Golden Vanity – Ein klassischer Science-Fiction Roman - Rachel Pollack - E-Book

Golden Vanity – Ein klassischer Science-Fiction Roman E-Book

Rachel Pollack

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Beschreibung

Außerirdische mit einer offenbar hochentwickelten Technologie haben die Erde entdeckt. Die Galaxis, aus der diese Wesen stammen, wird von einer Raumregierung, kurz RR genannt, geführt, doch die Macht haben in Wahrheit die sogenannten Gesellschaften inne.
Der Direktor der 1. Gesellschaft, Loper, kennt nur ein Ziel: Er möchte sein Raumschiff Golden Vanity zurückhaben, mit dem das Mädchen Vanity auf die Erde geflohen ist, nachdem Loper sie vergewaltigt hat.
Nicht nur Vanity ist in Gefahr – die gesamte Erde soll eine Beute der skrupellosen 1. Gesellschaft werden …

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Rachel Pollack

 

 

Golden Vanity

 

 

 

 

Ein klassischer Science-Fiction-Roman 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Christian Dörge, nach Motiven, 2023 

Übersetzung: Lore Straßl

Original-Titel: Golden Vatity 

Korrektorat: Mina Dörge und Bärenklau Exklusiv

Published by arrangement with Christopher Priest, Literary Agent 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Golden Vanity 

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

Epilog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

Über die Autorin Rachel Pollack 

 

Das Buch

 

 

 

Außerirdische mit einer offenbar hochentwickelten Technologie haben die Erde entdeckt. Die Galaxis, aus der diese Wesen stammen, wird von einer Raumregierung, kurz RR genannt, geführt, doch die Macht haben in Wahrheit die sogenannten Gesellschaften inne.

Der Direktor der 1. Gesellschaft, Loper, kennt nur ein Ziel: Er möchte sein Raumschiff Golden Vanity zurückhaben, mit dem das Mädchen Vanity auf die Erde geflohen ist, nachdem Loper sie vergewaltigt hat.

Nicht nur Vanity ist in Gefahr – die gesamte Erde soll eine Beute der skrupellosen 1. Gesellschaft werden …

 

 

***

Golden Vanity

 

 

Sie war ein stolzes Schiff,

Übers weite Meer fuhr sie,

Und der Name dieses Schiffs war die Golden Vanity.

 

Sie geriet einst in Bedrängnis durch ein Schiff der Spanier Auf ihrer Reise übers weite, weite, weite,

Auf ihrer Reise übers weite Meer.

 

Der Kabinensteward sprach,

Und er war der jüngste hier,

Und er sprach zu seinem Käptʼn:

Sir, was gebt Ihr mir,

Wenn ich hinüberschwimme zum Schiff der Spanier Und versenke sie in dem weiten, weiten, weiten,

Und versenke sie in dem weiten Meer?

 

Ich gebʼ dir Silber und Gold

Und all mein Geld

Und die Hand meiner Tochter,

Die mir das Liebste auf der Welt,

Wenn du hinüberschwimmst zum Schiff der Spanier Und es versenkst im weiten, weiten, weiten,

 

Und es versenkst im weiten Meer.

(There was a lofty ship and it sailed upon the sea, And the name of that ship, It was the Golden Vanity.

 

And it was set upon by a Spanish enemy,

As it sailed upon the lowland, lowland, low Sailed upon the lowland sea.

 

Then up spake the cabin boy of the age of twelve and three,

And he said to the captain,

What will you give to me,

If I swim alongside of your Spanish enemy,

And sink her in the lowland, lowland, low,

Sink her in the lowland sea.

 

I will give you silver,

And gold, und much money,

And the hand of my daughter,

So very dear to me

If you will swim alongside of the Spanish enemy, and sink her in the lowland, lowland, low,

Sink her in the lowland sea.)

 

Englisches Volkslied

 

 

Prolog

 

Creaser gähnte. Er kratzte sich den Bauch, die Wangen und die Zähne, dann schaute er sich finster in der schäbigen Kabine seines Schiffes um. Man sollte meinen, dachte er, dass ein Navigator, der seinem Vorgesetzten wichtig genug für eine Einmannraummission war, eine etwas feinere Wohnzone verdiente. Sein Blick schweifte über den kahlen gelben Fußboden, das Bett aus blauer, halianischer Gallerte, das von Jahren verschwitzter Finger schmierige Kontrollboard, den hohen, schmalen Schrank, der vollgepfropft war mit Souvenirs und anderem Kram von Hunderten von Welten (darunter eine bestimmte Platinschatulle, aber es war besser, jetzt nicht an diese Verlockung zu denken, nicht bei dem Job, den er noch durchziehen musste), die Holokonsole und die wenigen Kassetten – er wünschte sich, er könnte das ganze Zeug in den Müllschlucker stopfen.

Alles außer der Fracht. Der fleischige Pilot betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Box aus LD – verdichtetem Licht –, die in ihrer undurchdringlichen schwarzen Pracht mitten auf dem Boden stand. Was sie wohl enthielt? Juwelen? Dafür hätte sie in etwa die richtige Größe. Sie war höchstens vier Handbreit im Quadrat. Ach, Unsinn! Der Vorsitzende besaß genügend Juwelen, um das halbe Center zu überschwemmen, wenn er wollte. Vielleicht irgendwelche Schriftstücke, Beweismittel gegen eine der anderen Gesellschaften? Was es auch immer war, der Vorsitzende war so scharf darauf, dass er es mit einem absolut illegalen Konvoi von drei Schiffen von Ktaners Planeten schmuggeln ließ – Creasers und zwei Geleitschiffe, eines mit einer Nuriderin, das andere mit einem Clickie als Navigator. Ihre Namen kannte er nicht, sie interessierten ihn auch nicht. Creaser kicherte. Vielleicht sollte er das Kästchen öffnen und hineinschauen? Vor Jahren hatte Creaser einmal einen kollerstimmigen Grufaner getötet, weil er ein bisschen zu laut über die Fleischfalten des B'Lajjiliters gelacht hatte. Beim Durchstöbern des Gepäcks des toten Navigators hatte Creaser ein ausgesprochen seltenes Schmuggelstück gefunden – und rasch in seiner Tasche verschwinden lassen –, einen »Lichtschlüssel«, eine weiße Scheibe, mit der man jeden LD-Behälter öffnen konnte. Creaser konnte sich nicht vorstellen, wie der Grufaner an dieses unbezahlbare Stück herangekommen war. Er jedenfalls hatte es gut versteckt, in der vagen Hoffnung, dass er damit irgendwie seinen Ruhestand finanziell sichern und so erträglicher gestalten könnte als mit dem Almosen, das die meisten Navigatoren bekamen, wenn sie ihre Schiffe nicht mehr bedienen konnten. Er hatte den Schlüssel noch nie benutzt, obwohl er inzwischen schon drei- oder viermal LD-Boxen transportiert hatte. Er würde ihn auch jetzt nicht benutzen. Angenommen, sie hatten die Box mit einem Sender oder einem Gedankenabdruckrecorder versehen? Ein Navigator war sicherer, wenn er die Geheimnisse seines Vorsitzenden nicht kannte!

