Glückliche Stiefmutter - Katharina Grünewald - E-Book

Glückliche Stiefmutter E-Book

Katharina Grünewald

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Beschreibung

In heutigen Patchworkfamilien spielt die Stiefmutter immer öfter eine Hauptrolle. Nur, wie soll sich "Papas neue Freundin" oder die "Bonusmama" verhalten, wenn sie nicht die "fiese Stiefmutter" aus den Märchen sein will? Die Psychologin Katharina Grünewald zeigt die Zwickmühlen in heutigen Patchworkfamilien auf. Anhand zahlreicher Beispiele aus dem Alltag entwickelt sie Antworten. So erhalten Frauen viele praktische Anregungen: Denn eine selbstbewusste Haltung als Stiefmutter ist die beste Voraussetzung für ein gesundes und erfüllendes Familienleben. Mit einem neuen Kapitel mit vielen praktischen Impulsen. "Dieses Buch ist ein Riesengeschenk an alle Erwachsenen in Patchworkfamilien." Mathias Voelchert, familylab – die Familienwerkstatt

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Katharina Grünewald
Glückliche Stiefmutter
Gut zusammen leben in Patchworkfamilien
Titel der Originalausgabe: Glückliche Stiefmutter
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Agentur IDee
Umschlagmotiv: © Trifonenkolvan/shutterstock
E-Book-Konvertierung: de·te·pe, Aalen
ISBN (E-Book)  978-3-451-81491-4
ISBN (Buch)     978-3-451-60067-8
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1
Stiefmutter-Sein – Wie geht das?
Das Märchen von der »bösen Stiefmutter«
Die heutige Stiefmutter
Die Mutterfalle
Die Prinzessinnenfalle
Was bestimmt die Beziehung zwischen Stiefkindern und Stiefmutter?
Der Beziehung einen Namen geben
Kapitel 2
Typische Konflikte und hilfreiche Rituale
Regeln und Rituale geben Halt und erleichtern den Alltag
Die vier Entwicklungsphasen in der Patchworkfamilie
1. Phase: Schnuppern und Kennenlernen – Zwischen Liebestaumel und alten Gewohnheiten
2. Phase: Positionsgerangel und Machtkämpfe
3. Phase: Es fügt sich
Phase 4: Etablierung – »Wir sind so!«
Geburtstage und andere Festtage
Das, was Kinder sich wünschen, ist nicht immer das, was sie auch brauchen!
Absolute Zuspitzung: Weihnachten – das Fest der lieben Familie
Konkrete Weihnachtsgestaltung
Kapitel 3
Der Spagat zwischen Erziehung und Beziehung
Stiefmütter haben keine Erziehungs­berechtigung: Was bedeutet das für die Beziehung?
Erziehung ist Beziehung
Entwicklung braucht einen Rahmen
Der Rahmen in der Patchworkfamilie muss erst geschaffen werden
Wie schafft man einen stabilen Beziehungsrahmen?
1. Für den eigenen Stand sorgen: »Hier bin ich!«
2. Den anderen kennenlernen: »Wer bist du?«
3. Wahrnehmen, was ist: »Was passiert hier und jetzt?«
Exkurs: Auseinandersetzung wagen statt Trennung riskieren!
In Beziehung Konflikte klären und Lösungen finden
1. Was ist das Problem?
2. Welche Bedeutung hat das Problem?
3. Wie kann man das Problem verändern? Was sind Lösungsvorschläge?
4. Was ist für jeden Einzelnen machbar?
Familienkonferenz
Kapitel 4
Der Umgang mit Wut, Lügen und kindlicher Tyrannei
Selbstfürsorge statt Selbstdisziplin: Geht’s mir gut, geht’s allen besser!
Gilt die Wut der Kinder eigentlich immer der Stiefmutter?
Wie die Stiefmutter eine produktive Distanz zum Familiengeschehen entwickeln kann
Der Umgang der Stiefmutter mit einem lügenden Kind
1. Schritt: Raum schaffen für das eigene Erleben
2. Schritt: Auf die Situation des Kindes blicken
3. Schritt: Die Strategie des Kindes einordnen
Für sich sorgen bedeutet, für die Familie sorgen
Der Umgang der Stiefmutter mit »kleinen Tyrannen«
Kapitel 5
Wer steht an erster Stelle? – Die Frage nach dem eigenen Wert
Über den Umgang mit Eifersucht und Konkurrenz
Das Schneewittchen-Muster: Immer die Beste sein müssen!
