Gomnam - Ali Fathi - E-Book

Gomnam E-Book

Ali Fathi

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Beschreibung

Ali Fathis fesselnder autobiografischer Roman umfasst einen weiten historischen Rahmen und setzt sich mit den lebenslangen, oft destabilisierenden Folgen für Betroffene von Gewaltherrschaft und kolonialen Bedingungen auseinander. 
Der Gomnam genannte Erzähler offenbart und reflektiert zuvor teilweise verdrängte, unbewältigte, authentische Erinnerungen, Erfahrungen und Gedanken eines Menschen, der im Iran verschiedene Namen trug. Das Pseudonym Gomnam steht dabei stellvertretend auch für die Bedeutung der vielen ähnlichen, unsichtbaren, nicht erzählten, verlorengegangenen Erlebnisse und Schicksale seiner Generation.
Zu Beginn der Erzählung erwacht Gomnam, inzwischen im schon reifen Alter, aus einer Narkose in seinem Aufnahmeland Deutschland. Zunächst noch verwirrt, reflektiert und analysiert er seine Erfahrungen mit Leben und Tod, der wie andere Tabuthemen eine zentrale Rolle für ihn spielt, geprägt durch gesellschaftliche Zwänge, eigene Erfahrungen mit Gewalt, Unterdrückung, Entrechtung, Verfolgung, Inhaftierung und Folter, begleitet vom Zweifel an religiösen Vorstellungen von Paradies, Hölle und Fegefeuer. 
Der Text wechselt von Kindheitserinnerungen, dem familiären Umfeld über das Leben als Schüler und Student zum untergetauchten jungen Erwachsenen im Iran, weiter zu den Gefahren der überlebensnotwendigen Flucht und resultierend den Herausforderungen eines jahrzehntelangen Lebens im Exil.
Wo sich die Erinnerungen des Protagonisten den fragmentarischen Exkursen politischer Zustände widmen, zeichnen seine inneren Monologe bildhaft ein trauriges Gemälde der jüngeren historischen Entwicklung des Iran, welches die Leser*innen einlädt, sich der Geschichte dieses Landes weiter zu nähern und sich ein eigenes Bild zu schaffen.

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UNIVERSUM

 

Ali Fathi

 

 

Gomnam

 

Reflexionen in der Diaspora

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2024 Europa Buch | Berlin

www.europabuch.com | [email protected]

ISBN 9791220148955

Erstausgabe: Mai 2024

 

Gedruckt für Italien von Rotomail Italia

Finito di stampare presso Rotomail Italia S.p.A. - Vignate (MI)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gomnam

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch ist Allen gewidmet,die einen Diaspora-Rucksack tragen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mein Dank gilt allen diasporischen Initiativen und Gemeinschaften, mit denen ich in Berührung gekommen bin, die mich mit meinem Dasein getragen haben, mir auf meinem Weg der Reflexion zur Seite standen und mit denen ich mich verbunden fühle.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Menschenkinder sind ja alle Brüder,Aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder.Hat Krankheit nur ein einz’ges Glied erfasst,So bleibt den andern weder Ruh noch Rast.Wenn andrer Schmerz dich nicht im Herzen brennt,Verdienst du nicht, dass man noch Mensch dich nennt. 

Saadi (um 1215 – 1292)Abu Mohammad Moscharref Shirazi

 

 

 

Zum Titel Gomnam

 

 

Er hatte in seinem Leben unterschiedliche Namen, manche machten in ihrer Zeit seine Identität aus und prägten ihn sehr, andere weniger. Es verdrängte der eine den anderen in die Vergessenheit oder blieb in seiner Biografie farblos. Manchmal wollte der eine mit dem anderen nichts zu tun haben. Wie auch immer, sie gehörten alle zu ihm. Als er sich einmal an alle Namen erinnerte und sie mir, wie auch ihre Geschichten, anvertraute, wusste er nicht mehr, welchem seiner Namen er für was und wann eine besondere Bedeutung beimessen sollte. Um allen gerecht zu werden, entschloss er sich für einen – stellvertretend für alle anderen. Dieser war Gomnam, er lebte und überlebt unauffällig, hieß Gomnam, heißt so und wird mit seinen Erlebnissen auch Gomnam bleiben. Ein Pseudonym auch für all die verlorenen Namen, Namenlosen, sowie ihre Geschichten und Erlebnisse. Genauso wie sie erlebte Gomnam all die großen Ereignisse am Rande mit, dessen Summe ihn ausmacht und zu einem Zeitzeugen werden lässt, wie eine Geschichte von unten aus ihrer unergründlichen Zeit.

 

 

Gomnam

 

 

Nach der Operation wegen seiner Prostata-Krebs-Erkrankung in der Martini-Klinik 2017 führten ihn seine Erinnerungen beim Aufwachen in seine Kindheit zurück und auf die Suche nach dem Sinn seines Lebens zwischen Leben und Tod.

Er wachte langsam aus dem Koma auf und merkte, dass seine Narkose nachließ, wie er ins Leben zurückkam – langsames Aufwachen, langsame Wahrnehmung, langsamer Einstieg ins Leben, das sich meist durch sein Verhältnis zum Tod erkennen ließ. Ein Thema, das mit einem Tabu behaftet ist, bei ihm aber die Qualität seines Lebens ausmachte. Es ist nicht das einzige Tabu seines Lebens, er ist immer wieder in solche Bereiche eingetreten, ohne es zu beabsichtigen. Seine Erfahrungen mit dem Tod erweckten ihn immer wieder zum Leben, was für seine Umgebung schwer zu verstehen war, auch wenn er es als Tabu gelten ließ. Er hatte nie etwas vom versprochenen Paradies, der Hölle und dem Fegefeuer gehalten oder daran geglaubt. Die beiden Letztgenannten hatte er in seinem irdischen Leben erfahren und durchlebt. Was immer ihn auf der Suche nach dem Sinn des Lebens auf dieser Erde und Welt bewegte, geschah wohl wissend, dass das Leben das sei, was er selbst gestaltete und wahrnahm, nicht mehr und nicht weniger. All das andere aus dem Munde der Priester, Imame und Rabbiner war für ihn eine Täuschung und in mancher Hinsicht eine Satire. Die sogenannten Entdecker der Wahrheit waren für ihn Lügner. Es schien ihm alles im Raum kahl und weiß, erst trüb, langsam klarer – viele Gedanken, geschwängert mit Alltäglichem, schwammen in seinem Kopf, als ob nichts gewesen oder eine Lücke der Zeit in seiner Wahrnehmung entstanden sei, schwer unterscheidbar. Die Gedanken kamen immer wieder. Er dachte, dass viele der Ereignisse in seiner Vergangenheit wohl die Spitze eines Eisbergs seines Lebens gewesen seien. „Ansonsten geht es weiter“, beruhigte er sich selbst, schaute verschlafen nach links und rechts. Gedanken, wie die Bedeutung der Betäubung, ihrer hinterlassenen Zeitlücke in seinem Wesen und die zurückliegenden Erlebnisse kamen ihm mal nah und mal fern vor. Es blieben die Ereignisse kurz vor der Operation, gemischte Gefühle im Erinnerungsleben in diesem Raum, es kam vieles hoch. Er war in einem Dämmerzustand. Jenseits seiner medizinischen Krebsbehandlung hatte er solche Lücken zwischen Leben und Tod im Verlauf der Jahre seines Daseins schon kennengelernt, vor allem als Kind. Er versuchte etwas Spürbares aus seinem Inneren und dahin Zurückkehrendes zu finden, welches die Sphäre dieses Aufwachraums etwas besänftigen konnte, obwohl ihm keine Gefahr für sein Leben im Hier und Jetzt drohte. Alles war hier weiß, kahl, steril, kalt und blass. Er sah einige seiner Erinnerungen bildhalft vor sich, sowie sein Wesen selbst liegend, ohne Bewegung, wohlwissend, dass alle, ohne es zu wissen, darauf warten aufzuwachen. Allenfalls wird jedem seine Zeitlücke erfahrbar werden, hoffentlich ohne Schmerzen, dachte er. Er erinnerte sich an sein erstes Aufwachen, nachdem er im ersten Schuljahr mit sechs Jahren für tot erklärt worden war. Er erinnerte sich meist an etwas aus den Erzählungen seines Vaters Dada und seiner Mutter Kosar. Er bastelte seine Erinnerungen wie Puzzlestücke zusammen, gestaltet aus weiter Ferne. Wie nah ihn sein Empfinden im Hier und Jetzt nun überwältigte, obwohl diese Erinnerungen in der Ferne lagen. Als er gefragt wurde, wie er heiße, antwortete er nicht, zeigte auf den Namen am Fußende seines Bettes. Er sah die weiß gekleidete Dame verschwommen, dass sie ihn anlächelte und sagte: „Ja, das kann ich lesen, aber feststellen muss ich trotzdem, dass Sie es sind – wegen der Medikamente.“ Er merkte, dass etwas Spürbares in seiner Erinnerung mächtig wurde und sagte: „Hamza, Gomnam, Mojtaba“ – drei zusammengeschusterte Namen hintereinander – keiner stimmte mit dem, was an seinem Bettende ausgeschildert war, überein. Dort stand ein ganz anderer Name, obwohl doch alle stimmten. Er war ja auch Gomnam, der erste Name war ein Pseudonym und den zweiten hatte er sich schon vor vielen Jahren gegeben, der dritte hatte eine andere Geschichte. In seinem Ausweis der Bundesrepublik Deutschland standen die genannten Namen nicht. Keiner der Namen irritierte ihn selbst, sondern nur die Krankenschwester; für sie war seine Antwort nicht hilfreich. So ging sie weg, um die Namen in den Akten zu suchen, fand sie aber nicht. Als sie zurückkam, war dann alles in Ordnung, er war in der Lage, sich nun mündlich auszuweisen, es zu klären. Man vermutete es habe an der Narkose gelegen, das könne ja vorkommen. Wie es dazu kam, wer Gomnam war, wer Hamza, wer Mojtaba, beschäftigte ihn selbst weiter in seiner Erinnerung. In seinem Körper mit seinem Gedächtnis, jenseits der ihm bekannten Erinnerungen, kam ihm die eigene Wahrhaftigkeit zu Hilfe, um ihn damit zu konfrontieren. Es war nichts Neues dabei gewesen, es war diesmal alles gut gegangen, kein erneutes Trauma, nur eine Operation, nach der sein Körper zu ihm zurückfand, wie damals, ohne Operation. Gomnam ist der Sohn eines Imkers, seines Dadas, der auch Feldarbeiter, Bauer und Schäfer war. Er konnte Schafe scheren, Tiere sich paaren lassen, er war einer, der alles konnte, was ein Mann brauchte. Er war auch Händler, brachte die Ernte auf Tauschmärkte, um Reis, Salz, Galoschen und Öl zum Leben zurückzubringen. Die Bestellungen wurden zwei-bis dreimal im Jahr gesammelt, die größten Listen entstanden immer zur Erntezeit im Herbst. Seine Mutter, Kosar, soll als Finanzzuständige das letzte Wort gehabt haben, wann und wie sie mit dieser Rolle beehrt wurde, wusste Gomnam nicht. Aus Nachbarschafts- und der Familienüberlieferung wusste er schon, dass der Handel auf dem Tauschmarkt mit seiner Mutter abgesprochen werden musste. Kosar tat das gern, manchmal auch zu grob, wenn sie seinen Vater auf dessen Grenzen hinwies, darauf, dass er viele Male Mist gebaut hätte und er möge seine Finger davon lassen. Sie würde vor keinem anderen Händler in diesem Wortlaut mit ihm geredet haben, es gehörte sich nicht. Bei solchen Szenen hielt sein Vater sich zurück, jedoch sollte er auf keinen Fall Versprechungen nach außen machen, ohne es mit Kosar abgesprochen zu haben, lautete das Gesetz, sonst war das Versprochene ungültig – Punkt. Er vermutete, dass sich diese unübliche Rollenverteilung oder ihr Wandel während seiner Kindheit vollzogen haben musste, denn sonst war in seinem Geburtsort so etwas nicht üblich.

