Geschichten, die Mut machen - Leo F. Aichhorn - E-Book

Geschichten, die Mut machen E-Book

Leo F. Aichhorn

0,0
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die heutige Jugend steht vor großen Herausforderungen durch die Digitalisierung, Globalisierung und Ökologisierung. Die Auswirkungen sind ebenso weitreichend, wie sie den Generationen im 20. Jahrhundert durch Weltkriege, Wiederaufbau und Hungerjahre abverlangt wurden. Letztere schafften es, weil sie an sich glaubten und der Wandel alternativlos war. Die hier beschriebenen Geschichten erlauben einen selektiven Einblick in das Landleben und seine Veränderungen in der zweiten Jahrhunderthälfte. Gleichfalls wird der soziale Aufstieg mit Höhen und Tiefen anschaulich dargestellt. Die Erzählungen zeigen aber auch, dass im Leben nicht alles konfliktfrei abläuft und der Humor trotzdem wichtig ist. Vor allem sollen die Storys all jenen Mut machen, die glauben vor unlösbaren Problemen zu stehen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 361

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Impressum 3

Zitat 4

Gedanken zum Buch 5

Landleben im 20. Jahrhundert 7

Mit der Familie auf Wanderschaft 14

Der Wiederaufbau 21

Maschinen erobern die Landwirtschaft 25

Jahrhunderthochwasser 1954 28

Die bescheidenen Bildungsmöglichkeiten 31

Eröffnung des Kirchenwirtes 34

Kinderarbeit infolge Landflucht 45

Jugendliche brauchen Freunde 53

Landwirt als Berufung? 61

Bauernhof ist kein Streichelzoo 71

Freizeitverhalten am elterlichen Betrieb 78

Unterhaltung als Teenager 83

Bildungsmöglichkeiten für Landarbeiter 88

Militärdienst als Neustart 92

Arbeitssuche mit falscher Qualifikation 106

Von der Schreibkraftzum Straßenbauer 111

Die Bedeutung von Mädchenfreundschaften 121

Familiengründung 124

Der Weg zum Eigenheim 129

Hochzeit der anderen Art 132

Zusammenhalt durch äußeren Druck 137

Ruf der Öffentlichkeit 144

Neuorientierung am Campus 153

Mit Handicaps zurück ins Leben 161

Berufliche Veränderung 166

Neu gewonnene Freizeit 173

Das Familienleben 188

Der Anfang vom Ende 194

Start in eine ungewisse Zukunft 200

Abschied vom Berufsleben 206

Leben als Single 209

Die große Liebe kam zuletzt 214

Match made in Jamaica 235

Das Leben in vergrößerter Familie 246

Schlussbetrachtung 254

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-057-1

ISBN e-book: 978-3-99130-058-8

Lektorat: Tobias Keil

Umschlagfoto: Wanchai Yoosumran, Nemar74 | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Leo F. Aichhorn

www.novumverlag.com

Zitat

Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen?

Georg Christoph Lichtenberg1

Claudia

One Love

Hinweis: In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

1 Georg Christoph Lichtenberg war ein dt. Physiker, Naturforscher, Mathematiker, Schriftsteller im 18. Jahrhundert.

Gedanken zum Buch

Aus den zahlreichen Gesprächen mit meinen studierenden Enkeln ist mir aufgefallen, dass ihnen das Leben der Menschen im vorigen Jahrhundert weitgehend unbekannt ist. Aber woher sollten Jugendliche wissen, wie die Menschen in ihrem Kulturkreis früher ohne Autos, Flugreisen, Fernseher, Computer und Streaming-Angebote leben konnten? In meiner Kindheit und Jugendzeit war das anders. Schon in jungen Jahren war ich ein aufmerksamer Zuhörer und Beobachter von zahlreichen Geschichten und Erlebnissen auf dem Gast- und Bauernhof meiner Eltern. Der Gasthof war seit jeher ein Veranstaltungslokal für Selbstdarsteller und Therapiezentrum für all diejenigen, denen es gerade nicht so gut ging und die sich am Biertisch Ratschläge und Trost von ihren Zeitgenossen holten. Besonders die Erzählungen der älteren Generation zu meiner Teenagerzeit hatten es mir angetan, reichten sie doch aus Berichten ihrer Eltern oder aus eigenen Erlebnissen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Die Landwirtschaft war schwer und entbehrungsreich und prägte das traditionsreiche und gesellschaftliche Leben am Land. Das vergangene Jahrhundert mit seinen zwei Weltkriegen, den politischen Umstürzen und den Hungerjahren hatte den Menschen, die diese schreckliche Zeit überlebten, alles abverlangt. Mit den Geschichten über die Arbeitsprozesse und das gesellschaftliche Leben der Landbevölkerung will ich mehr Verständnis für deren damaliges Verhalten schaffen und den Lesern eine objektivere Einschätzung unserer Vergangenheit ermöglichen. An einigen Beispielen will ich aufzeigen, dass der Wille ein entscheidender Faktor für das Erreichen von Zielen ist. „Wer will, der kann, wer nicht will, muss.“ Dieses Zitat ist mehr als 2.000 Jahre alt und stammt von Lucius Annaeus Seneca, dem meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Mit seinem Lied You can get it, if you really want wollte Jimmy Cliff 1970, und später viele andere Interpreten, den Menschen ebenso Mut machen, wenn sie nicht mehr weiterwissen und glauben, vor unlösbaren Problemen zu stehen. Aber wir sollten auch zu uns selbst ehrlich sein, wenn wir sagen, dass wir etwas nicht können und wir im Grunde genommen nicht wollen. „Geschichten, die Mut machen“ beschreiben über viele Jahre, was die Menschen in der Vergangenheit alles konnten, weil es ihnen alternativlos abverlangt wurde. Den Menschen der Vergangenheit wiederherstellen zu wollen, wäre albern. Vielmehr liegt es in unserer Macht, eine gebührende Achtung vor dem Gewesenen zu erwecken. Dieses Buch soll dazu in gewisser Weise als Zeitdokument dienen. In den folgenden Seiten finden sich neben den Geschichten auch Anregungen, die nachahmenswert und erreichbar sind oder vermieden werden sollten. Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Erklärungen dienen dem Zweck, Ursachen und Hintergründe etwas zu beleuchten. Anekdoten sollen zum Schmunzeln anregen und aufzeigen, dass Gemütlichkeit und Humor wichtige Faktoren menschlicher Zufriedenheit sind. Natürlich ist auch dieses Buch nicht frei von autobiografischen Einflüssen.

Landleben im 20. Jahrhundert

Am 5. März 1920 kam Ludwig auf einem Bauernhof in einer Nachbargemeinde von Linz, der Landeshauptstadt von Oberösterreich, auf die Welt. Die Vorfahren von ihm wurden nach der Aufhebung der Erbuntertänigkeit im Jahr 1848 Grundeigentümer des dortigen Bauernhofes und Betreiber einer eigenen Landwirtschaft. Ludwig war das dritte Kind seiner Eltern und bekam noch den jüngeren Bruder Franz, der als Hoferbe vorgesehen war. Ludwig lernte seinen Vater nicht wirklich kennen, da er krankheitsbedingt starb, als er sechs Jahre alt war. Seine Mutter führte mit ihren Kindern und dem Gesinde den Bauernhof auf den Ausläufern des Pfenningberges weiter. Der Hof war alt und mit Stroh gedeckt, nur die bescheidenen Wohnräume mit kleinen Fenstern und die Stallungen waren aus einem Gemisch von Steinen und Ziegel gemauert. Scheune und Heuboden waren aus heimischem Holz errichtet. Umgeben war das landwirtschaftliche Anwesen von hügeligen Feldern, Wald, blumigen Wiesen und zahlreichen Obstbäumen, um ausreichend Most als wichtigstes Getränk für die schwer arbeitenden Menschen verfügbar zu haben.