Die Schneewittchen-Strategie: Weniger bedeutet mehr Eigenes!
1. Einschränkungen und Begrenzungen akzeptieren: »Is so!«
2. Den eigenen Maßstab entwickeln
3. Das Eigene neben anderem stehen lassen
Das Aschenputtel-Muster: Sich kleinmachen, um groß rauszukommen
Die Aschenputtel-Strategie: Abschied vom Traumbild und Entwicklung eines eigenen Weges
Hänsel und Gretel: Die Stiefmutter-Strategie, die auch für Mütter hilfreich ist
Das stiefmütterliche Prinzip
Das Hexenprinzip: Überbemutterung und Kontrolle
Die Hänsel-und-Gretel-Strategie: Kinder auf eigene Füße stellen
Kapitel 6
Mein lieber Mann, wieso tue ich mir das an?
Was ist das Besondere an der Liebesbeziehung einer Stiefmutter?
Patchwork: Hohe Hürde, aber auch besondere Chance für die Liebe
Chance in der Krise
Kapitel 7
Die neue Stiefmütterlichkeit
Was sind die Besonderheiten für Stiefväter?
Das Besondere der neuen Stiefmütterlichkeit
Stiefmütterlichkeit bedeutet, einen klaren Blick zu haben
Stiefmütterlichkeit bedeutet, einen Standpunkt zu beziehen und sich auseinanderzusetzen
Stiefmütterlichkeit bedeutet, Entwicklung in Gang zu setzen
Stiefmütterlichkeit bedeutet verantwortungsvolle Selbstfürsorge
Stiefmütterlichkeit bedeutet, sich glücklich um andere zu kümmern
Kapitel 8
Dank
Literatur
Anmerkungen
Über die Autorin
Vorwort
Stiefmütter haben es nicht leicht. Ihr Familienalltag ist vielschichtiger als der einer Vater-Mutter-Kind-Familie und so steht jede Stiefmutter vor komplexen Aufgaben und Herausforderungen: Sie möchte mit ganzem Herzen die Geliebte des Mannes sein, soll aber Platz lassen für die Kinder seiner ersten Liebe. Sie soll eine liebevolle, mütterliche Bezugsperson sein, aber nicht die Mutter. Sie soll sich mit der Exfrau arrangieren, eventuell eigene oder ge­meinsame Kinder erziehen und versorgen und möglichst selbstbewusst ihren eigenen Weg gehen. Zudem leiden viele Stiefmütter darunter, dass das Bild der »bösen« Stiefmutter aus den Märchen jedem Kind bekannt ist und für eine Vielzahl von Vorurteilen sorgt.
In meiner Praxis für Patchworkfamilien berate ich seit Jahren Stiefmütter. Dabei beobachte ich, dass Stiefmütter nicht nur von der Gesellschaft stiefmütterlich behandelt werden, sondern sich häufig auch selbst stiefmütterlich behandeln. Ihre Auseinandersetzung mit der Funktion und der Bedeutung ihrer Rolle in der Familie kommt häufig zu kurz, ebenso erkennen Stiefmütter oft nicht einmal selbst an, dass und wie sie ihre komplizierte Aufgabe in der Familie erfüllen. Das will ich mit diesem Buch ändern. Dabei setze ich bei den Fragen und Begebenheiten im Alltag an, die mir Stiefmütter in meiner Praxis darlegen, um anschaulich durch das emotionale Dickicht der heutigen Patchworkfamilie zu führen. Im 8. Kapitel erhalten Sie zudem Im­pulse, die sich in den unterschiedlichsten Patchworkkonstellationen im Alltag bewährt haben.
In meinem Buch gebe ich Anregungen dazu, wie die Stiefmutter sich heute in Beziehung zu den Kindern definieren kann. Ich zeige auf, wie Spielregeln und Rituale die Stiefmutter, aber auch die anderen Familienmitglieder wie ein Halt gebendes Geländer durch emotional schwierige Familienzeiten führen können. Ich mache deutlich, wie Konflikte, zum Beispiel durch auffällige Verhaltensweisen der Kinder ausgelöst, dazu führen können, dass sich die gesamte Familie weiterentwickeln, aber auch die Stiefmutter in ihrer Persönlichkeit wachsen und entfalten kann.
Die Stiefmutter heute hat das Recht und die Chance, glücklich zu sein und andere glücklich zu machen!
Die hier von mir beschriebene Selbstfürsorge für die Stiefmutter ist ein vorbildliches Prinzip für die ganze Familie. Sie ist die notwendige Voraussetzung für einen erfüllenden Familienalltag, in dem jeder seine Bedürfnisse wahrnehmen und artikulieren kann.
