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Licht ist das unmittelbarste Gestaltungselement der Fotografie. Es ruft Emotionen hervor und lässt die Betrachter die Grundstimmung des Bildes erfassen, noch ehe sie das Motiv erkennen.
Oliver Rausch, Mitbegründer der Fotoakademie-Koeln, stellt dar, wie sich Licht der Bildaussage entsprechend gezielt wirkungsvoll einsetzen und die Bildgegenstände plastisch werden lässt. Schritt für Schritt vermittelt er ein Verständnis für das Phänomen Licht. Er analysiert das genaue Vorgehen, die Wirkungsweise und oft vorkommende Missverständnisse.
Ausführlich zeigt er, wie Sie Hauptlichtart und Lichtquelle passend zur Grundaussage und Stimmung des Bildes auswählen und setzen. Es folgen der Einsatz unterschiedlicher Lichtformer und Kontrastanpassungen durch Aufhellung der Schatten, anschließend wird die Bildwirkung durch Effekt- und Hintergrundbeleuchtung nochmals verstärkt.
Diese Schritte können Sie zunächst anhand einfacher Studioporträts nachvollziehen, da sich dabei das Licht besonders kontrolliert einsetzen lässt. So schulen Sie Ihr Auge, bevor Sie komplexere Aufgaben wie die Ausleuchtung von Gruppenporträts, den Umgang mit Tages- und Blitzlicht sowie die Lichtführung in Stillleben, Landschaften oder Architekturmotiven meistern lernen.
Praxisarbeiten von Studierenden der Fotoakademie-Koeln illustrieren aussagekräftig die jeweils wesentlichen Aspekte. Zudem erleichtern Exkurse zur Lichtsetzung in bekannten Filmen und Gemälden das Verständnis sowie eine Verlinkung zu Filmausschnitten aus dem Videotutorial "Masterclass Lichtsetzung", die das praktische Vorgehen im Studio veranschaulichen.
Folgen Sie Oliver Rausch auf dem Weg zum perfekt ausgeleuchteten Bild und verfeinern Sie Ihre Wahrnehmung. So werden Sie sicher in der Gestaltung mit Licht, können damit experimentieren und Ihren eigenen Stil entwickeln
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Seitenzahl: 484
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Oliver Rausch
Lektorat: Barbara Lauer
Copy-Editing: Petra Kienle, Fürstenfeldbruck
Layout: Friederike Diefenbacher-Keita
Herstellung und Satz: Frank Heidt
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN:
Print 978-3-86490-837-8
PDF 978-3-96910-326-5
ePub 978-3-96910-327-2
mobi 978-3-96910-328-9
4. Auflage 2021
Copyright © 2021 dpunkt.verlag GmbH
Wieblinger Weg 17, 69123 Heidelberg
Dieses Buch erschien in der ersten Auflage unter dem gleichen Titel im Verlag
Pearson Deutschland GmbH, München.
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Oliver Rausch
Licht sehen und verstehen
4. Auflage
Die Beteiligten
Einleitung
Bildbeispiele: Die Macht des Lichtes
1. Kapitel Grundlegendes, bevor es losgeht
1.1 Warum mit Porträts beginnen?
1.2 Die lange und die kurze Seite des Modells
1.3 Die linke und die rechte Seite des Bildes
1.4 Weitere Richtungen im Bild
1.5 Die Schokoladenseite des Modells
1.6 Die Richtungsangaben
1.7 Die Ochsenschnur in der Nasentheorie
1.8 Die Wahl der Lichtrichtung
Bildbeispiele: Richtungsabhängige Lichtwirkung
2. Kapitel Die drei Hauptlichtarten
2.1 Das Seitenlicht
Seitenlicht Schritt für Schritt
Gestaltungsmerkmale des Seitenlichtes
Die Wirkung von Seitenlicht
Die Kameraposition bei Seitenlicht
»Fehler« bei Seitenlicht
Anatomische Besonderheiten bei Seitenlicht
Die Regie bei Seitenlicht
2.2 Das Rembrandtlicht
Rembrandtlicht Schritt für Schritt
Gestaltungsmerkmale des Rembrandtlichtes
Die Wirkung von Rembrandtlicht
Die Kameraposition bei Rembrandtlicht
»Fehler« bei Rembrandtlicht
Anatomische Besonderheiten bei Rembrandtlicht
Die Regie bei Rembrandtlicht
2.3 Das hochfrontale Licht
Hochfrontales Licht Schritt für Schritt
Gestaltungsmerkmale des hochfrontalen Lichtes
Die Wirkung von hochfrontalem Licht
Die Kameraposition bei hochfrontalem Licht
»Fehler« bei hochfrontalem Licht
Anatomische Besonderheiten bei hochfrontalem Licht
Die Regie bei hochfrontalem Licht
Bildbeispiele: Die Hauptlichtarten mit kleinen Lichtquellen
3. Kapitel Die Wahl der Hauptlichtquelle
3.1 Die Größe der Lichtquelle
Die Winkelgröße der Lichtquelle und die Plastizität
Die Winkelgröße der Hauptlichtquelle und die Strukturwiedergabe
Die Größe der Hauptlichtquelle und die Glanzlichter
Die Winkelgröße der Hauptlichtquelle und das Make-up
3.2 Der Abstand der Hauptlichtquelle zum Modell und der natürliche Lichtabfall
3.3 Die Hauptlichtarten mit winkelgroßen Lichtquellen
Seitenlicht
Rembrandtlicht
Hochfrontales Licht
3.4 Materialeigenschaften und Geometrie der Hauptlichtquelle
Das Polardiagramm
Die Oberflächenbeschaffenheit der Lichtformer
Normalreflektor und Weitwinkelreflektor
Indirekte Lichtformer: Schirmreflektoren, Softboxen, Beauty Dish und weiße Tücher
Offene parabelförmige Reflektoren mit Hammerschlagstruktur
Parabelförmige Reflektoren mit Hochglanzoberfläche
Der Ringblitz
Lichtquellen mit extrem kleinem Abstrahlwinkel
Glasfaserlichtleiter
3.5 Häufige Irrtümer zu Plastizität, Strukturwiedergabe, Glanzlichtern und Farbsättigung
»Weiches Licht« und die Plastizität
»Weiches Licht« und die Glanzlichter
»Weiches Licht« und die Farbsättigung
3.6 Hintergrundgestaltung
Hintergrundverläufe
Helle und weiße Hintergründe
Die Reprobeleuchtung
3.7 Selbst entdecken
Bildbeispiele: Ausdifferenziertes Hauptlicht
4. Kapitel Die Aufhellung
4.1 Die Zangenaufhellung
4.2 Verlängern der Lichtquelle
Verlängern einer winkelgroßen Hauptlichtquelle
Verlängern einer winkelkleinen Hauptlichtquelle
Die Stärke der verlängerten Aufhellung
4.3 Verlängerung bei den Hauptlichtarten
Seitenlicht verlängern
Hochfrontales Licht verlängern
Rembrandtlicht verlängern
4.4 Aufhellen mit kleiner Lichtquelle
Aufhellung mit Ringblitz
Aufhellung mit kleiner Lichtquelle nahe der optischen Achse
4.5 Die Kompromissaufhellung
Bildbeispiele: Strahlende Schatten
5. Kapitel Das Gegenlicht
5.1 Echtes Gegenlicht
Gegenlicht in nur einem Schritt
Die Wirkung der Silhouetten bei Gegenlicht
Die Stimmung bei Gegenlicht
Die Stimmungsverstärkung bei Gegenlicht
Gegenlicht und Hintergrundgestaltung
Herausforderungen bei Gegenlicht
5.2 Varianten des Gegenlichtes
Tief stehendes Gegenlicht
Hohes Gegenlicht / Haarlicht
Seitliches Gegenlicht
Beidseitiges Gegenlicht
Herausforderungen bei den Varianten des Gegenlichtes
5.3 High-key und Low-key?
Bildbeispiele: Der Nachbrenner
6. Kapitel Die Lichttheorie bei mehreren Modellen
6.1 Die frontale Gruppe
6.2 Die lose Gruppe
6.3 Die virtuelle Ausleuchtung
Bildbeispiele: Licht für alle
7. Kapitel Die Lichttheorie mit Tageslicht
7.1 Die Hauptlichtarten bei direktem Tageslicht
7.2 Plastizität und Strukturwiedergabe bei Tageslicht frei gestalten
Die Winkelgröße bei Sonnenschein steigern
Die Winkelgröße bei Bewölkung senken
7.3 Die Aufhellung bei Tageslicht
Die Zangenaufhellung im Freien
Verlängern der Lichtquelle
Kompromissaufhellung
Aufhellung mit Systemblitz
Bildbeispiele: Die ganze Welt ist ein Studio
8. Kapitel Der Systemblitz in der Lichttheorie
8.1 Schritt für Schritt zu geblitzten Bildern
8.2 Übung 1 – direkter Systemblitz
8.3 Übung 2 – den entfesselten Systemblitz mit Diffusoren für mehr Plastizität nutzen
8.4 Indirektes Blitzen
Bildbeispiele: Licht im Dunkel
9. Kapitel Die Lichtarten bei Stills, Landschaften, Architektur und anderen Motiven
9.1 Die Gesichter der Motive
9.2 Die Hauptlichtarten bei flächigen Motiven
Diese Buchseite als Beispiel für ein flächiges Motiv
Landschaften
Architektur
9.3 Die Winkelgröße und Aufhellung bei Landschaften
9.4 Das Licht bei komplexen Motiven
Beispiel Stillleben
Beispiel Miniaturwelt
Bildbeispiele: Überall Gesichter
Anhang
Dank
Fotografennachweis
Index
Die Fotoakademie-Koeln bietet einen zweieinhalbjährigen Ausbildungslehrgang zum Fotografen und zur Fotografin, dessen Ziel es ist, umfassend auf diesen Beruf vorzubereiten. Sie wurde von mir, Oliver Rausch, dem Autor dieses Buches, gemeinsam mit meinem langjährigen Kompagnon Frank Dürrach gegründet. Die Ausbildung ist sehr praxisorientiert und setzt stark auf Projektarbeit, mit der die technischen, gestalterischen, aber vor allem auch die inhaltlichen Kompetenzen der Teilnehmer zur Entwicklung gebracht werden. Dieses Ziel in der vorgegebenen Zeit zu erreichen, ist nur dadurch möglich, dass die Fotoakademie-Koeln mit der Fotoschule-Koeln eng verwoben ist.
