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Eine magische Reise nach Island – das Land der Vulkane, Trolle und Elfen Ein geheimnisvoller Stein lockt die 12-jährige Ginger und ihre Eichhörnchenfreundin Alva nach Island. Dort angekommen kann Ginger nur staunen. Die Insel flirrt vor lauter Magie und überall wuseln einzigartige Wesen herum. Ginger taucht ein in den Zauber der Insel, lernt den netten Troll Jaki kennen und kommt der rätselhaften Vergangenheit ihrer Eltern auf die Spur. Aber es geht auch etwas Bedrohliches vor sich ... Die Magie Islands scheint in Gefahr zu sein! Hat dieser seltsame Fremde etwas damit zu tun, der immer wieder auftaucht? Ginger begibt sich auf eine zauberhafte, spannende und gefährliche Reise zu einem der letzten magischen Orte der Welt!
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Seitenzahl: 203
Eine magische Reise nach Island – das Land der Vulkane, Trolle und Elfen
Auf dem Rücken von Feuerdrachen Draku geht es für Ginger und ihre Eichhörnchenfreundin Alva nach Island – in der Hoffnung, eine Spur ihrer verschollenen Eltern ausfindig zu machen. Dort angekommen kann Ginger nur staunen: Die Insel flirrt nur so vor lauter Magie und überall wuseln einzigartige Wesen herum. Blaustachelrüssler, Purpurschuppenspringer, Lavaschnäbler … Ginger taucht ein in den Zauber der Insel und kommt mit Hilfe von Troll Jaki und ihrer neuen Freundin Lilja der rätselhaften Vergangenheit ihrer Eltern auf die Spur. Aber es geht auch etwas Bedrohliches vor sich ... Was hat es mit diesem seltsamen Fremden auf sich, der immer wieder auftaucht? Die Magie Islands scheint in großer Gefahr zu sein – und Ginger, Alva und ihre Freunde müssen ihren ganzen Mut aufbringen, um sie zu retten!
Stimmungsvoll illustriert von Florentine Prechtel
Von Judith Allert sind bei dtv außerdem lieferbar:
Ginger und die Bibliothek der magischen Pflanzen (Band 1)
Die wilden Pfifferlinge – Dann retten wir eben die Welt! (Band 1)
Die wilden Pfifferlinge – Schildkrötenalarm (Band 2)
Judith Allert
Der Elfenstein
Band 2
Illustriert von Florentine Prechtel
Für alle, die den Tieren und Pflanzen dieser Welt eine Stimme geben
Willkommen zu Gingers zweitem Abenteuer!
Ihr habt das erste verpasst? Kein Problem! Ich, Eichhörnchen Alva, eine der wichtigsten Springerinnen auf dieser Erde, erzähle euch ruckzuck, was bisher geschah!
Äh, okay … Ihr wisst nicht, was eine Springerin ist? Und ihr habt noch nie mit einem sprechenden Eichhörnchen zu tun gehabt? Bei der faulen Haselnuss, da muss ich wohl so einiges erklären. Also, meine Lieben, Springerinnen und Springer sind ein wichtiger Teil des naturmagischen Netzwerks. Sie … Was? Ihr habt auch keine Ahnung was, das sein soll? Au Hamsterbacke! Wisst ihr was? Alle wichtigen Begriffe erkläre ich ganz hinten im Buch. Bei Unklarheiten also einfach bis zum Glossar am Ende des Buchs blättern.
Hier fange ich dafür ganz von vorne an.
Also, los ging die Geschichte damit, dass meine Freundin Ginger bei seltsamen Pflegeeltern aufgewacht ist. In einem supersauberen Haus – und angeblich mit einer Allergie gegen sämtliche Pflanzen und Tiere dieser Welt. Außerdem konnte sie sich an absolut nichts aus ihrer Vergangenheit erinnern. Nicht an ihre Eltern, nicht an ihre Heimat. Das alles kam ihr natürlich schnell superverdächtig vor. Ihre Pflegeeltern verheimlichten ihr was.
