Globale Politik und Menschenrechte - Regina Kreide - E-Book

Globale Politik und Menschenrechte E-Book

Regina Kreide

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Beschreibung

Sind Menschenrechte, 60 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ein wirkungsvolles politisches Instrument? Diese Frage wird an zwei globalen Problemen untersucht: der Weltarmut und der Akzeptanz politischer Menschenrechte. Inwieweit ist Armut eine Menschenrechtsverletzung? Und gibt es einen globalen Anspruch auf Demokratie? Regina Kreide benennt die Möglichkeiten und Grenzen der Begründung und Umsetzung sozialer und politischer Menschenrechte. Ausgehend von ihren Ergebnissen, spricht sich Regina Kreide für ein Menschenrecht auf Demokratie aus, das auch in einer Welt pluraler Rechtsordnungen wirksam sein kann.

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LESEPROBE

Kreide, Regina

Globale Politik und Menschenrechte

Macht und Ohnmacht eines politischen Instruments

LESEPROBE

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2008. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40181-2

|5|Für René, Anna und meine Familie

|9|Danksagung

Ein Buch hat viele Autoren, wenn auch nur der, dessen Name den Umschlag ziert, die Verantwortung für den Inhalt zu tragen hat. Der Entstehungsprozess des vorliegenden Bandes, der noch in einigen wenigen Teilen auf meiner Dissertation mit dem Titel »Staatsbürgerschaft und Menschenrechte« fußt, lebte von den Anregungen aus Gesprächen mit Kollegen und Freunden.

Unersetzlich war, Teile der Arbeit in verschiedenen Kolloquien und Arbeitskreisen regelmäßig diskutieren zu können: Ursula Apitzsch, Hauke Brunkhorst, Klaus Günther, Günter Frankenberg, Rainer Forst, Axel Honneth, Ingeborg Maus, Rainer Schmalz-Bruns, Thomas Pogge, Gunther Teubner und alle anderen Kolloquiumsmitglieder haben die Arbeit durch ihre kritischen Nachfragen und konstruktiven Vorschläge enorm bereichert. Axel Honneth danke ich zudem für seine kontinuierliche Unterstützung und Ursula Apitzsch darüber hinaus dafür, dass sie mir die nötigen Freiräume im universitären Alltagsgeschäft gelassen hat. Während meines durch den DAAD großzügig geförderten Aufenthaltes als Visiting Scholar an der Columbia University profitierte ich sehr von den Diskussionen mit Thomas Pogge: Seine Kommentare, seine Ermutigungen und seine Bemühungen auch um die materiellen Belange meines Aufenthaltes – unter anderem in Form einer bezahlbaren Wohnung – waren von unschätzbarer Bedeutung für meine Arbeit.

Für schriftliche Kommentare, Anmerkungen und hilfreiche Hinweise über die Jahre hinweg bin ich Amy Baehr, Christian Barry, Hauke Brunkhorst, Francisco Cortes Rodas, Rainer Forst, René Gabriëls, Cristina Lafont, Peter Niesen, Thomas Pogge, Anna Riek, immer wieder Thomas Schramme und Peer Zumbansen zutiefst dankbar, Rainer Nickel überdies für Anrufe im richtigen Moment und Felmon Davis für Witze über what’s not funny.

|10|Unschätzbar wichtige Impulse im Gespräch, emotionale und logistische Unterstützung erhielt ich – einige der bereits Genannten sind hier eingeschlossen – von Bettina Engels, Hilal Sezgin, Lena Inowlocki, Thomas Assheuer, Michael Adrian, Diane Bolger, Michael Anderheiden, Barbara Bleisch, Jean Daniel Strub, Peter Schaber, Gesa Lindemann, Carolin Emcke, Ana Garcia, Stefan Gosepath, Stefan Huster, Jeanette Ehrmann, Simon Caney sowie von Tessa Debus, Michael Krennerich und Anja Mihr – meinen Mitherausgebern der Zeitschrift für Menschenrechte/Journal for Human Rights. Ihnen allen sei ganz herzlich gedankt.

Dem Campus-Verlag und vor allem Petra Zimlich danke ich für die freundliche und kompetente Betreuung, Wilhelm Nolte und Kai Beuerbach für wertvolle Hinweise bei der Durchsicht des Manuskripts.

Ohne die humorvolle Unterstützung meiner Familie wäre diese Arbeit ebenso wenig entstanden wie ohne die unbedingte Liebe und Freundschaft von René Gabriëls und Anna Riek. Ihnen ist das Buch gewidmet.

Frankfurt am Main, im Juni 2007.

|11|Menschenrechte in der Diskussion

Noch zu Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als der US-amerikanische Präsident George Bush den Kalten Krieg für beendet erklärte, glaubten viele, unter den Auspizien der Vereinten Nationen könnten – sich eine neue Weltordnung und ein Regime der Menschenrechts- und Friedenssicherung auf Dauer etablieren. Militärische Einsätze zur »Lösung« außen- und innenpolitischer Auseinandersetzungen ohne Zustimmung und Kontrolle durch die Vereinten Nationen schienen auf dem besten Wege, in den Archiven anachronistischer internationaler Konfliktbewältigung zu landen. Auch die beiden internationalen Kriegsverbrecher-Tribunale in Den Haag und Arusha, die im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda begangene Verbrechen ans gerichtliche Licht bringen sollten, bestärkten die Hoffnung, dass die Menschenrechte nicht mehr nur moralisch brüllende, ansonsten aber krallenlose Papiertiger sind. Zusammen mit der unübersehbaren weltweiten Zunahme demokratischer Regierungssysteme schienen dies deutliche Indizien dafür zu sein, dass die Missachtung der Menschenrechte sich nicht nur in Empörung entlädt, sondern weltweit zu einem Straftatbestand wird, der gerichtlich verfolgt und verurteilt werden kann. Doch die Verheißungen einer effektiven und demokratisch legitimierten Menschenrechtspolitik sind inzwischen, kurz vor dem 60-jährigen Bestehen der Universellen Deklaration der Menschenrechte im Jahre 2008, erheblich verblasst. Hierfür gibt es wenigstens drei Gründe.

Erstens wurde die Legitimation einer Menschenrechtspolitik, die auf verbindlichen Standards beruht, mehr als einmal diskreditiert. Ein prominentes Beispiel dafür ist eine Weltinnenpolitik, die entgegen allen Vereinbarungen, oft gerade in entscheidenden Fällen, ohne Rückbindung an die Vereinten Nationen betrieben wurde. Als die USA und Großbritannien am 16. Dezember 1998 im Alleingang den dritten Golfkrieg begannen, genau zu der Zeit, als der Sicherheitsrat noch über die Interventionsfrage tagte, wurde der erstaunten Weltöffentlichkeit in frappierender Deutlichkeit die |12|Entmachtung der Vereinten Nationen durch die eigentliche Supermacht vorgeführt. Bereits dieser amerikanisch-britische Regelverstoß hatte das Ansehen und die Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen als Garant eines Frieden schaffenden Regimes nachhaltig beschädigt. Der wenige Monate später initiierte Kosovo-Einsatz geschah ebenfalls ohne UN-Mandat. Allerdings vertraten diesmal nicht allein die USA die Ansicht, dass die Notlage der Kosovaren, die Erfolgsaussichten des Einsatzes sowie fehlende Alternativen dazu berechtigten, von einer völkerrechtlich legitimierten Nothilfe auszugehen. Auch neunzehn andere NATO-Staaten stimmten dem Einsatz zu. Unverkennbar aber blieb, dass sich in den Öffentlichkeiten der beteiligten (und auch der nicht-beteiligten) Staaten erheblicher Widerstand gegen einen moralisch begründeten Vorgriff auf eine zwangsbewehrte Menschenrechtspolitik regte. Noch schiebt die gegenwärtige Rechtslage der Ahndung von Menschenrechtsverletzungen ohne Einwilligung der Staaten einen Riegel vor. Und nicht wenige kritische Stimmen fordern, dass sich daran so schnell auch nichts ändern möge.