 

Seitdem er selbst Verantwortung übernahm, wann auch immer das anfing, hat er Einfluss darauf, das Schlimmste zu verhindern. Ihn bewegten zwei Szenen, wie zwei Bilder, die immer wieder vor seinem geistigen Auge hochkamen, ohne Emotion, als ob sie schon irgendwann in ihm verstaubt liegen geblieben waren, um sich beliebig entstaubt hochkommend erneut zu zeigen. Einige der Geschwistergeheimnisse mit ihren unterschiedlichen Details, mehr als er sich merken konnte. Es war, als ob es sich, bei jedem Kommen und Gehen der Gedanken und Erinnerungen, um ein hilfreiches und erhellendes Puzzlestück handelte. Es war mehr als ein Bild, ein Gefühl, etwas wie das Spüren einer Sphäre und ein Raum mit seinen Stimmungen, wie lebende Orte mit lebenden Menschen miteinander in einem Gedächtnis, verwischt, aber doch Spuren hinterlassend. Dabei spielte es keine Rolle, wo und wann es geschah, sondern bedeutsam war die Seele der Zeit, die erlebt wurde. Das Bild deutet auf angsterfüllte Luft in seinem Aufenthaltsraum voller Menschenkälte hin, der gleichzeitig die Funktion eines gemeinsamen Schlafraums hatte. Die Erinnerung schenkte ihm trotzdem Wärme, war wie eine Suchreise in die Vergangenheit. Da war die Erinnerung an die Macht der Mutter beziehungsweise daran, zu welchem Preis sich Kosar aus ihrer Ohnmacht herausgearbeitet hatte. Angesichts der Machtsphäre in der Erinnerung an seine Eltern versank er in Gedanken. Sein großer Bruder starb mit sechs Jahren, noch bevor er selbst auf die Welt gekommen war. Zwei große Schwestern und seine Eltern warteten auf ihn – als großen Ersatz –als Mann – für den verlorenen Bruder. Nach ihm folgten drei weitere Brüder und zuletzt eine kleine Schwester, die zur Zeit seiner OP 2017 nun 55 Jahre jung war. Ein Bild kam ihm mit sehr starker Kraft im OP-Saal in Erinnerung. Das Bild sprach ihm ins Ohr: visualisierte, wie alle seine Geschwister unter die Bettdecke krochen, als er ein Kind war, links und rechts vor dem Ofen im Raum mit einem Dachfenster, einer Lichtluke im Dach, die strahlende Tageslichtstreifen hereinließ, wie auch das Licht bei Vollmond, sonst blieb die Dunkelheit der Nächte vertraut. So gut wie nichts war an diesem Abend zu sehen. An diesem beängstigenden Abend hatten er und seine Geschwister nichts gegessen. Die Mutter war nicht da, er wusste nicht warum. Seine kleinen Geschwister waren von seinem Vater angeschrien worden. Er und die anderen legten sich schweigend zum Schlafen hin oder taten so, als ob sie schliefen. Seine große Schwester machte ein ängstlich zurückgezogenes Gesicht, war in der Wandecke in eine Decke eingewickelt und hielt die Spitze der Decke bis zu ihrem Hals hoch. Er sah einen Schatten auf dem Dach durch die Lichtluke ins Leere laufend mit der Bewegung eines Schattens im Raum. Im Licht der Öllampe vibrierte der Gestaltschatten, ließ ihn verstärkt leuchten. Durch die Glut im Ofen war es möglich, zu sehen, wie der Schatten in den sinkenden roten Flammen des glühenden Feuers, wie Wärme und Angst gemischt darin verschwanden. Er sah und dachte, es wäre, als ob jemand sein Ohr zur Luke hinhielt, um der Stimmung unten im Wohn- und Schlafraum fürsorglich zuzuhören, sich so zu informieren, wie ein kurzes Beugen, das mehr Schatten machte, das Licht abschirmte und im Kamin das Rot sich ins Grau verfärben ließ. Hunger und die lautlose Stille waren durch das Knacken des Feuers ab und zu nur abgelenkt. Der Hunger war nicht verschwunden, bis sein Vater seine Schwester ansprach: „Nimm die kleine Öllampe, schau nach eurer Mutter, schau wohin sie verschwunden ist!“, ließ er verärgert verlauten. Kurz danach stand seine Schwester auf, nahm die Lampe, zündete sie an, zog sich etwas über, machte die Tür auf, ging am Eingang der Abteilung des Stalls für die Kühe und Maulpferde vorbei, öffnete das große Holztor. Er hörte die knirschenden Laute. Es dauerte eine Weile, bis seine Schwester mit seiner Mutter eintrat. „Wenn du nicht in der Lage bist, für deine Kinder zu sorgen, du sie mit leerem Bauch ins Bett gehen lässt, dann reiße bitte dein Maul nicht so weit auf!“, sagte Kosar. Es klang nach einer Ankündigung neuer Regeln. Kosar murmelte nach ihrer Ankunft weiter und bereitete das Essen vor, das aus Brot und salzigem Käse bestand. Das alles passierte in der Schwere der Luft. Schweigend und mitleidend saßen sie zusammen, als der Monolog der Mutter voller neuer Regeln mit tadelnden Worten, die an Dada, seinen Vater, adressiert waren, verkündet wurde. Dada war mit solchen Wutanfällen Kosars vertraut, hatte ebenfalls Hunger oder überlegte sich etwas anderes, was, das wusste Gomnam nicht. Kosar führte ihren Monolog fort und ließ hören: „Wenn du nicht in der Lage bist, dich selbst um deinen Bauch zu kümmern, geschweige denn um deine hungrigen Kinder, warum nennst du dich dann Vater!“ Kosar ließ die Kinder mithören. Sie kamen zusammen zum Essen. Als Gomnam Kosar fragte, wo sie gewesen sei, wurde selbst diese Frage problematisch, da Kosar die Antwort Dada überließ. Es wäre doch besser, wenn er sein Löwe-Sein auch vor uns zur Schau stellte. Sie wandte ihren Blick auf seinen Vater, lächelte erst ihn und dann die Kinder sanft an. Sein Vater schüttelte den Kopf, murmelte das Wort „verrückt“ und kaute in humorgefärbter Stimmung das Käsebrot. Meist, wenn er mit seinem Sarkasmus noch nicht aus seiner Einsamkeit herauskam, verhielt er sich so. Gomnam liebte seinen Vater, wie auch seinen Großvater. Gomnam spürte, dass etwas mit der Liebe zwischen Dada und Kosar meist nicht ganz stimmte und sie manchmal auch gar nicht vorhanden war. Ob sie durch die Abhängigkeiten oder aus Gewohnheit aneinander klebten, konnte er nicht beurteilen. Dieses Bild kam ihm immer wieder hoch und ohne weitere Details vor Augen. Egal, zu welchen Anlässen er seine Eltern in den späteren Jahren sah, war auf einmal dieses Bild präsent, wie auch jetzt im Aufwachraum. In einer zweiten Szene kam ein weiteres Bild in ihm hoch, wie er in denselben Raum seines Elternhauses kommt und seine Mutter hinter seinem Vater sieht, der ihm den Rücken zuwendet. Er sieht die Fäuste seines Vaters, er sieht seine Mutter, die ihr Gesicht vor den Schlägen des Vaters schützt und etwas summt oder schreit – was, wusste er nicht mehr. Gomnam nahm seinen Schäferstock in die Hand, intuitiv handelte er voller Kraft und Wucht und schlug seinem Vater von hinten zweimal hintereinander auf den Rücken. Seinen zweiten Schlag auf den Mittelrücken konnte Dada, sein Vater, nicht wegstecken, gebeugt vor Schmerzen zog er sich zur Seite zurück. Gomnam soll zu ihm gesagt oder ihn angeschrien haben: „Hör auf! Wenn du das nächste Mal meine Mutter schlägst, schlage ich dich tot.“ Er hob den Schäferstock wieder hoch, zielte auf Dadas Kopf. Seine Mutter, Kosar, nahm seine Hand, seinen Stock, sagte: „Es ist genug mein Lieber, er tut es nicht mehr!“ In diesem Ton sollte er auch seinen Schäferstock zuvor schon mehrmals hoch und runter bewegt haben. Dada lag auf dem Boden – blass. Seit diesem Zeitpunkt erhielt Gomnam das bekannte Markenzeichen eines Muttersöhnchens. Wie er das hasste. Es kam noch hinzu, dass er nicht zusehen konnte, wie im Dorf Mäuse oder Ratten lebendig ins Feuer geworfen und ihnen beim Totentanz mit Freude zugeschaut wurde. Er lief dann immer weg, während die anderen Jungs und Schaulustigen es beobachteten, dabei lachten und spielten. Es reichte ihm im Dorf schon, als Muttersöhnchen angesehen zu werden. Er war das Lieblingskind seines Großvaters und sollte aber bald zum Mann, also beschnitten werden, ihm stand das Beschneidungsfest, Khatneh, bevor.

