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Als Maurer kommt Jürgen Gosch 1967 im Alter von 25 Jahren auf die Nordseeinsel Sylt. Sein erstes Geld verdient er als Aalverkäufer am Sylter Strand. Doch die Insel hat in den 70er Jahren mehr zu bieten. Sie ist ein Paradies für kreative, unternehmungslustige Köpfe - und Jürgen Gosch ist mittendrin. Gosch ist ein »Macher" - was er sich vornimmt, zieht er durch. Schnell prägt er das Image vom »coolen" Fischbrötchen, während andere noch ihre Bismarckheringe verkaufen. Er errichtet nach und nach ein Fisch-Imperium mit über 30 Läden in ganz Deutschland und erobert auch einige Kreuzfahrtschiffe auf hoher See. Mit seinen Produkten erreicht er eine breite Kundschaft und vermittelt ein besonderes »Sylt- Gefühl": Mit dem Krabbenbrötchen können sich auch Düsseldorfer am Rhein oder Hamburger im Hauptbahnhof wie auf Sylt fühlen. »Gosch" bedeutet »Fisch für jedermann" und »Sylt für jedermann". Aus dem einstigen Bauchladen-Verkäufer wurde eine Marke, die das Sylt-Gefühl mit sich trägt. Nicht umsonst lautet der Unternehmensslogan: »Heute schon gegoscht?".
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Seitenzahl: 146
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Titel
Nathalie Klüver
GOSCH
Der Fischkönig von Sylt
© 2014 Wachholtz Verlag – Murmann Publishers, Neumünster/Hamburg
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Wiebke Buckow, Jesteburg
eBook-Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-529-09210-7
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www.wachholtz-verlag.de
Inhalt
1 Einleitung: Vom Aalverkäufer zum »Fischkönig« – Die nicht alltägliche Geschichte von »Gosch Sylt«
2 Ein Friesenjung aus Tönning: Jürgen Goschs Kindheit und Jugend
Krabben pulen, Metallschrott sammeln: Die Kindheit auf der Halbinsel Eiderstedt
Ein Maurer will aus den Grenzen Tönnings heraus und mehr erleben
3 Das Sylt der 70er Jahre: Ein idealer Ort, etwas zu wagen
Vom monotonen Kurort zum Tummelplatz der Schönen und Reichen
Liebe auf den ersten Blick: Jürgen Gosch entdeckt sein Herz für Sylt
4 Vom Bauchladen zur Fischbude: Die ersten Jahre des Unternehmens »Gosch Sylt«
Ein Korb, etwas Papier und 50 Räucheraale: Die Geschichte nimmt ihren Lauf
Gosch wird sesshaft: Geburtsstunde der »Nördlichsten Fischbude Deutschlands«
Die Geschichte der »Wahren Fischsuppe«: Auf dem Weg zum Kultimbiss
Die »Nördlichste Fischbude« wächst: Mit Mutter, Frau und Scampi
Erweiterung im Lister Hafen in den 90er Jahren: Die Bootshalle kommt hinzu
Der singende Chef: »Gosch Sylt« auf dem Weg zur Eventgastronomie
Unterstützung im Lister Hafen: Die fahrbare »Gosch Sylt«-Bar in einer Stretchlimousine
Abriss der »Nördlichsten Fischbude«: Ende und Neubeginn zugleich
5 Nur eine Insel ist nicht genug: »Gosch Sylt« zieht es auf das Festland
Einstieg in die eigene Produktion und Verlagerung der Produktion aufs Festland
In den 80ern geht es steil bergauf: Neue Restaurants auf Sylt und die ersten Schritte auf dem Festland
Weiteres Wachstum und Risikostreuung: Der Einstieg in das Franchise-System
»Gosch Sylt« kommt ins Haus: Versandkatalog und Merchandising
Die Expansion führt auch aufs Meer: »Gosch Sylt« auf dem Schiff
Das Wachstum hält an: Weitere Restaurants und Bauprojekte im neuen Jahrtausend
6 Die Öffentlichkeit ist nicht immer einverstanden: Mit dem Erfolg nimmt auch der Gegenwind zu
