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Endlich Frieden in der Familie
Mit jedem Geschwisterchen steigt der Trubelfaktor in einer Familie exponentiell. Warum? Aus Sicht der Evolution sind Geschwister Rivalen, die um Nahrung und Sicherheit konkurrieren. »Ich will zuerst Apfelsaft! Nein, das ist mein Platz! Ich will vorne sitzen!«
Wenn Eltern dieses Buch gelesen haben, wissen sie, worum die Kinder wirklich streiten. Und auch, wie sie am besten reagieren, um sie beim Zusammenwachsen zu unterstützen. Nicola Schmidt zeigt genial einfache Wege, schlimmste Rivalen zu starken Teams werden zu lassen. So wird es leicht, konstruktiv zu reagieren, wenn alle Kinder gleichzeitig »Ich zuerst!« schreien.
* Für die Zeit ab Geburt des ersten Geschwisterchens bis ins höhere Schulalter
* Mit zahlreichen Tipps für alle Familienformen, auch alleinerziehende Eltern und Patchworkfamilien
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Seitenzahl: 291
Endlich Frieden in der Familie
»Ein Kind ist kein Kind – und zwei sind vier!« Mit jedem Geschwisterchen steigt der Trubelfaktor in einer Familie exponentiell. Warum? Aus Sicht der Evolution sind Geschwister Rivalen, die um Nahrung und Sicherheit konkurrieren. »Ich will zuerst Apfelsaft! Nein, das ist mein Platz! Ich will vorne sitzen!«
Wenn Eltern dieses Buch gelesen haben, wissen sie, worum die Kinder wirklich streiten. Und auch, wie sie am besten reagieren, um sie beim Zusammenwachsen zu unterstützen. Nicola Schmidt zeigt genial einfache Wege, schlimmste Rivalen zu starken Teams werden zu lassen. So wird es leicht, konstruktiv zu reagieren, wenn alle Kinder gleichzeitig »Ich zuerst!« schreien.
Nicola Schmidt, zweifache Mutter, ist Gründerin des artgerecht-Projekts, Wissenschaftsjournalistin, und Autorin erfolgreicher Familienratgeber. Sie bietet Aus- und Fortbildungen für Fachleute und Wildnis-Camps für Familien an.
www.artgerecht-projekt.de
Nicola Schmidt
Geschwister als Team
Ideen für eine starke Familie
Kösel
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Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Cover: Weiss Werkstatt München
Illustration: Claudia Meitert
Covermotiv: plainpicture / Stella Mai
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-22162-1 V004
www.koesel.de.
Inhalt
Geschwister als Team – so geht’sStatt einer Einleitung
Warum wir uns Hilfe wünschen dürfen
Eine Reise in die Herzen unserer Kinder
Warum dieses Buch – jetzt?
Das Geheimnis von Geschwistern als Team
Geschwister als Team – die sechs Bausteine
Wie Eltern verstehen, was jedes Kind brauchtDer erste Baustein
»Wo ist eigentlich das Problem?« – Das Besondere an Geschwistern
Geschwisterposition und Persönlichkeit • Entthronungsschock oder nicht? • Mythos Einzelkind
Der ideale Abstand zwischen Geschwistern
Gibt es den »natürlichen« Altersabstand? • »Ich will auch Geschwister haben!« – Wie Eltern den richtigen Moment erwischen • Der richtige Altersabstand
Ein Blick über den Tellerrand: Geschwister in anderen Kulturen
Geschwister gestern und heute
»Bildet einen ›Clan‹!«
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Eltern die verschiedenen Phasen derGeschwisterbeziehung nutzen könnenDer zweite Baustein
Wie wir gute Grundlagen legen
»Hätte ich doch lieber ein Dreirad bestellt!«
»Wir kriegen noch ein Baby!« – Was wir Kindern sagen und was besser nicht
Wie wir einem Kleinkind vom neuen Baby erzählen • Wie wir größeren Kindern ein neues Baby ankündigen
Die Geburt des neuen Geschwisterchens
Tandemstillen oder Abstillen? • Mit dem Baby nach Hause kommen
Die erste Phase (0 bis 8 Monate)
Die zweite Phase (8 bis 16 Monate)
Mehrere Kinder ins Bett bringen • Wie wir zu ruhigen Stillmahlzeiten kommen • Kontaktkuscheln im Alltag
Die dritte Phase (16 bis 24 Monate)
Der Umgang mit Hassgefühlen größerer Kinder
Die vierte Phase (24 Monate und mehr)
Geschwister im Erwachsenenalter
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Eltern die Rollenverteilung verstehen undProblemkinder vermeidenDer dritte Baustein
»Du kleiner Wüterich!« – Vorsicht, Kinder kooperieren immer!