 

 

Die Pilgerfahrt zu Gomnams Beschneidungsfest

 

 

Als die zugemauerten Schneeberge im Delta-Streifen von Tazehkand kleiner wurden, die ersten Knospen sich aus der Erde trauten, fing es mit den Vorbereitungen zur Wanderung und auf das Leben als Charwadar, Händler, Bote, an. Auch die Umzüge der nomadischen kleinen Familien begannen. Wie auch Gomnams Familie, nahmen sie alles mit, was sie und die Tiere bis zum Einbruch des ersten Schnees brauchten. Sie bildeten eine Karawane, viele Maulpferde oder Pferde trugen das Gepäck, die Frauen, die Kindern, die Hühner, gingen den Bergweg hinauf, bis sie mit ihren Jurten die Grenze zu Talesch im Norden am Kaspischen Meer erreichten. Vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang konnte man mit einem Maulpferd den Weg auf die Schnelle zweimal hin- und zurückreiten. Die Schäfer führten ihre Tierherden über andere, etwas längere Wege. Bis auch sie dort ankamen, übernachteten sie ein bis zwei Nächte im Freien, begleitet von ihren Schäferhunden und ausgerüstet mit Jagdwaffen zum Schutz ihrer Herden. Wenn sie ankamen, brachten sie auch die Jungtiere mit, die unterwegs auf die Welt gekommen waren. Diese wurden gesäugt. Auf dem Weg zu den Sommerterrassen war Gomnam zusammen mit den Schäfern und den Tieren unterwegs. Als er von der Nordhälfte des Talesch auf die Westhälfte schaute, sah er auf die Höhe des grünen abgeflachten Bergs mit Namen Shah Moallem, Königslehrer, dieser war umringt von einer unendlichen Weite und dicht bewachsen von Grün. Als er den Schäfer Hojat fragte, was es mit diesem Berg auf sich habe und weshalb so viele aus den umliegenden Dörfern und Bergsteiger dahin pilgerten, schmunzelte Hojat kurz und sagte, dort sei ein Esel begraben. Er erzählte dann die Geschichte dazu: Vor vielen Jahren habe sich ein Gesandter des Königs dort verlaufen, der den Auftrag hatte, die Ernteanteile der Bauern für den König zu kassieren. Bevor er das Dorf erreichte, musste er dort an der Quelle übernachten. Als er aufwachte, fand er seinen Esel nicht. Er suchte ihn eine Weile und fand den von Wölfen angefallenen Esel tot – keine Spur aber von den zuvor gesammelten Abgaben. Er wurde traurig, denn er konnte die Abgaben nicht ersetzen und auch nicht die Dorfeinwohner zur doppelten Abgabe zwingen. Er beerdigte die Reste des Esels neben der Quelle – Stück für Stück – und trauerte ihm nach. Er wollte sich auf dem Fußweg ins Dorf machen, wusch seine Hände zuvor in der Quelle, nahm die grüne geflochtene Leine des Esels und seinen Sattel, sowie die restlichen Gegenstände mit. Er hielt kurz den Atem an und dachte darüber nach, was er wohl ohne die Abgaben und ohne seinen Esel hier auszurichten habe. Wie würde er nun sein Leben ohne Esel weiter gestalten, überschütteten ihn die Gedanken – seine tiefe Trauer um seinen Esel und die Dankbarkeit für sein Leben bislang, das er dem Esel zu verdanken hatte. Er hatte Angst vor dem König, nicht wegen seines Esels, sondern wegen der verlorenen Abgaben, die er nicht ersetzen konnte. Er beschloss zunächst seinen Esel zu verewigen, ihn für die Nachwelt unvergesslich zu machen. Als er sich auf den Fußweg machte und das erste Dorf erreichte, sang er ein Lied in einer Sprache, die keiner verstand, man vermutete es sei arabisch, die Sprache des Korans, die Sprache des Heiligtums, die die Tataren sowieso nicht verstehen konnten, die Sprache des Propheten Mohammed. Um die Glaubwürdigkeit seiner Person zu erhöhen, bastelte er sich aus der grünen Leine des Esels einen grünen Turban und setzte ihn auf. Mit den restlichen Perlen des Eselschmucks am Sattel verschönerte er sein eigenes Aussehen. Die Dorfeinwohner sammelten sich, sprachen mit ihm. Er sagte, was er gesungen habe, sei ihm gestern an der Quelle in einem Traum erschienen, in welchem der Lehrer des Königs aufgetaucht war und der ihm diesen Turban gegeben hätte. Er bringe nun eben seine Botschaft mit dem Gesang hierher, weil der Lehrer erwähnt hatte, dass es in diesem Dorf viele ehrliche Gläubige gebe und fuhr fort zu singen. Er erzählte weiter, dass, als er aufwachte, er diesen Turban in der Hand hatte, als Symbol der Heilkraft dieser Quelle und ihres Wassers. Er wolle diese Botschaft mit ihnen teilen. Auf die Frage, wie es ihm wohl gehe, warum er diesen Zeitpunkt und dieses Dorf gewählt habe, erwiderte er, dass Shah Moallem, mit seiner Mission die Abgaben der Einwohner an den König für ewig stornieren wollte, sowie dass die Dorfeinwohner nun dort an jener Quelle ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen könnten und nicht mit jährlichen Abgaben an den König. Sie sollten dorthin pilgern und dem König heilige Grüße an dieser Quelle ausrichten lassen, dass er nun keine Gesandten mehr hinsenden möge, da auch sein letzter Gesandter dort begraben sei. Er könne sich vorstellen, die Geschenke für Heilung dort zu sammeln und zu verwalten. Das Gleiche gelte somit für die Nachbardörfer, wenn sie diese davon überzeugen würden. Sie stünden an erster Stelle bezüglich der Heilung, die anderen würden ihm bestimmt glauben und nachziehen, da auch sie nahe der Quelle wohnten, so, wie es euch und ihnen durch meinen Traum anvertraut worden sei. Die Einwohner waren verblüfft, voller gemischter Gefühle, aber auch stolz. Er schien ihnen glaubwürdig, sie waren froh, keine Abgaben mehr an den König zahlen zu müssen; statt ihrer Not und ihrem Elend erlebten sie jetzt etwas anderes. Was sie nun erlebten, machte etwas nachvollziehbar Besonderes aus ihnen. Sie machten es den Nachbarn auch glaubhaft und feierten gleich an der Quelle. Dem Eselbesitzer gaben sie im Dorf Asyl, bemerkte Hojat in seiner Erzählung und setzte fort: „Er hatte diesen merkwürdigen Turban, sang dann immer wieder rhythmisch für die Dorfeinwohner, so wie der Klang der Gebete des Koran sich für die Zuhörer wohl anfühlte.“ Einige bedankten sich bei ihm, servierten ihm Tee und Essen, stellten viele Fragen. „Was wäre, wenn ...?“ Nach langem Überlegen, gingen auch sie alle zu dieser Stelle. Hojat zeigte ihm die grüne Fläche auf dem Berg und führte weiter aus: „Ja so ging seine Rechnung auf, alle gemeinsam bauten dort an dem Grab des Esels eine Kapelle und schmückten sie. An der Stelle, wo der Esel begraben war, hatten sie frische Erde bemerkt. Es stimmt, was viele später behaupteten; es reicht, dass Menschen von damals und heute sich mit dem Gebet und Klang des Korans vertraut fühlen, dann glauben sie auch an das Unmögliche, wie auch die Familie deines Großvaters“, betonte Hojat, „den ich sehr achte.“ Er sei nicht gepilgert, seine Familie auch nicht, eigentlich glaube er eher nicht daran, dass sein Großvater so etwas tun würde. Er wisse es sogar, behauptete Hojat, jedoch dürfte man es nicht laut sagen und es nicht den anderen erzählen. Es sei besser, die Menschen glauben zu lassen, was sie glauben wollen und ihnen nicht den Glauben zu nehmen, sich nie respektlos zeigen, wie sein Großvater. Hojat hatte ein Lagerfeuer gemacht und zum Spätfrühstück Schafe gemolken. Er holte aus dem Lagerfeuer einen glühend heiß gewordenen Stein und stellte den Milchtopf darauf. Die Milch kochte plötzlich hoch, den aufsteigenden Schaum konnte man sehen. In diese heiße, kochende Milchmenge mischte er Brotwürfel und frische Kräuter. Das war lecker. Ein Geruch und Geschmack, der bei Gomnam über die Jahre immer wieder unvergesslich präsent war, wenn er heiße Milch trank, ebenso wie Hojats Geschichte von Shah Moallem und der Kapelle. Hojat wusste, dass der Großvater von Gomnam demnächst zu seiner Beschneidung ein Fest in Shah Moallem organisieren wollte und konnte es nicht verstehen. Hojat war im Dorf kaum zu vernehmen, man hielt ihn für stumm und behindert. Er fügte noch hinzu, dass Gomnam dieser Geschichte nicht zu viel Wert beimessen sollte, sie für sich behalten möge. Was die Menschen glauben mögen, solle er auch ihnen überlassen und es respektieren. Er möge nur genießen, was ihm in seinem Leben guttue und –schmecke, wie dieses Mahl zu dieser Zeit in der Natur, während er Gomnam die Landschaft zeigte. Gomnam sollte beschnitten werden, als Zeichen des Mannseins. Dass deshalb eine Pilgerfahrt zur Feier nach Shah Moallem organisiert werden sollte, war er sich doch nicht mehr sicher – vor allem nach dieser Geschichte. Alle hielten sich bedeckt. Die Pilgerfahrten wurden von einem Lehrer aus dem Dorf Gandom Abad, was Weizenfeld bedeutet, organisiert und waren angeblich in bestimmten Kreisen angekündigt worden, so genau wusste Gomnam das nicht.