Wir sind von dort geflüchtet. Vielleicht haben sie uns auch absichtlich gehen lassen. So ganz ist das nach wie vor nicht klar. Klar wurde Ginger hingegen, dass das mit der Allergie totaler Quatsch war. Denn es ging erst mal ab in Fräulein von Blums Garten. Ein zauberhafter Ort voller magischer Pflanzen und Wesen, die normale Menschen noch nie zu Gesicht bekommen haben. Dort hat Ginger erfahren, dass sie eine echte Flüsterin ist und dass sie mit Pflanzen sprechen kann. Sie hat erfahren, dass ihre Eltern verschwunden sind, dass die Geschichte von dem tödlichen Hubschrauberunfall, die ihr aufgetischt wurde, auch nur eine Lüge war und dass vermutlich eine gefährliche Verschwörung hinter all dem steckt. Mit Hieronymus Luftikus’ magischem Ballon wollten wir eigentlich zur Bibliothek der Magischen Pflanzen reisen. Dort wartete der Rat der Vier schon auf uns. Von dem hofften wir, mehr über das alles zu erfahren. Aber blöderweise kam uns eine Horde verrückt gewordener Krähen dazwischen – und eine unfreiwillige Notlandung mitten auf dem Pariser Eiffelturm!
Hieronymus und den Ballon haben wir verloren. Dafür haben wir einen neuen Freund gefunden. Carl. Auf eine gewisse Art war er auch ein Flüsterer in seinem geheimen magischen Garten, hoch oben über den Dächern von Paris. Dort haben wir nach und nach kapiert, dass die Gruselkrähen von einer Gruppe farbloser Gestalten kontrolliert werden. Die Beigen haben wir sie genannt. Und die hatten es auf Carls Garten abgesehen. Beinahe hätten sie es geschafft, alle magischen Pflanzen und Wesen zu vernichten. Aber hey, so leicht haben wir uns natürlich nicht unterkriegen lassen. Wir haben einen gigantischen Plan geschmiedet: Viele Pariser Kinder sind auch zu Flüsterern geworden und haben uns geholfen, die Krähen von ihrem gefährlichen Bann zu befreien und die Beigen zu vertreiben. Nicht nur das: Jetzt gibt es überall in der Stadt magische Dachgärten. Endlich konnten wir zur Bibliothek der Magischen Pflanzen reisen. Bei der goldenen Haselnuss, das ist mal ein toller Ort! Ich rate euch dringend, auch mal vorbeizuschauen.
Und Eritrude Salamander, Hieronymus Luftikus, Fossilitizia Hummulus und Aquarius Ozeanus solltet ihr unbedingt kennen lernen. (Aber dafür müsstet ihr natürlich das Flüstern lernen!)
Doch noch immer stellt sich die Frage: Was haben die Beigen mit Gingers Eltern gemacht? Und wieso ist es diesen scheußlichen Fieslingen so wichtig, die Naturmagie zu zerstören?
Tja, genau an der Stelle geht das zweite Abenteuer weiter! Viel Spaß dabei! Aber Vorsicht, es kann spannend werden! Und richtig gefährlich. Und magisch wird es sowieso – sogar noch mehr als beim letzten Mal.
Eure Alva
in dem Ginger zum Chamäleon wird und ein Zwusel namens Pi sie zu einer steinernen Hoffnung führt
Inmitten des Gewispers, Gezwitschers und Geraschels des magischen Gartens um sie herum, setzte sich Ginger im Schneidersitz ins weiche Moos. Sie lehnte sich an den Stamm einer Paraune, zog ihren Schreibblock aus ihrem Rucksack, zückte einen Stift und begann zu schreiben. Fast täglich verfasste sie einen Brief an ihre Eltern, obwohl sie keinen davon abschickte. Es war fast, wie Tagebuch zu führen. Um ihre Gedanken zu ordnen und um ihren Eltern wenigstens ein kleines bisschen nahe zu sein.
Liebe Mama, lieber Papa,
ich weiß, es ist eigentlich albern, einen Brief nach dem anderen zu schreiben. Obwohl ich verflixt noch mal nicht weiß, wo ihr seid. Weil ich doppelt und dreifach verflixt noch mal nicht weiß, ob es euch gut geht. Nicht mal, ob ihr überhaupt noch lebt!