Talente richtig fördern
Das Problem mit den Vergleichen
»Puppen für alle!« – Jungen und Mädchen
Wie wir Kindern helfen, ihre Rollen zu verlassen
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Geschwister lernen, Konflikte zu lösenDer vierte Baustein
»Ein Streit alle zehn Minuten?« – Wie viel Streit normal ist
»Ich! Kann! Nicht! Mehr!« – Streit ist wichtig
Wie Eltern ihren Kindern beibringen, richtig zu streiten
Wie Eltern echten Streit als Lernfenster nutzen – Baby und Kleinkind • Tipps für die klassischen Themen • Warum Kinder nicht teilen müssen • Wie Eltern echten Streit als Lernfenster nutzen – ab etwa sechs Jahren • »Spiel mit mir!« – Wenn ein Kind mehr Kontakt will als das andere • »So, und jetzt entschuldigst du dich!« • Petzen – vier Schritte, wie wir damit umgehen können
Wenn es beim Streit um mehr geht
»Die lösen das von ganz allein!« – Wann Eltern überhaupt eingreifen müssen • Wenn es kritisch wird – Aggression zwischen Geschwistern • Wenn das Kleinkind massiv stänkert
Spiele als Konfliktlösung
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Geschwister lernen, zu sich selbst zu findenDer fünfte Baustein
»Er ist halt so« – Was Kinder wirklich mitbringen
Jedem Kind seine eigenen Räume geben – egal, wie wir wohnen
Wie Sprache unseren Kindern helfen kann
Drei Schritte aus der Lieblingskind-Falle
Was Mehrlinge brauchen
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Geschwister ein Team werdenDer sechste Baustein
»Hilfe, sie haben mich!« – Spiele für ein starkes Team
Eine schrecklich alberne Familie
Eine herrlich laute Familie
»Klar, wir schaffen das!« – Gemeinsame Ziele
Wie unsere Erziehung das Team torpediert – oder stärkt
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Wie Familien mit besonderen Geschwisternumgehen könnenGeistig oder körperlich Eingeschränkte, Stillgeborene und Patchworkgeschwister
Das Was und Wie der Patchworkgeschwister
Phasen der Familiengründung • Geschlecht und Alter der Kinder • Ein weiteres Baby? – Auf den Zeitpunkt kommt es an
Was die Geschwister eingeschränkter Kinder von uns brauchen
Warum es gefährlich ist, ein »vernünftiges Geschwister« zu sein • Woran wir ein glückliches Geschwisterkind erkennen
»Wir gehören auch dazu!« – Still geborene und gestorbene Geschwister
Jedes Kind ist anders
Das sagt die Wissenschaft
Falsche Erwartungen
Dos and Don’tsWas Eltern lassen und stattdessen tun könnten
Drei Fallen, die Eltern unbedingt vermeiden sollten
Vergleichen Sie die Kinder nicht • Ergreifen Sie niemals Partei • Rasten Sie nie aus • Und jetzt: Sie haben das gut gemacht!
Die eine Sache, die alle Eltern tun sollten
Kinder sind Kinder • Liebe heilt immer
AnhangStatt einer Danksagung
Anmerkungen
Impulse und Übungen
Geschwister als Team – so geht’s
Statt einer Einleitung
»Nicola, ich brauche es einfach, machbar und umsetzbar!«
ANNA
Warum wir uns Hilfe wünschen dürfen
Ich sitze mit Anna am Tisch, und sie erzählt von ihren beiden Kindern, zwei und fünf. »Die beiden lieben sich heiß und innig«, sagt sie, »andererseits haben sie bei ihren Streiten solche Schreianfälle, dass die Nachbarn denken müssen, hier wäre sonst was los.«
Sie sagt, dass ihr Sohn sehr eifersüchtig war, als die kleine Schwester kam. Sein Gefühl, die Kleine habe ihm »Mama weggenommen«, konnte Anna wohl sehen, aber sie war mit zwei kleinen Kindern schnell so überfordert, dass sie ihm nicht helfen konnte. Im Gegenteil: Sie fühlte Wut und Ablehnung gegenüber dem fordernden Sohn, der in ihren Augen ja »schon groß« war.
Als die kleine Schwester größer wurde, kam es immer öfter zum Krach zwischen den Kindern. Das Muster war immer dasselbe: Die kleine Schwester stritt mit ihrem großen Bruder, bis der sie haute, gleichzeitig stichelte sie regelmäßig so lange, bis er ausflippte. Anna hat sich mit gewaltfreier Kommunikation beschäftigt und weiß, was kompetente Kinder brauchen. Ihr ist klar, dass sie kein Kind bevorzugen darf, und sie hat all die klugen Ratschläge gehört: die Kinder spiegeln, gerecht sein, keine Strafen verhängen … »Aber die Kinder fühlen sich unfair behandelt, wenn ich eingreife, egal, was ich tue«, klagt Anna, »und ich verstehe sie auch nicht – warum dieser ständige Streit?«
Als Coach habe ich mit vielen Eltern gearbeitet, die die gleichen Fragen stellten wie Anna. Sie geben ihr Bestes für ihr erstes Kind und kommen dann mit zwei Kindern ganz schnell an ihre Grenzen. Sie versuchen, beiden alles zu geben, ihnen gerecht zu werden, sie zu lieben – und spüren bald, wie schwierig das ist.
Was viele Eltern nicht wissen: Es liegt nicht an uns, dass es so schwierig ist. Wir machen alles richtig. Aber wir Menschen waren immer Teil einer Gruppe, die gemeinsam lebte und sich den ganzen Tag gegenseitig helfen, beraten und zur Seite stehen konnte. Wir hatten Schwestern, Onkel und erfahrene Älteste, die wussten, wie man das mit den Geschwistern gut macht, die von außen auf unsere kleine Familie schauen und uns die richtigen Hinweise geben konnten.1 Mit zwei, drei oder mehr Kindern waren wir in den vergangen 2,5 Millionen Jahren niemals allein. Dennoch versuchen viele Eltern, es in ihrer Kleinfamilie oder sogar als Alleinerziehende zu schaffen – und kommen mit dieser übermenschlichen Aufgabe an ihre nervlichen und körperlichen Grenzen. Es braucht den Blick von außen. Es braucht Wissen und Strategien, die man nicht in der Schule lernt.
Also, was können wir tun? Und wie machen es Familien, in denen die Geschwister nicht streiten, in denen jeder im Haushalt hilft, alle zusammenhalten, die durch den Alltag zu surfen scheinen, als gäbe es all die Probleme nicht?
