Inhaltsverzeichnis
Prolog
Teil I - DIE GESCHICHTE UNSERES SELBSTWERTGEFÜHLS
Kapitel 1 - Ist die Psyche logisch? - Norm und Neurose (Einige grundlegende ...
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In Gedenken an Inge Langen, die mir so viel Freiheit geschenkt hat.
Prolog
»Die Hölle sind immer die anderen...« - Liebe und Selbstwert: Eine Einführung
Die meisten Menschen zweifeln durchaus an der Vernunft der anderen, aber selten an ihrer eigenen. Mittlerweile hat die moderne Gehirnforschung immerhin zweifelsfrei bewiesen, wofür Sigmund Freud noch ausgelacht oder beschimpft wurde: Unsere Vernunft mischt sich in unsere Entscheidungen nur wenig ein. Der größte Teil unserer Handlungen wird von abgespeicherten Erfahrungsmustern und Gefühlen bestimmt, die uns in unserer Kindheit widerfahren sind. Besonders unsere Eltern beeinflussen mit ihrer Art von Liebe, ihrem Verhalten und ihrer Weltsicht für den Rest unseres Lebens unser Denken und Fühlen - und wir merken diese Fremdbestimmung nicht einmal. Unser Bewusstsein täuscht uns Freiheit und Selbstbestimmung vor, dabei strebt unser Unterbewusstsein immer nur nach Zuwendung und Bestätigung. Denn unsere Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung ist die Grundlage unseres Menschseins.
Der Mensch ist ein soziales Wesen und die Liebe in all ihren Varianten ist die Anziehungskraft zwischen den Menschen. Sie ist der Kitt jeder Gemeinschaft und lehrt uns unseren Wert: Es ist uns so wichtig, was andere von uns denken, weil wir ihre Zuwendung und Anerkennung, ihre Liebe für unser Überleben brauchen.
Unser Selbstwertgefühl ist der Spiegel erfahrener Liebe und Zuwendung. Und es ist der Schlüssel zu unserer geistigen und körperlichen Gesundheit, unserem Glück. Wenn wir um unsere Stärken wissen, unseren Wert kennen, ist unser Selbstwertgefühl stabil und nicht so schnell angreifbar; denken wir aber, wir müssten »besser« sein, um geliebt zu werden, um ein anerkanntes Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, haben wir ein schlechtes Selbstwertgefühl und empfinden uns als minderwertig. Wir versuchen Dinge zu tun und zu besitzen, die als »gut« gelten und uns liebenswerter und wertvoller machen sollen. Wir versuchen angepasst zu sein oder reich zu werden, machen Überstunden oder gehen ins Fitnessstudio - und hoffen auf den Lohn der Anerkennung und Bewunderung. Oder wir versuchen es mit Tricks: Wir schreiben die Hausaufgaben ab, stellen falsche Fotos von uns in die Partnerbörsen des Internets und leihen uns einen Porsche.
Auch altruistisches Verhalten verschafft uns Bestätigung: Die Liebe, die wir geben, festigt unsere Position in der Gruppe und stärkt ihren Zusammenhalt. Wir unterdrücken unsere Bedürfnisse zugunsten anderer Gruppenmitglieder und erhoffen uns durch unsere Selbstbeherrschung den langfristig größeren Erfolg - für uns selbst. Dazu müssen wir lernen mit Frustrationen umzugehen. Und wenn wir häufig auf die Befriedigung unserer Bedürfnisse, auf Aufmerksamkeit und Zuwendung verzichten und trotzdem nicht beachtet werden, entsteht aus der Frustration Aggression. Diese Wut, als Negativ der Liebe, gefährdet aber unseren Erfolg in der Gemeinschaft: Wir sind auf die wütend, von denen wir Zuwendung erwarten und sie nicht bekommen. Unser Wertgefühl und unser Verhalten gestalten sich somit zwischen Bedürfnisbefriedigung und Bedürfnisunterdrückung, zwischen Selbstbehauptung und Empathie, der Sehnsucht nach Liebe und ihrer Macht über unser Glück.
Liebe ist kein zufälliger Überschuss der Evolution, sondern die Motivation hinter all unserem Handeln. Sie lässt uns im optimalen Fall das Leben als wertvoll erscheinen: Wirkliche, erfüllende gegenseitige Wertschätzung, als tiefes Gefühl der Anerkennung und der sozialen Verbundenheit gibt unserem Leben Sinn. Aber Liebe, als erfüllendes Miteinander, muss man geben und nehmen lernen.
Wir klammern uns an die romantische Idee, die Liebe wäre eine Himmelsmacht, die uns Menschen von unseren irdischen Erfahrungen entbindet. Jedoch werden wir, je tiefer und intensiver die Beziehung zu einem anderen Menschen ist, umso mehr von den Verhaltens- und Emotionsmustern aus unserer Kindheit ferngesteuert: In unseren Partnerschaften lieben wir den anderen immer mit unserer gelernten, unbewussten Bindungserfahrung.
