Deutschland, ein kinderfeindliches Land? - Nathalie Klüver - E-Book

Deutschland, ein kinderfeindliches Land? E-Book

Nathalie Klüver

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Beschreibung

#Mütend: Eltern, sucht euch Verbündete!

Die Corona-Pandemie hat es glasklar gezeigt: Deutschland hält sich zwar für ein familienfreundliches Land, ist es aber im Zweifelsfall nur bedingt. Wenn es ernst wird, stehen Eltern ziemlich oft auf verlorenem Posten. Und Rücksicht auf Kinder will auch niemand so richtig nehmen.

Was wir brauchen, ist eine bessere Vereinbarkeit, und zwar nicht nur von Beruf und Erziehung, sondern von Familie und öffentlichem Leben allgemein. Was wir dagegen nicht mehr brauchen, ist die fast schon reflexhafte Antwort, die sich viele erschöpfte Eltern anhören müssen: „Dann hättet ihr halt keine Kinder bekommen dürfen!“ Kinder haben in Deutschland keine Lobby, das zeigt sich schon am Stellenwert der Familienpolitik hierzulande. Dabei könnten alle von mehr Generationengerechtigkeit profitieren!

Die Journalistin und Bloggerin Nathalie Klüver, einer großen Fangemeinde als »ganznormalemama« bekannt, zeigt, was andere Länder, allen voran die skandinavischen, uns voraushaben und in welchen Bereichen Deutschland dringend Nachholbedarf hat. Eine kinderfreundlichere Gesellschaft wäre nicht nur offener und besser für Vereinbarkeit und Gleichberechtigung, sondern letztlich auch für mehr Chancengleichheit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Wie das zusammenhängt, was sich ändern muss und was jeder Einzelne tun kann, zeigt Nathalie Klüver in diesem Buch.

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Seitenzahl: 258

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Buch

Die Coronapandemie hat es glasklar gezeigt: Deutschland hält sich zwar für ein familienfreundliches Land, ist es aber im Zweifelsfall nur bedingt. Wenn es ernst wird, stehen Eltern ziemlich oft auf verlorenem Posten. Und Rücksicht auf Kinder will auch niemand so richtig nehmen.

Was wir brauchen, ist eine bessere Vereinbarkeit, und zwar nicht nur von Beruf und Erziehung, sondern von Familie und öffentlichem Leben allgemein. Was wir dagegen nicht mehr brauchen, ist die fast schon reflexhafte Antwort, die sich viele erschöpfte Eltern anhören müssen: »Dann hättet ihr halt keine Kinder bekommen dürfen!« Kinder haben in Deutschland keine Lobby, das zeigt sich schon am Stellenwert der Familienpolitik hierzulande.

Die Journalistin und Bloggerin Nathalie Klüver, einer großen Fangemeinde als »ganznormalemama« bekannt, zeigt, in welchen Bereichen Deutschland dringend Nachholbedarf hat. Eine kinderfreundlichere Gesellschaft wäre nicht nur offener und besser für Vereinbarkeit und Gleichberechtigung, sondern letztlich auch für mehr Chancengleichheit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Wie das zusammenhängt, was sich ändern muss und was jeder Einzelne tun kann, zeigt Nathalie Klüver in diesem Buch.

Nathalie Klüver

DEUTSCHLAND, EIN KINDERFEINDLICHESLAND?

Worunter Familien leiden und was sich ändern muss

Kösel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit konnte eine gendergerechte Schreibweise nicht durchgängig eingehalten werden. Bei der Verwendung entsprechender geschlechtsspezifischer Begriffe sind im Sinne der Gleichbehandlung jedoch ausdrücklich alle Geschlechter angesprochen.

Copyright © 2022 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Marlene Fritsch

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29440-3V001

www.koesel.de

Für Henry, ohne den dieses Buch kaum entstanden wäre. Mit all meiner Liebe – danke!

Inhalt

Worum es in diesem Buch geht

#Mütend: Eltern am Rande der Erschöpfung

Kinder sind heute eine reine Privatangelegenheit

Beruf und Familie sind noch immer kaum zu vereinbaren

Familien werden finanziell benachteiligt

Familienpolitik setzt oft die falschen Akzente

Kinder haben keine Lobby

1 »Wir müssen leider draußen bleiben« – Wo Familien im Alltag unerwünscht sind

Essensfrust statt Essenslust – Restaurantbesuche mit Kindern

Ein neuer Volkssport – Klagen gegen Kinderlärm

Platzangst – Als Familie auf Wohnungssuche

»Rasen betreten verboten« – Wo man überall nicht spielen darf

Im Abteil mit »Gleichgesinnten« – Bahnfahren mit Kind

»Ich geb Gas, ich hab Spaß« – Unterwegs im Straßenverkehr

Selbstverwirklichung statt Kinder?

