Goethe,J.W.v.,Gesammelte Werke - Johann Wolfgang Goethe - E-Book

Goethe,J.W.v.,Gesammelte Werke E-Book

Johann Wolfgang Goethe

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Beschreibung

Goethes Lyrik ist groß und gewaltig, klein und frech, ernst und witzig, tiefgründig, beiläufig und unerschöpflich. Sie ist das größte Dichtkunst-Universum, das in deutscher Sprache je entstanden ist. Goethes Gedichte sind ein Lebens-Werk im wahrsten Sinn des Wortes, geschrieben über einen Zeitraum von beinahe siebzig Jahren hinweg. Sie lassen sich immer neu erkunden und geben jedes Mal neue Facetten ihres Zaubers und Geheimnisses preis. Das macht mit dieser prächtig ausgestatteten Edition besonders viel Freude.Passend zum Inhalt ist diese wunderschöne Geschenk-Ausgabe in edles Iris-Leinen gebunden und mit Goldprägung versehen.

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Seitenzahl: 780

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Johann Wolfgang von GoetheGesammelte Werke

Johann Wolfgang von Goethe

Gesammelte Werke

Die Gedichte

Anaconda

Die Texte dieses Bandes folgen in Gestalt und Anordnung der AusgabeGoethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. von Erich Trunz.Band 1: Gedichte und Epen I. Band 2: Gedichte und Epen II.

Band 7: Romane und Novellen II (Wilhelm Meisters Lehrjahre).

Band 8: Romane und Novellen III (Wilhelm Meisters Wanderjahre).München: C. H. Beck 1981. Sie wurden unter Wahrung des Lautstandes, der Interpunktion sowie sprachlich-stilistischer Eigenheiten der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2015 Anaconda Verlag GmbH, Köln

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Porträt, Punktierstich von Thomas Wright (1792–1849) nach einem Gemälde (1819) von George Dawe (1781–1829), Foto: akg-images

Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bonn

ISBN 978-3-7306-0221-8eISBN [email protected]

INHALT

Frühe Gedichte

Gedichte der Knabenjahre

Anakreontik

Sturm und Drang

Sesenheimer Lieder

Die großen Hymnen

Die Künstlergedichte

Balladen

Gelegenheitsgedichte

Lili

Gedichte der ersten Mannesjahre

Gelegenheitsgedichte aus dem Weimarer Kreise

Verse an Lida

Natur- und Weltanschauungs-Lyrik

Balladen

Die Zeit der Klassik

Römische Elegien

Venezianische Epigramme

Elegien und Lehrgedichte

Vermischte Epigramme

Xenien

Lyrisches

Gedichte auf Personen und Ereignisse

Balladen

Sonette

Alterswerke

Sprüche

Gedichte an Personen

Die weltanschaulichen Gedichte

Die späte Lyrik

Gedichte aus »Wilhelm Meister«

West-Östlicher Divan

Reineke Fuchs

Hermann und Dorothea

Achilleis

FRÜHE GEDICHTE

Gedichte der Knabenjahre

Bei dem erfreulichen Anbruche des 1757. Jahreswollte seinen hochgeehrtesten und herzlichgeliebten Großelterndie Gesinnungen kindlicher Hochachtung und Liebedurch folgende Segenswünsche zu erkennen gebenderoselben treugehorsamster Enkel Johann Wolfgang Goethe.

Erhabner Großpapa!

Ein Neues Jahr erscheint,

Drum muss ich meine Pflicht und Schuldigkeit entrichten,

Die Ehrfurcht heißt mich hier aus reinem Herzen dichten,

So schlecht es aber ist, so gut ist es gemeint.

Gott, der die Zeit erneut, erneure auch Ihr Glück,

Und kröne Sie dies Jahr mit stetem Wohlergehen;

Ihr Wohlsein müsse lang so fest wie Zedern stehen,

Ihr Tun begleite stets ein günstiges Geschick;

Ihr Haus sei wie bisher des Segens Sammelplatz,

Und lasse Sie noch spät Möninens Ruder führen,

Gesundheit müsse Sie bis an Ihr Ende zieren,

Dann diese ist gewiss der allergrößte Schatz.