Jürgen Goschs Umgang mit Kritikern: Immer ein neues Projekt in petto haben
Gegenwind in Westerland: Kurzer Auftritt eines Fischkutters als Imbissstand
Gegenwind in Wenningstedt: Teuerstes Bauprojekt der Firmengeschichte
Gegenwind auf Rügen: Größte Nordseeinsel gegen größte Ostseeinsel
Kein Gosch in Travemünde: Langes Tauziehen um eine Markthalle an der Trave-Promenade
7 Bald 50 Jahre »Gosch Sylt«: Kein Sylt ohne Gosch, kein Gosch ohne Sylt
Sylt heute: Sehnsuchtsziel nicht nur der Reichen
»Gosch Sylt« heute: Aus der Fischbude wurde ein Markenimperium
Bekannt und geehrt: Gleich mehrere Auszeichnungen für das Unternehmen »Gosch Sylt«
Zahlen, Daten, Fakten: Das Unternehmen »Gosch Sylt« heute
Der rührige Firmenchef Jürgen Gosch: Auch mit über 70 noch mittendrin
8 Das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – und der richtige Chef: Auf der Suche nach dem Erfolgsrezept von »Gosch Sylt«
Die ersten Schritte in den bunten 70er Jahren: Der richtige Zeitpunkt
Unterhaltung und Service: Der richtige Chef und die richtigen Mitarbeiter
Gesund, einfach zuzubereiten und nach Urlaub schmeckend: Das richtige Produkt
Dort sein, wo die Gäste sich wohlfühlen: Die richtigen Standorte
Nicht zu teuer, nicht zu billig: Das richtige Preisniveau für die breite Kundschaft
9 Familienmensch und Wetterfrosch: Der Privatmann Jürgen Gosch
10 Wachsen, ohne die Wurzeln zu vergessen: Jürgen Goschs Pläne für die Zukunft
1 Einleitung: Vom Aalverkäufer zum »Fischkönig« – Die nicht alltägliche Geschichte von »Gosch Sylt«
Am Anfang waren es 50 Aale: Damit wagte Jürgen Gosch 1966 den ersten Schritt in die Selbständigkeit. Was mit einem Bauchladen voll Räucherfisch begann, ist heute ein bundesweit bekanntes Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern und zweistelligen Millionenumsätzen.
»Gosch Sylt« – das ist das Unternehmen, dessen Erfolg untrennbar verknüpft ist mit dem Leben seines rührigen Firmengründers Jürgen Gosch, dessen Werdegang wie der »American Dream« vom Tellerwäscher zum Millionär klingt. Oder besser gesagt: vom Maurer zum Millionär.
Denn als Maurergeselle kam Jürgen Gosch in den 60er Jahren nach Sylt. Neben der Maurerei verkaufte er Aale aus dem Bauchladen und gab schon bald das Mauern auf, um sich ganz seinen Fischen zu widmen. Nicht nur der Räucherfisch, auch seine markigen Sprüche kamen gut an. Beim Bauchladen beließ er es nicht: Sechs Jahre später folgte die erste Fischbude, später dann eine ganze Kette von Restaurants. Heute wird er »Fischkönig« genannt.
Jürgen Gosch ist ein Macher. Was er sich vornimmt, zieht er durch. Konsequent. Mit Erfolg. Und wenn etwas mal nicht klappt, lässt er sich nicht entmutigen. Sondern macht einfach an anderer Stelle weiter.
Auch mit 73 Jahren ist Jürgen Gosch immer noch jeden Tag in seinem Restaurant in Wenningstedt anzutreffen. (Bild © Gosch Sylt)
Jürgen Gosch hat das Image seines Unternehmens unverwechselbar gemacht: als Gastronom zum Anfassen, der auch mit über 70 noch selbst hinter der Theke steht und sich für kein Schwätzchen zu schade ist. Auch nicht dafür, mal ein Lied zu trällern und das sogar auf CD aufzunehmen.
Inzwischen selbst zu einem Prominenten geworden, hat der Selfmademan im Laufe der Jahre viele Prominente als Gast in seinen Sylter Restaurants begrüßt. Doch für Jürgen Gosch ist jeder prominent. Auch wer nur ein Fischbrötchen kauft.