2 Und ewig ruft das schlechte Gewissen – Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Frisch aus der Elternzeit zurück und schon gekündigt – Elterndiskriminierung am Arbeitsplatz

»Kann das nicht ihre Frau machen?« – Fehlende Anerkennung und veraltete Rollenbilder

Kitaplätze – Dringend gesucht!

Eltern im Teilzeitjob – Willkommen auf dem Abstellgleis

Schlechtes Gewissen inklusive – Die ewige Rabenmutter

Frauen in Politik und Führungspositionen

Ballungszentrum Lebensmitte – Mit flexiblen Arbeitsmodellen Lebensläufe entzerren

Wie wollen wir leben?

3 Kinder im Steuer- und Rentenrecht

Bildungskosten – Gefangen in der Lernmittelfreiheit

Reduzierte Mehrwertsteuer – Gehören Trüffel zum Grundbedarf?

Ehegattensplitting – Willkommen in Absurdistan!

Familien unterstützen statt Ehen

Doppelt belastet und doppelt benachteiligt – Das deutsche Rentensystem

4 Zwischen Dschungel und Gießkannenprinzip – Familienpolitik in Deutschland

»We are family« – Wer ist heute Familie?

Ein Blick in die Geschichte – Familienpolitik und ihre Ziele

Familienpolitik heute – Rasender Stillstand

Was dürfen Kinder kosten? – Staatliche Etats und Förderungen für Familien

Kindergeld und Inflationsausgleich – Im Dschungel familienpolitischer Unterstützung

Warum man es nicht jedem recht machen kann – Familienpolitische Ziele und ihre Umsetzung

Zeit für eine Neuausrichtung!

5 Hört auf uns! Kindern eine Stimme geben

»Ich weiß, was gut für dich ist!« – Die Überlegenheit der Erwachsenen

»Ich mach das für dich« – Altersdiskriminierung betrifft nicht nur Senioren

»Regelungsgegenstände« – Kinderrechte im Grundgesetz

Was eine Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung verändern würde

Rechtewandel bedeutet Bewusstseinswandel

Nicht nur dabei, sondern mittendrin – Das Recht auf Partizipation

»Bitte nicht berühren« – Museen: Ein Beispiel für Partizipation

Kinder möchten gehört werden

So kann es gehen! – Ideen, wie Kinderbeteiligung umsetzbar ist

Kinderkommission und Ombudsperson – Kinder- und Jugendlichenvertretung auf Regierungsebene

»Das verstehst du noch nicht« – Meinungsbildung und Mitbestimmung auf politisch-gesellschaftlicher Ebene

Kinder an die Macht! – Warum eine Absenkung des Wahlalters Partizipation entscheidend fördern würde

6 »Alle sind gleich, aber manche sind gleicher« – Chancengerechtigkeit und Kinderarmut

Kinder haben ein Recht auf kulturelle Teilhabe

Ein guter Anfang, aber leider auch nicht mehr – Das Bildungs- und Teilhabepaket

Papier ist geduldig – Chancengerechtigkeit in Theorie und Praxis

Veränderte Sozialstrukturen – Von Altersarmut zu Kinderarmut

Wie Kinder Armut erleben und wie sie ihr Leben beeinflusst

»Das hat doch eh keinen Zweck …« – Was Armut bei Kindern bewirkt

Schritte auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit und weniger Kinderarmut

7 Kinderfreundlichkeit – Mehr Lebensqualität für alle

Kinderfreundlichkeit sorgt für eine bessere Work-Life-Balance für alle

Kinderfreundlichkeit steigert die Geburtenrate und schützt vor einer Verödung von Landstrichen

Kinderfreundliche Orte bieten mehr Lebensqualität für alle

Kinderfreundlichkeit steigert den Wert von Care-Arbeit

Ohne helfende Hände geht es nicht – doch es lohnt sich!