Erhabne Großmama!

Des Jahres erster Tag

Erweckt in meiner Brust ein zärtliches Empfinden

Und heißt mich ebenfalls Sie jetzo anzubinden

Mit Versen, die vielleicht kein Kenner lesen mag;

Indessen hören Sie die schlechte Zeilen an,

Indem sie wie mein Wunsch aus wahrer Liebe fließen.

Der Segen müsse sich heut über Sie ergießen,

Der Höchste schütze Sie, wie er bisher getan.

Er wolle Ihnen stets, was Sie sich wünschen, geben

Und lasse Sie noch oft ein Neues Jahr erleben.

Dies sind die Erstlinge, die Sie anheut empfangen,

Die Feder wird hinfort mehr Fertigkeit erlangen.

Bei diesem neuen Jahreswechsel überreichtseinen verehrungswürdigen Großeltern dieses Opferaus kindlicher HochachtungJoh. Wolfg. Goethe den 1. Jenner 1762.

Großeltern, da dies Jahr heut seinen Anfang nimmt,

So nehmt auch dieses an, das ich vor Euch bestimmt,

Und ob Apollo schon mir nicht geneigt gewesen,

So würdiget es doch nur einmal durchzulesen.

Ich wünsch aus kindlichem gehorsamen Gemüte

Euch alles Glück und Heil von Gottes Hand und Güte,

Sein guter Engel sei bei Euch in aller Zeit.

Er geb’ Euch das Geleit in Widerwärtigkeit

Sowohl als in dem Glück und lass Euch lang noch leben,

Dass Ihr Urenklen noch den Segen könnet geben;

Dies schreibt der älteste von Eurer Töchter Söhnen,

Um sich auch nach und nach zu denken angewöhnen,

Und zeigt ingleichen hier mit diesen Zeilen an,

Was er dies Jahr hindurch im Schreiben hat getan.

Wenn mich bis übers Jahr die Parzen schonen täten,

Wie gerne wollt’ ich denn mit fremder Zunge reden.

POETISCHE GEDANKENÜBER DIE HÖLLENFAHRT JESU CHRISTIAuf Verlangen entworfen von J. W. G.

Welch ungewöhnliches Getümmel!

Ein Jauchzen tönet durch die Himmel.

Ein großes Heer zieht herrlich fort.

Gefolgt von tausend Millionen

Steigt Gottes Sohn von seinen Thronen

Und eilt an jenen finstern Ort.

Er eilt, umgeben von Gewittern;

Als Richter kommt Er und als Held.

Er geht, und alle Sterne zittern.

Die Sonne bebt. Es bebt die Welt.

Ich seh’ Ihn auf dem Siegeswagen,

Von Feuerrädern fortgetragen,

Den, der für uns am Kreuze starb.

Er zeigt den Sieg auch jenen Fernen,

Weit von der Welt, weit von den Sternen,

Den Sieg, den Er für uns erwarb.

Er kommt, die Hölle zu zerstören,

Die schon sein Tod darnieder schlug;

Sie soll von Ihm ihr Urteil hören.

Hört! Jetzt erfüllet sich der Fluch.

Die Hölle sieht den Sieger kommen,

Sie fühlt sich ihre Macht genommen.

Sie bebt und scheut Sein Angesicht.

Sie kennet Seines Donners Schrecken.

Sie sucht umsonst sich zu verstecken.

Sie sucht zu fliehn und kann es nicht.

Sie eilt vergebens, sich zu retten

Und sich dem Richter zu entziehn,

Der Zorn des Herrn, gleich ehrnen Ketten,

Hält ihren Fuß, sie kann nicht fliehn.

Hier lieget der zertretne Drache,

Er liegt und fühlt des Höchsten Rache,

Er fühlet sie und knirscht vor Wut.

Er fühlt der ganzen Hölle Qualen,

Er ächzt und heult bei tausend Malen:

Vernichte mich, o heiße Glut!

Da liegt er in dem Flammen-Meere,

Ihn foltern ewig Angst und Pein.

Er flucht, dass ihn die Qual verzehre,

Und hört, die Qual soll ewig sein.