Um das zu verstehen, trägt dieses Buch zehn Jahre meiner Studien zu den Bedürfnissen von Babys und Kleinkindern zusammen, die Erfahrungen aus Jahren in der Elternberatung, Hunderte von Beobachtungen in meinen Familiencamps und den aktuellen Stand der Forschung zu Geschwistern und ihren Beziehungen. Das Buch soll zeigen: Ja, es geht! Wir können als Familie nicht nur »funktionieren«, wir können sogar gut miteinander leben! Freudig! Gemütlich! Singend und auf einem Bein hüpfend! Und das ein Leben lang.
Eine Reise in die Herzen unserer Kinder
Wir reisen in diesem Buch gemeinsam in die Welt der Geschwister und in die Köpfe unserer Kinder – in denen oft Dinge vorgehen, die wir uns gar nicht vorstellen können. Wir schauen direkt in die Herzen unserer Kleinen. Wir spüren nach, wie sie fühlen, um zu verstehen, was sie von uns brauchen. Und wir können von dieser Reise für uns selbst profitieren: Wir können unsere eigenen Beziehungen, ja, unsere Berufswahl und unser ganzes Leben besser verstehen.
Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie nie wieder vor Ihren streitenden Kindern stehen und sich fragen, wie andere Familien das machen. Sie werden es wissen. Sie werden eine Reihe zuverlässiger Wege kennen, um den Frieden wiederherzustellen und beiden Seiten gerecht zu werden. Sie werden selbst auftanken und ihre sozialen Beziehungen auch zu anderen Menschen in einem neuen Licht sehen – was für unsere Kinder gilt, gilt ja oft auch für unsere Partner, unsere Kollegen und unsere eigenen Geschwister. Wie Anna mir sagte, findet sie viele Erklärungen, aber zu wenig praktische Hilfe in pädagogischen Ratgebern. Für den Alltag braucht sie es bitte »einfach, machbar und umsetzbar« – und so soll dieses Buch sein.
Warum dieses Buch – jetzt?
Ich habe das Glück, mit vielen Eltern in Kontakt zu sein – in den sozialen Medien, in meinen Trainings, meinen Camps, meinen Beratungen. Ich fühle überall die gleiche Verunsicherung, den gleichen Wunsch, nichts falsch zu machen, und die ernsthafte Suche nach dem richtigen Weg – oft bis zur totalen Erschöpfung. Wenn wir dann noch Selbstzweifel, den anstrengenden, schnelllebigen Alltag, die allgemeine Unsicherheit und all die Wahlmöglichkeiten, Verantwortungen und das »Wo ist nur der Elternzettel für den Theaternachmittag im Kindergarten?« hinzurechnen, sehen wir, dass Kinder zu haben wirklich »nichts für Feiglinge« ist.2 Wir alle wollen es gut, perfekt und besser machen, aber allzu oft sind wir am Ende erschöpft, ratlos oder schlicht überfordert und genervt. Und selbst die, die ein glückliches Familienleben haben, klagen über die Last, die auf ihnen liegt.
Wir alle brauchen keine weiteren »Tricks«, um unsere Kinder zu manipulieren, keine Erziehung und keine »Konsequenzen-statt-Strafen«-Hymnen. Wir brauchen Verbindung, Liebe und praktische Wege, um unser Familienleben auf die nächste Stufe zu heben.
Wir brauchen diese Nähe, diese Familie und diese Liebe jetzt – hier und heute, da Sicherheit so wichtig wird in einer unruhigen Welt, in die wir unsere Kinder entlassen. Was können wir ihnen Besseres mitgeben als stabile Beziehungen und das Gefühl, eine Familie als Team hinter sich zu haben? Wir wissen aus der Forschung, dass Geschwister am Anfang des Lebens besonders wichtig sind, dass sie sich dann zwar möglicherweise jahrelang nur an Weihnachten und runden Geburtstagen sehen, dass am Ende ihrer Tage aber die Ernte dieser Beziehung eingefahren wird, wenn sie alt sind und in den letzten Jahren zueinanderstehen.
Was für ein schöner Gedanke, dass meine Kinder sich noch gegenseitig stützen werden, wenn ich schon längst nicht mehr bei ihnen sein kann.
Das Geheimnis von Geschwistern als Team
Es gibt Familien, die das friedliche Zusammenleben aller wie von allein prima hinkriegen. Da halten die Kinder von klein auf wie Pech und Schwefel zusammen, gründen später gemeinsam Firmen, beschützen die Kleinen, bewundern die Großen, lernen voneinander und helfen zu Hause, wenn es ans Aufräumen geht. Ich habe mich jahrelang gefragt: Wer sind diese Familien? Was ist ihr Geheimnis? Was machen sie anders?
Nun, es sind ganz normale Familien, und ihr »Geheimnis« ist die Art, wie sie mit ihren Kindern sprechen, wie sie Konflikte lösen, Aufgaben aufteilen und ihre Kinder als Team unterstützen – und im richtigen Moment auch mal in Ruhe lassen. Die gute Nachricht ist: Wir können das alle. Es ist kein Hexenwerk. Es ist nicht angeboren. Wenn wir verstehen, woher unsere Kinder kommen, was sie brauchen und wie wir sie und uns selbst gut unterstützen können, dann kann jeder von uns seine Kinder zu einem Team werden lassen. Es gibt eindeutige Strategien dafür und klare Wege, wie man dorthin kommen kann. Ich bin in der Lage, das zu beweisen. Ich kann das zeigen. Für alle, die auf diesem Weg mit mir kommen möchten, habe ich dieses Buch geschrieben.