Ich wünsche mir, dass dieses Buch es schafft, eine neue Denk- und Sichtweise auf die Stiefmütterlichkeit zu lenken, sodass diese eine selbstverständliche Plattform darstellt, von der die Diskussion und die Entwicklung von Familie auch in unserer Gesellschaft weitergehen kann. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Ihrer Familie und allen, die sich stiefmütterlich behandelt fühlen oder sich so behandeln, eine inspirierende Lektüre.
Kapitel 1
Stiefmutter-Sein – Wie geht das?
Das Märchen von der »bösen Stiefmutter«
»Stiefmutter« ist ein alter Begriff aus den vorherigen Jahrhunderten. Damals bezeichnete er eine Frau, die nach dem Tod der Mutter in eine Familie kam und das Sagen hatte. Daher kommt die Redewendung »stiefmütterlichmit etwas umgehen«, die auch heute noch heißt »schlecht mit etwas umgehen«. Die Märchen haben die Beziehung zwischen Stiefmutter und -kindern in vielen Varianten beschrieben und dadurch das Bild der »bösen Stiefmutter« in der Gesellschaft verstärkt. Jeder hat beim Begriff »Stiefmutter« dieses Bild vor Augen: die böse Stiefmutter aus den Märchen, die ihre Stiefkinder in den Wald jagt, ungerecht und gemein behandelt, sie vernachlässigt und ausnutzt.
Natürlich ist die Beziehung einer Stiefmutter zu ihren Stief­kindern nicht immer nur durch Konkurrenz, Neid, Missgunst, Herrschsucht und Eifersucht bestimmt. Warum gibt es keine anderen Geschichten, in denen sich eine liebevolle, authentische und respektvolle Beziehung entwickeln kann?
Heutzutage suchen viele Stiefmütter nach Vor- und Leitbildern, aber wer kann und will sich denn mit dem negativen Bild der märchenhaften Stiefmutter identifizieren? Gibt es solche bösen Stiefmütter überhaupt? Und wer würde sich mit Wissen dieser Geschichten von vornherein so bezeichnen und zu erkennen geben wollen?
Die heutige Stiefmutter
Heute leben die leiblichen Mütter meistens noch, die Kinder sind gut versorgt und die neuen Partnerinnen der Väter sträuben sich verständlicherweise gegen diesen negativen Begriff. Es gibt aber keinen anderen, der die Beziehung der neuen Partnerin zum Kind beschreiben könnte. Neuere Versuche, zum Beispiel Bonusmutter1 oder Zweitmama, setzen sich nicht durch. Bonus ist mit einer kostenlosen Zugabe verknüpft, die oftmals nicht wertgeschätzt wird. Die Zweite zu sein widerspricht oft dem Wunsch, die Nr.1 des Partners sein zu wollen. Eine Abwertung scheint also zwangsläufig damit verbunden zu sein. In der Regel wird die Beziehung zwischen neuer Partnerin und den Kindern des Vaters also nicht benannt, man ruft sich beim Vornamen oder be­schreibt den Kontext über den Vater, zum Beispiel »Die Kinder meines Partners«, »Die Freundin meines Vaters«.
Aber wie ist die Beziehung zum Kind des Partners denn in der Realität? Was macht sie aus? Wie sieht es in den Patchworkfamilien aus? Wieso ist es so schwer, einen neuen Begriff zu finden? Wieso bleibt der alte so haften?
In meiner Kölner Praxis biete ich »Stiefmütter-Work­shops«2 an. Oftmals herrscht bei den Interessentinnen Verwirrung, ob man überhaupt teilnehmen darf. Darf man überhaupt diesen mächtigen Begriff für sich in Anspruch nehmen? Damit hätte man eine Bedeutung für die anderen Familienmitglieder und zusätzlich das Potenzial, in der Familie die Regie zu übernehmen. Die Stiefmutter nach altem Bild regelt den Haushalt, hat Kinder und Mann im Griff. Alles geschieht nach ihren Vorstellungen.
Davon sind die heutigen Stiefmütter meistens weit entfernt. Das alte Stiefmütterbild ist zwar negativ, aber macht- und damit reizvoll für Frauen, die gerne Teil dieser Familie sein wollen.