Tief in unserem Inneren ist ein Teil von uns immer noch das Kind, das hofft, dass man seine Not erkennt, ihm zeigt, dass es wertvoll und wichtig ist. Wir erwarten als Erwachsene von unserem Partner, dass er uns bedingungslos liebt, egal, wie schwach wir sind, wie wir aussehen, was wir anstellen - so wie unsere Eltern es hätten tun müssen, als wir Kinder waren. Wir suchen im anderen unsere Eltern und bemühen uns auf die gleiche Art und Weise um seine Liebe, wie wir uns um die Liebe unserer Eltern bemüht haben. Leider bekommen wir daher (meist) auch nur die gleiche Art von Liebe.
Bei allen Menschen finden sich im Umgang mit dem Partner, Freunden oder Kollegen Reste dieser kindlichen unreifen Liebe und daraus hervorgehender alter Sehnsüchte. Diese Liebe sucht in den Augen der anderen immer die schmerzlich vermisste Wertschätzung: Der andere bestimmt mit seiner Zuwendung maßgeblich das eigene Selbstwertgefühl und Wohlbefinden - genauso wie es einstmals die Eltern taten.
Jede Beziehung zu einem Menschen mit infantilen Bestätigungs- und Liebesforderungen spiegelt aber auch die unreifen Anteile der eigenen Persönlichkeit. Die Liebesmuster der Partner passen zueinander wie Puzzleteile: Die emotionalen Muster ergänzen sich in ihrem Kampf um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Zu einer unreifen Beziehung gehören immer zwei. »Die Hölle, das sind die anderen«, schreibt Jean-Paul Sartre und man könnte hinzufügen... weil sie uns unseren Wert nicht so bestätigen, unsere Bedürfnisse nicht so befriedigen, wie wir es uns wünschen. Jeder, der in seiner Kindheit nicht genug Wertschätzung und gesunde Liebe erfahren hat, dessen Leben ist bestimmt von der Suche danach. Sie wird zur Priorität, zur treibenden Kraft und sie behindert unsere Entfaltung: Ein schlechtes Selbstwertgefühl macht unfrei und unglücklich.
Unser Selbstwertgefühl ist ein Trick der Evolution, um unser Überleben zu sichern. Vor seinem Hintergrund versuchen wir, vom Anfang bis zum Ende unseres Lebens Gut und Schlecht zu unterscheiden, alles für unseren Vorteil zu bewerten und zu beeinflussen. Unsere Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe treibt uns auch in die Unfreiheit vorgegebener Bilder, die wir glauben erfüllen zu müssen, um liebenswert zu sein. Sie hält uns in unserer westlichen Kultur in Äußerlichkeiten und schneller Käuflichkeit gefangen.
Als Kinder waren wir ohnmächtig der Zuwendung unserer Eltern ausgeliefert. Um der Ohnmacht zu entgehen versuchten wir Einfluss zu nehmen auf ihre Liebe, durch artiges Verhalten, durch Fleiß und tolle Leistungen. Werden wir älter, passen wir uns mit dieser Vorstellung nahtlos ein in die offizielle Werteordnung der Gesellschaft: Wir versuchen uns liebenswert zu machen nach den anerkannten Regeln für Erfolg und gutes Aussehen. Wir adaptieren die herrschenden Glücksversprechungen, fügen uns in Rollenmuster, von denen wir uns Sicherheit und Wertschätzung erhoffen. Wir orientieren uns an den Idealen unserer Gesellschaft, verinnerlichen sie und träumen von uns als anerkannte Mitglieder der Gemeinschaft. Oder wir rebellieren gegen ihre Werte und Gesetze, wenn wir nicht genug Aufmerksamkeit erhalten. Doch auch das vermeintliche Zerstören von Werten bestätigt diese letztlich in ihrer Wichtigkeit und zeigt die ursprüngliche Werteprägung des Revoluzzers. Und genauso wie in unserer Kindheit bekämpfen wir damit nicht das eigentliche Problem. Unser Selbstwertgefühl hinkt immer nur hinter der äußeren Anerkennung her. Wir beneiden schöne Menschen, weil wir glauben, sie bekämen im Übermaß das, was wir uns seit frühester Kindheit so sehnsüchtig wünschen: Liebe und Anerkennung, einfach so, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Wir kämpfen gegen diese Sehnsüchte an, versuchen cool zu sein und unsere Gefühle zu beherrschen, wir versuchen, andere über ihre Sehnsüchte den unseren gefügig zu machen, weil wir Angst davor haben abhängig und hilflos zu werden - wie Kinder. Dabei können wir uns meist gar nicht richtig auf unsere Partner einlassen, selbst wenn sie wunderschön sind oder erfolgreich und man uns beneidet um ihren hohen »Marktwert«. Wir reden von Liebe und meinen oft genug nur unsere Sehnsüchte, fordern vom anderen Wiedergutmachung für nicht erhaltene Zuwendung, versuchen ihn mit unserem Erfolg oder gutem Aussehen dahingehend zu bestechen. Doch unsere Kindersehnsucht kann nicht mit fremder Anerkennung gestillt werden, denn sie besteht aus einem Mangel an tiefer Bindung und einem fehlenden stabilen Selbstwertgefühl.