Geschwister als Team – die sechs Bausteine
Während meiner Recherche für dieses Buch dachte ich bald: »Zum Glück bin ich Einzelkind!« Geschwister streiten nicht nur, sie tun sich auch richtig weh, in manchen Büchern wird das Drama der Erstgeborenen beschrieben, in anderen das Leiden der Nesthäkchen, Geschwister mobben einander und wählen Berufe, die sie unglücklich machen, Ehepartner, die ihnen nicht guttun, und werden sogar körperlich und seelisch krank, weil sie es als Kinder so schwer mit ihren Brüdern und Schwestern hatten.
»O mein Gott«, dachte ich, »ist das so?« Ich wollte nicht noch ein Buch schreiben, in dem nur ausgeführt wird, wie schlimm alles war. Aber dann stellte ich fest, dass es offenbar eindeutige Strategien gibt, dieses ganze Drama zu vermeiden. Aus all meinen Quellen habe ich sechs Bausteine erarbeitet, die sich im Praxistest am vielversprechendsten zeigten.
Hier sind sie: Grundsätzlich müssen wir Eltern verstehen, was überhaupt so schwierig an Geschwistern ist und was unsere Kinder brauchen – denn das, was die Kinder benötigen, variiert je nach Platz in der Geschwisterfolge, ihrem Alter und ihrem Geschlecht. Darum geht es beim ersten Baustein, dem Kapitel »Wie Eltern verstehen, was jedes Kind braucht«. Als Nächstes möchte ich zeigen, wie Eltern die verschiedenen Phasen der Geschwisterbeziehung zu nutzen vermögen, denn hier können wir die richtigen Weichen stellen. Der folgende Baustein betrifft die Rollen in der Familie: »Der Kleine ist unser Sonnenschein! Die Große ist ja so eine Hilfe!« Ja, jeder in der Familie findet seine Nische, aber es ist unser Job als Eltern, das zu erkennen und Kindern auch aus ihrer Ecke herauszuhelfen, damit sie nicht ein Leben lang versuchen müssen, sich selbst zu befreien. Aber auch die Kinder müssen einiges tun, damit das Geschwisterteam funktionieren kann. Einer der wichtigsten Bausteine für ein erfolgreiches Geschwisterteam ist weniger Streit – darum geht es im Kapitel »Wie Geschwister lernen, Konflikte zu lösen«.Das wird schwieriger, wenn Eltern ein Lieblingskind haben oder zwei Kinder mit sehr starken Temperamenten – wie wir damit umgehen können, schreibe ich im Kapitel »Wie Geschwister lernen, zu sich selbst zu finden«.
Wenn diese Grundlagen stimmen, dann können wir zum letzten Baustein kommen: den ganz praktischen Tipps, wie wir das Team, das die kleinen Persönlichkeiten am Ende bilden sollen, unterstützen können. Dazu gehört auch die Frage, wie wir eigentlich mit besonderen Geschwistern umgehen – Patchworkgeschwistern, Zwillingen oder solchen, die nie geboren wurden. Denn auch sie gehören zu unserem »Familienteam« und brauchen ihren Platz.
Falls Sie wenig Zeit haben und in diesem Buch zunächst nur einige Seiten lesen können, dann fangen Sie am besten im hinteren Teil an: Lesen Sie den Abschnitt »Die eine Sache, die alle Eltern tun sollten« (ab hier). Und wenn Sie dann noch Lust und Zeit haben, schauen Sie in den Abschnitt davor – auf die »Drei Fallen, die Eltern unbedingt vermeiden sollten« (ab hier).
Und dann legen Sie das Buch zur Seite. Gehen Sie jetzt und sofort Ihre Kinder anschauen, und stellen Sie fest: »Ja, ihr streitet, aber was für entzückende Kinder ihr doch seid!« Denn wenn wir unsere Liebe in unserem Herzen fühlen können, ist der wichtigste Schritt schon getan.
Wie Eltern verstehen, was jedes Kind braucht
Der erste Baustein
»Geschwister haben den großen Vorteil, ihre ganze Kindheit hindurch in den Genuss zu kommen, miteinander soziale Verhaltensweisen zu trainieren … Dieses soziale Training ist durch nichts zu ersetzen.«3
JIRINA PREKOP
»Wo ist eigentlich das Problem?« – Das Besondere an Geschwistern
Die Beziehung von Geschwistern ist etwas völlig anderes als eine Kindergartenfreundschaft, die Beziehung zu den Eltern oder Großeltern oder eine Liebesbeziehung. Geschwister müssen nicht genetisch verwandt sein, aber es spielt eine große Rolle, ob und wie sie miteinander aufwachsen. Es kann beeinflussen, wie wir als Erwachsene Konflikte lösen, wen wir heiraten, welchen Beruf wir wählen, wie gut wir mit Krisen umgehen – und manchmal sogar, ob und wie viele Kinder wir bekommen.
Forscher sind sich einig, dass alle Geschwister, im Gegensatz zu jeder anderen Beziehung im Leben, miteinander folgende Erfahrungen machen:
Sie leben mit jemandem eng zusammen, den sie sich nicht ausgesucht haben.Sie haben miteinander die längste sehr enge Beziehung ihres ganzen Lebens, über den Tod der Eltern hinaus.Sie können diese Beziehung nicht beenden, sie wirkt nachweislich auch weiter, wenn der Kontakt abgebrochen wird.Sie bekommen von unserer Gesellschaft keine Hilfe durch Rituale, mit denen sie die Beziehung gestalten können (wie Heirat, Taufe, Kündigung oder dergleichen).Sie müssen bis ins hohe Alter eine Reihe ungeschriebener Gesetze beachten, etwa einander zu helfen.Sie müssen sich ein Leben lang miteinander auseinandersetzen und manchmal sogar gemeinsam die Eltern pflegen und deren Hausstand auflösen.Viele Geschwister lieben und hassen sich gleichermaßen und müssen das in Einklang miteinander bringen.Geschwister stehen vor anderen Herausforderungen als Einzelkinder, ihre eigene Identität zu finden.Geschwisterposition und Persönlichkeit
Erstgeborene werden eher Präsidenten? Letztgeborene eher Rebellen? Die Mittleren sind lustig, machen aber am meisten Ärger? Alle anderen wissen nicht so richtig, wohin sie gehören?