In der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit wurden danach neben der Meinung von Pazifisten, die sich für ein unbedingtes Gewaltverbot aussprachen, auch Bedenken laut, die sich grundsätzlich gegen eine internationale Politik auf Basis der Menschenrechte richteten. Man fürchtete eine moralistische Überfrachtung der Politik ebenso wie die Überstrapazierung des Völkerrechts, das schließlich immer noch rechtlicher und nicht moralischer Natur sei.1 Der Partikularisierung der Menschenrechte würde man zudem, so argwöhnische Töne, gerade Vorschub leisten, wenn der Westen, und mit ihm politisch und ökonomisch starke Staaten, nicht den Eindruck vermieden, Menschenrechte für andere Zwecke zu instrumentalisieren.2

|13|Für die Rechtfertigung des Irak-Krieges 2003 wurden schließlich eine enge Auslegung des Gewaltverbots auf der einen Seite und ein weit gefasster Begriff der Bedrohung des Weltfriedens bemüht – eine Einschätzung, die von den allerwenigsten Völkerrechtler/innen, Philosoph/innen und Politikwissenschaftler/innen geteilt wird. Guantanamo Bay, Abu Graib und nicht zuletzt der Fall Al-Masri haben unter den Bürger/innen der Welt das Vertrauen in die politische Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Regierung erschüttert und damit in Rechtsstaatlichkeit und deren demokratische Kontrolle. Der Verrechtlichung internationaler Beziehungen scheint die drohende Entrechtlichung als ständige Begleiterin zur Seite gestellt zu sein. Rechtsstaatlichkeit wird zu einer Angelegenheit, die gegebenen politischen Konstellationen anheim gestellt werden kann. Man kann von einer Dialektik der Verrechtlichung sprechen, die ihr Gegenteil, die Entrechtlichung hervorbringt. Diese liegt in der Verkehrung des Völkerrechts als politisches Machtinstrument, das die beteiligten Akteure nicht an ihre Entscheidungen bindet.

Das führt uns zum zweiten Grund, eine allgemeine Ernüchterung in der globalen Menschenrechtspolitik zu konstatieren. Wir sind mit dem auf den ersten Blick paradoxen Phänomen konfrontiert, dass zwar immer mehr Staaten Menschenrechtsabkommen ratifizieren, aber die Menschenrechtspraxis sich dennoch nicht verbessert, sondern in vielen Fällen sogar verschlechtert.3 Wenn es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Ratifikation und Menschenrechtslage gibt, so liegt er jüngsten Studien zufolge darin, dass sich mit der Ratifikation zwar Zugewinne im internationalen Ansehen erwirken lassen, die Missachtung von Verpflichtungen, wie etwa die Pflicht, in periodischen Staatenberichten an den Menschenrechtsausschuss über die nationale Menschenrechtslage und eventuelle Fortschritte bei der Umsetzung von Menschenrechten zu berichten, kaum merklich oder nicht nachteilig zu Buche schlägt. Der Ratifikationsakt allein sagt wenig über die ihm folgende faktische Ausgestaltung und Geltung der Menschenrechte in einem Land. Schweden hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und Freiheitsrechte nie in das innerstaatliche Recht integriert, während er in Ruanda bereits während des Völkermords verbindlichen Charakter besaß. Das ›Gutheißen‹ von Menschenrechtsabkommen lässt somit nur auf den ersten Blick den Schluss zu, der Universalitätsanspruch |14|der Menschenrechte sei weitestgehend eingelöst; ein zweiter Blick entlarvt, dass die Ratifizierung nicht mit der tatsächlichen Achtung oder Förderung der Menschenrechte auf inner- und transnationaler Ebene korrespondiert. Es mangelt an einer glaubwürdigen Umsetzung der Menschenrechte hinter einer Fassade der Verrechtlichung. Zum einen bestehen noch erhebliche Mängel bei der wirkungsvollen und zugleich legitimierbaren Erzwingung der Menschenrechte, die nur dann behoben werden können, wenn die Kosten für die Nichtbefolgung empfindlich steigen würden. Zum anderen kann dies als Indiz interpretiert werden, dass Menschenrechte weltweit überhaupt als politisches Instrument überzeugen können.

Der Optimismus über eine menschenrechtliche Ausrichtung weltpolitischer Entscheidungen wird noch aus einem dritten, an den vorherigen Grund anschließenden, erschüttert. Den internationalen Menschenrechtsregimen aus Verträgen und völkerrechtlich bindenden Konventionen ist eine Art ›Gegen-Menschenrechtsbewegung‹ afrikanischer, asiatischer und islamisch geprägter Staaten erwachsen, die jüngeren Menschenrechtsabkommen unübersehbar ihren partikularistischen Stempel aufgedrückt haben. Zur ›Gegenbewegung‹ allerdings werden diese Entwicklungen erst, wenn ihnen eine moralische und auch anthropologische Legitimation unterliegt, die mit der gegenwärtig vorherrschenden Vorstellung kaum oder zumindest nicht in jedem Fall zu vereinbaren ist. Im Schlussdokument der Zweiten Weltkonferenz für Menschenrechte in Wien im Jahre 1993 findet sich in Teil I, Absatz 5 die Aussage, dass »alle Menschenrechte allgemeingültig (sind) und unteilbar, dass sie einander (bedingen) und miteinander verknüpft (sind). Die Völkergemeinschaft muss die Menschenrechte weltweit in gerechter und gleicher Weise, auf derselben Grundlage und mit demselben Nachdruck behandeln.« Der sich anschließende Satz, dass auch »die Bedeutung nationaler und regionaler Besonderheiten und unterschiedlicher historischer, kultureller und religiöser Voraussetzungen im Auge zu behalten«4 ist, diente wider Erwarten in den folgenden Jahren einigen Staaten als willkommene Rechtfertigung dafür, der Interpretation der Menschenrechte eine partikularistische Prägung zu geben. Nur ein Vierteljahr nach der Wiener Konferenz, im September 1993, verabschiedete die 14. Tagung der ASEAN-Inter-Parliamentary Organization (AIPO) eine Menschenrechtserklärung, in der die Gemeinschaft über das Individuum und |15|Pflichten über die Rechte des Einzelnen gestellt werden.5 Verschiedene Entwürfe für eine Islamische Menschenrechtserklärung, so beispielsweise die der Außenminister der Islamischen Konferenzorganisationen in Kairo (1990) und die des Europäischen Islamrates in Paris (1981),6 lehnen zum Teil ebenfalls die im UN-System vorherrschende Menschenrechtsinterpretation ab, zum einen wegen der darin unterstellten Trennung von Staat und Kirche, zum anderen aber auch wegen der geforderten Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die 1981 entstandene so genannte ›Banjul-Charta‹ oder ›Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker‹ weist in eine ähnliche Richtung.7

Regionale Menschenrechtsabkommen können durchaus als Meilenstein auf dem Weg hin zu einer Kosmopolitisierung des Rechts angesehen werden.8 Neuere Einschätzungen unterstreichen jedoch eher die Annahme, dass sie zu einer Pluralisierung des internationalen Rechts beitragen, durch die verbindliche Maßstäbe für alle internationalen Akteure verloren gehen. Innerhalb der UN-Gremien wird beispielsweise vermehrt von arabischen Ländern, aber auch von Pakistan und Kuba die Universalität der Menschenrechte offen in Frage gestellt, was bislang wegen des öffentlichen Drucks nicht auf diese Weise vorkam.9 Das geschieht auch, indem von Seiten Südafrikas, Indiens, Algeriens, Chinas, Costa Ricas, Malaysias und Kubas gegenüber jedem bislang entwickelten Instrument der länderspezifischen Untersuchungen der Menschenrechtssituation mit der Begründung Beschwerde eingelegt wurde, diese Mechanismen seien eine unzulässige »Politisierung der Kommission« und führten nur zu deren unaufhaltsamer »Nord-Süd-Spaltung«.10

