Heimat, der uns aus der Finsternis zum Licht führt, auf dem aber sowohl unserem Volk als auch allen uns umgebenden Völkern Leid widerfährt. Auch ich habe darüber immer wieder nachgedacht.

Meine ersten Geschichten aus der Heimat sind in Russland 2010, also vor zwölf Jahren, als Buch erschienen, einige weitere wurden dann in den folgenden Jahren in Zeitungen und Zeitschriften sowie online veröffentlicht. Seitdem hat meine Heimat so manches durchgemacht, aber die Diagnose, die ich meinem Land damals stellte, hat sich im Wesentlichen als richtig erwiesen – auch wenn ich natürlich keine Vorstellung davon hatte, wie gefährlich die Krankheit war, die es ausbrütete, und auf welch unverantwortliche Weise sie im Laufe der Zeit verschleppt wurde. Diese Krankheit hat einen Namen: Mythomanie. Mythomanie einerseits im Sinne einer obsessiven Faszination für Mythen, mit denen die harte, hässliche, unerträgliche, oft genug auf tragische Weise erbärmliche Wirklichkeit verschleiert werden soll – und andererseits in psychologisch-medizinischem Sinne, Mythomanie als das unbeherrschbare Verlangen zu lügen und sich zu verstellen, selbst wenn die Lüge offensichtlich und für alle zu erkennen ist, ja selbst dann noch zu lügen, wenn einem daraus nur Nachteile entstehen.

Man mag sich heute fragen, wie Russland bloß von einem demokratischen Staat zu einer totalitären, neosowjetischen Diktatur werden konnte. Die Antwort auf diese Frage lautet: Russland ist nie eine Demokratie gewesen und ist heute auch keine totalitäre Diktatur. In Wahrheit ist mein Land in den dreißig Jahren seit dem Zerfall der Sowjetunion stets eine durch und durch korrupte Bananenrepublik – vergleichbar mit gewissen lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten – gewesen und bis heute geblieben, nur dass es statt Bananen Öl und Gas verkauft und damit den Rest der Welt erpresst. Die Leute, die durch Zufall ans Ruder der Macht gekommen sind, allesamt Versager und absolutes Mittelmaß, haben sich am wunden Euter dieser einst so bedeutenden Weltmacht festgekrallt und sie bis auf den letzten Tropfen gemolken. Und genau diese Günstlinge des Schicksals, diese selbst ernannten Zaren versuchen, sich nun mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verewigen und das Volk von der sakralen Natur ihrer Macht zu überzeugen. Gerade weil sie sich bewusst sind, dass ihre Macht reiner Zufall ist, sind sie jetzt so peinlich bemüht, ihren eigentlich völlig nackten Hintern mit heldenhaften Mythen zu verhüllen. Anfangs versuchten sie sich noch wie ein progressiver, moderner, demokratischer Staat zu gerieren. Jetzt mühen sie sich ab, unsere Bananenrepublik als schaurigen Wiedergänger einer Sowjetunion stalinscher Prägung zu inszenieren. In Wirklichkeit aber ist beides nur stümperhaftes Herumkleistern an einer Staatsfassade, die aus windigem Gipskarton besteht, und dient nur dazu, die tatsächlich in Russland ablaufenden Prozesse zu übertünchen: Prozesse der Fäulnis, des Zerfalls, der fieberhaften Plünderung, bei der sich jeder möglichst viele Bruchstücke des Volkseigentums in die eigenen Taschen steckt.

Fassaden waren schon immer der wichtigste Teil des russischen Staatsaufbaus, und schon immer hat sich das, was auf diesen Fassaden dargestellt war, vom Kern des Gebäudes deutlich unterschieden. Seit den Zeiten jener »Potemkischen Dörfer«, die einst – einer Legende zufolge – ein diensteifriger Fürst entlang der Reiseroute Katharinas der Großen irgendwo in der Pampa errichten ließ, bis zum heutigen Tag, da russische Panzer in der Ukraine mit sowjetischer Symbolik dekoriert werden, weil sie dort angeblich immer noch in einem fortdauernden Großen Vaterländischen Krieg kämpfen – stets versucht Russland etwas vorzugeben, anstatt etwas zu sein.

Es ist eine unendliche Geschichte von Betrug und Selbstbetrug, in der die Macht das arme, rechtlose, letztlich ja nur nach menschenwürdigem Leben trachtende Volk schamlos belügt. Sie zeigt, warum ein Volk unmöglich so leben kann, warum dieser Zustand sein Überleben gefährdet. Denn da ist ja angeblich diese historische Mission, der das Volk alles andere opfern muss, so wie es ihre Eltern und Großeltern taten. Schließlich sind wir umringt von Feinden, »drohende Wolken verdunkeln das Licht«, wie es schon vor einem Jahrhundert in einem Revolutionslied hieß, das auch heute noch immer wieder in der russischen TV-Propaganda erklingt. Die Großartigkeit und Bedeutung Russlands wird zur Rechtfertigung für die Wertlosigkeit des Lebens der russischen Bürgerinnen und Bürger.

Und so erzählt die Macht den Menschen immer wieder dasselbe Märchen, verachtet sie dabei für ihre Unterwürfigkeit und Leichtgläubigkeit, obwohl sie immer wieder auch selbst – gleichsam selbstvergessen – daran glaubt; und die Menschen wiederum, die doch angeblich alles für bare Münze nehmen, verspotten die Macht für ihre Janusköpfigkeit. Wie man bei uns sagt: »Eigentlich weiß doch jeder Bescheid.«

Politische Witze, die einen unter Stalin den Kopf kosten konnten, hatten in den Nullerjahren als Gattung ausgedient, feiern heute aber ein Comeback. Ebenso das allegorische, metaphorisch maskierte Sprechen über die wahre Lage der Dinge: darüber, dass der viel beschworene »besondere Weg« Russlands in Wahrheit auf einen Abgrund zuführt.

Auch ich habe für mein Sprechen über das Schicksal meines Vaterlands das Genre der literarischen Metapher, des literarischen politischen Witzes gewählt und ihn wie ein Mosaik aufgebaut: In jeder der hier veröffentlichten Geschichten wird, wie in Splittern eines zerbrochenen Spiegels, ein winziges Stück meines Landes ersichtlich. So erzählt »From Hell« vom Ressourcenfluch, der zugleich Russlands größte Stärke und Schwäche ist. »Eine gute Sache« sowie einige andere Geschichten thematisieren den unausrottbaren Schimmel der Korruption, die den gesamten russischen Staatskörper befallen und dessen lebenswichtige Organe durch ihr eigenes Pilzgeflecht ersetzt hat. In »Die wichtigste Nachricht« geht es um die Beziehungen russischer Journalisten zur Macht und zur Wahrheit, während die mit »Utopia« betitelte Story aufzeigt, wie Russland auf Europa blickt. »Ex Machina« erzählt vom kaputten System der Wahlen, »Die Offenbarung« vom kaputten System der sozialen Lifte. In »Eine für alle« werden rings um diese maroden staatlichen Institute hochherrschaftliche Fassaden errichtet, und in »Tango« erfahren wir, wer diese Fassaden konstruiert. »Am Boden« und einige weitere Geschichten handeln von den heutigen Herrschern in Russland, »Ein Jahr wie drei« und »Schwefel« von jenen, die von ihnen beherrscht werden. All diese Erzählungen ergänzen einander, berühren sich an ihren Rändern, und ihre Handlungslinien überschneiden sich. Das heißt, Sie werden wohl alle Geschichten lesen müssen – am besten in der Reihenfolge, in der sie hier abgedruckt sind. Womöglich ist es sogar richtiger, dieses Buch nicht als Sammlung von Erzählungen, sondern als Metaroman zu begreifen, dessen Protagonist das russische Leben ist.

Und ja, dies ist ein Zerrspiegel, gut möglich also, dass Sie manchmal den Eindruck haben werden, etwas Komisches zu sehen. Oder etwas Grausiges, das Ihnen aus dem Reich hinter den Spiegeln entgegenstarrt. Doch auch das ist Russland: meine unglückliche, unfassbare Heimat, in die ich möglicherweise nie mehr zurückkehren kann. Mein Land, dem ich in seinem sinnlosen Kampf gegen den Rest der Welt keine Niederlage wünsche, sondern Heilung, Austreibung der Dämonen, die von ihm Besitz ergriffen haben, Buße für das, was es der Ukraine angetan hat und antut, und Aussöhnung mit sich selbst.

