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Kann der Bundespräsident die Demokratie vor Populisten schützen? Der Bundespräsident gilt gemeinhin als Staatsoberhaupt mit geringer Machtausstattung. Und doch haben alle Amtsinhaber - und zwar jeder auf seine individuelle Weise - durch ihr Reden und Handeln die politischen Geschicke Deutschlands mitbestimmt. In spektakulären Ausnahmen haben sie sogar eine herausgehobene Rolle eingenommen. Welche Gestaltungsmöglichkeiten hat ein Bundespräsident? Welche nutzten die Amtsinhaber, welche ließen sie brachliegen? Wie agierten sie im Kompetenzstreit mit anderen Verfassungsorganen? Karl-Rudolf Korte, einer der renommiertesten Analysten des politischen Betriebs der Berliner Republik, wirft in diesem Buch einen Blick hinter die Kulissen der Macht. So wird deutlich: Gerade heute, in unserer "Demokratie unter Druck", steht der "Hüter der Verfassung" vor ganz neuen Herausforderungen: als Meinungsbildner, Versöhnungsstifter, Zivilitätswächter und Weiterdenker.
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Seitenzahl: 49
Karl-Rudolf Korte
GESICHTER DER MACHT
ÜBER DIE GESTALTUNGSPOTENZIALE DER BUNDESPRÄSIDENTEN
EIN ESSAY
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Kann der Bundespräsident die Demokratie vor Populisten schützen? Der Bundespräsident gilt gemeinhin als Staatsoberhaupt mit geringer Machtausstattung. Und doch haben alle Amtsinhaber - und zwar jeder auf seine individuelle Weise - durch ihr Reden und Handeln die politischen Geschicke Deutschlands mitbestimmt. In spektakulären Ausnahmen haben sie sogar eine herausgehobene Rolle eingenommen. Welche Gestaltungsmöglichkeiten hat ein Bundespräsident? Welche nutzten die Amtsinhaber, welche ließen sie brachliegen? Wie agierten sie im Kompetenzstreit mit anderen Verfassungsorganen? Karl-Rudolf Korte, einer der renommiertesten Analysten des politischen Betriebs der Berliner Republik, wirft in diesem Buch einen Blick hinter die Kulissen der Macht. So wird deutlich: Gerade heute, in unserer "Demokratie unter Druck", steht der "Hüter der Verfassung" vor ganz neuen Herausforderungen: als Meinungsbildner, Versöhnungsstifter, Zivilitätswächter und Weiterdenker.
Vita
Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und seit 2006 Direktor der NRW School of Governance.
1.PROLOG
2.GESTALTUNGSOPTIONEN
2.1Präsidentenpoker und stereotype Erwartungen
Stereotype und Gestaltungsannahmen
1.»Wir haben Glück gehabt mit unseren Bundespräsidenten. Sie waren alle gut.«
2.»Alle Bundespräsidenten pflegten eine überparteiliche Amtsführung.«
3.»Die Bundespräsidenten waren immer besonders auserwählte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.«
2.2Möglichkeiten und Wirklichkeiten
Optionen durch Darstellungspolitik
Optionen durch Resonanz-Erwartungen
Optionen durch Entschleunigung
Optionen durch Kontingenz
Optionen durch Wissensaneignung
Optionen durch Kompensation
2.3Präsidiale Gesichter der Macht
3.GESTALTUNGSWISSEN
3.1Aufgaben und Prägungen
3.2Rollensuche und Kompetenzgerangel
Die Vorlage der Kabinettsliste sowie Verweigerung von Ernennungen und Entlassungen
Teilnahme an Sitzungen des Bundestages
Teilnahme an Kabinettssitzungen
3.3Das Bundespräsidialamt als Machtressource
Informationsmanagement und Politikberatung von innen
Lagebesprechung
Planung und Strategie: Wirkungsoptimierung und strategisches Zentrum
4.GESTALTUNGSRÄUME
4.1Der Bundespräsident als Kanzlermacher
Historisch: Vorschlagsoption für die Kanzlerwahl und Kabinettslisten
Herzog, Köhler, Gauck: Die Ernennung von designierten Kanzlern prüfen
Steinmeiers präsidiale Schirmherrschaft für die Große Koalition
171 Tage: Die Stationen der längsten Regierungsbildung
Präsidentielle Post-Sondierungen
Risiken der Regierungsbildung – Möglichkeitsmacher Steinmeier
4.2Der Bundespräsident als Gesprächsinstanz
Über die Passung: Gestaltungsideen und Gestaltungspannen
Einübung ins Fremde: Flüchtlinge, Migration, Integration
Dualität Merkel–Gauck: »Wir schaffen das« und »Unser Herz ist weit«
Koexistenz der »Unberührbaren«
Orientierungsleistung durch Sprachgewinn
Die Kompensation des Politikermöglichers
Kontrapunkte gezielt komponieren
Inspirierende Integration durch organisierten Dissens
Der aufsuchende Bundespräsident: Orte der Demokratie
Darstellungspolitik: Aufmerksamkeit und Resonanz
Straßen-Sprechstunde: Deutung und Responsivität
Möglichkeitsraum: Diskurse und Deliberation
Prozess-Nutzen: Erklärung und Werbung
Demokratie-Wächter: Eingreifen
4.3Der Bundespräsident als internationaler Türöffner