»Dieser verdammte Brummschädel!«, fluchte er laut. Wieder verirrten sich seine Gedanken zu der kleinen Platinschatulle und ihren gelben Pillen. Er rülpste und stemmte sich aus seinem Luftsessel. Jetzt war Arbeit angesagt, nicht Vergnügen. »Ich will schlafen!«, brüllte er.

Er hätte ihnen klarmachen müssen, dass sie sich einen anderen suchen sollten. Ja, und dann hätten sie ihn gleich in Frührente nach Luritti geschickt! Verdammt, wenn sie jemand anderes gehabt hätten, wären sie überhaupt nicht zu ihm gekommen. Creaser war ein guter Pilot – für einen Mietnavigator aber er war kein Loper. Doch der Vorsitzende wollte seine LD-Box, und ganz offensichtlich wollte er nicht warten – oder konnte es nicht, falls die RR dahinter her war.

Creaser watschelte durch die Kabine zu seinem Kontrollsitz und spürte, wie die Fleischfalten bei jedem Schritt gegeneinander klatschten. Creasers Heimatplanet hatte die höchste Schwerkraft aller Menschenwelten. B'Lajjiliter waren breit und gedrungen gebaut, und wenn sie ihre Heimwelt verließen, erschlafften ihre Muskeln, außer sie trainierten regelmäßig – was Creaser jedoch nie tat.

Der pneumatische Sessel erzitterte, als er sich hineinplumpsen ließ. Was hatte er zu den anderen gesagt, wann sollten sie den Orbit abbrechen? Richtig, 333. Symmetrie. Seine schwarzen Zapfenaugen spähten zum Zeitmesser, dessen Sichtscheibe so verschmutzt war, dass er die Ziffern darunter kaum noch sehen konnte. Nur drei Zehntel. Dreißig lächerliche Hundertstel. Vielleicht sollte er an den Transmitter und eine Verzögerung befehlen. Lieber nicht, der schlaue Schmuggler hält lieber Funkstille bis nach den ersten paar Sprüngen. Er würde es schon schaffen. Ohne den Kater würde er sich nicht einmal Gedanken machen. Wenn er nur der Platinschatulle fernbleiben konnte! Creaser grinste, als er sich einen hungrigen Blick auf den Schrank gönnte, in dem sich sein Freund befand. Des Navigators Freund, auch als Ktaners Ekstase bekannt, als Geistermacher, als Engelsflug. Kleine gelbe Pillen, die Seligkeit brachten. Schmerz durchzuckte Creasers Augen. Seligkeit? Nicht am nächsten Tag! Er hätte seinen Freund lieber am Kap zurücklassen sollen!

Ah, aber wie konnte man Ktaners Planet besuchen und sich nicht mit dem starken, echten Geistermacher eindecken? Beim Wind der Schwärze, was war das gestern Nacht (oder war es vorgestern Nacht?) für ein Geistertanz gewesen, ausgestreckt auf dem Boden seines Schlafraums im Navigatorquartier, mit zuckenden Fingern und rollenden Augen, während das ganze beschissene Universum seinen Körper mit orgastischen Wellen überspülte.

Und jetzt bezahlte er dafür – mit wallendem Magen, mit Augen, die wie von Flammen versengt wurden –, aber es war nicht das erste Mal, und er würde es wieder tun. Sobald er die verdammte Box beim allmächtigen Vorsitzenden abgeliefert hatte.

Fast Startzeit. Creaser drückte auf die Proviantbar für eine Rolle Nip, die bittere braune Paste, die aus dem Saft der hässlichen, gedrungenen Bäume auf Kap gewonnen wurde. Zwei Rollen würden genügen, seinen Kopf wenigstens so weit klar zu machen, dass er den Kurs richtig nahm. Als die Crawlmotoren mit einem Zischen starteten, sah Creaser durch die Seitenviewer, dass sich seine beiden Begleiter von ihm weg in die Schwärze bewegten. Noch ein Zehntel zum Abbruch des Orbits und dann die erste Sprungfolge. Creasers Daumen deutete auf die Fantdrähte in ihrem Kasten, bereit, seinen Geist mit den Motorert des unerforschlichen Schiffes zu verbinden.

 

Was ist Nichtraum? Eine Abkürzung? Ein Sprung über das Loch eines Schmalzkringels? Ein Rutsch zwischen den Fäden eines Gewebes? Vielleicht ein Gleiten in der inertiallosen Zone zwischen Universen? Niemand wusste es. Wie springt ein Schiff in das Große Nichts und tritt irgendwo aus, weit entfernt, doch genau nach Kurs? Krümmt das Schiff den Raum? Vernichtet es ihn und erschafft ihn anderswo wieder? Hört es ganz einfach auf, sich relativ zum Universum zu bewegen, und startet es wieder, sobald das Universum sich richtig unter ihm gedreht hat? Niemand wusste es.

Warum kann es nicht endlos springen? Welches alte Gesetz beschränkt die Sprungentfernungen und die Anzahl der Sprünge in einer Serie? Nur die stummen Roboterbauer der Schiffe hätten vielleicht darauf antworten können.

Die galaktische Zivilisation, die sich dieser Schiffe bediente, kannte nur zweierlei Tatsachen über diese Sprünge, die ihre Kultur ermöglichten. Die erste war, dass die Sprünge ohne den geringsten Zeitverlust vor sich gingen. Der Navigator kann den Nichtraum als Minuten, Stunden, ja sogar Tage erleben – die Dauer der subjektiven Zeit ist offensichtlich unbestimmbar, allerdings gewöhnlich sehr kurz –, aber die präzisesten Präzisionsinstrumente von Kiuu (die vom Center benutzte Version eines Namens, der für Nichtkiuuaner wie ein Schmerzensschrei klingt, der in einem Pfeifen endet), jenem Planeten, auf dem die Messtechnik alle anderen Berufs- und Wissenszweige überragt, zeigen absolut keinen Zeitverlust zwischen Verschwinden und Wiederauftauchen an.

Die zweite bekannte Tatsache über die Schiffe ist die einzigartige Verbindung zwischen den Sprungmaschinen und den Gedanken des Navigators, seinen Phantasien. Die Maschinen erzeugen ihre ungeheure Energie in der Form von Wellen und, wie arbolianische Wissenschaftler demonstrierten, formen alle Wellen Strukturen, deren Leistungsfähigkeit von ihrer Vollständigkeit und Vollkommenheit abhängen – Begriffe, die aus der arbolianischen ästhetischen Verbindung von Kunst und Wissenschaft übernommen wurden.

Für sich allein sind die Sprungwellenstrukturen unvollständig, unvollkommen. Von allein bringen die Sprungmaschinen ein Schiff weder in den Nichtraum hinein noch heraus, sondern überlagern sich bis zur Vernichtung des Schiffes und des umgebenden Raums. Die Maschinen benötigen für ihre Funktion ergänzende Wellenstrukturen von viel geringerer Kraft, vergleichbar mit einem winzigen fehlenden Stück eines riesigen Puzzles.

Genau gesagt brauchen die Maschinen Wellenstrukturen eines menschlichen Gehirns, das sich mit seinen eigenen Phantasien beschäftigt, kindischen Phantasien, Träumereien.