Dmitry Glukhovsky

August 2022

Alles hat seinen Preis

Der Plow war wieder mal ziemlich fad, aber nach drei Monaten hatte sich Abdurrahim daran gewöhnt. Hätte er zu Hause in Ponghos irgendwem erzählt, dass man Plow auch mit hornigen Hühnerbeinen machen konnte, an denen genauso wenig Fett war wie an Abdurrahims Waschbrettbauch, man hätte ihn ausgelacht. Echter Plow hatte klebrig zu sein und musste von gelbem Hammelfett triefen, und gegessen wurde er natürlich nicht mit spröden Plastikgabeln, sondern man formte den Reis erst mit den Fingern zu Kugeln, so groß wie Kinderfäuste, und schob sich diese dann genüsslich in den Mund. Aber wie sollte man hier an ordentliches Hammelfleisch kommen – in dieser schmutzigen, rauchverpesteten Stadt?

Für Abdurrahim war Moskau winzig: ein Quadratkilometer Fläche, wenn’s hochkam. Klar, dort hinter der drei Meter hohen Betonmauer erstreckte sich Russlands Hauptstadt, so weit das Auge reichte, doch der Weg dorthin war Abdurrahim und seinen Landsleuten versperrt. Nur zum nächsten Zigarettenkiosk ließen sie ihn an der Pforte durch. Er wusste, wie man mit Wachleuten umging. In seiner fernen, sonnigen Heimat hatte er – eher aus Versehen und jugendlicher Naivität – gesessen und erinnerte sich noch gut an die wichtigste Regel von damals: Wie du mir, so ich dir. Ansonsten aber reichte Klein-Tadschikistan nur bis zu dieser Mauer, und Abdurrahims Sprachkenntnisse waren zu dürftig, um sich aus der Umklammerung der reizbaren, ewig hungrigen Milizionäre herauszureden, die ständig um die Jahrhundertbaustelle herumpatrouillierten, auf der Suche nach leichter Beute. Einmal hatte der Schweißer Farukh aus der dritten Brigade versucht, ein Stück Hammelfleisch an der Pforte vorbeizuschmuggeln, doch die Security nahm es ihm ab, und der Ärger, den die gesamte Brigade dafür bekam, war weitaus heftiger gewesen als der für das Haschisch, das man eine Woche zuvor bei ihnen entdeckt hatte. Es gab viele Regeln hier, und nicht von allen hatte man die Bauarbeiter in Kenntnis gesetzt. Aber egal, dann eben Plow mit Huhn. Oft bestand ihr Mittagessen ja nur aus labbrigen Nudeln im Pappbecher oder glibberigen, schwer aufzugabelnden Würstchen, weshalb Abdurrahim jetzt kein Theater machte.

Dass es heute Plow gab, hatte durchaus einen konkreten Anlass: Die gesamte Brigade wurde auf ein neues Objekt verlegt. Im Zentrum des spektakulären neuen Geschäftsviertels Moskau City ragte der Wolkenkratzer Pamir auf. Hoch wie das gleichnamige Gebirge, schien er den brüchigen, löchrigen Moskauer Himmel zu stützen. Die obersten Stockwerke waren so gut wie nie zu sehen, denn das schier unendliche Bauwerk war meist bis zur Mitte in dichte Wolken gehüllt. Auch wenn der Name einen vertrauten Klang hatte, war dem heimwehkranken Abdurrahim nicht ganz wohl, wenn er an seine künftige Arbeitsstätte dachte.

»Der kürzeste Weg zum Himmel«, scherzten die Arbeiter düster. Man flüsterte einander zu, dass sich auf dem Pamir, den ein Vorgebirge aus dreigeschossigen Wohncontainern umgab, praktisch täglich ein Unfall ereignete. Eine Bestätigung hierfür gab es nicht: War der Einsatz auf der Pamir-Baustelle zu Ende, so wurde man – um die Visaregularien einzuhalten – zurück nach Zentralasien gebracht und später auf anderen Objekten beschäftigt. Eine seltsame Regel war das, doch es gab noch seltsamere. Dafür aber bekam man auf dem Pamir doppelt so viel Lohn wie anderswo.

Eigentlich hätte der dünne Hühnerplow leicht verdaulich sein müssen, doch wollte sich Abdurrahims Magen in jener Nacht einfach nicht beruhigen. Er träumte, dass er den Pamir bis ganz nach oben erklimmen wollte. Immer weiter stieg er die Treppe hinauf, doch es war kein Ende in Sicht. Und dann hörte er jemanden sagen, es sei aussichtslos, denn der Wolkenkratzer sei ein lebendiges Wesen und wachse ständig weiter …

Der Sekretär huschte beflissen um den Wagen herum, packte den Griff und zog an der Tür – sie war so schwer wie die eines Banktresors. Krotow, der auf dem breiten Rücksitz seines zweifarbigen Maybach eingenickt war, blickte ihn mit trüben Augen an, gähnte und streckte sich. Das verdammte Model von der Vogue-Titelseite hatte ihn vergangene Nacht so heftig bearbeitet, dass er fast geneigt war, seine abschätzige Meinung gegenüber Fotomodellen zu revidieren. Das Mädchen hatte sich Mühe gegeben, offenbar hatte ihr jemand gesteckt, dass er auf der Forbes-Liste erneut etwas weiter nach oben geklettert war.

Für morgen war ein Besuch von Vertretern des Projektmanagements und der Aufsichtsbehörde auf der Baustelle des Business Centers geplant, und damit sich die übliche Verkostung seiner schottischen Reserven nicht in ein unangenehmes Gespräch über die Erhöhung der Tarife zur Absicherung der behördlichen Zuneigung verwandelte, musste Krotow vor Ort mal eben schnell für Ordnung sorgen. Und bei dieser Gelegenheit auch einen Blick auf die neue Technik werfen. Der Tross aus Polieren und Objektleitern, der sich hinter dem Kernteam von Security-Mitarbeitern rings um den düster dahinschreitenden Krotow herzog, löste sich kurz vor dem Pamir auf. Dem zentralen Wolkenkratzer widmete der Chef stets besondere Aufmerksamkeit, und dort herrschten auch besondere Regeln. Als »Baustelle in der Baustelle« wurde der Pamir von einem eigenen Leitungsbüro betreut, und nur Auserwählte durften den Zaun hinter dem Zaun passieren.

In Krotows Tasche begann ein mit Saphiren besetztes Mobiltelefon zu klingeln. Die Standardmodelle dieses Geräts verfügten über eine Spezialtaste, über die man mit einem Concierge verbunden wurde, der sämtliche Anfragen bearbeitete, und zwar in jedem Winkel der Welt. Für Krotow hatte man diese magische Taste auf die Nummer seines eigenen Sicherheitschefs umgestellt – dieser war nämlich problemlos in der Lage, sämtliche Fragen binnen einer halben Stunde zu klären.

»Geht das nicht auch mit Linienmaschinen?«, knurrte Krotow ins Mikrofon. »Kraftstoffkrise? Wozu haben wir dann diese Anteile gekauft?«

Er stand jetzt vor mehreren Reihen verchromter Aggregate, die eine mehrsilbige deutsche Modellbezeichnung und ein konservativ anmutendes Logo trugen.

»Na gut, scheiß drauf, schickt sie mit dem Jet. Oder noch besser, wartet noch ein paar Tage, bis sich genug für eine Chartermaschine angesammelt hat, irgendeine Iljuschin-76, meine Bombardier ist mir zu schade dafür … Egal, die müssen sich eben gedulden – was bleibt ihnen auch anderes übrig? Sollen sie von mir aus doch die Billigware der Inder kaufen, ohne Zertifikate, mit Steinen!«

»Das sind sie, Arkadi Petrowitsch«, formte der Sekretär lautlos mit den Lippen und deutete diskret auf den verchromten Maschinenpark.

