Gesundheitsdschungel - Michael Feld - E-Book

Gesundheitsdschungel E-Book

Michael Feld

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  • Herausgeber: Südwest
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Der umfassende Wegweiser durch unser Gesundheitssystem

Unser Gesundheitssystem wird immer komplexer. Kaum jemand hat noch Durchblick. Und wenn selbst Ärzte nicht mehr klar sehen, wie sollen sich dann erst Patienten im Dickicht der Medizin zurechtfinden? Dr. med. Michael Feld bahnt uns in diesem Buch einen Weg durch die verschlungenen Pfade des Gesundheitswesens. Er erklärt unter anderem, warum das System so kompliziert geworden ist, wo die Vor- und Nachteile liegen, wie Ärzte heute ticken, worauf Patienten achten sollten und warum Privatpatienten nicht immer besser dastehen als gesetzlich Versicherte.

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Seitenzahl: 353

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Gewidmet meinem ehemaligen Oberarzt und väterlichen Freund Peter Stenger (†), dem die Wut über Inkompetenz in der Medizin immer den Blutdruck so hochgetrieben hat.

Inhaltsverzeichnis

Warum dieses Buch?Mein eigener Weg1 - Der Systemdschungel
Im Urwald des Gesundheitssystems
Hausarzt – Facharzt, Praxis – KrankenhausKönigliche Kronen oder wackelnde Wurzeln?Patienten von heute – stark behandlungsbedürftig?Vom Wandel im Ökosystem GesundheitsversorgungÄrzte von heute – eine moderne SpeziesDer Wunsch nach dem »mündigen Patienten«Mit gesunden Patienten verdient man mehr als mit kranken
2 - Der Ärztedshungel
Ärzte – Die Weißkittel unter (Halb-)Gottes Schwarz-Schafen
Der Arztberuf ist und bleibt in Umfragen die Nummer eins – Warum ist das so?Die Uniform spricht, der Deutsche spurtÄrztegenerationenGibt es einen Ärztemangel?Brutzeit in der Weißkittel-Eierschale – das MedizinstudiumMesser, Machos und Moneten – Assistenzarztzeit und FacharztausbildungÄrzte und GeldDer hippokratische Eid – das größte Missverständnis, seit es die Presse gibtWelcher Arzt macht was, und worauf sollte man bei der Arztwahl achten?
Die wichtigsten Fachgebiete, Arzt-Typen und ihre Charaktere
Der Hausarzt – Allrounder unter Hippokrates’ HostessenDie Innere Medizin und die ChirurgieDer Anästhesist – 99 Prozent Langeweile und 1 Prozent tödliche AngstKardiologen – Herzärzte unserer gar nicht so herzlichen NationMagen-Darm-Ärzte/GastroenterologenDer UrologeDie Gynäkologin/der GynäkologeDie ganze ärztliche Psychoszene
3 - Der Versicherungsdschungel
Besser Kassen-Kokosnuss oder Privat-Papaya?
Wie funktioniert die gesetzliche Krankenversicherung?Wie funktioniert die private Krankenversicherung?
4 - Der Krankheitsdschungel
Unser Herz, Schlaf, Stress und die arme Seele
Die Krankheiten des 21. Jahrhunderts»Oh, wie ist mir schwer ums Herz« – der Deutsche und seine PumpeEin- und DurchschlafstörungenStress, der krank machtBorreliose, Fibromyalgie und das chronische Erschöpfungssyndrom
5 - Der Diagnostikdschungel
Kernspin, Vorsorge und die Schwarze Mamba
Sono, Kernspin und CT – der Röhren- und Strahlendschungel
Früherkennung, Vorsorge oder Prävention?
Was soll ich tun, um meine Gesundheit zu erhalten?Gesundheits-Check-ups und Früherkennung
6 - Der Therapiedschungel
Was es so gibt und worauf man aufpassen sollte
»Wer heilt, hat recht?« oder: Nur erlauben, was wissenschaftlich nachgewiesen wurde?Gesundheit und Krankheit sind extrem komplexe PhänomeneDiktat der Vernunft oder Raubbau von Ratten?McDonald’s gegen gutbürgerlich oder warum Ärzte keine Fast-Food-Medizin mögenDie Bedeutung der Gender-MedizinDschungel pur: die ergänzenden (komplementären) KrebstherapienEin ganz besonderes Tier im Gesundheitsdschungel: der »IGeL«»Ein Schlauchboot fährt zum Lippensee« oder »Das gebotoxte Land in Sicht«
7 - Der Rehadschungel
Das deutsche Reha-Wesen und was reha bringen soll
Was bringt eine Kur?Im Dschungel der HeilverfahrenIm Dschungel der Kur-BegriffeIm Dschungel der Formalitäten
8 - Der Selbsthilfedschungel
Sport, Diäten und Anti-Stress-Kurse – was hilft wirklich?
Stress macht dickIm Dschungel der unzähligen DiätempfehlungenWarum Bewegung wichtig ist und wie ich das Richtige für mich finde
9 - Der digitale Dschungel
Virtuelle Wehen und wikipedische Würmer
Portale, Blogs und Foren – der große Bluff?Der App-Dschungel
Zum SchlussAnhangRegisterCopyright

Warum dieses Buch?

Das Buch Gesundheitsdschungel soll ein handfester, plastischer, immer wieder auch augenzwinkernder und vor allem gut zu lesender Wegweiser sein – für Patienten und alle Interessierten, die sich damit vielleicht ein Stückchen besser im Urwald und Dickicht des deutschen Medizinbetriebs zurechtfinden mögen. Ich schreibe dieses Buch als praktizierender Arzt und Medizinpublizist, der sich neben seiner normalen ärztlichen Tätigkeit bereits seit vielen Jahren auch mit unserem Gesundheitssystem befasst.

Das deutsche Medizinsystem genießt im Ausland einen hervorragenden Ruf. Bei uns ist es aus der Ferne besehen besser als in den meisten anderen Ländern. Guckt man aber genau hin, zeigen sich doch Missstände. In der Tat gibt es am deutschen Gesundheitssystem viel zu meckern und viel zu verbessern. Wie an jedem großen wichtigen System. Vieles ist gut bei uns, aber einiges ist auch richtig schlecht.

Es ist nicht mein Ansinnen, politisch oder ideologisch motivierte Ratschläge zu geben. Das haben bereits viele andere Autoren, teils aus der Politik, teils Ärzte, teils Journalisten, getan. Trotzdem kann sich kaum ein Ratgeber oder Leitfaden oder Wegweiser von Partikularinteressen oder persönlicher Perspektive frei machen. Dazu ist das Gesundheitswesen auch viel zu komplex und der Mensch viel zu subjektiv. Die persönliche Betroffenheit eines Patienten, die politische Gesinnung eines Parlamentariers und auch die Alltagserfahrungen eines Arztes können starke Motoren sein, um etwas zu schreiben. Alle so entstandenen Texte haben die Tendenz, unausgewogen zu sein, ja müssen es manchmal sogar sein, um das jeweilige Thema aus einem bestimmten Blickwinkel besonders zu beleuchten. Dieser Ansatz sollte beim Lesen stets bewusst bleiben. Guckt man eine Kaffeetasse von oben an, sieht man etwas anderes (den Kaffee oder den Bodensatz oder den Grund der Tasse), als wenn man von rechts guckt, wo der Henkel sitzt, oder von links, wo die Aufschrift »Koffein macht blöd« steht.