Die Vorstellung einer globalen Rechtsordnung, in der die staatliche Souveränität durch verschiedene Globalisierungsprozesse an Bedeutung verliert, die sich aber in Richtung eines kosmopolitischen Rechtszustandes |16|bewegt, hat deutlich Risse bekommen. Die post-westfälische Weltordnung scheint nicht einer international gerechten Weltordnung auf Basis der Menschenrechte zu weichen, sondern einer transnationalen, hypokriten Machtpolitik, Regierungsnetzwerken, die die Einhaltung der Menschenrechte vortäuschen, und einer Pluralität von transnationalen Verfassungen und Rechtsregimen, die das Menschenrechtsregime zu einem Rechtssystem unter vielen werden lassen.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist es mehr denn je notwendig, im internationalen Menschenrechtsdiskurs die Einwände der Kritiker, Skeptiker und Verächter universeller Menschenrechte ernst zu nehmen und sie mit den Argumenten der Befürworter zu konfrontieren. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die im internationalen politischen und politiktheoretischen Diskurs vorgebrachten Argumente zu rekonstruieren und einen Vorschlag für die Bedingungen einer kontextsensiblen Begründung und Juridifizierung der Menschenrechte aufzuzeigen, in deren Verlauf weder Einwände von Gegner/innen einer universalistischen Menschenrechtsauffassung übergangen noch Ansprüche auf allgemeingültige, für alle Menschen gleichermaßen geltende Menschenrechte aufgegeben werden.11

Dies führt uns zum Kern der hier vorgelegten Untersuchung, zur Frage nach der Legitimation der Menschenrechte in einer Welt, die sich durch eine hegemoniale Menschenrechtspolitik, durch Prozesse transnationaler Ver- und Entrechtlichung internationaler Beziehungen und einer Pluralität sich widerstreitender Werte auszeichnet – um hier noch einmal auf die drei skizzierten Entwicklungen zurückzukommen.

Wie können Menschenrechte in einer pluralen Weltgesellschaft begründet werden? Worauf beruft man sich dabei? Und bedarf es überhaupt der Begründung der Menschenrechte? Und besteht eine Notwendigkeit zu |17|ihrer Juridifizierung im Sinne einer gerichtsbarkeitlichen Durchsetzung und Erzwingung, und wenn ja, unter welchen Bedingungen könnte dies geschehen? Von der Antwort auf diese Fragen wird entscheidend abhängen, welche Funktion Menschenrechte in den internationalen Beziehungen spielen bzw. spielen sollten.

Wie umstritten allerdings schon allein die Begründung moralischer Menschenrechte ist, zeigt eine erste grobe Einteilung verschiedener Ansätze.12 Einige richten sich gegen Menschenrechte überhaupt. So machen ›Menschenrechtsgegner‹ geltend, Menschenrechte seien zu abstrakt,13 geschichts- und kulturlos und daher leer.14 Außerdem könnten sie durch ihre formalistische Gestalt schnell zum Herrschaftsinstrument der Mächtigen mutieren.15 In ihrer radikalsten Form der Kritik wird behauptet, die Kategorie der Rechte selbst wird als bloße Rhetorik entlarvt.16

›Absolute‹ Universalisten versuchen, Menschenrechte entweder auf der Basis naturrechtlicher Vorstellungen mit Verweis auf den »absoluten Wert« aller Personen17 zu begründen oder mit Bezug auf die von Gott gegebene Würde des Menschen.18 ›Anthropologische‹ Ansätze hingegen teilen die Annahme, dass sich transkulturelle, basale menschliche Interessen, Bedürfnisse oder Fähigkeiten beschreiben lassen, die eine Grundlage für entsprechende rechtliche Ansprüche darstellen können. In diesem Zusammenhang lassen sich wenigstens drei Positionen unterscheiden. So wird zum einen versucht, von »natürlichen« menschlichen Interessen auszugehen, und, in Fortführung Hobbes’scher Überlegungen, daraus eine absolute Klugheitsregel abzuleiten, mit deren Hilfe Rechte begründet werden können.19 Ein zweiter Ansatz zielt darauf ab, minimale grundlegende menschliche Bedürfnisse zu formulieren, die Grundlage von Ansprüchen werden.20 Eine dritte Position hingegen kritisiert die Vorstellung, von substanziellen |18|Grundbedürfnissen und Fähigkeiten auszugehen, und unterbreitet einen Vorschlag, der sich auf formale menschliche Fähigkeiten stützt.21

›Relative Universalisten‹ wiederum beanspruchen in ihrer Begründung der Menschenrechte durchaus universelle Geltung, begründen Menschenrechte jedoch relativ zu einem bestimmten Moralkonzept oder mit Bezug auf ein Konzept diskursiver Rationalität, das in Kombination mit dem Begriff der Volkssouveränität Anwendung findet. Während erstere davon ausgehen, dass es ausreicht, Menschenrechte und den institutionellen Zwang zu ihrer Durchsetzung auf der Basis einer Moraltheorie zu begründen,22 schlagen letztere vor, zur Begründung von Menschenrechten (zumindest in erster Linie) auf Rationalitätsprinzipien zu setzen, die sie in der menschlichen Sprache angelegt sehen. Dieser Auffassung nach komme man nicht umhin, rational zu sein, wenn man unter vernünftigen Bedingungen argumentiere.23 Aus den Rationalitätsprinzipien könne in wechselseitiger Bedingtheit mit dem Prinzip der Volkssouveränität ein vernünftiges Verfahren abgeleitet werden, das wiederum Grundlage des demokratischen Prozesses zur Generierung von Rechten sein könne.

›Partikularisten‹ schließlich lehnen eine kulturübergreifende Begründung nach Maßstab abendländischer Rationalitätskriterien ab und betonen die Fallibilität von Ansprüchen auf Wahrheit und Richtigkeit von Normen überhaupt. Menschenrechte, so deren Auffassung, lassen sich nicht universell durch eine allen Menschen gemeinsame Rationalität, Moral oder durch Bezug auf geteilte Interessen begründen, da diese selbst kulturellen und religiösen Besonderheiten und Variationen unterliegen.24

Wer in der vorliegenden Studie eine der obigen Reihenfolge der Ansätze nach geführte Diskussion erwartet, wird enttäuscht werden. Einige dieser Theorien werden zwar diskutiert, allerdings erst dann ins Spiel gebracht, wenn sie für die Klärung der im Folgenden näher erläuterten Fragen |19|bedeutsam sind. Daher werden einige Ansätze mehr im Vordergrund bleiben, während andere nur am Rande erwähnt werden.

Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung werden nicht in erster Linie die wenig umstrittenen Freiheitsrechte (beispielsweise das Verbot der Folter), sondern zum einen die sozialen und ökonomischen Menschenrechte, zum anderen die politischen Menschenrechte sein. Beide führen im Vergleich zu den Freiheitsrechten im internationalen Menschenrechtsdiskurs immer noch ein Schattendasein.

So ist stets noch ungeklärt, welchen Stellenwert die einzelnen Rechte innerhalb des Menschenrechtssystems genau genießen. Ist es sinnvoll, von einer Hierarchisierung der Menschenrechte auszugehen, bei der so genannte Kernmenschenrechte auf Schutz von Freiheit, Leben, Eigentum eine zentrale und ökonomische, soziale sowie politische Menschenrechte eine nachgeordnete Rolle spielen? Im Einzelnen stellt sich die Frage, ob soziale Rechte überhaupt Menschenrechte sind. Das wurde und wird mit dem Hinweis bestritten, Ansprüchen auf angemessenes Wohnen, Subsistenz und Bildung korrespondierten positive Pflichten, die inhaltlich und hinsichtlich des Pflichtenträgers unbestimmt sind und daher nicht in eine Rechtsform überführt werden können. Zum anderen stellt sich die Frage, ob politische Rechte ein Menschenrecht auf Demokratie implizieren. Auch hier gibt es noch erheblichen Klärungsbedarf, da beispielsweise eingewandt wird, Demokratie besitze als Regierungsform nicht den universellen Gehalt, der die Menschenrechte auszeichnen sollte.