»Nein, da vergammelt überhaupt nichts, also wirklich!«, kläffte Krotow ins Telefon und versetzte der stumm neben ihm stehenden Maschine vor lauter Ungeduld eine schallende Ohrfeige. »Schluss jetzt, das ist so beschlossen, und damit basta. Das mit den Staaten regeln wir morgen. Mach’s gut, ich hab hier noch ein zweites Gespräch. Ja? … Hallo. Und, habt ihr das ganze Netz gekauft? Für Ljalja zum Jubiläum? Die Marke ändern? Ich hatte da neulich eine Idee … Lass es uns Bio-Organika nennen … oder noch besser: nur Organika. Die machen künftig ausschließlich auf vegetarisch, das ist jetzt hip, und von all dem Fleisch kriegen die Leute sowieso nur das Kotzen. Muss Schluss machen, da ruft grad noch wer an. Hallo? Mein Gott, kauf ihn doch einfach mit Haut und Haaren, sorry für die Anspielung. Wie viel kriegt denn der Professor da, Schmiergeld und Geschenke mit eingerechnet? Gib ihm zwanzig im Monat, dann bringt er dir noch seine Studenten mit … Klar holen wir das wieder rein! Innerhalb einer Woche.«

Abdurrahims Bauchgefühl hatte ihn nicht getrogen. Gleich am ersten Tag teilte man seine Brigade auf verschiedene Ebenen auf, und wie er so durch sein Stockwerk – das zweiundsechzigste – ging, staunte er, dass der von außen so geleckte, elegant glänzende Turm in seinem Inneren einen chaotischen und halb verfallenen Eindruck machte. Es sah aus, als ob man mit dem Innenausbau irgendwann mal begonnen, diesen dann aber unvermittelt – und zwar schon vor ziemlich langer Zeit – wieder abgebrochen hätte. Hier und da wuchsen bereits erste Rigipsplatten den nackten Beton empor, sogar die eine oder andere Steckdose war schon montiert. An anderen Stellen wiederum hatten diese ersten Lebenszeichen gegen die riesigen, vom Boden bis zur Decke aufgemalten Tic-Tac-Toe-Partien und den beißenden Uringestank keine Chance. Die anderen Arbeiter auf diesem Stockwerk machten einen eigenbrötlerischen und verschrobenen Eindruck, woraus Abdurrahim schloss, dass die Marihuanapakete aus dem kasachisch-kirgisischen Tschui-Tal ihre Adressaten offenbar doch erreichten. Den ganzen Tag über gab es nichts zu tun, und nachdem er fünf Stunden vor einem Panoramafenster mit Blick über fast ganz Moskau gehockt hatte, warf Abdurrahim gelangweilt das Handtuch und ging freiwillig zum Polier. Dieser erkundigte sich träge, ja fast mitleidig, warum Abdurrahim es so eilig habe, steckte sich an seiner abgebrannten Kippe die nächste an und fuhr fort, in dem Kreuzworträtsel herumzukritzeln. Doch kaum hatte Abdurrahim sich wieder in der bequemsten aller menschenmöglichen Haltungen niedergelassen und sich erneut in den Anblick der Hauptstadt vertieft, als aus dem Mobiltelefon des Poliers die herzzerreißenden Gesänge des Ferghana-Tals ertönten. Die verstreut rings um ihren Chef herumlungernden Faulenzer horchten plötzlich auf, wie Hunde vor dem Gassigehen, und auch der Polier selbst straffte sich, als er das immer wieder unterbrochene Jaulen aus seinem zerkratzten Handy vernahm.

Eine Minute später erhielt Abdurrahim endlich seine erste Aufgabe: Er sollte die Spalten zwischen der nicht besonders sauber montierten Rigipsverkleidung und den Deckenplatten verfugen. Zwei weitere Minuten später, als er die wackelige Leiter – die komischerweise mitten in aufgewickelten Kabelbündeln stand – erklommen hatte und sich den offenen Fugen und seinem inneren Frieden näherte, fuhr ihm ein gewaltiger Stromstoß vom linken Bein durch seinen ganzen Körper bis ins rechte und setzte seiner Bauarbeiter-Karriere ein jähes Ende.

Der 7er-BMW mit der raubtierhaften Front und dem bedrohlichen Geheimdienst-Kennzeichen kam auf dem gepflegten Gästeparkplatz von Moskau City zum Stehen, ließ gemächlich Dampf durch seine Kiemen ab und sträubte seine Haifischflossen. Neben ihm rollten großspurig zwei kaufmännische 500er-Benze mit dreist aufgestecktem Blaulicht ein. Auf ihren Nummernschildern prangte das Unantastbarkeit verleihende Trigrammaton »A … MR«, das nur die Dienstfahrzeuge höchster Staatsbeamten erhielten. Die Fahrer rauchten schweigend, legten die Köpfe zurück und versuchten, einen Blick auf den Gipfel des Pamir zu erhaschen.

Von oben, aus dem achtundsiebzigsten Stockwerk, blickte ein feiner älterer Herr auf sie herab. Er trug einen unvorstellbar teuren dunkelblauen Anzug, ein seidenweiches Hemd mit eingesticktem persönlichem Monogramm und Manschettenknöpfen aus 750er-Gold und polierter roter Emaille, die wie echte Generalssterne aussahen.

»Auf dem Ihnen überantworteten Gelände häufen sich in letzter Zeit Unfälle. Die Führung ist beunruhigt«, sagte der Mann nachdenklich und nippte an seinem 1958er Glen Garioch.

Krotow breitete die Arme aus.

»Hin und wieder passieren nun mal Pannen.«

»Das geht zum üblichen Tarif.« Der Mann mit den Generalsmanschetten zuckte mit den Schultern. »Jeder Todesfall, der sich auf Ihren Objekten ereignet, kostet hundertneunzigtausend – sofern nichts davon öffentlich bekannt wird. Mit jeder Pressemeldung erhöhen sich Ihre monatlichen Zahlungen um drei Prozent. Wir gehen hier schließlich ein erhebliches Imagerisiko ein.«

»Was ich nicht verstehe«, mischte sich ein pummeliger, rotwangiger Mann mit Brille ein, dem seine englische Krawatte sichtlich Atemprobleme bereitete, »warum setzen Sie ausgerechnet Kirgisen auf dem Bau ein? Ich hätte keine Lust, im höchsten Gebäude Eurasiens zu arbeiten, wenn ich wüsste, dass es von Leuten erbaut wurde, die bei sich zu Hause nur in Jurten leben. Dabei könnten Sie es sich doch leisten, gewissenhafte deutsche Arbeiter anzuheuern, bei dem Budget, das Sie zur Verfügung haben.«

»Natürlich könnten wir das … haben wir zuerst auch gemacht. Aber die saufen zu viel Bier, die Leber ist bei denen komplett im Arsch«, erklärte Krotow fahrig. »Außerdem arbeiten bei uns keine Kirgisen, sondern Tadschiken. Die trinken nicht.«

»Eine Arbeitsschutzmaßnahme also?« Der Mann mit der Brille nickte verständnisvoll. »Ja, das mit Ihren Deutschen hat mich anfangs auch ein wenig gewundert. Aber die Tadschiken bei Ihnen sind gut gepflegt, im Gegensatz zu denen von dem Pseudo-Stalinbau am Leningrader Prospekt …«

»Ich bitte Sie«, antwortete Krotow mit einem Schmunzeln. »Bei uns machen diese Leute erst mal eine dreimonatige Reha. Praktisch eine Entschlackungskur für den ganzen Körper. Am Ende sind die putzmunter und durchtrainiert, die reinste Augenweide.«

»Es ist eine Freude, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der so modern und reflektiert an die Sache herangeht«, kommentierte der dritte Gast, ein hochgewachsener, hagerer Mann mit schmalem Schädel und schlecht kaschierter Glatze, mit breitem Lächeln.

»Na ja, wissen Sie … Es sind doch auch Menschen, wie wir alle.« Krotow breitete die Arme aus und fügte aus irgendeinem Grund hinzu: »Zum Glück!«

Allahu Akbar!

Sein Kopf drohte zu zerplatzen, Mund, Nase und Kehle waren erfüllt von einem widerlichen, bittersauren Geschmack – aber er lebte. Abdurrahim nahm all seine Kraft zusammen, hob den Kopf vom Kissen und blickte sich um. Er lag auf einer Transportliege, völlig nackt, nur mit einem einsamen Laken bedeckt, auf dem noch ausgewaschene Blutflecken zu erkennen waren. Einige Schritte entfernt befand sich ein großer OP-Tisch, über den sich drei Menschen in grüner Chirurgenkluft beugten. Was war bloß passiert?

Abdurrahim erinnerte sich an seinen Spatel, die Leiter, die Kabel … Der Stromschlag hätte ihn beinahe das Leben gekostet, aber offenbar hatte man ihn gerettet. Wahrlich, die russische Medizin wirkte Wunder! Wenn ihm dasselbe zu Hause – selbst in der Hauptstadt Duschanbe – widerfahren wäre, hätte man ihn noch vor Sonnenaufgang verscharrt, um keine Fliegen anzulocken.