Es gilt also die in unserer Kindheit gelernten Muster und Regeln zu durchschauen, die Wunden in unserem Wertgefühl zu erkennen, um die eigentlichen Ursachen für unsere Probleme zu verstehen - und den Grund für unsere falschen (materiellen und äußerlichen) Vorstellungen vom Glück und von der Liebe. Wenn wir Einblick nehmen in unsere Prägungen und Werte, in unser so selbstverständlich geglaubtes Richtig und Falsch, Gut und Schlecht, wenn wir bereit sind uns unsere Fremdbestimmung bewusst zu machen, umzuwerten und umzulernen, dann erfahren wir den Funken der Freiheit und der Selbstbestimmung, zu dem wir Menschen doch fähig sind.
Identität ist eine Aufgabe. Sie zeigt sich in allem, was wir glauben und tun.
Davon handelt dieses Buch.
Teil I
DIE GESCHICHTE UNSERES SELBSTWERTGEFÜHLS
»Dein Leben hängt davon ab, was Du aus dem machst, was aus Dir gemacht worden ist.«
(Jean-Paul Sartre)
Kapitel 1
Ist die Psyche logisch? - Norm und Neurose (Einige grundlegende Begriffe und ihre Bedeutung)
Sebastian (44) ist erfolgreicher Geschäftsführer eines Consulting Unternehmens. Seine Frau Sabine (37), eine attraktive ehemalige Marketingkauffrau, kümmert sich um die Organisation der Familie. Bei den regelmäßigen Abendessen mit Freunden und Kollegen wird ihre gute Küche und der gepflegte Garten der hübschen Villa genauso gelobt wie die drei adretten Kinder und die geschmackvolle Einrichtung.
Der Erfolg scheint Sebastian in die Wiege gelegt, denn schon sein Vater war im Vorstand einer großen Firma und für seine Mutter war die Ausbildung und Erziehung ihrer Kinder Lebenssinn. Gute Schulen und ein Studium an einer anerkannten ausländischen Universität gehörten genauso dazu wie die Förderung sportlicher Leistungen und perfekte gesellschaftliche Umgangsformen. Und Sebastian hat jetzt alles erreicht, was er und seine Eltern sich unter einem erfolgreichen, angemessenen Leben immer vorgestellt haben.
Doch seit einiger Zeit gehen ihm seltsame Gedanken durch den Kopf. Immer häufiger denkt er darüber nach, einfach zu verschwinden, irgendwohin zu fliegen, ohne Rückticket und ohne jemandem Bescheid zu sagen. Oder er wünscht sich in einer einfachen Hütte im Wald zu leben, ganz allein und ohne Telefon und E-Mails. Die vielen finanziellen Verpflichtungen (Kredit für das Haus, Leasingraten, Versicherungen, Schulgeld der Kinder) und seine lang erkämpfte Position in der Firma scheinen jede Möglichkeit für eine Veränderung auszuschließen. Manchmal sieht er sich in seiner Vorstellung mit seinem teuren Firmenwagen über die Kante eines Abhangs rasen oder ein Brückengeländer durchbrechen. Dann betet er schnell die Stationen seines Erfolges wie ein Mantra herunter, um sich zu beruhigen und sich wieder klarzumachen, dass sein Leben doch, an den wichtigen Kriterien gemessen, ganz wunderbar ist. Mittlerweile verbringt er jede freie Minute im Fitnessstudio oder auf dem Mountainbike, um nahe an der Erschöpfungsgrenze seinen Körper wieder zu spüren oder wenigstens dem beginnenden Verfall etwas entgegenzusetzen. Seine Sportsfreunde, alle verheiratet und ähnlich situiert wie Sebastian, haben sich ein Segelboot gemietet, um in Brasilien zwei Wochen eine »Männertour« zu machen und den Zwängen des Lebens zu entfliehen. Sie bedrängen Sebastian mitzufahren. In der Buchung enthalten sind ein paar Prostituierte, die zur Unterhaltung der Freunde die zwei Wochen mitsegeln werden. Man kann sie im Katalog des gut organisierten Reiseveranstalters im Internet vorab besichtigen und aussuchen. Doch auch wenn sich Sebastians Beziehung zu Sabine mittlerweile hauptsächlich auf die Organisation des Alltags beschränkt und ihm die Worte fehlen, um mit ihr über seine Gefühle zu sprechen, ist er (noch) nicht bereit seine Moral und seine Vorstellung von einem gelungenen Leben so einfach in Brasilien über die Bordwand eines Segelschiffes zu werfen. Doch die Unzufriedenheit und zunehmende Antriebslosigkeit lässt sich immer schlechter verbergen; die Kopfschmerzen und Schlafstörungen sind kaum mehr mit Tabletten zu unterdrücken.