Dass diese Beigen hinter eurem Verschwinden stecken, daran gibt es keinen Zweifel. Seit den Vorfällen in Paris sind sie nicht mehr aufgetaucht und gerade ist alles ruhig. Die magische Karte zeigt an, dass es den geheimen Gärten in den Städten gut geht. Viel besser als früher. Nicht nur in Paris!
Ich hab erst einige davon gesehen. Hieronymus hat mich in den letzten Wochen mit seinem Ballon überall hingeflogen. Nach Rom. Nach Berlin. Nach Barcelona. Tag für Tag kommen neue magische Ort hinzu. Wenn ich die Karte öffne, flimmert und flirrt sie nur so vor Magie! Vielleicht ist ja das unsere Rettung?
Ginger schrie auf.
»Hey! Du nerviger, kleiner … Gib den sofort wieder her!«
Ehe sie ihre Unterschrift unter den Brief hatte setzen können, hatte ihr jemand das Blatt weggeschnappt. Ein felliges Wesen mit einer Zipfelmütze und einem Gesichtchen, das ein bisschen wie das eines Affen aussah. Es war Pi. Ein echter Zwusel.
»Und wehe, du liest ihn. Der ist nicht für dich!«, schrie Ginger, während sie versuchte, Pi nachzueilen.
Was gar nicht so leicht war. Schließlich befand sie sich in der Wohnung von Fräulein von Blum, und das war keine normale Dreizimmerwohnung. Ginger musste nicht nur zwischen Möbeln hindurch, sondern auch über Wurzeln springen und sich unter Zweigen ducken. Dabei verhedderte sie sich immer wieder in den verschiedensten Pflanzen. In den Blättern der Paraune. In den Ästen der Blitzblätterigen Kleckerbeere. Ein Großnasenfliederling schlug erschrocken mit den Flügeln. Der Morgentauschneck verzog sich ins Dickicht. Der Windsamenknacker sah ihr erstaunt nach.
»Also, irgendwie kommt mir das hier bekannt vor«, erklang über einem Ast eine amüsierte Stimme.
Sie gehörte zu Gingers bester Freundin Alva, ein rotflauschiges Eichhörnchen. Und vermutlich das Wesen auf der Welt, mit dem Ginger, von Dickkopf zu Dickkopf, am allerbesten herumstreiten konnte.
»Hilf mir lieber!«, patzte Ginger zurück. »Aber wehe, du liest den Brief. Der ist nicht für dich.«
»Sondern?«, fragte Alva. »Etwa für deinen Liebsten? Hast du Herzchen für Carl gemalt?«
Ginger wusste genau, dass Alva sich nur einen Spaß machte, aber sie grummelte trotzdem in ihre Richtung.
»Krawah«, rief da der Zwusel, zeigte Ginger eine lange Nase und verschwand auf Nimmerwiedersehen im Dickicht. Vorerst jedenfalls.
Keuchend stützte Ginger die Arme auf die Oberschenkel.
»Geht dich gar nichts an, für wen der Brief ist«, knurrte sie, so grimmig sie konnte. Schließlich war sie wegen eines kleinen, frechen und diebischen magischen Wesens völlig außer Puste. Außerdem konnte sie Alva solche Sprüche längst nicht mehr übel nehmen. Dafür kannte sie ihre fellige Freundin zu gut und hatte sie viel zu gern.
Alva sprang auf Gingers Schulter.
»Mit der Laune lockst du Pi bestimmt nicht aus seinem Versteck. Das hat schon nicht geklappt, als er die Unendlichkeitsbohne geklaut hat.«
»Da muss ich dir ausnahmsweise recht geben. Leider.« Ginger grinste. »Ein Glück, dass ich so ein Besserwisserhörnchen an meiner Seite habe!«
Ohne sich zu rühren, musterte sie den Wohnzimmerdschungel um sich herum.