 

Die Dorfeinwohner hatten ihre Zeit sich vorzubereiten, bis die Karawane der Pilger sich auf den Weg machen würde. Sie hatten Zeit für Überlegungen zu ihren Wünschen, zur Ausrüstung, zu ihren Mitbringseln und Geschenken, um ihren schwer Kranken, ihren Menschen mit Geh-, Seh- und Hörbehinderung Achtsamkeit zu schenken, ihre Heilungswünsche zu konkretisieren, sich auf alles vorzubereiten. Es kamen auch schwangere und nicht schwangere Frauen, bestrafte Männer, Jungs und Mädchen. Meist wünschten sie sich Heilung, flüsterten ihre Wünsche an den schweigenden Shah Moallem vor der Kapelle, in der Hoffnung von ihm gehört zu werden. Viele andere Dinge, die Gomnam von den anderen Jungs ab und zu gehört hatte, betrafen auch Pilgerfahrten, wie die Geschichte eines knapp Überlebenden, der von einem Tiger überfallen worden war und dabei eine Hälfte seines Gesichts verloren hatte. Er habe sein verlorenes Gesicht durch Shah Moallem neue gewachsen zurückbekommen. Es gab viele Erzählungen, die wieder von anderen weitererzählt wurden; behauptet wurde dabei immer, man habe das Unmögliche durch die Quelle – kaum fassbar – direkt erlebt. Oder man war Betroffenen begegnet, genau denen, die davon erzählt bekommen hatten und es weitererzählten. Alle waren bemüht, einen Platz in diesen Erzählungen zu finden, ihre eigene persönliche zu kreieren. Aus den Dörfern kannten sich manche nicht direkt, andere aber doch. Gomnam, klein wie er war, versuchte sich ein für ihn passendes Bild zu verschaffen. Es waren auch Geschichten, die Mirza ab und an erzählte. Zu seinem Erstaunen hielt dieser seine Hand über sein Herz und sang leise aber hörbar, Allah sei groß. So etwas sah Gomnam häufig bei ihm, nachdem er eine dieser Geschichten glaubwürdig erzählte. Gomnam aber schien die Geschichte von Hojat glaubhafter als die, die der Mirza erzählte, dies behielt er aber er für sich. Hojat hatte alles schon als Kind erfahren, er war älter als Gomnams Vater. Langsam kamen die Menschen aus den anderen Dörfern, von denen vermutlich auch er vor seiner Einschulung gehört hatte – auch, dass er dahin gehen würde. Hojat schüttelte ironisch seinen Kopf, lächelte, besser gesagt, er schmunzelte ins Leere und bemerkte, ja, manche hätten ihn für verrückte gehalten. Weil er nicht sprach, habe man ihn dort hingebracht, die Kapelle habe ihm jedoch keine Kraft zum Reden gegeben – jedenfalls nicht das, was die meisten unter Sprechen verstanden. So war manches über das Khatneh, das Beschneidungsfest, für Gomnam unklar geblieben – was dort genau stattfinden sollte und den Lebensweg der Jungs im Schatten der heilenden Shah Moallem Quelle begleiten sollte. Dies stimmte Gomnam nachdenklich; ohne dies preisgeben zu wollen, schwieg er. Momente der direkten Vorbereitungen auf die Pilgerfahrt kamen näher. Die Gespräche darüber und die Gesichter dazu, die Gomnam in seiner Erinnerung und durch die Erzählungen hatte, kamen immer wieder hoch. Er verdrängte sie lieber, indem er dann in seine Fantasieweltreisen eintauchte, begleitet von greifbarer Angst vor der Tatsache, nämlich beschnitten zu werden. „Wahrscheinlich tut es weh“, dachte er immer wieder. Er schmiedete sich andere Vorstellungen, in denen er auf einem verlorenen Planeten sein unbekanntes Glück suchte. Verloren daneben die Erde, die ihm manches verdarb und ihn krank machte. Er mochte sie nicht, dachte sie sei mit vielen Viren infiziert, so wie vieles auf ihr, auch die Menschen, ohne Verstand durch die selbstverständlich freudig in ihren Köpfen niedergelassenen Viren. Dann drehte er wieder seinen verlorenen Planeten oder ließ ihn dort liegen, da er kaum damit weiterkam. Am besten verließ er in Gedanken seinen verlorenen Planeten und wusste aber, dass für ihn das geplante Pilgern kommen würde, mit oder ohne Sinn, wie auch immer es sein würde. Schon bevor Gomnams Familie ihr Sommerrevier in den kalten Herbsttagen verließ, um sich in Richtung Tazehkand auf den Weg zu machen und dort vor der Winterkälte Schutz zu suchen, hatte Gomnam viele Gespräche mit angehört, gelauscht, während er den halben Tag auf dem Feld arbeitete und die Maulpferde mit dem Tierfutter vollpackte. Er lief bis Tazehkand und setzte sich auf dem Rückweg auf das Maulpferd, vorausgesetzt, dass er kein Gepäck von dort holen musste. Meist kam er erst am Abend im Dunkeln in die Jurte zurück, die sie auch in diesem Sommer aufgeschlagen hatten. Je näher die Zeit zum Pilgern rückte, desto größer wurde seine Angst. Er ließ es sich nicht anmerken, klammerte sich manchmal aber an sein Maulpferd, an den sanften Schwanz oder vorne an die Jahll – die Mähne und an das Zaumzeug. War er hinten, drehte er dessen langen Schwanz um seine Hand. Sein Maulpferd kannte seine Ängste, hielt mit ihm inne, ließ ihn sanft zu sich heran – beide rochen nach grünem Gras. In der arbeitsintensiven Zeit redete er meist mit sich selbst, führte Monologe und sprach aber auch mit seinem Maulpferd, wenn er unterwegs war. Die Arbeit bestimmte sein Leben. Das Leben wurde zu einer sekundären Sache, primär hatte ihn die anstehende Arbeit im Griff. Gomnam erfuhr inzwischen halb offiziell von Tanten und Onkeln, die es sich stolz ins Ohr flüsterten, dass sein Khatneh – das Beschneidungsfest – tatsächlich in Shah Moallem stattfinden sollte. Ein großes Ereignis. Es wäre eine gute Gelegenheit, den dortigen Lehrer aus Gandom Abad kennenzulernen. Er sollte sich eigentlich freuen, schwieg aber, um seine Ängste zu kaschieren oder darüber nicht reden zu müssen, was ihm peinlich gewesen wäre. Da seine zerstrittene Großfamilie in Shah Moallem miteinander Frieden schließen wollte und seine Beschneidung als Anlass genommen wurde, soll der Lehrer seinem Vater und Großvater ausgerichtet haben, sei es höchste Zeit, seinen ältesten Enkel nicht in der fernen Fremde einschulen zu lassen, sondern bei seinem Bruder Mochtar in Gandom Abad, bei ihm. Alles werde gut gehen, wenn sich die beiden Brüder in Shah Moallem friedlich die Hand geben würden. Die Schule würde bald beginnen. Er möge als Zeichen des Familienfriedens Gomnam bei ihm in die