Fragen von Stiefmüttern in meiner Praxis sind zum Beispiel:
»Wenn die Mutter noch lebt, ich nicht in erster Linie in die Familie komme, um die Kinder zu versorgen, bin ich dann überhaupt eine Stiefmutter?«
»Wenn ich mit den Kindern meines Mannes gut auskomme, ich mich aber nicht für die Kinder verantwortlich fühle, bin ich dann eine Stiefmutter?«
»Wenn ich mich von den Kindern fernhalte, mich aus allem ­heraushalte und nur ›zu Besuch‹ da bin, wenn sie da sind, bin ich dann eine Stiefmutter?«
»Wenn die Mutter psychisch krank ist, das Kind in Gefahr gebracht hat und ich nun alles (natürlich in Absprache mit meinem Mann) tue, um das Kind mit all meiner Liebe zu retten, bin ich dann eine Stiefmutter?«
»Wenn der Sohn meines Mannes mich ›Mama‹ nennt, bin ich dann eine Stiefmutter?«
»Wenn kein Kontakt zu den Kindern meines Mannes besteht, bin ich dann eine Stiefmutter?«
»Wenn mein Mann die komplette Versorgung mithilfe einer Kinderfrau übernimmt, bin ich dann eine Stiefmutter?«
»Wenn mein neuer Partner schon erwachsene Kinder hat, bin ich dann noch eine Stiefmutter?«
Meine Antwort: Psychologisch gesehen ist jede Frau, deren Liebespartner ein Kind hat, eine Stiefmutter.
Die neuen Stiefmütter spüren deutlich die Nachteile, wenn man nicht mehr eindeutig in ein gesellschaftliches Bild oder eine Kategorie hineinpasst. Sie kommen nämlich nicht vor, sie fühlen sich nicht gesehen, nicht wahrgenommen und ringen ständig mit der Frage: Darf ich überhaupt sein? Muss ich mich unsichtbar machen? Darf ich eigene Ansprüche haben oder ist das schon »böse«?
Die Unsicherheit in der Rolle und Position der Stiefmutter ist groß und ebenso die Angst, die Beziehung zu den Kindern des Mannes falsch zu gestalten.
Aber was macht die Beziehung aus zwischen Kindern eines Mannes und seiner neuen Frau? Wie ist und funktioniert sie? Wie fühlt sie sich an? Was passiert zwischen den beiden?
Ich will zwei häufige Fallen, in die man als neue Part­nerin eines Mannes mit Kindern tappen kann, aufzeigen. In den Beispielen3 wird auch deutlich, dass die Frauen, die mit bestem Wissen und Gewissen ihre »gute Stiefmutterrolle« antreten und alles richtig machen wollen, schnell und ungewollt zur »bösen Stiefmutter« werden können.
Die Mutterfalle
Sabine, 32, weiß, dass Lukas, 7, eine Mutter hat und diese heiß und innig liebt. Lukas ist Ralfs Sohn. Sabine und Ralf kennen sich jetzt seit drei Jahren, seit einem Jahr sind sie zusammengezogen und jedes zweite Wochen­ende kommt Lukas zu ihnen. Am Anfang verstanden sich Lukas und Sabine sehr gut, sie haben zusammen gebacken, gekocht, gemalt, gebastelt, getobt und gespielt. Lukas tat Sabine leid, er musste so viel mitmachen. Ralf und seine Exfrau haben sich einen erbitterten Rosenkrieg geliefert und Lukas hat davon viel mitbekommen. Oft hat sie mit Lukas zusammen geheult und ihm einen warmen Kakao gemacht, ihn zu Bett gebracht und ihn getröstet. Sie kann nicht verstehen, wie Lukas’ Mutter ihrem Kind so etwas antun kann. Mütter wollen doch ihr Kind behüten und beschützen. Sabine hat Lukas ein Schutzengelchen gekauft, das auf Lukas aufpassen soll. Sie kauft immer Lukas’ Lieblings­joghurts, wenn er kommt, um zu zeigen, dass sie sich auf ihn freut. Sie fühlt sich ­wirklich verantwortlich und hat das Gefühl, sie kann einiges, was ihr Partner mit verursacht hat, wiedergutmachen. An den Lukas-Wochenenden guckt sie, dass sie viel Zeit hat, und vertröstet ihre Freundinnen und ihre Familie.