Die Psychologie ist die einzige Wissenschaft, die »... im Ernst den subjektiven Bedingungen der objektiven Irrationalität nachforscht«, hat Adorno behauptet. Die Psychologie, halb Naturwissenschaft, halb Geisteswissenschaft, versucht die Bilder in unseren Köpfen in den chemischen Prozessen und elektrischen Abläufen unserer Hirne wiederzufinden. Sie möchte die Lücke schließen, zwischen dem Allgemeingültigen der Naturgesetze und unseren individuellen Erfahrungen.
Die Psychologie ist ein Erklärungssystem für unser Denken, Empfinden und Handeln. Es umfasst alle Menschen, denn die Grundlage der Psyche, das Streben nach Zuwendung und Anerkennung, ist bei jedem Menschen gleich - auch wenn die verschiedenen Kulturen Liebe und Erfolg verschieden definieren. Jeder Psyche liegt der Wunsch nach Anerkennung in der eigenen Gruppe zugrunde. Dabei müssen unsere Bedürfnisse und Wünsche mit den herrschenden Regeln und Werten in Einklang gebracht werden. Die Strategien, die wir dabei einschlagen, um unsere Position gegenüber anderen Menschen in der Familie, Partnerschaft oder anderen Gemeinschaften zu verbessern, versucht die Psychologie so genau wie möglich zu erfassen und zu erforschen. Sie verhilft uns zu einem umfassenderen Verständnis von den eigentlichen Motiven hinter unseren Handlungen und Gedanken, die wir in ihrer Infantilität und Zwanghaftigkeit oft nicht sehen wollen. Denn unser Glaube an die Herrschaft unseres Verstandes und an die Willensfreiheit steht der psychologischen Wahrheit entgegen.
Das Gehirn ist ein formbares Organ und das menschliche Gehirn ist in seiner Formbarkeit einzigartig. Doch ist auch keine andere Spezies beim Erlernen überlebenswichtiger Dinge so sehr und so lange auf die Unterstützung und die Vorgaben der Elterngeneration angewiesen.
Alles, was wir erlernen, wird in unserem neuronalen Netz festgeschrieben, und je öfter wir eine ähnliche Situation erleben, desto nachhaltiger werden die dazugehörigen Gefühle als Wertungen verankert: Unsere Emotionen geben uns die Möglichkeit, alles in unserem Leben einzuschätzen, als schmerzhaft oder wohlig, rauschhaft oder demütigend, bestätigend oder angsterzeugend zu klassifizieren, damit wir uns orientieren können. Häufig wiederholte Emotionen bilden sich zu Erfahrungsmustern aus: Wir haben etwas gelernt. Unsere Umwelt, die Beziehung zu anderen Menschen, formt die unvernetzte Masse in unseren Köpfen erst zu einem funktionierenden Organ.
Durch das Verhalten unserer Familie, unserer ersten Gruppe, kann die Entwicklung unserer Psyche und unseres Selbstwertgefühls besser oder schlechter verlaufen. Es gibt keinen Grenzwert, ab dem jemand als unreif, als neurotisch gilt. Alle neurotischen Verhaltensmuster, jedes extreme Verhalten wie z. B. starke Eifersucht, schlimme Versagensangst, häufiger Zweifel am Lebenssinn findet jeder von uns, in einer schwächeren Ausprägung, auch in seinem eigenen Leben: Die Grenze zwischen gesunden und nicht gesunden, leidenden Menschen, zwischen normalem und neurotischem Verhalten ist fließend.
Die Psychologie möchte die Menschen nicht in gute und schlechte aufteilen. Es gibt für sie nur Menschen, die mehr oder weniger leiden, mehr oder weniger glücklich sind, mehr oder weniger in ihrer Persönlichkeit reifen konnten. Viele Menschen erschrecken vor den psychologischen Fachbegriffen, haben Angst in ihren Eigenarten und Verhaltensweisen als »gestört« gebrandmarkt zu werden. Die Reaktionen reichen deshalb von Spott bis Aggression: Wir fürchten uns davor, dass die Psychologen in unsere Köpfe schauen und unsere Schwächen finden, die Banalität unserer Sehnsüchte und unsere Hilflosigkeit. Das wäre ein (weiterer) Angriff auf unser Selbstwertgefühl.
Trotz der zahlreichen Anfeindungen hat die Psychologie längst Eingang gefunden in unser Alltagsdenken, von moderner Kindererziehung bis zur Mitarbeitermotivation in Firmen. Darüber hinaus hat sie mit ihren Erkenntnissen und Therapien schon zahlreichen Menschen helfen können. Sie ist eine emanzipatorische Wissenschaft, die unseren Selbsttäuschungen ständig auf der Spur ist. Sie kann Antworten geben, erklären, warum viele Menschen nicht glücklich sind, Ängste, Depressionen und Gewalt in unserer Kultur immer mehr zunehmen. Aber ihre Antworten sind oft unbequem.