Schon wollte er sich bei den Ärzten bedanken, doch da merkte er, dass er noch nicht sprechen konnte. Es war Allah, der in diesem Moment seine schützende Hand über ihn hielt, denn als Abdurrahim erkannte, was sich dort zutrug, lief es ihm kalt über den Rücken.

Auf dem OP-Tisch lag, schwer in einen Plastiktrichter atmend, der wiederum über einen biegsamen Schlauch mit einem elektrischen Blasebalg verbunden war, der Fliesenleger Fahraddin. Der arme Kerl schien übel dran zu sein: Die Kleidung der Ärzte, die an ihm herumfuhrwerkten, war blutverschmiert. Abdurrahim schloss die Augen und bat den Allmächtigen, er möge Fahraddin unversehrt aus dieser misslichen Lage befreien. Was ihm wohl widerfahren war? Er war doch nicht etwa vom Turm gestürzt?

»Leberrr!«, sagte einer der Ärzte – Abdurrahim kannte das Wort nicht –, und sogleich ertönte ein schmatzendes Geräusch.

Abdurrahim spitzte die Ohren. Ein Ausländer?

»Umdrehen!«

Nein, es war doch Russisch. Er musste die Sprache einfach noch fleißiger lernen, um wirklich alle Wörter zu verstehen, nicht nur die vom Bau.

»Nieren!«, befahl der Chirurg mit stählerner Stimme, und Abdurrahim öffnete ein Auge.

Dieses Wort kannte er nur zu gut: Tadschikische Nieren waren bei der Miliz und bei den Skinheads äußerst beliebt. Erstere zielten mit ihren Gummiknüppeln danach, Letztere mit ihren selbst gebastelten Messern. Einer der Assistenten zog jetzt einen Plastikcontainer mit Griff, eine Art tragbaren Kühlschrank, unter dem Tisch hervor, und der Chirurg legte vorsichtig etwas hinein.

»Umdrehen!«

Abdurrahim starrte jetzt gebannt mit beiden Augen auf das Geschehen. Ihn fröstelte, Schweiß lief seinen Rücken hinab, und sein Herz pochte immer wilder. Eine Säge kreischte auf, Knochen brachen, und der Brustkorb öffnete sich. Erschöpft wischte sich der Chirurg mit dem Ärmel die Stirn.

»Herz!«

Der bis dahin regelmäßig piepsende Sensor gab nun einen dünnen, kläglichen Dauerton von sich. Kurz darauf versenkte der Arzt einen zuckenden Klumpen in dem diensteifrig hingehaltenen Container.

»Der Rest ist so lala«, kommentierte er phlegmatisch. »Der kann ins Kühlhaus, her mit dem Nächsten.«

»Entschuldigung, wo ist hier die Toilette?«, fragte der Mann mit der Glatze, erhob sich aus seinem Sessel und wandte sich an den Brillenträger: »Wie wär’s, Slawik, gehen wir eine Runde?«

Krotow folgte dem sich entfernenden Duo mit besorgtem Blick.

»Nun denn, Arkadi Petrowitsch«, sagte der General und löste sich endlich vom Fenster. »Lassen Sie uns ernsthaft miteinander reden. Sie haben da ein bemerkenswertes Business. Aber Sie haben doch nicht wirklich gedacht, dass – um im Bilde zu bleiben – die Organe des Inneren, hehe, davon nichts mitbekommen?«

»Was wollen Sie?«

»Wirklich ein bemerkenswertes, einträgliches, klug arrangiertes Business. Meine Leute haben mir da ein paar interessante Informationen zukommen lassen …« Der General griff in seine Brusttasche und zog einen Notizblock heraus. »In Tadschikistan leben heute sieben Millionen zweihundertelftausend Menschen. Die letzten Angaben sind von Juli, mittlerweile dürften es sogar noch mehr geworden sein, denn das Land hat eine hohe Geburtenrate, genauer gesagt drei Komma vier Kinder pro Elternpaar – in Ihrem Geschäft müssen Sie ja genauso präzise sein, nicht wahr? Gott bewahre Tadschikistan – eine Geburtenrate, viermal so hoch wie die Sterberate! Die Bevölkerung des Landes wächst jedes Jahr um zwei Prozent. Das Gas wird ihnen irgendwann ausgehen, ihre Ölquellen werden versiegen, aber die Tadschiken selbst werden ewig leben. Sie sind sozusagen selbst ihre einzige natürliche Ressource, deren Reserven ständig weiterwachsen. Und da kommen nun – genau zur rechten Zeit – Sie mit Ihrem Know-how ins Spiel.«

»Ich …«

»Keine Widerrede, Arkadi Petrowitsch.« Der General drohte dem schweißüberströmten Krotow sanft mit dem Finger. »Ständig hören wir, der Wert eines Menschenlebens sei unschätzbar. Unsinn: Alles hat seinen Preis. Was für eine großartige Idee, genau dieses virtuelle Kapital zu Geld zu machen! Meine Leute haben mir da ein paar interessante Informationen zukommen lassen.« Er blätterte in seinem Notizblock. »Die Zahlen einiger Industrieländer, insbesondere Japan und USA. Nieren: im Schnitt einhunderttausend Dollar pro Stück, zwei von demselben Spender sind seltsamerweise teurer, gleich zweihundertfünfzigtausend. Eine Leber: zwischen einhundertfünfzig- und dreihunderttausend. Für ein Herz kursieren Preise bis zu dreihundertfünfzigtausend Dollar. Und dann noch die Milz und all der andere Kleinkram. Was kommt also raus, wenn wir all das zusammenrechnen? Sechshunderttausend für einen kompletten Organsatz, plus/minus, vorausgesetzt, alles kommt zügig und unbeschadet beim Patienten an. Minus drei Monate à siebenhundert Dollar Arbeitslohn für so einen Organsatz, minus das Bakschisch für die Einwanderungsbehörde, minus die Lieferkosten – die sind vermutlich der größte Posten, aber en gros dürfte es billiger kommen. Und das Ganze dann im Schnitt zwanzig Mal pro Tag. Großartig! Wirklich elegant, Arkadi Petrowitsch. Wer braucht da noch ein Bauunternehmen?«

Krotow bekreuzigte sich und trat ans offene Fenster.

Abdurrahim rannte splitterfasernackt den Korridor entlang – so schnell war er in seinem ganzen Leben noch nie gelaufen. Er flog an geschäftig brummenden, chromglänzenden Aggregaten vorbei, in denen, wie in kleinen Badekabinen, die Leichen fast all seiner Kameraden aus der Brigade frisch gehalten wurden, raste an endlosen Reihen von Kühlkammern entlang, an deren Klappen wie an Bürotüren irgendwelche Namensschilder angebracht waren, sprang über Transportbahren hinweg, schubste Wachleute beiseite, die gar nicht erst dazu kamen zu reagieren … In der Ferne begann sich ein Lichtfleck abzuzeichnen – eine Balkontür. Wenn er Glück hatte, gab es dort eine Feuerleiter. Und dann würde ihn niemand mehr aufhalten können, niemand!

Der Windstoß, der sein Gesicht traf, war ungewöhnlich frisch für diese schwindsüchtige Stadt. Er war in einem der obersten Stockwerke des Pamir. Ein flockiges Wolkenmeer erstreckte sich vielleicht fünfzig Meter unter ihm, hier oben, wo er jetzt stand, strahlte die Sonne hingegen wie zu Hause im Ferghana-Tal, und der Himmel schien tatsächlich ganz nah zu sein.

Eine Feuerleiter war nirgends zu sehen. Dies war nur ein Aussichtsbalkon, eine Art Raucherecke. Den Ausgang zum Korridor versperrten bereits die Wachleute, hinter denen er schemenhaft Menschen in grüner Kleidung erkannte.

Mit der Geschicklichkeit eines Affen erklomm Abdurrahim die hohe Brüstung und erstarrte. Er stellte sich vor, wie es sein würde, in das Wolkenmeer einzutauchen.

»Na, na, machen Sie mir keine Dummheiten!« Der General hob beschwichtigend die Hand. »Ich bitte Sie, wir sind doch keine Unmenschen.«

Krotow, der bereits ein Bein aus dem Fenster geschwungen hatte, hielt erwartungsvoll inne.

»Fünfzig Prozent vom Umsatz sowie freiwillige Sachspenden« – der General zwinkerte ihm zu – »an die Veteranenstiftung der Sondereinsatzgruppen. Dort findet Ihr Angebot sicher reißenden Absatz.«

»Fünfzig?«, fragte Krotow misstrauisch.