Man wird mit einem einzelnen Buch auch niemals der Komplexität und Multidimensionalität von Gesundheit und Krankheit sowie der unseres Gesundheitswesens gerecht. Auch dieses Buch hier kann nicht wirklich objektiv sein, weil es ja von einem Subjekt und aus dessen eigenem, persönlich gefärbtem Erfahrungshorizont heraus geschrieben wird. Ich habe mich bemüht, nicht allzu stark zu polarisieren – auch wenn es mich manchmal in den Fingern gejuckt hat –, sondern vor allem zu erklären. Um die Leser zu befähigen, sich mit etwas Herz und Hirn im Dickicht des Gesundheitswesens zu orientieren. Ich muss zugeben, dass mein ursprünglicher Anspruch, eine Art Rundumblick über das gesamte Gesundheitswesen zu geben, im Verlauf der Realisierung dieses Buches nicht ganz zu halten war – wegen des schieren Umfangs der gesteckten Aufgabe und der nicht in unendlicher Menge verfügbaren Zeit. Sie finden in diesem Buch deshalb nicht zu allen Themen etwas. Nur zu manchen bzw. einigen. Und zu denen dann teilweise mehr und teilweise weniger. Wie im richtigen Leben.

Privat oder gesetzlich – ein springender Punkt?

Was einen Großteil der Unzufriedenheit vieler deutscher Patienten und Ärzte mit unserem Gesundheitssystem ausmacht, ist vielleicht der Vergleich der Bedingungen der gesetzlich Versicherten mit denen der privat Versicherten. Überall kann man lesen, dass Privatpatienten bei Terminen bevorzugt werden, dass sie bessere diagnostische und therapeutische Leistungen bekommen, dass sie in Einzelzimmern liegen und dass wir deshalb eine Zweiklassengesellschaft hätten. Vieles davon stimmt auch so. Unser »duales System« ist definitiv ungerecht. Allerdings auf beiden Seiten. Wenn man es sich nämlich genauer anschaut und nicht sofort in publizistische und politische Polemik verfällt, dann sieht man auf beiden Seiten sowohl herzerfrischende Vor- als auch himmelschreiende Nachteile. Man sieht auch neben den trennenden Aspekten die verbindenden Fasern zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung, die wie Wurzelfäden von zwei Bäumen jeweils zum anderen hinwachsen, was dazu führt, dass beide Bäume sich einerseits gegenseitig Nährstoffe zuschieben und sich andererseits teilweise auch in der Nährstoffaufnahme begrenzen. Damit sind die beiden Versicherungs-Bäume – gesetzliche und private –, wenn man aus einer entfernteren Perspektive guckt, stark aufeinander bezogen, miteinander vernetzt und stabilisieren und befruchten sich gegenseitig. Ob das gut ist oder schlecht, gerecht oder ungerecht, steht auf einem anderen Dschungel-Baum-Blatt. Fakt ist aber, dass es deutlich mehr Querverbindungen und gegenseitige Abhängigkeiten zwischen den beiden grundsätzlichen Krankenversicherungsformen gibt, als es oftmals scheint.

Privatpatienten haben zunächst einmal viele Vorteile gegenüber gesetzlich Versicherten. Die Wartezeiten auf Termine sind tatsächlich deutlich kürzer, man wird bevorzugt behandelt, man kommt eher zum Spezialisten, Ärzte freuen sich im Schnitt über Private, weil die ihnen Asche bringen, sie bekommen die teuren Untersuchungen, die der Kassenpatient teilweise nicht bekommt, und sie bekommen sie auch noch schneller. Der Nachteil bei den Privatversicherten ist aber, dass sie genau diese Untersuchungen und Behandlungen standardmäßig bekommen, auch wenn diese nicht notwendig sind. Vieles wird dem Privatpatienten ungefragt aufs Auge gedrückt. Und das kostet jede Menge Geld. Privatpatienten werden viel häufiger unnötig durch irgendwelche Röhren geschoben, man macht bei ihnen deutlich mehr Laboruntersuchungen, und Privatpatienten werden auch deutlich häufiger an Knie, Hüfte und Herz operiert als Kassenpatienten. Die simple und einfache Erklärung für diese Tatsachen ist die, dass es für eine Operation oder eine CT-Untersuchung oder sonst etwas am Privatpatienten immer deutlich mehr Geld gibt, als wenn man das gleiche Prozedere bei einem Kassenpatienten machen würde. Als Privatpatient bezahlt man mit zunehmendem Alter immer höhere Beiträge und man hat kaum die Chance, das Unternehmen zu wechseln, wenn man einmal im Leben richtig krank war.

Als Kassenpatient ist man in Deutschland dafür leider ein Massenprodukt und wird meist auch als Massenware behandelt und abgefertigt. Die Gründe für die Ungleichheiten sind komplex. Ich versuche, ein paar der Ursachen in diesem Buch hier zu erklären und aufzuzeigen.

Mein eigener Weg

Sie werden sich vielleicht fragen, was schreibt denn einer, der selber eine reine Privatpraxis an einem edlen Standort in Köln hat, ein Buch, in dem er versucht, das gesamte Gesundheitswesen zu erklären und dabei über Kassenpatienten, gesetzliche Krankenversicherungen, Krankenhausaufenthalte und die Problematik des wirtschaftlichen Arbeitens in der Medizin aufzukären. Ist das nicht alles nur Political-Correctness-Getue?! In diesem Abschnitt hier möchte ich Ihnen kurz meinen eigenen beruflichen Werdegang schildern und erzählen, warum ich mich 2009 dazu entschieden habe, ausschließlich privatmedizinisch zu arbeiten.

Seit ich 17 bin, wollte ich Arzt werden. Mein damaliger Biolehrer, Herr Heidemann (der Vater unserer späteren Fecht-Weltmeisterin Britta Heidemann) hatte ein Faible für Medizinthemen, und ich hatte mit 16 mit Bodybuilding angefangen, zusammen mit meinem besten Kumpel und heutigen Kollegen Stefan Debus. Durch das Krafttraining kamen wir intensiv mit den Themen Muskulatur und Ernährung in Kontakt und damit auch in die Nähe der Medizin. Eigentlich sollte und wollte ich dann nach dem Abi zum Bund, es war schon klar, dass ich Sanitäter werden würde. Dann treff’ ich zufällig in meiner Stammkneipe Haus Wilkens in Kerpen-Sindorf einen Typen, der tatsächlich erzählte, dass er Zivildienst auf’nem Rettungswagen machen würde. So richtig mit Blaulicht und roter Jacke und gib ihm. Hammer, dachte ich, wie cool. Also hab ich verweigert und beim Malteser Hilfsdienst Erftstadt eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Und danach bin ich Krankenwagen gefahren und Rettungswagen, habe Hausärzte im ärztlichen Notdienst begleitet und Erste-Hilfe-Kurse gegeben.