Welches Verhalten bezeichnen die Psychologen nun aber als gesund - im Gegensatz zu neurotischem Verhalten? Woran orientieren sich Therapeuten, wenn sie den Menschen helfen wollen? »Gesund« ist in der Psychologie gleichzusetzen mit einer gereiften Persönlichkeit und einem Verhalten, das dem aufbrausenden, fordernden, hilflosen Verhalten von Kindern entwachsen ist. Gesundes, reifes, erwachsenes Handeln gründet auf Eigenverantwortung und auf dem tief greifenden Vertrauen in den eigenen Wert. Es ist selbstbestimmt und beruht auf der Fähigkeit, verschiedene Handlungsmöglichkeiten abzuwägen oder die verschiedenen Positionen in zwischenmenschlichen Konflikten zu verstehen, im ehrlichen Bemühen die Sichtweise der Gegenpartei nachzuvollziehen. Gesunde Reife bedeutet gute, tiefe, dauerhafte Beziehungen führen zu können, ein liebevolles, aufmerksames, gleichberechtigtes Geben und Nehmen zwischen Partnern und Freunden, ohne Verlustängste und eingeschränkte Selbstentfaltung. Eine gesunde Beziehung findet zwischen Personen statt, die einander wahrnehmen und annehmen, wie sie sind, den anderen nicht verändern wollen, um ihn auf die eigenen Bedürfnisse auszurichten. Psychisch gesunde Menschen leben ohne das »innere Reißen«, das Gefühl, durch einen Misserfolg, eine Zurückweisung, einen Verlust existenziell bedroht zu sein; sie neigen nicht zu panischen Handlungen, verspüren keinen permanenten Druck, keine andauernde innere Nervosität oder permanente Angst. Gesunde Reife versucht nicht mit Konsum eine innere Leere zu füllen oder sich mit Suchtmitteln (Drogen, Arbeit, Sport etc.) zu betäuben. Eine gereifte Persönlichkeit vertraut darauf, mit allen Problemen zurechtzukommen, einen Weg zu finden, um alle Aufgaben, die das Leben stellt, anzunehmen und zu bewältigen. Reife Menschen können sich ihren Raum nehmen und ihn rechtzeitig und im richtigen Ton verteidigen. Es sind Menschen, die durch die Erfahrungen ihrer Kindheit oder auf ihrem späteren Lebensweg lernen konnten, wie man mit anderen Menschen und sich selbst so umgeht, dass man einen positiven, gegenseitig bestätigenden Austausch hat und sich zugleich selbst verwirklichen kann. Ein reifer Mensch ist sich immer seiner Eigenverantwortung für sein Leben und sein Glück bewusst und bereit für sich und in seinen Lebensgemeinschaften Verantwortung zu übernehmen. Das Gegenteil von gesunder Reife ist Abhängigkeit, Ruhelosigkeit, dauernde Angst, Schlafstörungen, innere Gelähmtheit, Unsicherheit, übermäßige Erwartungen, mangelhafte Kommunikation, übermäßiger Konsum, ständiges Herausstellen der eigenen Leistungen, mangelndes Einfühlungsvermögen, Geiz und Gier. Häufige unkontrollierte Wutausbrüche, besonders gegenüber Untergebenen oder Kindern, weisen ebenfalls eindeutig auf psychische Unreife hin. Unreifes Verhalten wird in der Psychologie auch als infantiles Verhalten bezeichnet: Ein äußerlich erwachsener Mensch verhält sich wie ein Kind, fordert die schnelle Befriedigung all seiner Bedürfnisse, sucht ständig nach Anerkennung in seinem Umfeld und reagiert mit Trotz, Wut oder Angst, wenn ihm das verweigert wird. Auch übermäßige Angst vorm Alleinsein und die Sehnsucht nach jemandem, der alles für uns regelt, uns beschützt und immer für uns da ist, zeugen von dem Kind in uns, das noch nicht reif genug ist, sich selbst zu vertrauen und seinen eigenen Wert zu bestimmen, seine eigenen Ziele zu verfolgen. Unreife Menschen machen ihren Selbstwert vom Verhalten der anderen abhängig, kämpfen ständig um deren Anerkennung und Zuwendung. Wird ihnen die ersehnte Bestätigung dann einmal zuteil, kann das so gepushte Selbstwertgefühl wie in einem Rauschzustand in eine Art Größenwahn kippen, der sich über alle Empathie (Einfühlungsvermögen: Hineinversetzen in die Gefühle des anderen) und Rücksicht hinwegsetzt.
Jedes unreife, infantile Verhalten, auch wenn es nur noch in Resten in unserer Persönlichkeit vorhanden ist, geht auf unsere Kindheit zurück, in der uns nicht die Möglichkeit gegeben wurde, unsere direkten kindlichen Gefühle unter liebevoller Aufsicht und Zuwendung und durch klare Regeln reifen zu lassen. Besonders die Defizite in der frühkindlichen Bindungserfahrung bis zum dritten Lebensjahr wiegen hier sehr schwer: Unsere sich entwickelnde Psyche konnte sich nicht festigen, keine stabilen Strukturen ausbilden, ist verschreckt und einsam hängen geblieben an den kindlichen Bedürfnissen nach Liebe, Sicherheit und Anerkennung durch die Eltern. Dieses ängstliche, zurückgewiesene Kind in uns hofft ein Leben lang auf eine Wiedergutmachung aller schlechten Erfahrungen. Unser Leben, unsere Beziehungen, Ziele und Träume sind davon geprägt. Wie ein innerer Zwang bestimmt diese Sehnsucht unser Verhalten, unterdrückt unsere eigentlichen Talente und ihre Entfaltung. Das macht uns nicht wertloser - aber hilfloser und unglücklicher.