Zehn Schritte für mehr Kinderfreundlichkeit

Weiterführende Literatur

Anmerkungen

Worum es in diesem Buch geht

Neulich war ich mit meinen Kindern auf einem Spielplatz. Wir hätten eigentlich gar nicht da sein dürfen, denn der Spielplatz hatte so eine Art Zwangsmittagspause. Von zwölf Uhr dreißig bis 15 Uhr war das Spielen verboten. Und noch einmal ab zwanzig Uhr bis morgens um neun, so informierte ein großes Schild am Eingang. Kinder über zehn Jahre waren auch nicht erwünscht.

Ein Spielplatz mit Öffnungszeiten – Deutschland im Jahr 2022. Viel deutlicher kann man Kindern gar nicht entgegenschreien: »Ihr seid hier nicht willkommen.« Oder, wie ältere Semester gerne sagen: »Kinder sollte man sehen, aber nicht hören.« Wobei man sie ja oftmals auch nicht sehen möchte, am liebsten nicht einmal ihre Spuren. Das demonstrierte uns gerade erst wieder ein Nachbar, als er sich beschwerte, dass meine Kinder den asphaltierten Fußweg unserer Straße mit Kreide verschönerten. Sie malten Regenbogen, Sonnen, Blumen und all so etwas. So viel Farbe? Bitte nicht vor seinem Haus. Am liebsten gar nicht auf der Straße – wozu gibt es schließlich die eigenen vier Wände?

#Mütend: Eltern am Rande der Erschöpfung

Richtig deutlich zeigte sich der Stellenwert von Familie und Kindern in unserer Gesellschaft während der Coronapandemie, als gerade im ersten Lockdown 2020 ihre Bedürfnisse schlicht nicht auftauchten und komplett ausgeblendet wurden. Die damalige Familienministerin Franziska Giffey saß schon gar nicht erst mit am Tisch des Krisenstabs, als die Maßnahmen dazu geplant wurden. Eine milliardenschwere »Bazooka« für die Wirtschaft, wie der damalige Finanzminister Olaf Scholz vollmundig ankündigte, zauberte die Regierung sofort aus dem Hut. Aber Schulen und Kindergärten wurden geschlossen, einfach so, es gab nicht einmal eine Diskussion darüber, ob das den Kindern guttut und ob es vielleicht auch Alternativen dazu gibt. Man redete nicht drüber, als seien unsere Kinder nicht existent, als sei es schlicht egal, ob und wo sie lernen und ob und wie alle versorgt werden können.

Auch im zweiten Lockdown im Winter 2021 ging man ganz selbstverständlich davon aus, dass Eltern mal so eben nebenbei im Homeoffice noch die Betreuung von Kindergartenkindern und das Homeschooling der Älteren schaffen. Lehrerin, Erzieherin und Journalistin in einem – ich gebe es zu, ohne die Hilfe von Paw Patrol und Peppa Wutz hätte ich diese Herausforderung nicht gemeistert, und ganz ehrlich: Auch so habe ich, haben wir alle unsere Blessuren davongetragen. Die Mehrfachbelastung hat Spuren hinterlassen, die noch immer sichtbar sind. Und damit stehe ich nicht allein da.

Uns Eltern wuchsen während der Pandemie leider keine zwei zusätzlichen Arme und auch in Sachen Gehirn kam keines dazu. Ein bisschen schriftliches Dividieren erklären, dem Kindergartenkind Pettersson und Findus vorlesen, lustige Regenbogen als Fensterdeko basteln und quasi rund um die Uhr für Essen sorgen (Mein Gott, wie viel Kinder so an einem Tag essen, wenn sie nonstop zu Hause sitzen, das sagt einem vorher ja auch keiner!), während man zwischen Zoomkonferenzen und sonstiger Arbeit hin und her switchte – come on, das kann doch nicht so schwer sein!?

War es eben doch, wie Umfragen und andere Auswirkungen zeigen: Die Anfragen nach Mutter-Kind-Kuren stiegen, berichtete das Müttergenesungswerk, ebenso die Zahlen von Kindern mit psychischen Problemen – und die von Eltern, die kurz vorm Burn-out standen oder ihn bereits erlitten hatten. 71 Prozent der Kinder und Jugendlichen fühlten sich, so eine Studie des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), durch die Pandemie psychisch belastet, 65 Prozent der Befragten gaben an, Schule und Lernen anstrengender zu empfinden als vorher.[1]

Familien waren die Leidtragenden der meisten Coronamaßnahmen – insbesondere die Kinder. Die nämlich saßen zum größten Teil immer noch zu Hause im Homeschooling, im Frühjahr 2020 und noch einmal im Frühjahr 2021, während die Profis der Bundesliga wieder vor Publikum kickten oder die Erwachsenen sich im Biergarten trafen. »Lasst uns unsere Kinder doch zum Homeschooling im Biergarten abliefern, damit wir in Ruhe arbeiten können«, schrieben wir uns im Bekanntenkreis mit einer Prise Galgenhumor – jedenfalls die von uns, die noch Zeit und Energie hatten zum Scherzen.