Im Gegensatz zum urbanen Leben in den größeren Städten des deutschsprachigen Raumes, wo im 19. Jahrhundert eine Gesellschaft aus Aristokratie, aus einer einflussreichen Kirche, einem zwischenzeitlich entstandenen Geldadel und einem gebildeten Bürgertum etwa aus Ärzten, Lehrern und Beamten bestand, sorgten auf dem Land einfach gebildete Menschen für die Produktion von Nahrungsmitteln. Bildungsmöglichkeiten und Kulturzentren waren weit weg und für die zu Fuß gehende Landbevölkerung kaum erreichbar und schon gar nicht finanziell erschwinglich. Als wichtigste Veranstaltungen am Land galten kirchliche Feiertage bzw. Festivitäten, die von den örtlichen Blasmusikkapellen umrahmt wurden. Hausmusik und Traditionen erfüllten das kulturelle Bedürfnis der Menschen auf dem Land.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren etwa drei von vier erwerbstätigen Personen in der Landwirtschaft beschäftigt. In der Mitte dieses Jahrhunderts waren es immer noch mehr als ein Drittel. Die zahlreichen und vielfältigen Arbeiten mussten mit den Händen vorgenommen werden. Und Hände konnten an einem Bauernhof nicht genug sein. Daher hatten die Menschen auf dem Land viele Kinder zur Arbeit und zur Altersversorgung. Ein Phänomen, das heute noch in vielen Entwicklungsländern zu beobachten ist.

Die Ausstattung von Bauernhöfen in der Zwischenkriegszeit war für heutige Verhältnisse unvorstellbar: Pferde und Ochsen waren die einzigen Zugtiere für Holzwägen, Pflüge und Eggen. Nutztiere wie Rinder und Schweine wurden aus baulichen Gegebenheiten meist in schwer zugänglichen Ställen gehalten, die ein Füttern und Entmisten zur Schwerstarbeit machten. Hühner, Enten und Gänse waren in den Gärten, auf dem Misthaufen und in allen Bereichen des Bauernhofes anzutreffen. Nicht selten auch in Wohnbereichen. Die hygienischen Bedingungen für Menschen waren nach heutigen Maßstäben katastrophal: Striegel und Bürsten zur Fellpflege von Pferden und Rindern waren öfter vorzufinden als Zahnbürsten. Duschen oder Baden mit Warmwasser war in Ermangelung von Badewannen und warmem Fließwasser nicht möglich. Die wöchentliche Körperreinigung erfolgte meist in der Form, dass Wasser am Holzofen erwärmt, in Lavoirs oder Bottiche gegossen wurde, wo die Menschen das Wasser zum Waschen entnahmen. Nicht selten diente das gebrauchte Wasser für einen weiteren Waschvorgang. Während der heißen Heu- oder Getreideerntezeit suchten die verschwitzten Landarbeiter auch Abkühlung in einem Bach. Mit der von zu Hause mitgenommenen Seife wurde gleichzeitig die Ganzkörperreinigung vorgenommen. Das klarfließende Wasser in den Bächen wurde von den Anwohnern auch zum Waschen ihrer Wäsche verwendet. Webereien und Färbereien nutzten die naturbelassenen Fließgewässer für ihre Produktionsprozesse ohne Abwasserreinigungsanlagen, woran noch die Namen „Bleicherbach“ erinnern. Geschlafen wurde meist auf Strohsäcken, was nicht wirklich zur Entspannung beitrug. Das Gesinde hatte eine klare und straffe Organisationsstruktur: Bauernknechte und Bauerndirnen (-mägde) waren die Wichtigsten in der Hierarchie, dann kamen die einfachen Knechte und Dirnen (Mägde), denen Schweine- und/oder Kuhdirnen (-mägde) folgten. Letztere waren entweder für die Schweine oder die Kühe verantwortlich. Das sogenannte „Mensch“ war die Letzte in der Hierarchie und Mädchen für alles. In dieser hierarchischen Abfolge durften sich die Angestellten nach dem Bauern und der Bäuerin am gemeinsamen Mittags- oder Abendtisch bedienen. Die Suppe wurde gemeinsam aus einer großen Schüssel gelöffelt. Die Letzten an dieser „Tafel“ gingen nicht selten unterversorgt oder leer aus, wenn der Bauer frühzeitig aufstand und damit das Essen für alle beendete. In Anbetracht dieser Essgewohnheiten, der vorwiegenden Hauptnahrungsmittel Kraut und Kartoffel und der zu verrichtenden Schwerarbeit ist es verständlich, dass bei den Menschen in diesen Zeiten eher Mangelerscheinungen als Übergewicht feststellbar waren.

Ludwig war sehr aktiv und engagiert in seiner Kindheit. Schon als Schüler der Grundschule ging er zum benachbarten Gasthaus, das eine Kegelbahn betrieb, und stellte dort an Sonn- und Feiertagen die von Spielern umgeworfenen Kegel wieder auf und ließ die Kugeln durch ein Gefälle zu den Spielern zurückrollen. Damit verdiente er sich ein Taschengeld, das er sonst nicht hatte. Der Beitritt zur örtlichen Freiwilligen Feuerwehr war zu dieser Zeit für Jugendliche eine willkommene soziale Bereicherung. Mit 16 Jahren baute er eine Bandsäge, um lange Bretter durchschneiden zu können, die nach 85 Jahren im familiären Betrieb noch immer funktionsfähig ist. Seine größte Herausforderung als Teenager hatte Ludwig als Maschinist einer Wanderdreschmaschine. Diese Maschine begleitete er als Verantwortlicher von Bauernhof zu Bauernhof, wo das in einer Scheune gelagerte Getreide nicht mehr mit Dreschflegeln auf der Tenne, sondern nunmehr maschinell aus dem Stroh gedroschen wurde. Angetrieben wurde das hölzerne Monster durch einen Dampfkessel, der über eine Riemenscheibe für die erforderlichen Drehbewegungen sorgte. Als Maschinist hatte er dafür zu sorgen, dass das Gerät sachgerecht aufgestellt war, einwandfrei funktionierte und der Input von Getreidegarben und der Output als Stroh und Körner friktionsfrei abliefen. Zu beachten galt es auch, dass die zahlreichen Personen im Arbeitsprozess entsprechend der Leistungsfähigkeit der Dreschmaschine und ihren körperlichen Fähigkeiten eingeteilt wurden. Es war in der Landwirtschaft der Beginn eines halbmaschinellen Arbeitsprozesses, indem sich der Mensch der Leistungsstärke der Maschine anpassen musste. Wenn etwa ein Sack bei der Abfüllanlage mit Getreidekörnern gefüllt war, musste er sofort durch einen leeren ersetzt, geschultert und in einen Getreidekasten im ersten Stock zur Lufttrocknung gebracht werden.