Auch hier sind jene große Scharen,

Die mit ihm gleichen Lasters waren,

Doch lange nicht so bös als er.

Hier liegt die ungezählte Menge,

In schwarzem schröcklichen Gedränge,

Im Feuer-Orkan um ihn her.

Er sieht, wie sie den Richter scheuen,

Er sieht, wie sie der Sturm zerfrisst.

Er sieht’s und kann sich doch nicht freuen,

Weil seine Pein noch größer ist.

Des Menschen Sohn steigt im Triumphe

Hinab zum schwarzen Höllen-Sumpfe

Und zeigt dort Seine Herrlichkeit.

Die Hölle kann den Glanz nicht tragen,

Seit ihren ersten Schöpfungstagen

Beherrschte sie die Dunkelheit.

Sie lag entfernt von allem Lichte,

Erfüllt von Qual im Chaos hier.

Den Strahl von Seinem Angesichte

Verwandte Gott auf stets von ihr.

Jetzt siehet sie in ihren Grenzen

Die Herrlichkeit des Sohnes glänzen,

Die fürchterliche Majestät.

Sie sieht mit Donnern Ihn umgeben,

Sie sieht, dass alle Felsen beben,

Wie Gott im Grimme vor ihr steht.

Sie sieht’s, Er kommet, sie zu richten,

Sie fühlt den Schmerzen, der sie plagt;

Sie wünscht umsonst, sich zu vernichten.

Auch dieser Trost bleibt ihr versagt.

Nun denkt sie an ihr altes Glücke,

Voll Pein an jene Zeit zurücke,

Da dieser Glanz ihr Lust gebar;

Da noch ihr Herz im Stand der Tugend,

Ihr froher Geist in frischer Jugend

Und stets voll neuer Wonne war.

Sie denkt mit Wut an ihr Verbrechen,

Wie sie die Menschen kühn betrog.

Sie dachte sich an Gott zu rächen,

Jetzt fühlt sie, was es nach sich zog.

Gott ward ein Mensch. Er kam auf Erden.

Auch dieser soll mein Opfer werden,

Sprach Satanas und freute sich.

Er suchte Christum zu verderben,

Der Welten Schöpfer sollte sterben.

Doch weh dir, Satan, ewiglich!

Du glaubtest Ihn zu überwinden,

Du freutest dich bei Seiner Not.

Doch siegreich kommt Er, dich zu binden.

Wo ist dein Stachel hin, o Tod?

Sprich, Hölle! Sprich, wo ist dein Siegen?

Sieh nur, wie deine Mächte liegen.

Erkennst du bald des Höchsten Macht?

Sieh, Satan! Sieh dein Reich zerstöret.

Von tausendfacher Qual beschweret

Liegst du in ewig finstrer Nacht.

Da liegst du wie vom Blitz getroffen.

Kein Schein vom Glück erfreuet dich.

Es ist umsonst. Du darfst nichts hoffen,

Messias starb allein für mich!

Es steigt ein Heulen durch die Lüfte,

Schnell wanken jene schwarze Grüfte,

Als Christus Sich der Hölle zeigt.

Sie knirscht aus Wut; doch ihrem Wüten

Kann unser großer Held gebieten;

Er winkt, die ganze Hölle schweigt.

Der Donner rollt vor Seiner Stimme.

Die hohe Siegesfahne weht.

Selbst Engel zittern vor dem Grimme,

Wann Christus zum Gerichte geht.

Jetzt spricht Er; Donner ist Sein Sprechen,

Er spricht, und alle Felsen brechen.

Sein Atem ist dem Feuer gleich.

So spricht Er: Zittert, ihr Verruchte!

Der, der in Eden euch verfluchte,

Kommt und zerstöret euer Reich.

Seht auf! Ihr waret Meine Kinder,

Ihr habt euch wider Mich empört.

Ihr fielt und wurdet freche Sünder,

Ihr habt den Lohn, der euch gehört.

Ihr wurdet Meine größten Feinde,

Verführtet Meine liebsten Freunde.

Die Menschen fielen so wie ihr.

Ihr wolltet ewig sie verderben.

Des Todes sollten alle sterben.