Wie weit die Erfahrungen unserer Vergangenheit unsere Entfaltung einschränken, ist meistens gar nicht so leicht zu erkennen. Manchmal kommen stabile, glückliche Menschen nur mit einer Sache in ihrem Leben nicht gut zurecht, die sie immer wieder daran hindert, alle ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen (z. B. Flugangst). Dagegen fällt in unserer Gesellschaft oft genug schwer neurotisches Verhalten gar nicht auf, da die herrschende Werteordnung so ausgerichtet ist, dass sich viele Neurosen in Form von psychosozialen Arrangements dort gut verstecken lassen: Wir bekommen Anerkennung für unseren Ehrgeiz und Arbeit bis zur Erschöpfung; Körperkult und Jugendwahn sind akzeptierte Lebensinhalte. Wir können es mit unserer Sehnsucht nach Bestätigung weit bringen - solange keine Erschöpfungszustände auftreten oder Krankheiten darauf hinweisen, dass vielleicht doch etwas nicht stimmt.
Prinzipiell gibt es bei der Klassifikation von psychischen Problemen eine Art Rangordnung nach dem Schweregrad der Störung: Psychotiker - Neurotiker - Gesunde, wobei die Übergänge, wie schon erwähnt, fließend sind und es auch einige Mischformen zwischen Neurose und Psychose gibt.
Menschen mit einem (zeitweise) sehr auffälligen Verhalten, verbunden mit einem eindeutigen Realitätsverlust in ihrer Weltwahrnehmung, bezeichnet man als Psychotiker. Ihre Selbststruktur hat große Mängel: Objektives Abwägen von Gefühlen und Gedanken ist nicht möglich, die Betroffenen haben keine funktionierende, einheitliche Persönlichkeit, manchmal gibt es »mehrere Personen« in ihnen, sie verhalten sich auffällig, hören und sehen Dinge, die sonst niemand wahrnimmt, haben für Zuhörer unschlüssige Gedankensprünge, Visionen ohne Punkt und Komma oder sie verlassen ganz die Realität und verbleiben in ihrer eigenen Vorstellungswelt (Realitätsverlust). Psychosen zeigen sich in verschiedenen Ausformungen (Schizophrenie, manische Depression, Multiple Persönlichkeit etc.). Eine eindeutige Diagnose zu stellen, ist schwer, und auch innerhalb der Psychologie bzw. Psychiatrie, dem medizinischen Fachgebiet für Psychosen, wird viel darüber gestritten. Das liegt daran, dass es zwar vergleichbare, sich wiederholende Symptome und Verhaltensmuster im Allgemeinen gibt, jeder Fall aber letztendlich ein anderes Spektrum aufweist, da das Schicksal jedes Menschen in Kombination mit seiner Veranlagung einzigartig ist. Psychosen sind meist genetisch veranlagt, doch auch hier spielt der Einfluss des Umfeldes der Kindheit und des späteren Lebens eine große Rolle. Wie genau eine Psychose entsteht, ist bis heute nicht geklärt. In einigen Fällen nehmen sie völlig Besitz von der Persönlichkeit, manchmal treten sie auch in Schüben auf. Etwa ein Prozent aller Menschen - egal welcher Kultur - erleiden in ihrem Leben einen solchen psychotischen Schub. Danach besteht für den Rest des Lebens der Betroffenen die Gefahr, dass durch erhöhten emotionalen Stress immer wieder solche psychotischen Phasen ausgelöst werden können, auch wenn es bei ca. einem Drittel der Patienten bei nur einem Vorfall bleibt und sie als geheilt gelten.
Bei den Psychosen steht, wie bei allen psychischen Auffälligkeiten, auch das Selbstwertgefühl im Zentrum des Krankheitsbildes. So beziehen sich die Wahnvorstellungen der Schizophrenie fast immer auf höhergestellte Persönlichkeiten oder Instanzen (die Kranken fühlen sich als Werkzeuge Gottes oder des Teufels; der Papst oder ein Popstar wird sie heiraten etc.) oder sie hören Stimmen von mächtigen Fantasiefiguren. Multiple Persönlichkeiten spalten »das Böse« in einer eigenen Persönlichkeit ab, um ihre »guten« Teile quasi »rein« zu halten. Manische haben Größenwahnfantasien, die sie oft versuchen auszuleben; Depressive halten sich dagegen für völlig wertlos und wollen sich deshalb umbringen.