Diese Säcke hatten ein Gewicht zwischen 80 und 100 Kilogramm und konnten nur von sehr starken Männern über die steilen Holzstiegen getragen werden. Andererseits musste das Stroh von der Maschine entfernt werden, damit es keinen Stau gab. Der Einsatz einer Dreschmaschine erforderte mehr Personal, als üblicherweise auf einem Bauernhof beschäftigt war. Daher war Nachbarschaftshilfe angesagt. Am Ende eines langen und schweren Arbeitstages stand ein kräftiges Abendessen mit Most, das nicht selten einen musikalischen Ausklang hatte.

Die Dreschmaschine war sehr schwer, ohne Luftpneus bereift und konnte auf schmalen und unbefestigten Hohlwegen im bergigen Gelände oft nur mühsam transportiert werden, vor allem dann, wenn der Weg durch Regen aufgeweicht war. In Fällen, in denen die Pferde versagten, mussten Ochsen vorgespannt werden, die die Sache langsamer, aber dafür mit mehr Kraft angingen.

Anfang der 30er Jahre heiratete die Mutter von Ludwig ihren Bauernknecht, wodurch dieser zum Bauern aufstieg. In dieser Rolle veränderte er sich stark: Er arbeitete immer weniger und gab das Geld, das er beim Verkauf eines Stieres vom Fleischhauer bekam, in den von ihm häufig besuchten Gasthäusern aus, von wo er dann betrunken nach Hause kam. Er wirtschaftete den Hof in den Ruin. In der ehelichen Beziehung wurde er vermehrt gewalttätig, und als er eines Tages wieder seine Frau schlug und Ludwig mitansehen musste, wie er seiner Mutter körperliche Gewalt antat, warf Ludwig im Alter von 16 Jahren seinen Stiefvater mit den Worten aus dem Haus: „Verschwinde und komm ja nie wieder zurück!“

Wie alle wehrfähigen Männer musste auch Ludwig als 19-Jähriger 1939 zur Deutschen Wehrmacht. Der von Adolf Hitler zunächst als Vergeltung gegenüber den Siegermächten des Ersten Weltkriegs und als Eroberung gestartete Krieg wurde in der Folge zum weltweiten Vernichtungskrieg mit noch nie da gewesenen Gräueltaten, Verletzten, Toten und am Ende traumatisierten Menschen. Von den Zerstörungen ganz zu schweigen. Ludwig, als ein 182 cm großer und durch sein Anpacken in der Landwirtschaft kräftiger und selbstbewusster Mann, brachte es bis zum Unteroffizier (nach dem Oberfeldwebel der dritthöchste Rang bei den Unteroffizieren). Seine Führungsqualitäten waren seinen Vorgesetzten nicht verborgen geblieben. So forderten sie ihn auf, die Offiziersschule zu besuchen und die Offizierslaufbahn einzuschlagen. Seine Ablehnung brachte ihn fast vor das Kriegsgericht wegen Wehrdienstverweigerung. Erst als er argumentierte, dass er nach dem hoffentlich bald zu Ende gehenden, siegreichen Krieg wieder als Bauer arbeiten möchte, wurde von einem folgenschweren Gerichtsverfahren abgesehen. Seine Einsätze als Infanterist führten ihn in die Ukraine und nach Russland mit den kältesten Wintern. Bei Temperaturen bis -40° C wären ihm beinahe die Hände eingefroren. Nur einem gefangenen russischen Soldaten verdankte er, dass er keine bleibenden Schäden davontrug, indem er ihm die Hände mit Schnee einrieb und so über die angeregte Durchblutung wieder Leben in die Hände brachte.

Sein jüngerer und als Hoferbe vorgesehener Bruder Franz verlor wie so viele seiner Kameraden als Soldat in Russland sein Leben, und niemand in seiner Familie erfuhr jemals etwas über seine letzte Ruhestätte, wenn von einer solchen überhaupt geredet werden kann. Die Mutter von Ludwig starb in den Kriegsjahren, wodurch er den Bauernhof am Pfenningberg erbte. Während seiner Militärzeit führte seine ältere Schwester mit zwei Frauen aus Polen den Hof, die von der deutschen Regierung zur Zwangsarbeit abgestellt wurden. Bei seinen wenigen Heimaturlauben überzeugte sich Ludwig, dass der Betrieb zufriedenstellend geführt wurde und es den Zwangsarbeiterinnen an nichts fehlte. Schon in der Zwischenkriegszeit war der Hunger in der städtischen Bevölkerung groß, und die Lebensmittelmarken reichten kaum zum Überleben. Daher scheuten die Stadtmenschen den weiten Fußmarsch zu den Bauern am Pfenningberg nicht, um sich dort mit Milch, Eiern, Butter und Brot einzudecken. Die Lebensmittelknappheit machte die Bauern damals zu Direktvermarktern, wie wir sie heute von Biobauern kennen.

Gegen Ende des Krieges bombardierten die alliierten Streitkräfte die Infrastrukturanlagen in Deutschland und in der Ostmark (Österreich). Da Hermann Göring auch in Linz ein Stahlwerk für die Rüstungsindustrie bauen ließ, wurde dieses ein Ziel der englischen Bomber. Viele Bomben verfehlten ihr Ziel und flogen in und über den Pfenningberg und richteten großen Schaden an. Als Ludwig nach Kriegsende und wochenlangen Märschen über Polen und Tschechien schwer erschöpft endlich nach Hause kam, traf ihn fast der Schlag. Der gesamte Bauernhof war zerbombt, und er fand nicht einmal seine Zivilkleider vor, um endlich die Soldatenuniform ablegen zu können. Der riesige Bauernhof war ein Trümmerhaufen. Mehr als fünf Jahre seines Lebens hatte er als junger Soldat dem wahnsinnigen Hitler und seinem Regime geopfert, permanent in Lebensgefahr geschwebt und war mehrmals verwundet worden, und nun dieses Desaster. Abgemagert und psychisch gebrochen ging er zu seinem Nachbarn und bat um Hilfe. Doch als er in Soldatenuniform den Hof betrat, wurde er von befreiten Insassen aus dem Konzentrationslager Mauthausen umstellt. Sie hielten Gewehre im Anschlag, die sie auf Grund ihres körperlichen Zustandes kaum halten konnten, und drohten ihm sofort mit dem Erschießen. Nur dem beherzten Einschreiten seiner beiden Zwangsarbeiterinnen aus Polen mit den Worten: „Nix schießen, das gute Bauer!“ verdankte er sein Leben. Er wurde aufgefordert, sofort zu verschwinden. Aber wohin? Sein menschenwürdiges Verhalten, das auf der Grundlage seines christlich-sozialen Weltbildes beruhte, rettete ihm das Leben.