Doch, heulet! Ich erwarb sie Mir.

Für sie bin Ich herab gegangen,

Ich litt, Ich bat, Ich starb für sie.

Ihr sollt nicht euren Zweck erlangen.

Wer an Mich glaubt, der stirbet nie.

Hier lieget ihr in ew’gen Ketten,

Nichts kann euch aus dem Pfuhl erretten,

Nicht Reue, nicht Verwegenheit.

Da liegt, krümmt euch in Schwefel-Flammen!

Ihr eiltet, euch selbst zu verdammen,

Da liegt und klagt in Ewigkeit!

Auch ihr, so Ich Mir auserkoren,

Auch ihr verscherztet Meine Huld;

Auch ihr seid ewiglich verloren.

Ihr murret? Gebt Mir keine Schuld.

Ihr solltet ewig mit Mir leben,

Euch ward hierzu Mein Wort gegeben,

Ihr sündigtet und folgtet nicht.

Ihr lebtet in dem Sünden-Schlafe.

Nun quält euch die gerechte Strafe,

Ihr fühlt Mein schreckliches Gericht. —

So sprach Er, und ein furchtbar Wetter

Geht von Ihm aus. Die Blitze glühn.

Der Donner fasst die Übertreter

Und stürzt sie in den Abgrund hin.

Der Gott-Mensch schließt der Höllen Pforten,

Er schwingt Sich aus den dunklen Orten

In Seine Herrlichkeit zurück.

Er sitzet an des Vaters Seiten,

Er will noch immer für uns streiten.

Er will’s! O Freunde! Welches Glück!

Der Engel feierliche Chöre,

Die jauchzen vor dem großen Gott,

Dass es die ganze Schöpfung höre:

Groß ist der Herr Gott Zebaoth!

AN MEINE MUTTER

Obgleich kein Gruß, obgleich kein Brief von mir

So lang dir kömmt, lass keinen Zweifel doch

Ins Herz, als wär’ die Zärtlichkeit des Sohns,

Die ich dir schuldig bin, aus meiner Brust

Entwichen. Nein, so wenig als der Fels,

Der tief im Fluss vor ew’gem Anker liegt,

Aus seiner Stätte weicht, obgleich die Flut

Mit stürm’schen Wellen bald, mit sanften bald

Darüber fließt und ihn dem Aug’ entreißt,

So wenig weicht die Zärtlichkeit für dich

Aus meiner Brust, obgleich des Lebens Strom

Vom Schmerz gepeitscht bald stürmend drüber fließt,

Und von der Freude bald gestreichelt still

Sie deckt und sie verhindert, dass sie nicht

Ihr Haupt der Sonne zeigt und ringsumher

Zurückgeworfne Strahlen trägt und dir

Bei jedem Blicke zeigt, wie dich dein Sohn verehrt.

 

Anakreontik

AN ANNETTEN

Es nannten ihre Bücher

Die Alten sonst nach Göttern,

Nach Musen und nach Freunden,

Doch keiner nach der Liebsten.

Warum sollt’ ich, Annette,

Die Du mir Gottheit, Muse

Und Freund mir bist und alles,

Dies Buch nicht auch nach Deinem

Geliebten Namen nennen?

ZIBLIS,EINE ERZÄHLUNG

Mädchen, setzt euch zu mir nieder,

Niemand stört hier unsre Ruh,

Seht, es kommt der Frühling wieder,

Weckt die Blumen und die Lieder,

Ihn zu ehren hört mir zu.

Weise, strenge Mütter lehren:

Mädchen, flieht der Männer List!

Und doch lasst ihr euch betören.

Hört, ihr sollt ein Beispiel hören,

Wer am meisten furchtbar ist.

Ziblis, jung und schön, zur Liebe,

Zu der Zärtlichkeit gemacht,

Floh aus rauem wilden Triebe —

Nicht aus Tugend — alle Liebe;

Ihre Freude war die Jagd.

Als sie einst tief im Gesträuche

Sorglos froh ein Liedchen sang,

Ward sie blass wie eine Leiche,

Da aus einer alten Eiche

Ein gehörnter Waldgott sprang.