Im rechtswissenschaftlichen Diskurs ist es durchaus üblich, von einer Priorität der Freiheitsrechte gegenüber sozialen Teilhaberechten auszugehen, gelegentlich werden aber auch politische Rechte als ›nachgeordnete‹ Rechte aufgefasst.25 Auf der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 und auf dem zwei Jahre später stattfindenden Weltsozialgipfel erfuhren die sozialen und ökonomischen Rechte erstmals weithin geteilte Aufmerksamkeit, die sich im Anschluss an die Konferenzen auch daran zeigte, dass sich vermehrt NGOs mit diesem Thema befassten und sich UN-Sonderorganisationen wie das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen im Rahmen der weltweiten Armutsbekämpfung affirmativ auf soziale und |20|ökonomische Rechte bezogen.26 Die anhaltende weltweite Armut und der Umbau der Sozialstaatssysteme im Norden unter Bedingungen ökonomischer Globalisierung verleihen der Frage nach der Legitimität globaler sozialer und ökonomischer Rechte neuerlich besonderen Nachdruck.

Der Pakt für bürgerliche und politische Rechte ist zwar ebenso wie der Pakt für ökonomische und soziale Rechte 1966 in Kraft getreten, und die politischen Rechte auf Rede- und Pressefreiheit, Religions- und auf Versammlungsfreiheit und diskursive Partizipation fanden sich bereits in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika. Einen ausdrücklichen Rechtsanspruch auf Demokratie sucht man in den einschlägigen Pakten und Kommentaren jedoch vergeblich. Die UN-Menschenrechtsabkommen sind in der Ausbuchstabierung politischer Rechte zurückhaltend. Zwar finden sich Rechte auf politische Beteiligung in der Charta der Vereinten Nationen und im »Pakt über bürgerliche und politische Rechte«; in beiden Artikeln taucht der Begriff »Demokratie« jedoch nicht auf, auch wird nichts darüber gesagt, ob verschiedene Parteien zur Wahl stehen müssen – was zweifelsohne der Absicht geschuldet ist, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass auch nicht-demokratische Staaten dem Pakt zustimmen konnten.27 Manche Autor/innen interpretieren Kapitel XII der UN-Charta als Vorläufer eines Rechts auf Demokratie.28 Das bestand allerdings in einem zweischneidigen juridischen Recht, in die erstarkenden demokratischen Prozesse der damaligen Kolonien rechtsgültig ›intervenieren‹ zu können. Die Generalversammlung erlaubte zudem die Überwachung von Wahlen und Referenden in den Kolonialgebieten. Daraus entwickelten sich die regelmäßigen Wahlbeobachtungsaktivitäten der UN – maßgeblich in Namibia und anderen post-kolonialen Ländern wie Eritrea, Kambodscha und Mosambik, aber auch in Nicaragua und, breit diskutiert, in Haiti.29 Der Ursprung einer regelrechten ›Demokratieüberwachung‹ in der Kolonialzeit erklärt zumindest teilweise die immer noch bestehenden Vorbehalte gegenüber einer Demokratisierung von außen. Mittlerweile müssen wir zwischen zwei Ebenen der Legitimität politischer Menschenrechte unterscheiden: der innerstaatlichen, bei der die |21|Legitimität einer nationalen Regierung daran gemessen wird, ob sie auf demokratische Weise autorisiert wurde, und der transnationalen, bei der die Legitimität transnationaler Governance an der Verwirklichung politischer Menschenrechte ermittelt wird.

Die Hierarchie zwischen Freiheitsrechten auf der einen und sozialen und ökonomischen sowie politischen Rechten auf der anderen Seite schlägt sich nicht nur im rechtswissenschaftlichen Diskurs, sondern auch in der Begründung dieser Rechte nieder. Häufig werden sie als Mittel zur Ausübung von Freiheitsrechten angesehen und entsprechend funktional begründet. Der Vorrang der Freiheitsrechte bedeutet, dass der inhaltlichen Ausgestaltung nachrangiger Rechte und ihrem Status durch die freiheitsrechtlichen Ansprüche Grenzen gesetzt sind. Die Realisierung sozial-ökonomischer oder politischer Menschenrechte kann in der Rechtspraxis durchaus zur Beschränkung der Freiheitsrechte führen. Das ist dann der Fall, wenn die Verwirklichung sozialer Rechte mit einem klassischen Freiheitsrecht, dem Eigentumsrecht, kollidiert. Und auch die uneingeschränkte Gewährung des Rechts auf Redefreiheit kann gegen das (im Grundgesetz Deutschlands) verbürgte Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit verstoßen.30 Ich werde zeigen, dass sich globale soziale und ökonomische Rechte nicht auf eine funktionalistische Rechtfertigung zur Ausübung anderer Rechte reduzieren lassen. Vielmehr besitzen sie einen auf ›sozialer Autonomie‹ fußenden Eigenwert, der sich in Ansprüchen auf Institutionen ausdrückt, die die |22|Realisierung des ›guten Lebens‹ gewähren. Außerdem werde ich argumentieren, dass ein Menschenrecht auf Demokratie zwar der Gefahr ausgesetzt ist, den substanziellen Gehalt des anspruchsvollen Ideals der Demokratie auf internationaler Ebene zu verwässern. Ein moralisch begründetes Menschenrecht auf deliberative Demokratie bietet jedoch die institutionelle Grundlage für einen unabschließbaren, reiterierenden31 politischen Prozess der (Rechts-)Interpretation. Es hält den Menschenrechtsdiskurs ›offen‹ für neue Interpretationen, die für Exklusion und Verletzungen sensibel sind. Daher ergänzen sich soziale und politische Menschenrechte: Während erstere – in vernünftigem Ausmaß – ein gutes Leben ermöglichen, das zudem politische Partizipation einschließen kann, gestatten politische Rechte die Konkretisierung sozialer Menschenrechte im transnationalen und gesellschaftlichen Kontext.

Höchst umstritten ist, ob Menschenrechte der Juridifizierung bedürfen, oder ob sie als moralische Menschenrechte bereits hinreichend bestimmt sind. Sind Menschenrechte überhaupt auf die Rechtsform angewiesen, das heißt, müssen sie als völkerrechtlich verbindliches Abkommen oder in Form von Verfassungsrechten einer Rechtsgemeinschaft auftreten, um als Menschenrechte zu gelten? Muss man von einem ›Verrechtlichungspotenzial‹ der moralischen Menschenrechte ausgehen? Ein Menschenrecht auf Demokratie erlaubt, so werde ich argumentieren, eine Juridifizierung der Menschenrechte, bei der die Rechtsunterworfenen selbst am Rechtsetzungsprozess beteiligt werden und über die sich auf diese Weise das Prozedere der reiterierenden Interpretation verstetigt und ihr Performanz verleiht, ohne die Menschenrechte inhaltlich einzuschränken und eine vermeintlich richtige Interpretation für immer festzuschreiben.