Die Fotoschule-Koeln ist ebenfalls eine Gründung von Frank Dürrach und mir. Sie bietet seit 1995 ein breit gefächertes Kursangebot, das jedem offensteht. Unter anderem werden in den meist etwa zwanzig Stunden umfassenden Workshops und Kursen Themen wie Kamerahandhabung, Bildgestaltung, Konzeption, Lichtgestaltung, Blitzlichttechniken, Bildbearbeitung, Farbmanagement oder Reportagefotografie behandelt. Das Kursangebot wird dabei ständig erweitert. Die Schule versucht, genau wie die Akademie, stets den Dreischritt von Fototechnik, Bildgestaltung und Bildinhalten zu vollziehen. Interessierte können entweder nur die Handhabung der Kamera erlernen oder sich ein mehr oder weniger umfangreiches Programm zusammenstellen. Unsere Teilnehmer sind daher sowohl blutige Anfänger als auch ambitionierte Amateure und reichen bis hin zu jungen Profifotografen, die Wissenslücken schließen möchten oder neue Inspirationen suchen. Nicht zuletzt bietet die Fotoschule-Koeln sowohl den Amateuren als auch den professionellen Fotografen die Möglichkeit des Austauschs mit Gleichgesinnten in den verschiedenen Arbeitsgruppen.
Die Fotoakademie-Koeln startet mit ihrem Ausbildungslehrgang in etwa dort, wo die Fotoschule-Koeln endet. Dies schafft die Voraussetzungen für diejenigen Interessierten, die den weiterführenden Lehrgang der Akademie besuchen möchten. Oft nehmen wir auch angehende Fotografen in die Akademie auf, die diese Voraussetzungen noch nicht oder nicht ganz erfüllen, und bieten ihnen die Möglichkeit, parallel zur Akademie die entsprechenden Einheiten in der Schule zu besuchen. So können alle Teilnehmer einer Klasse in kurzer Zeit auf einem gemeinsamen Niveau an ihren Ausbildungsprojekten arbeiten.
Das vorliegende Buch ist aus den Skripten sowohl des Workshops über Lichtgestaltung an der Schule als auch aus den diesbezüglichen Lehreinheiten der Akademie entstanden. Dementsprechend möchte das Buch allen interessierten Amateuren, Auszubildenden, Studierenden anderer Hochschulen oder einfach lichtbegeisterten Fotografen in systematischer und gut nachvollziehbarer Weise Lichtgestaltung auf professionellem Niveau vermitteln.
Gerade ambitionierte Amateure aus unseren Kursen und Auszubildende an der Akademie motivierten mich, dieses Buch doch endlich zu schreiben. Denn sie berichteten mir immer wieder, dass sich nur schwer fundierte Kenntnisse in so anschaulicher Form finden lassen würden wie in unseren Kursen zu diesem Thema. Ich hoffe, die Arbeit an dem Buch wird sich für Sie auszahlen und es ist mir gelungen, die Inhalte eines praktischen Kurses auch in Schriftform zu vermitteln.
Oliver Rausch
Den ersten Anstoß, das Licht sehen und verstehen zu lernen, erhielt ich während meines Studiums der Fotografie an der Royal Academy of Art in Den Haag von einem begnadeten Lehrer, Jo Misdom. In meinem anschließenden Studium an der Rijksakademie in Amsterdam – das mir durch ein Stipendium ermöglicht wurde, was Frank und mich bewogen hat, heute selbst ein Stipendium pro Jahr zu vergeben – beschäftigte ich mich weiter sehr intensiv mit diesem Gestaltungsmittel und habe es lieben und schätzen gelernt. Der Umgang mit Licht durch Hannes Wallrafen und Maarten Corbijn, bei denen ich assistieren durfte, markierte weitere Stationen auf dieser Entdeckungsreise. Zwischen 1997 und 2004 habe ich an der Amsterdamer Fotoacademie gelehrt und dabei versucht, nicht nur meine Liebe zum Licht, sondern auch meine Begeisterung für die vielen anderen eher inhaltlichen Aspekte der Fotografie weiterzugeben. Parallel dazu arbeitete ich in der Werbung, die mir aber bei Weitem nicht so liegt wie der inhaltliche Austausch mit anderen Fotografen, Fotografiebegeisterten und Künstlern. Die Werbefotografie ermöglichte mir aber neben meiner interessanten Tätigkeit an der Akademie in Amsterdam ein Studium der Psychologie in Köln, bei dem mich der Schwerpunkt Medien besonders reizte. Noch während des Studiums gründete ich die Fotoschule-Koeln, die bald meine ganze Aufmerksamkeit forderte. Sie stellt bis heute einen wichtigen Lebensmittelpunkt für mich und Frank dar.
Die Lehre der Fotografie sowie der Austausch mit anderen Fotografen über deren Sichtweisen der Welt und ihre Umsetzungen in Bildern sind uns beiden so wichtig, dass wir anschließend auch die Fotoakademie-Koeln gegründet haben. Ich hoffe, ein wenig von unserer Begeisterung weitergeben zu können, und wünsche Ihnen jetzt viel Spaß bei der Lektüre und den Entdeckungen, die Sie hoffentlich hier und im Anschluss mit Ihrer Kamera machen werden.
Wollen Sie die Inhalte dieses Buchs von Oliver Rausch persönlich erklärt bekommen? Dann ist unser Tutorial genau das Richtige für Sie. In etwa drei Stunden und 23 Einzelvideos führt Sie Oliver Rausch durch die Kunst des Gestaltens mit Licht und Schatten.
Im Buch sind, passend zu den jeweiligen Textpassagen, zahlreiche Ausschnitte aus dem Tutorial verlinkt. Wenn Sie die komplette Produktion runterladen wollen, dann erhalten Sie als Buchkäufer mit dem Gutscheincode, den Sie auf der auf der Seite nach dem Impressum finden, 30 % Rabatt auf die Masterclass Lichtsetzung.
Produziert wurde die Masterclass von FotoTV, dem größten deutschsprachigen Lernangebot über Fotografie seiner Art mit über 3000 Filmen auf www.fototv.de. Dort finden Sie auch weitere Lerninhalte mit Oliver Rausch!
Licht ist ein so unmittelbar wirkendes Gestaltungselement der Fotografie, dass Sie sich ihm nur schwer entziehen können. Es wirkt sofort und direkt auf das Gefühl des Betrachters. Zeigt man ein Bild nur für einen ganz kurzen Augenblick – so kurz, dass sich das Motiv nicht richtig erkennen lässt (zum Beispiel eine Zehntelsekunde auf einem Computermonitor) –, so kann der Betrachter dennoch sehr wohl wahrnehmen, ob es sich um ein strahlendes, fröhliches oder ein düsteres, melancholisches oder auch ein weiches, träumerisches Bild handelt. Das Licht ruft unvermittelt Emotionen hervor und lässt den Betrachter die Grundaussage eines Bildes erfassen, noch bevor er das Motiv erkennt.
Wählen Sie aus einer großen Menge an Fotos zehn Lieblingsbilder aus, die Sie in besonderer Weise ansprechen. Das können auch Fotos von absoluten Anfängern sein, in denen der klassische Bildaufbau durch Akzentsetzung und Linienführung noch eher schwach ausgeprägt ist, etwa auch Urlaubsfotos. Entscheiden Sie einfach aus dem Bauch heraus. Nur verzichten Sie bitte auf Fotos von süßen Kindern oder jungen Tieren, denn gegen so stark emotional aufgeladene Motive kommt auch die beste Gestaltung von der Wirkung her nicht an.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben die von Ihnen ausgewählten Bilder »Tiefe«, sie besitzen etwas »Strahlendes«, sprechen Sie »emotional« an. Diese Bilder haben tatsächlich etwas Ursächliches gemein: Das Licht kommt aus einer bestimmten Richtung. Der Lichtursprung liegt bei diesem Experiment (fast) immer in Richtung einer gedachten Halbkugel vor dem Fotografen, also von links oder rechts aus Kamerasicht, von sehr steil oben oder auch als Gegenlicht. Eventuell handelt es sich auch um Nachtaufnahmen, dann leuchten die Objekte selbst. Meist müssen es noch nicht mal spannende Motive oder spektakulär gestaltete Aufnahmen sein. Das Licht allein vermittelt diese starke Wirkung. Denn Licht ist ein sehr stark auf die Emotionen wirkendes Stilelement der Fotografie, wenn nicht sogar das stärkste.
In nur ganz wenigen Ausnahmefällen kommt das Licht aus Richtung einer gedachten Halbkugel hinter der Kamera. Die Lichtquelle befindet sich hier hinter dem Fotografen bzw. leicht seitlich oder erhöht von ihm. Meist handelt es sich dann aber auch um ein Bild mit einem absolut sensationellen Objekt, gegen das die Gestaltung nicht zu bestehen brauchte.
Die Lichttheorie in diesem Buch gibt Ihnen mit ihren sogenannten Hauptlichtarten ein Instrumentarium an die Hand, mit dem Sie die Grundaussage des Bildes oder auch die Grundstimmung, die es beim Betrachter auslösen wird, vorherbestimmen und somit gezielt gestalten können. Dabei ist die Wahl des eigentlichen Motives eher zweitrangig. Die Lichttheorie widmet sich der Ausleuchtung von fast allen Motiven wie Menschen, Landschaften, Architektur oder den meisten Stillleben. Die gewünschte Bildstimmung kann bei einem beliebigen Motiv schon allein durch das verwendete Hauptlicht von strahlend, leuchtend freundlich, heiter über markant, aussagekräftig, charaktervoll bis hin zu düster, melancholisch, gefährlich oder diabolisch reichen.