Als die Läden im Frühjahr 2020 wieder aufmachten und die Erwachsenen sich endlich saisongerecht einkleiden konnten (neue Frühjahrskollektion, frisch eingetroffen!), standen die Kinder weiter vor mit Flatterbändern abgesperrten Spielplätzen und grüßten ihre Großeltern durchs Fenster aus der Ferne. In Schleswig-Holstein etwa durften ab dem 18. Mai 2021 die Fitnessstudios und Restaurants wieder öffnen und Touristen das nördlichste Bundesland besuchen, aber Kindergärten konnten erst ab dem 1. Juni in den »eingeschränkten Regelbetrieb« übergehen, während Schulen ab dem 25. Mai tageweise Unterricht anboten.[2]

Richtig grotesk wurde es schließlich, als Firmen, Verwaltungen und Tagungsräume mit Luftfiltern ausgestattet waren, während man noch über den Sinn von Luftfiltern in Schulen diskutierte und es nicht einmal geschafft hatte, in eineinhalb Jahren Pandemie in jedem Klassenzimmer Fenster einzubauen, die sich nicht nur kippen, sondern ganz öffnen lassen. In Lübeck zum Beispiel wurden im Frühjahr 2022, also zwei (!) Jahre nach Beginn der Pandemie, ganze 52 Luftfilter geliefert. 2 200 Klassenzimmer gibt es in der Hansestadt, die zahlreichen Kindertagesstätten nicht mitgerechnet. Man muss dem eigentlich nichts mehr hinzufügen. Außer vielleicht, dass es zunächst nur 26 Geräte sein sollten, mit denen man Schulen und Kindergärten ausstatten wollte.[3] Man setzt also stattdessen weiterhin auf das bewährte Lüften und Händewaschen als Infektionsschutz. Sollen die Kinder halt eine Extrajacke für die Lüftungspausen mitbringen!

Eine »Bazooka« für Bildung und Kinder? Fehlanzeige! Und von finanziellen Mitteln einmal abgesehen: Nicht mal kreative Konzepte wie kleinere Lerngruppen, Studierende, die das Lehrpersonal unterstützen, oder ungewöhnliche Lernorte wie Turnhallen oder Versammlungsräume mit viel Platz zum Abstandhalten waren im Gespräch.

52 Luftfilter für 2 200 Klassenzimmer nach zwei Jahren Pandemie – ein Symptom für den Stellenwert, den Kinder in unserem Land haben. Dabei hatten Eltern bei jeder neuen Infektionswelle im Land ein Déjà-vu, wenn die Politiker aller Parteien versprachen, diesmal werde man aber auf jeden Fall an erster Stelle an die Kinder denken. Und dann fanden sie sich doch im heimischen Wohnzimmer wieder und konjugierten mit dem Nachwuchs lateinische Verben, während eine Homeoffice-Pflicht von staatlicher Seite weiter abgelehnt wurde. Nicht nur, weil die Schulen geschlossen wurden, auch weil man sich über den Winter von Quarantäne zu Quarantäne hangelte und so die Kinder nicht mal eben zum Auslüften vor die Tür schicken konnte.

»Wieso seid ihr nicht lauter geworden?«, wurde uns Eltern vorgeworfen, wenn wir uns, am Ende unserer Kräfte, schließlich doch einmal beschwerten. Wieso wohl nicht?! Weil wir nicht mehr konnten. Weil wir schlicht keine Zeit dazu hatten. Und vor allem keine Kraft. Die hatte uns das monatelange Jonglieren zwischen Homeoffice, Homeschooling, Homewahnsinn gekostet. Wenn wir überhaupt so privilegiert waren, im Homeoffice arbeiten zu dürfen. Viele Eltern hatten schlicht keine Wahl und mussten ihre Kinder zur Notbetreuung in die Schule oder in die Kita schicken oder sie zu Hause allein über Bruchrechnung und Co. grübeln lassen.