Mit der Familie auf Wanderschaft

Nach Jahren in der Fremde und vor dem Nichts zu Hause war für Ludwig ein Neubeginn alternativlos – beruflich und familiär. Bekanntlich gab es nach dem Krieg keine Online-Partnerbörsen, wo man sich zwischen hunderten von Frauen oder Männern entscheiden kann. Die spärlichen Veranstaltungen und Personen mit häufigen Hauskontakten waren wesentliche Vermittler bei der Suche nach einem geeigneten Partner oder einer geeigneten Partnerin. Nicht selten hatten beispielsweise Schweinehändler nicht nur Kenntnis über den Schweinebestand an einem Bauernhof, sondern auch über die eine oder andere Heiratspartie. Vor allem deshalb, weil zu diesen Zeiten nicht die Charaktereigenschaften einer Frau oder eines Mannes im Vordergrund standen, sondern die Größe des bäuerlichen Betriebes und die damit verbundene Mitgift. Die persönlichen Wünsche und Eigenschaften der Partnerwahl wurden als vernachlässigbar angesehen, da sie von der künftigen, schweren Arbeit überlagert wurden. Ludwig ging den traditionellen Weg und lernte über eine Tanzveranstaltung in der näheren Umgebung Johanna kennen.

Johanna war um ein Jahr älter als Ludwig und entstammte einer Großfamilie mit elf lebenden Kindern. Ihr pfeiferauchender Vater war von mittlerer Größe mit einer etwas rundlichen „Bauchmuskulatur“ und dem obligatorischen Oberlippenbart. Auf seinem Pfeifenständer am Fensterbrett stellte er sein Rauchequipment, sortiert nach Wochen- und Feiertagspfeifen, ab. Als Glasermeister in Heimarbeit war er viel zu Hause und beschäftigte sich wohlwollend mit den Kleinkindern. Für ihn war nichts ein Problem, da er sich an der Kindererziehung und Haushaltsführung nach dem Prinzip „Es wird sich schon alles irgendwie von selbst richten“ nicht beteiligte. Johannas Mutter war das Exekutivorgan in der Familie. Sie sagte, wo es langgehen sollte, und war in der Kindererziehung streng. Bei dieser hohen Anzahl an Kindern aus Gründen des Selbstschutzes verständlich. Obwohl der Vater von Johanna als Glaserer unterwegs war, um bei den Bauern die gebrochenen Fensterscheiben zu reparieren, konnten er und seine Frau ihre Kinder nicht bis ins Erwachsenenalter ernähren. Schon im Alter der Grundschule kamen die Kinder zu Bauern, wo sie ernährungsmäßig versorgt wurden, die Schule besuchten und mitarbeiten mussten.

So kam auch Johanna mit zwölf Jahren zu einem Bauernhof mit angeschlossener Wäschereinigung in der Nähe von Linz. Sie war das Mädchen für alles und musste ihre unbeheizte und schlecht gelüftete Schlafstätte mit anderen Bediensteten teilen und gelegentlich mitanhören, wenn diese ihre sexuellen Bedürfnisse nicht auf dem Heuboden, sondern im gemeinsamen Schlafraum erfüllten. Das führt bei einem Mädchen in der vorpubertären Phase und ohne sexuelle Aufklärung unweigerlich zu Irritationen. Der Tag war lang und auch am Samstag wurde gearbeitet. Lediglich am Sonntag durfte sie ihre Familie besuchen. Der Fußweg war lang und führte durch einen Wald, wo sie bei Dunkelheit nicht selten das Gefühl der Angst überfiel. Meist pfiff sie in der Annahme, dass sie durch das Pfeifen als ein Junge wahrgenommen werden würde und daher weniger zu befürchten hätte. Nach Beendigung der Pflichtschule arbeitete sie als Köchin für die etwa 30 Bediensteten.

Johanna zählte mit ihren 160 cm nicht zu den größten Frauen, aber sie war hübsch mit braunen, langen Haaren und ein Energiebündel mit enormer Schaffenskraft. Als sich Ludwig und Johanna erstmals sahen, war das Liebe auf den ersten Blick. Erst später erfuhr Ludwig, dass Johanna bereits einen einjährigen Sohn namens Andreas hatte. Mit Johanna, ihren Eltern und Geschwistern kam Ludwig in eine große Familie, die ihm so fehlte. Darüber hinaus stand ihm mit Johanna eine kongeniale Partnerin für das Start-up-Unternehmen Bauernhof zur Seite. Im Mai 1948 schlossen Ludwig und Johanna den Bund fürs Leben und Ludwig adoptierte Andreas als Sohn, womit die damals noch nicht gesellschaftsfähige Patchworkfamilie verborgen blieb. Die Hochzeitsfeier in einem Landgasthof war nur dadurch möglich, dass Ludwig dem Gastwirt ein Schwein aus eigenem Bestand lieferte, da Fleisch eine Mangelware war. Für Johanna war auch kein Hochzeitskleid aufzutreiben. Deshalb schneiderten sie und ihre jüngere Schwester Anni ein Hochzeitskleid aus bestehenden Vorhängen. Johanna hatte ein langes, weißes, hochgeschlossenes Kleid mit langen Ärmeln an. Auf ihren dunklen langen Haaren saß ein selbstgefertigtes Diadem, das in einen schulterlangen Schleier überging. Trotz der widrigen Umstände kam sie ihrer Rolle als Braut bemerkenswert nach und stach am Hochzeitsbild markant hervor. Ludwig trug einen geliehenen, dunkelgrauen Anzug, der nicht ganz seiner Größe entsprach. Die Hose war um einiges zu kurz und das Sakko hätte einem etwas fülligeren Mann besser gepasst. Sein weißes Hemd war keine Attrappe wie in früheren Zeiten, sondern hatte auch Ärmel und ein Rückenteil. Die Hochzeitsgäste räumten jeweils ihr bestes Kleidungsstück hervor, aus dem man zu diesen Zeiten in Ermangelung von Nahrung nicht herauswuchs.

Ludwigs Elternhaus war eine Ruine und irreparabel. Daher entschlossen sich die jungen Eheleute einen Bauernhof auf dem Truppenübungsplatz in der Nachbargemeinde zu pachten. Daran knüpften sie die Hoffnung, dass dieser nach dem Übergang vom Deutschen Reich in österreichisches Staatseigentum käuflich erworben werden könne. Da, den Friedensbedingungen entsprechend, Österreich nach dem Krieg über kein eigenes Militär verfügen durfte. Noch vor der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Gabriele übersiedelten sie mit den beiden älteren Geschwistern von Ludwig auf den gepachteten Bauernhof und starteten ambitioniert durch. Im Februar 1950 kam Martin, ihr gemeinsamer Erstgeborener, bei einer Hausgeburt auf die Welt. Um 06:00 Uhr morgens lief die Schwester von Johanna zu Ludwig in den Stall, der gerade mit dem Kuhmelken beschäftigt war, und teilte ihm mit, dass er einen Sohn habe. Sofort sprang er auf und lief in das Geburtszimmer, um seinen Stammhalter zu bewundern und in die Arme zu nehmen. Seine schwere Kindheit und die brutalen Erlebnisse im Krieg hatten dazu geführt, dass er Gefühlsregungen und sichtbare Rührungen als Schwäche ansah und weitestgehend unterband. Doch als er Martin sah, kamen ihm vor Freude und Stolz die Tränen.

Johanna kümmerte sich fürsorglich um die drei Kinder, um den Haushalt und darum, dass alle am Hof Wirkenden genug zu essen hatten. Denn Essen war in Zeiten der Handarbeit der Treibstoff. Zusätzlich schaute sie auch noch auf die von den Hühnern gelegten Eier und fand bald heraus, dass der Bruder und die Schwester von Ludwig den Ab-Hof-Verkauf auf eigene Rechnung immer noch praktizierten. Es kam zu einem Konflikt, der letztendlich dazu führte, dass die Schwester den Hof verließ und Magd auf einem Bauernhof im Traunviertel wurde. Der ältere Bruder von Ludwig wurde mit Hilfe des befreundeten Bäckers mit einer Stadtbäuerin im nördlichen Linz verkuppelt. Es war ein Kleinbetrieb, der durch Gemüseanbau und Grundverpachtung das Einkommen sicherte. Die Bäuerin verkaufte am Linzer Markt ihr Gemüse, während ihr Ehemann den Trank zum Füttern der Schweine von den Stadtwirten abholte.