»Das ist doch ein christliches Angebot, oder? Der Präsident hat uns ja ausdrücklich verboten, die Geschäftswelt zu belästigen – das haben Sie doch auch gehört, oder? Leben und leben lassen, das ist unser Motto.«

»Ich bin nicht …«

»Glauben Sie mir, von der Zusammenarbeit mit uns können Sie nur profitieren. Was machen Sie zum Beispiel derzeit mit Ihren Abfällen? Also mit all dem, was nach der Organentnahme übrig bleibt?«

»Wir …«

»Keine Sorge, war nur eine rhetorische Frage. Meine Leute haben mir auch dazu Informationen zukommen lassen. Sie haben eine Schawarma-Kette aufgekauft, und dort verwerten Sie das Zeug. Ich bitte Sie, Arkadi Petrowitsch: Das geht doch nur bis zur ersten ernsthaften Kontrolle gut. Wir dagegen arbeiten schon lange und erfolgreich mit dem Mikojan-Fleischkombinat zusammen. Die werden nicht kontrolliert, das dürfen Sie mir glauben.«

Krotow nickte mechanisch, wischte sich die Hände an den Hosenbeinen trocken und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Währenddessen kamen auch die beiden Beamten von der Toilette wieder – sichtlich aufgeräumt scherzten sie miteinander und boxten einander in die Seite.

»Erstaunliche Toiletten haben Sie da«, bemerkte der Brillenträger. »Der Touchscreen und das Bidet mit der automatischen Strahlsteuerung! Sie sind Ihrer Zeit voraus, Arkadi Petrowitsch, ohne Scherz!«

»Sagen Sie mal, Arkadi Petrowitsch«, schaltete sich der Glatzkopf ein. »Wollen Sie nicht zu uns in die Partei? Wir brauchen doch auch frisches Blut!«

Und zwinkerte ihm zu.

Krotow nickte ergeben. Schon wollte er sich für die Einladung bedanken, doch da …

… huschte etwas Großes, Schwarzes draußen vor dem Fenster vorbei, begleitet von einem gellenden Schrei, der sogleich wieder verstummte. Arkadi Petrowitsch zuckte zusammen und ging in die Hocke, die Beamten tauschten Blicke.

Der General zog einen kleinen Bleistift hervor und vermerkte etwas in seinem Notizblock.

»Das geht zum üblichen Tarif«, versicherte er Krotow. »Nun entspannen Sie sich doch. Ende gut, alles gut!«

From Hell

»Michail Semjonowitsch! Wachen Sie auf! Es gibt da etwas …«

Der Assistent schüttelte Professor Gotlib an der Schulter. Der drehte sich ächzend auf die andere Seite. Was konnte es auf dieser sinnlosen, stümperhaft durchgeführten Expedition schon geben? Höchstens blutgierige Schnaken, die imstande waren, eine Kuh in zehn Minuten komplett auszusaugen. Mücken, groß wie eine wohlgenährte Promenadenmischung. Schweiß und Wodka. Staub, Dreck und Steine. Mehr nicht.

Was hatte er sich da auf seine alten Tage bloß eingebrockt?

»Hau ab«, schnauzte Gotlib den Assistenten an, doch dieser gab nicht auf.

»Michail Semjonowitsch! Der Bohrer ist durchgestoßen! Und wir haben etwas gefunden!«

Der Professor öffnete die Augen. Durch die Zeltplane drangen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Am Kopfende seiner Schlafstatt lag ein angebrochenes Päckchen Analgin, daneben stand ein geschliffenes Wasserglas. Dort lag auch das Schreibheft mit seinen theoretischen Ausführungen.

Sobald die Expedition vorbei war, würde Gotlib diese karierten Seiten schreddern, sie dann mit Sonnenblumenöl anmachen und verspeisen. Schade um all die vergeudete Zeit. Brächte er den Mut auf, seine Theorien in der Akademie der Wissenschaften vorzustellen, würden ihm seine wissenschaftlichen Opponenten seine Notizen anders verabreichen: rektal.

»Michail Semjonowitsch!« Der Assistent klang jetzt verzweifelt. »Die Leute haben die ganze Nacht durchgearbeitet. Sie haben Sie extra so lang wie möglich schlafen lassen, aber als ihnen klar wurde, was sie da gefunden haben …«

Der Professor war endlich wach.

»Was haben sie denn gefunden?«

»Wir wissen es nicht!«

Gotlib setzte sich auf, schlang fröstelnd die Arme um seine behaarten Schultern und atmete tief durch.

»Also gut. Geh schon mal vor. Ich komm gleich nach, muss mich nur schnell anziehen.«

Die hatten doch nicht wirklich das gefunden, weshalb diese idiotische Expedition überhaupt stattfand? Wegen dieser Expedition hatte er sich mit seiner Frau zerstritten. Hatte eine Verschlechterung seiner chronischen Prostatitis und seines Wirbelsäulenleidens in Kauf genommen, obwohl er im Verlauf der letzten zwanzig Jahre einigermaßen gelernt hatte, friedlich mit beiden zu koexistieren. Wegen dieser Expedition hatte Gotlib beschlossen, die geruhsame Büroarbeit aufzugeben und sich erneut ins Feld hinauszuwagen. Und wozu?

Na, doch wohl deswegen, weil dieser ziemlich erfolgreiche und anerkannte, russisch-sowjetische Doktor der geologisch-mineralogischen Wissenschaften namens Professor Michail Semjonowitsch Gotlib mit seiner Lage ganz und gar nicht zufrieden war.

Gotlib zog die Hose an, setzte sich die Brille auf die Nase – was ihn wie Kissinger aussehen ließ –, stülpte sich das Mückennetz über den Kopf und drückte seine schweren Beine in die Gummistiefel. Die ganze Feldromantik konnte ihm gestohlen bleiben! Die Last des Alters: Je weniger man imstande war, den Schädel hin und her zu drehen, desto mehr verging einem die Lust, sich in der Welt umzusehen. Außerdem war sein Büro doch so bequem und gemütlich! Dort war es warm, es gab weder Zecken noch Mücken, das Klo war zehn Schritte den Gang runter, und wenn man sich einen Tee machen wollte, musste man niemanden losschicken, um Wasser aus dem Fluss zu holen.

In diesem Büro hatte er auch seine bislang wichtigste Entdeckung gemacht: eine möglicherweise neue Bruchstelle in der Erdkruste. Wenn er mit seiner Hypothese recht hatte, würde das heutige Staatsgebiet Russlands in nur drei bis vier Millionen Jahren auseinanderbrechen – und es würden zwei neue Kontinente entstehen! Eine Frage von gesamtstaatlicher Bedeutung.

Aber für so einen Affront würden ihn die Hohepriester der Akademie sofort kreuzigen. Es sei denn, er legte irgendwelche Beweise vor. Gesteinsproben zum Beispiel. Zeugnisse von Prozessen, die sich bereits jetzt vollzogen, wenn auch in großer Tiefe.

Einen Tag nach seinem Jubiläum – er hatte seinen Fünfundsiebzigsten gefeiert – traf er endlich den Entschluss. Mit größter Sorgfalt berechnete er den Standort, wo sich der gesuchte Punkt befinden musste, verabredete sich mit einem alten Freund, der es als Experte für geologische Prospektion bis zum Direktor eines Bergbaukonzerns gebracht hatte, machte eine staatliche Finanzierung klar, verkrachte sich mit seiner Frau, packte einen halben Koffer voller Medikamente, wälzte sich drei Tage lang im Zugabteil herum, ratterte weitere drei Tage lang mit einer Minsk M1A (dem Sowjetklassiker unter den Motorrädern, im Volksmund »Ziegenbock« genannt) über Stock und Stein – und hing nun bereits seit einem halben Jahr in der sibirischen Pampa herum. Ohne auch nur das Geringste erreicht zu haben.

»Wahnsinn, Professor! Schauen Sie sich das an!«

Hatten sie etwa ein Stück von einem Mammut ausgebuddelt? Oder von einem Trilobiten? Gotlib schlug die Zeltbahn beiseite, schlurfte an den Security-Leuten vorbei hinter den Palisadenzaun – es gab in der Taiga außer Mücken und Zecken ja noch anderes, deutlich größeres Getier – und blieb am Eingang zum Schacht stehen.

Ringsum standen Arbeiter und Geologen, auch ein Wachmann hatte hier mit einer Doppelflinte Stellung bezogen. Die Leute flüsterten verängstigt miteinander und deuteten mit ihren Fingern …

Was war da bloß? Gotlib drängte sich durch die Menge ins Innere des Kreises.