Seit einiger Zeit ist Sabine aber zunehmend unzufrieden mit der Situation. Sie bemüht sich immer noch um Lukas, hat aber das Gefühl, dass Lukas ein falsches Spiel spielt. Vor ein paar Wochen hat sie zufällig ein Telefonat mit seiner Mutter mitbekommen, bei dem Lukas sagte: »Nein, nein, dann bin ich mit Papa alleine, die Ziege fährt endlich weg!« Sabine fuhr am Abend zu einer Freundin und zu ihr hatte Lukas gesagt, dass er traurig sei, dass sie das Wochenende nicht da sei! Seitdem kann sie Lukas gar nicht mehr trauen, fühlt sich verraten und sieht nicht mehr ein, sich um ihn zu bemühen. Auf ­einmal fällt ihr auch auf, wie Lukas sie ausnutzt, letzt­endlich nur, um mit seinem Vater mehr Zeit zu haben. Sie bemerkt, wie sie »böse« Gedanken hat: »Der soll jetzt einfach ins Bett gehen! Ist doch egal, wenn er Angst hat. Da kommt er schon drüber! Völlig übertrieben, ihm jetzt noch eine Geschichte vorzulesen.« Letztes Wochenende hat sie extra andere Joghurts gekauft und sich extra mit ihrer Freundin verabredet, obwohl sie einen gemeinsamen Ausflug an dem Tag geplant hatten. »Sollen sie doch alleine fahren!«
Sabine ist in die Mutterfalle getappt. Obwohl Sabine genau weiß, dass sie nicht die Mutter ist, hat im Umgang mit Lukas ihr unbewusstes Mutterbild Regie geführt. Wahrscheinlich ist das aus eigenen Muttererfahrungen (als Tochter ihrer Mutter) und einer Muttersehnsucht entstanden. Sie hat mit bestem Wissen und Gewissen und mit Liebe für Lukas gesorgt und ihre eigenen Bedürfnisse gerne hintangestellt. Damit ist sie direkt in die Mutterkonkurrenz geraten. Lukas hat eine enge Bindung zu seiner Mutter, die er für nichts auf der Welt aufs Spiel setzen würde. Gleichzeitig genießt er Sabines Fürsorge und spürt, wie gut sie ihm tut.
Lukas muss nun aufpassen, dass er seine Bindung zu seiner Mutter nicht durch das Hingezogenfühlen zu Sabine gefährdet. Er steckt – natürlich unbewusst – in einem Loyalitätskonflikt.
Lukas braucht nun eine Doppelstrategie, um die Situation für sich zu lösen. Um die Zeit mit Sabine genießen zu können, muss er seine Mutter beruhigen. Das macht er, indem er die Formulierung seiner Mutter aufgreift und Sabine »Ziege« nennt. Ist diese Baustelle beruhigt, kann Lukas sich ganz dem Genuss mit Sabine hingeben. Dumm ist nur, wenn Sabine die Worte hört, die nicht für sie bestimmt sind.
Sabine fühlt sich getroffen. Ihre mütterliche, mitfühlende Liebe wird beschimpft, verraten und abgewertet. Das tut weh. Und schon fängt das Gedanken- und Gefühlsrad an, sich zu drehen. Aus der liebevollen, mütterlichen Sabine wird die bockige, abweisende bis hin zur gemeinen Sabine. Und schon ist der Weg frei zur »fiesen« Stiefmutter.
Die Prinzessinnenfalle
Wenn ich aufpasse, nicht in die Mutterfalle zu geraten, wie kann ich dann meine Beziehung zum Kind gestalten?
Claudia, 29, ist seit fünf Jahren mit Stefan, 36, zusammen. Karla, 9, ist ein süßes, niedliches Mädchen. Aktueller Anlass der Beratung sind heftige Streits in der Kleinfamilie, die die Kinderwochenenden zur Hölle werden lassen. Die Liebesbeziehung zwischen Claudia und Stefan steht (wieder einmal) kurz vor dem Aus.
Claudia erträgt Karla nicht mehr. Sie kann nicht mehr mit ihr essen, weil ihr schlecht wird, wenn sie sie schmatzen und »rumsauen« sieht. Sie haben die gemeinsamen Aktivitäten schon sehr reduziert, aber es geht im Mo­ment noch nicht einmal mehr gemeinsames Fernsehen, weil es Claudia »ankotzt«, sich »dieses Gekuschel mit ansehen zu müssen«. Vater und Tochter sind immer ein Herz und eine Seele, und sie ist ständig das dritte Rad am Wagen. Ihr Partner stellt sich stets vor seine Tochter, eine Paarbeziehung gibt es eigentlich nicht, wenn Karla da ist. Sie vermisst ihren liebenden Partner, der er ist, wenn Karla nicht da ist. Deshalb sind sie auch noch zusammen, weil die Zeiten ohne Karla wunderbar sind. Was ist da los?