Und von letzteren verkauft Jürgen Gosch viele.
Doch eben jener Blick auf den einen oder anderen bekannten Entertainer oder Sänger ist es, was viele Kunden hoffen zu erhaschen, wenn sie auf Sylt in den einschlägigen Gosch-Restaurants einkehren. Oder aber einen Blick auf den Chef selbst.
»Gosch Sylt« – das ist das Unternehmen mit dem roten Hummer im Logo. Der Hummer ziert unter anderem Restaurants in Westerland, in Düsseldorf und Hamburg, genauso wie Filialen auf den Inseln Rügen und Norderney. Man sieht das Logo in Bahnhöfen, Einkaufspassagen, aber auch in den 1-a-Lagen bekannter Strandbäder wie Timmendorfer Strand oder St.Peter-Ording. Der Werbeslogan »Heute schon gegoscht?« ist geflügeltes Wort geworden.
»Gosch Sylt« will Gastronomie für jedermann sein. Fisch für jedermann – und so ist auch das Publikum der Restaurants bunt gemischt. Da kommt die Hausfrauengruppe zum Sonntagsausflug genauso wie der Mann mit Geld, Geländewagen und Zweitwohnsitz am Strand. Die Sylter Restaurants sind oft voll und eng, aber genau das erwarten die Kunden. Das Ambiente ist meist eher rustikal und laut als gediegen, es gibt billige Papierservietten statt Stoffservietten in gedeckten Farben.
Wer »auf einen Fischteller zu Gosch« geht, der weiß, was ihn erwartet, ob in Westerland oder Stuttgart. Die Gäste bestellen am Tresen, erhalten eine Nummer und holen ihr Essen an der Theke ab. Gerichte wie Bratfisch vom Grill, Thainudeln oder Scampi werden vor den Augen des Gastes zubereitet. Wer wenig Zeit hat, kann sich ein Matjesbrötchen zum Mitnehmen belegen lassen.
»Gosch Sylt« – das ist auch das Unternehmen mit der Silhouette Sylts im Logo. Denn der Unternehmenserfolg ist eng verbunden mit der Insel Sylt. Die Insel der Schönen und Reichen und derer, die gerne dazugehören wollen. Dort, wo alles ein bisschen teurer ist als im Rest des Landes, begann Jürgen Gosch seine ersten Fischverkäufe aus dem Bauchladen heraus.
Die Insel galt in den 70er Jahren nach Cannes und Saint-Tropez als eines der bekanntesten Reiseziele Europas und wurde vom Jetset zum Schampus-Paradies erkoren. Sylt war damals Spielwiese für kreative Köpfe und Unternehmer. Besonders am berühmt-berüchtigten FKK-Strand »Buhne 16« hatte Jürgen Gosch Erfolge mit seinen Räucheraalen. Sylt hat seinen Ruf bis heute bewahrt. Sehen und gesehen werden zwischen Dünen und Friesenhäusern ist alles, ganz oben im Norden.
Sylt, das ist ein Inselname, der nach Urlaub und Seeluft klingt – und der deswegen wohl auch bewusst im Markennamen geführt wird. Sich ein Stück Urlaub auch in den Alltag nach Düsseldorf oder Hamburg holen, sich auch im schwäbischen Stuttgart für einige Momente wie auf der Nordseeinsel zu fühlen, das ist für viele ein Grund, in einem der Restaurants einzukehren. Denn Gosch ist auch Sylt für jedermann.
Wie schaffte es Jürgen Gosch, aus einem Bauchladen und später einer einfachen, selbst zusammengezimmerten Fischbude eine Marke zu machen, die zu den bekanntesten Deutschlands zählt? Fischrestaurants gibt es an Deutschlands Küsten schließlich unzählige. Aber nur Jürgen Gosch gelang es, eine eigene Markenwelt zu erschaffen samt Merchandising und Online-Shop. Und das, obwohl er Marketing gerne als »Modewort« abtut.