1992 begann dann mein Medizinstudium an der Universität Köln, das irgendwie nicht besonders schön war. Um genau zu sein: beschissen. Hat bis auf wenige Kurse und Fächer einfach keinen Spaß gemacht. Ich weiß nicht, ob es an mir lag oder an den Umständen. »Es liegt nicht an der Gegend, es liegt an dir« singt Herman van Veen in dem Lied »Griff ins Klo«. – Wahrscheinlich lag’s an beidem, wie immer. Auch an der Gegend: Köln ist wirklich eine lustige und lockere Stadt, macht aber gerne einen auf besonders sozial und kleidet sich lauthals in das Mäntelchen der Toleranz, um sich nicht mit seinen vielen Problemen befassen zu müssen. Der Rheinländer an sich ist nämlich gar nicht so tolerant, ihm und ihr ist nur meistens einfach alles scheißegal, Hauptsache, es gibt Musik, was zu futtern, und vor allem was zu saufen. Am besten noch umsonst. »Drink doch eine met, stell disch nit esu ahn … « – so geht das zutiefst ins rheinische Kulturgut implantierte Kult-Lied der Kölner Mundart-Band Bläck Fööss.

Ob das Medizinstudium heute besser ist, weiß ich nicht. Aber wenn man Arzt werden will, muss man halt Medizin studieren. Nach dem Studium bin ich erst einmal aus dem Rheinland abgehauen. Und zwar nach Sylt, auf dieses schöne kleine Nordsee-Kleinod, überschaubar und dennoch gesegnet mit der Weite des Nord-Ozeans. Auf Sylt habe ich eine internistisch-allgemeinmedizinisch-chirurgische und notfallmedizinische Ausbildung gemacht, Lungenheilkunde und vor allen Dingen auch Schlafmedizin gelernt.

Ich verbrachte drei tolle Jahre auf der Insel – es war ein Leben am Strand, und trotzdem haben wir ganz viel Medizin gemacht und gelernt. Aber so eine Insel wird nach drei Jahren ziemlich eng. Alle Leute, die man auf der Straße trifft, sind entweder Bekannte oder Patienten, und da der Mensch ein Wesen ist, das wechselnde Reize braucht, nimmt man nach einigen Jahren Dauerinselaufenthalt auch die Schönheit des Meeres, des Lichtes und der Luft nicht mehr so doll wahr, wie das ein Urlauber tut.

Als ich von Sylt zurückkam, habe ich irgendwann den Facharzt für Allgemeinmedizin gemacht und bin etwas durch die Gegend getingelt: Betreute acht Monate lang die Notaufnahme eines großen Krankenhauses am Westrand der Stadt, arbeitete in mehreren verschiedenen Arztpraxen und Notdienstpraxen. Letztendlich war das Problem, dass es in den klassischen Richtungen gar nicht weiterging. Im Krankenhaus gabs für mich definitiv keine Zukunft, die Strukturen und die starke Fremdbestimmung – dass man sich nicht aussuchen kann, mit wem man zusammenarbeitet, und die vielen Patienten, die immer älter werden, für die man alle überhaupt keine Zeit hat – waren nichts mehr für mich. Als Alternative blieb das, was ganz viele andere machen: eine Niederlassung als sogenannter Vertragsarzt, als Kassenarzt. Hierfür muss man als Hausarzt, der ich nun einmal war, eine schon bestehende Hausarztpraxis kaufen. Zumindest ist das in den allermeisten Gebieten in Deutschland inzwischen so, außer auf dem platten Land. Man kann nicht mehr einfach eine Hausarztpraxis mit Kassenzulassung neu gründen, sondern man muss eine bereits bestehende Praxis übernehmen, dort, wo ein anderer Arzt aufhört oder einen Teilhaber braucht. Man nennt das »Bedarfsplanung«.

Allein aber für die Lizenz, Kassenpatienten behandeln zu dürfen, das heißt für die sogenannte Zulassung, muss man zum Beispiel in Köln zwischen 50.000 und 80.000 Euro hinblättern. Im Grunde ein absolutes Unding, dass man für eine auf Papier gedruckte Zulassung so viel Geld bezahlen soll. Zum Zweiten war es im Jahre 2009 bereits so, dass eine Niederlassung als Hausarzt mit Kassenpatienten bedeutet hätte, dass ich pro Tag mindestens 50 bis 60, wenn nicht gar 80 Patienten sehen und durchschleusen hätte müssen, um den Laden vernünftig am Laufen zu halten. Denn für einen Hausarzt gab und gibt es pro GKV-Patient eine Dreimonatspauschale von gerade einmal 35 Euro, egal wie oft der Patient in diesen drei Monaten, dem sogenannten Quartal, erscheint und egal was man mit ihm macht.

Das wollte ich nicht. Ich hatte schon immer einen totalen Horror vor diesen Massenabfertigungen, einfach weil ich mir so viele Menschen und ihre Malässen gar nicht alle merken kann und auch nicht will. Zehn Patienten am Tag kann ich mir noch gut merken, kann mit denen dann auch mindestens eine halbe Stunde am Stück zu tun haben, was mir überhaupt erst die Gelegenheit gibt, ein paar Fragen zu stellen, und dem Patienten die Möglichkeit, mir etwas zu antworten. Und ich habe sogar noch die Möglichkeit, ihn auch körperlich zu untersuchen. – »Schreiten Sie zum Äußersten, untersuchen Sie den Patienten«, hieß es mal. All das ist in unserem Gesundheitssystem, in dem eine Praxis in der Regel überhaupt nur dann erst funktioniert, wenn man 50 Leute am Tag durchsemmelt, definitiv nicht möglich. Und ich glaube inzwischen, es ist auch überhaupt nicht so gewollt. So eine normale Praxis funktioniert nur, wenn man jeden, der da reinkommt, nur kurz angrinst, vielleicht noch in den Hals guckt – man nennt den obersten Hemdausschnitt vorne, dort, wo man das Stethoskop aufsetzen kann, ohne dass der Patient den Oberkörper frei machen muss, deshalb »Kassendreieck«. Dazu sollte man dann noch ein paar belanglose Worte labern und die Ohren auf Durchzug stellen, weil es sonst gar nicht anders geht, und dann schickt man jeden Patienten mit einem rosa Kassenrezept mit zwei, drei Medikamenten drauf nach Hause. Das ist die gegenwärtige deutsche Kassenarzt-Medizin. Durchgeplante Massenabfertigungen mit Rezeptausgabegarantie. Kollegen, die das so nicht können wollen, die den marktwirtschaftlichen Druck eines solchen Ladens unterschätzen, die lieber richtig Arzt sein wollen und sich von sich aus mehr Zeit nehmen, obwohl sie das nicht bezahlt bekommen, gucken am Ende in die Röhre und begehen betriebswirtschaftlichen Selbstmord. Denn der ökonomische Druck der Mieten, Gehälter und der Bankverpflichtungen erstickt die fachliche Motivation eines Arztes in der Regel im Keim.