Durch weitere Techniken wie unterschiedliche Kontrastbeeinflussungen lassen sich diese Grundstimmungen in sehr feinen Abstufungen ausformulieren. Die Lichtgestaltung wird so zu einem Werkzeug der Bildgestaltung, das die Grundaussage eines Bildes bewusst planen und die emotionale Wirkung steuern lässt. Die Lichtgestaltung wird also in den Dienst der kommunikativen und emotionalen Aspekte der Fotografie gestellt.
Zudem sollen Objekte möglichst gut erkennbar, das heißt mit ihrer Plastizität und Oberflächenbeschaffenheit, gezeigt werden. Schließlich geht es in der Fotografie unter anderem darum, in einem zweidimensionalen Medium die dreidimensionalen Eigenschaften der abgebildeten Objekte überzeugend darzustellen. Ein Bild erhält unter anderem erst durch ein entsprechendes Licht seine Tiefenwirkung.
Ein weiterer Aspekt der vorgestellten Lichttheorie ist es, mit einer spannenden Akzentsetzung und sinnvollen Linienführung sowie mit ausgewogener Flächenaufteilung den Blick des Betrachters so geschickt durch das Bild zu führen, dass er die wesentlichen Bereiche des Bildes immer wieder betrachtet und von weniger wichtigen oder gar störenden Motivteilen weggelenkt wird. Die Linienführung lässt sich zudem nutzen, um bei dem Betrachter eine bestimmte emotionale Wirkung zu erzielen. Zum Beispiel kann sein Blick einer fröhlichen oder gedrückten Grundstimmung entsprechend eher in die oberen oder unteren Bildteile gelenkt werden.
All diese gestalterischen Effekte, die Grundstimmung, die räumliche Präsenz in einem flachen Bild und die Blickführung, sollten sich gegenseitig verstärken und so dem Bild eine intendierte Spannung und Aussage mitgeben.
Diese und weitere Aspekte von Licht stelle ich Ihnen zunächst anhand sehr einfacher Studioporträts vor. Auch wenn Sie selbst eher draußen und vor Ort fotografieren, lade ich Sie ein, zunächst den kleinen Umweg durch das Studio (das kann auch Ihr Wohnzimmer sein) zu gehen. Sie benötigen im einfachsten Fall nur eine Baulampe, mit der Sie Ihre ersten Erfahrungen sammeln und das Licht »sehen lernen« können. Der Umweg über das kontrollierte Ausleuchten im Studio hilft Ihnen, in kurzer Zeit viele unterschiedlichste Lichtwirkungen zu erkunden und Ihr Auge zu schulen, während Sie im Freien von der Tageszeit und der Witterung abhängig sind. Dabei werde ich das praktische Vorgehen beim Ausleuchten schrittweise erläutern, auf mögliche Wirkungen hin analysieren und verbreitete Missverständnisse oder auch Fehlerquellen ansprechen.
Das Buch orientiert sich an der Reihenfolge, in der die praktischen Schritte und Überlegungen beim Ausleuchten eines Motives in der Regel erfolgen sollten. Zu Beginn steht die Wahl der Lichtart entsprechend der Grundaussage und Stimmung des gewünschten Bildes mit einer dafür ausgewählten Lichtquelle und ihren speziellen Eigenschaften. Es folgt die Kontrastanpassung durch Aufhellung der entstehenden Schatten, anschließend werden Effekt- und Hintergrundbeleuchtung gesetzt.
Ich werde Ihnen in diesem Buch zunächst drei grundlegende »Hauptlichtarten« vorstellen, die ein Objekt in einer jeweils anderen und sehr charakteristischen, vor allem aber vorhersagbaren Grundstimmung erscheinen lassen. Zugleich führen diese Lichtarten zu einer spannenden Akzentsetzung und schwunghaften Linienführung, wodurch die Formen deutlich hervortreten und Plastizität vermitteln. Zusätzlich ergeben sich spannende Flächenaufteilungen, sodass der klassische Bildaufbau durch die Lichtführung unterstützt wird. Daher sind diese drei Hauptlichtarten sehr geeignet, um sich dem Thema Licht und Schatten zu nähern. Der Umgang mit ihnen schult Ihre Wahrnehmung für die genannten Aspekte, und das vermittelt Sicherheit im Gestaltungsprozess.
Haben Sie sich die Grundlagen der Lichttheorie anhand von einfachen Porträts erarbeitet, lässt sich diese Theorie auch auf mehrere Personen, zum Beispiel bei Gruppenporträts, anwenden. Im nächsten Schritt können Sie das kontrollierte Umfeld des Studios verlassen und die Theorie auch auf alle anderen Lichtsituationen übertragen, so zum Beispiel auf Porträts bei Tageslicht on Location, bei Available Light oder bei Verwendung des Systemblitzes. Die Lichttheorie lässt sich mit jeder Art von Lichtquelle umsetzen, was sie sehr universell macht.
Im letzten Schritt können Sie die Theorie der Lichtgestaltung auf alle anderen Motive verallgemeinern: Landschaft, Architektur, Stillleben, Mode, Reportage etc. Die in der vorgestellten Lichttheorie behandelten Motive müssen das Licht lediglich vorwiegend diffus reflektieren. Das betrifft die weitaus meisten Motive. Ausnahmen bilden lediglich rein spiegelnd reflektierende Oberflächen (Glas und polierte Metalle zum Beispiel in der Produktfotografie), die einer anderen Technik und Arbeitsweise als der hier vorgestellten bedürfen.
Die vorgestellte Lichttheorie können Sie zudem in den unterschiedlichsten Arbeitsweisen nutzen. Nicht nur die geplanten Studioaufnahmen, auch spontane Situationen bei Tageslicht sind aus lichtgestalterischer Sicht beherrschbar. Die Theorie eröffnet Ihnen die Möglichkeit, durch die richtige Wahl Ihres Kamerastandpunktes und der passenden Blickrichtung das Licht und seine Wirkung im Bild zu steuern und gestalterisch zu nutzen. Sie sollten sich in einer selbst gebauten Studiosituation oder einer zufällig gefundenen Lichtsituation on Location deren Wirkung so bewusst sein, dass Sie sie für Ihre Zwecke nutzen und auch nach persönlichen Wünschen abwandeln können.
Es geht mir mit diesem Buch vor allem darum, Ihre Wahrnehmung zu schulen und die einzelnen Wirkungen von Licht im Bild spürbar und damit gestalterisch nutzbar zu machen. Sie sollten lernen, Licht und Schatten in ihrer Wirkung zu sehen und zu beschreiben. Ziel ist es, Ihnen Kategorien an die Hand zu geben, mit denen Sie selbst weiterarbeiten, Neues entdecken können. Auch möchte ich Sie in die Lage versetzen, das Licht anderer Fotografen selbst analysieren und verstehen zu können, um es für sich selbst zu nutzen und nach eigenen Wünschen und Ideen frei abzuwandeln.
Nicht zuletzt habe ich oft das Problem, dass ich mich mit einigen Fotografen kaum über Licht unterhalten kann, da diese nur wenige sprachliche Kategorien für Licht haben, um genau ausdrücken zu können, was sie tatsächlich beschreiben wollen. Oft ist ein Licht in deren Sprachgebrauch nur »hart« oder »weich«, »diffus« oder »gerichtet«. Aber Licht ist so viel mehr. Mein Anliegen ist es, Ihnen einige differenzierte Begriffe nahezubringen und sie gegeneinander abzugrenzen, um auch sprachlich das Phänomen Licht in den Griff zu bekommen. So kann ein Austausch über Ideen vereinfacht werden und dabei helfen, Ihre inneren Vorstellungsbilder bereits vor einer Aufnahme auszudifferenzieren.
Die einzelnen Kapitel sind nach Möglichkeit in der Reihenfolge gegliedert, in der Sie das Ausleuchten einer Person im Studio (und später on Location) gestalten sollten. Als Erstes setzen Sie das Hauptlicht. Das ist zunächst eine Lampe, später auch die Sonne oder jede andere Lichtquelle. Erst wenn diese perfekt steht und sich alle gewünschten Effekte zeigen, sollte mit Aufhellungen das entstandene Ergebnis weiter verfeinert und den technischen Anforderungen entsprechend modifiziert werden. Im Kapitel über das Hauptlicht sind daher zunächst Bilder zu finden, bei denen der Kontrast eigentlich viel zu hoch ist; hier habe ich noch bewusst auf eine anschließende Aufhellung verzichtet. Dieses Kapitel stellt die Hauptlichtarten so dar, wie Sie sie beim Ausprobieren an dieser Stelle vor sich sehen werden. Erst in den weiteren Kapiteln werden die anfänglichen Bilder durch Lampengrößen, Aufheller und Effektlichter weiter modifiziert. Dabei folge ich der wichtigen Regel, dass der nächste Schritt beim Ausleuchten immer erst dann erfolgen sollte, wenn der aktuelle Schritt so zufriedenstellend ausgeführt wurde, dass eine weitere Verbesserung im aktuellen Schritt nicht mehr möglich ist.
Die gezeigten Bilder am Anfang des Buches sind also im Arbeitsablauf von Studiofotografen »Zwischenergebnisse«, die noch »ausgebaut« werden sollten. Das Buch ist so angelegt, dass Sie sich Schritt für Schritt das Verständnis und die praktischen Fähigkeiten beim Gestalten mit Licht erarbeiten können. Es zeigt nicht bereits von Anfang an das »perfekte« Endergebnis, sondern den Weg dorthin, und verdeutlicht, auf welche Aspekte Sie bei jedem einzelnen Schritt achten sollten. Ich habe das Buch so aufgebaut, dass Sie es im Studio als Leitfaden nutzen können, als praktische Anleitung, um das Gezeigte selber auszuprobieren. Ich möchte erreichen, dass Sie Ihre Wahrnehmung auf diese Weise schulen und so sicher im Umgang mit Licht werden, dass Sie für die späteren Kapitel den Kopf wirklich frei haben, um sich dem weniger flexiblen Tageslicht auch bei komplexeren und teilweise hektischen Motiven mit vollem »Durchblick« widmen zu können. Gönnen Sie sich das reizarme Studio mit all seiner Ruhe, um zu lernen.