Eigentlich müsste man ja annehmen, dass Kinder, die mindestens 25 Prozent und bis zu 75 Prozent (bei Zwillingen ja sogar 99 Prozent) ihrer Gene teilen und in der gleichen Umgebung aufwachsen, sich fast gleich entwickeln. De facto sind Geschwister sich in der Tat ähnlich in Bezug auf alle Merkmale, die vererbt werden. Rechnet man diese jedoch heraus, stellt man fest, dass Geschwister aus derselben Familie so unterschiedlich sein können wie willkürlich auf einem Spielplatz ausgewählte Kinder!4
Auf den österreichischen Arzt und Psychotherapeuten Alfred Adler geht die These zurück, dass für diese Unterschiede zwischen Geschwistern folgende Faktoren eine Rolle spielen: Altersabstand, Anzahl, Geschlecht, aber auch vor allem ihre Position in der Geschwisterreihe. Mit dieser Mutmaßung begann eine Forschung, die immer wieder versuchte, Geschwister auf bestimmte Rollen festzulegen, je nachdem, wann sie geboren wurden. Es hieß, alle Erstgeborenen seien nun mal sehr verantwortungsvoll und alle Nesthäkchen besonders rebellisch.
Und es sieht wirklich so aus: Studien zur Geschwisterposition bestätigen oft mit überwältigender Klarheit diese Stereotypen – aber nur auf den ersten Blick. Die Annahme, dass es »typisch« für Erstgeborene sei, Verantwortung zu übernehmen, und es ein »typisches« Verhalten von Nesthäkchen gibt, scheint die persönliche tägliche Erfahrung zu bestätigen – aber leider sehen wir auch als Forscher oft einfach das, was wir sehen wollen.
Der amerikanische Journalist und Sachbuchautor Jeffrey Kluger präsentiert in seinem Buch The Sibling Effect (etwa »Der Geschwister-Effekt«) zum Beispiel folgende Zahlen:
Erstgeborene machen mehr als die Hälfte aller Studenten an den Ivy-League-(Elite-)Hochschulen aus (66 Prozent).Erstgeborene haben ein höheres Risiko für Erkrankungen der Herzkranzgefäße: In einem Rehabilitationszentrum in Mailand waren fast die Hälfte der Patienten Erstgeborene, aber nur ein Drittel der umliegenden Bevölkerung bestand aus Erstgeborenen.Erstgeborene werden eher Wissenschaftler als mittlere oder jüngste Kinder.Erstgeborene sind eher im Vorstand großer Firmen – in einer Studie waren es 43 Prozent aller Vorstandsposten, nur 33 Prozent waren mittlere und 23 Prozent jüngste Kinder.Nesthäkchen nutzen eher Strategien wie Humor und Witz, um sich durchzusetzen, oder gern auch die pure Provokation.Nesthäkchen gehen mehr Risiken ein – als Geschäftsleute und im Sport.5Doch auch Kluger muss konstatieren: Nichts davon lässt sich letztlich beweisen. Liegt es wirklich an der Geschwisterposition? Oder liegt es an der Art, wie die Gesellschaft mit Familien umgeht? Immerhin steigt bei Eltern mit dem zweiten Kind die Belastung deutlich, während die Ressourcen knapper werden, um zum Beispiel ein Kleinkind zu fördern oder ein Studium zu finanzieren.
Es ist für Forscher viel leichter, US-Präsidenten zu zählen und dann zu schauen, wie viele von ihnen Erstgeborene waren, als zu prüfen, ob diese Kinder alle ursprünglich zufriedene Eltern hatten, deren Ehe mit dem zweiten Kind deutlich schwieriger wurde, bei denen sich das Geld verknappte oder die umgezogen sind, nachdem das erste Kind geboren war. Vielleicht käme man auf die gleichen statistischen Ergebnisse, wenn man prüfte, wie viele US-Präsidenten gern als Kinder Karten gespielt hatten …
Die Professorin und leidenschaftliche Geschwisterforscherin Judy Dunn, zuletzt tätig am King’s College in London, schreibt in ihrem Buch Warum Geschwister so verschieden sind, nach ihrer Forschung spiele die Rangposition tatsächlich nur eine »kleine Nebenrolle«.6 Auch der Entwicklungspsychologe Hartmut Kasten fasst die Forschung so zusammen: »Es ist nicht die Geschwisterposition an sich – wie unterstellt wird –, die eine Wirkung ausübt, sondern es sind die mit der Geschwisterposition (mehr oder weniger regelmäßig) verbundenen sozialen, ökologischen, ökonomischen, zwischenmenschlichen und individuellen Verhältnisse, welche letztlich bestimmen, was für Persönlichkeitseigenschaften entwickelt werden.«7 Viele Faktoren spielen eine Rolle bei der Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes: Abstand, Anzahl, Geschlecht, Situation der Familie.