Ludwig und Johanna waren mit ihren Kindern nunmehr allein am Bauernhof und hatten für arbeitsintensive Zeiten Tagelöhnerinnen engagiert. Frauen, die für einen Tageslohn arbeiteten, gab es genug, da zu diesen Zeiten fast nur der Mann einer erwerbsmäßigen Vollzeitstelle nachging und sich die Frauen gerne etwas dazuverdienen wollten. Gelegentlich kam auch Hans von der Nachbarfamilie und half bei den verschiedensten Arbeiten mit. Vor allem die Pferde hatten es ihm angetan. Nach Beendigung seiner Pflichtschule wurde Hans fixer Mitarbeiter am Hof von Ludwig und Johanna. In Erntezeiten war bei den landwirtschaftlichen Arbeiten auch die Mithilfe von Johanna unentbehrlich. In diesen Fällen kam öfters ihre verwitwete Tante aus der Stadt und kümmerte sich um die Kinder und das Essen. Eines Tages wollte die Tante das in steinernen Bottichen eingelegte Kraut aus dem Keller holen. Der Keller war kalt, finster und die Stufen waren durch den Temperaturunterschied nass und rutschig. Sie rutschte aus und stürzte kopfüber in einen Krautbottich und konnte sich selbst nicht mehr befreien. Ihre Hilferufe blieben ungehört, doch als sie nach einiger Zeit nicht zurückkam, ging Hans sie suchen und zog sie aus dem Krautbottich. Ihr Sturz ging glücklicherweise mit ein paar blauen Flecken glimpflich aus. Seit dieser Zeit war sie für alle die „Krauterl-Tante“.

Die schöne und glückliche Zeit am Bauernhof des Truppenübungsplatzes fand ihr Ende, als sich herausstellte, dass der Übungsplatz vom deutschen Eigentum in das Eigentum der Republik Österreich übergangen war und als militärisches Übungsgelände bestehen blieb. Somit waren die Gedanken von einem Erwerb illusorisch und die Suche nach einem anderen Bauernhof begann. Durch Zufall traf Ludwig seinen ehemaligen Kompaniekommandanten aus der Militärzeit, der zwischenzeitlich Bezirkshauptmann der nördlich von Linz angrenzenden Bezirksverwaltungsbehörde war. Dieser verriet Ludwig, dass in einer kleinen Gemeinde im fruchtbaren Eferdinger Becken ein Bauernhof mit 20 Hektar Grund zum Verkauf ausgeschrieben sei. Die verwitwete Bäuerin hatte den Hof ihrem Neffen vererbt, der kein Interesse am landwirtschaftlichen Betrieb hatte und diesen nunmehr an Ludwig und Johanna mit dem Wohnrecht seiner Tante verkaufte. Die Altbäuerin war sehr verärgert über diesen Verkauf. Die Freude bei den damals bestimmenden Großbauern im neuen Ort hielt sich ebenso in Grenzen, da sie selbst die Gründe kaufen wollten. Obwohl sie demnach einigen nicht sehr willkommen waren, kauften Ludwig und Johanna den Hof.

Im April 1950 zog das Ehepaar mit den Kindern, den Noriker Pferden Fritz und Bubi, den Rindern, Schweinen und Hühnern sowie mit Heu und Stroh von den hügeligen Wiesen und Felden im Osten von Linz nach Westen in die Tiefebene der Donau. Es erinnerte an die Tracks, die im 19. Jahrhundert vom Osten in den Westen der USA für ein besseres Weideland zogen. Andreas war vier Jahre, Gabriele eineinhalb Jahre und Martin sechs Wochen alt. Sie waren robust genug und überlebten ebenso wie die Hühner und die Schweine die Übersiedlung, ohne Schaden zu nehmen.

Gleich nach Ankunft erkundigte sich Ludwig beim Gemeindesekretär, der nebenbei auch Versicherungsvertreter war, über die Versicherungshöhe des Bauernhofes. Als er erfuhr, dass die Versicherungssumme des Gebäudes lediglich 100.000 Schilling betrug, wollte er sofort eine Erhöhung beantragen, was der Schreiber2 wegen mangelnder Kaufvertragsurkunden nicht vornehmen konnte. Dieses Begehren sollte Ludwig noch Schwierigkeiten bereiten. Vier Tage nach dem Umzug fuhr er mit dem Fahrrad in das 6 Kilometer entfernte Lagerhaus, um Grassamen für die Neuanlage der alten Wiesen zu besorgen. Während seiner Besorgungstätigkeit hörte er, dass in seiner Gemeinde ein Bauernhof in Brand stehe. Gedanken schossen durch seinen Kopf, ob es vielleicht sein Bauernhof sei. Sein Blutdruck schnellte in die Höhe, während er den Sack am Gepäckträger befestigte, sich auf das Fahrrad schwang und wie ein Verrückter nach Hause radelte, wo er nur mehr die Brandruine seines Hauses vorfand. Die von der Freiwilligen Feuerwehr vorgenommenen Löscharbeiten verdienten nicht einmal ihren Namen: Der Schuster als Feuerwehrkommandant fand in der Hektik des Einsatzes nicht den Schlüssel zum Feuerwehrdepot. Erst mit einem Ersatzschlüssel gelang den Florianijüngern der Zugang zur Wasserspritze, die damals noch händisch bedient werden musste. Der Löschvorgang begann zu spät und die Löschwirkung war ähnlich gering, als würde man mit einer Wasserpistole ein Sonnwendfeuer löschen.

Johanna und Ludwig waren am Ende ihrer sonst so starken psychischen Kräfte angelangt und an eine therapeutische Hilfe war nicht zu denken. Nach dem zerbombten Elternhaus und den zweimaligen Übersiedlungen eines landwirtschaftlichen Unternehmens standen sie nunmehr wiederum vor dem Nichts. Sie kannten keine Menschen in diesem Ort und hatten deshalb auch keine Freunde, die ihnen mit aufmunternden Worten zur Seite hätten stehen können. Als die Kriminalabteilung der Gendarmerie feststellte, dass es sich bei diesem Brand um Brandstiftung gehandelt hatte, wurde Ludwig dieser Tat verdächtigt und stundenlang verhört. Verdächtigt wurde er, weil er sich vorher nach der Versicherungssumme erkundigt hatte, was objektiv gesehen als absoluter Schwachsinn bezeichnet werden kann. Wer zündet schon sein Haus an, wenn er der Meinung ist, dass es unterversichert ist. Für Ludwig, der stets um Redlichkeit bemüht war, brach eine Welt zusammen. Eine Welt, die es wirklich nicht gut mit ihm und seiner Familie meinte, die ihn permanent zurückwarf und seine Ehre zutiefst verletzte. Erst einige Wochen später konnten die Brandstifter ermittelt werden. Ein Knecht eines örtlichen Bauern war mit dem Pferdefuhrwerk in unmittelbarer Nähe des Hauses gewesen, als er zum Tatzeitpunkt zwei Buben im Alter von sechs und acht Jahren aus dem später brennenden Heustadel herauslaufen sah. Die minderjährigen Nachbarbuben gestanden gegenüber der Gendarmerie, dass sie von der Altbäuerin zu dem Brandanschlag angestiftet worden waren. Ludwig war damit zwar rehabilitiert, litt aber noch lange unter dem falschen Verdacht.