In beiden Teilen dieses Buches, dem Teil zu den sozialen und ökonomischen wie dem zu den politischen Menschenrechten, spielen die mit den Menschenrechten verbundenen Pflichten eine wichtige Rolle. Wer ist wem gegenüber verpflichtet, unter welchen Umständen Menschenrechte zu respektieren? Wer im Beanspruchen von Menschenrechten zugleich Verpflichtungen besitzt, diese Ansprüche zu erfüllen, ist ein Problem, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht.32 Die Frage, ob wir eine Verpflichtung gegenüber ärmeren oder armen Menschen besitzen, werden die meisten unter uns mit »Ja« beantworten und erklären, dass sich eine |23|Verpflichtung zur Hilfe ergibt, weil es uns wesentlich besser als vielen Menschen in armen Ländern geht und wir daher die mit den sozialen Menschenrechten verbundenen Ansprüche durchaus erfüllen können. Philosophische Begründungsversuche für diese Art der positiven Verpflichtung, das heißt Verpflichtungen zur Hilfeleistung, die nicht allein die Unterlassung von Handlungen erfordern, sondern das Erbringen von Leistungen, sind gerade in der letzten Zeit wieder diskutiert worden. Aus konsequenzialistischer Perspektive ist der Versuch unternommen worden, Hilfeleistungen auf Basis positiver Verantwortung zu begründen. Demnach handeln wir moralisch gesehen falsch, wenn wir uns selbst nicht den etwa durch einen Spendenbetrag verursachten finanziellen Verlust aufbürden, der einigen Kindern das Leben retten würde, obwohl wir der Ansicht sind, dass es – in analogen Situationen – richtig ist, anderen durch diese Belastung einen Verlust aufzuzwingen, wenn dadurch ein größerer Verlust insgesamt vermieden werden kann.33 Und häufig wird eine positive Verpflichtung zur Unterstützung als Kehrseite sozialer Menschenrechte gesehen, die auf Basis eines um den Aspekt des menschlichen Gedeihens erweiterten Freiheitsbegriffs begründet werden.34 Dieser Freiheitsbegriff, der Anleihen bei der aristotelischen Tradition macht, meint in diesem Fall nicht mehr nur die negative Freiheit, die besagt, dass man von anderen bzw. von Seiten des Staates nicht daran gehindert wird, etwas zu tun. Unfrei sind wir dieser Auffassung nach auch dann, wenn wir nicht über die Ressourcen verfügen und die Fähigkeiten besitzen, uns und unsere Familie am Leben zu erhalten. Positive Verantwortung, formuliert als soziale Menschenrechte, richtet sich darauf, einer schlechter gestellten Person in ihrer Entwicklung zu helfen, wenn sie selbst nicht mehr dazu in der Lage ist, weil ihr die notwendigen Mittel fehlen.

Ein alternativer Weg zur Bestimmung der Pflichten besteht darin, sich vom Begriff der positiven Verantwortung ab- und dem der negativen Verantwortung zuzuwenden.35 Demnach ist man verpflichtet, den Menschen, denen es wesentlich schlechter geht als einem selbst, zu helfen, da man die Situation, in der sie sich befinden, mit verursacht hat bzw. daran beteiligt ist, sie aufrechtzuerhalten. Dieser Vorstellung unterliegt ein negativer Begriff von Freiheit. Man ist negativ unfrei, wenn man von anderen oder vom Staat unter Anwendung von Zwang in seiner persönlichen |24|Autonomie beschränkt wird.36 Auf ökonomische Verhältnisse übertragen heißt das, man ist dann unfrei, wenn ein Teil der Menschen im Besitz von Ressourcen ist und sich zugleich in einer Position befindet, diese Ungleichverteilung von Ressourcen mit Zwang aufrechtzuerhalten.

Während es für einen positiven Begriff von Verantwortung also ausreicht, dass die Welt, in der wir leben, durch radikale Ungleichheiten gekennzeichnet ist, zum Beispiel der Art, dass es den Armen wesentlich schlechter geht als den Reichen, und dass diese Ungleichheit im Wesentlichen permanent ist, so ist dies für den Begriff der negativen Verantwortung nicht genug. Es muss sich zeigen lassen, dass die radikale Ungleichheit deshalb besteht, weil Arme daran gehindert werden, ein ›anständiges‹ Leben führen zu können. Die beiden Aspekte der Pflichten – positive und negative –, so die Argumentation hier, können analytisch unterschieden werden, es macht aber wenig Sinn, von der Priorität negativer Pflichten zu sprechen. Vor allem die Diskussion um die sozialen und ökonomischen Rechte wird die Verwobenheit beider Pflichtarten verdeutlichen.

Schließlich ist ein wichtiger Aspekt die Implementierung von Menschenrechten: Unter welchen Bedingungen können und sollten Menschenrechte »umgesetzt« werden? Hier stellen sich Probleme wie die Einhaltung von Menschenrechten bzw. Anreize, die geschaffen werden können, um zur Respektierung der Menschenrechte und zur Förderung ihrer Durchsetzung beizutragen. Die Frage der Implementierung der Menschenrechte ist von großer Bedeutung, da die Diskussion um die ›richtige‹ Interpretation, die Unterzeichnung und Ratifizierung der Menschenrechtskonventionen wichtige Schritte sind auf dem Weg zu einer völkerrechtlichten Verbindlichkeit dieser Rechte; ohne effektive Kontroll- und Erzwingungsmechanismen verharrt die Implementierung im Stadium symbolischer Politik. Eher in den Bereich der Rechtswissenschaften fällt die verzweigte juridische Frage nach den wirkungsvollen Kontrollinstrumenten und ihrer Durchsetzung, beispielsweise das Verfassen von Staatenberichten, die alle Staaten an die entsprechenden Menschenrechtskommissionen liefern müssten. Das Augenmerk wird hier weniger auf dieser Diskussion als auf den Bedingungen der Juridifizierung moralischer Menschenrechte im nationalstaatlichen und internationalen Kontext liegen.

|25|Das Besondere der Menschenrechte

Da ich mich im Folgenden auf die sozialen und ökonomischen und ebenfalls auf die politischen Menschenrechte konzentriere, möchte ich einige Überlegungen zu der Frage vorwegschicken, was das Besondere an den Menschenrechten ist. Was zeichnet Menschenrechte im Unterschied zu moralischen Normen und was zu Bürgerrechten sowie internationalen Rechtsregeln besonders aus?37

Der Begriff der »Menschenrechte« ist relativ neu. Er fand seinen Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch erst, nachdem im Jahre 1945 die Vereinten Nationen gegründet worden waren. Bis dahin waren die Ausdrücke »natürliches Recht« und später das »Recht des Menschen« (The Right of Man) üblich – Konzepte, die man als Vorläufer der heutigen Menschenrechte ansehen kann.38

Eine häufig vertretene Auffassung ist, dass Menschenrechte Rechte sind, die jeder Mensch qua seines Menschseins hat. Menschenrechte müsse man nicht erwerben oder erben, auch würden sie nicht von Staats wegen verliehen, sondern sie stünden einem jeden von Geburt an zu. Sie seien nicht etwa das Produkt eines demokratischen Prozesses, und man könne auch sagen, sie gelten selbst dann, wenn sie nicht in positivierter Form auftreten. Menschen besäßen demnach Rechte ›von Natur aus‹. Der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte legt eine solche Auffassung durchaus nahe. Er besagt: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Dennoch ist es missverständlich oder zumindest ungenau, davon zu sprechen, man habe Menschenrechte von Natur aus, da man ein Mensch ist. Damit legt man eine naturrechtliche Auffassung der Menschenrechte nahe, deren Begrenztheit deutlich wird, wenn man sich vergegenwärtigt, was mit einer naturrechtlichen Menschenrechtsposition gemeint sein müsste.