»He, Zwuselchen. Na los. Wir tauschen. Ich bekomme den Brief zurück und du kriegst dafür was richtig Tolles!«
Mit einem beruhigenden Gurren fasste sie in ihre rechte Hosentasche. Dann in die linke.
Aber auch als sie beide Innentaschen nach außen gedreht hatte, hatte sie bis auf ein paar staubige Flusen nichts gefunden.
Alva keckerte auf. »Du meinst, darauf fällt der Knirps herein? Hast du nicht mehr zu bieten?«
Ginger stöhnte. »Eigentlich bin ich hier, um ein bisschen Pause zu machen. Du weißt schon. Vom Weltretten und so. Aber als Flüsterin hat man wohl nie Urlaub.«
Erneut sah sie sich um. Ihr Blick blieb an einer kunterbunten Blumenvase haften. »Du kommst mir gerade recht, Liebes«, flüsterte Ginger. Denn hinter der Gestalt der angeblichen Vase verbarg sich eine Regenbogen-Chamälone. Eine Pflanze, die sich fast wie ein Chamäleon seiner Umgebung anpasste. Ach was. Tausendmal besser!
Ginger trat zu ihr, streckte ihre Hand aus und berührte das Gewächs sanft mit ihren Fingerspitzen. Sofort war da wieder das vertraute Kribbeln. Von hier aus konnte Ginger auch sehen, dass das vermeintliche Porzellan von kleinen Blattadern durchzogen war.
»Magst du mir vielleicht helfen, hm? Ich müsste mich ein wenig tarnen. Damit ich zurückbekomme, was mir gehört.«
Ein sachtes Beben ging durch die Chamälone. Im gleichen Moment begann sie, ihre Farbe zu ändern und kurz darauf ihre Gestalt. Sie wurde schmaler, länger und … grüner. Schließlich sah sie aus wie ein ziemlich gewöhnliches Gewächs. Sie raschelte mit ihren Blättern, und das klang in Gingers Ohren wie ein »Aber sehr gerne doch, liebe Freundin«. Das Kribbeln breitete sich von ihren Fingerspitzen nach oben aus. Bis in die Schultern. Und dann wieder bis in den Bauch hinunter.
»Du wirst ja zum Spinat«, keckerte Alva.
Gingers Finger färbten sich grünlich. Dann wurden auch ihre Arme grün. Überall wurde ihre Haut von einem grünlichen Schimmer durchzogen. Sie flimmerte wie Blattwerk im Wind. Ginger hielt sich die Hand vor ihr Gesicht und hauchte einen Kuss in Richtung der Chamälone. »Danke!«
Sie bückte sich und kroch langsam und so lautlos wie möglich in den Winkel des Wohnzimmerdschungels, in dem der Zwusel verschwunden war. Zumindest für ein paar Minuten hatte Ginger die Fähigkeiten, die eine Regenbogen-Chamälone besaß. Egal was sie berührte, sofort nahm sie die Farbe dessen an.
Und so konnte sich Ginger vorwärtsbewegen, als wäre sie unsichtbar. Einmal streifte sie einen Stuhl und sah sofort aus wie der gestreifte Bezug. Ein winziger Kreuzfellwalberling ließ sich für einen Moment auf ihrem Kopf nieder. Und für ebendiesen Moment wurde sie genauso kariert wie das Tierchen. Das allerdings machte sie ziemlich auffällig und sie hörte ein erschrockenes »Klawapp!« Hatte der Zwusel sie entdeckt?
Ginger biss die Zähne fest aufeinander. Nur nicht fluchen. Ruhig bleiben. Und tatsächlich! Da vorne war der Zwusel. Den Brief, der fast so groß war wie er selbst, zog er hinter sich her. Und auf einmal war er verschwunden. Komplett. Eine Sekunde lang dachte Ginger, auch der kleine Zipfelmützenzwerg hätte sich chamäleonhaft getarnt. Doch als sie näher kam, sah sie im Boden eine Öffnung. Ginger streckte die Hand danach aus.
»Na warte.« Dann aber verharrte sie in der Bewegung. Und wenn der Zwusel sie zwickte? Ach was. Diese Wesen waren ebenso liebenswert wie frech. Das alles war für ihn nichts als ein großer Spaß.