2 So wurde damals der Gemeindesekretär bzw. Amtsleiter genannt und sogar sein Sohn Josef hörte auf den Namen Schreiber Peperl.

Der Wiederaufbau

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war etwa ein Zehntel aller Wohnungen in Österreich zerstört und die Verkehrsinfrastrukturbauten und Produktionsmittel waren so schwer beschädigt, dass das Bruttoinlandsprodukt 1946 erst rund 60 Prozent von 1913 oder 1937 erreichte.3 Die Lebensmittelknappheit der breiten Masse, die mit 600 bis 800 Kilokalorien pro Person und Tag auskommen musste, führte zur Unterernährung der Bevölkerung.

1950 war die wirtschaftliche Situation durch die Kriegsereignisse immer noch trist. Nicht zuletzt durch den Verlust von Millionen Männern, die ihr Leben für einen gewalttätigen und sinnlosen Krieg gegeben hatten und nun beim Wiederaufbau in den von Krieg betroffenen Ländern fehlten. Dadurch musste ein beträchtlicher Teil der Arbeits- und Versorgungslast von den Frauen getragen werden. Erschwert wurde der Wiederaufbau durch die zerstörten Infrastrukturen und Industriebetriebe, die vornehmlich militärische Produkte erzeugten. Baumaschinen wie etwa ein Kran oder eine Mischmaschine waren nicht verfügbar. Die Ziegelindustrie musste neu aufgebaut werden und konnte den damaligen Bedarf nur sehr verzögert erfüllen. Deshalb wurden aus den Unmengen an Bauschutt von den zerbombten Gebäuden, brauchbare Ziegel herausgearbeitet, mit Maurerhämmern vom Mörtel befreit und wiederverwendet. Der Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft der Menschen nach dem Krieg waren größer als das Elend, das sie zu bewältigen hatten. Getragen vom unerschütterlichen Glauben, dass sie das alles schaffen werden, packten sie an, wo immer „Not am Mann“ war. So stellten mehrere Nachbarn unentgeltlich ihre Bediensteten für den Wiederaufbau des Bauernhofes von Ludwig und Johanna ab und halfen dadurch mit, dass die Neuankömmlinge am Ende des Jahres wieder ein Dach über dem Kopf hatten. Johanna war nicht nur mit Kindererziehung und Hausarbeit beschäftigt, sondern auch als Kostgeberin für die helfenden Hände verantwortlich.

In derselben Gemeinde wie Ludwig und seine Familie waren kurz zuvor auch Karl und Anni gelandet. Die kinderlose Anni hatte den Hausbrand mitbekommen und sich sofort angeboten, sich um den sechs Wochen alten Martin zu kümmern. Für Martins Eltern war das gerade in der Zeit des Wiederaufbaues eine große Hilfe, zumal ein Baby mehr Aufmerksamkeit als laufende Kinder benötigt. Diese Obsorge wiederholte sich häufig, wodurch eine intensive und langjährige Freundschaft entstand. Der Zusammenbruch der Monarchie brachte es mit sich, dass der 1909 im böhmischen Pardubice geborene Karl nach Wien kam und dort seine Anni kennenlernte und ehelichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog es die beiden nach Oberösterreich. Anni hatte den Beruf einer Schneiderin erlernt, war eine gepflegte, attraktive Frau und immer gut angezogen. Mit ihrer vornehmen Art versuchte sie eine Exklusivität zu vermitteln, die man eher Menschen am ehemaligen Kaiserhof zubilligen würde. Mit ihrer gewählten Sprache und ihrem vornehmen Gang unterstrich sie dieses Erscheinungsbild. Deshalb sagte sie auch immer, dass ihr Karl als Elektriker nicht zur Arbeit, sondern in den Dienst gehe. Von ihrer Eleganz blieb offenbar auch ihr Hausarzt nicht unberührt, der sie auch dann besuchte, wenn sie nicht krank war. Karl war von mittlerer Größe, sehr sympathisch und nicht arrogant.

Die ersten Jahre nach der Übersiedlung in die fruchtbare Niederung des Donauraumes waren für Ludwig und Johanna so etwas wie eine Herkulesaufgabe. Einerseits galt es die verwahrlosten Gründe wieder in einen ertragreichen Zustand zu bringen und andererseits die erforderlichen Bauarbeiten am Bauernhaus fertigzustellen. Für die Kinder blieb dadurch wenig Zeit. Andreas und Gabriele beschäftigten sich mit sich selbst, Martin schlief ohne Betreuung fest im Kinderwagen, sodass seine Mutter öfter Nachschau hielt, um sicherzugehen, dass es ihm gut ging. Obwohl das Leben am Land zu dieser Zeit höchst ungefährlich war, wurde Martin im Kinderwagen vom Haushund Strolchi „bewacht“. Er war von mittlerer Größe, kräftig gebaut und ließ nur Familienangehörige zum Kinderwagen. Hundemarken gab es nicht und sein Stammbaum war nicht belegbar. Aber auch ohne entsprechende Hundeschule wusste Strolchi, was an einem Bauernhof zu tun ist. Allerdings hatte er keine Freude mit uniformierten Personen. Der Briefträger Matthias war ein Mann wie zu Zeiten der Habsburger Monarchie. Er hatte einen großen Schnurrbart, einen aufrechten Gang und er trug seine Uniform, als würde er als Postbeamter über die gesamte Staatsgewalt verfügen. Was ja auch verständlich war, er überbrachte schließlich nicht nur Bescheide von Behörden, sondern wickelte auch den gesamten Geldverkehr ab, und Respekt gegenüber Uniformträgern hatten die Menschen so kurz nach dem NS-Regime irgendwie immer noch. Banken gab es ausschließlich in größeren Städten, Girokonten oder eBanking sollte es erst Jahrzehnte später geben. Wenn Briefträger Matthias zum Haus kam und Strolchi sah, beschimpfte er ihn als blöden oder hässlichen Hund. Gewiss, einen Preis für Reinrassigkeit und Schönheit hätte er nicht gewonnen, aber das wusste der treue Vierbeiner ja nicht. Als der Postbeamte eines Tages auch noch mit einer Fußbewegung andeutete, der Hund solle verschwinden, riss Strolchi die Geduld und er biss den Uniformträger in den Fuß. Das war ein Eklat. Wie kann ein dahergelaufener Hund einen hochangesehenen Beamten beißen? Ludwig und Johanna hatten große Mühe, Matthias zu beruhigen, wobei er weniger an seinen physischen Schmerzen litt als an der Verletzung seiner Autorität als Staatsbeamter.