Zärtlich lacht das Ungeheuer,

Ziblis wendet ihr Gesicht,

Läuft, doch der gehörnte Freier

Springt ihr wie ein hüpfend Feuer

Nach und ruft: O flieh mich nicht!

Schrein kann niemals überwinden.

Sie lief schneller, er ihr nach.

Endlich kam sie zu den Gründen,

Da wo unter jungen Linden

Emiren am Wasser lag.

Hilf mir! rief sie. Er voll Freude,

Dass er so die Nymphe sah,

Stand bewaffnet zu dem Streite

Mit dem Ast der nächsten Weide,

Als der Waldgott kam, schon da.

Der trat näher, ihn zu höhnen,

Und ging schnell den Zweikampf ein.

Sie erbebt für Emirenen.

Immer wird das Herz der Schönen

Auf des Schönen Seite sein.

Seinen Feind im Sand zu höhnen

Regt sich Fuß und Arm und Hand

Bald mit Stoßen bald mit Dehnen.

Liebe stärkt die Kraft der Sehnen:

Beide waren gleich entbrannt.

Endlich sinkt der Faun zur Erden,

Denn ihn traf ein harter Streich.

Grässlich zerrt er die Gebärden.

Emiren, ihn loszuwerden,

Wirft ihn in den nächsten Teich.

Ziblis lag mit matten Blicken,

Da der Sieger kam, im Gras.

Wird’s ihm ihr zu helfen glücken?

Leicht sind Mädchen zu erquicken,

Oft ist ihre Krankheit Spaß.

Sie erhebt sich. Neues Leben

Gibt ein heißer Kuss ihr gleich.

Doch, der einen schon gegeben,

Sollte nicht nach mehrern streben?

Das sieht einem Märchen gleich.

Wartet nur! Es folgten Küsse

Hundertweis. Sie schmeckten ihr.

Ja, die Mäulchen schmecken süße,

Und bei Ziblis waren diese

Gar die ersten. Glaubt es mir!

Darum sog mit langen Zügen

Sie begierig immer mehr.

Endlich, trunken von Vergnügen,

Ward dem Emiren das Siegen,

Wie ihr denken könnt, nicht schwer.

Mädchen, fürchtet rauer Leute

Buhlerische Wollust nie.

Die im ehrfurchtsvollen Kleide

Viel von unschuldsvoller Freude

Reden, Mädchen, fürchtet die!

Wacht, denn da ist nichts zu scherzen!

Seid viel lieber klug als kalt.

Zittert stets für eure Herzen!

Hat man einmal diese Herzen —

Ha, das andre hat man bald.

AN DEN SCHLAF

Der du mit deinem Mohne

Der Götter Augen zwingst,

Und Bettler oft zum Throne,

Zum Mädchen Schäfer bringst,

Hör mich: Kein Traumgespinste

Verlang ich heut von dir,

Den größten deiner Dienste,

Geliebter, leiste mir.

An meines Mädchens Seite

Sitz ich, ihr Aug’ spricht Lust,

Und unter neid’scher Seide

Steigt fühlbar ihre Brust.

Oft wären, sie zu küssen,

Die gier’gen Lippen nah,

Doch ach — dies muss ich missen:

Es sitzt die Mutter da!

Heut Abend bin ich wieder

Bei ihr. O, tritt herein,

Sprüh’ Mohn von dem Gefieder,

Da schlaf ’ die Mutter ein,

Blass werd’ der Lichter Scheinen.

Von Lieb’ mein Mädchen warm

Sink, wie Mama in deinen,

Ganz still in meinen Arm.

ANNETTE AN IHREN GELIEBTEN

Ich sah, wie Doris bei Damöten stand,

Er nahm sie zärtlich bei der Hand;

Lang sahen sie einander an,

Und sahn sich um, ob nicht die Eltern wachen,

Und da sie niemand sahn,

Geschwind — genug, sie machten’s wie wir’s machen.