Zunächst wurden natürliche Rechte als von Gott gegeben angesehen. Thomas von Aquin beschrieb natürliche Rechte als Abglanz des ewigen Rechts göttlicher Vernunft, das einen Widerpart zum positiven Recht der durch Menschen gesetzten Gesetze darstelle. Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, der in den verschiedenen Fürstentümern Religions- und Gewissensfreiheit garantierte, wurden Religion und auch der |26|Glaube einer häretischen Minderheit zur Privatangelegenheit und der Schutz von Abweichlern zur Aufgabe des Staates – ein Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechte. Zum ersten Mal war das Individuum sowohl Adressat als auch Ursprung von Recht.39

Nach dem Westfälischen Frieden (1648) fand ein weiterer qualitativer Wandel im Verständnis der natürlichen Rechte statt. Untertanen konnten gegenüber dem Staat und anderen Menschen Rechtsansprüche erheben. In der bis dahin vorherrschenden theologischen Lesart der natürlichen Rechte war das Individuum als Adressat des Rechts unbekannt: Jede Verletzung des gottgegebenen natürlichen Rechts stellte einen Verstoß gegen die göttliche Weltordnung dar, nicht aber gegenüber dem Einzelnen. Die Vorstellung, dass Individuen Rechte besitzen, weil sie als Menschen geboren sind, verbreitete sich dann aber schnell. Das Englische Parlament verabschiedete die Habeas Corpus-Akte im Jahre 1679 und formulierte erstmals ein Recht auf Schutz vor willkürlicher Bestrafung und Einkerkerung. Englands Revolution von 1688, die ein Jahr später zur Bill of Rights führte, brachte rechtliche Sicherheiten und Eigentumssicherheit, aber auch freie Wahlen und Redefreiheit. John Locke, inspiriert von der Glorious Revolution, argumentierte, Individuen besäßen in ihrer Eigenschaft als Menschen das Recht auf Leben, Freiheit und Besitz, und wurde – mit Montesquieu – einer der wichtigen Theoretiker der Amerikanischen und der Französischen Revolution. Locke war es auch, der sich deutlich von der Position abgrenzte, die vor ihm Thomas Hobbes vertreten hatte. Bei Hobbes sprachen sich die Bürger in einer Art ›Ursituation‹ wechselseitig Freiheitsrechte zu und übertrugen diese rechtlichen Freiheiten gleichzeitig dem Leviathan. Die horizontale Machtstruktur des gegenseitigen Einräumens von Rechten wird im gleichen Schritt wieder aufgehoben, wenn im Prozess des Übertragens dieser Rechte an den Leviathan ein vertikales Machtverhältnis hergestellt wird. Bei Locke wird hingegen die vertikale Struktur der wechselseitigen Verleihung von Rechten für den Rechtssetzungsprozess selbst beibehalten.40 Damit wird der Grundstein für eine Herrschaftsordnung gelegt, bei der die Bürger/innen über ein Machtinstrument gegenüber dem Staat verfügen – die Menschenrechte.

Eméric de Vattel spricht 60 Jahre später von einem Recht der Bürger auf Widerstand gegen die Staatsgewalt, wenn sich der Herrscher klare Vergehen zuschulden kommen lässt, wozu insbesondere die willkürliche |27|Tötung zählt.41 Weder die amerikanische noch die französische Menschenrechtsdeklaration zeigen noch Spuren des Hobbes’schen Denkens. Beide Verfassungstexte formulieren »natürliche und unveräußerliche Rechte des Menschen« und sind nicht nur im Namen der amerikanischen und der französischen Bürger/innen verfasst, sondern adressieren in einer Art ›Parallelaktion‹ zugleich immer auch alle Menschen. Sie weisen damit bereits über eine nur staatsbürgerliche Mitgliedschaft hinaus.

Die moderne naturrechtliche Lesart der Menschen- und Verfassungsrechte besaß durchaus revolutionäre Kraft, und doch lag und liegt ein Problem des Naturrechts-Ansatzes nach wie vor darin, dass die Vorstellung dessen, was die menschliche Natur eigentlich auszeichnet, höchst umstritten ist. Ein Beharren auf der naturrechtlichen Begründung würde die Menschenrechtskonzeption ganz unnötigerweise schwächen, zumal es, wie wir sehen werden, überzeugende Alternativen gibt.

Nichtsdestotrotz besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Menschenrechten und Staatsbürgerschaft. Während Menschenrechte inklusiv sind und, so die gängige Auffassung, jedem Menschen qua Menschsein zustehen, ist Staatsbürgerschaft, deren Kern durch partikulare politische Bürgerrechte gebildet wird, exklusiv und auf die Ansprüche von Bürgern gerichtet.42 Menschenrechte implizieren, dass sie gleichermaßen für alle Menschen gelten – ungeachtet jedweder Staatszugehörigkeit. Staatsbürgerrechte hingegen setzen voraus, dass die Anspruchsberechtigungen von Bürger/innen an die Mitgliedschaft zu einem Staat oder einem regionalen, staatsähnlichen Gebilde an zusätzliche Kriterien gekoppelt sind, wie beispielsweise an den Geburtsort oder an sonstige Aufnahmebedingungen, wie beispielsweise die Arbeitsqualifikation. Selbst bei einer Konzeption ›globaler Staatsbürgerschaft‹ müssten sich die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft darüber verständigen, welche Aspekte der Bürgerschaft für alle gleichermaßen gelten würden und welche im Zuständigkeitsbereich von regionalen Regimen und Nationalstaaten verbleiben würden.

Das Spannungsverhältnis zwischen Staatsbürgerrechten und Menschenrechten besteht somit in der (In-)Kompatibilität der transnationalen Ebene mit der nationalen Ebene, das heißt von universalen Menschenrechten, wie sie gegenwärtig in der UN-Charta der Menschenrechte zu finden sind, und |28|Bürgerrechten (das heißt politischen Rechten). Es spiegelt sich aber auch innerhalb des Systems von Verfassungsrechten wider. Normativ betrachtet sind Grundrechte juridifizierte Menschenrechte. Sie besitzen in dieser Form eine Art Doppelcharakter, denn sie sind positives und überpositives Recht zugleich.43 Da der vorstaatliche Charakter der Grundrechte erhalten bleibt, wäre es nicht zutreffend, zu behaupten, erst der Staat verleihe den Bürgern Rechte. Vielmehr sind juridifizierte Menschenrechte Rechte, die sich die Bürger wechselseitig mit Bezug auf eine Moral der gleichen Achtung verleihen. Da Menschenrechte nicht völlig in Grundrechten aufgehen, bleibt auch nach der Positivierung ein moralisches Potenzial wirksam, aus dem sich Kritik an ungerecht erscheinenden Grundrechten speisen kann. Faktisch bestehen beispielsweise in der Verfassung Deutschlands Rechte, die alle Menschen in Anspruch nehmen können, neben solchen, deren Inanspruchnahme die Staatsangehörigkeit voraussetzt. Die Meinungsfreiheit beispielsweise gilt für alle Personen, die sich auf dem Territorium der Bundesrepublik befinden, während die Grundrechte der Versammlungsfreiheit und der Berufsfreiheit nur für Deutsche gelten.

Das beschriebene Spannungsverhältnis zwischen Menschenrechten und Bürgerrechten ist kein Phänomen jüngeren Datums, das etwa erst im Zuge der vielfach beschriebenen ›Globalisierungsprozesse‹ zum Vorschein kam. Sicherlich ist es zutreffend, zu behaupten, dass transnationale Interdependenzen im Bereich der Wirtschaft den Blick auf den gegenwärtigen Zustand politischer Mitbestimmung gelenkt haben. Das beschriebene Spannungsverhältnis als systematisch zu untersuchendes Problem ist jedoch bereits in den historischen Deklarationen angelegt. In den Verfassungen von Amerika (1776) und Frankreich (1789) wurden die verbürgten Rechte nicht nur als Bürgerrechte, sondern auch als universelle und egalitäre Rechte aller Menschen verstanden. Dennoch blieben sie in der Folge in erster Linie Rechte des Bürgers gegenüber dem jeweiligen Staat. Besonders deutlich wird dies in der Virginia Bill of Rights von 1776. In ihr drückt sich die Vorstellung aus, dass die verbürgten Rechte für alle Menschen gelten, gleichgültig, aus welchem Land sie in die Neue Welt einwanderten. Die Ausweitung der Rechtsgeltung waren eine Folge der Einwanderung und eine Reaktion auf die im eigenen Land vorfindliche nationale, kulturelle und religiöse Pluralität. Die »Rechte der Engländer« erlaubten nicht mehr nur den Engländern, die Vorzüge eines Rechtsstaates zu genießen, sondern |29|gestatteten dies auch anderen Einwanderern.44 Damit wurde die Zugangsvoraussetzung zur Erlangung von Staatsbürgerrechten vom einen ›Ethnos‹ unabhängig, die Geltung der ›Menschenrechte‹ hingegen wurde an das Territorium der Vereinigten Staaten Amerikas gebunden. In Frankreich war die Situation anders. Dort ging man zur Zeit der Revolution davon aus, dass Menschenrechte die Grundlage einer jeden legitimen Staatsordnung darstellen und die in der Französischen Verfassung verankerten Rechte ebenso präpolitischer wie präjuridischer Natur seien. Dessen ungeachtet, oblag noch im 19. Jahrhundert der Schutz der Menschenrechte im Rahmen des Völkerbundes überwiegend den souveränen Staaten. Erstmals in der Charta der Vereinten Nationen wurde den Menschenrechten eine Position eingeräumt, die unabhängig eines existierenden Nationalstaates bestand: Menschenrechte wurden im internationalen Recht angesiedelt.