Im zweiten Lebensjahr begann Martin zu laufen und war nur schwer unter Kontrolle zu halten. Krabbelstuben oder Kindergarten gab es nicht. Spielzeuge auch nicht und wenn, dann mussten sie aus Holz selbst gemacht werden. Vielfach diente einfach ein umgedrehter Radlbock, ein Schiebekarren mit Querlatten zum Transport von sperrigen Gütern wie Gras oder Heu, auf dem Martin saß und dessen frei laufendes Rad er drehte. Ein Stück Holz wurde als Auto umfunktioniert, das von den Kindern im Sandhaufen bewegt wurde. Unter den Christbäumen lagen keine Geschenke, sondern nur die Hoffnung auf bessere Zeiten und trotzdem strahlten die Kinderaugen im Glanz der Kerzenlichter.

Eines Tages entschwand Martin der Obhut von Krauterl Tante (die in den Krautbottich gefallene Tante aus Linz) und ging durch die offene Tür in den Pferdestall. Er näherte sich dem Pferd Bubi von hinten und hielt sich an dessen beiden Hinterbeinen fest. Ein Schlag mit einem seiner Beine hätte das junge Leben von Martin abrupt beendet. Aber Bubi blieb ruhig, als wüsste er, dass ihm keine Gefahr droht und er den Kleinen schützen muss. Die Krauterl Tante fiel beinahe in Ohnmacht, als sie Martin im Pferdestall entdeckte, und hatte keine Ahnung, wie sie Martin vom Pferd unbeschadet trennen sollte, ohne es zu erschrecken. Noch nie zuvor hatte sie eine so schwierige Entscheidung zu treffen gehabt. Mit dem Mut der Verzweiflung, jetzt ja keinen Fehler zu machen, ging sie mit ruhiger Ansprache in den Stall und brachte Martin wieder sicher heraus. Es war, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Nach einiger Zeit, als die Selbstvorwürfe über ihre unzureichende Aufsicht über Martin vergangen waren, war sie stolz über ihren Mut.

Wochen später waren Johanna und Hans, der mitgereiste Nachbarjunge vom Truppenübungsplatz, bei der Heuernte. Hans lud das Heu mit der Gabel auf und Johanna verteilte es geschickt, sodass eine hohe Heufuhre entstand. Martin spielte im Schatten eines großen Obstbaumes. Da der Weg nach Hause lang war, entschieden sich die beiden mit Martin auf dem Heuwagen Platz zu nehmen. Auf halbem Weg blieben plötzlich die Pferde stehen. Als nach dem dritten „Wia“ (Aufforderung an die Pferde zum Weitergehen) Bubi und Fritz immer noch standen, schauten sie hinunter und sahen, dass Martin von der Heufuhre gefallen war, zwischen den Pferden lag und sie deshalb stehen geblieben waren. Geschockt stieg Hans hinunter und holte den jungen Mitfahrer wieder an Bord. Dank der gutmütigen Pferde war nichts passiert. Bubi und Fritz waren offenbar deshalb gute Pferde, weil sie auch gut behandelt wurden. Wenn sie Ludwig im Stall abhängte, war ihr erster Weg zum Küchenfenster, wo sie von Johanna mit Würfelzucker verwöhnt wurden. 1953 gingen die beiden in den Ruhestand, da ab diesem Zeitpunkt ein Steyrer Traktor mit 30 Pferdestärken ihre Aufgaben übernahm.

3 https://www.mediathek.at/staatsvertrag/wiederaufbau/nachkriegswirtschaft/

Maschinen erobern die Landwirtschaft

Mit dem Traktor und seinen Einsatzmöglichkeiten änderte sich viel in der Landwirtschaft. Neben der höheren Leistung hatte diese Zugmaschine auch eine hydraulische Hebemöglichkeit und über die Zapfwelle mit ihrer Drehbewegung konnten Maschinen in Schwung gebracht werden. Damit konnten nunmehr Pflüge mit mehreren Pflugscharen und Eggen gehoben werden und man benötigte keine Räder mehr zum Wenden oder für den Transport. Darüber hinaus war das eiserne Pferd stärker und schneller. Je nach Motorleistung war ein Traktor bei der Feldarbeit um das 5- bis 10-Fache schneller als Pferde im Doppelgespann. Ein Traktor, vornehmlich aus der Werkstätte im oberösterreichischen Steyr, war zu dieser Zeit Ausdruck der Modernität und vielfach auch ein Prestigeobjekt. Häufig fuhren die Landwirte damit auch am Sonntag zur Kirche.

Auch Ludwig wollte dazugehören und kaufte 1953 einen Steyr Traktor mit 30 Pferdestärken (PS) und zwei Zylindern, während die meisten anderen Bauern im Ort sich mit einer 15-PS-Variante und einem Zylinder begnügten. Die neue Zugmaschine hatte noch keinen elektrischen Starter und musste daher mit einer Handkurbel gestartet werden. Das war schon ein Kraftakt samt Geschicklichkeit beim Start eines Dieselmotors. Denn der selbstzündende Motor benötigte eine sehr hohe Verdichtung im Zylinder und konnte ohne Dekompressor, der die Luft entweichen lässt und den Widerstand aussetzt, händisch nicht in Schwung gebracht werden. Erst bei entsprechender Umdrehung und dem Schließen des Entlüftungsventils entstand die erforderliche Kompression und der Motor sprang an. Bei sehr kalten Tagen im Winter musste der Selbstzündmechanismus im Zylinder durch ein „Brandl“ (einen Brandbeschleuniger) unterstützt werden. Die Inbetriebnahme der Traktoren der ersten Generation erforderte starke und geschickte Menschen, die vornehmlich aus der Männerwelt kamen. Erst später wurden die landwirtschaftlichen Zugmaschinen mit einer Batterie und einem elektrischen Starter serienmäßig ausgestattet. Da in den fünfziger Jahren noch kein Frostschutzmittel im Handel erhältlich war, musste in der kalten Jahreszeit das Kühlwasser der Traktoren nach Stillstand abgelassen werden. Im Alter von 12 Jahren vergaß Martin nach dem Einparken den Kühlwasserhahn zu öffnen. Als nach Tagen die Zugmaschine wieder in Betrieb gehen und Kühlwasser eingefüllt werden sollte, stellte sich das Unglück heraus. Das Wasser war gefroren und hatte den Motorblock gesprengt, wodurch Kühlwasser in den Ölkreislauf gelangt war und eine Inbetriebnahme nicht möglich gewesen wäre. Martin war ziemlich zerknirscht, obwohl ihm seine Eltern infolge seiner jugendlichen Unerfahrenheit keine Vorwürfe machten.

Mit der Anschaffung dieser Zugmaschine war es nicht getan. Es mussten ein neuer Pflug und eine neue Egge angeschafft werden. Auch die Pferdeanhänger mit einer Deichsel und einer langen Wagenstange konnten nicht mehr benutzt werden. Daher kaufte Ludwig gebrauchte Achsen mit Rädern von demolierten Militärfahrzeugen und baute diese mit ebenen Bodenflächen und Bordwänden zu funktionsfähigen Traktoranhängern um.