Um sein Schiff bedienen zu können, schließt sich der Navigator mit feinen Drähten, die vom Kontrollboard zu einem Band über seinen Augen verlaufen, an die Maschinen. Dann lässt er sich in eine private Welt herrlicher Träume und Wünsche gleiten. Worum es darin geht, ist unwichtig, wesentlich ist nur die Stärke. Ein gut ausgebildeter Navigator kann die Welt um sich auflösen, während er in seine Träume sinkt. Solange er träumt, kann das Schiff springen. Wenn seine Träume mittendrin aufhören oder zu chaotischen Albträumen werden, verliert das Schiff die Kontrolle. Und explodiert.

Die Theoretiker (die unwillig zugeben, dass sie nichts wissen) argumentieren, dass Terrorphants die Motoren versagen lassen, weil sie Wellenstrukturen bilden, die sich wesentlich von den ausgeglichenen Strukturen der Wunschphants unterscheiden. Die Navigatoren sehen das anders. Für sie lebt das Schiff (eine Einbildung, die möglicherweise davon herrührt, dass die Wissenschaftler die Computerverbindungen als organisch bezeichnen) und die Sprungmotoren stellen ein gigantisches Gehirn dar, doch eines ohne Bewusstsein. Ein Idiot. Der Pilot und seine Phantasien geben dem Schiff sein Ego.

Gemeinsam sind sie eine vollständige Person. Und wie bei einem Menschen der Geist ins Chaos stürzt, wenn sein Ego zusammenbricht, so wird das Schiff ohne das Ego des Navigators verrückt. Die Navigatoren haben ein Wort für das Chaos, zu dem es kommt, wenn ein Schiff explodiert, es ist eine alte Centerbezeichnung für Psychotiker – Kreischer.

Sobald ein Kreischer entstanden ist, kann nur ein Spezialschiff mit Dämpfern die Kettenreaktion des Prozesses der Raumverschlingung anhalten und umkehren. Und für solche Schiffe sind Piloten notwendig, deren Phantmechanismen die Anstrengungen eines Kampfes durchhalten. Wie jeder Navigator weiß, ist es besser, es gar nicht zu einem Kreischer kommen zu lassen.

 

Creaser drückte die Daumen auf die Augen und ließ sie massierend langsam kreisen. Der Nip hatte ihn zwar wachgerüttelt, aber seinem Magen hatte er absolut nicht geholfen. Nun, dachte er, wenn jeder Navigator, der am Abend zuvor ein bisschen Geistermacher geschluckt hat, seine Sprünge absagen könnte, würde niemand mehr irgendwohin kommen. Er kicherte und rutschte auf seinem Sitz zurück. Eine gute, ordentliche Serie, dann konnten er und die zwei anderen sich drei Tage ausruhen. Drei Tage. »Genug Zeit, ein bisschen die Geister tanzen zu lassen?«, fragte er sich und antwortete: »Nein. Ganz bestimmt nicht.« Creaser lachte und schloss die Augen.

Mit langjähriger Erfahrung ließ der Navigator sein Bewusstsein in Wunschträume gleiten. In einem Pool voll Cool liegen, dem wohltuenden schwarzen Schlamm, den er einmal auf einem fernen Erholungsplaneten gesehen hatte. Duftende Luft. Bäume mit alkoholischen Melonennüssen. Mit warmem Moos überzogene Steine, die zu erotischen Bildern aus geheimen Sammlungen der Gesellschaft verschwammen. Schöne Frauen mit Diamantbeinen und Raubtiergeschmeidigkeit, die unter dem klaren, dunklen Licht des Abends auf ihn warteten. Und hinter ihnen schützte ihn ein Trupp riesiger Geister vor der Gesellschaft, die ihn unbedingt als ihren Chefnavigator zurückholen wollte. Diese Geister schwenkten die regenbogenfarbenen Feuerfinger himmelwärts und forderten mit klaren, hohen Stimmen Tribut für Creaser, den Erhabenen, den Retter des Universums.

Eine der Frauen brachte ihm eine dunkle Schatulle. Sie sprang bei seiner Berührung auf, und eine winzige Frau – ein erotischer Dämon aus der arbolianischen Mythologie – hüpfte auf Creasers Bauch und schlüpfte langsam durch die Fleischfalten.

 

*

 

»Oh, du dunkle blaue Maid – in deinem schleimigen grünen Loch – von deinen Schläu-äu-äuchen träumʼ ich no-oh-och.« Creasers lächerlich knarrende Stimme dröhnte in der Kabine von einer Wand zur anderen, während er auf seinem pneumatischen Sitz auf und ab hüpfte. Vor ihm, auf einem winzigen Tisch mit Beinen von der Form weiblicher Brüste, lag seine Platinschatulle. Creaser hatte nicht wirklich eine der kostbaren kleinen Pillen schlucken wollen, nur ansehen, nur mit ihrem Anblick die Zeit zwischen den Sprungserien vertreiben. Aber er hatte doch etwas tun müssen, nicht wahr? Selbst als er sie auf seine Zunge gelegt hatte, wollte Creaser nichts weiter, als sie hin und her rollen. Er hatte die harten kleinen Dinger zurück in die Schatulle spucken wollen. Aber da hatten die Crawlmotoren geschwankt, oder er hatte einen Schluckauf bekommen, irgendwas war jedenfalls passiert, und ehe Creaser nach ihnen greifen konnte, waren die gelben Pillen in seinem riesigen Bauch verschwunden.

Natürlich hatte er nicht so viel genommen, dass er nicht wieder nüchtern sein würde, wenn Sprungzeit war. Creaser verstand sich auf seinen Job. Hatte der Vorsitzende ihm nicht etwas ganz besonders Wertvolles anvertraut?

Er musste tun, was zu tun war. Es wäre Unsinn, zwei himmlische Geistertanztage zu vergeuden. Creaser watschelte zu seinem Schrank, in dem seine Souvenirs wirr durcheinanderlagen. Er fand ein Spektraljuwel, das er einmal von Luritti geschmuggelt hatte. Er rollte es seine Brust und den Bauch hinunter und kicherte, als es über die Fleischfalten purzelte. Er drückte eine Taste der Musikbox und hörte die schmetternde Stimme eines haniaanischen Henkers. Sofort schaltete er wieder aus. Was konnte er tun? Plötzlich richteten sich seine müden Augen auf eine weiße Metallscheibe in durchsichtiger Plastikbox. Er brummte, hob den Lichtschlüssel auf und leckte die Box ab, als könne seine Zunge entscheiden, ob er ihn nun endlich benutzen sollte oder nicht. Sein Blick zuckte zu der LD-Box. Was war dem Vorsitzenden so viel wert? Creaser hatte von einer Pflanze gehört, deren Blätter sich einem um das Geschlecht winden und unvorstellbare Ekstasen herauspressen konnten.

Der Vorsitzende würde doch bestimmt ein einziges, winziges Blatt nicht vermissen, oder?

Creaser kroch zurück. Behutsam legte er den Schlüssel auf die Box und wunderte sich, weshalb der Deckel nicht zur Seite glitt. Die verschiedenen Zahlenscheiben darauf drehten sich, ein leises Summen kitzelte in Creasers Ohren, dann begann die Seite der dunklen Box hell zu leuchten, wurde wieder dunkel und schließlich durchscheinend wie eine Wolke, durch die sich die Sonne frisst. Creaser riss in freudigem Staunen den Mund auf.