Trotz dieser theoretischen Unzulänglichkeiten im Naturrechtsansatz lässt sich eine Kontinuität bis zu heutigen Vorstellungen über Menschenrechte ausmachen, die eine Art dominante Grundlinie ihres heutigen Verständnisses bildet:

Menschenrechte sind universell gültig – oder zumindest erheben sie diesen Anspruch; und sie gelten

dem Individuum und nicht einer bestimmten Person oder Gruppe. Aufgrund dieser Eigenschaften formulieren Menschenrechte den Anspruch, unabhängig von historischen Entwicklungen und kulturellen Unterschieden allgemein gültig zu sein.45 Es gibt noch wenigstens neun weitere, nicht auf die naturrechtliche Tradition zurückführbare Charakteristika, die im internationalen Diskurs allerdings ebenso strittig sind wie die zwei zuerst genannten.46

|30|Ein maßgeblicher Aspekt ist, dass Menschenrechte nur von offizieller Stelle verletzt werden können. Von Menschenrechtsverletzungensprechen wir nämlich nur dann, wenn sie in irgendeiner Weise von staatlicher Seite entweder ausgeführt oder aber geduldet werden. Wir sagen zum Beispiel nicht, dass das Menschenrecht auf Eigentum verletzt wird, wenn eine Diebesbande in ein Haus einbricht, Wertsachen entwendet und Verwüstungen anrichtet. Wenn aber ein Staat die Straftat nicht ahndet und nichts tut, um zukünftig solche Überfälle zu verhindern, oder aber, wenn diese Überfälle sogar dazu dienen, die Eigentümer von ihrem Grund und Boden zu vertreiben (weil sie einer bestimmten ethnischen Gruppierung angehören oder einflussreiche Unternehmen ein gutes Geschäft wittern) und die Vertreibungen gar in offiziellem Auftrag geschehen, handelt es sich durchaus um eine Menschenrechtsverletzung.47

Ein weiteres charakteristisches Element liegt angesichts unserer globalisierten Welt auf der Hand: Menschenrechte sind nicht allein eine nationale Angelegenheit, sondern sie sind von internationalem Interesse. Auch hier ist es klärend, sich vor Augen zu führen, wann man von Menschenrechtsverletzungen spricht: dann nämlich, wenn Menschen der Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen vorenthalten wird und wenn sie in einer Weise getötet, drangsaliert, gedemütigt und erniedrigt werden, dass dies weltweit Aufsehen erregt und sich die Frage stellt, wer außer den Staaten, die ihrer Schutzpflicht offensichtlich nicht nachkommen, die Pflicht hat, diese inakzeptablen Zustände zu ändern.48

Menschenrechte formulieren den Anspruch, unabhängig historischer, politischer, kultureller Begebenheiten universelle Geltung zu besitzen. Nichtsdestoweniger sind sie zumeist aus konkreten Ungerechtigkeiten erwachsen und das Ergebnis politischer Kämpfe, deren geteiltes Ziel die Inklusion in die politische Gemeinschaft und die Anerkennung als vollwertiges Gesellschaftsmitglied war. In Menschenrechten spiegeln sich grundlegende Bedürfnisse und Interessen, die durch die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft interpretiert und realisiert werden. Es wäre jedoch ein Irrtum, Menschenrechte lediglich als moralphilosophischen Überlegungen entsprungene abstrakte Forderungen zu verstehen. Sie |31|sind eine Reaktion auf sehr spezifische Bedrohungen und Verletzlichkeiten, die in einer Gesellschaft aufgetreten sind oder noch auftreten können.49

Menschenrechte sind nicht nur das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen in Reaktion auf Unterdrückung, Demütigung und staatliche Willkür; sie unterliegen selbst der stetigen Veränderung, der reiterierenden Interpretation. Das bedeutet zum einen anzuerkennen, dass Menschenrechte einen normativen Standard formulieren, mit dessen Hilfe die Legitimität von Staaten ebenso wie die internationaler Regelsysteme beurteilt werden kann. Das heißt aber zugleich zu akzeptieren, dass sie trotz ihrer moralischen Seite nicht für alle Zeiten ›festgeschrieben‹ sind. Menschenrechte sind ›gemacht‹, veränderbar und grundsätzlich offen für neue Rechte und andere Lesarten. Noch in der französischen Menschenrechtserklärung findet sich das Recht auf Eigentum, das man in den neueren UN-Deklarationen vergeblich sucht, während zugleich eine inhaltliche Spezifizierung (von Freiheitsrechten und politischen Rechten zu sozial-ökonomischen und kulturellen Menschenrechten)50 und eine Ausweitung des Kreises derer, die als Rechtssubjekte anerkannt wurden (weiße besitzende Männer, Frauen, Schwarze, Kinder, Tiere) auch auf Gruppen (Minderheiten, Staaten, private Akteure) stattgefunden hat.

Menschenrechte sind inhaltlich allgemein. Sie beziehen sich nicht auf sämtliche Aspekte des guten Lebens, sondern nur auf einen bestimmten |32|Bereich. So ist es etwa nicht sinnvoll, zu sagen, jemand werde von der Mitgliedschaft ausgeschlossen und es würden ihre oder seine Menschenrechte verletzt, wenn kein gesicherter Zugang zu einer bestimmten Biersorte besteht. Menschenrechte speisen sich aus grundlegenden Interessen und Bedürfnissen, deren Erfüllung eine erkennbare Dringlichkeit aufweist. Dabei ist auch die Dringlichkeit wiederum nicht allumfassend auf das gute Leben selbst bezogen, sondern richtet sich auf dessen Bedingungen. So würden wir wahrscheinlich nicht von einem Menschenrecht auf Glücklichsein sprechen wollen. Diese Aufgabe zu erfüllen, wäre für jeden Staat oder Staatenverbund eine viel zu aufwändige Anforderung, abhängig nicht nur von ›objektiven‹ sozialen Umständen, wie Rechtssicherheit, sondern auch von dem subjektiven Erleben der einzelnen Person und etwa ihrer Neigung zu Überschwang, Ausgeglichenheit oder Depressionen. Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung spricht auch nicht von einem Recht auf Glück, sondern von dem Recht, seinem Glück nachgehen zu können, bei dem die Betonung auf den Bedingungen liegt, die gegeben sein müssen, damit man sein Glücksstreben verwirklichen kann. Gegenstände der Menschenrechte sind der Schutz vor willkürlichen Eingriffen des Staates in die Privatsphäre der Bürger/innen und der ungehinderte Zugang zu Ressourcen wie Sicherheit, Gesundheit und politischer Einfluss.51