Traktor und Anhänger waren die Universalgeräte in der Landwirtschaft und beschleunigten die Arbeitsprozesse gewaltig. Bei der Einbringung des täglichen Grünfutters für die Rinder und Schweine oder bei der Heuernte wurden nach der händischen Mahd zwei Zeilen mit dem Erntegut geschaffen, damit der Traktor samt Anhänger in der Mitte fahren konnte und die Landarbeiter links und rechts davon den Anhänger beladen konnten. Martin fuhr schon als 6-Jähriger mit dem Traktor so weit nach vorne, dass der Anhänger wieder im Bereich des Ladegutes zu stehen kam und das Heu oder das Getreide im kurzen Weg mit der Gabel aufgeladen werden konnte. Wegen seiner kurzen Beine musste er sich mit der Schulter am Ende des Fahrersitzes abstützen, um den langen Kupplungsweg durchtreten und den ersten Gang einlegen zu können. In dieser waagrechten Position verlor er den Überblick und sah nicht, was rundherum passierte. Erst als er die Kupplung wieder ausließ, er sich von der horizontalen in die vertikale Position brachte und der Traktor einen Sprung nach vorne machte, konnte er wieder steuernd eingreifen. Im Laufe der Jahre bekam Martin nicht nur längere Beine, sondern auch mehr Übung und wurde zum unverzichtbaren „Nachvornefahrer“, zum angesehenen Maschinisten, wie sein Vater Ludwig einer war.

Jahrhunderthochwasser 1954

Das Eferdinger Becken umfasst im Wesentlichen die Gemeinden Feldkirchen, Goldwörth, Walding und Ottensheim nördlich der Donau sowie Aschach, Pupping, Eferding, Alkoven und Wilhering südlich des Donaustroms. Seit Jahrtausenden wurde dieses Gebiet westlich von der Landeshauptstadt Linz vom längsten Strom Europas in unterschiedlicher Höhe überschwemmt. Daran hat sich die betroffene Landbevölkerung gewöhnt, da der Ertragsdruck in der Landwirtschaft früher noch nicht so hoch war wie heute. Die Donau hat durch ihre Hochwässer natürliche Retentionsräume in Form von großen und langen Gräben geschaffen, die kleinere Hochwässer auffingen und mit ihren Brackwässern und durch den Bewuchs von Stauden und Bäumen wichtige Rückzugsräume der dortigen Fauna bildeten. Durch das ebene Gelände im Eferdinger Becken verminderte sich die Fließgeschwindigkeit des Stromes und lagerte Sedimente in Form von Schlamm ab. Es entstanden äußerst fruchtbare Böden wie im Machland, Marchfeld und wie das in der Bibel als Paradies beschriebene Zwischenstromland, das Euphrat und Tigris im heutigen Irak eingrenzen. Im Jahr 1954 gab es im Eferdinger Becken entlang der Donau das Jahrhunderthochwasser. Tausende Hektar Wiesen und Ackerland wurden bis 3 m hoch überschwemmt.

Viele Familien wurden mit Schiffen von den Häusern abtransportiert, da ohne Strom und Trinkwasser selbst ein Wohnen im Obergeschoß nicht möglich war. Die Bauern schleppten ihre Rinder, Schweine und das Federvieh auf den Heuboden in der Annahme, dass sie dort sicher waren. Das war kein einfaches Unterfangen, denn welches Tier geht schon freiwillig aus dem Stall und dann noch über einen behelfsmäßig angelegten Aufgang in eine ihm unbekannte Umgebung. Hier waren Mensch und Tier in einem noch nie da gewesenen Ausmaß gefordert. Martin war mit seinen Geschwistern im Obergeschoß eingeschlossen, sah, wie das Wasser durch die Scheune in den Hof und von dort mit hoher Geschwindigkeit über die Hofausfahrt wieder hinausrann. Nur mehr zwei Stufen der Stiege ins Obergeschoß ragten aus dem Wasser. Der Vierjährige wollte unbedingt in das Wasser, weil er fälschlicherweise überzeugt war, schwimmen zu können. Dieses Bedürfnis erhöhte sich beträchtlich, als er seine Lederhose davonschwimmen sah. Ludwig blieb mit seinem Bediensteten Hans im Haus, um die Tiere zu versorgen. Damit dies möglich war, mussten sie ein Loch in die Feuermauer, die aus Brandschutzgründen das Wohn- vom Wirtschaftsgebäude trennte, machen, um zu den Haustieren zu gelangen. Johanna wurde mit ihren Kindern von der Freiwilligen Feuerwehr mit einem Boot abgeholt und in die Nachbargemeinde gebracht, wo sie am höhergelegenen Ortsteil Tabor bei Bekannten Unterschlupf und Versorgung für die nächsten Tage erhielten.

Für Ludwig und Johanna war diese Überschwemmung mit 1,76 cm Wasserstandshöhe im Erdgeschoß nach dem zerbombten Haus, dem kurzen Intermezzo auf dem Truppenübungsplatz und dem Brandanschlag vor vier Jahren erneut ein „Keulenschlag“, der auch vitale Menschen depressiv werden lässt. Aber sie machten sich nach Abfluss des restlichen Wassers unverzüglich an die Arbeit. Das gesamte Haus musste rechtzeitig vom Schlamm befreit werden, da dieser nach seiner Austrocknung hart wie Beton wird. Ebenso waren die Wohnungsräume durch offene Fenster zu belüften und auf diese Weise zu trocknen, da es elektrische Trocknungsgeräte noch nicht gab. Die Fenster und Türen mussten ausgehängt werden, damit sie mit Wasser gewaschen und in der Sonne getrocknet werden konnten. In den Häusern und auf den umliegenden Wiesen und Feldern existierte ein fremder Geruch des fauligen Schlamms. In den zahlreichen kleinen Vertiefungen befanden sich Fischen, die den Abfluss des Hochwassers verpasst hatten und im Brackwasser verfaulten. Die Wiesen mussten umgeackert und mittels Grassamen neu angelegt werden, da die Graswurzeln keine Chance gegen den oft 10 cm dicken Schlamm hatten. Ebenso wurde auch auf den Feldern der Schlamm mit dem Pflug eingearbeitet, damit sie bald wieder befahrbar waren und bebaut werden konnten.

Auch das geliebte Motorrad, Ludwigs einziges Fortbewegungsmittel, stand bis über den Lenker im Wasser und war instandsetzungsbedürftig. Vorsorglich hatte er zwar seine 1.000er Panter (1.000 Ccm Hubraum) auf die Hobelbank in der Werkstätte gestellt im Glauben, da könnte es vom Hochwasser unbeschadet bleiben. Dem war aber leider nicht so und er hatte viel zu tun, um den Einzylinder mit langem Hubraum mit nur etwa 60 Umdrehungen pro Minute im Standlauf4 wieder in Fahrt zu bringen. Aber wie immer schaffte er auch diese Herausforderung mit viel Geduld und Ausdauer.

4 Die heutigen Bikes haben die 25-fache Umdrehungsgeschwindigkeit.

Die bescheidenen Bildungsmöglichkeiten

Im Jahr 1953 wurde in der 500-Seelen Gemeinde von Ludwig und Johanna eine neue Volksschule gebaut. Den Pflichtschulbesuch konnte man in Österreich bis in den 60er Jahren mit 8 Jahren Volksschule absolvieren. Erst später wurde mit dem polytechnischen Lehrgang die allgemeine Schulpflicht auf 9 Jahre verlängert und in der Folge der verpflichtende Besuch einer Hauptschule (als Sekundarstufe) nach dem vierten Volksschuljahr eingeführt. Wer eine Hauptschule besuchen wollte, musste am frühen Morgen mit dem Postautobus in den 6 km entfernten Nachbarort fahren und kam erst abends mit diesem wieder zurück.