Dann quiekte er. Etwas stimmte nicht. Statt einer stacheligen oder fleischigen Pflanze starrte ihn ein Tier an! Eine kleine Echse mit brauner Schuppenhaut und verschleierten weißen Augen, einem runden, wie mit Eiern gefüllten Bauch und einer grünen Zunge, die vor- und zurückschnellte wie ein horizontales Pendel.

Creaser schauderte. Was wollte der Vorsitzende mit diesem grässlichen Ding? Hastig zog er den Schlüssel von der Oberfläche der Box, und die totale Schwärze kehrte zurück. Doch nicht rasch genug. Die Echsenzunge schnellte noch einmal vor und traf Creaser am Handgelenk. Entsetzt schlug er danach. Dann starrte er auf die Stelle und leckte darüber. Nur ein Pünktchen war zu sehen. Ein Prickeln zog seinen Arm hoch, verging jedoch bereits nach ein paar Sekunden. Creaser warf den Lichtschlüssel zum Schrank, dann kroch er müde zu seinem Sitz zurück, in dem er weinend das Universum verfluchte. Bald schlief er ein, und als er kurz vor der nächsten Sprungserie erwachte, spürte er nichts als eine vage Übelkeit. »Kann nichts Schädliches sein«, sagte er sich, »sonst würde es der Vorsitzende sicher nicht haben wollen.«

Vielleicht – vielleicht verlieh das Echsengift ewige Jugend? Er drückte auf einen Schalter. Und aus dem rechten Viewer wurde ein Spiegel. Nun, jünger sah er jedenfalls nicht aus. Lachend lehnte sich Creaser in seinem Sitz zurück.

Etwas ging schief. Das hatte er gleich nach dem ersten Sprung erkannt. Verdammt, er hatte es bereits gewusst, als er die Phantdrähte anschloss, auch wenn er sich zu diesem Zeitpunkt noch einreden wollte, dass es nur wieder ein Kater war. Die Taubheit im Gesicht und in den Händen, die Leere seiner Sinneseindrücke – die Kabine verschwamm immer wieder, und ein pausenloser Lärm füllte seinen Kopf, als könne er die Hintergrundstrahlung aus der Finsternis hören. Und dann kam der erste Sprung.

Die Phants waren nicht beständig, wurden nicht klar. Und das graue Nichts außerhalb des Schiffes, mit dem jeder Navigator zu leben lernen muss, umklammerte ihn wie ein Tier, das ins Schiff wollte. »Verschwinde!«, gellte er. »Warum kann ich mich nicht konzentrieren?« Als das Schiff aus dem ersten Sprung kam, wagte Creaser erleichtert wieder zu atmen. Er streckte die Hand zum Transmitter aus, um den anderen zu sagen, dass sie die Serie unterbrechen sollten.

Aber die Gesellschaft würde ihn fertigmachen, wenn er sich verspätete.

Als das Schiff zum nächsten Sprung ansetzte, versuchte er sich auf sein privates Universum zu konzentrieren. Wenn nur das Dröhnen in seinen Ohren aufhören würde! Oder war es Gelächter? Sein Gesicht brannte und fröstelte gleichzeitig, der Schweiß auf seinen Händen fühlte sich wie Blut an. »Konzentrier dich!«, befahl er sich.

Zuvor waren die Bilder zersprungen. Jetzt war es viel schlimmer. Das Paradies wurde zur Hölle, als die Luft nach verwesenden Leichen stank, nach Tausenden unter der Erde, die sich dem schwarzen, zu Eis erstarrenden Schlamm entgegenkämpften. Die Diamantbeine traten nach seinem Gesicht und der Brust und zerschnitten sie.

Creaser brüllte, stampfte mit beiden Füßen auf den Kabinenboden – ein alter Navigatortrick, um eine Schlange zu vertreiben, wie eine Phant genannt wurde, die zum Albtraum geworden war. Als das Schiff wieder auftauchte, starrte Creaser wild in der Kabine herum. Sein Blick fiel auf die LD-Box. Er erinnerte sich an die milchigen Augen und an die grüne Zunge, die sein Handgelenk berührt hatte. Und er erinnerte sich an noch etwas. Ein Gerücht, das in der Gesellschaft die Runde gemacht hatte.

Vor mehreren Jahren hatte ein Team Biotechniker auf Ktaners Planet etwas entwickelt, einen Parasiten, eine Pflanze oder ein Tier, das direkt auf die Phantzentren des Gehirns einwirken, sie betäuben oder zerstören konnte, sodass ein infizierter Navigator nicht mehr imstande war, seine Phants richtig zu formen. Um zu verhindern, dass diese Waffe die Gesellschaften vernichtete, hatte die Raumregierung die Parasiten beschlagnahmt, die Forschung eingestellt und die Unterlagen vernichtet. Angeblich!

Was konnte für den Vorsitzenden wertvoller sein als ein Phantzerstörer mit dem Bauch voll Eier?

Creaser blieb keine Zeit mehr, sich weiter mit dem Gerücht zu beschäftigen. Das Schiff würde gleich wieder springen, und er brauchte eine neue Phantasie, etwas Friedliches, Einfaches, wie seine ersten damals in der Navigatorschule. Sein Gehirn erschuf ein längliches Zimmer, geschützt tief unter der Erde, mit einem Fußboden so weich wie die Haut eines Frauenkörpers. Um ihn herum standen goldene Pflanzen mit Fruchtkapseln voll kristallklaren Geistermachern der pursten Art, die seinen Körper aus diesem beschissenen Universum in eine Seligkeit himmlischer als der Tod reißen würden. Nein, nicht der Tod. Denk jetzt nicht an Tod! Zu spät, seine Phant war zur Schlange geworden, die nach ihm biss. Creaser schrie und glaubte einen Antwortschrei von außerhalb des Schiffes zu hören. Ein Lachen. Oder das Kreischen eines Wahnsinnigen.

Ein Sprungkurs kann auf zweierlei Weise enden. Entweder er verläuft nach Plan, dann schalten sich die Sprungmaschinen automatisch ab, oder der Pilot greift ein und befiehlt einen Abbruch. Tut er das, muss er die Maschinen manuell abschalten, oder sie nehmen weiter Energie auf – bis zur Explosion.

Um abzubrechen, musste Creaser seine Ausbildung und langjährige Erfahrung vergessen. Die Gesellschaft mochte Abbrüche nicht, sie ließ gewöhnlich selbst die besten Gründe nicht gelten. Und Creaser hatte einen besonderen Grund, die Serie nicht abzubrechen, denn mit welcher Ausrede könnte er aufwarten, die die Gesellschaft nicht darauf aufmerksam machen würde, dass er die LD-Box geöffnet hatte? Er schwang die Arme wild herum und verfehlte zweimal den Schalter, ehe er ihn drücken konnte. Benachrichtige die anderen, befahl er sich, doch als er den Transmitter einschaltete, brachte er nur: »Abbruch … kann nicht … musste abbrechen«, heraus, ehe er in seinen Sitz zurückfiel und seine Fleischfalten gegeneinander klatschten, so sehr schüttelte ihn die Angst.