Von daher gab es für mich nur eine Möglichkeit: Entweder ich werde Holzhacker oder ich führe eine reine Privatpraxis, denn – so unsozial es sich anhört – bei Privatpatienten kann man noch richtig Arzt sein. Denn da bekommt man alles, was man macht, bezahlt, und man kann jeden Patienten seriös medizinisch betreuen. Neben den Privatpatienten gibt es bei mir etwa 20 Prozent Selbstzahler, das heißt gesetzlich Versicherte, die die Arztrechnung eben aus der eigenen Tasche bezahlen. Weil es ihnen das wert ist. Eigentlich ist es ein Unding, dass man als motivierter junger Arzt, der sich selbstständig machen möchte, heutzutage schier gezwungen ist, eine reine Privatpraxis zu führen oder sich zumindest an einen Standort zu begeben, wo viele Privatpatienten wohnen, weil sonst das wirtschaftliche Überleben in einer Praxis kaum noch gegeben ist, sofern man keine Massenabfertigung betreiben will. Und wenn er sich für eine normale Kassenpraxis entscheidet und nicht auf die Lage, den Standort sowie die wirtschaftlichen Umgebungsfaktoren achtet, dann kann das dem Jungarzt ganz schnell das Genick brechen. Nur von der Dankbarkeit seiner Patienten kann man weder sein Personal noch seine Miete bezahlen. Man hat keinerlei Freizeit mehr, weil man nur noch horstet, und man stumpft innerlich ab, man kündigt, weil man eigentlich 80 Leute pro Tag durch die Praxis schleusen muss. Kinderärzte und Orthopäden kommen auch schon mal locker auf 110 bis 120 Patienten pro Tag. Das überfordert auch den nettesten und offensten und gewissenhaftesten Arzt in der Regel und führt zur inneren Kündigung.

Mein Glück war und ist es, dass ich mit der Schlafmedizin eine besondere Spezialisierung habe, die so nicht allzu viele Leute aus einer Praxis heraus anbieten. Zudem habe ich relativ viele eigene Ideen in die Tat umgesetzt und fahre damit ein recht individuelles Praxiskonzept, was auch unterm Strich wirklich gut läuft. Trotzdem habe auch ich jeden Monat einen großen wirtschaftlichen Druck, Miete, Personal und Verbindlichkeiten bei der Bank wollen jeden Monat erst einmal reinverdient werden. Nicht alles, was nach außen glänzt, ist auch innen nur gülden, und so kann man an allen Strukturen und an allen Bedingtheiten etwas finden, was toll ist, und etwas, was schlecht ist.

Wenn man in der Medizin kreativ sein will und eine Portion Eigenantrieb hat, sollte man sich nach wie vor selbstständig machen, weil man ansonsten Schwierigkeiten haben wird mit den institutionellen Bedingungen. Wenn man allerdings eine Fachrichtung gewählt hat, die nur im Krankenhaus praktiziert wird, dann muss man eine Krankenhauskarriere machen. Wenn man keine Karriere machen möchte, sollte man sich anstellen lassen und einen normalen Job als Dauerassistent oder Oberarzt in einem gemütlichen Haus mit einem gemütlichen Fach anstreben. Heute kann man davon sehr, sehr viel besser leben als früher. Heute kann man als angestellter Arzt, egal ob als Assistenz- oder Oberarzt, ein hervorragendes Auskommen haben, man hat Urlaub und Freizeit und darf sogar krank werden, ohne dass man danach von allen Kollegen nur noch gehasst wird.

Doch nun genug der persönlichen Einführung. Lassen Sie uns jetzt hineinspringen ins große grüne Biotop unseres Gesundheitswesens: Ziehen Sie die Kaki-Klamotten an, reiben Sie sich mit Moskitoöl ein, und auf gehts in den schier undurchdringlichen deutschen Gesundheits-Urwald. Bahnen wir uns gemeinsam einen Weg …

Bild 1

Willkommen im Urwald! Ein Dschungel, ein Urwald, die sind wie lebendige Wesen. Sie wollen was zu fressen und geben Nährstoffe ab. Aber nicht für lau. Da muss man schon was für tun, aufpassen, wo man hintritt, und sich mit den Trampelpfaden auskennen. Und man muss sich in Acht nehmen davor, dass einem – egal ob als Patient oder Arzt – nicht am Ende des Tages die Wildschweinstachelstinktiersäbelzahnsau auf den Fersen ist. Oben, in den frisch-luftigen grünen Baumwipfeln, wo der Rote-Kreuz-Vogel wohnt, da isses schön. Beste Aussicht auf der Dachterrasse des Gesundheitswesens. Privatklinik oder Normal-Krankenhaus, Praxis oder Spital, Facharzt oder Hausarzt. Alles ist möglich und überall kann es gut sein oder schlecht. Kommt immer drauf an. Von wo aus man guckt und an wen man gerade gerät. Holen Sie die Ferngläser raus und gucken Sie von oben, ziehen Sie sich festes Schuhwerk an und stapfen Sie tapfer weiter. Nicht jede Schlange ist schlimm, aber auch nicht jedes Blatt ist gesund. Werden Sie schlau!

Im Urwald des Gesundheitssystems

Das deutsche Gesundheitssystem ist ungemein komplex ge- und verstrickt. Ein Staatssekretär der früheren Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sagte mal auf einem Vortrag in der Kölner Universität: »Meine Damen und Herren, ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit Gesundheitspolitik und ich habe noch immer nicht alles verstanden. Und es ist wie bei einem Mobile: Wenn Sie vorne an einer Schnur ziehen, wissen Sie nie, wo es hinten überall klingelt.«

Hausarzt – Facharzt, Praxis – Krankenhaus

In Deutschland gibt es Haus- und Fachärzte, Praxen und Krankenhäuser (dazu kommen noch – zahlenmäßig geringer – Rehakliniken, reine Privat(patienten)kliniken und Medizinische Versorgungszentren). Die Hausärzte sind für die sogenannte Primärversorgung der Bevölkerung zuständig, die Fachärzte für die Spezialversorgung. Kinderärzte, Augen- und Frauenärzte gehören eigentlich zu beiden Gruppen, da sie sowohl primärärztliche als auch fachärztliche Aufgaben übernehmen. Deutschland ist insofern besonders, als dass es hier Fachärzte sowohl als niedergelassene Ärzte in Praxen als auch als Krankenhausärzte in den Kliniken gibt. Das nennt man »doppelte Facharztschiene«. In den meisten anderen europäischen Ländern wird die ambulante fachärztliche Versorgung zum großen Teil von Krankenhausärzten wahrgenommen. Politik und Kostenträger hacken seit Jahren auf diesem Modell herum und behaupten immer wieder, dass dieser angebliche Luxus die Medizin in Deutschland so verteuern würde. Faktisch stimmt das aber nicht, und die so oft gehörte Leier von den exorbitanten Kosten der ganzen Doppeluntersuchungen (zum Beispiel Blutabnahme und Röntgenbild erst in der Praxis und kurz danach nochmals im Krankenhaus) ist ebenfalls nicht haltbar. Tatsache ist, dass eine Facharztpraxis fast immer preiswerter arbeiten kann – und auch muss – als ein Krankenhaus und dass uns tatsächlich die Kosten um die Ohren fliegen würden, wenn wir nicht so viele gut funktionierende und täglich fleißig die Menschenmassen abarbeitende Facharztpraxen hätten. Wenn alle diese Menschen, die dort behandelt werden, im Krankenhaus behandelt würden, wäre die Medizin auf einen Schlag nicht mehr bezahlbar. Eine mögliche Lösung des Konflikts liegt eventuell in der Ausweitung der seit einigen Jahren entstehenden Medizinischen Versorgungszentren, sofern sie – quasi als Ärztehäuser – an bereits bestehende Krankenhäuser angedockt werden und sofern die dort arbeitenden Ärzte nicht ständig wechseln, damit es eine Kontinuität in der Patientenbetreuung und in der Arzt-Patienten-Beziehung gibt. Die dort angestellten Ärzte bekämen ein gutes Gehalt und würden nicht umsatzbezogen bezahlt.