Die einzelnen Kapitel stellen zudem mit möglichst einfachen Beispielen die Aspekte des Lichtes in »Reinform« dar. Meine Erfahrung ist nämlich, dass viele junge Fotografen anfänglich Probleme haben, die Wirkung von Motiv, Bildgestaltung und Lichtwirkung losgelöst voneinander zu betrachten. Damit Sie die Wirkung der Akzente, Linienführung, Flächenaufteilung, der Blickführung und nicht zuletzt die Stimmung der einzelnen Lichtarten unabhängig voneinander und vor allem auch unabhängig vom Motiv wahrnehmen können, verzichte ich zunächst auf spezielle Hintergründe, Make-up, Posen und Requisiten, die sich als weitere Mittel anbieten, um die Wirkung eines Bildes zu steigern und zu differenzieren.
Um aber bereits nach den ersten Kapiteln einen Eindruck zu gewinnen, wie sich die einzelnen Aspekte in komplexeren Fotos darstellen, habe ich zwischen den einzelnen Theoriekapiteln die besprochenen Aspekte mit Praxisbeispielen unserer Studierenden der Fotoakademie-Koeln illustriert. Diese Bilder greifen nicht nur die Thematik des vorangestellten Kapitels auf, sondern verweisen zugleich auf die weiterführenden Kapitel. Bei den Beschreibungen dieser Beispiele gehe ich der besseren Orientierung halber zunächst auf jene Aspekte ein, die zuvor behandelt wurden, und komme anschließend auf erst im Folgenden dargestellte Inhalte zu sprechen. Ich empfehle Ihnen, die eingeschobenen Praxisbeispiele nach der kompletten Lektüre der Theoriekapitel ein zweites Mal zu betrachten. So können Sie die bei der ersten Lektüre noch unbehandelten Aspekte einfacher wiederentdecken und nachvollziehen.
Zusammen mit Foto-TV habe ich die Kapitel 1 bis 5 als Videotutorial verfilmt. Das gesamte Tutorial dauert 168 Minuten und ich zeige darin das praktische Vorgehen im Studio, die Positionierung der Lampen und Aufheller in Bezug zur Kamera und dem Modell. So wird es gerade bei komplexen Aufbauten nochmals deutlich anschaulicher. Auch die Ergebnisse diskutiere ich und vergleiche sie miteinander. Da aber nicht alle Sets, die für das Buch gemacht wurden, im Film nachgestellt werden konnten, schlicht weil das viel zu viele gewesen wären, habe ich für das Tutorial einen anderen didaktischen Aufbau gewählt und die Inhalte deutlich verdichtet. Über QR-Codes finden Sie, jeweils passend zur entsprechenden Stelle im Buch, Auszüge aus diesem Tutorial, insgesamt fast eine Stunde.
Tobias Müller
In diesem Selbstporträt von Tobias Müller, unserem ersten Stipendiaten an der Fotoakademie-Koeln, können Sie viele der noch zu besprechenden Gestaltungsaspekte wiederfinden. Die Hauptlichtquelle, ein großer Reflektorschirm, beleuchtet die räuberische Szene im sogenannten Rembrandtlicht, was eine gewisse dramatisch-dynamische Stimmung erzeugt.
Der Schirm ist so aufgestellt, dass sein Widerschein auf der Tapete ein deutliches Glanzlicht erzeugt, das den Blick auf die diebischen Hände im Bild lenkt. Dabei ist das Glanzlicht so »transparent« gestaltet, dass die Farbigkeit der dunklen Wand nicht leidet. Nebenbei wird zugleich die Materialbeschaffenheit, also die feine Struktur der Tapete, im Bild herrlich modelliert.
Dasselbe gilt auch für die Falten in Hemd und Hose.
Das Licht sorgt aber nicht nur für eine gute Strukturwiedergabe, sondern auch noch für eine dreidimensionale Wirkung. Es ist so positioniert, dass der Bilderrahmen durch seine Schattenbildung auf der Wand deutlich erkennbar in den Händen des Diebes liegt. Durch die Schattenbildung wird auch erkennbar, wie Tobias und die Vase deutlich vor der Wand stehen, sich so vom Hintergrund lösen und dem Bild eine räumliche Tiefe verleihen. Nebenbei sind die Plastizität im Gesicht und die Rundung der Vase herrlich durch Schattenverläufe herausgearbeitet. Damit die Schatten nicht zu dunkel wiedergegeben werden, ist das Hauptlicht durch eine weitere kleine Lichtquelle, knapp unterhalb der optischen Achse positioniert, aufgehellt. Betrachten Sie den Schatten von Tobias auf der Wand. In der Höhe des Kopfes ist der Schatten viel heller als auf Höhe des Knies, wodurch der Blick des Betrachters vom Bildrand weg in die hellere Bildmitte geführt wird. Die aufhellende Lampe ist mit ihrem »Hotspot« auf das Gesicht von Tobias gerichtet und durch deren schmalen Abstrahlwinkel ergibt sich der Helligkeitsverlauf der Schatten.
Wenn Sie das Bild genau analysieren, werden Sie feststellen, dass die Vase auf ihrer linken Seite eine zusätzliche Aufhellung der Schatten von links her erhält, die auf dem Modell aber nicht wirksam wird. Der äußerste Rand der Vase ist durch die »Zangenaufhellung« aus unmittelbarer Nähe von einer dritten Lichtquelle erfasst. Da das Modell viel weiter von dieser Lichtquelle entfernt ist, sorgt der sogenannte Verlaufskontrast dafür, dass das Modell selbst davon unberührt bleibt.
Dieter Faustmann
In den Bildern von Dieter Faustmann können Sie die metaphorische Kraft des Lichtes erkennen. Sein Erstrahlen im Spiegel in einem ansonsten dunklen Raum hat etwas Magisches und zugleich Bedrohliches. Der »Weg ins Licht« wird auch in Horrorfilmen gerne als Licht im Spiegel dargestellt. Der leere Stuhl erweckt zunächst Assoziationen der Vergänglichkeit. Gleichzeitig erklärt das Bild das Licht als wenig himmlisch und der Stuhl bekommt etwas sehr Makaberes, wenn Sie die Schreibtischlampe entdecken, die das spiegelnde Licht erzeugt … eine Verhörsituation? Beim zweiten Bild muss ich unweigerlich an Motten denken, die das Licht umschwirren. Zugleich legt die Kombination aus Licht und Engeln eine völlig andere Lesart nahe, bei der das Licht etwas Heiliges hat. Dieter spielt in diesen Bildern stark mit unterschiedlichen Assoziationsfeldern, in denen Licht als Motiv kulturell fest verankert ist, und deutet sie geschickt und spannungsreich um.
Tobias Müller – »Die Bedeutung der Fotografie«
In diesem Bild illustriert Tobias Müller die Bedeutung der Fotografie aus seiner persönlichen Sicht. Durch die Akzentsetzung mit Licht auf Brust und Stirn versucht er, den Betrachter das Bild so lesen zu lassen, dass erst durch das Licht Verstand und Herz wieder zu einer Einheit werden. Eine schöne Metapher für die Fotografie …
Dana Stölzgen – »Magische Orte«
Dana Stölzgen verwendet in ihren »Magischen Orten« das Licht, um den Locations Leben einzuhauchen. In der ersten Aufnahme wirkt die Lampe wie ein Theaterspot, nur dass die Akteure die Bühne bereits verlassen haben. In der zweiten Aufnahme stehen die beiden Lampen da wie ein altes Ehepaar, das eventuell früher einmal zu Gast in dieser Kneipe war. Das Licht der Lampen verkörpert einen Großteil des Charakters dieses alten Paares. Die Verlassenheit des Ortes wird in der dritten Aufnahme gleich auf mehreren Ebenen versinnbildlicht. Die Schirme stehen da wie ein vergessenes Pärchen, wodurch das Thema des zweiten Bildes wieder aufgegriffen wird. Auch hier ist ein Schirm etwas größer als der andere, so wie bei den Lampen. Und es sieht so aus, als würde der eine Schirm den Weg in Richtung Licht antreten, welches im Hintergrund zur Tür hereinscheint. Auch hier wird das Licht wieder als Metapher für einen (zukünftigen) Weg oder den Abschied genutzt. Geschickt greift der Stuhl im Vordergrund die Stühle des ersten Bildes auf und vereint die Bilder zu einer kleinen Geschichte des Hinfortgehens.
Kathrin Kolbow – »Albträume«
In »Albträume« von Kathrin Kolbow wird das »Verrückte« nicht zuletzt durch das Licht untermalt. Es kommt als Seitenlicht von links und rechts, zudem auch noch als Gegenlicht. Es sind also gleich drei Hauptlichtquellen eingesetzt. Eine natürlich wirkende Beleuchtung erhalten Sie mit einer solch »wüsten« Ausleuchtung nicht. Diese Ausleuchtung entstammt eher einem Theater. Hier erzeugt Kathrin eine sehr surreale und passend zu den Albträumen geheimnisvolle Wirkung.
Horst Mumper
In diesen Szenen, Ausschnitten aus einer Kurzgeschichte, untermalt Horst Mumper die emotionalen Zustände seiner Protagonisten durch eine entsprechende Lichtführung. In dem Bild mit Barbie in der Kutsche setzt er ein sehr klassisches hochfrontales Licht mit einer großen Lichtquelle und kombiniert diese mit einer Aufhellung durch Verlängerung. So erhält er ein sehr strahlendes, sonniges Licht. In diesem Fall sorgt eher die Farbgebung für den traumhaften, surrealen Effekt. Im zweiten Bild kombiniert Horst Mumper passend zur bedrohlichen Figur des Hulk ein eher düsteres Seitenlicht. Gleichzeitig erscheint Barbie jetzt, der Dramatik der Szene entsprechend, im Rembrandtlicht.