Schule gehen lassen, worüber er sich auch als Lehrer freuen würde. Gomnam hörte meist all dem zu und leistete keinen Widerstand. Wenn er überhaupt gefragt wurde, hieß es, das sei doch gut für ihn, oder? Dieses und jenes war für ihn angedacht, alle waren stolz, dass zu seiner Einschulung eine große Sache zustande kommen würde. Gomnam gab sich zurückhaltend zufrieden, er war der älteste Sohn einer zerstrittenen Familie, die viele Geheimnisse hütete. Der Umzug wurde vorverlegt, in den ersten Herbstwochen sollte das Wetter in Shah Moallem gut sein. Viele, die seine Familie kannten, würden aus den umliegenden Dörfern kommen. Sein Großvater soll zwei Rinder und 30 Schafe gespendet haben. Sein Vater würde der Kostenträger sein. Alle Gäste sollten sich eine Herberge im Zelt aufschlagen, waren zum Essen und Trinken eingeladen, es sollte also für alles gesorgt sein. Sein Großvater überlegte, an wen noch, wo und welche Botschaften zu hinterlassen wären. Gomnam wusste nicht, ob er sich tatsächlich freuen, sich seinen Ängsten überlassen sollte und grübelte, was passieren würde, wenn es so weit sei. Es meldeten sich sogar ungewohnte Besucher aus Gandom Abad an, solche, denen man nicht einfach absagen konnte, mehr und mehr geriet seine Familie in Verlegenheit, dem einen oder anderen absagen zu müssen. Die Gründe waren für Gomnam nicht zu verstehen. Irgendwie konnte man manchen Verwandten und fernen Familienmitgliedern absagen, dann aber doch manche, wie seinen Cousin einladen, die zur Familie gehörten, wie dessen Vater, der im Widerstand mit Mirza Kutschak Khan gefallen war. Sie waren die Haupthelfer und Macher des Umzuges beziehungsweise der Pilgerfahrt, vor allem sein Onkel Hydar. Die Söhne von Mochtar, dem Dorfbürgermeister, kannte Gomnam nicht gut. Sein Großvater redete mit Gomnam über alles, jedoch nicht über die zurückliegenden Konflikte vor geraumer Zeit. Er erwähnte aber, dass er seinem Bruder Mochtar nicht verzeihen konnte, da er dem Arbab die schmutzige Wäsche wusch, ihm diente, auf Kosten anderer Bauern lebte und sie unterdrückte. Deshalb hatte Gomnams Großvater Mochtar immer verachtet. In einem anderen Ton lobte er seinen kleinen Bruder Fyzie, der im Widerstand gegen Arbab, dem Großgrundbesitzer und das zentrale Regime im Iran ums Leben gekommen war. Ihn hielt er für einen Helden und seinen Bruder Mochtar für einen Verräter. Mochtar lebte in Gandom Abad, wo die Schule war, in der Gomnam eingeschult werden sollte. Auffällig war, dass nur der Vater von Gomnam in Gandom Abad einige Felder begehen und beackern durfte. Ihm begegneten alle mit Respekt. Als Sohn von Eynie, empfingen sie ihn, auch wenn Gomnam dabei war. Dada wiederum redete aber kaum mit seinem Vater, Gomnams Großvater. Sie pflegten keine gute Beziehung miteinander, im Gegensatz zu Gomnam und seinem Großvater. Wenn er in dem einen oder anderen Sommer nach Gandom Abad ging, gehörten sie mehr oder weniger dazu – abgesehen von der Beziehung zum Lehrer. Dieser war für Gomnam bislang kein Thema gewesen. Der Tag rückte nun immer näher, ein besonders stolzer Tag zu Beginn seines Mannwerdens. Die Vorbereitungen zu seinem glücklichsten Tag nahmen ihren Lauf. Alle taten etwas für ihn, einige kamen vorher zu Besuch, um die Vorbereitungen zu klären. Wann es losgehe, wer Teil der ersten Reihe der Pilgerkarawane sein solle, wer sich anschließen würde und was immer noch geklärt werden musste. Alle, die kamen, kannten seinen Namen, wenn nicht, wussten sie nun schon, dass es sich um den Enkel von Eynie handelte, der anlässlich seiner Khatneh-Feier mit seinem Bruder Mochtar eine Versöhnung anstreben würde und dass der Dorflehrer von Gandom Abad dabei eine bedeutende Rolle spielte. Wie auch immer, Gomnam sollte bei diesem eingeschult werden. Der Tag kam, nachdem am Abend davor schon einige Gäste in Tazehkand eingetroffen waren, die aus der benachbarten Höhe von Talesch Sejawaroud anreisten und Gomnams Familie trafen. Die Pferde, Maulpferde, Esel, und Schlachttiere übernachteten gesammelt nahe der Jurte seiner Familie. Die Pferde, Maulpferde und Esel waren noch vor Tagesanbruch gesattelt und der Reihenfolge nach in Warteposition platziert worden, um sie zu bepacken. In einem kleinen Haltenetz auf ihnen gackerten und schrien einige kleine und große Hühner und Hähne. Auf einem Maulpferd wedelte seine kleine hübsche Hündin Zanbur mit dem Schwanz, seine Biene, seine blonde Freundin. Die Beschneidungspilgerkarawane setzte sich in Bewegung in Richtung Shah Moallem. In der ersten Reihe sollte sein Großvater an der Spitze der Karawane reiten, dann dessen Bruder Mochtar, dem Gomnams Eltern, Gomnam – in Begleitung seines Cousins, seitens des verstorbenen Onkels – und Zanbur folgten. In den hinteren Reihen gingen andere Onkel und Tanten, Nachbarn und Verwandte aus den naheliegenden Dörfern. Als Gomnam auf sein Pferd stieg, versuchte er jegliche Vorstellungen von seiner Beschneidung zu ignorieren, alles, was ihm Angst und leichtes Herzklopfen schenkte. Angst, die er nicht haben durfte, aber hatte, obwohl er viele Erzählungen darüber gehört hatte, die alle am Ende gut ausgegangen waren. Gomnam war sehr froh, dass Zanbur dabei war. Er beruhigte sich, wenn die Ängste hochkamen, indem er von seinem Pferd stieg, einige Schritte zu Fuß ging, Zanbur streichelte. So tröstete er sich selbst, ließ seine Ängste versinken und besänftigte sich mit seinen Vorstellungen vom Leben auf einem anderen Planeten. Zanbur hatte ihm sein Cousin zu seinem Schutz mitgebracht und ihm noch vor seiner Beschneidung geschenkt. Seit Anfang des vergangenen Winters war seine Hündin, die den gleichen Namen hatte, verschwunden. Man erzählte, sie sei von Wölfen gejagt und gefressen worden. Zwei Tage lang, nachdem sie verschwunden war, konnte Gomnam wegen dieses Verlustes nichts essen oder trinken. Manche Erwachsenen hatten sich über seiner Empfindsamkeit lustig gemacht, sein Cousin jedoch nicht. Dieser brachte eine kleine Hündin der gleichen Rasse mit, so wie seine Mutter es beauftragt hatte, weil Gomnam unter dem Verlust so litt.

 