In der Mitte lag, mit ihren riesigen, ledrigen Flügeln zuckend, eine widerliche Kreatur. Unter dem zerquetschten, platten Schädel hatte sich eine Lache aus schwarzem Blut gebildet. Die grünen Augen mit ihren schmalen, horizontalen Pupillen blickten starr, aber die Lider senkten und hoben sich noch, und auch der Brustkorb des Wesens weitete sich hin und wieder mit einem tiefen Seufzer.

»Den hat Nikita abgeschossen«, teilte der Assistent mit und deutete mit dem Kopf auf einen der Wachleute – der offensichtlich gern mal einen zu viel im Tee hatte.

»Ich dachte erst, das is ’n Hörnchen«, stotterte Nikita und wischte sich die Hände an seinem Seemannshemd ab. »Na ja, so ’n Eichhörnchen halt.«

Der Professor näherte sich der Kreatur und drückte das Gummiende seines Stocks dagegen.

»Wo ist das hergekommen?«, fragte er.

»Aus dem Schacht.«

Das kam von einem der Arbeiter. Gotlib wandte sich nach der Stimme um.

»Und wie, mit Verlaub, ist es in den Schacht gekommen?«

»Es … war schon vorher da«, antwortete der Mann. »Wir haben es befreit.«

»Ausgeschlossen«, entgegnete der Professor bestimmt. »In einer Tiefe von drei Kilometern? Das ist unwissenschaftlich!«

Die Bestie zuckte zusammen, hob den Kopf und richtete ihre waagerechten, ziegenartigen Pupillen, die so gar nicht zu der widerwärtigen Fratze passen wollten, auf Gotlib. Das Maul öffnete sich, gespickt mit unzähligen rasiermesserscharfen Haifischzähnen, und die Kreatur … begann zu lachen.

Es war ein grässliches, unmögliches Geräusch: halb Pferdewiehern, halb Hammelblöken, und in einer so tiefen Tonlage, wie sie keine menschliche Kehle hätte erzeugen können. Als das Wesen ausgelacht hatte, kippte der Kopf wieder zurück, und es krepierte. Nur wenige Minuten später stieg die Sonne endgültig hinter dem Hügel auf. Als ihre Strahlen auf den Kadaver trafen, begann sich dieser qualmend aufzulösen.

»… unwissenschaftlich«, wiederholte Gotlib, während er durch seine angelaufene Brille auf die braune Pfütze starrte.

»Russland unterstützt Iran bei AKW-Bau«, verlautbarte die Nachrichtenzeile, die unten über den Bildschirm kroch. Der Sprecher bewegte die Lippen, doch die Fernseher waren stummgeschaltet.

Weiß der Teufel, was das schon wieder soll, dachte der Professor kopfschüttelnd. Lohnt sich das für uns? Für die paar Milliarden? Verstehen die nicht, dass der gesamte Nahe Osten draufgeht, wenn es dort knallt? Aber trotzdem danke für die Information. Lenkt mich wenigstens ein bisschen ab.

Besonders in diesen Minuten erzwungenen Nichtstuns, während er darauf wartete, dass sein Flug aufgerufen wurde, kam Michail Semjonowitsch kaum mit all den sorgenvollen Gedanken, die ihn in letzter Zeit heimsuchten, zurecht.

Dem Abflug aus dem verfluchten Irkutsker Flughafen sah er mit einiger Nervosität entgegen. Seit sie jenes seltsame Wesen entdeckt hatten, schien auf der Expedition ein merkwürdiger Fluch zu liegen: Der Wachmann war im Suff ertrunken; die Schachtarbeiter waren am Ende der nächsten Schicht in die Taiga abgehauen und dort spurlos verschwunden; einer der Geologen war über Nacht mondsüchtig geworden und plötzlich, schlafwandelnd und mit einem Beil bewaffnet, vor dem Zelt des Professors aufgetaucht.

Dass dies ein unheilvoller Ort war, hätte man aber schon früher erkennen können.

Zum Beispiel als sich herausstellte, dass sich genau an der Stelle, wo Gotlib seine Probebohrungen machen wollte, bereits ein alter Schacht befand. Wer diesen wann ausgehoben hatte, ließ sich nicht mehr feststellen, spätestens musste es aber zur Zeit des Sibirieneroberers Jermak gewesen sein, also irgendwann im 16. Jahrhundert. Im Schacht waren sie auf Knochen gestoßen – vollkommen ausgebleicht, aber zweifelsohne von Menschen.

Der Vorarbeiter, einer aus der lokalen Bevölkerung, bat den Professor daraufhin mit finsterer Miene um ein vertrauliches Gespräch. Darin warnte er ihn, dass man hier besser nicht bohren solle, wenn Gotlib aber darauf bestehe, so seien seine Leute nur zum doppelten Tarif dazu bereit. Der Professor handelte den Preis um siebzig Prozent herunter, und dem Vorarbeiter gelang es tatsächlich, seine abergläubischen Kollegen mit diesem Kompromiss umzustimmen. Vielleicht aber hätte Gotlib besser auf ihn hören sollen …

Dann war da die Geschichte mit dem geflügelten Wesen, für die sich einfach keine vernünftige Erklärung fand.

Und dann …

Und dann hing der Bohrer plötzlich über einem Abgrund. Einem riesigen, grenzenlosen Hohlraum. Man hätte es als eine Art Grotte bezeichnen können – wenn man außer Acht ließ, dass es in dieser Tiefe eigentlich keine Grotten geben konnte. Schon allein diese Entdeckung garantierte dem Professor gewissermaßen Unsterblichkeit.

Nur: Wie sollte er das jetzt beweisen – nachdem der Vorarbeiter mit einer Kiste Dynamit in den Schacht eingestiegen war und sich in einem Kilometer Tiefe in die Luft gejagt hatte?

Jetzt gab es da nichts mehr, was als Beweis hätte dienen können.

Ganz zu schweigen von der eigentlichen, wahrhaft erschütternden Entdeckung, die sie kurz darauf gemacht hatten. Der Professor, ein Atheist sowjetischer Prägung und – es ging ja gar nicht anders – Kosmopolit, hielt ein kleines Heiligenbild umklammert. Nein, das durfte er mit keiner Silbe erwähnen.

»Irkutsk-Moskau, Boardingkarten bereithalten!«, verkündete eine Wasserstoffblondine in konservativer Uniform pampig.

Gotlib presste verstohlen das Heiligenbild an seine Lippen. Es wäre ihm peinlich gewesen, hätten ihn seine Kollegen dabei ertappt, wie er eine Ikone küsste. Obwohl angeblich sogar Einstein gläubig gewesen war … Na und, sollten sie es doch sehen! In diesem speziellen Fall war es wirklich nicht verkehrt, sich vor dem Flug noch mal abzusichern.

Und was erwartete ihn in Moskau? Wo sollte er sich hinwenden, mit dieser dünnen Beweislage? Was waren all die Zeugenaussagen der Geologen noch wert, wenn die Hälfte des Teams in Zwangsjacken die Heimreise antrat? Das Einzige, was Gotlib jetzt noch vorweisen konnte, waren Audiodateien: Sie hatten nämlich Mikrofone an Echolote montiert und in den Abgrund hinabgelassen. Vorausgesetzt, dass die Dateien auf dem Heimflug nicht beschädigt wurden, verfügte er jetzt über Aufnahmen von grausigem – erschreckend menschenähnlichem – Geschrei, vermischt mit dem Brüllen irgendwelcher Ungeheuer.

Das war ein bisschen zu dürftig, um die gesamte Wissenschaft auf den Kopf zu stellen. Sicherlich nicht ausreichend, um Gotlibs Entdeckung zweifelsfrei zu untermauern.

Dabei hatte er doch die Unterwelt entdeckt!

»Opa, Telefon für dich!«, rief Alissa.

»Danke, Liebes, komme schon!«

Michail Semjonowitsch riss sich nur unwillig von seinem alten PC los. Er dachte einen Augenblick nach, dann druckte er die Seite aus, legte sie auf den Stapel und beschwerte diesen mit einem Bruchstein aus Selenit. Er hatte bereits ein ziemlich beeindruckendes Paket zusammen.

Es würde sein Kreuzzug gegen die Akademie der Wissenschaften werden. Die alten Sesselfurzer sollten auf dem Scheiterhaufen der Inquisition brennen! Und eine Inquisition war jetzt unvermeidlich. Aber dazu brauchte man ja nur die Stoßrichtung einer gewissen heute noch agierenden Organisation, die sich in Sachen Hexenjagd bestens auskannte, leicht zu verschieben.