Das Ausland im Inland
Formate, Instrumente, Themen und die Macht des Besuchs
Benennungsmacht: Deutsche Verantwortung
Politikermöglicher: Staatsbesuch in Moskau
Das Newsweek-Interview
Terminmanagement
Die protokollarischen Vorbereitungen
Gesprächsverlauf
Evaluation
5. EPILOG
5.1Selbstbilder der Präsidenten: Vier Antworten
5.2Rollenmuster präsidialer Gestaltungsmacht
Meinungsbildner
Versöhnungsstifter
Zivilitätswächter
Weiterdenker
DANK
ANMERKUNGEN
1.Prolog
2.Gestaltungsoptionen
3.Gestaltungswissen
4.Gestaltungsräume
5. Epilog
LITERATUR UND QUELLEN
Literatur
Quellen
Interviews und Hintergrundgespräche
ANHANG
1.Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
2.Die Bundespräsidenten und die Bundeskanzler seit 1949
3.Die Chefs des Bundespräsidialamtes (Staatssekretäre)
4.Bundesversammlungen – Termine, Wahlen, Ergebnisse
5.Übersicht über den Haushalt des Bundespräsidenten und des Bundespräsidialamtes sowie über Kosten aus Anlass von Staatsbesuchen und Dienstreisen
6.Auslandsreisen von Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier in den ersten zwölf Monaten ihrer Amtszeit
Übersicht der Auslandsreisen von Joachim Gauck in den ersten zwölf Monaten seiner Amtszeit
Übersicht der Auslandsreisen von Frank-Walter Steinmeier in den ersten zwölf Monaten seiner Amtszeit
BILDNACHWEIS
PERSONENREGISTER
Warum unterschreibt der Bundespräsident hier? Als Schüler wunderte ich mich über die Unterschrift von Bundespräsident Walter Scheel. Ich entdeckte sie auf meiner Ehrenurkunde für die Bundesjugendspiele.1 Keineswegs hatte Scheel persönlich unterschrieben. Seine Signatur war aufgedruckt. Empfand ich das als eine Aufwertung der Urkunde? Ich weiß es nicht mehr. Manches hat das Gedächtnis an meine gymnasiale Zeit verwischt und verschoben. Auf jeden Fall »begegnete« ich so erstmals »meinem« Staatsoberhaupt.
Bleibende Eindrücke an den Bundespräsidenten Karl Carstens, dem Nachfolger von Scheel, verbinden sich bei mir mit seiner Rolle bei der sogenannten »geistig-moralischen Wende«, die Bundeskanzler Helmut Kohl 1982 ausrief. Carstens schien hier besonders gefordert. Sollte er den Bundestag für Neuwahlen auflösen? Ob der Bundespräsident – nach einer von Bundeskanzler Kohl (CDU) gestellten auflösungsorientierten Vertrauensfrage – den Bundestag auflösen konnte oder wollte, hatte für mich politischen Erlebniswert. Die Umstände des Sturzes von Helmut Schmidt (SPD) führten im familiären Kreis zu heftigen politischen Debatten, die in der Qualität an die Kontroversen um den NATO-Doppelbeschluss heranreichten. Mir ist durch die damalige mediale Berichterstattung in Erinnerung, dass Bundespräsident Carstens als Staatsrechtslehrer offenbar sehr lange mit sich selbst rang, ob er einer Auflösung des Bundestages seine präsidentielle Zustimmung geben sollte oder nicht. Die von Kanzler Kohl beantragte Vertrauensfrage nach Art. 68 des Grundgesetzes war unecht, denn die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP verfügte über eine Mehrheit im Bundestag. Sie hatte den Haushalt des nachfolgenden Jahres mit Kanzlermehrheit verabschiedet. Es existierten ganz offensichtlich Handlungsspielräume für das Staatsoberhaupt. Carstens hatte Optionen, mithin sogar Gestaltungsmöglichkeiten. Er begründete am 6. Januar 1983 in einer Rundfunk- und Fernsehansprache2 die Auflösung des Bundestages und ordnete für den März 1983 schließlich Neuwahlen an.
Mein Déjà-vu folgte 22 Jahre später. Ich stand am 21. Juli 2005 gegen Abend mit der Moderatorin und Journalistin Bettina Schausten in Berlin in einem Senderaum des ZDF-Hauptstadt-Studios. In der geplanten Sondersendung sollte ich als Politik-Experte zum angekündigten TV-Statement des Bundespräsidenten Horst Köhler erste Einschätzungen und Einordnungen vornehmen. Sollte auch Köhler einer instrumentalisierten Vertrauensfrage mit der Parlamentsauflösung folgen? Denn auch der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) konnte sich – ebenso wie Kohl Jahre zuvor – noch auf eine stabile, absolute Mehrheit im Bundestag faktisch stützen, bat aber die eigene Fraktion, sich bei der Vertrauensabstimmung der Stimme zu enthalten.
Auch Bundespräsident Köhler hatte sich sehr viel Zeit genommen und reagierte erst am rechtlich letztmöglichen Tag auf die drei Wochen zurückliegende (und »unecht« gescheiterte) Vertrauensfrage von Kanzler Schröder. Das ZDF-Team und ich warteten im Studio gespannt und waren unsicher, um welche Uhrzeit Köhler seine Anordnung öffentlich machte und in welcher Weise er argumentieren würde.3