Bei seiner ersten Begegnung mit Zanbur am Abend war Gomnam etwas verwirrt, dachte an die Wiedergeburt von Hunden. Sein Erstaunen, Freude und Traurigkeit überwältigten ihn zugleich, so dass er weder Freude noch andere Gefühle zeigen konnte, jedoch vor Begeisterung stillschweigend weinte. Er drückte das kleine Wesen in seinen Armen an sich und streichelte Zanbur liebevoll. Zanbur ließ es mit sich geschehen, fing mit ihm eine Beziehung ohne Distanz an, mit Nähe und Zuneigung. Sie war ihm eine Stütze bei seiner seelischen Lähmung. Seit diesem Zeitpunkt hielt sich Zanbur immer in seiner Nähe auf. Als er auch sie im Blick hatte, kam ihm ein komischer Gedanken, dass es schön war, dass die Tiere nichts mit der Beschneidung zu tun hatten, jedoch mit menschlichem Zwang sogar gepaart wurden. Es kam ihm das Wesen Mensch als ein merkwürdiges Tier in den Sinn. Er schaute auf und nach hinten zur Karawane, um zu sehen, wie lang sie und wer noch dabei war. Sein Cousin erzählte ihm Geschichten rund um Beschneidungen, um seine Angst zu mildern und auch Geschichten aus der Familie. Manchmal stellte Gomnam ihm Fragen über dessen Vater, der im Widerstand ums Leben gekommen war. Sie sprachen auch über seine bevorstehende Einschulung. Gomnam fragte ihn, ob alle, die zur Schule gehen, Mirza werden müssen. Sie kamen aber wieder zum Thema Beschneidung zurück. „Letztendlich handelt es sich um ein kleines Stück Haut, die Vorhautentfernung am Penis“, dachte Gomnam. Er fand es merkwürdig, welcher Aufwand betrieben wurde und warum – für ihn erschien das ohne Logik. Er dachte darüber nach, welche Rituale dem Ding zugedacht wurden, dass sein Onkel extra damit beauftragt wurde, sein Kirba zu sein, dass einem Patenonkel sein weiteres Leben für den Fall der Fälle anvertraut werden sollte. Sein Kirba war von seinem Großvater gebeten worden, mit seiner Familie für drei Tage nach Shah Moallem zu kommen. Sie waren auch in der Karawane dabei, mit Onkel Hassan. Einiges, was Gomnam einfiel, fragte er seinen Cousin Hydar. Wie das Ritual aussehe, wenn dieses Stück Vorhaut seines Penis abgeschnitten und wie es genau gemacht werde. Ein Teil der abgeschnittenen Penisvorhaut werde in einer Räucherzeremonie zu Asche verbrannt und einen Tag später in die erste nahe gelegene Quelle gestreut. Sie werde dem Wasser der Quelle übergeben und dabei werde um die Klarheit seines Lebens gebeten. Zuvor werde das Teil in einer Schale mit Thymian, Lavendel und Rosenwasser bedeckt, auf einer Feuerschale langsam erhitzt, bis Rauch entsteht. Durch diesen langsam aufsteigenden Rauch soll die Natur auf diese Samenquelle aufmerksam gemacht werden und die Asche wird dann dem Wasser überlassen. Alle Elemente der Natur seien in sein Mannwerden involviert. Es gehöre dazu, sagte sein Cousin und fügte hinzu, dass sich das alles schlimmer anhöre, als es sei. Es tue nicht so sehr weh und würde innerhalb von ein bis zwei Wochen heilen. Während Gomnam das hörte, wünschte er sich einen Wind, der ihn wegzaubern konnte, ihn in solchen Momenten, in denen er sich in eine Zelle gesperrt fühlte, wegblasen würde. Er mochte den Wind, pustete in manch unerträglichen Momenten in diesen hinein und bewegte seine Hände wie ein Vogel. Er rannte gegen den Wind, malte sich aus, alles im Wind weggepustet zu haben und fühlte sich leichter als vorher. Er mochte auch die nassen Brisen in Unwettern, im Glauben, dass sie alles weich abwuschen. Dieses Mal wünschte er sich einen Wind, der sogar Shah Moallem wegblitzen und wegpusten würde, dorthin wo die Bäume mit Moos grün verfärbt waren, wie auf den Spitzen der Gebirge. Ein Wind, so stark, dass die knorrigen Bäume in Bewegung kamen, ihre Äste und Spitzen, voll von grünen Tüchern als Wunschsymbole wehten. Er mochte eigentlich nicht den Boden von Shah Moallem betreten oder berühren, konnte sich aber nicht durchsetzen. Er würde dann auch selbst, statt diese Tücher zu zerreißen, einige dort aufhängen. Es müssten nicht viele sein, weil das viele Mitreisende ja auch taten. Sie hatten genügend davon in Vorbereitung auf diese Reise mitgenommen. Die grünen Tücher waren für Zukunftswünsche bestimmt und die schwarzen für die Heilungswünsche. Gomnam sah, dass seine Familie viel mehr grüne als schwarze Tücher mitnahm. Ihm wurde auch empfohlen, solche mitzunehmen, die grün waren. Er wusste aber nicht, was er in die grünen hineinflüstern sollte. Vielmehr wollte er die schwarzen, in denen er sich die Heilung seiner Onkel, Tanten und Dorfeinwohnern wünschen wollte. Die Gedanken an das Bevorstehende erfüllten ihn mit Traurigkeit, er fühlte Ohnmacht, also schwieg er und war nachdenklich.

 

Er konnte nicht verstehen, was und wie viele Dinge damit verbunden waren, mit diesem Ort, mit der kleinen Kapelle, hinter der eine kalte Wasserquelle mit Büschen und Bäumen zugewachsen war. An dieser Stelle, die Hoffnung und Heilung geben sollte, gab es auch keinen Wind, der diese Wunschtücher wegblasen oder mindestens die Bäume von dieser Last befreien würde. Gomnam kannte aus den Erzählungen seines Großvaters eine Version der Geschichte, bis Hojat ihm seine ausführlichere Version anvertraut hatte. Sein Großvater hatte es ihm erst vor einiger Zeit kurz erklärt. Er sprach von einem hochrangigen Lehrer mit seinem Esel, dieser starb dort. Die Dorfeinwohner, die gewisse Steuerabgaben an den König nicht zahlen wollten, kamen auf die Idee, ihn neben seinem Esel zu begraben und dem König einen Dankesbrief zu senden, dass mit der Betreuung seines Grabes die jährlichen Steuerabgaben abgegolten wären. Die Bauern zahlten dem Lehrer zunächst so viele Steuerabgaben, dass er weitere zwei Esel zum Transport verlangte. Da kamen sich die Bauern etwas dumm vor, wussten aber nicht, wie hoch nun die Grenze der Abgaben war, da sie immer weiter erhöht wurde. Das ging immer so weiter, bis einer der Ältesten des Dorfes den Lehrer zum Abschiedsessen einlud. Man legte dem Moallem nahe, ein Angebot anzunehmen. Da er ja mit einem Anliegen wegen der tiefen Trauer um seinen verstorbenen Esel in die Dorfgemeinschaft gekommen sei, strebe diese nun eine grundsätzliche Lösung an. Ihm und seinem verstorbenen Esel wolle man für seine Nachfahren und den König ewiges Gedenken ermöglichen. Wie immer das geschehe, möge er der Dorfgemeinschaft überlassen. Nach dem Essen packten sie ihn, banden ihn und seinen Esel zusammen, gingen an die Quelle, ließen ihn einen letzten Tropfen Wasser aus dieser trinken und beerdigten dann zwei Wesen – einen verstorbenen Esel und einen lebendigen Lehrer. Seit dieser Zeit, die keiner bestimmen konnte, kursieren viele unterschiedliche Sagen und Erzählungen. In allen kam auf jeden Fall ein Esel vor, egal wie die Geschichte anfing und endete. Alles deutete aber darauf hin, dass an diesem Ort etwas Unmögliches geschehen war. Die Wahrheit schien aus Gomnams Sicht ebenso unerreichbar, wie die Höhen dieser Berge. Das dachte er sich, wenn er nach vorne zu den Spitzen dieser Berge schaute, die ihm sehr fern vorkamen. So wie die unterschiedlichen Erzählungen mit ihren Abweichungen entstanden waren, wünschte sich Gomnam eben auch, dass in seiner Version die Helden in dieser Geschichte tauschbar wären. Er würde gern mal den Lehrer des Königs mit dem Mirza tauschen. Vor dem Esel hatte er mehr Achtung als vor dem Mirza. Er mochte Tiere mehr als Menschen, stellte Gomnam fest, viele Momente seiner Fantasien, Monologe und inneren Fluchtreisen konnten das bezeugen.

Wie lange es noch dauern konnte, davon hatte Gomnam keine genaue Vorstellung, oder wer sich wann der Karawane angeschlossen hatte. Mehrfach überhörte er die Aufforderungen seines Großvaters, etwa die Karawane zu stoppen, um die zurückgebliebenen Maulpferde, Pferde, Esel und Menschen näher kommen zu lassen und damit alle in eine Reihe kämen. Seine Reihe ging los, sein Pferd trug ihn vorwärts. Gomnam war kurzzeitig auf dem Pferd eingenickt, wie lange wusste er nicht mehr.

 

So passierten viele Dinge, an denen er in seiner abwesenden Anwesenheit beteiligt war, wie durch seine wechselhaften Gefühle und Gedanken, wenn er daran dachte, wie und was nun mit seiner Penisvorhaut passieren würde, um seine Eintrittskarte in die Welt der erwachsenen Männer zu bekommen. Gomnam kam sogar sein Mannwerden sehr suspekt vor, ebenso wer für wen so etwas bestimmte. Auch wieso auf einmal in diesem Geschehen ein Kirba-Onkel, Patenonkel, bestellt worden war, der dann eine entscheidende Person für sein Leben sein sollte, so etwas wie ein Vorbild im Mannsein. Er konnte das alles nicht nachvollziehen.

Wie ein Beschneidungstäter und -zeuge diese Rolle übernehmen konnte, war ihm auch suspekt. Dieser Kirba-Onkel macht alles spannend, legt einen Hautteil in eine Schale, kümmert sich um den restlichen Teil des Penis, indem er mit einer kleinen Flamme die beschnittene Stelle desinfiziert und Heilerde darauf sprüht. Mit einer langen Feder verteilt er diese gleichmäßig. Es ist wichtig, dass die Vorhaut dabei nicht zu wenig und nicht zu viel beschnitten wird. Er schaut dann, wie sie sich dort verformt. Hauptsache ist, dass keine Streifen an der Schnittstelle hängen bleiben, die kosmetische Chirurgie sich gut vollzieht. Dann kommt ein dünnes Tuch darüber, ein feuchtes zweites, in Knoblauch eingeweichtes Tuch, Khanet-Tuch genannt, wird auf das ersten gelegt. Anschließend wird das Ganze sanft für die ersten zwei Tage verbunden. Gomnam war zeitweilig sogar in seinen Gedanken gelähmt, wenn er daran dachte, was er aus der Erzählung seines Cousins und sonst bislang darüber gehört hatte und sich das alles nun vorstellte.

 

Als die Karawane ankam, war Gomnam doppelt und dreifach müde und machte einen kränklichen Eindruck, seine Gefühle und Gedanken belasteten ihn. Er kam wieder zu der verweigerten Antwort auf die an seinem Cousin gerichtete Frage zurück, ob innerhalb der Erwachsenen Männer es den einen oder anderen gäbe, der nicht beschnitten sei. Gomnam bekam den Eindruck, dass es keinerlei Fluchtmöglichkeit aus der Situation seines Beschneidungsrituals gab. Schon diese Vorstellung stimmte ihn kränklich. Er konnte sich kaum mit den anderen Jungs beim Spielen in den Bergen von Shah Moallem arrangieren, während die Erwachsenen die Jurten aufschlugen und der Rest sich am Lagerfeuer mit dem Essen für die Menge der Karawanenteilnehmer beschäftigte.