Man kann die ausufernden Kosten aufseiten der medizinischen Versorgung aber auch von Patientenseite her angehen. Dann wäre ein Lösungsansatz, notorische Arzt-Geher und Medizin-Nutzer zu mehr Eigenverantwortung zu erziehen. Es geht hierbei darum, mehr Vertrauen in die eigenen Selbstheilungskräfte zu schaffen, und darum, Bewusstsein zu wecken für die Eigenverantwortung in Bezug auf ein gewisses Grundwissen über den Körper und die Seele und ihre »At-home-Heilungsmöglichkeiten«.

Praxis und Krankenhaus – die getrennten Dschungel-Sektoren

Es gibt im deutschen Gesundheitswesen ein Unwort namens »sektorale Gliederung«. Es gilt der Leitspruch: »Die ambulante Patientenversorgung obliegt den niedergelassenen Ärzten.« Man unterscheidet den ambulanten Sektor (die Praxen) vom stationären Sektor (die Krankenhäuser). Beide Sektoren werden aus ganz unterschiedlichen »Töpfen« bei den Krankenkassen bezahlt, werden ganz anders verschlüsselt und unterliegen in Deutschland immer noch einer ziemlich starren (und zunehmend sinnlosen und teuren) Trennung. Die niedergelassenen Kassenärzte, vertreten durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und die sogenannten Berufsverbände, haben den Finger auf der ambulanten Versorgung ihrer Kassen-Schäfchen und wollen gerne verhindern, dass die Patienten zu den Krankenhausärzten rennen. Man fürchtet einerseits um Pfründe (Geld) und andererseits auch um Image und Renommee. Mittlerweile gibt es auch die sogenannte spezialfachärztliche Versorgung (§ 116b SGB V) für spezifische Krankheitsbilder (u. a. Onkologie, Kardiologie). Hier kann die ambulante Versorgung sowohl von Krankenhäusern als auch von Kassenärzten wahrgenommen werden. Das ist gut gemeint, führt aber meist nur zu zusätzlichen Abrechnungsproblemen. Die Umsetzung dieser 2011 beschlossenen Möglichkeit läuft noch schleppend.

Lücken im Versorgungsdickicht

Viele Patienten denken, dass ein Krankenhausprofessor für Herzkrankheiten vielleicht ein besserer Arzt ist als ein niedergelassener Kardiologe. Das stimmt natürlich häufig nicht, die niedergelassenen Ärzte waren ja vorher alle selber meist viele Jahre in der Klinik, aber der Mensch glaubt das eben häufig. Und deshalb wollen die Kassenärzte es gerne verhindern, dass Patienten einfach so zu Krankenhausärzten gehen können. Die Krankenhausärzte dagegen wollen nicht, dass die Niedergelassenen ihre eigenen Patienten im Krankenhaus weiterbehandeln können, denn ansonsten entgehen ihnen ja eigene Fälle. So beißt sich die Katze in den Schwanz und vor allem in die rechte Hintertasche, dahin, wo das Portemonnaie sitzt. Denn es sind nicht einzelne Untersuchungen, die vielleicht mal doppelt gemacht würden, die den Gesundheitsbetrieb verteuern. Es ist die ganze Perfidie der starren sektoralen Trennung, die vieles so teuer macht:

Wenn ein niedergelassener Kardiologe seinen eigenen Herzpatienten sowohl in der Praxis als auch im Krankenhaus behandeln könnte, würde sich alleine dadurch, dass der Doktor den Patienten ja bereits aus der Praxis kennt, der Krankenhausaufenthalt effektiver und damit auch preiswerter gestalten, als wenn jedes Mal das Pferd von hinten neu aufgezäumt werden muss, ständig andere und fremde Krankenhausärzte den Patienten neu aufnehmen und befragen – und grunduntersuchen – müssen. Genauso umgekehrt: Wenn der Krankenhauskardiologe, der einen Patienten bereits kathetert und zwei Wochen lang auf der Station betreut hat, diesen auch ambulant weiterbehandeln dürfte, dann wäre erstens der Patient viel effizienter versorgt. Und zweitens wäre es durchaus billiger, als wenn der niedergelassene Kardiologe erst wieder alles, was im Krankenhaus lief, nachlesen und nachverordnen muss.

Für manche Diagnosen und Krankheitsbilder gibt es inzwischen mancherorts sektorenübergreifende Versorgungsmodelle im Rahmen der »Integrierten Versorgung (IV)« (§140a – d SGB V). Hier kooperieren niedergelassene Ärzte mit Kliniken und Rehakliniken, und das klappt teilweise auch ganz gut. Der Großteil aller Krankheiten wird aber nach wie vor in der sektoralen Gliederung zersäbelt.

Königliche Kronen oder wackelnde Wurzeln?

Wie gut und gerecht ist unser System?

Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, so hört man oft, stünden wir mit unserem Gesundheitssystem ziemlich führend da. Vielerorts sei es schlechter und schlimmer als bei uns. In Großbritannien sei alles schlechter. Und in Osteuropa sowieso. Dagegen sei in Skandinavien alles besser. Schon die Schulen und die Schüler, aber auch die Ärzte und Patienten, einfach alles sei da besser. In Holland auch. – Ob das stimmt? Großbritannien, Schweden und Norwegen haben beispielsweise staatliche Gesundheitssysteme, die sich aber auch von Land zu Land unterscheiden. In Norwegen etwa wird die Krankenhausversorgung vom Staat zentral organisiert, die ambulante Versorgung (Arztpraxen) aber von den Kommunen, also regional.

Es gibt in Europa auf dem Gesundheitssektor Gemeinsamkeiten in bestimmten Grundhaltungen, zum Beispiel dass die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung einer staatlichen Aufsichts- und Fürsorgepflicht unterliegt. Doch jedes europäische Land hat sehr spezifische lokale Unterschiede und Vorbedingungen. Und jede Nationalität verfügt auch über Unterschiede darin, wann man es für nötig hält, zum Arzt zu gehen. So gibt es die fast jedem Arzt bekannte Diagnose des »Morbus mediterraneus«. Dies bezeichnet augenzwinkernd die etwas überdurchschnittliche »Klagefähigkeit« des durchschnittlichen Südeuropäers bei bereits geringer objektiver Krankheitslage. Ein bisschen Übelkeit und Durchfall: Guiseppe, Pedro, Maria, Gülizar und Yildirim leiden arg und stark. Den Russen und anderen slawischen Patienten hingegen sagt man nach, dass sie Schmerzen durchaus tapfererer ertragen als wir Deutschen. Tiefe Schnittwunde im Fleisch, Blinddarm geplatzt, Herzkammer verkohlt: Der Russe steht immer noch.