Und wir müssen bedenken: Die Geschwisterposition selbst ist ja auch in einer Zeit von hohen Scheidungsraten und Patchworkfamilien gar nicht für immer festgelegt. Ein Bruder kann durch eine neue Heirat innerhalb kürzester Zeit vom jüngsten Kind im alten Haushalt zum ältesten Jungen in der neuen Gemeinschaft werden, falls der neue Partner kleinere Geschwister mit in die Familie bringt. Wenn ein neuer Partner oder eine Partnerin mit älteren Kindern einzieht, kann eine große Schwester plötzlich zum Sandwichkind werden (so nennt man mittlere Kinder symbolisch, indem man sie mit dem »Aufschnitt zwischen zwei Brothälften« vergleicht). Ich habe mich daher entschieden, in diesem Buch nur wenig über »typische« Geschwisterpositionen und ihre Eigenschaften zu schreiben. Da wir bei Kindern mit Erwartungen sehr schnell Verhaltensweisen provozieren können – vor allem negative –, ist es besser, aufmerksam mit ihnen im Kontakt zu bleiben, offen zu sein und immer vom Besten auszugehen. Schauen Sie das Kind an, und fragen Sie sich, ob es bekommt, was es braucht. Überlegen Sie, welches Bedürfnis hinter seinem Verhalten steckt. So werden Sie viel präziser herausfinden, wie sich Ihre Kinder entwickeln, statt dass Sie sich von Stereotypen in die Irre leiten lassen.
Viel bedeutender als der Rang in der Geschwisterfolge ist nämlich nach Studienlage, wie wir mit unseren Kindern jeweils umgehen, wie nah sie beieinander sind und welche Erfahrungen sie machen. Für die Kinder macht es einen großen Unterschied, wann und unter welchen Umständen sie Geschwister bekommen, wie viel Unterstützung die Eltern erhalten und welche Erfahrungen sie als Kind bisher gemacht haben.
Die Unterschiede zwischen Geschwistern beruhen auch darauf, dass jedes Kind seine ökologische Nische in der Familie finden muss. Wenn schon jemand anderes »der Rebell« oder »der Brave« ist, dann ist diese Rolle bereits besetzt, und das nächste Kind sucht sich eine andere Ecke, in der es wachsen kann.
Entthronungsschock oder nicht?
Was ist mit den berühmten Erstgeborenen? Je nach Familie ist der Effekt, wenn das erste Geschwisterchen kommt, sehr unterschiedlich. Eltern können hier vieles von vornherein richtig machen! Erstgeborene sind häufig verantwortungsbewusst und dominant, aber längst nicht alle. Auf eine einzige Sache können sich die Forscher einigen: Erstgeborene sind nach Studienlage ein bisschen schlauer als die folgenden Kinder, weil sie als Einzige die volle Aufmerksamkeit der Eltern in einer für die Gehirnentwicklung wichtigen Phase bekommen und weil sie als Vorbilder und Lehrer für ihre jüngeren Geschwister weitere Anregungen erhalten. Das heißt aber auch, dass es ab dem zweiten Kind schwieriger wird. Insofern ist es für das erste Kind natürlich eine Umstellung! Ob und wie sehr ein Erstgeborenes darunter leidet, plötzlich nicht mehr das einzige Kind zu sein, scheint, wie gesagt, eher davon abzuhängen, in welchem Alter das Geschwisterchen kommt, wie gut die Familie das erste Kind in dieser Zeit unterstützen kann und wie verfügbar seine sekundären Bezugspersonen neben der Mutter sind (siehe das Kapitel »Wie Eltern die verschiedenen Phasen der Geschwisterbeziehung nutzen können«).
Vorsicht ist geboten vor Ratschlägen, man solle Erstgeborene »gar nicht erst verwöhnen«, damit der Abschied nicht so schwerfalle. Das Gegenteil ist richtig: Kinder, deren Bedürfnisse erfüllt wurden, deren »Brunnen gefüllt« ist, können leichter loslassen und abgeben als Kinder, die zu wenig bekommen haben. Gleichzeitig haben Attachment-Parenting-(AP-)Kinder aber oft auch die sichere Bindung, die es ihnen erlaubt, für ihre Wünsche zu kämpfen. (AP ist eine Erziehungsmethode, bei der die Eltern-Kind-Bindung gefördert wird, indem die Eltern auf die Signale des Säuglings zeitnah und feinfühlig reagieren und möglichst viel Zeit in enger körperlicher Nähe mit ihm verbringen.)
Für alle Kinder gilt: Trotz, Aggression und Wut sind immer sekundäre Gefühle. Dahinter stecken Angst, Verzweiflung, Trauer. Es ist wichtig, dass Eltern lernen, diese Gefühle zu sehen und ihre großen Kinder gut zu begleiten.
Mythos Einzelkind
Was ist eigentlich mit Einzelkindern? Sie gelten als dominant, verzogen, auch als depressiv oder perfektionistisch – je nach Studie, je nach Buch. Kinder mit Geschwistern beneiden sie und stellen sich vor, wie schön es wäre, alles zu bekommen und nichts teilen zu müssen. Einzelkinder stellen sich vor, wie schön es wäre, immer jemanden zum Spielen zu haben.
Fakt ist: »Wissenschaftlich lassen sich typische Charaktereigenschaften von Einzelkindern nicht belegen.«8 Es kommt auch bei ihnen darauf an, wie sie aufwachsen, nicht, mit wem. Werden die Eltern hinreichend unterstützt und verstehen sich gut, oder sind sie getrennt und psychisch stark belastet? Gibt es noch andere Kinder, die von den Eltern mitversorgt werden? All diese Kriterien spielen eine große Rolle. Sicher ist: Einzelkinder sind sozial genauso kompetent wie Geschwisterkinder, solange sie von klein auf mit Freunden und Spielkameraden in Kontakt sind. Sie müssen dafür auch nicht früher oder länger in den Kindergarten, denn soziale Kompetenzen können Kinder unter drei Jahren nachweislich genauso gut auch mit Freunden und der Familie entwickeln. Kindergartenkinder – ob mit Geschwistern daheim oder als Einzelkinder – sind nicht klüger oder sozialer als solche, die zu Hause betreut werden, denn Sozialkompetenz, Spracherwerb oder Kognition lassen sich nicht fördern durch das möglichst frühe und forcierte Angebot von möglichst vielen gleichaltrigen Sozialpartnern.9
Gehen Sie vom Besten aus!
Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, ob Ihr Nesthäkchen schnell genug lernt, die Schuhe zu binden, Ihr Sandwichkind eventuell problematische Verhaltensweisen entwickelt und Ihr Erstgeborenes nicht zu viel Verantwortung übernimmt. Ihre Kinder werden sich gut entwickeln!
Der ideale Abstand zwischen Geschwistern
Wenn es für Kinder einen deutlichen Unterschied macht, wann sie ihre Geschwister bekommen, lohnt es sich genau hinzusehen: Was ist der richtige Abstand zwischen Geschwistern?
Studien zeigen, dass Kinder, die weniger als drei Jahre auseinander sind, sich häufiger streiten, sich mehr im Wettstreit befinden und aggressiver miteinander umgehen. Aber sie gehen oft auch später eine intimere, engere Beziehung miteinander ein, wenn es ihnen grundsätzlich miteinander gutgeht.10
Das Argument »Lieber möglichst kleiner Altersabstand, dann spielen sie besser miteinander« hat also durchaus seine Berechtigung. Allerdings riskieren wir, dass sich die Kinder, besonders wenn sie sehr klein sind, viel und aggressiv streiten. Das leuchtet ein – wenn wir zwei sehr bedürftige Wesen in der Familie haben, die beide eigentlich viel von ihrer primären Bezugsperson brauchen, sind Streit und Frust vorprogrammiert.
Gibt es den »natürlichen« Altersabstand?
Wir sind eine kooperativ aufziehende Art, die seit jeher in Gruppen lebt – warum gibt es das Problem mit den Geschwistern eigentlich? Sollten wir nicht glücklich und zufrieden sein, je mehr von unserer Familie unterwegs sind? Warum kämpfen Geschwister überhaupt miteinander?
Schaut man mal nüchtern und unter biologischen Gesichtspunkten auf das Thema, kämpfen Geschwister seit Jahrtausenden vor allem um Ressourcen – je näher sie altersmäßig aneinander sind, desto mehr Zoff gibt es. Heute geht es dabei weniger um Nahrung als vielmehr um Aufmerksamkeit und Zeit. Wie bereits erwähnt wurde, zeigen Studien, dass Erstgeborene einen leicht höheren IQ haben als ihre nachfolgenden Geschwister – und das in der heutigen Zeit, in der es an Ressourcen eigentlich nicht mangeln sollte. Forscher schätzen, dass der kleine, aber feine Unterschied dennoch daran liegt, dass das erste Kind nun mal die ganze Aufmerksamkeit der Eltern bekommt. Dass es um diese Ressourcen kämpft, kann man ihm kaum verdenken. Wie heftig dieser Kampf ausgefochten wird, hängt stark davon ab, wann Kinder ihr nächstes Geschwisterkind bekommen.
Bei Naturvölkern wie den im nordwestlichen Botswana lebenden !Kung San beträgt der Abstand zwischen zwei Kindern in der Regel drei bis vier Jahre. Das liegt daran, dass die Mütter sehr viel und lange stillen und durch die Stillhormone und die karge Ernährung der Eisprung über Monate und Jahre unterdrückt wird. Erst wenn der Körper eine bestimmte Menge an Körperfett angesammelt hat, gibt er die Reproduktion erneut frei. Das ist aus Sicht der Evolution sehr sinnvoll. Denn erst wenn ihr Kind entwöhnt ist und die Mutter ihre Ressourcen wieder auffüllen konnte, kann sie eine zweite Stillzeit durchhalten.
Evolutionär gesehen, ist die Geburt eines Geschwisterchens für Kinder also vor allem bei Nahrungsknappheit eher ein bedrohliches als freudiges Ereignis gewesen. Jahrtausendelang war eine weitere Schwangerschaft gleichzeitig die Zeit der Entwöhnung für das jüngste Kind. Jetzt brauchte das neue Baby die Muttermilch. Das größere Kind musste auf ausschließlich feste Nahrung umgestellt werden. Diese war lange nicht so attraktiv wie die Muttermilch, vor allem war sie nicht so bedingungslos verfügbar. Damit wurde das Kleinkind in Krisensituationen von seiner lebenswichtigen Zusatznahrung abgeschnitten und ebenso von der immunologischen Unterstützung durch die Mutter – und damit anfälliger für Untergewicht und Krankheiten.
Ob ein Baby überhaupt aufgezogen werden konnte, entschied in den meisten Gesellschaften letztendlich die Mutter. »Wie bei jedem anderen Säugetier hängt das emotionale Engagement einer Menschenmutter für ihren Säugling in starkem Maße von den ökologisch und historisch bestimmten Verhältnissen ab«, schreibt Sarah Blaffer Hrdy in ihrem Buch Mutter Natur.11 Da es seit jeher viel Zeit und Energie kostet, ein Menschenbaby aufzuziehen, haben Mütter keinen angeborenen Mutterinstinkt. »Wir können uns erst seit sehr kurzer Zeit leisten, jedes Baby zu lieben, das wir zu Welt bringen«, so Hrdy.