 

Am Tag seiner Beschneidung herrschte eine feierliche Stimmung, auch mit Gesang und Musik der „Asheglar Bahlawahn“, der „Verliebten Bahlawahn“, einer eingeladenen Musikgruppe. Sie stand im Gegensatz zur inneren Welt Gomnams, der Musik eigentlich mochte, aber nicht zu diesem Anlass. Er legte sich hin, hörte die Musik, das Kommen und Gehen. Er ergab sich dem Geschehen und seinem Schicksal. Während zwischen den aufgeschlagenen Jurten einige tanzten, einige aßen, andere spielten, versuchte Gomnam aufzustehen. Er wurde daran gehindert, da er noch mit seiner verlorenen Penisvorhauthälfte im Kopf beschäftigt war. Damit, wie er nach Aufforderung allen Schritten brav gefolgt war. In diesem Moment kam Zanbur schwanzwedelnd nahe zu ihm, schnupperte an seinem Körper, als ob sie wusste, was ihm geschehen war oder angetan worden war. Gomnam roch aber in diesem Raum mit Zanbur zusammen, die verbrannte Haut. Eine Schale lag an seinem Kopf, zu seinen Füßen Asche. Gomnam streckte sein linkes Bein, um sich im Liegen umzudrehen. Er sah die Schale, die mit einem grünen Tuch abgedeckt war. Das Ganze roch nach Rosenwasser, so dass Zanbur sich davon fernhielt, als sie merkte, dass sie den Geruch nicht mochte. Es war alles gegen den bösen Blick ritualisiert, es gab noch andere Kräuter zum Räuchern daneben in einer weiteren Messingschale. Dann kam das Essen, alle ließen es sich schmecken. Die eigentliche Pilgernacht hatte begonnen. Man ließ Gomnam das Essen zu sich zu nehmen und dabei durfte er liegen bleiben.

Durch die Lichtluke der großen Jurte schaute er zu den vielen Sternen, manche leuchteten mehr, andere weniger. Er sah wie der Mond den einen oder anderen Teil der Berge streckenweise mehr und wieder weniger beleuchtete. Seine Augen wurden schwer, er schlief wieder ein. Es donnerte in der Ferne, der Wind brauste und ließ einen riesigen Staubteppich aufwirbeln. Im Halbschlaf dachte er, dass der Wind aus seinen Träumen gekommen sei, wollte ihn aber jetzt nicht mehr erleben, weil er schon beschnitten war. Es war doch nicht so schlimm gewesen, er hatte es überlebt, ging ihm durch den Kopf. Er wollte keinen Wind empfangen, der dann seine Wünsche wegpustet, wie er es in seinen Fantasien unterwegs getan hatte. Er hatte nun doch Angst, dass der Wind, der zu spät kam und so wie er klang, alles, was auf diesem Berg war, in einer Spirale zusammenrollen könnte, auch die Jurte, in der er und Zanbur waren und in das Tal hinabpusten würde. Er bekam Angst, alle schliefen. Er hörte sogar, wie der Wind zwischen den Bäumen pfiff. Gomnam legte seinen Arm auf Zanburs Kopf, hörte, wie sie ihm zugewandt leise summte. Das beruhigte ihn sehr und er beruhigte sich auch selbst, indem er daran dachte, dass der Wind auf dem Berg immer und seit Hunderten von Jahren weht. Der Wind lässt keine Mengen von Menschen und Jurten in seinen Windteppich hinein, das sind sie ihm nicht wert. Darüber schlief er wieder ein und träumte davon, dass auf der Spitze des Berges ein fliegender Teppich war. Es stachen kleine Nadelstiche in seinen Körper, sie waren nicht zu ertragen. Er und seine Familie beeilten sich, um sich gegenseitig auf den fliegenden Teppich zu retten, um nicht ins Tal zu stürzen. Auf einmal verlor er seine Familie. Sie war vom starken Wind nach hinten vom Teppich geweht worden, weil dieser an der Bergspitze hängengeblieben war. Er war nach vorn gesprungen, fiel und versuchte jetzt an einem winzigen Zipfel Halt zu finden.

 

Gomnam wachte nassgeschwitzt auf, wollte sich bewegen und merkte, dass ihn sein umhüllendes Khatneh-Tuch daran hinderte. Er musste pinkeln, stand auf, ging ein paar Schritte, wollte urinieren, sah einen Turban, kleiner als der des Mirzas auf seinem Penis, aus dem sein Urinstrahl hinaussprang. Es brannte kurz, sonst merkte er nichts mehr, so als ob die Vorstellung dessen größer gewesen war als die hinterlassenen Schmerzen, als ob jetzt Tatsache war, was er nun erlebte und zuvor nur gehört hatte. Er legte sich wieder hin, schlief wieder neben seinen Schalen ein, alle schliefen. In der Morgendämmerung wachte er wieder auf, urinierte nochmals, wie ein Schlafwandler im Halbschlaf, dachte an seinen Traum oder eher Albtraum in der Nacht. Er war froh, es nur geträumt zu haben und nichts von dem geschehen war, was er gesehen und erfahren hatte. Zanbur begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Als er erneut seine Augen öffnete, hörte er die Stimme seines Großvaters, der seinen zukünftigen Lehrer begrüßte. Dieser sagte, sein Schüler schliefe noch und hoffentlich habe er eine gute Nacht gehabt. Der Lehrer war in Begleitung seines Bruders Mochtar. Beide sprachen nun nach Jahrzehnten wieder miteinander. Die drei Männer kamen in die Jurte. Gomnam sammelte sich halb im Sitzen und begrüßte alle schüchtern – auch den Lehrer von Gandom Abad.

 

„Du wirst ein guter Mirza“, sagte der Lehrer zu ihm. „Gott sei gedankt für diesen Anlass und dafür, was deine Eltern dir und uns geschenkt haben“, führte er weiter aus. Sein Großvater erwiderte nichts. Es ging mit Höflichkeitsfloskeln weiter, obwohl die Rede an ihn und seine Eltern gerichtet war. Sein Vater redete höflichkeitshalber gar nicht, nur sein Großvater erwiderte dann mit weiteren Floskeln. Der Lehrer fügte hinzu, dass er froh sei, dass die Großfamilie nach so vielen Jahren nun versöhnt zusammenstehe. Es wäre auch höchste Zeit gewesen dieses Geschenk Allahs anzunehmen. Gomnam würde auch ein großer Mirza werden, wie die davor, und wenn Gott es wolle. Möge sein Großvater Eynie seine Pilgerreise nach Mekka antreten. „Inschallah“, sagten alle Anwesenden, während sie ihre Teetassen lehrten.

Gomnam hatte von den Zusammenhängen der Trennung der Familie eine Ahnung, verstand sie aber nicht im Detail. Er driftete in seine Fantasien hinein, hörte aber auch den Unterhaltungen weiter zu. Er stellte fest, dass er diesen familiären Konflikt nicht durchschauen konnte, da alle miteinander in einem versöhnlichen Ton redeten, jedoch nichts ansprachen, was da eigentlich gewesen war.

Gomnam stand mit seinem rot-weißen Khatneh-Beschneidungstuch mit blauen Streifen auf, ging einige Schritte vor die Jurte, sah die Blicke der Jungs auf sich gerichtet, merkte wie er neidisch angeschaut wurde. Einer seiner Cousins war stolz auf ihn zugekommen, hatte ihn umarmt und gratuliert. Gomnam stellte fest, dass er nicht viel mit der Gratulation anfangen konnte. Die Jungs beendeten ihre Spiele und schauten ihn an, winkten ihm zu, gaben ihm Zeichen, luden ihn ein, mitzuspielen. Er selbst empfand tief in sich ein peinliches Gefühl, ohne sich erklären zu können warum, spürte er Scham in sich. Er sah die Jungs ihm zugeneigt, irrelevant, ob er sie kannte oder nicht, spürte dass er im Mittelpunkt stand und das wussten auch die Jungs. Manche spielten Reiten ohne Pferd, indem sie einen langen Holzstock zwischen ihre Beine gestreckt hielten und hüpfend, mit einer Peitsche in der Hand nach hinten wedelten. Sie gaben Geräusche von sich, rannten und hüpften, als ob sie auf einem Pferd oder Maulpferd galoppieren würden, während sie laut Galoppklänge aus ihren Kehlen aufsteigen ließen. Die älteren Jungs achteten darauf, dass alles in Ordnung lief, gaben Empfehlungen im Befehlston von sich. Manches davon stand zueinander im Widerspruch und sie kriegten sich deshalb in die Haare, während die kleinen sich darüber freuten, weiterspielen zu können. Spiele zu spielen hatte ihm immer am meisten Freude gemacht. Manche kannten ihn besser und fanden gut, dass Gomnam nicht Mirza werden mochte und wollten ebenso kein Mirza werden. Er hatte mitbekommen, dass einige den Sohn des Lehrers beschimpft und ihn als Klugscheißer beleidigt hatten. Sein älterer Cousin war dabei gewesen, um zu schlichten. Erzählt hatte es ihm sein jüngerer Cousin, der in seinem Alter und noch nicht beschnitten war. Gomnam traute sich nicht schnelle Bewegung zu machen oder sich an den entsprechenden Spielen zu beteiligen. Er dachte jedoch, dass er beim laufenden Versteckspiel mitmachen könnte. Da kam aber sein Kirba zu ihm vor die Jurte, teilte mit, dass er sich Zeit lassen solle, es wäre nicht klug heute beim Versteck- und Galoppspiel mitzumachen.