Also Hand rein und …
»Klawapp!«, erklang es da zwuselhaft. Und dann machte Pi »Kuruuuuh. Wupp-wupp!«
Während Ginger vorsichtig in der Höhle herumtastete, musste sie lachen. »Was ist denn mit dir los? Hast du Angst, dass ich deine Unordnung noch mehr durcheinanderbringe? Würde mich ja nicht wundern, wenn du da drinnen ein ganzes Diebeslager zusammengesammelt hast!«
Und schon hatte Ginger etwas ertastet.
War das eine Murmel? Und das andere eine Büroklammer?
»Du schnappst dir aber auch alles, was nicht festgenagelt ist.«
Aber wo steckte der Brief? Etwas Festes geriet ihr zwischen die Finger. Es hatte kleine Kanten und Fugen. Und es war ein wenig warm und pulsierte sanft in ihrer Hand. »Was ist das denn bitte?« Ginger ergriff das Fundstück und holte es langsam aus der Höhle.
Ein aufgeregter Zwusel huschte hinterher. »Klapapapalawapp!« Nun zappelte er so, dass seine Zipfelmütze verrutschte.
»Jetzt siehst du mal, wie es ist, bestohlen zu werden«, stieß Ginger triumphierend hervor. »Du kriegst deinen blöden Stein wieder, wenn du mir den Brief zurückgibst!«
»Kraaaaakala!«, erwiderte der Zwusel. Auf einmal war Angst in seiner Stimme. Gleichzeitig bemerkte Ginger, dass der sonst schwarze Stein rotorange glühte. Hastig warf sie ihn von sich. Wo er landete, begann es zu knistern. Kurz darauf rauchte es.
»Feuer! Feuer!«
Ginger trampelte mit den Füßen auf die leuchtenden Glutnester, die sich auf dem moosigen Boden verteilt hatten.
»Krapplawappladiwapp!«, schrie der Zwusel aufgebracht und stürmte auf Ginger zu. In der Hand hatte er den Brief, mit dem er wie verrückt herumwedelte, woraufhin erneut eine kleine Flamme aufloderte.
»Du gibst dem Feuer noch Zunder, wenn du hier so einen Wind machst!«
Schnell schnappte sich Ginger das Papier, steckte es ein und seufzte erleichtert auf. Nicht nur, weil das Feuer gelöscht war, bevor es hatte loslodern können. Sondern auch, weil sie ihre geheimen Zeilen endlich wiederhatte.
Ginger ließ sich in die Hocke nieder und streckte ihre Hand, die inzwischen wieder ihre normale Hautfarbe hatte, nach dem Stein aus. Etwas heiß war er noch, aber nur so sehr, dass sie es wagen konnte, ihn in die Hand zu nehmen.
Längst hatte sie gemerkt, dass es nicht irgendein Stein war. Ginger biss sich fest auf die Lippen. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen traten.
»Pi … Wo hast du den her?«
»Klawapp!«, erwiderte der Zwusel. Dabei machte er ein etwas ratloses Gesicht.
»Gefunden? Wirklich? Einfach so?«
Der Zwusel nickte und zeigte in die Ferne.
»Weißt du, als ich ihn zuletzt gesehen hatte, hatte meine Mama ihn noch bei sich. Sie trug ihn immer in ihrer Tasche. Ich habe sie nie ohne gesehen.«
Ein Flügelflattern erklang und ein leises Summen.
Ein kleines, plüschiges buntes Wesen, das ein wenig aussah wie die Mischung aus einem Falter, einem Kuscheltier und einer Fledermaus, flatterte zwischen den Ästen hindurch auf sie zu. Es war ein Flatterling. Fido Flatterling genauer gesagt. Er drehte einen Looping über Gingers Kopf.