Eine Kälte ergriff von ihm Besitz, als er durch die Viewer nach seinen Geleitschiffen Ausschau hielt. Er dachte an das grüne Gift, das seine Festung aus Fett auflöste und auf sein Gehirn zumarschierte. Fast teilnahmslos erinnerte er sich an den Unterricht vor vielen Jahren. Egozusammenbruch hieß so etwas. Sein Geist wurde dünn wie ein Papierschild, an dem der Wind rüttelt.

Und dann sah Creaser es. Ein Licht flackerte auf seinem Kontrollboard. Er schrie in dumpfem Grauen auf. Er hatte vergessen, die Sprungmaschinen auszuschalten! Ohne dass seine Phants dieses gewaltige Ungeheuer lenkten … Creaser versuchte seine Finger zu bewegen. Unmöglich. Sie waren wie geschmolzenes Eis auf der Sitzlehne. Schweiß perlte ihm in den Mund; er schmeckte wie Blut.

Wenn die Schiffe richtig konstruiert gewesen wären, hätte der Sprungabbruch die Maschinen automatisch abschalten müssen. Dafür hätten die Gesellschaften oder die RR gesorgt, wenn sie sie selbst entworfen hätten. Auf die Konstruktionspläne hatten sie jedoch keinen Einfluss. Diese lagen in der Vergangenheit begraben und im Gehirn der Roboter, mit denen sie sich nicht verständigen konnten. Die erstaunten Navigatoren in den zwei anderen Schiffen verhielten in der Warteposition und harrten einer Erklärung ihres Führers über die Gründe des Abbruchbefehls. Falls einer der beiden den Grund ahnte, sprach er jedenfalls nicht mit dem anderen darüber. Wer wollte schon als erster die Flucht ergreifen?

Plötzlich krümmten sich die Piloten vor Schmerzen, als eine telepathische Übertragung ihre Gehirne füllte. Ein Körper, unbeschreiblich fett – zerriss – seltsame Geräusche – eine Echse knabberte an verwesendem Fleisch – gelber Schleim quoll durch die Raumschiffhülle.

Der Augenblick verging und ließ nur ein ungeheures Grauen zurück. Eine Sendung. Die Techniker hatten ihnen erklärt, wie das Gehirn unter extremem Egostress sendet. Eine solche Sendung bedeutete Zusammenbruch. Und wenn der Pilot ein Kreischer war, konnte alles mit dem Schiff passieren.

Unvermeidlicher Tod fasziniert. Trotz ihrer Eile wegzukommen sahen beide Piloten erstarrt zu, als Creasers Schiff explodierte. Sie sahen Blitze, die zu Kugeln goldenen Lichtes verschmolzen, während ihre eigenen Schiffe scheinbar langsamer wurden. Das Licht zog sich zusammen, wurde zur glühenden Spirale mit peitschengleichen Tentakeln, die nach den Schiffen griffen.

Eines erwischten sie, das andere entkam. Crawlgeschwindigkeit ist für alle gleich, und der Clickie war näher gewesen. Die Nuriderin, die es schaffte, sah das Spirallicht wütende Blitze speien, als ein Tentakel das andere Schiff einfing wie eine Echsenzunge eine Fliege. Während ihr Schiff in Sicherheit kroch, schaute die Navigatorin zurück und sah, wie das Ding, das man Kreischer nannte, immer größer wurde, bis es zuerst das andere Schiff verschlang und dann den Raum ringsum. Benommen machte sie sich an die langsame, quälende Reise zurück zum Center.

 

Überall in dem großen luxuriösen Zimmer verschönten Robotpuppen mit ihren sich endlos wiederholenden Kunststücken die Stunden. In einer Ecke quetschten Melkerpuppen in Kleidung aus ungegerbtem Leder die Euter von winzigen Kühen, jenen plumpen Tieren, die es auf der neuentdeckten Menschenwelt, der Erde, gab. Von der Decke hängend, machte ein Puppenakrobat Saltos von seinem fast unsichtbaren Drahttrapez; in der Mitte des Zimmers, umgeben von einem Miniaturwäldchen fünf Zentimeter hoher lebender Bäume, erklomm eine vierarmige Puppenversion von Lukmii, dem legendären arbolianischen Bergsteiger, ein maßstabgetreues Modell des Mt. Drusso, des höchsten Berges der bekannten Galaxis. Jedes Mal, wenn Kleinlukmii den Gipfel erreichte, sprang er auf den Boden und fing seine Klettertour von neuem an.

Dies war das Spielzimmer des Vorsitzenden, und der Vorsitzende mochte Bewegung, Lärm, Action in zunehmendem Maß, je behäbiger er mit den Jahren selbst wurde. Sogar die Teppiche kräuselten sich im Takt der sanften Hintergrundmusik, die von den vibrierenden Wänden ausging. Die HgH(uhh)urianischen Teppichweber hatten die dunklen Fäden auf so kunstvolle Weise zu archaischen Kampfszenen gewirkt, dass die Kräuselbewegungen des Bodens die Krieger unentwegt in einem immer unentschiedenen Sturmangriff gegeneinander warfen.

Ringsum in den Wänden befanden sich sechs Realzeitprojektionsfenster, die wechselnde Szenen auf den verschiedenen Welten zeigten – Welten, die mit Land, See, Luft und Bewohnern, wie die gesetzliche Formulierung hieß, der l. Gesellschaft gehörten, der bedeutendsten der drei Hauptmächte in einer Kartellgalaxis. Die rechte Hand des Vorsitzenden, sein erster Assistent, hatte ihn zusätzlich zu den Fenstern zum Einbau einer Infoleuchtwand gedrängt, welche jederzeit die neuesten Nachrichten und Fakten anzeigte. Der Vorsitzende hatte es abgelehnt. »Isolation, AAri«, hatte er ihn mit seinem aufreizenden Halblächeln erinnert. »Alleinsein. Abseits von Informationen, dringenden Geschäften, all den kleinen Krisen, die du mir als Leckerbissen aufschwatzen willst. Mir genügt eine Stunde am Tag, das Universum zu sondieren. Das verstehst du doch, nicht wahr? Aber ja, AAri, natürlich verstehst du es.« Dass der Vorsitzende seinen obersten Angestellten duzte, hatte nichts mit Freundschaft oder Geringschätzung zu tun, es gab nur eben in der Sprache der Gesellschaft keine andere Anrede.

Wie er so im Lotossitz auf einem Vibrationskissen saß (Vibrationen, die das Feedback-Gehirn des Kissens regulierte, um sich den Körperwellen anzupassen), sah der schlanke, aber muskulöse Vorsitzende in seiner vollkommenen Nacktheit – auf den ersten Blick – wie die Personifikation jugendlicher Reife aus. Ein näherer Blick verriet jedoch etwas anderes. Obgleich seine durch tägliche Tiefmassage gefestigte Haut so faltenlos wie die eines Knaben war, offenbarte sie doch sein Alter und seine Kraft. Im Lauf der Jahre hatten sein Gesicht und Körper eine fast granitene Härte erlangt, die selbst in seinen beiläufigsten Bewegungen große Kraft ausdrückte.