Es waren Beharrlichkeit, Cleverness, der richtige Riecher, Kreativität und auch immer wieder Glück, so Jürgen Gosch selbst. Er habe seine Chance erkannt und genutzt, sagt der Firmenchef heute: »Wenn ein Selbständiger seine Chance nicht erkennt und nutzt, dann ist er ein armes Schwein.« An einer Chance müsse man dranbleiben und dann auch die nötige Ausdauer haben. Sparen, investieren, größer werden. Mit Augenmaß und dem Gespür für den richtigen Zeitpunkt.
So gelang es dem »Fischkönig«, aus einem eigentlich banalen Produkt eine unverwechselbare Marke zu schaffen. Eine Marke mit einer erstaunlichen Geschichte.
2 Ein Friesenjung aus Tönning: Jürgen Goschs Kindheit und Jugend
Krabben pulen, Metallschrott sammeln: Die Kindheit auf der Halbinsel Eiderstedt
Es gibt Geschichten, in denen der Protagonist schon in der Kindheit genau weiß: Ich werde einmal Astronaut. Oder Schauspieler, Regisseur, wahlweise Musiker. Und dann darauf hinarbeitet, sein Leben der Musik, dem Theater oder Fernsehen widmet, später in den Memoiren dann vom verwirklichten Kindheitstraum schreibt.
Die Geschichte von »Gosch Sylt« ist keine dieser Geschichten.
Der junge Jürgen Gosch wollte nicht bereits als Fünfjähriger ein Fischrestaurant führen, geschweige denn Chef einer der bekanntesten Restaurantketten Deutschlands werden. Selbst als er seinen Job als Aalverkäufer begann, hätte er es sich nicht träumen lassen, dass seine Geschäfte so ein Ausmaß annehmen, sagt er.
Aber dennoch hat die Kindheit Jürgen Gosch besonders geprägt und seinen beruflichen Werdegang bestimmt. Ohne seine Kindheit und Jugend hätte er diesen Weg wohl kaum so erfolgreich eingeschlagen, meint er. Sie habe ihn zu dem Geschäftsmann gemacht, der er heute ist. Und deshalb kann man die Gosch-Story nicht erzählen, ohne in die Kindheit Jürgen Goschs zurückzugehen.
Jürgen Gosch wurde 1941 im schleswig-holsteinischen Eckernförde geboren. Er wuchs in dem beschaulichen 5000-Einwohner-Ort Tönning auf der Halbinsel Eiderstedt auf. Es waren keine einfachen Jahre für die Familie Gosch während des Krieges und zur Nachkriegszeit.
Jürgen Gosch musste schon in früher Kindheit Verantwortung übernehmen. Seine Mutter Annemarie war alleinerziehend, seinen Vater hat er nie kennengelernt. Für seine beiden Schwestern – eine davon übrigens seine Zwillingsschwester – habe er die Rolle eines Ersatzvaters übernommen, erzählt der Unternehmer. Da die Familie wenig Geld hatte, mussten die Kinder die Mutter unterstützen, um über die Runden zu kommen. Nicht nur im Haushalt, auch beim Geldverdienen.
So musste der junge Jürgen Gosch schon mit vier Jahren Krabben pulen, um das Haushaltseinkommen aufzubessern. »Wir mussten alle mit ran, um über die Runden zu kommen«, erinnert er sich. Auch im familieneigenen Gemüsegarten, der einen großen Teil der täglichen Mahlzeiten lieferte, habe er mit anpacken müssen. Dennoch reichte es vorne und hinten nicht: Oft habe die Mutter aufs Essen verzichtet, damit ihre Kinder satt wurden. Waren die Kinder abends im Bett, nähte sie bis Mitternacht noch Gardinen im Auftrag für eine Firma.
Zwanzig Pfund Krabben gab es für die Familie jeden Tag. Der kleine Jürgen war meistens als Erster mit dem Pulen fertig und rannte oft noch einmal zu den Fischern, um weitere 20 Pfund zu holen. Der Grund, weshalb er sich mit dem Pulen so beeilte, war jedoch nicht nur das Geld: Um so bald als möglich zum Fußballspielen zu gehen, sei er besonders schnell gewesen, gesteht er. Während er die Krabben von ihrer Schale befreite, hörte er seine Freunde draußen schon spielen – das war genug Motivation, seine Ration rasch fertig zu bekommen.