Er musste nicht weit gehen: aus seinem Arbeitszimmer, vollgestopft mit Mineralienproben und vollgehängt mit Landkarten (in dem aber trotzdem noch genügend Platz war für ein rumänisches Doppelbett, Spanplatte in Nussbaumoptik) in das andere, das Wohnzimmer sozusagen (weil dort der Fernseher stand und ein aserbaidschanischer Teppich ausgelegt war, wenn auch ansonsten überall dieselben Mineralien und Landkarten herumlagen bzw. -hingen).

»Gotlib«, meldete er sich.

»Michail Semjonowitsch«, knisterte aus dem Hörer eine leblose Stimme. »Wir raten Ihnen, Ihre Arbeit unverzüglich einzustellen.«

»Was zum Teufel?«, entrüstete sich der Professor. »Wer spricht da?«

»Hier ist die Alexejew-Klinik für Psychiatrie«, raschelte es bedrohlich am anderen Ende der Leitung. »Einer Ihrer Kollegen ist derzeit bei uns in Behandlung …«

»Ihr macht mir keine Angst!«, brüllte Gotlib. »Hört ihr? Ihr macht mir keine Angst!«

Aus dem Hörer drang leises Lachen.

Alissa, die gerade, begleitet vom TV-Programm, aus den Bänden der Großen Sowjetischen Enzyklopädie von 1935 ein Haus für ihre Puppen baute, starrte ihren Opa erschrocken aus großen, blauen Augen an.

»Moskau wendet sich entschieden gegen die Verhängung von Sanktionen gegen Nordkorea«, tönte der Fernseher durch die Stille. »Das nordkoreanische Volk, so das russische Außenministerium in einer Erklärung, habe das uneingeschränkte Recht auf eine eigene, friedliche Nutzung der Kernkraft. Pjöngjang habe immer wieder deutlich gemacht, dass es sich dem Friedensprozess verpflichtet fühle, und habe sich als zuverlässiger, berechenbarer Partner erwiesen.«

Was soll das, dachte Gotlib genervt. Dass die jetzt auch noch hier weitermachen … Aber vor allem, wo unsere Leute schon wieder ihre Nase reinstecken! Wozu brauchen die das bloß?

»Michail Semjonowitsch«, brachte sich die Stimme in Erinnerung. »Sollten Sie auf die Idee kommen, mit Ihrem Manuskript irgendwohin zu gehen, lassen wir Sie sofort von einer Ambulanz abholen.«

»Sie können mich nicht einschüchtern!«, entgegnete Gotlib.

»Oh doch, können wir«, versicherte die Stimme.

Dann tutete es nur noch.

»Opa«, fragte Alissa und berührte sein Knie. »Geht’s dir gut?«

»Na ja … Nicht besonders.«

Gotlib war unfähig, sich aus dem Sessel vor dem Fernseher zu erheben.

»Im Leben der Rentnerin Nina Nikolajewna ist alles in Ordnung.« Die Kamera fuhr durch eine geräumige Dreizimmerwohnung. »Diesen Monat wird jedoch ihre Rente um sieben Komma drei Prozent erhöht. Es wird also alles noch viel besser!« Eine ältere Dame kam ins Bild. Straff und rosig saß sie in ihrer putzigen, gemütlichen Küche und genoss sichtlich ihren Tee.

»Opa«, sagte Alissa mit ernster Stimme. »Ich möchte dich was fragen. Warum ist im Fernseher immer alles so bunt? Warum geht es dort allen so gut? Gibt es das denn überhaupt?«

»In diesem Jahr werden die Mittel zur Unterstützung der Wissenschaft um siebzehn Prozent erhöht«, versprach die Glotze in diesem Moment. »Unser Korrespondent Iwan Petrow hat im Raumfahrt-Forschungszentrum der Stadt Koroljow vorbeigeschaut und sich die neuesten Technologien vorführen lassen. Die berühmte Gagarin-Zentrifuge wird hier zur Therapie von Wirbelsäulenleiden verwendet …«

»Das, liebe Alissotschka, hat damit zu tun«, antwortete Gotlib zerstreut, »dass der Fernseher ein Fenster ist, das in eine andere Welt führt. In das magische Land hinter den Spiegeln. Da sieht alles fast genauso aus wie hier, nur ist alles anders. Dort sind alle Menschen glücklich, und alles gelingt ihnen. Und alle haben genug Geld.«

»Das ist aber unwissenschaftlich.«

Alissa rümpfte die Nase, und der Professor seufzte.

»Eine andere Erklärung gibt es nicht.«

»Opa«, fuhr das Mädchen nach einer Weile fort, »kann man irgendwie in dein Land hinter den Spiegel gelangen? Nur für eine Minute?«

»Man muss dafür nur sehr, sehr fleißig lernen«, log Gotlib. »Also dann, mein Liebes, ich geh noch ein wenig arbeiten …«

»Inzwischen ist in Russland das weltweit größte Erdgasvorkommen entdeckt worden«, verkündete der Nachrichtensprecher. »Die Reserven des Gasfelds Sachalin-4 belaufen sich nach vorläufigen Schätzungen auf über 1,5 Billionen Kubikmeter. Wie das Unternehmen Gazprom mitteilte …«

Das ist es, dachte Gotlib finster. Hätte er doch von der Tektonik die Finger gelassen und wäre stattdessen von der geologischen Erkundung in den Erdgassektor gewechselt. Dann säße er jetzt nicht in dieser schäbigen Zweizimmerwohnung in Tschertanowo fest, sondern lebte in einer herrschaftlichen Villa an der Rubljowka und bekäme keine Anrufe aus der Klapsmühle, sondern von der Präsidialverwaltung – um ihm Orden zu verleihen für seine Verdienste um die Heimat. Auch unter Geologen soll es ja glückliche Menschen geben.

Doch für Michail Semjonowitsch war es jetzt zu spät, an diesen Türen anzuklopfen. Das Leben war vorbei, sämtliche Entscheidungen hatte er bereits vor Jahrzehnten getroffen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu kämpfen. Auf seinem Recht zu beharren. Es zu beweisen. Selbst wenn er keine Beweise hatte.

Alissa aber blieb noch lange bei ihren Puppen sitzen. Dann stand sie auf und ging zum Fernseher hinüber, um nachzusehen, was sich auf der anderen des Apparats befand. Vielleicht ja eine kleine Tür?

»Im Zuge eines einzigartigen, erstmals in dieser Form durchgeführten Tiefbohrexperiments stellte unser Forschungsteam fest, dass bei Perforation der Erdkruste in einer Tiefe von mehr als dreitausend Metern – entgegen allen bis dato angestellten Prognosen sowie der allgemein vorherrschenden Meinung – weder eine äußere noch eine mittlere noch eine innere Erdkruste aus metamorphem oder magmatischem Gestein zutage tritt. Stattdessen öffnen sich in der genannten Tiefe gigantische Hohlräume, die das Habitat einer überaus eigenartigen Fauna darstellen. Wir haben somit allen Grund anzunehmen, dass unser Team auf jenen Ort gestoßen ist, der in der Mythologie verschiedener Völker als ›Hölle‹ bezeichnet wird.«

Kein schlechter Einstieg, oder?

Dazu 130 Seiten Bericht vom Verlauf der Expedition, ein paar Fotos (von miserabler Qualität) sowie Audioaufnahmen und Gesteinsproben. Gotlib ließ noch einmal den Blick über das Ergebnis seiner Arbeit schweifen, dann packte er alles sorgfältig in seinen abgenutzten Aktenkoffer und blickte aus dem Fenster.

Direkt gegenüber dem Hauseingang parkte ein Intensivtransportwagen – ein nagelneues Importfahrzeug, beige lackiert und an den Seiten orange gestreift. Normalsterbliche wurden mit so einem Prachtstück nicht abgeholt, damit kutschierte man die Gerechten ins Paradies … oder in die entgegengesetzte Richtung.

Der Wagen galt doch nicht etwa ihm?