DAS SCHREIENNach dem Italienischen

Jüngst schlich ich meinem Mädchen nach,

Und ohne Hindernis

Umfasst’ ich sie im Hain; sie sprach:

»Lass mich, ich schrei’ gewiss!«

Da droht’ ich trotzig: »Ha, ich will

Den töten, der uns stört!«

»Still«, winkt sie lispelnd, »Liebster, still,

Damit dich niemand hört!«

DIE NACHT

Gern verlass’ ich diese Hütte,

Meiner Schönen Aufenthalt,

Und durchstreich mit leisem Tritte

Diesen ausgestorbnen Wald.

Luna bricht die Nacht der Eichen,

Zephirs melden ihren Lauf,

Und die Birken streun mit Neigen

Ihr den süßten Weihrauch auf.

Schauer, der das Herze fühlen,

Der die Seele schmelzen macht,

Wandelt im Gebüsch im Kühlen.

Welche schöne, süße Nacht!

Freude! Wollust! Kaum zu fassen!

Und doch wollt’ ich, Himmel, dir

Tausend deiner Nächte lassen,

Gäb’ mein Mädchen eine mir.

WUNSCH EINES KLEINEN MÄDCHEN

Ach, fände für mich

Ein Bräutigam sich!

Wie schön ist’s nicht da,

Man nennt uns Mama,

Da braucht man zum Nähen,

Zur Schul’ nicht zu gehen,

Da kann man befehlen,

Hat Mägde, darf schmälen,

Da schickt man zum Schneider,

Gleich bringt der uns Kleider.

Da lässt man spazieren,

Auf Bälle sich führen

Und fragt nicht erst lange

Papa und Mama.

DIE FREUDEN

Da flattert um die Quelle

Die wechselnde Libelle,

Der Wasserpapillon,

Bald dunkel und bald helle

Wie ein Chamäleon;

Bald rot und blau, bald blau und grün,

O dass ich in der Nähe

Doch seine Farben sähe!

Da fliegt der Kleine vor mir hin

Und setzt sich auf die stillen Weiden.

Da hab’ ich ihn, da hab’ ich ihn!

Und nun betracht’ ich ihn genau

Und seh’ ein traurig dunkles Blau.

So geht es dir, Zergliedrer deiner Freuden!

UNBESTÄNDIGKEIT

Auf Kieseln im Bache, da lieg’ ich, wie helle,

Verbreite die Arme der kommenden Welle,

Und buhlerisch drückt sie die sehnende Brust.

Dann trägt sie ihr Leichtsinn im Strome darnieder,

Schon naht sich die zweite und streichelt mich wieder,

Da fühl’ ich die Freuden der wechselnden Lust.

O Jüngling, sei weise, verwein’ nicht vergebens

Die fröhlichsten Stunden des traurigen Lebens,

Wenn flatterhaft je dich ein Mädchen vergisst.

Geh, ruf sie zurücke, die vorigen Zeiten,

Es küsst sich so süße der Busen der zweiten

Als kaum sich der Busen der ersten geküsst.

AN DEN MOND

Schwester von dem ersten Licht,

Bild der Zärtlichkeit in Trauer,

Nebel schwimmt mit Silberschauer

Um dein reizendes Gesicht.

Deines leisen Fußes Lauf

Weckt aus tagverschlossnen Höhlen

Traurig abgeschiedne Seelen,

Mich, und nächt’ge Vögel auf.

Forschend übersieht dein Blick

Eine großgemessne Weite.

Hebe mich an deine Seite,

Gib der Schwärmerei dies Glück!

Und in wollustvoller Ruh

Säh’ der weitverschlagne Ritter

Durch das gläserne Gegitter

Seines Mädchens Nächten zu.

Dämmrung, wo die Wollust thront,

Schwimmt um ihre runden Glieder.

Trunken sinkt mein Blick hernieder —

Was verhüllt man wohl dem Mond!

Doch was das für Wünsche sind!

Voll Begierde zu genießen,

So da droben hängen müssen —

Ei, da schieltest du dich blind!

ODEN AN MEINEN FREUND. 1767.

Erste Ode

Verpflanze den schönen Baum,

Gärtner, er jammert mich.

Glücklicheres Erdreich

Verdiente der Stamm.

Noch hat seiner Natur Kraft

Der Erde aussaugendem Geize,

Der Luft verderbender Fäulnis,

Ein Gegengift, widerstanden.