Eltern brauchen in solchen Situationen Verbündete. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Tag eben immer noch nicht mehr als 24 Stunden hat. Den allermeisten Eltern fehlt schlicht die Zeit, sich in politischen Gremien, in Vereinen oder Verbänden zu engagieren. Als Journalistin habe ich in Zeitschriftenartikeln, auf meinem Blog ganznormalemama.com und meinen Social-Media-Kanälen oft über diese Missstände geschrieben. Vor allem, wenn ich dieses Gefühl, es niemandem recht machen zu können und als Mutter von vielen Seiten Gegenwind zu bekommen, beschrieb, erhielt ich viele – geradezu erleichterte – Rückmeldungen: »Endlich spricht es mal jemand aus« oder »Du bist nicht allein, mir geht es ganz genauso«. Nein, es geht nicht nur einigen Eltern so. Es geht vielen so, aber nicht alle haben noch die Kraft, auf Diskriminierungen und Missachtung im Alltag hinzuweisen.

Als alleinerziehende Mutter von drei Kindern zwischen vier und elf Jahren kenne ich den Gegenwind, der Eltern ins Gesicht weht, nur zu gut. Mehr als einmal habe ich tadelnde Blicke von Außenstehenden geerntet, wenn eins meiner Kinder sich im Wutanfall an der Supermarktkasse auf dem Boden gewälzt hat, in der Öffentlichkeit vermeintlich zu laut war oder wir als Familie irgendwie aufgefallen sind. Ich kenne den täglichen Spagat zwischen Beruf und Kindern, ich erlebe immer wieder Kritik daran, entweder zu viel zu arbeiten (Rabenmutter!) oder aber zu wenig (die Rentenpunkte!). Ich stoße selbst immer wieder auf die vielen Benachteiligungen, die Eltern widerfahren und vor allem begegne ich im Alltag immer wieder dem Gefühl, in dieser Gesellschaft nicht willkommen zu sein, zu stören, aus dem Rahmen zu fallen. Über einige dieser typischen Erlebnisse möchte ich auch in diesem Buch schreiben, denn die Summe dieser Erfahrungen ist es, die mir klar machte: Wir brauchen einen Mentalitätswandel.

Kinderfeindlichkeit zeigt sich in unserem Land auch in politischen und steuerlichen Strukturen, das haben mir die Interviews und Recherchen für dieses Buch deutlich gezeigt. Daran muss sich dringend etwas ändern.

Wir Eltern zerbrachen unter der Last der Pandemie-Monate, fühlten uns alleingelassen und unverstanden. Wir versuchten, unsere Kinder bei Laune zu halten und gleichzeitig den Ansprüchen unserer Chefs gerecht zu werden. Und spätestens dann kam er wieder, dieser Satz, den Eltern immer wieder zu hören bekommen, wenn sie es wagen, sich zu beschweren, sei es auch nur ganz leise, und anmerken, dass es gerade ein bisschen viel ist: »Dann hättet ihr halt keine Kinder bekommen sollen.«

Es sind Erlebnisse wie diese, die Eltern das Gefühl geben, in der Gesellschaft seien Kinder eigentlich gar nicht mehr erwünscht. Eine repräsentative Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks aus dem Jahr 2021 brachte zutage, dass nur 48 Prozent aller Deutschen der Meinung sind, dass Deutschland ein kinderfreundliches Land ist. »Kinderfreundlichkeit beginnt im Alltag, beim direkten und respektvollen Umgang mit Kindern«, sagt mir der Präsident des Kinderhilfswerks Thomas Krüger am Telefon. »Das Übergehen von Kinderinteressen, die Schließung von Spielstraßen, die Verwahrlosung oder der Rückbau von Kinderspielplätzen, Klagen gegen Kinderlärm oder Restaurants und Hotels, in denen Kinder keinen Zutritt haben, sind Anzeichen einer kinderentwöhnten und an manchen Stellen sogar kinderfeindlichen Gesellschaft«, kritisiert er. Die Umfrage des Kinderhilfswerks habe gezeigt: Je weiter man von Kindern entfernt sei, desto weniger sehe man Handlungsbedarf in Sachen Kinderfreundlichkeit. Das sei auch ein Zeichen einer unsolidarischen Geisteshaltung: »In der Gesellschaft gibt es einen Trend, Kinder zu marginalisieren.« Sie werden an den Rand gedrängt, in Kinderzonen wie Spielplätze oder Familienhotels und damit hinaus aus dem öffentlichen Raum. Damit Deutschland aber wieder ein kinderfreundliches Land werden kann, brauche es die gesamte Gesellschaft, nicht nur die Eltern und das unmittelbare Umfeld der Familien, mahnt er an.