Was als noch gesund und was als bereits krank oder gar erst richtig krank gilt, gesehen und bewertet wird, ist durchaus nicht objektiv, sondern unterliegt starken kulturellen sowie kulturhistorischen Einflüssen.

Kann man die Qualität von Gesundheitsdienstleistungen messen?

Obwohl uns viele andere Länder um unser Gesundheitssystem beneiden, sind viele Patienten bei uns unzufriedener als woanders. Woran liegt das? Die in diesem Zusammenhang häufig genannten »Gesundheitsausgaben« eines Landes, also der Anteil der für Gesundheit bezahlten Geldmenge im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt, der in Deutschland knapp 12 Prozent beträgt, sagt nicht wirklich etwas darüber aus, wie gut ein Gesundheitssystem wirklich ist oder wie gut sich die Menschen in einem Land versorgt fühlen.

Damit wären wir auch schon bei dem mit am meisten strapazierten Wort im Gesundheitswesen: »Qualität«. Jeder Berufene und Halb-Berufene redet über Qualität und davon, dass diese besser werden muss und dass man Qualität im Gesundheitswesen messbar und vergleichbar machen muss. Das hört sich ja alles auch so schön logisch an. Klar denkt man: Mensch, die haben ja recht. Die »Qualität« unserer Medizin muss besser werden.

Was aber genau soll denn das sein, die Qualität? Und woran soll ich die festmachen? Wie kann ich denn beispielsweise die Qualität eines Hausarztes messen? Wie bewerte ich, dass er ein empathischer und netter Kerl oder sie eine nette und sympathische Frau ist – mit dem Herz am rechten Fleck und mit gutem medizinischen Sachverstand? Das ganze Qualitäts-Gehuber kommt von Leuten, die ein Eigeninteresse an planbaren, gut durchstrukturierbaren und auf Effizienz und Gewinn ausgerichteten »Medizin-Prozeduren« haben. Um damit Geld zu verdienen oder Geld zu sparen.

Da sich menschliche Faktoren wie Zuwendung, Zeit, Empathie, Humor, Vertrauen und Gewissenhaftigkeit nicht gut messen lassen, kann man sie auch nicht mit einem Qualitätszertifkat versehen. Und deshalb fallen sie unter den Tisch. Was für eine Autofabrik vielleicht noch gerade gut ist, ist für die Medizin, sofern auch nur ein Hauch Gesprächsanteil in einem Fachgebiet nötig ist, fatal. Denn selbst in noch so technisch orientierten und auf OP- und Medizintechnik angewiesenen Disziplinen spielt der Faktor Mensch – auf Patienten- und Arztseite – eine entscheidende Rolle. Schon so mancher Bypass-Operierte starb auf der Intensivstation, weil keine Menschenseele für ihn da war, und schon so mancher technisch todgeweihte Lebertransplantierte wurde gesund, weil der Chirurg ihm Hoffnung gab und mehr als nur ein Handwerker war.

Der (Haus-)Arzt ist in Deutschland nicht nur zuständig für Husten, Schnupfen, Heiserkeit und Blasenentzündung, sondern fungiert seit dem Verschwinden der Pfarrer und Nonnen als quasi fast unentgeltliche Vertrauensperson. Er wird herangezogen zur alterungsbedingten Einsamkeitsbewältigung und zur Lösung sozialer Probleme. Dies ist in anderen Ländern  – mit stärkerer Betonung der Familie als sozialer Keimzelle und verbliebener Einbindung der Älteren – nicht so oft der Fall.

Wir sind in Deutschland medizintechnisch verwöhnt

Großbritannien beispielsweise mit seinen nur 8,3 Prozent Gesundheitsausgaben bietet seinen Einwohnern mit einem steuerfinanzierten staatlichen Gesundheitswesen eine objektiv deutlich schlechtere Medizin. Jeder kennt die Horrorgeschichten von 75-Jährigen, die angeblich keine Dialyse mehr bekommen, oder die Horrorgeschichten darüber, dass man trotz Schmerzen ein Jahr auf eine neue Hüfte warten muss. Trotzdem sind die Briten Umfragen zufolge insgesamt zufriedener mit ihrer Medizin als wir Deutschen mit der unseren. Sie kennen nichts anderes, und deswegen fehlt ihnen der Vergleich. Und deswegen meckern sie vielleicht auch nicht so viel rum wie wir Deutschen. Sie sind aber auch insgesamt nicht kränker als wir, und sie sterben im Schnitt auch nicht früher oder schlimmer. Wenn Sie einen Briten auf der Straße nach einem »Kernspintomografen (MRT)« fragen, ernten Sie in der Regel nur ein verständnisloses Kopfschütteln. In Großbritannien gibt es solche tollen Geräte nur in großen Krankenhäusern, kaum aber in Arztpraxen wie bei uns.

In Deutschland hat inzwischen schon fast jeder Kiosk neben Butterkeksen, Bleistiften und belegten Brötchen einen Kernspintomografen, eine Arthroskopie-Einheit und einen Herzkatheter-Messplatz stehen. Und diese Viecher sind teuer! Um so ein Großgerät zu amortisieren, müssen etliche Untersuchungen damit gemacht werden. Und wenn ich als Patient weiß, dass es ein MRT gibt, das von meiner Krankenkasse bezahlt wird, dann will ich doch auch bitteschön eine MRT-Untersuchung haben und nicht nur ein schnödes Röntgenbild so wie mein Opa früher. Dass ein Patient acht Wochen auf das MRT warten muss und auf das Röntgenbild nicht mal einen Tag, dass das MRT das Zwanzigfache des Röntgenbildes kostet und dass ein MRT von Schulter, Knie und Wirbelsäule in über 90 Prozent aller ambulant durchgeführten Fälle keinerlei zusätzlichen Nutzen bringt gegenüber einem stinknormalen Röntgenbild (oder sogar einer noch schnöderen, aber meist deutlich effektiveren körperlichen Untersuchung von gerade mal fünf Minuten Dauer), das will keiner hören und sehen. Patienten nicht und Ärzte auch nicht und die Kassen – egal ob gesetzlich oder privat – eigentlich auch nicht. Wir sind in Deutschland mit Großgeräten massiv überausgerüstet. Doch schon Norbert Blüm ist 1980 mit einer Gesetzesvorlage zur Großgerätebegrenzung gescheitert.

Halb volle oder halb leere Kokosnuss? Zufriedenheit ist relativ

Man guckt ja gerne nach den Vorteilen der anderen und weniger nach den Nachteilen. Man müsste auch nur mal schauen, wie es in anderen Ländern aussieht, und auch mal sehen, was im deutschen GKV-Wesen noch alles so ermöglicht, bereitgehalten und bezahlt wird. Und das ist eine ganze Menge. Das soll nicht heißen, dass nicht einiges bei uns im Argen liegt, davon wird in diesem Buch hier noch oft die Rede sein. Aber man darf die Dschungel-Kinder nicht mit dem Kokosmilch-Bad ausschütten und sollte immer noch den Wald vor lauter Bäumen sehen. Und man sollte nicht immer nur auf den Ärzten rumhacken, denn die können in den meisten Fällen nichts dafür, dass die Bedingungen so sind, wie sie sind.