Sieh, wie er im Frühling

Lichtgrüne Blätter schlägt!

Ihr Orangenduft

Ist dem Geschmeiße Gift.

Der Raupen tückischer Zahn

Wird stumpf an ihnen,

Es blinkt ihr Silberglanz

Im Sonnenscheine.

Von seinen Zweigen

Wünscht das Mädchen

Im Brautkranze;

Früchte hoffen Jünglinge.

Aber sieh, der Herbst kömmt:

Da geht die Raupe,

Klagt der listigen Spinne

Des Baums Unverwelklichkeit.

Schwebend zieht sich

Von ihrer Taxuswohnung

Die Prachtfeindin herüber

Zum wohltätigen Baum

Und kann nicht schaden;

Aber die Vielkünstliche

Überzieht mit grauem Ekel

Die Silberblätter,

Sieht triumphierend,

Wie das Mädchen schaurend,

Der Jüngling jammernd

Vorübergeht.

Verpflanze den schönen Baum,

Gärtner, er jammert mich.

Baum, danke dem Gärtner,

Der dich verpflanzt!

Zwote Ode

Du gehst. Ich murre.

Geh! Lass mich murren.

Ehrlicher Mann,

Fliehe dieses Land.

Tote Sümpfe,

Dampfende Oktobernebel

Verweben ihre Ausflüsse

Hier unzertrennlich.

Gebärort

Schädlicher Insekten,

Mörderhülle

Ihrer Bosheit.

Am schilfigten Ufer

Liegt die wollüstige,

Flammengezüngte Schlange,

Gestreichelt vom Sonnenstrahl.

Fliehe sanfte Nachtgänge

In der Mondendämmerung,

Dort halten zuckende Kröten

Zusammenkünfte auf Kreuzwegen.

Schaden sie nicht,

Werden sie schrecken.

Ehrlicher Mann,

Fliehe dieses Land!

Dritte Ode

Sei gefühllos!

Ein leichtbewegtes Herz

Ist ein elend Gut

Auf der wankenden Erde.

Behrisch, des Frühlings Lächeln

Erheitre deine Stirne nie,

Nie trübt sie dann mit Verdruss

Des Winters stürmischer Ernst.

Lehne dich nie an des Mädchens

Sorgenverwiegende Brust,

Nie auf des Freundes

Elend tragenden Arm.

Schon versammelt

Von seiner Klippenwarte

Der Neid auf dich

Den ganzen luchsgleichen Blick,

Dehnt die Klauen,

Stürzt und schlägt

Hinterlistig sie

Dir in die Schultern.

Stark sind die magern Arme,

Wie Panter-Arme,

Er schüttelt dich

Und reißt dich los.

Tod ist Trennung,

Dreifacher Tod

Trennung ohne Hoffnung

Wiederzusehn.

Gerne verließest du

Dieses gehasste Land,

Hielte dich nicht Freundschaft

Mit Blumenfesseln an mir.

Zerreiß sie! Ich klage nicht.

Kein edler Freund

Hält den Mitgefangnen,

Der fliehn kann, zurück.

Der Gedanke

Von des Freundes Freiheit

Ist ihm Freiheit

Im Kerker.

Du gehst, ich bleibe.

Aber schon drehen

Des letzten Jahrs Flügelspeichen

Sich um die rauchende Achse.

Ich zähle die Schläge

Des donnernden Rads,

Segne den letzten,

Da springen die Riegel, frei bin ich wie du.

STURM UND DRANG

Sesenheimer Lieder

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.

Seh’ ich nur einmal dein Gesicht,

Seh’ dir ins Auge nur einmal,

Frei wird mein Herz von aller Qual.

Gott weiß, wie mir so wohl geschicht!

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.

*

Ich komme bald, ihr goldnen Kinder,

Vergebens sperret uns der Winter

In unsre warmen Stuben ein.

Wir wollen uns zum Feuer setzen

Und tausendfältig uns ergötzen,

Uns lieben wie die Engelein.

Wir wollen kleine Kränzchen winden,

Wir wollen kleine Sträußchen binden

Und wie die kleinen Kinder sein.