Psychotiker werden durchgängig oder in Intervallen in psychiatrischen Kliniken behandelt. Man kann sie mit Medikamenten einstellen, d.h. Ängste und Verhaltensauffälligkeiten abschwächen, teilweise sogar ganz zum Verschwinden bringen. Die Medikamente haben, auch wenn sie immer besser werden, starke Nebenwirkungen und beeinträchtigen andere Persönlichkeitsmerkmale und den gesamten Stoffwechsel der Patienten. Doch zwischen den psychotischen Schüben können die Betroffenen zum Teil ein ganz normales Leben führen und auch über ihre Krankheit realistisch Auskunft geben.
Das, was wir umgangssprachlich als Psychopathen bezeichnen, sind psychisch schwer gestörte Menschen, die auf kriminelle Art und Weise Schuldgefühle und moralisches Bewusstsein vorspielen. Dabei haben sie kein Unrechtsbewusstsein und verspüren keine Angst, können sich nicht einfühlen, handeln mitleidlos und berechnend - und sind nicht lernfähig und somit auch nicht therapierbar.
Eine Neurose ist nicht genetisch veranlagt (auch wenn z. B. erhöhte Sensibilität und andere angeborene Charaktereigenschaften »förderlich« sind), sondern entsteht durch dauerhafte überfordernde Erfahrungen und starke emotionale Belastung in der Kindheit. Je früher diese heftigen Emotionen dem Kind widerfahren, umso schlechter können sie verarbeitet werden und umso stärker sind die psychischen Störungen, die sie verursachen.
In leichteren Fällen oder wenn das Kind schon etwas älter ist und die heftigen Emotionen besser verstehen und einordnen kann, kommt es »nur« zu einer Symptomneurose, d.h. es tritt eine Verhaltensauffälligkeit auf, die aber nicht die gesamte Persönlichkeit »verbiegt« (z. B. übermäßige Sparsamkeit, Eifersucht, Geltungsdrang, Helfertum etc.).
Traumatische frühkindliche Erfahrungen und massive Bindungsstörungen verursachen dagegen Charakterneurosen bzw. neurotische Persönlichkeitsstörungen: Die gesamte Persönlichkeit, das Selbstverständnis, Denken und Verhalten ist von emotionalen Konflikten, Angstabwehrversuchen oder unverarbeiteten Impulsen bestimmt.
Neurosen sind Reaktionen, die im Zusammenhang der kindlichen (besonders frühkindlichen) Lebenssituation einen Sinn ergeben: Neurosen sind ursprünglich nachvollziehbare »Problemlösungsversuche«. Doch leider widersprechen diese in der Psyche verfestigten Lösungsversuche den Anforderungen der erwachsenen sozialen Gemeinschaft. Daher haben Neurotiker im erwachsenen Alter am Arbeitsplatz, in Partnerschaften oder jeder anderen Gruppe anhaltende (innere und äußere) Konflikte und einen erhöhten Leidensdruck (Getriebenheit, innere Unruhe, Verlustängste, mangelnde Lebensfreude und andere emotionale Krisen). Dieser Leidensdruck setzt große Energien frei, die die Betroffenen oft in ihre Karriere oder in Sportaktivitäten investieren, in der Hoffnung sich und ihr Leben dadurch zu verbessern.
Manchmal kombiniert die Psyche auch die verschiedenen Lösungsversuche, die ihr zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls zur Verfügung stehen und es kommt abwechselnd oder kombiniert zu unreifen Verhaltensweisen, die eigentlich verschiedenen Neurosenformen zuzurechnen sind. So kann man leider auch auf dem Gebiet der mentalen Erkrankungen Läuse haben und Flöhe.
Da jeder Einzelne von uns in seinem Arbeitsalltag und in seinen Beziehungen mit Konflikten, Ängsten und Sehnsüchten kämpft, stellt sich die Frage, ob wir nicht alle neurotische Anteile haben. Es gibt wohl wirklich nur sehr wenige Menschen, die man als reife Persönlichkeiten bezeichnen kann. Die meisten Menschen befinden sich auf einem »Weg zur Reife«. Jeder von uns hat Verhaltensweisen, über die er selbst und andere sich ärgern. Jeder von uns braucht Anerkennung und Liebe und hat Angst, sie zu verlieren. Wir alle verfolgen, geprägt von den Erfahrungen unserer Kindheit, Strategien, um Bestätigung und Zuwendung zu erhalten. Deshalb muss man konsequenterweise davon ausgehen, dass alle Menschen mehr oder weniger neurotisch sind. Doch hört sich das härter an, als es gemeint ist.
Wir sind vom Beginn unseres Lebens mit Konflikten konfrontiert, unerfüllte Bedürfnisse, Verluste, Trennungen und Kränkungen, die wir zu meistern suchen, nur um dann in neuen Konflikten im optimalen Fall immer weiterzureifen; wir alle streben danach, immer mehr (innere) Ruhe und Sicherheit zu finden. Auch der Buddhismus und viele abendländische Philosophen stimmen dieser Auffassung vom »Reifeprozess des Menschen« zu. Nur: Einige von uns sind auf diesem Weg etwas konsequenter als andere.