Rolf Franke
Die Bilder von Rolf Franke wirken oft sehr filmisch. Er fotografiert gerne auf sehr komplex aufgebauten Filmsets, die die in diesem Buch vorgestellte »Nasentheorie« verwenden, um natürliches Licht nachzuahmen. Tatsächlich wird das »Fensterlicht« in dieser morgendlichen Szene durch Filmscheinwerfer und das (in Kapitel 3 vorgestellte) »Multilight« erzeugt.
Maya Claussen
Maya Claussen nutzt die Lichttheorie für diese Bilder, die in einem strikten Reportageansatz erstellt wurden, um das vorhandene Licht vor Ort bewusster zu sehen und dessen Bildwirkung bereits in der Situation zu erkennen. So kann sie einen idealen Standpunkt für ihre Aufnahmen finden. Das hochfrontale Licht der ersten Aufnahme fällt durch ein Dachfenster. Es wirkt so, als würde die Frau auf einer Bühne stehen. Erst das Erkennen dieser Lichtsituation macht das Motiv für die Fotografin überhaupt interessant – dagegen nicht, dass diese Frau Milch umgießt. Ebenso verleiht das dramatische Seitenlicht auf den Lehrer in der Schulklasse dem Bild einen Großteil seiner erzählerischen Kraft. Schulen Sie Ihre Wahrnehmung und üben Sie im Studio, auch wenn Sie später vor Ort und in Reportagesettings arbeiten möchten. So können Sie den richtigen Moment abpassen. Und dieser Moment ist oft erst durch das richtige Licht gegeben. Weshalb Sie lernen sollten, es zu erkennen.
Maya Claussen
Maya Claussen nutzt die Lichttheorie auch für Interieurs, wie dieses Beispiel zeigt. Jedes Objekt hat ein »Gesicht« und lässt sich daher genau wie ein solches lichtgestalterisch behandeln. Das Bettzeug erhält Seitenlicht, genau wie die Wand auf der rechten Seite. Das Buch im Vordergrund ist so gedreht, dass es Rembrandtlicht auf der kurzen Seite erhält.
Vildan
Im Stillleben von Vildan können Sie feststellen, dass die Frucht und das Haar jeweils in ein stark durch Verlängerung aufgehelltes hochfrontales Licht getaucht sind. Dabei verwendet die Fotografin das Licht eines Fensters als Hauptlichtquelle. All diese Begriffe und Zusammenhänge erscheinen Ihnen jetzt eventuell noch sehr rätselhaft, doch dafür halten Sie ja dieses Buch nun in Händen: um das Licht sehen und im wahrsten Sinne des Wortes begreifen zu lernen.
Ausleuchten heißt Schatten erschaffen. Ein erster wesentlicher Aspekt für die Wirkung von Licht ist, dass ein dreidimensionales Objekt auch im zweidimensionalen Bild seine Räumlichkeit, seine Plastizität behält. Hierzu darf zum Beispiel ein Gesicht nicht nur »hell« und damit schattenfrei angeleuchtet werden. Das wäre mit einer nahe der optischen Achse platzierten Lichtquelle der Fall, etwa bei Nutzung des eingebauten bzw. eines Systemblitzes auf der Kamera oder der Sonne im Rücken des Fotografen. Das Ergebnis ist am Beispiel einer Kugel einfach zu verdeutlichen, wie Abbildung 1–1 zeigt.
Abbildung 1–1
Eine dreidimensionale Kugel ist nur bei entsprechender Ausleuchtung als solche in einer zweidimensionalen Abbildung wahrnehmbar.
Bei einer frontalen Ausleuchtung wirkt die Kugel im Bild eher wie eine Scheibe. Nachts können Sie das anhand des Vollmondes sehen, der wie eine Scheibe und nicht wie eine Kugel am Himmel steht. Erst Schatten auf der Oberfläche lassen uns ein Objekt im zweidimensionalen Bild als dreidimensional wahrnehmen. Dabei sind unterschiedliche Eigenschaften der Schatten, die wir im Verlauf der folgenden Kapitel ausführlich diskutieren werden, dafür verantwortlich, wie stark diese »Plastizität« und viele weitere Charakteristika ausgeprägt sind. Ein plötzlich einsetzender Schatten mit einer scharfen Übergangskante wie bei der zweiten Kugel in Abbildung 1–1 lässt diese wie eine flache Sichel erscheinen, so wie wir es auch beim Mond beobachten können. Erst ein breit verlaufender Schatten, der von der angeleuchteten bis zur Schattenseite verläuft, verleiht der Kugel das nötige Volumen. Wird dieser Verlauf breiter, wirkt die Kugel stärker dreidimensional.
Abbildung 1–2
Das Gesicht erscheint frontal beleuchtet flächiger als bei schattenreicher seitlicher Beleuchtung.
Anhand der Porträts in Abbildung 1–2 lässt sich der Unterschied der Tiefenwirkung durch Schattenverläufe nochmals verdeutlichen. Bei frontaler Beleuchtung ist das Gesicht nahezu schattenfrei und damit wenig plastisch. Bei seitlicher Beleuchtung entstehen deutlichere Schatten und damit auch Hell-Dunkel-Verläufe, die eine plastischere Bildwirkung ergeben.
Schatten mit einem breiten Hell-Dunkel-Verlauf lassen ein Motiv in der zweidimensionalen Bildebene dreidimensional und damit plastisch wirken.
Ausleuchten heißt also nicht, die Motive möglichst überall mit Licht zu versorgen, sondern Ausleuchten bedeutet im Gegenteil, Schatten zu erschaffen. Von den im Bild erzeugten Schatten hängt aber nicht nur die Plastizität ab, sondern auch die Wiedergabe von Glanzlichtern auf teilweise spiegelnden Oberflächen wie Wasser, Metall, Glas oder eben auch einer feuchten oder fettigen Haut. Auch die Wiedergabe von Struktur, der Oberflächentextur eines Motives, hängt von den erzeugten Schatten ab. Genauso wesentlich für die Bildwirkung sind zudem die entstehende Flächenaufteilung, Linienführung und Akzentsetzung sowie nicht zuletzt die Grundstimmung, also die emotionale Wirkung auf den Betrachter, die ebenfalls von den erzeugten Schatten und deren Verläufen und Kontrasten abhängig ist. All diese Aspekte versuche ich Schritt für Schritt, einzeln und nach Möglichkeit losgelöst voneinander zu betrachten. Viele dieser Faktoren stehen zwar mehr oder weniger stark in Wechselwirkung, aber sie lassen sich doch gezielt separat betrachten, beeinflussen und beurteilen.
Mir wird in Workshops immer wieder die Frage gestellt, wie ich dieses oder jenes Motiv beleuchten würde. Und ich bekomme sehr oft die Frage zu hören, was ich gerne fotografiere, womit dann immer gemeint ist, welche Motive ich bevorzuge. In beiden Fällen muss ich die Fragesteller zunächst enttäuschen: Ich fotografiere keine besonderen Motive und meine Lichtsetzung unterscheidet sich nicht im Hinblick darauf. Ich fotografiere, weil ich kommunizieren will. Und manchmal geht das am besten mit einem Stillleben, ein anderes Mal mit einem Porträt. Daher ist es mir auch nicht wichtig, wie ich ein bestimmtes Motiv ausleuchte, weil es eben dieses bestimmte Motiv ist, sondern ich wähle das Licht (und alle anderen Gestaltungsmittel) entsprechend meiner gewünschten Aussage und Grundstimmung des beabsichtigten Bildes. Für die Wirkung eines Stilmittels ist es unerheblich, ob ich es auf ein Auto, einen Menschen oder einen Baum anwende. Die Lichttheorie lässt sich aber aus meiner Sicht am einfachsten anhand von Porträts erlernen und dann verallgemeinern, da Gesichter ähnlich wie eine Kugel rund sind, aber auch flächige Elemente wie Stirn oder Wange aufweisen. Zudem zeigen sie auch Vorsprünge wie die Nase oder Einbuchtungen in den Augenhöhlen. Auch sind Glanzlichter und Strukturen in unterschiedlichen Ausprägungen wiederzufinden. Das macht Gesichter zu idealen Übungsmotiven, an denen Sie alle Aspekte in Ruhe studieren können.
Falls Sie Bedenken haben sollten, Modelle aus dem Freundeskreis für Ihre »Fingerübungen« in Anspruch zu nehmen, oder Ihr Interesse einfach nicht beim Porträt liegt, kaufen Sie sich am besten drei oder vier kleine Gipsbüsten (ich habe meine im Musikfachhandel erworben) und üben Sie an diesen. Unterschiedliche Gesichter weisen unterschiedliche anatomische Besonderheiten auf. Eine Büste allein ist zwar schon geeignet, die grundlegenden Arbeitsweisen und damit verbundenen Effekte zu erproben, aber die Feinheiten werden erst im Vergleich der unterschiedlichen Anatomien deutlich. Haben Sie ein Licht für eine Büste »perfekt« eingestellt, so können Sie diese probehalber durch eine andere austauschen und werden meist feststellen, dass ein anders beschaffenes Gesicht auch leicht unterschiedliche Lichtmodulationen benötigt, um die gewünschten Effekte im Bild zu erreichen. In den späteren Kapiteln werden die beschriebenen Methoden und Arbeitsweisen beim Ausleuchten auf Landschaften oder Gebäude übertragen. Diese sehr unterschiedlichen Motive haben ebenfalls individuelle »Gesichter« mit unterschiedlichen »Anatomien«. Üben Sie also an Ihren Freunden oder an Gipsbüsten, um die Effekte des Lichtes den wechselnden Erfordernissen anzupassen. So sind Sie zum Beispiel in einer reportage-artigen Situation, in der Sie eventuell wenig Zeit haben werden, viel schneller in der Lage, das Licht einzuschätzen und bewusster zu nutzen.