»Ja natürlich. Fräulein von Blum wundert sich schon, wo wir bleiben. Wir kommen, Fido.«
Ginger umfasste den Stein fest mit den Fingern und konnte nicht verhindern, dass ihr eine Träne die Wange herunterlief.
in dem Ginger und Alva sich auf eine Reise mit einem besonders feurigen Gefährt begeben
»Ich vermute, deine Mutter wollte den Stein durch einen Springer in Sicherheit bringen lassen. Aber irgendetwas ist unterwegs schiefgelaufen.«
Fräulein von Blum war gerade dabei, Gingers Hand mit Liebsalmkraut einzureiben. Durch den Kontakt mit dem heißen Stein war sie etwas gerötet und die kühle Salbe kribbelte angenehm.
»Vielleicht stecken die Nebelkrähen wieder dahinter … Vielleicht haben sie den Springer erwischt und der Stein ist heruntergefallen?«, überlegte Ginger.
Alva quiekte entsetzt auf. »Wie bitte? Wie schrecklich ist das denn bitte schön?«
Erneut berührte Ginger den Stein, den sie seit der Entdeckung in ihrer Hosentasche bei sich trug, genau so, wie ihre Mutter es immer getan hatte.
»Mama wollte mir nie erzählen, was es mit ihm auf sich hat. Sie sagte immer nur, er wäre das Geschenk einer guten Freundin. Ich wette, es ist eine Spur. Die Hitze, die er verströmt … vielleicht will er uns den richtigen Weg weisen!«
»Indem er hier fast die Bude abfackelt?« Alva zog eine Augenbraue nach oben.
»Und wenn das eine Falle ist? Wenn die Beigen es so eingefädelt haben, dass du der Spur des Steins folgst?«, fragte Fräulein von Blum. Ginger zögerte mit ihrer Antwort nicht eine Sekunde.
»Dann müssen wir es besser als die Beigen machen und sie mit ihrer eigenen Falle schnappen!«
Sofort schwirrte Fido aufgeregt um ihre Köpfe herum.
»Langsam, langsam, meine Lieben. Zuerst solltet ihr in die Bibliothek der Magischen Pflanzen reisen«, beschwichtigte das Fräulein. »Bestimmt weiß das Netzwerk mehr als wir. Kaum ein Geheimnis bleibt dem Rat der Vier verborgen.«
Ginger war der gleichen Meinung. Sie dachte daran, wie sie damals genau hier gesessen und zum ersten Mal vom Rat der Vier, den magischen Vertretern der vier Elemente, gehört hatte. So viel war in der Zwischenzeit passiert. Aber immer noch gab es tausend Fragezeichen.
»Kommst du diesmal wieder mit, Kleiner?«, fragte sie Fido. Schließlich hatte der plüschige Flatterling sie und ihre Eltern früher auf allen Reisen, quer durch sämtliche magische Gärten dieser Welt, begleitet. Bis zu dem Abenteuer, bei dem ihre Eltern verschwunden waren. Seitdem verzog sich das Tierchen lieber in die blühende, summende und duftende Geborgenheit von Fräulein von Blums Garten.
Fido winselte und legte die Ohren an.
Das Fräulein stellte sich auf Zehenspitzen, fischte den flauschigen Falter mit einer sanften Bewegung aus der Luft und hauchte ihm einen Kuss zwischen die weichen Flatterlingsohren. Sie sahen ein wenig aus wie Fledermausohren.
»Selbstverständlich darfst du hierbleiben. Und mach dir nicht zu viele Sorgen. Unsere Ginger hat schließlich bewiesen, dass die Welt bei ihr in guten Händen ist.«
Ginger merkte genau, dass Fräulein von Blum mit ihren Worten versuchte, ihre eigenen Sorgen kleiner zu machen.
Sie trat neben die zierliche Frau in dem geblümten, bodenlangen Kleid, schmiegte sich an ihre Seite und strich sanft über Fidos Fell.
»Es sind ja nicht nur meine Hände. Es sind viele, viele Flüstererhände.«
»Und zwei absolut erstklassige Pfoten! Die können nämlich nicht nur prima Haselnüsse festhalten«, krähte Alva von einem Ast herunter. Dann rieb sie sich mit einer dieser erstklassigen Pfoten den Bauch. »Wo wir gerade von Nüssen reden … wann gibt’s denn Abendessen?«
Ginger lachte laut auf. Bei aller Angst und Sorge konnte sie sich nicht verkneifen, dass da endlich wieder ein riesiger Funken Hoffnung in ihr loderte. Zum ersten Mal hatte sie eine Spur, die sie zu ihren Eltern führen konnte!