Claudia ist in einer Großfamilie großgeworden. Sie hat noch drei Schwestern. Sie musste als älteste viel mithelfen und Verantwortung übernehmen. Wenn Sie das getan hat, hat sie quasi als Dankeschön Aufmerksamkeit ihres Vaters bekommen. Sie erinnert die Momente, die sie alleine mit ihrem Vater war und in denen er sie auf seinen Knien sitzen ließ, als die schönsten ihrer Kindheit. Sie war insgesamt sehr brav und es ist heute noch eine Selbstverständlichkeit für sie, darauf zu achten, dass es anderen gut geht.
Jetzt ist sie mit Stefan zusammen, sieht sich in den kindfreien Zeiten der Realisierung ihres Kindheitstraums näher als je zuvor. Sie wird von einem Ritter auf einem weißen Pferd hochgehoben und wird seine Prinzessin. Sein Ein und Alles! Und was sieht sie an den Kinderwochenenden: ein kleines Mädchen, das frech, rotzig und dreist ist, sich überhaupt nicht um andere kümmert und trotzdem und immer von ihrem Vater Aufmerksamkeit bekommt und sein Ein und Alles ist. Das ist Karla. In ihren Augen verstößt sie gegen alle Regeln und Prinzipien; aber nicht sie, Claudia, die alle vorbildlich versorgt, ist Prinzessin, sondern Karla! Das kann sie nicht ertragen! Sie geht als kleine Claudia mit Karla in Konkurrenz und nutzt nun ihr Erwachsenenpotenzial, um sie vom Sockel zu stoßen. Der Weg ist frei für die »fiese« Stiefmutter …
Was bestimmt die Beziehung zwischen Stiefkindern und Stiefmutter?
Das Vakuum, das entsteht, wenn man den negativen Begriff »Stief­mutter« nicht annehmen will, ist groß: Wie soll esdenn sein? Wie geht denn eine »gute« Stiefmutter? Wie ist es denn richtig? Wenn ich nicht mütterlich sein darf oder will, was bleibt dann? Wie ­vermeide ich es, mit dem Kind zu konkurrieren? Wie gehe ich erwachsen mit mir, meinen Bedürfnissen und Gefühlen, mit dem Kind und der gesamten Situation um?
Beziehungsschablonen, die nicht weiterhelfen
Die Schwierigkeit wird also bereits an der Begrifflichkeit deutlich. Unsere Gesellschaft bietet uns derzeit auch kein Leit- oder Vorbild, das als Orientierung funktionieren würde, wie es das zum Beispiel für die großmütige Großmutter gibt, die selber Spaß mit den Enkelkindern haben sollte.
Für eine Frau, die sich auf eine Liebesbeziehung mit einem Mann einlässt, der bereits Kinder hat, genügen Kategorien wie Geliebte oder Ehefrau nicht mehr, sobald die Kinder in irgendeiner Form Einfluss auf die Liebesbeziehung haben.
Marlene ist im 7. Himmel. Seit drei Monaten ist sie mit Klaus zusammen. Sie haben sich auf einer Fortbildung kennengelernt. Jedes zweite Wochenende reist sie nun von Hamburg nach München, oder er von München nach Hamburg, und sie verbringen eine traumhafte Zeit. Es ist so, als ob ihr Wunsch, den Mann fürs Leben zu finden, in Erfüllung gegangen ist. Klaus ist aufmerksam, täglich telefonieren sie und er schreibt wunderbare SMS. Er ist fürsorglich, verantwortungsvoll und kümmert sich – den Erzählungen nach – rührend um seine Kinder. Sie genießt das Verbundensein mit ihm und hat gleichzeitig das Gefühl, sie hat genug Zeit, sich um ihren Job und ihr soziales Netz zu kümmern. Nun hat ihre beste Freundin Geburtstag und macht eine Riesenparty, es wäre eine super Gelegenheit, ihn allen ihren Freundinnen vorzustellen. Doch Klaus hat Kinderwochenende und ist nicht bereit, eine Ausnahme zu machen. Sie ist verwirrt.
Wäre sie nur die Geliebte, würde er doch alles stehen und liegen lassen, um mit ihr auf die Party zu kommen. So war es zumin­dest in der Verliebtheitsphase bei ihren vorherigen Beziehungen. Da­durch, dass er Vater ist, ist sie auch automatisch Stiefmutter und spürt, wie er neben der Verliebtheit zu ihr noch eine andere innige Verbundenheit mit seinen Kindern lebt. Das tut weh.