Abbildung 1–3
Falls Sie die Lichttheorie nicht am lebenden Modell erlernen möchten, können Sie auch auf Gipsbüsten zurückgreifen.
Bei einem nicht frontal in die Kamera blickenden Modell wird die eine Seite des Gesichts länger und die andere kürzer im Bild erscheinen, gemessen von der Nasenspitze bis zum linken bzw. rechten Gesichtsrand. Stehen Sie vor einem Modell, so sehen Sie immer die lange Seite des Modells. Die von Ihnen abgewandte Seite ist immer schmal beziehungsweise kurz. Es ist unmöglich, so vor einem Modell zu stehen, dass Sie direkt in dessen »kurze Seite« schauen!
Gehen Sie um ein Modell herum, so wird die Ihnen zugewandte Seite immer lang sein. Die zunächst noch kurz erscheinende, also abgewandte Seite wird in dem Moment lang erscheinen, wenn Sie die »Nasenlinie« des Modells überschritten haben. Diese »Nasenlinie« verläuft von der Nase aus in die Richtung, wohin die Nase zeigt. Überschreitet der Fotograf diese Nasenlinie, wechseln die kurze und die lange Seite im Gesicht des Modells ihre Position. Die Angabe »kurze Seite« oder »lange Seite« ist immer von der Kamera aus gesehen zu verstehen, also so, wie sie sich vom jeweiligen Standpunkt aus im Bild darstellt.
Die einzige Ausnahme von dieser Regel ergibt sich, wenn Sie genau mittig vor einem Modell stehen, also direkt frontal vor dessen Nase genau auf der gedachten Nasenlinie, da dann beide Seiten des Gesichts exakt gleich lang im Bild erscheinen. Nur in diesem Sonderfall gibt es keine lange bzw. kurze Seite.
Abbildung 1–4
Gesichter zeigen dem Betrachter, von der Nase aus gemessen, eine lange und eine kurze Seite.
In Hinblick auf die Plastizität im Bild ist es nicht unerheblich, auf welcher Seite Sie eine Lichtquelle platzieren. Licht, das Sie auf der »kurzen Seite« (linkes Beispiel in Abbildung 1–5) auf ein Modell fallen lassen, erzeugt mehr Plastizität als auf der »langen Seite« (rechtes Beispiel).
Gesichter erscheinen besonders plastisch modelliert, wenn das Licht auf die »kurze Seite« fällt.
Abbildung 1–5
Die Beleuchtung von der kurzen Seite erzeugt eine deutliche Plastizität, während eine Beleuchtung von der langen Seite das Gesicht eher flächig erscheinen lässt.
Von der Kamera aus gesehen, sind bei Beleuchtung von der kurzen Seite die Schattenpartien immer auf der kamerazugewandten, längeren Gesichtshälfte sichtbar. Erst dahinter, in größerem Abstand zur Kamera, folgen die erleuchteten Gesichtspartien auf der abgewandten Seite. Bei Beleuchtung von der langen Seite aus weichen die Schatten nach hinten (von der Kamera aus gesehen) zurück. Somit wird nur die kleinere und zudem weiter entfernte Gesichtspartie von den für die plastische Bildwirkung so wichtigen Schatten erfasst. Oder um es mit einem alten Fotografen-Merksatz zu formulieren: »In einem Foto sollten einem die Schatten entgegenkommen.« Zumindest als erster Anhaltspunkt ist dieser Merksatz recht gut brauchbar.
Wir werden diesen Merksatz im Weiteren noch deutlich detaillierter hinterfragen müssen. Er ist nur eine erste grobe Stütze, von der viele Fotografen bewusst abweichen. Irving Penn, ein Großmeister des klassischen Porträts, nutzt das Licht zum Beispiel fast immer auf der langen Seite seiner Modelle und erhält dennoch sehr plastisches Licht. Ähnlich ging es bisweilen in der niederländischen Malerei des Barock und einigen anderen Stilrichtungen zu, wo das Licht oft auf der langen Seite des Modells zu finden ist. Es gibt eben neben der Plastizität noch viele andere Aspekte, die bei der Ausleuchtung eines Modells berücksichtigt werden sollten. Zum Beispiel wirkt ein Gesicht mit Licht auf der kurzen Seite deutlich schlanker als eines mit Licht auf der langen Seite. Dadurch ist es zum Beispiel möglich, bei stark asymmetrischen Gesichtern die größere Gesichtshälfte in den Schatten zu legen, wodurch diese kleiner und das Gesicht insgesamt wieder symmetrischer erscheint.
Beim Porträt eines Modells, das direkt in die Kamera blickt, sind beide Seiten gleich lang. Für die Plastizität der Ausleuchtung ist es in diesem Fall egal, auf welche Seite das Licht fällt.
In einem Bild sind bestimmte Richtungen und Positionen mit bestimmten Assoziationen verknüpft. Links im Bild verorten wir oft die Heimat, das Zuhause, den Startpunkt, das Bekannte oder die Vergangenheit. Auf der rechten Seite liegt eher die Zukunft, das Unbekannte, das zu Entdeckende oder Neue. Die Zeitachse in einem Foto läuft, wie die Leserichtung von Texten, von links nach rechts. Vergleichen Sie dazu einmal das folgende Porträt mit dem auf der nächsten Seite.
Wenn das Modell auf der linken Seite im Bild platziert wird und nach rechts blickt, schaut es eher »in Richtung Zukunft«, aus der ihr das Licht bereits »entgegenkommt«. Auf der nächsten Seite ist dasselbe Modell rechts platziert, hat also schon einiges erlebt und schaut nach links »zurück in die Vergangenheit«, wo ihm »das Licht des Heimathafens den Weg weisen soll«, um es einmal etwas poetisch zu formulieren.
Abbildung 1–6
Die Positionierung eines Akzentes auf der linken Bildseite und eine Blickrichtung nach rechts interpretieren wir oft mit einem Blick in Richtung Zukunft.
Diesen Effekt nutzen zum Beispiel viele Hollywood-Filme. Beobachten Sie einmal aufmerksam, aus welcher Richtung die Personen am Anfang eines Filmes »eingeführt« werden. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür liefert die Produktion »Die Reise der Pinguine«: Dort sehen Sie zu Beginn des Filmes die Pinguine, wie sie von links nach rechts durch das weiße, verschneite Bild laufen oder aus Löchern im Eis an Land hüpfen, wo sich die Gruppe sammelt. Anschließend verlassen die ersten Tiere die Gruppe nach rechts und der Rest folgt ihnen. Ein riesiger Tross Pinguine läuft in die unwirsche Antarktis – und zwar von links nach rechts durchs Bild. Dem Betrachter ist sofort beim Erscheinen der Pinguine klar, dass hier der Startpunkt einer Reise ins Ungewisse liegt. Am Ende des Filmes, wenn die Pinguine ihre Jungtiere ausgebrütet haben, verlassen sie das Bild von rechts nach links und kehren zum sicheren Ausgangspunkt ihrer Reise zurück. Auch ein Held, der sich in einem Western in Richtung Abenteuer verabschiedet, tut das von links nach rechts. Er lässt die kleine Farm links im Bild hinter sich zurück und macht sich ins ungewisse Abenteuer nach rechts auf. Am Ende eines Filmes kommt es auf den Verlauf der erzählten Geschichte an, in welcher Richtung die Protagonisten »abgehen«. Die »Heimkehrer« kommen fast immer von rechts nach links ins Bild, denn die Heimat wird mit der linken Bildhälfte assoziiert. Lediglich in Cliffhangern enden die letzten Szenen mit einer Bewegung oder einem Abgang nach rechts aus dem Bild heraus, denn dort geht es noch weiter … nur nicht mehr in diesem Teil des Filmes. Auch Superhelden verabschieden sich oft nach rechts aus einem Film, schon auf dem Weg in das nächste Abenteuer.
Im Theater wird die Assoziation der Richtungen links und rechts mit der Zeitachse ebenfalls ausgenutzt. Dort tritt ein Schauspieler am Anfang eines Stückes gerne von links (vom Zuschauer aus gesehen) auf, denn dort befindet sich der gefühlte Ursprung, der Anfang. Je nach Aussage im Stück gehen die Schauspieler dann nach links oder rechts wieder ab: nach links zurück in der Zeit, zurück an einen sicheren Ort etc., nach rechts in die nächste Szene oder ins Unbekannte.
In einem Foto kann es für die Bildaussage einen Unterschied machen, ob das Licht von der rechten oder linken Seite auf das Modell fällt. Besonders augenscheinlich wird dies bei Porträts, wenn das Modell zudem in die entsprechende Richtung schaut. Ist das Modell selbst auf der linken Seite positioniert, befindet es sich »in einem Schutzhafen der Heimat«, was »Gewissheit und Geborgenheit« vermittelt, und schaut nach rechts in eine Zukunft, die wir nicht sehen können – der Bildrand verhindert das. Spiegeln Sie zur Übung ein Bild mit einer deutlichen Richtungswirkung, vergleichen Sie es mit der ungespiegelten Variante und spüren Sie den unterschiedlichen Wirkungen nach, die diese Bilder bei Ihnen auslösen.
Bei einem frontalen Porträt ist es für die Plastizität egal, auf welcher Seite das Licht steht. In beiden Fällen entstehen gleichermaßen Tiefenwirkung und plas-tische Modulation der Gesichtszüge. Dennoch ergeben sich unterschiedliche Bildwirkungen. Das Licht kommt einmal aus der »Vergangenheit«, das andere Mal aus der »Zukunft«.
Abbildung 1–7
Die Positionierung eines Akzentes auf der rechten Bildseite und die Blickrichtung nach links interpretieren wir oft mit einem Blick in Richtung Vergangenheit.