Und genau darum soll es in diesem Buch gehen. Ich habe mich auf die Suche danach gemacht, welche gesellschaftlichen und politischen Strukturen dazu geführt haben und noch immer dazu führen, dass Familien in Deutschland benachteiligt, diskriminiert, an den Rand gedrängt werden. Dabei habe ich einige Problemfelder ausgemacht, auf die ich dann in den einzelnen Kapiteln näher eingehen möchte. Aus meiner Sicht sind es folgende Missstände, die dringend behoben werden müssten.

Kinder sind heute eine reine Privatangelegenheit

Der Satz »Dann hättet ihr halt keine Kinder bekommen sollen« fällt im Übrigen ständig, er ist nicht an die Coronapandemie geknüpft, sondern schwebt im Raum, begleitet uns Eltern, sobald wir aus dem Kreißsaal kommen. »Es war eure Entscheidung, Kinder zu bekommen, also seht jetzt zu, wie ihr das hinbekommt.« Das Wörtchen »das« umfasst in diesem Fall so ziemlich alles, was mit dem Nachwuchs in irgendeiner Weise zu tun hat. Kindererziehung ist in Deutschland Privatsache. Der Staat mischt sich nur ein, wenn die Erziehungsberechtigten versagen. Ganz anders denkt man darüber zum Beispiel in unseren skandinavischen Nachbarländern und auch in Frankreich. Hier sind Kinder eine öffentliche Angelegenheit. Der Staat begreift daher eine gut ausgestattete Kinderbetreuung als Recht des Kindes – und sieht sich damit auch in der Verantwortung, den Kindern ein Aufwachsen in einer kinderfreundlichen Umgebung zu ermöglichen.

Wie sehr Eltern in Deutschland alleingelassen werden, zeigt sich vielerorts bereits vor der Geburt des Kindes – denn in immer mehr Gegenden sind Hebammen Mangelware. Ist das Kind auf der Welt, ist auch die Suche nach einem Kinderarzt, der noch neue Patienten aufnimmt, nicht immer sofort von Erfolg gekrönt. »Seht zu, wie ihr das selbst organisiert und eine Hebamme und einen Kinderarzt bekommt«, das wird Eltern signalisiert. Der Mangel an Hebammen ist bekannt und wird von Eltern in diversen Facebookgruppen diskutiert, aber bis in die Talkshows der Republik hat es diese Tatsache noch nicht geschafft – und auch der Staat hat bisher … genau … nichts getan.

Beruf und Familie sind noch immer kaum zu vereinbaren

Bevor ich Mutter wurde, hatte ich dieses verklärte Familienbild vor Augen, das uns auch über die Medien immer wieder transportiert wird: Die vierköpfige Familie, die im weichen Herbstlicht durchs Laub spaziert, lachende Kinder, die nie einen Wutanfall bekommen. Dass ich Hausarbeit und Kinderbetreuung partnerschaftlich aufteilen würde mit dem Vater meiner Kinder hatte ich mir auch fest vorgenommen – um mich dann nach der Geburt meines ersten Kindes in Teilzeit wiederzufinden, und 99 Prozent der Hausarbeit waren von mir zu erledigen. Willkommen in der Realität! Sie hatte nicht viel mit dem zu tun, was man sich vor der Geburt so ausmalt. Und schon gar nicht hätte ich erwartet, dass ich mich in einer solchen Parallelwelt wiederfinde. Ich hatte gedacht, ich würde irgendwie mein altes Leben weiterleben, die Kinder eben dabei bei dem, was ich vorher auch getan hatte. Stattdessen saß ich nun auf Kinderspielplätzen und machte einen Bogen um die Restaurants, in denen ich früher gerne essen war.

Was war ich naiv, bevor ich Mutter wurde! Und so ging es ja nicht nur mir. Denn die meisten Mütter können nicht einfach so wieder in ihren Beruf zurück, schon gar nicht als Vollzeitkraft. Das liegt einerseits an fehlenden Betreuungsplätzen in Kitas und Schulen, andererseits daran, dass auch heute noch Mütter und Väter in Deutschland häufig aufgrund ihres Elternseins diskriminiert werden. Zum Beispiel, indem sie nach der Elternzeit die Kündigung bekommen oder auf eine andere Stelle versetzt werden, die nicht ihren Qualifikationen entspricht. Auch wenn sich gerade in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den letzten Jahren einiges getan hat, reicht das noch nicht aus, damit Eltern selbstverständlich berufstätig bleiben können – und zwar in dem Maß, wie sie es gerne möchten.