Um sein Verhalten nachhaltig zu verändern, braucht es einen hohen Leidensdruck. Doch den gestehen wir uns oft erst ein, wenn wir völlig »am Ende« sind, wenn wir uns von der Welt und den anderen Menschen entfremdet fühlen, eine permanente Sinnlosigkeit spüren, lähmende Ängste haben, unsere Arbeit nicht mehr richtig machen können oder (wieder) eine wichtige Beziehung zerbricht. Auch wenn wir schon seit langer Zeit unglücklich sind und unser Leben irgendwie nicht funktioniert, halten wir noch krampfhaft an unseren gewohnten Denk- und Handlungsmustern fest: Wir suchen uns erst Hilfe, wenn der Leidensdruck unerträglich wird.
Nichts fürchten wir so sehr wie die Veränderung, denn immerhin haben wir mit unseren infantilen Denk- und Handlungsmustern bisher überlebt. Die Einsicht in die Infantilität unserer Wünsche und die Lieblosigkeit oder Schwäche unserer Eltern ist ungeheuer schmerzhaft. In der Psychologie nennt man die unbewusste Angst vor dieser Erkenntnis Widerstand: Selbst wenn unser ganzes Leben zusammenbricht, fällt es immer noch schwer uns einzugestehen, dass wir wirkliche Probleme haben, dass mit unserem Verhalten, unserer Weltsicht, unseren Werten etwas nicht stimmt. Denn die dadurch aufkommende Unsicherheit und die Selbstzweifel greifen das ohnehin angeschlagene Selbstwertgefühl noch mehr an - sei es auch noch so gut versteckt hinter lauter Erfolg. Doch leider verhindert die Angst vor dem Verlust der gewohnten Werte- und Denkmuster auch unsere Entwicklung und damit die nachhaltige Tilgung unseres Leids.
Wer wendet die Psychologie und ihre Therapieformen an? Psychiater sind studierte Mediziner mit Facharztausbildung. Sie behandeln vor allem Psychotiker in Fachkliniken und verwenden bei der Behandlung auch Medikamente.
Psychologen haben nicht Medizin, sondern Psychologie studiert. Nach ihrem Studium lernen sie in einer Zusatzausbildung eine oder mehrere Therapieformen (Psychoanalyse, tiefenpsychologische Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie, Kunsttherapie, systemische Therapie, Gruppentherapie, Familientherapie etc.). Bei diesen Therapieformen kommt es vor allem auf den zwischenmenschlichen Kontakt zum Patienten an. Psychologen behandeln vorwiegend Neurotiker, unterstützen in Kliniken aber auch Psychiater bei der Behandlung von Psychotikern. Es gibt darüber hinaus Therapeuten, die weder Medizin noch Psychologie studiert haben. Auch sie haben in Seminaren Therapieformen erlernt, sind aber von den Krankenkassen nicht anerkannt, ihre Therapiestunden werden nicht erstattet.
Die Psychoanalyse ist innerhalb der Psychologie eine eigene umfassende Theorie über die Struktur und Entwicklung der menschlichen Psyche, Wünsche und Gefühle, Konflikte, Motivationen und Verhaltensweisen. Gleichzeitig ist sie eine Heilmethode, bei der man über Jahre hinweg mehrmals die Woche auf der berühmten Couch liegt und mit dem Psychoanalytiker redet. Sigmund Freud, der Erfinder dieser Theorie, nannte seine Behandlungsmethode deshalb auch »Redekur«. Sie wurde lange Zeit belächelt und von der Wissenschaft als unseriös abgetan. Die aktuelle Gehirnforschung hat jetzt aber die von der Psychoanalyse propagierte Dominanz unseres Unterbewusstseins und die Auswirkungen unserer Kindheitserfahrungen auf unser Denken, Handeln und Leben bestätigt. Doch zu erkennen, wie wenig wir »Herr im eigenen Haus« sind, bedeutet nach wie vor eine große Kränkung für das Selbstverständnis vieler Menschen - und die Chance, sich selbst nicht mehr zu ernst zu nehmen. Freud ging noch davon aus, dass alle unsere psychischen Probleme durch Verbot und Unterdrückung sexueller Wünsche entstehen. Aber auch die Psychoanalyse hat sich weiterentwickelt und Hunderte neue Forschungsergebnisse und Therapieverläufe in ihre Theorie einbezogen. Freud war ein genialer, visionärer Forscher, dessen Ideen, Sprache und Heilungsmethode noch heute viel Bewunderung verdienen. Aber er war auch - wie wir alle - ein Kind seiner Zeit, in der Sexualität unterdrückt wurde und die Menschen schon das Wort ›Tischbein‹ als unanständig empfanden. Die Psychoanalyse hat mittlerweile ihren Schwerpunkt über den sexuellen Trieb (Triebtheorie) hinaus mit
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1. Auflage
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eISBN : 978-3-641-04752-8
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