Mit der oberen Bildhälfte ist das Gute, das Leichte und Luftige, das Göttliche, das Transzendente, das Starke und Mächtige, aber auch das Ungreifbare und Unerreichbare verknüpft. Die Gestaltungslehre für den normalen Bildaufbau lehrt, dass ein eher oben im Bild platzierter Akzent, also ein Bildelement, das den Blick des Betrachters stark auf sich zieht, die entsprechende Wirkung beim Betrachter auslösen kann. Auch Licht aus dieser Richtung kann die Wirkung weiter unterstützen. Das Bild wirkt dann oft leicht, fröhlich und strahlend wie im linken Beispiel in Abbildung 1–8. Ein heller Bildhintergrund könnte die Wirkung in dieser Richtung weiter steigern, genau wie das gezeigte Gegenlicht, das ich noch ausführlich besprechen werde.
Abbildung 1–8
Die Richtung, aus der eine Lichtquelle eingesetzt wird, entscheidet über die emotionale Grundstimmung in einem Bild.
Die untere Bildhälfte weckt eher Assoziationen mit dem Schweren, Erdigen, dem Negativen, Melancholischen, Depressiven oder dem Teuflischen. Aber nicht nur die Platzierung von Akzenten in diesen Bildbereichen erzeugt derartige Bildwirkungen. Licht von unten hat ebenfalls etwas Dämonisches, wie wir alle als Kind mit der Taschenlampe unter dem Kinn feststellen konnten und wie auch das mittlere Beispiel in Abbildung 1–8 zeigt. Der dunkle Bildhintergrund unterstützt diese Stimmung weiter.
Exkurs
In den Edgar-Wallace-Filmen wird gerne Klaus Kinski mit Unterlicht als Wahnsinniger dargestellt. Der Effekt ist sehr dramatisch bis theatralisch, wenn in einem ansonsten dunklen Wald Kinski plötzlich mit einem starken Unterlicht beleuchtet wird, dessen Ursprung aber ein Rätsel bleibt. Schauen Sie mal auf YouTube unter »Die Gruft mit dem Rätselschloss« oder scannen Sie den nebenstehenden QR-Code.
In »The Shining« verfällt Jack Nicholson als Jack Torrance langsam dem Wahnsinn. In den Szenen, wo er in der Bar mit einem Barmann spricht, der nur in seiner psychotischen Fantasie vorhanden ist, wird das Unterlicht eingesetzt, um diesen Wahn auch über die Lichtgestaltung zum Ausdruck zu bringen. Die Wirkung ist sehr subtil, da Stanley Kubrick für diesen Zweck die Bar selbst als Beleuchtungskörper umgebaut hat, die das Unterlicht durch ihre einfache Anwesenheit im Bild »erklärt«. Zudem wird die Szene durch die Flächenleuchten der Bar aufgehellt, wodurch die Schatten des Unterlichtes weit weniger dramatisch ausfallen als etwa bei den Edgar-Wallace-Filmen. Suchen Sie auf YouTube nach »The Shining – Bar Scene« oder verwenden Sie den nebenstehenden QR-Code.
Die Mitte des Bildes assoziieren wir gerne mit Statik oder Ruhe bzw. mit einer eher nüchternen Feststellung von Tatsachen oder einfach mit dem Hier und Jetzt, also der realen Gegenwart. Fotos mit einem mittigen Akzent werden oftmals wie »Feststellungen« gelesen. »Das ist der Eiffelturm«, »das ist mein Auto«, »das ist meine Familie beim Camping« etc. sind oft gehörte Sätze beim Betrachten von Bildern mit mittig platzierten Akzenten. Auch Licht aus der Nähe der optischen Achse, also von der Mitte aus, kann diese »Passfoto-Wirkung« entfalten, wie das rechte Beispiel in Abbildung 1–8 zeigt. Gerne nutzte etwa die Modefotografie der 90er-Jahre Licht aus der optischen Achse, um den oftmals wenig lebensnahen Inszenierungen mit Topmodels einen realistischen »Live-Look« mitzugeben.
Abbildung 1–9
Licht aus unterschiedlichen Richtungen eingesetzt, erzeugt Bilder mit verschiedenen Grundstimmungen. Die jeweilige Wirkung kann dann weiter gestützt werden durch eine entsprechende Platzierung von bildwichtigen Akzenten in derselben Bildrichtung.
Wird ein Bildakzent an einer bestimmten Stelle im Bild platziert, stellt sich fast immer die Bildaussage oder Bildwirkung gemäß oben stehender »Landkarte der Akzentwirkungen« ein. Licht, das aus der entsprechenden Richtung auf das Motiv fällt, löst beim Betrachter eine ähnliche Wirkung aus. Weitere Gestaltungselemente wie Linienführung, Flächenaufteilung oder auch verwendete Farben entfalten jedes für sich ebenfalls bestimmte Bildwirkungen. Verwenden Sie die einzelnen Gestaltungselemente in entsprechender Weise, also so, dass sie eine ähnliche Wirkung entfalten, können diese sich gegenseitig verstärken und so dem Bild die gewünschte Aussage mitgeben.
Die Lichtrichtung bestimmt die Grundaussage oder Grundstimmung, die das Bild erhält, und kann durch die klassische Bildgestaltung unterstützt werden.
Der Einfluss der klassischen Bildgestaltung auf die Bildwirkung wird in diesem Buch dennoch eine eher untergeordnete Rolle spielen. Im Vordergrund soll vor allem die Lichtgestaltung mit ihrer Wirkung stehen.
Exkurs
In etlichen impressionistischen Gemälden von Claude Monet und Édouard Manet wird die Schwere der Feldarbeit von Bauern dadurch ausgedrückt, dass die Personen sehr weit unten im Bild dargestellt sind. Auch Vincent van Gogh oder Jean-François Millet haben dieses Thema in sehr ähnlicher Weise dargestellt.
Meist wird die Aussage durch einen dunklen braunen Acker als Hintergrund unterstützt, der häufig auch noch im Halbschatten liegt. Zudem wird der Horizont oberhalb der Köpfe platziert, wodurch die Bauern »heruntergedrückt« erscheinen. Als Kontrast dazu dient ein oft strahlender Himmel im oberen Bilddrittel. Das von weit oben ins Bild kommende Licht soll die Heilsversprechung des Göttlichen darstellen. Die Bauern sind zusätzlich oft betend dargestellt. So wird das göttliche Licht als Kontrast zur dunklen Farbpalette, der Position der gedrückten Hauptakzente, und zur demütigen Haltung der Abgebildeten genutzt, um die Schwere der Feldarbeit darzustellen.
Fast alle Gesichter sind asymmetrisch. Die eine Gesichtshälfte ist oft größer als die andere, eine Seite oft rundlicher, während die andere ein wenig eckiger erscheint. Meist sind die Augen nicht auf exakt derselben Höhe im Schädel angeordnet. Somit ist der Ausdruck eines Gesichts in seiner einen Hälfte immer ein wenig anders als in der anderen, manchmal zeigt sich der Unterschied sogar recht deutlich. Demnach sollte auch eher jene Seite beleuchtet werden, die Sie für eine Aufnahme bevorzugen.
Abbildung 1–10
Die beiden Gesichtshälften zeigen meist einen leicht unterschiedlichen Ausdruck.
Das rechte Bild in Abbildung 1–10 ist gespiegelt, das linke nicht. Einmal befindet sich die Schokoladenseite im Licht, das andere Mal nicht. Bei diesem Modell sind bei entspannter Mimik bereits Unterschiede im Gesichtsausdruck der linken und rechten Gesichtsseite erkennbar. Die Formen der Ohren, der Augenbrauen und der Wangenknochen sind erkennbar unterschiedlich. Die Gesichtskontur im linken Bild fällt vom Haaransatz am Ohr entlang senkrecht ab bis zum Kieferknochen, während sie im rechten Bild am Ohr entlang nach unten leicht abknickt und anschließend nach innen weist. Auf der einen Seite ist am Mundwinkel ein kleines Grübchen erkennbar, auf der anderen Seite ist ein solches weit weniger ausgeprägt. Vor allem ist der eine Mundwinkel des Modells immer etwas höher gezogen als der andere, wodurch die eine Gesichtshälfte einen etwas freundlicheren Ausdruck hat. Unterstützt wird dies dadurch, dass auf der »lächelnden« Seite das Auge ein wenig größer ist. Welche der beiden Seiten für ein Foto eher im Licht liegen sollte oder der Kamera zugewandt wird, hängt von der gewünschten Wirkung ab. Es muss durchaus nicht immer die »schöne« oder »freundliche« Seite sein. Für eine dramatischere oder auch markantere Wirkung würde ich mich für die linke Aufnahme entscheiden. Die Schokoladenseite ist also jeweils die, mit der man der gewünschten Bildaussage am nächsten kommt.
Die Richtungsangaben in diesem Buch (sofern nichts anderes gesagt wird) beziehen sich auf das Koordinatensystem, das seinen Ursprung im Kopf des Modells hat. Die Zeigerichtung der Nase bestimmt die Richtungsangabe für »vorne«. Die Richtungsangaben sind daher weitestgehend unabhängig vom Kamerastandpunkt. Dieser bestimmt nur, welche Seite lang und welche kurz erscheint.
Abbildung 1–11
Die Richtungsangaben in diesem Buch orientieren sich an der Nase des Modells, nicht an der Kamera.
>Vorne ist immer da, wo die Nase des Modells hinweist.
>Hinten ist die Richtung, in die der Hinterkopf weist.
>Oben ist die Richtung, in die das Schädeldach des Modells zeigt.
>Unten ist dort, wo sich der Hals befindet.
>Die lange und die kurze Seite ergeben sich aus dem Kamerastandpunkt.