Sowohl der Schutz vor staatlicher Intervention in die Privatsphäre als auch der Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen werden maßgeblich durch Rechte, Normen und Prinzipien, das heißt, durch Institutionen geregelt, so gesehen, sind Menschenrechte Ansprüche auf Institutionen, die für die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft unerlässlich sind.52 Damit grenzt sich die hier vertretene Menschenrechtskonzeption von einem naturrechtlichen Menschenrechtsverständnis ebenso ab wie von einem, das auf einer umfassenden Vorstellung von Gerechtigkeit basiert, die soziale Gerechtigkeit und Verteilungsmodi einschließt. Menschenrechte sind die Grundlage einer gerechten institutionellen, politischen Ordnung, die eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für die Entfaltung des guten Lebens darstellt.53

|33|Menschenrechte haben eine politische Funktion. Sie sind nicht nur das Ergebnis politischer Kämpfe, sondern sie haben genuin politische Aufgaben. Dazu gehört, dass sie normativer Maßstab für die Legitimation von Staaten und internationaler Beziehungen sind. Sie auferlegen den Staatsverfassungen und den Verfassungen anderer rechtlich verfasster Entitäten bestimmte Restriktionen und geben Entwicklungsziele vor, die Willkür vermeidend und auf die Verwirklichung einer gerechten Grundordnung gerichtet sind. Dies schließt die soziale und politische Inklusion in eine Rechtsgemeinschaft mit ein. Menschenrechte sind, so könnte man sagen, ein Fallstrick, der die vollständige Exklusion verhindern soll. Diese politischen Funktionen der Menschenrechte schlagen sich auch in ihrer Begründung nieder – zumindest dann, wenn man die Legitimation der Menschenrechte nicht im ›luftleeren Raum‹ betreibt, sondern als politisches Anliegen versteht, bei dem die Menschenrechte gegenüber ihren Verächtern und Kritikern verteidigt werden.54

Sieht man in den Menschenrechten ein politisches Instrument, wird recht bald klar, dass im interkulturellen Menschenrechtsdiskurs auch Emotionen eine wichtige Rolle spielen. Debatten über Menschenrechte und ihre Interpretation werden durch widerfahrenes Leid oder durch unerträgliches Unrecht angestoßen. Im Prozess der ›Verarbeitung‹ kollektiv erlebten Unrechts verständigen sich Rechtsgemeinschaften oder politische Gruppen über ihre ethische, kulturelle oder religiöse kollektive Identität, was nicht nur auf kognitiver und moralischer, sondern auch auf emotionaler Ebene geschieht. Diese analytische Unterscheidung zwischen Kognition, Moral und Emotionen lässt jeweils verschiedene Aspekte der Menschenrechte im politischen Diskurs aufscheinen: Auf kognitivem Gebiet tritt der Bezug zum Wissen über menschliches Leid und seiner sprachlichen Reflexion besonders hervor; die moralische Ebene kommt in der Suche nach einer gemeinsamen Wertevorstellung ins Spiel, und die emotionale Seite des Menschenrechtsdiskurses wird im Ausdruck von Empörung, Trauer oder Wut über verübtes Unrecht und in den verschiedenen Formen der auf das Unrecht folgenden sozialen Sanktionen berührt. In ihrer institutionalisierten Form treten Sanktionen in Form des ›Anklagens‹ und ›Bloßstellens‹ (Blaming and Shaming) der Täter/innen auf.

|34|Menschenrechte treten, je nach Institutionalisierungsgrad, in zwei verschiedenen Formen auf. Als moralische Menschenrechte formulieren sie Ansprüche, die für alle Menschen gelten. Als Grundrechte oder positivierte Rechte, deren Einhaltungsinstanz mit einer Zwangsgewalt versehen ist – international etwa über den Internationalen Strafgerichtshof –, behalten sie zwar ihren universellen Geltungsanspruch, können aber de facto nur von Menschen eingefordert werden, die sich auf dem Territorium der Rechtsgemeinschaft aufhalten.55 Eine besondere Form der Grundrechte stellen die Bürgerrechte dar: Sie formulieren Ansprüche auf politische Mitbestimmung, die in der Regel den Staatsangehörigen vorbehalten sind, sich aber zunehmend universalisieren, wie beispielsweise über die politischen Teilnahmerechte von Einwanderern/innen und Ausländern/innen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht (denizen) in der Europäischen Union.56

Ein weiterer Aspekt schließlich bezieht sich auf die Adressaten der Menschenrechte, die für ihren Schutz und ihre Realisierung verantwortlich sind. Der naturrechtliche Ansatz, aber auch utilitaristische Positionen, gehen von einem interaktionistischen Verständnis der Menschenrechte aus. Demnach drückt sich in ihnen aus, was wir einander schulden.57 Jedem Anspruch auf ein Gut X korrespondieren direkte Pflichten, die von allen Individuen und Regierungen zu erfüllen sind. Grundlegend für den interaktionistischen Ansatz ist der Begriff der Hilfspflicht. Ein Menschenrecht auf Nahrung würde etwa alle die, die in der Umgebung einer hungernden Frau leben oder von ihrem Schicksal erfahren und in irgendeiner Weise helfen könnten, zum Handeln verpflichten. Für eine effektive Realisierung der Menschenrechte ist diese Perspektive aber nicht hinreichend. Menschenrechte sind, wie bereits oben erwähnt, nicht bloß Ansprüche auf verschiedene Güter oder Leistungen, die ›wir einander schulden‹, sondern darüber hinaus Ansprüche auf ein Regelsystem – sei es innergesellschaftlich oder international –, das so gestaltet ist, dass ein sicherer Zugang zu den durch die Rechte übertragenen Gütern und Leistungen möglich ist.58 Diese Annahme stellt die den Menschenrechten korrespondierenden Pflichten |35|in ein anderes Licht. Sie bestehen nicht nur darin, dass dem Rechtssubjekt individuelle (oder kollektive) Hilfe zuteilwird. Vielmehr beziehen sich Pflichten in erster Linie auf die Veränderung von Institutionen, die zur problematischen politischen und sozialen Situation beitragen.59 Auf das Beispiel der hungernden Frau übertragen hieße das, dass auch die Arbeitsmarktpolitik, Sozialsysteme und internationale Finanz- und Wirtschaftsregeln daraufhin untersucht werden müssten, inwieweit sie für Armut, Hunger, politische und ökonomische Ausgrenzung mitverantwortlich sind. Bürger und deren Repräsentanten besitzen demnach die Pflicht, ein Regelsystem zu etablieren, das eine innergesellschaftliche wie auch internationale Realisierung der Menschenrechte zulässt.

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|39|Menschenrechte und soziale Autonomie

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1. Umstrittene globale soziale Ansprüche

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1.1 Funktionalistische Begründung

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1.2 »Expansionistischer« Freiheitsbegriff

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1.3 Soziale Autonomie

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2. Ansprüche auf ›was‹?

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|66|2.1 Grundgüter und Ressourcen

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2.2 Gleiche Chancen auf Wohlergehen

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2.3 Fähigkeiten

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3. Reichweite, Anspruchsberechtigung und Pflichten

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3.1 Ausmaß

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3.2 Anspruchsberechtigung

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3.3 Pflichten

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4. Verletzungen sozialer und ökonomischer Menschenrechte

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|137|Menschenrechte und politische Autonomie

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1. Ein Menschenrecht auf Demokratie?

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|144|1.1 Interkulturelle Werte

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1.2 Politische Kultur

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|161|1.3 Vernünftige Übereinkunft

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2. Von der Moral zur Demokratie

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2.1 Das Betroffenheitsprinzip im politischen Kontext

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2.2 Praxis des Gründegebens

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2.3 Funktion der Menschenrechte

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3. Juridifizierung

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3.1 Verhandlungsmodell

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3.2 Deliberatives Modell

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3.3 Die Performanz normativer Argumente

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4. Das Verhältnis von Menschenrechten und Demokratie

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|235|Literatur

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|258|Register

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