Familien werden finanziell benachteiligt

Wenn man sich heute die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anschaut, stellt man fest: Es wird Frauen und Paaren nicht unbedingt leicht gemacht, sich für Kinder zu entscheiden – in finanzieller Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit und andere gesellschaftliche Aspekte. So wurde Familienpolitik jahrzehntelang quasi gleichgesetzt mit »Kindergeld erhöhen«. Anstatt die Rahmenbedingungen für Familien so gut wie möglich zu gestalten, stellte man sie hin und wieder durch eine Kindergelderhöhung ruhig – von der nicht einmal alle Eltern profitieren. Und auch in Zeiten, in denen es längst normal geworden ist, als Eltern unverheiratet oder alleinerziehend zu sein oder in einer Patchwork- und Regenbogenfamilie zu leben, ist das Ehegattensplitting noch immer nicht abgeschafft – mehr dazu in Kapitel 4. Dort soll es auch um weitere Ungerechtigkeiten im Steuer- und Rentensystem gegenüber Familien gehen. Es ist also mehr als nur das vage Gefühl, irgendwie mit Kindern zu stören. Es ist schlicht und einfach eine Tatsache, dass Familien durch politische und steuerrechtliche Entscheidungen benachteiligt werden, auch ganz klar finanziell.

Familienpolitik setzt oft die falschen Akzente

»Kinder bekommen sie immer«, sagte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts und gab damit die Richtung vor, welchen Stellenwert Familienpolitik in seiner Ära hatte: Wer glaubt, dass man »immer« Kinder bekommt, der sieht keine Notwendigkeit darin, das Umfeld so angenehm wie möglich zu gestalten, um die Menschen dazu zu ermuntern, Familien zu gründen. Dann kam die Pille. Und so erlangten Frauen nicht nur sexuelle Freiheit, sondern sie hatten nun auch die Freiheit zu entscheiden: Möchte ich ein Kind? Möchte ich Mutter werden? Wer die Freiheit hat, sich zu entscheiden, der schaut auf die Rahmenbedingungen. Am Stellenwert der Familienpolitik änderte das freilich nichts.

Wie sich in Deutschland Kinderfeindlichkeit äußert, wieso seit Jahrzehnten auf eine falsche Art von Familienpolitik gesetzt wird und warum diese überhaupt Kinderpolitik statt Familienpolitik heißen sollte, davon möchte ich im Kapitel 5 berichten. Ich möchte aber auch einen Weg aufzeigen, wie wir zu einer kinderfreundlicheren Gesellschaft werden können und warum davon die gesamte Gesellschaft profitiert. Dabei werde ich Eltern und Kinder zu Wort kommen lassen, meine eigenen Erfahrungen als dreifache Mutter einfließen lassen und den Blick nach Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark und Frankreich richten, von denen wir uns in vielerlei Hinsicht etwas abschauen können – und das geht weit über die Tatsache hinaus, dass es dort auch auf allen Männertoiletten Wickeltische gibt.

Kinder haben keine Lobby

Wenn Kinder vor allem als Privatangelegenheit ihrer Eltern gesehen werden, hat das gesellschaftliche Konsequenzen. Der deutsche Staat etwa hat beim Thema Kinderrechte vor allem den Schutz des Kindes im Blick – was richtig und auch wichtig ist –, nicht aber die Teilhabe, das Einbeziehen von Kindern in alle Dinge, die ihr Umfeld betreffen. Es ist an der Zeit, dass sich Familien nicht mehr in ihre privaten Komfortzonen zurückziehen. Kinder müssen raus aus dem Privaten und ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden, in öffentlichen Räumen präsent sein. Kinder müssen sichtbarer werden – denn wer unsichtbar ist, der wird vergessen.

Zudem haben nicht alle Kinder Eltern, die sich engagieren können, weil sie ihre Möglichkeiten nicht kennen oder der deutschen Sprache nicht mächtig sind oder weil sie nicht die geistigen Fähigkeiten dazu haben. Kinder haben keine Lobby. Aber sie brauchen eine, damit ihre Anliegen gehört werden. Alle Kinder haben es verdient, dass man für sie die Stimme erhebt, auch die, deren Eltern keine Kraft, kein Geld, keine Zeit haben, sich für sie einzusetzen. Wir dürfen kein Kind alleinlassen. Wir dürfen kein Kind zurücklassen.