Ginger, Alva und das Fräulein saßen in der von magischen Pflanzen wild überwucherten Essecke.
Pi, der Zwusel, machte wie so oft ein Verdauungsschläfchen auf der Stuhllehne. Kopfüber. Nach der Aufregung von vorhin schnarchte er besonders tief und fest. Fido hatte sich inzwischen beruhigt. Trotzdem wollte er Gingers Halsbeuge, in die er sich eng gekuschelt hatte, nicht mehr verlassen. Kein Wunder, schließlich stand mal wieder ein Abschied an.
»Wie kommen wir denn diesmal zur Bibliothek?«, fragte Ginger. »Ich weiß schon, dass sie einen immer erst zu sich rufen muss. Doch wie klappt das?«
Fräulein von Blum zupfte ihren langen geblümten Rock über ihren Beinen zurecht. »Die Bibliothek weiß einfach, wenn sie gebraucht wird. Dann holt sie dich zu sich oder schickt einen Boten. Es ist eine Art stumme, magische Flüsterpost. So, wie sich Bäume unterirdisch miteinander unterhalten. Oder wie damals in der Steinzeit, als Menschen, obwohl sie weit voneinander entfernt waren, miteinander kommunizieren konnten. Es war auch ein wenig Magie, aber es war echt.« Alva sprang mit einem Satz auf einen Baum, griff den Ast, auf dem sie saß, mit beiden Händen und machte kopfüber einen Pfotenstand. »Dann hoffen wir mal, dass die Flüsterpost nicht zu lange dauert. Mir juckt die Abenteuerlaune nämlich wie verrückt unter dem Fell!«
»Hoffentlich sind es nicht doch Läuse«, sagte Ginger grinsend.
Und dann ging alles viel schneller als gedacht. Schon wenig später erklang an einem der Fenster ein schweres Klopfen.
»Wenn das nicht unser Abholservice ist!« Alva flitzte zum Fenster und zog mit ihren kleinen Pfoten den Griff nach oben. »Die Bibliothek ist eindeutig der Meinung, dass wir ihr einen dringenden Besuch abstatten sollen.«
Das Fenster schwang auf und rötlicher Rauch zog ins Innere. Dahinter blähten sich zwei beinahe melonengroße Nasenlöcher.
»Guten Tag, mein kleines Drachen-Dickerchen. Ganz zufällig in der Nähe gewesen, was?«, wandte sich Alva an ebendiese und natürlich auch an den ganzen Rest des Feuerdrachens. Dann verbeugte sie sich in Richtung Ginger. »Lady, darf ich bitten? Ihr Drachentaxi wartet!«
Wie beim letzten Mal, als Hieronymus Luftikus Alva und Ginger abgeholt hatte, führte ihr Weg sie zunächst hinaus aufs Dach des Hauses. Anders als damals war es heute dunkel. Der Mond hangelte sich hinter den Dächern der Stadt nach oben. Vor seiner blau schimmernden Kulisse leuchtete ein drachenförmiger Schatten. Wobei Draku, der treue Begleiter von Eritrude Salamander, auch ohne die Beleuchtung eine ausreichend imposante Erscheinung abgegeben hätte. Eritrude Salamander war die Vertreterin des Feuers – und damit ein bedeutender Teil des Rats der Vier. Heute allerdings war ihr Drachen ausnahmsweise alleine gekommen. Er thronte auf dem Dachfirst und peitschte, so, wie Alva es gerne tat, seinen Schwanz hin und her. Zum Glück nur ganz sachte. Sonst hätte er vermutlich so einige Ziegeln heruntergefegt. Dabei gab er ein tiefes Grollen von sich, das in Gingers Bauch wie Donner vibrierte.