Das Empfinden von Zufriedenheit und Glück ist immer relativ und hat viel damit zu tun, dass wir genau zu wissen glauben, was uns zusteht, und immer darauf blicken, was andere haben. Der Mensch (und andere sozial lebende Wesen wie zum Beispiel Affen übrigens auch) orientiert sich fast immer nur nach oben, also hin zu den vermeintlich besseren und höherwertigen Mitgliedern der Sippe. Da gibt es beispielsweise Neid um sozialen Status, Geld, Ansehen, Macht, Schönheit. Und so haben viele deutsche GKV-Versicherte nur die anscheinend besseren Leistungen und Bedingungen der Privatversicherten im Blick und sind deshalb oft chronisch unzufrieden mit ihrer eigenen Lage. Dabei ist die – zumindest wenn es um die ernsten und schlimmen und auch die akuten Erkrankungen geht – eigentlich gar nicht so schlecht: In acht Minuten nach Absetzen eines Notrufs an die 112 stehen zwei bis fünf hoch qualifizierte Rettungskräfte (unter ihnen meist sogar ein Arzt) mit Blaulicht und einer kompletten Mini-Intensivstation vor Ihrer Türe. Egal wo Sie in Deutschland wohnen. Wenn Sie Krebs bekommen, zahlt Ihre Krankenkasse  – egal ob Sie gesetzlich oder privat versichert sind – das volle Programm, in aller Regel ohne dass Sie selber mit zur Kasse gebeten werden, abgesehen von einer überschaubaren Selbstbeteiligung im Krankenhaus. Große Operation, Intensivstation, Chemotherapie, Strahlentherapie, wird alles bezahlt. 90 Prozent aller Darmkrebse können heute mit einer Operation im Wert von circa 10.000 Euro geheilt werden. 10 Prozent aller Darmkrebspatienten haben Metastasen und brauchen eine Chemotherapie, die mal eben 150.000 Euro pro Jahr kostet. Wird alles bezahlt. Egal ob Kasse oder privat. Und egal ob es Ihnen etwas bringt. Sie brauchen ein neues Herz? Kein Problem. Das Spenderorgan zu bekommen, ist oft langwierig und schwierig. Aber wenn Sie eins bekommen, dann wird in Deutschland alles bezahlt. 250.000 bis 500.000 Euro kostet das Ihre Kasse. Aber es steht Ihnen zu. Per Gesetz.

Plädoyer an die Ärzte: Raus aus dem Urwalddickicht und Stellung beziehen

»Ich will doch nur helfen, aber …«, so klingt es allenthalben von Ärzteseite. Doch natürlich ist man hier nicht nur Opfer, sondern immer auch Mittäter, insbesondere wenn man nicht versucht, ungute Bedingungen zu verändern. Leider herrscht unter Ärzten oft zu viel Angst und Autoritätshörigkeit und zu viel Verharren im alten Sumpf der tradierten Sozialisation. Von wegen »Ich will doch nur helfen«. Na ja, dann hilf dir doch erst mal selbst auf die Füße, guck dich um, wo du stehst, und dann guck nach den anderen. Das ist auf Dauer viel gesünder, auch für die Patienten, denn das schleift und schärft und trainiert die Persönlichkeit. Und ohne die wird’s schwierig, sich im Dickicht der Abrechnungsvorschriften, im Strudel der Strukturen und im Portfolio der Politik zu orientieren und zu behaupten. Wer keinen festen Standpunkt hat, der hat wackligen Boden unter den Füßen. Und wem der Boden zu schwanken beginnt, nur weil in 20 Kilometer Entfernung eine Elefantenhorde vorbeitrottet, der steht nicht mit beiden Beinen auf der Erde. Ohne eigenen Standpunkt keine Übersicht und keine Orientierung. Ohne feste Wurzeln kein starker Stamm und keine schöne Krone.

Chronik und Psychosomatik – die ungeliebten Wildtiere des Dschungels

Gar nicht so gut allerdings sieht es bei den chronischen Erkrankungen aus, also bei Bluthochdruck, Diabetes, koronarer Herzkrankheit, Asthma, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD), Arthrose, Wirbelsäulenproblemen, Angst, Depression sowie bei den Unmengen an diffusen, vielschichtigen und subtilen psychosomatischen Beschwerden. Hier versagt unser System häufig, weil wir eine standardisierte, »sichtbare«, ökonomisch unter Druck gesetzte und möglichst optimal planbare, durchstrukturierte und damit rationalisierbare Medizin haben sollen. Je individueller und vielschichtiger ein Symptom oder eine Krankheit aber ist und je stärker an die jeweiligen Lebensumstände des Patienten gekoppelt, desto ohnmächtiger und verzweifelter werden Arzt und Patient in Deutschland. Und desto planloser werden die Versuche, durch Unmengen an technischer Diagnostik, Blutabnahmen und alle möglichen Überweisungen, Medikamente und Operationen die Patienten mit ihrem ganzen nervenden Psychokram an den nächsten Kollegen zu abzuschieben.

Medizin und Markt sind wie Banane und Pflücker – beides fällt irgendwann kaputt vom Baum

Die USA haben mit stolzen 17 Prozent Gesundheitsausgaben das teuerste Gesundheitswesen der Welt, aber auch das ungerechteste und ineffizienteste. In den USA hat man über viele Jahrzehnte das Gesundheitswesen den gleichen Kräften des freien Markts überlassen wie das gesamte Wirtschafts- und Sozialleben und steht heute vor kaum lösbaren Problemen und Paradoxien. Man hat dem Thema Gesundheitsfürsorge nicht die staatlichen Rahmenbedingungen und Regulierungen gegeben, die eine so wichtige Sache nun mal braucht. Ein riesiges – von Präsident Barack Obama leider nur rudimentär und gegen größten Widerstand angepacktes Problem – sind die Nicht- oder Unterversicherten, geschätzte 15 bis 35 Prozent der Bevölkerung. Nicht bezahlbare Arzt- oder Krankenhausrechnungen sind die mit Abstand häufigste Ursache von Privatinsolvenzen in den USA. Krankenhausrechnungen sind dort unter anderem auch deshalb zwei- bis dreimal so hoch wie bei uns, weil in die Kalkulationen der Krankenhäuser hohe, nicht einbringbare Forderungen an zahlungsunfähige Patienten eingehen. Außerdem hat das US-Gesundheitssystem die mit Abstand höchsten »Overhead-Kosten«: 30 Prozent der Gesundheitsausgaben fließen dort in die Verwaltung, bei uns etwa 10 Prozent. Wer sich mal ein Bild von den Zuständen des US-amerikanischen Gesundheitsbetriebs machen möchte, dem sei der nach wie vor sehr coole Film »Sicko« von Michael Moore empfohlen (2007).

Es gibt bestimmte Lebensbereiche und Grundbedingungen, die man nicht einfach dem freien Spiel der Kräfte und dem sozialdarwinistischen Credo des Stärkeren und »Fitteren« überlassen kann bzw. sollte. Hierzu gehören zum Beispiel die Wasserversorgung, die Reinhaltung der Luft, Verkehrswegeplanung und -bau und eben die Gesundheitsversorgung.