Ein halbwüchsiges Mädchen saß mit dem Rücken zu ihm auf dem Boden. Ausdruckslos starrte sie auf den Schnabel eines Riesentigervogels, der am hinteren Ende des Zimmers aufgehängt war, während der Vorsitzende sanft über ihr langes rotgoldenes Haar strich. »Wir werden bald Urlaub machen«, versprach er ihr und drapierte ihr Haar mit mehr Hingabe als Geschicklichkeit über ihre Schultern, dann fuhr er mit den Fingerspitzen die Innenseite ihrer Arme entlang. Obgleich das Mädchen sich innerlich unter dieser Berührung wand, hielt sie vollkommen still. Da es den Vorsitzenden ärgerte, wenn sie nicht reagierte, hatte sie gelernt, ihre unbewussten Reaktionen – wie Gänsehaut oder Schauder – zu beherrschen. Drei Schilde, schmale, elliptische Ringe aus Schwarzlicht, hingen etwa zehn Zentimeter vor ihrem Busen, ihrem Unterleib und ihren Oberschenkeln frei in der Luft. Homostatische Mechanismen, die auf ihre Körperwärme eingestellt waren, lenkten die Ringe, wenn sie sich bewegte. Direkt auf ihrer Haut trug sie nichts außer einer Halskette aus kleinen, glitzernden schwarzen Steinen. »Irgendwo auf einem neuen Planeten«, fuhr der Vorsitzende fort, »wo wir in unerforschtem Gebiet allein in einem Luftfahrzeug reisen können.« Das Mädchen schwieg. Seine Hände pressten auf ihre Hüften und durchdrangen das Schwarzlicht wie Messer. »Oder möchtest du lieber irgendwohin, wo es kalt ist, voll toter Bäume und staubigem Wind? Würde das besser zu deinen düsteren Phants passen? Und zu deinem kalten Körper?« Aus seiner Stimme schwang eine Spur Tadel, ein Hauch Warnung.

Ungerührt entgegnete das Mädchen: »Mein Körper ist nicht kalt, nur deine Finger sind kalt geworden. Du solltest dir besser wieder eine Behandlung in Arbol gönnen, ehe du zusammenschrumpfst wie ein toter Bork.«

Seine Hände wanderten hoch, um ihre Taille zusammenzupressen. »Oder du solltest daran denken, dich mit deiner Hautcreme einzureiben. Asser hat mir berichtet, dass du sie in den vergangenen vierzehn Tagen einfach ignoriert oder sogar weggeworfen hast. Das ist gar nicht gut für dich. Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn deine Haut rau wird.« Sie gestattete sich ein Feixen. »Sie wird nicht rau, Jaak. Ich mache sie so. Ich bade in lurittischem Staub, damit sie unter deinen Fingern abblättert. Vielleicht ziehe ich mir die Haut ganz ab und lasse mir Messer auf meine Muskeln pflanzen, wie die Kriegerinnen von Nashi es tun. Dann könnte ich dich schneiden, jedes Mal, wenn ich mich umdrehe.«

»Du wirst schon wieder morbid, Vanity. Hat dich Cixxa nicht gewarnt, dass es dazu kommen würde?« Trotz ihrer Selbstbeherrschung zuckten die Lippen des Mädchens, und sie spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Der Vorsitzende fuhr fort: »Deshalb will ich ja Urlaub mit dir machen. Er wird dir den Kopf reinwaschen.«

Das Mädchen stand auf und entwand sich seinen Händen. »Ich habe eine bessere Idee. Wie wäre es, wenn ich allein irgendwohin reise und dir eine Kassettenaufnahme meines friedlichen, sauberen Gesichts im Sonnenschein sende?«

Er stand auf und ging auf sie zu. Er hielt die Hände leicht ausgestreckt, als wolle er nach ihr greifen. »Ein Urlaub ohne dich? Vanity, das wäre überhaupt kein Urlaub.«

»Wie willst du das wissen? Du hast es nie versucht.« Sie lief durchs Zimmer und tat, als beobachte sie die Marionettenkühe. »Was findest du an mir, Jaak? Was gebe ich dir schon? In allen meinen Phants schneide ich dich! In jedem einzelnen. Vergangene Woche hatte ich eine ganz lange, in der ich dich in kleine Stücke zerschnitt, die ich an deinen Kopf hängte. Dann ätzte ich dein Gehirn mit immer wiederkehrenden Foltererinnerungen. Ich war sehr erfinderisch. Und auf gewisse Weise war es schön. Alle meine Phants sind so. Frag Cixxa.«

»Das habe ich. Cixxa sagte mir, dass dir Grausamkeiten fremd sind.«

»Na gut. Dann stimmt es eben nicht. Aber was tue ich denn je für dich? Ich verspotte dich ja nur. Warum lässt du mich nicht gehen? Du hast mich jahrelang besessen.«

»Ich habe dich dein ganzes Leben besessen, Vanity. Deshalb behalte ich dich auch. Wenn ich dich jetzt gehen ließe, würdest du weit weglaufen, irgendwohin, und dann würde der große Jammer kommen, und ich müsste losgehen, um dich heimzuholen.«

»Vielleicht. Probieren wir es doch aus.« Er schwieg. »Oh verdammt, Jaak, ich will keinen Urlaub. Nimm jemand anderen mit. AAri zum Beispiel. Du kannst mich in einem Sargnest einfrieren, bis du zurückkommst.«

Er trat neben sie. Sein Blick wanderte an ihr hoch, über ihre langen Beine, die schmalen Hüften, den sanften, fast flachen Bauch mit dem goldenen Flaum, die hohen, kleinen Brüste und ihre tiefgoldenen Warzen, den straffen Hals und das kalte, ruhige Gesicht. »Du brauchst gar nicht so mürrisch und verärgert zu sein«, riet er ihr. »Wir machen miteinander Urlaub, also finde dich damit ab und freue dich darauf!« Er berührte sanft ihre Brust über dem Busen. Sie stieß seinen Arm zur Seite, dann sprang sie hoch, um nach dem Trapez des Robotakrobaten zu greifen, und einen Augenblick später hatte sie sich auf eine gepolsterte Plattform geschwungen, die in halber Höhe an der Wand befestigt war. Sie schlug die Beine übereinander und grinste zu ihm hinunter.

»Vanity, komm sofort wieder herunter.« Er hob die Stimme nicht, es klang auch nicht scharf, aber ihr Grinsen schwand, und sie zog die Knie an die Brust. »Komm herunter, Vanity«, sagte er sanft. »Ich möchte mit dir reden.«

Sie landete katzengleich auf dem Boden und richtete sich auf, ohne das Haar aus dem Gesicht zu streichen. »Und jetzt komm her zu mir«, befahl er, und sie ging mit gleitenden Schritten über die stumm angreifenden Armeen zu ihm.

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Der Vorsitzende wirbelte herum, während das Mädchen stehenblieb und die Arme überkreuzte. Wieder grinste sie.