Ebenso reichen die bekannten Beziehungsschablonen wie Mutter, Lehrerin oder große Schwester in Bezug auf Kinder nicht mehr aus, da die Beziehung nicht freiwillig und nicht unabhängig von der Liebesbeziehung zum Mann eingegangen wird.
Katja ist Grundschullehrerin und liebt ihren Job. Sie wollte schon immer mit Kindern arbeiten, sie liebt Kinder über alles und will auch möglichst bald selbst welche. Von daher hat sie sich eher gefreut, als Martin ihr von seinen Kindern erzählte, und sah überhaupt kein Problem. Sie waren sechs und neun, also genau die Altersklasse, mit der sie sich super auskennt. Sie kommt gut mit ihren Schulkindern klar und bekommt viel Anerkennung von den Kindern und deren Eltern. Die Trennung der Exfrau von Martin war schwierig, daher hatte sie totales Verständnis, dass die Kinder zunächst nicht nett zu ihr waren. Dann noch der Umzug, dann der neue Freund der Mutter, dann Schwierigkeiten in der Schule, dann die schwere Bronchitis, dann der dolle Regentag … Es gab immer neue Gründe, weshalb sie verstehen konnte, dass die Kinder nichts mit ihr zu tun haben wollten. Aber jetzt, nach eineinhalb Jahren, kann sie ihr Gekränktsein nicht mehr in Schach halten und ist mit ihrem Latein am Ende.
Auch hier gibt es trotz größtem Verständnis Grenzen. Als Mutter oder Lehrerin hat man Anhaltspunkte, wie man mit dem Kind umgehen könnte. Hier spürt Katja nur, dass andere Kräfte mit im Spiel sind, die sie stark verunsichern.
Jede Frau und jede Familie ist anders und individuell zu betrachten. Pauschalantworten auf typische Fragestellungen machen da­her keinen Sinn. Die Tatsache, dass es aber typische Fragen gibt, deutet daraufhin, dass es in allen Familien oder bei jeder Frau Situationen gibt, die in die Sackgasse führen, sie in die Enge zwingen und unzufrieden werden lassen. Diese Ereignisse sind in meiner Praxis jeweils Ausgangspunkt der Beratung.
Ausgehend von den Beschreibungen schwieriger Situationen wird aus der Perspektive der Stiefmutter beleuchtet, was »zwischen den Zeilen« passiert, was in den beteiligten Menschen vorgeht und welche Faktoren und Geschichten eine Rolle spielen.
Entscheidend ist also nicht die Frage »Wie sollte es denn sein?« und »Wie ist es denn richtig?«, sondern in erster Linie »Wasist?«. Oftmals wird im Beratungsprozess deutlich, dass man gar nicht genau wahrgenommen hat, wie esist. Die ganze Zeit redet oder denkt man darüber nach, wie andere es hinkriegen, was man so gerne hätte, wie es sich gehört oder wie die Situation von außen gesehen wird. Und genau das verhindert das Hingucken: Wie ist es denn? Wie sieht unsere Realität aus? Mit welchen Bedingungen müssen wir umgehen?
In diesem Prozess werden also alle Eigenheiten und Bedürfnisse der Familienmitglieder beleuchtet und es wird versucht, sie einzubeziehen. Es geht nicht darum, jemanden zu ändern oder zu verbiegen, sondern zu verstehen. Und wer versteht, der kann handeln!
Die schwierige Beziehung spiegelt sich auch im Namensgebungsprozess wieder. Wie nenne ich mich als neue Be­zugs­person für die Kinder? Wie nenne ich die Kinder?
Der Beziehung einen Namen geben
Oftmals ist es eine Lösung, Dinge oder Angelegenheiten zu benennen. In dem Moment, in dem man von einer Liebesbeziehung spricht, lösen sich Ängste auf, dass es nur eine Affäre sei. Oder in dem Moment, in dem die Traurigkeit bei einem Kind erkannt und genannt wird, darf sie sein und das Kind muss sich nicht mehr anstrengen, gefasst mit einem Geschehen umzugehen.
Wenn spürbar ist, dass die ungeklärte Beziehung zwischen der Stiefmutter und dem Kind einen von beiden oder beide beschäftigt, tut es gut, darüber zu sprechen. Dabei sind nicht die Antworten wichtig, sondern die Fragen, die einem durch den Kopf gehen. Es ist auch nicht wichtig, eine allgemeingültige Lösung zu finden, sondern entscheidend und produktiv ist der Prozess. Ohne Druck und Ergebniszwang kann man in sich hineinspüren und versuchen, den anderen an dem, was man fühlt, teilhaben zu lassen.