Seine Mutter habe ihm diesen Freiraum immer gelassen. Er sei manchmal aber auch froh gewesen, wenn die Fischer wegen eines Sturmes nicht rausfahren konnten und er so ums Krabbenpulen herumkam, so Jürgen Gosch in dem Buch »Original Gosch« von Andreas Franke. Denn Fußball war seine große Leidenschaft: Er spielte beim TSV Tönning als Linksaußen und war nicht nur Mannschaftskapitän, sondern sogar einmal zu einem Sichtungsspiel nach Malente eingeladen – in den Ort, der später WM-Quartier der deutschen Nationalmannschaft werden sollte. An dem Spiel konnte er aber wegen einer Verletzung nicht teilnehmen, so seine gern erzählte Anekdote. Die Verletzung hatte er sich übrigens beim Fußballspielen zugezogen.
Die Fußballerkariere folgte also nicht. Aber dafür eine wahre »Krabbenpul-Karriere«: Gut 40 Jahre später gipfelte diese 1988 sogar in einem Krabbenpul-Weltmeistertitel in Holland, mit dem Jürgen Gosch heute noch gerne kokettiert. Der Titel zähle zu den Dingen in seinem Leben, auf die er, nach eigener Aussage, stolz ist.
Gegen 19 Frauen habe er im Finale gewonnen – vor 5000 Zuschauern, die genau verfolgten, wie er die Krabben in Rekordgeschwindigkeit »auszog«. Er könne heute noch Krabben pulen, mit einer Hand und verbundenen Augen sogar, sagt er.
»Fischkönig« oder »Fischpapst« wird Jürgen Gosch heute auch genannt. Auch in seiner Kindheit war Fisch allgegenwärtig: Fast jede Familie lebte in dem kleinen Hafenort Tönning von der Fischerei. Täglich kam Fisch auf den Tisch der Familie Gosch, und »Jünne« half den Fischern beim Kutterfestmachen, wenn er bei ihnen die tägliche Krabbenration abholte. Am Hafen fühlte er sich zu Hause, hier hielt er sich gerne auf.
Geschäftstüchtig war er schon damals und wurde nicht müde, bereits als kleiner Junge nach Möglichkeiten zu suchen, Geld hinzuzuverdienen.
»Ich wusste immer, womit ich Geld verdienen konnte«, sagt er. Sei es damit, den Fischern beim Verladen des Fischfangs für die Genossenschaft auf die Wagen zu helfen und so noch mehr Krabben zum Pulen abzustauben. Diese pulte er heimlich ohne Wissen der Mutter und verdiente sich dadurch einige Extragroschen hinzu. Zwanzig Pfennig, umgerechnet elf Cent, gab es pro Beutel. Sie landeten nicht in der Haushaltskasse, sondern in seinem eigenen Sparschwein. »Schnuppergeld« taufte er die heimlich verdienten Groschen.
Eine andere Möglichkeit, an Geld zu kommen, war, Metallschrott zu sammeln. Diesen konnte er an einen Metallhändler verkaufen. »Schietbarg-König« – »Müllberg-König« nannte man ihn nach eigenen Erzählungen auch. Eisen, Aluminium, Kupfer oder Messing waren gefragt. Der junge Jürgen war sich auch nicht zu schade, nachts heimlich mit der Taschenlampe Schrott auf dem Gelände einer verlassenen Werkstatt zu sammeln. Auch wenn das Betreten des Grundstückes eigentlich streng verboten war. Auf dem Gelände gab es einfach zu viel Schrott, den er zu Geld machen konnte, dass er sich von dem Verbot abschrecken ließ. Ein gutes Geschäft konnte er sich schon damals nicht entgehen lassen!
Doch ausgegeben hat er das mühsam erarbeitete Geld selten. Verprassen war nicht sein Ding. Im Gegenteil. Jürgen Gosch sparte sein Geld, wo er konnte: »Ich wurde zur Sparsamkeit erzogen und musste mir alles erarbeiten.« Seine gesamte Kindheit und Jugend über habe er eine Spardose gehabt, heute bringt er das Geld indes lieber zur Bank. Er habe jede Mark schätzen gelernt und tue das auch heute noch.