Wenn ein Land die Gesundheit seiner Bürger nicht im Auge behält, dann hat es eine wichtige Aufgabe verpasst. Denn Krankheit ist eben doch nur selten selbst verschuldet, sondern hat immer ganz viele Variablen und bietet ein Füllhorn an Paradoxien wie zum Beispiel die folgenden an: Zwar waren 90 Prozent aller Lungenkrebspatienten vorher Raucher, aber nur jeder 50.000ste Raucher bekommt Lungenkrebs. Zwar bekommen Raucher öfter einen Herzinfarkt als Nichtraucher, aber ein Infarkt beim Raucher verläuft oft milder und der Raucher überlebt seinen Infarkt öfter als der Nichtraucher (denn er hat sein Herz auf Sauerstoffmangel trainiert).

Pass ein bisschen auf dich auf, aber zermürbe dich nicht in der Angst vor Krankheit

Eine riesengroße Industrie lebt alleine von der Angstmache vor Krankheit. Je mehr wir den Körper vermessen und analysieren können, desto mehr können wir ihn auch vernormen und standardisieren und desto mehr »Abweichungen« können benannt und die Betroffenen dann abgemahnt und sanktioniert werden. Blutdruck über 140/90? Krank! LDL-Cholesterin über180? Sehr krank! Nüchternzucker über 100? Total krank! PS-Zahl Ihres Autos über 200? Asozialer Umweltschänder! Mehr als ein Glas Rotwein am Abend? Alkoholiker! Mehr als eine Frau im Leben gefreit? Sexsüchtig und beziehungsunfähig! In der Schule einmal sitzen geblieben oder zwei Semester länger studiert? Voll-Loser!

Niemand hat es letztlich wirklich in der Hand, wann ihn ein Bandscheibenvorfall, ein Autounfall, ein Blutgerinnsel in Herz oder Hirn oder eine Depression erwischt. Ein weniges genügt manchmal, und schon hat dich das Leben an der Kandare. Klar kann man so gut es geht vorsorgen: sich reichlich bewegen, sich gesund ernähren, versuchen, eine glückliche Beziehungen zu führen und zu erhalten, man kann für ausreichend Entspannung sorgen, für gute Hygiene, nicht rauchen, nicht saufen, keine schnellen Autos fahren. Man kann es vermeiden, sich akut oder chronisch suizidal mit allen möglichen Gasen (Zigaretten), Giften (Alk) und Gemischen vollzuballern oder hasardeurisch unangeschnallt mit 160 Sachen durch die Baumallee oder durch die 30er-Zone im Wohngebiet zu schlittern. Aber unterm Strich sind Gesundheit und Krankheit so derart komplexe Phänomene und von so vielen Variablen und Faktoren abhängig, dass es durchaus die Aufgabe eines Staates ist, zumindest einen guten Zugang zu den gängigen Gesundheitsleistungen seines Landes zu gewährleisten – egal wo einer herkommt, was er verdient, oder welche Partei er wählt.

Patienten von heute – stark behandlungsbedürftig?

20 Prozent aller Patienten verursachen 80 Prozent aller Arztkontakte

Wir Deutschen sind ziemlich verwöhnt von und mit unserer Medizin. Wir wollen auch auf nichts verzichten. Wir gehen 18-mal pro Jahr zum Arzt, wobei interessanterweise diese 18 Arztbesuche im Jahr von nur rund 20 Prozent aller Patienten verursacht werden – darunter die »notorischen Arztgänger« und die wirklich Kranken. 80 Prozent aller Deutschen gehen gar nicht so oft zum Arzt, wie es immer behauptet wird. Und in den 18 Arztbesuchen jährlich sind außerdem auch die ganzen »Thekengänge« eingerechnet, bei denen lediglich eine Überweisung abgeholt wird, weil der Hausarzt dafür die gleiche »Ordinationspauschale« (Quartalsgebühr) ansetzt, wie sie für einen Besuch im Sprechzimmer anfällt.

Der Brite geht deshalb nur viermal pro Jahr zum Arzt, weil er weiß, dass er auf jeglichen Termin sowieso mehrere Wochen, wenn nicht Monate warten muss, und weil ihm – wenn er dann aber mal da ist – im Schnitt immerhin etwa 20 Minuten gewidmet werden und nicht, wie bei uns, im Schnitt nur fünf. Kassen-Kinderärzte und -Orthopäden führen in Deutschland die »Massenlisten« an. Beide schleusen pro Tag etwa 100 bis 120 Patienten durch die Sprech- und Untersuchungszimmer. Spaß macht das nicht. Dem Patienten nicht und dem Arzt auch nicht. Es ist eigentlich zutiefst unmenschlich. Aber das ambulante Krankenversicherungssystem erzwingt größtenteils diese Massenabfertigung, da bei Quartalspauschalen von 35 Euro pro Kassenpatient und einem nur geringen Privatpatientenanteil nur über die Masse genug Einnahmen erzielt werden können. Zum anderen ist diese Unmengen-Durchschleusung aber auch Folge der Ängstlichkeit, gesundheitlichen Unselbstständigkeit und Arztgläubigkeit der Deutschen.

Omas Hausapotheke als Pflichtlektüre

Viele Beschwerden – akute, vorübergehende und auch harmlosere chronische Erkrankungen – könnten mit einem auch nur halbwegs vorhandenen Hausmittelwissen oft auch ohne Arzt behandelt werden. Aber das traut sich heute kaum jemand mehr. Früher wurde das Wissen um gängige Erkrankungen wie Erkältungen, Durchfall, Kopf- und Rückenschmerzen, Hautwunden und zeitweise Stimmungstiefs von der Oma an die Mutter an das Töchterchen weitertradiert. Heute kommen die überforderten Mütter dreimal pro Woche für jeden Furz ihrer sterilen Sprösslinge zum Kinderarzt – die einen mit ihren SUVs und den obligatorischen »Lucas und Lea-Marie an Bord«-Aufklebern, die anderen mit dem Bus, ein Kind im Kinderwagen, eines an der Hand und eines im Bauch. Und sie verstehen die Welt nicht mehr, wenn Malte, Marisa oder Mehmet immer mehr Durchfall kriegen, obwohl Mutti ihnen doch schon so viel Orangensaft mit dem wertvollen Vitamin C eingetrichtert hat. Dass man sich und seinen Liebsten bei Fieber mit Wadenwickeln, etwas Paracetamol und ein wenig mehr Zuwendung aus der Krankheitspatsche helfen kann, ist eigentlich auch kein großes Geheimnis und müsste nicht erst durch mannigfaches Auflaufen beim Kinderarzt bestätigt werden. Aber kaum jemand macht’s. »Omas Hausapotheke« müsste eigentlich in jedem Bücherregal griffbereit stehen und der hässliche weiße Medizinschrank im Bad oder Flur sollte immer zumindest ein gewisses aktuelles Potpourri an häufig zu gebrauchenden Tropfen, Salben, Säften, Zäpfchen und Tabletten vorhalten. Das spart Zeit, Ärger und Geld.

»Haste was, nimmste was« – Deutschland, einig Pillenland