»AAri!«, knirschte der Vorsitzende. »Dieses Zimmer ist tabu! Kannst du dir das denn nicht merken? Wenn ich sage, dass niemand es betreten darf, dann gilt das auch für dich!« Der Privatassistent brummte: »Keine scharfen Worte, Jaak. Mir brauchst du deine Regeln nicht zu predigen. Schließlich bin ich der Lakai, der alle fernhält!«

»Wunderbar. Dann halt auch dich selbst fern!«

AAri seufzte. »Da ist etwas, das du sofort wissen musst!«

»Es gibt nichts, was nicht warten kann, bis ich dazu bereit bin.«

Das Mädchen lachte. »Du glaubst wieder mal an deine eigenen Phants, Jaak. Nur weil dir das Universum gehört, bedeutet das noch lange nicht, dass du auch die Kontrolle darüber hast!«

AAri sagte: »Der Konvoi ist geplatzt. Explodiert. Ich weiß noch nicht wie, jedenfalls hat nur einer der drei überlebt.«

»Der mit der Sonderfracht?«

AAri schüttelte den Kopf. »Mit dem Schiff explodiert.« Der Vorsitzende hob die Faust, als wollte er auf etwas einschlagen. Als er sah, dass nichts in erreichbarer Nähe war, ließ er die Hand fallen. »Schleim!«, fluchte er.

Das Mädchen lachte.

»Vanity!«, zischte er, ohne sie anzusehen. »Sei still.« Verkniffen blickte er seinen Assistenten an. »Zwei Jahre! Zwei Jahre der Suche, des Kampfes …«

»Jaak, wappne dich gegen einen Schock. Die Explosion war nicht alles!«

»Der Verlust dieser Fracht ist Schock genug. Mach es kurz!«

»Also gut. Der Pilot mit der Fracht – ich weiß noch nicht, wie es passiert ist, aber ich vermute, dass er die Box irgendwie geöffnet hat –, hatte einen Egozusammenbruch.«

Der Vorsitzende öffnete den Mund und schloss ihn wieder. »Dadurch kam es zur Explosion?«

»Was hast du gedacht? Über den ganzen Raum, wie eine Lichtbombe.«

»Der Navigator, der durchkam, ist er da sicher?«

»Es ist eine Sie, und sie war durchaus glaubwürdig. Wir müssen ihren Kopf auseinandernehmen, sobald sie das Center erreicht.«

»Wie, verdammt, kann er eine LD-Box aufgekriegt haben? Übrigens, wer war er?«

»Keiner unserer Spitzenleute. Ein Navigator, der gerade zufällig auf Kap war, als wir ihn benötigten.«

»Weshalb hat Yuta ihm getraut? Wieso ist sie nicht auf den Gedanken gekommen – und das gleiche gilt für dich! –, einen ausfindig zu machen, der absolut zuverlässig ist? Ist dir überhaupt klar, was wir mit dem Ding fertiggebracht hätten? Wir hätten Acina aufmachen und zerlegen können wie einen Spaltfisch!«

»Du weißt genau, dass wir keine Zeit hatten. Das Ding ist uns regelrecht in den Schoß gefallen. Wir hatten keine Wahl, als es entweder sofort abzuschicken oder die ganze Sache zu vergessen.«

Jaak rieb sich die Stirn. »Und jetzt ist ein Kreischer da draußen.«

AAri nickte. »Ein junger Kreischer, zwei Tage außerhalb von Ktaners Planet, der Raum verschlingt und anschwillt wie ein Kurasüchtiger. Und es dauert höchstens Wochen, bis es die RR herausfindet.«

»Führt die Spur zu uns?«

»Wahrscheinlich. Beweisen können sie allerdings nichts.«

»Sie werden aber dahinterkommen, falls sie um Kap herumschnüffeln«, warf das Mädchen ein. »Sobald die Leute dort herausfinden, dass ein Kreischer kommt, werden sie zu viel Angst haben, als dass ihr sie noch bestechen oder einschüchtern könntet.«

AAri schnitt eine Grimasse. »Sie hat recht.«

»Dann müssen wir uns selbst darum kümmern, einen Vollstrecker schicken. Wir statten ein Schiff mit Dämpfern aus, das schaffen wir in zwölf Stunden.«

»Überleg mal, Jaak. Natürlich können wir ein Schiff herrichten. Ich habe bereits den Auftrag dazu gegeben. Das Problem ist der Navigator!«

»Du kennst unsere Personalakten besser als ich. Wen haben wir?«

AAri blickte seinen Chef forschend an. »Du weißt genauso gut wie ich, wen wir brauchen!«

Der Vorsitzende blickte ihn kurz fragend an, dann verzerrte sich sein Gesicht vor Wut. »Nein! Kommt überhaupt nicht in Frage!«

»Wir haben keine Wahl. Möchtest du eine Talentsuche veranstalten? Oder auf Cixxas topographische Schädelprüfung warten? Das dürfte nicht länger als einen Monat dauern! Verdammt, da draußen ist ein Kreischer los! Uns fehlen die Voraussetzungen, damit fertig zu werden. Und die RR können wir nicht einschalten. Infolgedessen bleibt nur Loper!«

»Nein! Ich sagte dir, als er wegging, dass dieser Dreckskerl nie wieder für mich arbeiten wird!«

»Niemand wird mehr für dich arbeiten, wenn wir das nicht bereinigen können. Wir haben sonst niemanden. Vergangenes Jahr haben wir radikal gestrichen, erinnerst du dich?«

»Auch das ist Lopers Schuld! Erinnerst du dich daran? Und jetzt willst du ihn zurückholen?«

»Wenn wir einen Unerfahrenen anheuern, wird er vermutlich auch noch sein eigenes Schiff hochjagen, ehe er die Dämpfer einsetzen kann. Und der Kreischer wird weiterwachsen, bis ihn möglicherweise nicht einmal mehr die RR vernichten kann.«

»Wir könnten Schiffteams zur Absicherung schicken.«

»Unsinn.«

Der Vorsitzende blickte auf das Mädchen, das die Wand anstarrte. Er konnte nicht erkennen, ob sie lachte. »Also gut«, sagte er zu AAri. »Also gut. Hol ihn. Aber du arrangierst alles. Ich will ihn weder sehen noch hören. Ich will nicht einmal wissen, dass er da ist.«

»Wir werden ihm was bieten müssen.«

»Meinst du, ich hätte gedacht, dass er es aus reiner Menschenliebe tut? Verhandle mit ihm. Nur halt mich heraus.«

AAri hielt inne, nachdem er sich bereits halb umgedreht hatte. »Da ist noch was. Und du solltest dich besser gleich damit abfinden.« Jaak nickte. »Loper wird sein altes Schiff zurückhaben wollen.«

»Nein!«

»Wir werden es ihm geben müssen. Ich mache auch ein anderes Schiff bereit, für den unwahrscheinlichen Fall, dass er es doch nehmen sollte. Aber du kennst ihn so gut wie ich. Er wird bestimmt nur unter der Bedingung einverstanden sein.«

»Der Dreckskerl wird mein Schiff nicht in die Finger bekommen!«

»Es war einmal sein Schiff.«

»Es war nie sein Schiff. Ich habe es gebaut, und ich bestimme darüber, egal wer darinsitzt und auf die Knöpfe drückt. Er hat es auf meinen Befehl geführt, das war alles. Und er wird es nie wieder tun!«

»Dann wird er sich weigern.«

»Wir werden einen anderen finden.«

»Unmöglich. Das können wir nicht. Wir haben zu wenige und niemanden, der geeignet wäre. Loper ist der einzige außerhalb der RR und der anderen Gesellschaften, der so was schaffen würde. Das ist kein Transportjob.« AAris Stimme war lauter geworden, nun biss er sich auf die Lippe. »Er wird die Golden Vanity nicht führen!«

»Hör auf, dich so kindisch zu benehmen, Jaak. Du hast keine Wahl. Schließlich kannst du nicht die ganze Gesellschaft hinschmeißen, nur weil dieser Navigator einmal …« Er verstummte, als er das verzerrte Gesicht seines Chefs sah.