Es waren keine einfachen Umstände, unter denen er aufwuchs, in der Enge des kleinen Ortes Tönning, weitab von den großen Städten, in denen allmählich die Wirtschaftswunderzeiten anbrachen und das Leben wieder begann. Es waren Verhältnisse, die ein Leben lang prägen.
Vor allem eines habe er in seiner Kindheit und Jugend begriffen: »Bei mir gab es das Wort nie nicht. Versuch es – immer.«
Dieser Satz zieht sich durch Jürgen Goschs ganzes Leben.
Versucht hat er eine ganze Menge.
Vieles klappte.
Manches ging daneben.
Entmutigen ließ sich Jürgen Gosch davon nicht. Herausforderungen reizen ihn, das stellte er schon mehrmals in Interviews klar. Und wenn man dann noch Erfolg hat, sei das der beste Motivator.
Ein Maurer will aus den Grenzen Tönnings heraus und mehr erleben
Es war eine Kindheit in einfachen Verhältnissen. Eine Kindheit, wie sie viele Vertreter der Nachkriegsgeneration erlebten. Wie es weitergehen sollte, schien ebenfalls festgelegt, wie bei den meisten Jungs in Tönning. Fischer wurde man damals, so wie die Väter und Großväter in dem kleinen Ort an der Eidermündung.
Zu Zeiten von Jürgen Goschs Kindheit und Jugend hatte die Fischerei noch eine große Bedeutung für den kleinen Ort und war die wichtigste Einkommensquelle für seine Bewohner.
In fast jeder Familie lebte zumindest ein Fischer, oft fuhren sämtliche Söhne einer Familie mit den Krabbenkuttern zur See. Ganze Generationen von Fischern gab es. Tönnings Hafen verlor jedoch mit der Fertigstellung des Eidersperrwerks 1972 seine Bedeutung als Fischereihafen und ist seitdem zusammen mit der von Backstein geprägten Altstadt hauptsächlich hübsche Kulisse für Touristen. Fast alle Krabben- und Fischkutter wurden in den 70er Jahren zum Eidersperrwerk verlegt.
»Ich bin ein Tönninger Jung, ein Friese – und lieber in Seenot als in Bergnot«, sagt Jürgen Gosch über sich.
Ein Leben ohne Meer? Das kann er sich nicht vorstellen, in den Bergen würde er sich nicht wohlfühlen.
Fischer wurden die Jungs also in Tönning. Doch Mutter Gosch wollte, dass ihr Sohn etwas »Solides« lernte. Fischer waren schließlich ständig auf See und verdienten auch nicht viel.
»Mensch, Jünne, lern erst mal etwas Vernünftiges, dann kannst du immer noch zu deinen Fischern.«
Den Satz seiner Mutter zitiert Jürgen Gosch gerne, wenn er sich an seine beruflichen Anfänge erinnert. Angesichts des bevorstehenden Strukturwandels des Ortes sicher die richtige Entscheidung.
Und so wurde »Jünne« Maurer, wie schon sein Großvater und sein Onkel. Das Maurerhandwerk lag in der Familie. »Handwerk hat goldenen Boden« war damals ein geflügeltes Sprichwort, zu Wirtschaftswunderzeiten, als überall Häuser in die Höhe gezogen wurden und viel Geld in Bauprojekte floss.
Nach dem Volksschulabschluss begann Jürgen Gosch seine Ausbildung zum Maurer und mauerte bereits während der Lehre stets nebenbei an den Wochenenden und den Feierabenden, um sich etwas hinzuzuverdienen. Er setzte also das fort, was er in seiner Kindheit begonnen hatte, war sich für keine Arbeit zu schade und schätzte jeden Pfennig. »Jede Mark zählte.« Da war es egal, wie lang der Arbeitstag war.
Der Maurerjob brachte ihn schließlich auch aus Tönning heraus. Als Kind kam er über die Grenzen des ländlich gelegenen Ortes kaum hinaus. Für Urlaub fehlte der Familie das Geld. Während die Deutschen sich in Rimini und Co. sonnten, blieb die Familie Gosch in Nordfriesland.