Der Professor dachte fieberhaft nach, dann rüttelte er Alissa wach (zum Glück war seine Frau gerade Brot kaufen, konnte also nicht dazwischenfunken), half seiner Enkelin beim Anziehen, packte ihr den Schulranzen auf den Rücken (sie kam demnächst in die Vorschule) und stopfte seinen Bericht mit den Fotos dort hinein. Die Gesteinsproben verteilte er auf seine Manteltaschen, zog sich seinen Schal bis über die Nase und trippelte mit dem schlaftrunkenen Mädchen die Treppe hinunter. Vielleicht konnte er ihnen so vorgaukeln, dass er das Mädchen in den Kindergarten brachte. Verzeih mir, kleine Alissa.

Er trat hinaus in die große weite Welt und peilte sofort die Haltestelle an.

Der ITW sprang mit aufblitzenden Scheinwerfern an und folgte ihm langsam.

Sie erreichten gerade noch ein Sammeltaxi, das eben losfahren wollte. Der Rettungswagen kroch ihnen im morgendlichen Stau hinterher. Seine Frontscheibe war blickdicht verdunkelt.

Sie erreichten die Metrostation, tauchten in die Menge ein, ließen sich mit der Menschenmasse durch den Fleischwolf beim Rolltreppenschacht drehen, drängten sich irgendwie zum Bahnsteig durch und bestiegen den erstbesten Zug. Hektisch sah sich Gotlib nach allen Seiten um. Die Gesichter der Fahrgäste waren wie immer, zugeknöpft, in sich versunken. Wie es aussah, waren sie entkommen. Fürs Erste war alles gut.

Jetzt nur noch die Akademie erreichen, zur vereinbarten Zeit den Vortrag halten, sich den Opponenten gegenüber irgendwie rausreden – danach konnte wegen ihm alles in Flammen aufgehen. Hauptsache, sie ließen ihn ans Rednerpult. Sollten sie ihn anschließend ruhig abholen und in die Alexejew-Klinik bringen. Oder gleich an einen noch aus Sowjetzeiten berüchtigten Ort: das Serbski-Institut für forensische Psychiatrie.

Plötzlich klingelte das Mobiltelefon in seiner Tasche. Seine Frau! Sie war sicher schon vom Einkauf zurück, hatte die Wohnung leer vorgefunden, er hatte ja nicht mal einen Zettel hinterlassen … War also besser, wenn man ihn ins Serbski-Institut steckte, da kam sie nicht an ihn ran. Andernfalls würde sie ihm wegen Alissa das Leben zur Hölle machen. Und das vollkommen zu Recht.

Aber wieso hatte er auf einmal in der U-Bahn Empfang, noch dazu auf dieser gottverlassenen Linie? Offenbar war es seiner Frau sehr dringend. Jemand anders konnte es nicht sein, denn nur sie kannte diese Nummer. Gotlib zog das Handy aus der Manteltasche.

Unbekannte Rufnummer.

»Natalja?«, schrie er ins Telefon und schirmte den Mund mit einer Hand gegen das laute Schlagen der Gleise ab.

»Michail Semjonowitsch.« Eine unbekannte, markige Baritonstimme übertönte die Kakofonie des U-Bahn-Waggons. »Entschuldigen Sie die Störung. Ich rufe im Auftrag von Gazprom an.«

»Von wem?«, fragte der Professor mit aufgerissenen Augen.

»Von Gazprom«, wiederholte der Fremde. »Wir würden Ihnen gern anbieten, für uns zu arbeiten.«

»Mir? Warum ausgerechnet mir?«

»Wir haben von Ihrem einzigartigen Tiefbohrexperiment gehört«, erläuterte der Anrufer bereitwillig. »Daher sind wir der Meinung, dass Sie uns als Berater wertvolle Dienste leisten könnten. Würde Sie so ein Angebot interessieren?«

»Ich …« Gotlib wechselte das Ohr – er glaubte, den brennend heißen Atem des Fremden zu spüren. »Ja, natürlich interessiert mich das!«

»Sagen Sie, Michail Semjonowitsch«, bat die Stimme schmeichelnd, »könnten Sie nicht bei uns im Büro vorbeikommen? Wir tagen hier gerade und diskutieren Ihre Kandidatur. Neben ein paar anderen. Aber wenn Sie, sagen wir, in einer halben bis einer Stunde hier eintreffen könnten, würden wir die anderen Anwärter gar nicht erst berücksichtigen …«

»Tut mir leid, ich kann jetzt nicht!«, schrie Gotlib. »Ich bin unterwegs zu einem wichtigen Vortrag.«

»Michail Semjonowitsch.« Die Stimme klang jetzt strenger. »Wir würden wirklich gern noch vor Ihrem Vortrag mit Ihnen reden. Habe ich Ihnen schon gesagt, wie viel ein Berater bei uns verdient? Das Gehalt beträgt in der Regel fünfzehntausend Dollar im Monat, ein Experte Ihres Kalibers allerdings …«

»Ich kann nicht«, sagte Gotlib bestimmt. »Erst der Vortrag, dann komme ich zu Ihnen. Anders geht es nicht.«

»Das glauben Sie«, entgegnete der Unbekannte.

Plötzlich erwachte der Professor wie aus einer Trance.

»Woher haben Sie eigentlich diese Nummer?«

»Von Ihrer Gemahlin, Michail Semjonowitsch«, antwortete der Mann hörbar grinsend. »Sie lässt Sie übrigens herzlich grüßen.«

Gotlib spürte, wie Eiseskälte sein Inneres erfasste. Warum zum Teufel ist der Empfang hier unten bloß so gut, fragte er sich erneut.

»Es ist ja unsere ureigene Interessens- und Einflusssphäre«, fuhr die Stimme fort, gleichsam als Antwort auf seine unausgesprochene Frage, aber dann auch wieder nicht. »Sie brauchen sich also nicht zu wundern, Michail Semjonowitsch. Wir sehen uns.«

Wollte ihn da jemand unter Druck setzen? In der Sowjetzeit, ja, damals hatten sie noch gewusst, wie man das macht!

Kommt nicht infrage, redete Gotlib sich zu. Erst der Vortrag, wie geplant, dann alles andere. Die Ehefrau retten, den Versuchungen widerstehen, gegen die Psychiater ankämpfen – all das konnte warten. Den Musen galt es ohne Hast zu dienen.

Er wusch sich mit kaltem Wasser in der schäbigen Toilette (die Mitglieder der Akademie nutzten diese auch als Raucherecke), nahm seine Enkelin an der Hand und machte sich auf in den Kampf.

Der Saal war halb leer.

»Da unten hat jemand einen Zettel ausgehängt, dass der Vortrag ausfällt!«

Professor Sinizyn, einer von Gotlibs wenigen Verbündeten in diesem Schlangennest, breitete die Arme aus.

»Das hätten die wohl gern«, kommentierte Gotlib finster. »Bitte passen Sie einstweilen auf das Mädchen auf, Pjotr Iwanytsch.«

Michail Semjonowitsch trat ans Rednerpult, blickte tapfer der vielköpfigen akademischen Hydra entgegen, legte störrisch den Kopf in den Nacken und begann.

»Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein heutiger Vortrag entspricht nicht mehr ganz dem eigentlich angekündigten Thema. Was ich Ihnen heute berichten werde, ist noch revolutionärer als gedacht. Wie einige von Ihnen wahrscheinlich wissen, habe ich vor Kurzem eine Expedition ins Gebiet Irkutsk unternommen, zu der von mir vermuteten Bruchstelle, die der Beginn einer neuen tektonischen Plattengrenze sein könnte.«

Ein Flüstern erhob sich im Auditorium.

»Doch dann haben meine Mitarbeiter eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Viele von ihnen haben dies mit ihrem Verstand bezahlt, manche sogar mit ihrem Leben. Im Zuge eines einzigartigen, erstmals in dieser Form durchgeführten Tiefbohrexperiments stellte unser Forschungsteam fest, dass bei Perforation der Erdkruste in einer Tiefe von mehr als dreitausend Metern …«

Seine Kehle fühlte sich trocken an. Im Saal herrschte gebanntes Schweigen.

»Liebe Kollegen … Freunde … Wir haben die Unterwelt entdeckt!«

Hinter dem dicken Glas seiner Kissinger-Brille kniff Gotlib die Augen zusammen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig …

»Schande!«, brüllte jemand. Wahrscheinlich Akopjan.

»So was hören wir uns nicht länger an!«

Das war Schmeschkewitsch.

»Das ist eine Provokation!«

Lasutkin.

Gotlib holte tief Luft und rief: »Ich bitte Sie, hören Sie sich den Vortrag bis zum Ende an!«

»Dem gehört der Titel aberkannt!«

»Pseudowissenschaft!«

»Obskurantismus!«

»Werft ihn aus der Akademie!«