*

Jetzt fühlt der Engel, was ich fühle,

Ihr Herz gewann ich mir beim Spiele,

Und sie ist nun von Herzen mein.

Du gabst mir, Schicksal, diese Freude,

Nun lass auch morgen sein wie heute

Und lehr’ mich, ihrer würdig sein.

*

Kleine Blumen, kleine Blätter

Streuen mir mit leichter Hand

Gute junge Frühlings-Götter

Tändlend auf ein luftig Band.

Zephir, nimm’s auf deine Flügel,

Schling’s um meiner Liebsten Kleid!

Und dann tritt sie für den Spiegel

Mit zufriedner Munterkeit.

Sieht mit Rosen sich umgeben,

Sie wie eine Rose jung.

Einen Kuss, geliebtes Leben,

Und ich bin belohnt genung.

Schicksal, segne diese Triebe,

Lass mich ihr und lass sie mein,

Lass das Leben unsrer Liebe

Doch kein Rosen-Leben sein!

Mädchen, das wie ich empfindet,

Reich mir deine liebe Hand!

Und das Band, das uns verbindet,

Sei kein schwaches Rosen-Band!

MIT EINEM GEMALTEN BANDSpätere Fassung

Kleine Blumen, kleine Blätter

Streuen mir mit leichter Hand

Gute junge Frühlingsgötter

Tändelnd auf ein luftig Band.

Zephyr, nimm’s auf deine Flügel,

Schling’s um meiner Liebsten Kleid!

Und so tritt sie vor den Spiegel

All in ihrer Munterkeit.

Sieht mit Rosen sich umgeben,

Selbst wie eine Rose jung:

Einen Blick, geliebtes Leben!

Und ich bin belohnt genung.

Fühle, was dies Herz empfindet,

Reiche frei mir deine Hand,

Und das Band, das uns verbindet,

Sei kein schwaches Rosenband!

Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde!

Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht.

Schon stund im Nebelkleid die Eiche

Wie ein getürmter Riese da,

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel

Sah schläfrig aus dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel,

Umsausten schauerlich mein Ohr.

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,

Doch tausendfacher war mein Mut,

Mein Geist war ein verzehrend Feuer,

Mein ganzes Herz zerfloss in Glut.

Ich sah dich, und die milde Freude

Floss aus dem süßen Blick auf mich.

Ganz war mein Herz an deiner Seite,

Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbes Frühlingswetter

Lag auf dem lieblichen Gesicht

Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter,

Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.

Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!

Aus deinen Blicken sprach dein Herz.

In deinen Küssen welche Liebe,

O welche Wonne, welcher Schmerz!

Du gingst, ich stund und sah zur Erden

Und sah dir nach mit nassem Blick.

Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,

Und lieben, Götter, welch ein Glück!

WILLKOMMEN UND ABSCHIEDSpätere Fassung

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!

Es war getan fast eh gedacht.

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht;

Schon stand im Nebelkleid die Eiche,

Ein aufgetürmter Riese, da,

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel

Sah kläglich aus dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel,

Umsausten schauerlich mein Ohr;

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,

Doch frisch und fröhlich war mein Mut:

In meinen Adern welches Feuer!

In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude

Floss von dem süßen Blick auf mich;

Ganz war mein Herz an deiner Seite

Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbnes Frühlingswetter

Umgab das liebliche Gesicht,

Und Zärtlichkeit für mich — ihr Götter!

Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne

Verengt der Abschied mir das Herz:

In deinen Küssen welche Wonne!

In deinem Auge welcher Schmerz!

Ich ging, du standst und sahst zur Erden

Und sahst mir nach mit nassem Blick:

Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!

Und lieben, Götter, welch ein Glück!

*

Erwache, Friederike,

Vertreib die Nacht,

Die einer deiner Blicke

Zum Tage macht.

Der Vögel sanft Geflüster

Ruft liebevoll,

Dass mein geliebt Geschwister

Erwachen soll.

Ist dir dein Wort nicht heilig

Und meine Ruh’?

Erwache! Unverzeihlich —

Noch schlummerst du!

Horch, Philomelens Kummer

Schweigt heute still,

Weil dich der böse Schlummer

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