»Wir freuen uns auch, dich zu sehen, Draku.« Fräulein von Blum trat an den Drachen heran und strich ihm über die schuppige Haut. »Auch wenn es bedeutet, dass du unsere beiden lieben Freundinnen hier entführst.«
Fido winselte leise. Er wollte Gingers Schulter mit seinen Füßchen gar nicht mehr loslassen. Fräulein von Blum war ebenso anzusehen, wie schwer ihr der Abschied fiel.
»Wir haben die letzte Reise gemeistert und wir schaffen es auch diesmal«, versprach Ginger.
Kaum hatte sie das gesagt, pulsierte der Stein in ihrer Hosentasche. So, als hätte er ein Herz, das im Takt ihrer Worte pochte. Sie nahm ihren Rucksack und hob ihn sich auf den Rücken.
»Können wir?«
Alva kletterte auf den rot geschuppten Rücken des Feuerdrachens.
»Schwing dich rüber, Kollegin!«
Ginger kraulte Fido das Fell und setzte ihn sanft auf Fräulein von Blums Schulter ab. Dann drückte sie das Fräulein fest an sich.
»Bis bald«, flüsterte diese mit brüchiger Stimme in Gingers Ohr. »Das ist ein Befehl!«
»Klawapp!«, erklang es und eine Sekunde später zwickte sie etwas am anderen Ohr. Pi hatte sich heimlich aufs Dach geschlichen.
»Wenn du nicht gewesen wärst, würde ich jetzt immer noch gemütlich Urlaub da unten machen«, sagte Ginger und nahm den Zwusel vorsichtig in ihre Hand.
Der lachte keckernd. Aber Ginger wusste, er tat nur so, als wäre das ganze Leben nichts als ein großer Scherz.
»Danke für den Stein.« Pi nickte ihr mit einem, zumindest für Zwusel-Verhältnisse, ziemlich ernsten Blick zu.
»Pawlapp!« Er zog so fest an den Seiten seiner Zipfelmütze, dass sie ihm über die Augen rutschte.
Trotz allem musste Ginger laut lachen. »Ja. Bis bald, du Quatschkopf. Bis bald ihr alle!« Sie setzte den Zwusel sachte auf den Boden.
Dann kletterte auch sie auf Drakus Rücken.
»Hm, du bist bequemer, als du aussiehst!«
Ein weiteres Grollen war die Antwort.
Noch einmal peitschte der Feuerdrache mit seinem Schwanz, schließlich hob er in Richtung Sternenhimmel ab. Ginger und Alva winkten und winkten, bis das Fräulein, Fido und Pi von der Dunkelheit verschluckt waren.
Wie hatte Hieronymus Luftikus, der Vertreter des Elements der Luft, damals in seinem zauberhaften Ballon verkündet, als Gingers Abenteuer begonnen hatte und sie mit ihm gemeinsam dem Rätsel ihrer Vergangenheit auf die Spur kommen wollte? Auf dem Weg zur Bibliothek der Magischen Pflanzen verhalten sich Ort und Zeit etwas anders, als man es üblicherweise gewohnt ist.
Schon kurz darauf stellte Ginger fest, dass das auf dem Rücken eines Feuerdrachen nicht anders war. Die nachtschwarze, sternenblitzende, mondscheinschimmernde Welt rauschte unter Drakus Bauch vorbei.
Ein funkelndes Meer blitzte auf. Bald schon wurde es durch ein riesiges, kantiges Gebirge abgelöst. Sie überflogen blätterwogende, dicht bewachsene Inseln und streiften über kahle Wüstenstreifen hinweg.
Dabei befanden sie sich über der Erde, das schon. Doch Ginger konnte kein einziges Land zuordnen. Es war, als wäre alles beliebig durcheinandergewürfelt worden. Sie genoss die Aussicht, so gut es ging. Noch von der Fahrt in Hieronymus’ Ballon wusste sie, dass sie ohnehin nichts anderes tun konnte, bis der Moment kam, in dem die Bibliothek sie zu sich rufen würde. Bei ihrem letzten luftigen Ausflug jedoch waren sie unterwegs von einem Schwarm Nebelkrähen angegriffen worden, woraufhin sich die Ankunft ziemlich verzögert hatte.