Menschenmütter haben immer abgewägt, ob sie sich das neue Baby »leisten« können, ob es überlebensfähig ist und ob seine Bedürfnisse die Versorgung der bereits vorhandenen Kinder möglicherweise gefährden. Damit war ein essenzieller Konflikt programmiert: Das neue Baby versucht alles, um aufgezogen zu werden, es wirft mit Bindungsangeboten und Kindchenschema nur so um sich. Das bindet auch die vorhandenen Kinder an den Säugling, doch diese bangen gleichzeitig um ihre eigene Versorgung.
Für Kinder, die jünger waren als drei Jahre, konnte die Geburt eines Geschwisterchens daher jahrtausendelang ein lebensbedrohliches Ereignis sein. In dem Buch Nisa erzählt berichtet die !Kung-Frau Nisa, dass ihre Mutter den kleinsten Bruder nach der Geburt nicht aufziehen wollte. Die Begründung der Mutter: »Nisa ist noch sehr klein. Ich bin sehr traurig darüber, dass sie keine Milch mehr trinken kann. Ihr Körper ist schwach. Ich möchte, dass sie stark und kräftig wird.«12 Bei Nisa hat sich die Ahnung der Mutter zumindest zum Teil bewahrheitet: Sie überlebte, aber berichtet, dass sie immer Essen stahl und schmächtig und klein blieb. Jäger-und-Sammler-Kinder bei den !Kung waren etwa drei Jahre alt, wenn das erste Geschwisterchen kam. Anthropologen berichten, dass der ganze Stamm versuchte, dem Kind die Umstellung zu erleichtern. Sie kümmerten sich und schmusten vermehrt mit dem Kind, um den Abschied von Mamas Schoß abzumildern. Da das Kind mit der Brust auch von der Schlinge, also vom Tragen, entwöhnt wurde, sprangen andere Mitglieder ein, um es auf langen Strecken zu tragen, bis es etwa sechs oder sieben Jahre alt war.
»Ich will auch Geschwister haben!« – Wie Eltern den richtigen Moment erwischen
Drei Jahre – das ist der Abstand, ab dem es laut Studienlage auch heute noch mit den Geschwistern deutlich leichter wird. Sind die Kinder mehr als drei Jahre auseinander, haben wir viel weniger Streitigkeiten. Ein achtzehn Monate altes Kind ist selbst noch ein Baby, auch ein zweijähriges Kind hängt noch sehr von der Bindung zur Mutter ab. Erst ab dem dritten Jahr lösen sich die Kinder – Mädchen oft früher, Jungen gern auch später. Wenn das Kind seine primäre Bezugsperson jetzt plötzlich mit einem Neuankömmling teilen muss, macht es offenbar einen großen Unterschied, ob seine Bedürfnisse nach Sicherheit, Bindung und ungeteilter Aufmerksamkeit schon grundlegend erfüllt werden konnten.
Oft höre ich das Argument, die ganz Kleinen würden sich ja überhaupt nicht erinnern, dass es eine Zeit vor dem Geschwisterchen gab. Aber stimmt das?
Ja und nein. Richtig ist: Wenn Sarah mit achtzehn Monaten bereits einen Bruder bekommt, dann hat sie noch kein bewusstes Gedächtnis. Aber Forscher sagen, dass gerade die unbewussten Erinnerungen es sind, die unsere Persönlichkeit prägen – die, die wir vor der sprachlichen Entwicklung abspeichern. Sarah hat also unbewusst, aber tief im Körper abgespeichert, wie es war, Mamas Schoß und Papas Arm ganz für sich zu haben, und wie es sich anfühlt, das zu verlieren. Wenn ihr Bruder kommt, mag es sein, dass sie das nicht formulieren kann, auch später nicht, dass aber das unbewusste Gefühl eines ungestillten Bedürfnisses bleibt. Es arbeitet im Unterbewusstsein und bleibt dort.
Der richtige Altersabstand
Die Frage ist eigentlich gar nicht: »Wie viele Jahre sind der ideale Abstand?«, »Wird das erste Kind sich überhaupt erinnern?« oder »Ab wann können die Kinder miteinander spielen?«. Wenn Sie sich Gedanken über den richtigen Altersabstand machen, fragen Sie sich besser: »Wie lange kann mein erstes Kind schon warten, um seine Bedürfnisse erfüllt zu bekommen – und kann ich in dieser Zeitspanne einem zweiten, extrem bedürftigen kleinen Menschenkind wiederum seine Bedürfnisse erfüllen? Und habe ich dann noch Platz für meine eigenen Bedürfnisse?«13
Wenn ich einen großen »Clan« und starke, sekundäre Bindungspersonen habe (also Menschen, bei denen das Kind sich sicher fühlt, bei denen es Nähe und Trost sucht, wenn die Eltern nicht da sind und man davon ausgehen kann, dass seine Bedürfnisse auch erfüllt werden), kann es viel früher möglich sein, mehrere kleine Kinder gut zu versorgen, als wenn ich zehn Stunden am Tag mit den Kindern allein bin. Habe ich ein sehr bedürftiges (»High-Need«-)Baby, dann sieht die Situation völlig anders aus, als wenn das Erstgeborene ohnehin sehr einfach und flexibel ist und schon früh Belohnungen und Bedürfnisse gut aufschieben kann.
Die amerikanische Psychologin Dr. Laura Markham schreibt darüber, wie wichtig es ist, ob ein Kind schon seine eigenen Bedürfnisse für einen noch bedürftigeren Säugling aufschieben und warten kann. Und sie gibt zu bedenken: »Es geht darum, welche unbewussten Schlüsse es zieht über seinen eigenen Wert und die Vertrauenswürdigkeit von anderen, während es wartet.«14