Eva, 34, wird von Marla, 6, »Eva« genannt. Das ist okay für beide. Letztens aber war Marlas Freundin zu Besuch und Marla erklärte: »Das ist Papas Freundin, nicht meine Mama, aber die ist trotzdem nett.« Eva guckte etwas verdutzt. Nach dem Besuch kam Marla und erklärte, dass ihre Mutter ihr ein Märchen vorgelesen habe und da sei die neue Frau vom Papa die Stiefmutter und die war ganz böse.
Eva war immer noch erstaunt, dass Marla es anscheinend weiterhin beschäftigt. Sie selbst fühlt sich mit »Papas Freundin« auch nicht sonderlich gut. Und jetzt? Beim Abendessen fing es an, Marla erzählte ihrem Vater von der Situation und der meinte: »Ja, dann sucht euch doch einen Namen füreinander aus!« Seitdem gibt es ständig neue Vorschläge, zwischendurch beim Spielen, während des Spazierengehens, beim Essen, immer wieder fällt der einen oder der anderen ein Name ein.
Dann kommt entweder direkt ein »Nein, zu lang, zu doof, zu albern, zu umständlich …!« oder man behält ihn eine Weile. Im Moment heißt Eva für Marla »Blumenmama« und Marla ist für Eva das »Herzensmädchen«. Aber das sind bestimmt nicht die letzten Namen …
Hier wird in spielerischer Form versucht, die Beziehung zu be­grei­fen und ihr Ausdruck zu verleihen. Je nach Lust und Laune und auch Gelegenheit könnte man hier sogar noch weitergehen. »Wieso Blumenmama?« – »Weil sie gut duften und du riechst so gut!«
Die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung beider wird durch das Spiel der Namenssuche auf ihre Beziehung gelenkt. Es kann ausprobiert werden, gleichzeitig erfährt man viel über die Bedeutung, die man für den anderen hat. Das gemeinsame Suchen kann zur Gemeinsamkeit führen und Verbindung schaffen.
Es kann aber auch sein, dass Begriffe gebraucht werden, um sich abzugrenzen. Wenn das Kind oder die neue Stiefmutter spürt, dass sie eine bestimmte Rolle oder Position einnehmen soll, das aber nicht mit ihrem Gefühl übereinstimmt, können Begriffe wie »Papas Freundin« und »Kind von meinem Partner« Entlastung und Ge­lassenheit bringen. Die Abgrenzung, das eigenständige Sein, wird hier zur Basis einer klaren Beziehung, die sich dann erst ent­wickeln kann.
Judith, 32, ist seit drei Jahren mit Philipp, 42, zusammen, der eine 10 und eine 13 Jahre alte Tochter hat. Judith ist eine eher natürliche Frau, die nicht viel Wert auf Kosmetik und Mode legt. Die Mädchen dagegen sind sehr da­rauf bedacht, perfekt geschminkt und gekleidet zu sein. Letztes Jahr waren sie zu viert im Urlaub und Judith hatte ziemliche Probleme mit dem Gedanken, dass jetzt alle denken könnten, sie sei die Mutter von diesen »aufgetakelten« Mädchen. Die Mädchen verkörperten ein Frauenbild, von dem sie sich ansonsten immer distanzieren würde, gleichzeitig verstand sie sich gut mit ihnen und wollte sie nicht kritisieren oder ihnen gar etwas vorschreiben. Sie merkte, dass es ihr absolute Erleichterung verschaffte, wenn sie bei Urlaubsbekanntschaften direkt ihre Familienverhältnisse offenlegte und erzählte, dass das die Kinder ihres Partners aus erster Ehe seien und sie nicht die Mutter. Die Mädchen betonten ebenfalls bei jeder Gelegenheit, dass sie mit ihrem Vater und seiner neuen Frau hier wären.
Die demonstrative Distanz gibt allen dreien die Freiheit, so zu sein, wie sie sind, und sich nicht miteinander definieren zu müssen. Dabei kann es in manchen Phasen der Beziehung wichtig sein, das auch anderen mitzuteilen. Hat man miteinander ein stabiles Selbstverständnis, dass man so sein darf, wie man ist, wird es immer unwichtiger, den Status der Beziehung zu äußern und mitzuteilen.
Oftmals ist die Namensgebung ein wichtiger Bestandteil der Be­zie­hungsdefinition. Das kann besonders bei hochstrittigen Trennungsfamilien oder bei Familien mit psychisch kranken Eltern­teilen von großer Bedeutung sein.