 

Gegen Mittag schaute sein Kirba sich seinen Penis an, bewunderte ihn, sagte es sei erstaunlicherweise alles wunderbar, er könne höchstwahrscheinlich bald uneingeschränkt hüpfen. In diesem Moment kam auch der Dorflehrer hinein und setzte die Bewunderungen fort. Gomnam ließ das über sich ergehen, ohne Genaueres von deren Unterhaltung mitzubekommen, dass er nun ein Mann sei, bald eingeschult und bestimmt in Zukunft ein großer Mirza werde. Der Kirba, sein Patenonkel, wischte sich die Hände ab, nachdem er seinen Penisturban sorgfältig mit der Schere aufgeschnitten hatte und während seiner wertschätzenden Bewunderungen Heilerde auf die beschnittenen Stellen gestreut hatte. Der Patenonkel murmelte ihm leise ins Ohr, wie gut seine Urintropfen seine Wunden säubern würden, er möge keine Hemmung haben dies zu tun. Dann legte er wieder ein leichtes Knoblauchtuch auf seinen Penis, locker gebunden, streute feine Heilerde gemischt mit getrocknetem Oregano darauf und sagte, morgen könnte er sein Khatneh, das Beschneidungstuch, ablegen und seine Hosen anziehen, wenn er möge.

 

Als er am nächsten Tag aus der Jurte kam, wusste er nicht, wie viele Runden des Versteckspiels die Jungs schon um die Kapelle gelaufen waren. Sie stoppten die laufende Spielrunde, gaben ihm ein Zeichen, dass sie ihn nun auch gerne dabeihaben würden. Die Kapelle mit ihren Kurven auf der Kuppe des Shah Moallem war, mit den sie umgebenden ausgewachsenen Bäumen und Büschen, deren Zweigen, gut geeignet und beliebt beim Versteck spielen. Gomnam beteiligte sich, lief, machte bei allen Runden mit, während die Jungs beim Zählen bis zwölf oder sieben, also bis zum Stopp-Ruf, losliefen ihr Versteck zu suchen. Der eine oder andere zwinkerte ihm beim Verstecken zu, um ihm zu zeigten, wo es besser wäre, sich zu verstecken. Bei alledem ließen ihn aber die Gedanken nicht los, dass sein Penis nie zuvor so öffentlich präsent gewesen war, wie in dieser Zeit. Ob dies ihn zu einem Mann machte oder etwas anderem, fragte sich Gomnam. Ob er nun ein Mann geworden war, woran sollte sich ihm das zeigen? Anders als zuvor war nur, dass sein Penis auch in seinen Gedanken so präsent war, wie nie vor dieser Zeit, präsenter als je zuvor und, dass er immer mehr, auch im Schweigen, sein Schamgefühl kennenlernte, wenn er sich bei dem Gedanken erwischte, dass er nur noch an seinen Penis dachte. Wie konnte es sein, dass er allein durch die Beschneidung ein Mann geworden war, wie konnte das von so einem kleinen Ding abhängen? Wie wäre er in der Lage das zu prüfen und zu beurteilen und ob er das wolle, nur weil ein Stück Haut von seinem Penis zu Asche geworden war. Er stellte fest, dass es ein Fakt war, dass er nichts damit anfangen konnte.

 

Während einer der Runden, als er nun selbst die versteckten Jungs suchte und dabei in seinen Gedanken weiter hin und her reiste, bewegte er sich nicht zu weit von der Kapelle weg, die der Anschlagpunkt für die Versteckten war. Er merkte, dass sich der Druck auf seine Blase erhöhte. Gomnam ignorierte das einige Male, um in der einen oder anderen Ecke den einen oder anderen Jungen zu finden. Dann ging das wegen des zunehmenden Drucks nicht länger, Gomnam musste pinkeln. Der Druck stieg weiter, er versuchte es zu ignorieren wie zuvor. Um den Pinkeldruck weiter auszuhalten, bewegte er ein bis zweimal seine Beine hin und her, schob es so auf. Dann ging nichts mehr, er musste nun unbedingt sofort seine volle Blase entleeren. Er sah niemanden, wusste aber nicht, ob ihn jemand aus seinem Versteck heraus sah oder beobachtete, wie weit er sich von der Kapelle entfernt hatte und ob sie dann zu der Kapelle rennen konnten. Der Druck steigerte sich noch weiter, es war unerträglich. Gomnam beschloss, dicht bei der Kapelle zu bleiben, war sehr wachsam, holte seinen Penis heraus und pinkelte, die übervolle Blase streckte seinen Pinkelstrahl ungewöhnlich weit, er reichte bis zur Kapelle hin, wo sich nun der Urin aus seiner Blase sammelte.

Plötzlich wurde Gomnam als Suchender der versteckten Jungs erwischt und das Ziel derselben. Alle grölten auf einmal – das, was er an dieser Stelle tue, sei unmöglich und sündenhaft, er wäre ein Kafir, ein Ungläubiger, einer, den Gott strafen müsse, so etwas wie seine Tat sei total verboten, das könne sich nur ein Ungläubiger trauen, ein Tier, ein Kafir. Gomnam stand mitten im Kreis der vielen Jungs, die er im Spiel suchen sollte.

 

Das Spiel war vorbei, das wusste er. Was er nicht wusste, war, was ein verstorbener Esel und dessen Kapelle mit Gott und Glauben zu tun hatten. Wegen der gewaltigen Reaktionen seiner Mitspieler wurde er blass. Besonders als einer der Jungen, Mirzad, der Sohn des Dorflehrers von Gandom Abad, seinen Penis rausholte und ihn anpinkelte, ihm so zeigte, dass solches Handeln auf einen normalen Menschen, der angepinkelt wird, verachtend wirkt. Mirzad schrie, Gomnams Handeln sei aber noch schlimmer, da er ein Heiligen- beziehungsweise ein Prophetengrab missachtet und beleidigt hätte, ihn müsse man steinigen. Mirzad fing an ihn noch lauter anzuschreien, suchte dabei gemeinsam mit zwei weiteren Jungs Steine, sie fanden zum Glück nicht viele. Einige Jungs blieben tatenlos, einige flüsterten miteinander. Gomnam stand wie versteinert in der Mitte, begriff nicht, worum es hier ging und wie er sich aus der Affäre retten konnte.

Keiner aus der Runde wollte und konnte ihn aus der Situation retten, denn er hatte wohl einen Propheten beleidigt, ihn angepinkelt. Es ging alles blitzschnell und die Situation schaukelte sich schnell hoch, so dass die Schreierei bis zu den Jurten zu hören war, sich manche Erwachsene zur Kapelle bewegten, um zu sehen was los war. Die drei besonders aufgebrachten Jungen um Mirzad schauten ihn gemeinsam mit den anderen in der Vorderreihe erschrocken an. Es kamen andere hinzu, die ihn auch erschrocken anschauten. Gomnam verzweifelte immer mehr, als er den Schock der Erschrockenen wahrnahm. Er versuchte seine Hose festzubinden. Die Luft war geladen mit Aggressivität, die Spirale wurde lauter und stieg immer höher. Das Wort Kafir war immer wieder und lauter zu hören. Er wurde gefragt, wie, warum, weshalb er an dieser Stelle gepinkelt hatte. Es wurde gesagt, er sollte gesteinigt werden, sowas könne man nicht hinnehmen. Er habe gesündigt und wenn die Sündigen nicht bekämpft werden, würde man selbst sündigen. Mirzad wiederholte noch einige Male das Wort Kafir, Kafir ... Sie riefen „Ungläubiger“, um dann alle ihre Handflächen zwischen Daumen und Zeigefinger in den Mund zu stecken und leicht zuzubeißen, ein Habitus, zur Verteufelung der Sündigen im schiitischen Glauben, der immer als Geste für einen Tabubruch steht. Gomnam wurde nun dem Teufel gleichgestellt, was er selbst nicht so empfand. Zum ersten Mal schwitze er vor Angst zitternd, so hatte er und sein Körper nicht einmal bei der Beschneidung mit dem scharfen Messer seines Kirba beim Enthäuten seines Penis reagiert.

 

Gomnams Gedanken wanderten wieder zu Hojats Erzählungen zurück. Er sah vor sich, was dieser gesagt hatte, nämlich, dass hier ein Esel begraben sei. Seine Beine zitterten so sehr, dass er seine Lippen nicht bewegen konnte. Er kam sich vor, als wäre er taub und stumm. Nur einmal konnte er etwas über seine Lippen bringen, nämlich was Hojat ihm gesagt hatte. Damit wurde alles noch schlimmer und lauter, dass er mehr als ein Kafir sei, er sei doch der Teufel selbst und gegen den Propheten und Allah. Die Rufe stiegen höher und höher, machten ihm noch mehr Angst, in Folge wurde der Kreis um ihn enger.

Mirzad fasste das Khatneh-Tuch auf seinen Schultern und versuchte es in Stücke zu reißen. Manche beteiligten sich nicht an der Zerstückelung seines Khatneh-Tuchs und liefen laut schreiend zu ihren Eltern. Sobald sie einen Erwachsenen erreicht hatten, erzählten sie kurz etwas, so dass die Nachricht in kurzer Zeit alle Erwachsenen in den Jurten erreichte.