Die Richtungsangabe »oben« in diesem Buch weist für ein Kopfstand machendes Modell demnach von der Kamera aus betrachtet in Richtung Fußboden, da dies die Richtung ist, in die das Schädeldach des Modells zeigt. Wenn Sie ein liegendes Modell vor sich haben, dessen Nase gen Himmel zeigt, ist der Himmel vom Modell aus betrachtet »vorne«. Vorne ist immer dort, wo die Nase des Modells hinweist, zumindest für dieses Buch. Da alle Richtungsangaben in dieser Lichttheorie ihren Ursprung in der Nase des Modells haben, hat sich bei uns in der Akademie der Name »Nasentheorie« für die Theorie der Lichtführung eingebürgert.
Stellen Sie sich vor, Sie stecken Ihrem Modell einen Ring durch die Nase, wie er zum Führen von jungen Bullen und Ochsen verwendet wird. An diesem Nasenring können Sie nun einen roten Nylonfaden straff zur Kamera spannen … oder Sie stellen es sich zumindest vor. Der Faden sollte stets straff gespannt sein und nicht durchhängen. Stellen Sie sich weiter vor, dass Sie den roten Nylonfaden zwischen Kamera und Nase des Modells so straff spannen, dass Sie mit einem Finger daran zupfen können und ein Ton wie von einer Gitarrensaite erklingt, und zwar egal, wo Sie gerade mit Ihrer Kamera stehen oder in welche Richtung das Modell schaut. Ich nenne diese Verbindungslinie zwischen Nase des Modells und Kamera die »Ochsenschnur«. Dieses gedachte Hilfsmittel wird Ihnen beim Ausleuchten gute Dienste leisten und ich werde mich in den weiteren Kapiteln immer wieder auf diese »Ochsenschnur« beziehen.
Die Ochsenschnur am Modell erklärt
Verwechseln Sie die Ochsenschnur aber nicht mit der Nasenlinie. Die Nasenlinie hat ihren Ursprung ebenfalls in der Nase des Modells, zeigt aber immer in die Richtung, wie sie die Nase selbst vorgibt. Die Ochsenschnur markiert die Verbindung zwischen Nase und Kamera. Steht der Fotograf hinter dem Modell, zeigt die Nasenlinie vom Fotografen weg, während die Ochsenschnur zum Fotografen hin verläuft.
Aus den bisherigen Überlegungen geht hervor, dass die Wahl der Lichtrichtung für ein Bild zumindest von drei Faktoren bestimmt wird:
Für eine möglichst plastische Bildwirkung sollte das Licht auf der kurzen Seite des Modells eingesetzt werden.
Je nach beabsichtigter Bildwirkung sollte das Licht von links aus der »Vergangenheit«, mittig aus der »Gegenwart« oder von rechts aus der »Zukunft« oder auch von oben »positiv aus dem Himmel« bzw. von unten als »Höllenlicht« gesetzt werden.
Idealerweise ist die Schokoladenseite des Modells, je nach gewünschter Bildaussage, durch das Licht betont.
Wenn zum Beispiel die Schokoladenseite von der Kamera aus gesehen links liegt, aber wegen der gewünschten Bildwirkung das Licht von rechts kommen sollte, muss einem der beiden Wünsche der Vorrang gegeben werden. Ein guter Fotograf versteht es, zwischen allen Aspekten, auch den an dieser Stelle noch nicht genannten, einen möglichst positiven Kompromiss zu erarbeiten, um die Bildwirkung in die beabsichtigte Richtung zu lenken.
Horst Mumper
In diesem Bild spielt Horst Mumper mit unserem kollektiven Gedächtnis. Er zitiert Fotos von Hanns Martin Schleyer, die 1977 im »Deutschen Herbst« durch die Medien gingen. Das Licht ist wie in den Originalen frontal eingesetzt. Die Bilder wirken dadurch wie Belege. Die Entführer wollten sagen: »Wir haben Herrn Schleyer und er lebt.« Ich vermute, dass diese Aufnahmen nur aufgrund ihrer unfreiwillig perfekt passenden Gestaltung zu Bildern des kollektiven Gedächtnisses wurden. Auf ironische Weise entlarvt Horst Mumper den »selbst gestrickten Charakter« dieser Ursprungsbilder und macht den Zynismus dieser Entführungsinszenierung sowie ihrer Ausschlachtung durch die Medien schmerzhaft spürbar.
Uwe Müller
Uwe Müllers Version vom »Mädchen mit dem Perlenohrring« greift eine der ursprünglichen Ideen Jan Vermeers auf. Vermeers Bilder öffnen ein Fenster in die Vergangenheit, die im Bild weiter lebendig erscheint. Der Künstler vermochte es, dem Betrachter dieses Gefühl der Anwesenheit in einem bereits lange vergangenen und dennoch im Bild weiter andauernden Moment in beklemmender Weise zu vermitteln. Seine Bilder scheinen die Zeit angehalten zu haben. Das Mädchen taucht aus dem Dunkel des Bildhintergrundes auf, indem das Licht sie von links, aus der Vergangenheit, zum Strahlen bringt. Der überraschte Moment ist wie in der Bewegung festgehalten. Das Mädchen wendet sich vom Licht der Vergangenheit ab und dem Betrachter, der Jetztzeit, mit einem flüchtigen Blick zu. In der Renaissance ist dieses Spiel mit der Vergänglichkeit und dem Festhalten des Momentes für die Ewigkeit – und somit für einen Betrachter, der erst in späteren Jahrhunderten geboren wird – häufig wiederzufinden. Als Hauptlicht für dieses Bild ist ein hochfrontales Licht aus großer Lichtquelle eingesetzt, das maximal plastisch nach der Verlängerungsmethode schwach aufgehellt wurde. Die Aufheller hatten einen leicht grünlichen Anstrich, sodass die Schattenpartien diesen Farbton angenommen haben und einen alternden Firnis nachahmen.
Britta Strohschen
Britta Strohschens Version des berühmten Gemäldes »Der Mann mit dem Goldhelm« weicht stark vom Original ab. Und dabei beziehe ich mich nicht nur auf die eigenwillig witzige motivische Umsetzung. Wie im Original wird der Mann vom Licht aus der Vergangenheit, also von links, beleuchtet, während der Körper ein Voranschreiten in die Zukunft vermittelt. Der Blick ist aber in die Bildmitte, auf den Betrachter und auf die Jetztzeit gerichtet. Diese Version erweckt das Gefühl, dass der Mann aus der Vergangenheit in unserer Gegenwart angekommen ist. Der edle Goldhelm ist einer schnöden Frisurvorbereitung gewichen. Ist der Mann des Goldenen Zeitalters in der profanen Gegenwart angekommen? Im Original weist der Blick des Mannes nach rechts unten, wo eine dunkle Zukunft zu vermuten ist. Auch die Grauwerte erscheinen im Original deutlich dunkler. Der Mann taucht dort nur sehr schwach aus dem Dunkel des Bildhintergrundes auf. Das Original vermittelt eher den Eindruck, dass der Mann mit dem Goldhelm aus einer strahlenden Vergangenheit, die bereits an Leuchtkraft verloren hat, in eine dunkle Zukunft geht. Diese Sichtweise wird dadurch unterstrichen, dass bereits zur Zeit der Entstehung im späten 17. Jahrhundert der Helm, der aus dem späten 16. Jahrhundert stammt, als Relikt einer früheren goldenen Zeit galt. Auch die starke Abwärtsdiagonale in die rechte untere Bildecke verstärkt diesen Eindruck. Das Original ist durch ein Rembrandtlicht geprägt, das sehr steil eingesetzt wurde. Dadurch liegen ein Auge und der Mundwinkel bereits im Schatten. Taucht der Mann genau wie das Goldene Zeitalter im Schatten der Zeit ab? In der modernen Version hat Britta Strohschen den Schatten durch leichte Aufhellung nach der Verlängerungsmethode über die Ochsenschnur hinaus weit weniger dramatisch gestaltet und das Abtauchen so zu einem Auftauchen in unserer Zeit uminterpretiert.
Dieter Faustmann
Dieter Faustmann spielt in diesem Auszug aus einer Serie mit Symbolen und Metaphern unserer Kultur. Jesus, der Sohn eines Zimmermanns, hält uns ein Stoppschild aus einem Zollstock entgegen: Jesus als schmuddeliges Schlüsselkind im Büßerhemd. Das bedrohliche Seitenlicht, aus der Zukunft einfallend, lässt nichts Gutes für das Kommende erahnen. Die plastizitätsfreie Aufhellung und die schmuddeligen Grauwerte sowie die Flecken auf dem Negativ unterstützen diesen irritierenden Eindruck ebenso wie der schwarze »Trauerrand«. Auch die Geste der Wandlung wird in neuem Kontext gezeigt: Die Hostie ist einem schnöden kleinen Verpackungskarton gewichen. Das Seitenlicht zerschneidet das Gesicht fast mittig und lässt das zweite Auge im tiefen Schatten untergehen. Die Zangenaufhellung vermittelt einen zwielichtigen Eindruck. Die Zerrissenheit wird durch die dezente dunkle Mittellinie im Bild weiter unterstrichen.
Raffaele Horstmann
Raffaele Horstmann setzt sich in diesem Bild, ein Auszug aus einer größeren Serie, mit der Rolle der katholischen Kirche in der Geschichte auseinander. Das Unterlicht spricht dabei eine sehr diabolische Sprache. Dies wird durch die dunklen Grauwerte weiter unterstützt. Das Licht kommt von einer Softbox, die sehr nah am Modell positioniert wurde. Sie ist , ähnlich einem »Tablett«, direkt vor der Brust platziert, leuchtet senkrecht nach oben und erfasst die tieferliegende Bauchpartie nur noch mit ihren Randstrahlen, wodurch diese bereits im Schatten liegt. So wurde das magische »Aus-dem-Dunkel-Auftauchen« erzeugt. Damit die der Softbox abgewandten Schultern und die Stirn des Modells nicht in einem kompletten Schwarz untergehen, wurde sehr dezent nach der Kompromissmethode aufgehellt. Hierzu wurde eine Styroporplatte knapp oberhalb der Kamera senkrecht vor das Modell gehalten, die das Licht der Softbox in diese Bereiche reflektierte.
Maya Claussen