Ein paar Sekunden funkelten die beiden Männer einander an, bis der Vorsitzende den Blick abwandte. »Wenn ich keine Wahl habe, habe ich eben keine.« Er deutete auf das Mädchen. »Sie muss weg. Ich will sie nicht in der Nähe haben, wenn er kommt, um das Schiff zu holen.« Er versuchte zu lächeln, als er sie ansah. »Hat ganz den Anschein, als könntest du doch noch allein Ferien machen.«

»Ich habe beschlossen, lieber hierzubleiben«, entgegnete sie.

»Oh wirklich? Ich dachte, dass du über seine Rückkehr ebenso wenig begeistert bist wie ich. Aber wie auch immer, du wirst irgendwohin reisen, wo du sicher bist, bis wir das hinter uns haben.«

»Wie wäre es mit Ktaners Planet?«

»Du reist dorthin, wo ich dich haben will!« Etwas sanfter fuhr er fort: »Ich versuche nur, dich zu beschützen.« Er beugte sich über sie. Als sie das Gesicht abwandte, drehte er ihren Kopf mit den Fingerspitzen unter ihrem Kinn herum. »Vanity«, sagte er, »gib deinem Vater einen Kuss.«

Sie rührte sich nicht. Während er die kalten Lippen auf ihren Mund presste, starrte sie über seine Schulter auf den kleinen Robotlukmii, der seinen Miniaturberg erklomm.

 

 

1. Kapitel

 

Humphrey Chimpden Earwicker McCloskey war nicht betrunken. Dabei wusste er, dass er es ganz sicher zuvor gewesen war, als er die Robotbar und die witzige, etwas pedantische Frau verließ, die sich als Android entpuppt hatte. Er musste sogar sehr betrunken gewesen sein, wenn er sich in einer Samstagnacht in diese Gegend verirrt hatte. Oder überhaupt in irgendeiner Nacht. Doch nun, da er erkannt hatte, wo er hier war – viel zu tief drinnen, als dass er sich einfach hätte davonmachen können –, hatte die Angst ihn ernüchtert.

Glücklicherweise waren die Straßen dunkel, die Lichter ausgebrannt oder zerbrochen, vor allem abseits der Avenues. Und was noch wichtiger war, die meisten Jugendlichen, die in den zerfallenden vier- und fünfstöckigen Ziegelbauten hausten, schlichen im Grenzgebiet herum und lauerten den Dummköpfen auf, die nicht schlau genug waren, in einer Samstagnacht in einer sichereren Gegend zu bleiben. Nach der Verlassenheit der Straße zu schließen, kamen die Ratfems gar nicht auf den Gedanken, dass ein Betrunkener in ihr Gebiet torkeln könnte. Keine Lichter und leere Straßen gaben Hump eine leise Hoffnung; wenn er sich nordwärts hielt statt ostwärts, von wo er gekommen war, könnte er es möglicherweise zum Raumhafen schaffen. Der Raumhafen. »Die größte Errungenschaft unseres Zeitalters«, wie ihn die Regierung im Gegensatz zu allen anderen nannte, für die er das Monstrum war, erstreckte sich über die halbe Fläche des Gebiets, das einst die Bronx gewesen war. (Mit welchem Enthusiasmus die Armee an die Räumung gegangen war!) Die dem Erdboden gleichgemachten alten Straßen wiesen nun wundervolle Scheinwerfer auf, funkelnagelneue Gebäude und vier verschiedene Sicherheitsabteilungen patrouillierten die Grenzen wie Jäger, die eine Siedlung vor Wölfen schützen.

Eine rußige Glasscherbe knirschte unter seinen Füßen. Er sprang rasch zu einer Türöffnung. Erst nach einem Augenblick, als niemand kam, wagte er wieder zu atmen und weiterzugehen. Glasscherben und Trümmerstücke lagen überall herum; ölige Abwässer rannen durch die, Abfälle, die sich neben leeren Blumenkübeln häuften. »Es ist eine verdammte Schande!«, flüsterte er. Er erinnerte sich an die Frauen, unter ihnen seine Tante Marilyn, die diese alten Häuser vor Jahren gekauft, gemietet oder besetzt hatten, in der Hoffnung, eine befreite Gemeinschaft zu schaffen. »Wir wollen bloß unseren Frieden«, hatte Marilyn zu ihm gesagt. »Wir wollen nur in Ruhe gelassen werden.«

Eine Zeitlang hatte es fast funktioniert. Als die Regierung sah, wie die alten Häuser instandgesetzt wurden, dass es hier weniger Verbrechen gab als anderswo in der Stadt und dass die Bürgersteige mit roten und gelben Blumenkübeln geschmückt waren, bot sie finanzielle und technische Hilfe an, weil sie hoffte, die Frauen würden für eine friedliche Alternative zu den feministischen Terrorakten der neunziger Jahre sorgen.

Die Frauen stritten noch darüber, ob sie auf das Angebot eingehen sollten oder nicht, als die ersten Raumschiffe landeten und alle derartigen Programme eingestellt wurden. Sie hätten es vielleicht auch auf sich allein gestellt geschafft, wenn die Regierung nicht der Meinung gewesen wäre, dass eine befreite Zone, gleich welcher Art, die Verhandlungen mit den Außerirdischen gefährden könnte – vor allem, da Marilyn und einige andere sich der Erdwiderstandsbewegung angeschlossen hatten. Als es der Armee nicht gelang, das Gebiet zu räumen, stellte die Regierung einfach alle Dienstleistungen ein. Ohne Wasser und Strom blieb den Frauen kaum etwas anderes übrig als aufzugeben. Sie verließen nach und nach das Viertel, und die letzten Hartnäckigen wurden in einer frühmorgendlichen Razzia festgenommen.

Eine Weile standen die Häuser leer, ausgeplündert, nutzlos. So dachte jedenfalls die Regierung. Dann kamen die Jugendlichen. Ohne Wurzeln, ohne Werte, durch die Ankunft der Außerirdischen von der Geschichte abgeschnitten, jedes Gefühl, sogar Hass ablehnend, fanden sie sich nach und nach ein und schlossen sich zusammen, um über Essbares und Opfer herzufallen. Sie waren völlig unpolitisch und daher für niemanden eine Bedrohung, der ihnen nicht über den Weg lief. Wenn sie in Häusern ohne Wasser und Strom wohnen wollten, hatte die Regierung nichts dagegen.

Ihre politische Uninteressiertheit machte sich auch in ihrer Einstellung gegenüber den früheren Bewohnern bemerkbar. Obwohl sie den Namen der radikalen Feministinnen parodierten und ausnahmslos Männer als Opfer für ihr Messerspielzeug wählten, scherten sich die Ratfems, Mädchen und Jungen gleichermaßen, um keinerlei Ideologie.

---ENDE DER LESEPROBE---