Es ist endlich an der Zeit für mehr Kinderfreundlichkeit, für mehr Teilhabe am öffentlichen Leben, für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ja, generell für die Vereinbarkeit von Familie mit dem öffentlichen Leben. Es ist höchste Zeit für mehr Chancengerechtigkeit, für ein faires Bildungssystem, in dem kein Kind abgehängt wird, in dem das Einkommen der Eltern keine Rolle spielt. Es ist an der Zeit für ein gerechteres Rentensystem, in dem Eltern nicht mehr benachteiligt werden.

Wie es gelingen kann, all das in unserer Gesellschaft und für unsere Kinder Wirklichkeit werden zu lassen, das möchte ich auf den folgenden Seiten zeigen. Denn von mehr Kinderfreundlichkeit profitieren nicht nur Eltern und Kinder, sondern alle, die in unserer Gesellschaft leben: weil sie das Miteinander insgesamt gerechter, lebenswerter und menschenfreundlicher macht.

1»Wir müssen leider draußen bleiben« – Wo Familien im Alltag unerwünscht sind

Eigentlich wollten wir Winterschuhe kaufen. Aber als meine Kinder gerade beim Anprobieren waren, fiel meiner dreijährigen Tochter auf, dass sie »mal muss«. Die Frage nach der Mitarbeitertoilette im Kaufhaus verneinte die Verkäuferin und verwies auf das Einkaufszentrum nebenan. Also drei Paar Laden-Schuhe wieder ausziehen, drei Paar alte Schuhe wieder anziehen, die mittlerweile weinende Tochter (»Ich muss ganz dringend, Mama, ich kann nicht mehr aushalten!«) unter den Arm geklemmt und über die Ampel zum Einkaufscenter, dann mit der Rolltreppe in den vierten Stock zu den öffentlichen Toiletten. Um dann festzustellen, dass ich die fünfzig Cent Klogebühr nicht zahlen konnte, weil ich nur einen Fünfzig-Euro-Schein hatte, den keiner wechseln konnte, während die Klofrau nur mit den Schultern zuckte und den Weg zu den Toiletten weiter bewachte. In den Tiefen seiner Jacke fand mein Sohn schließlich die rettenden fünfzig Cent, die uns den Weg freimachten. Der wurde jedoch etwa zwanzig Meter vor der Klokabine durch eine Schlange älterer Damen versperrt.

Auf die Frage, ob wir vor dürften, meine Tochter müsse ganz dringend, folgte entschiedenes Kopfschütteln. Sie müssten schließlich alle, sonst würden sie ja nicht anstehen. Da müsse man sich eben gedulden, das könne man auch von Kindern erwarten. Da müsse man als Mutter halt mal streng sein und konsequent und hart durchgreifen und das ganze ABC der schlauen Sprüche halt. Auch das laute Weinen meiner Töchter konnte keine Herzen zum Schmelzen bringen, stattdessen gab es diese Blicke, die wohl alle Eltern kennen. Diese Blicke mit dem unausgesprochenen Vorwurf: »Sie haben Ihr Kind ja gar nicht im Griff.«

Dieser Blick begegnet Eltern überall im Alltag. Wenn sie mit Kindern Restaurants betreten, wenn sie sich als Familie in ein Zugabteil setzen, wenn sie mit Kindern an der Kasse im Supermarkt warten, wenn sie einem auf dem Laufrad rasenden Kind auf dem Fußweg hinterhereilen. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Wir Eltern kennen die hochgezogenen Augenbrauen, das Augenverdrehen oder demonstrative Seufzen, die zum ständigen Begleiter im Leben mit Kindern geworden sind. Wir alle haben Kollegen, die uns Teilzeitarbeitende mit einem »Ich würde den Nachmittag ja auch gerne im Sandkasten verbringen« verabschieden, wenn wir in den Kindergarten eilen, nachdem wir in sechs Stunden das geschafft haben, für das andere acht Stunden Zeit haben. Oder Chefs, die Meetings um 17 Uhr ansetzen und nicht verstehen, dass wir Eltern zu dieser Zeit ganz andere Probleme haben.

Wir fühlen uns unwillkommen, wenn im Restaurant das Leitungswasser für die Kleinkindflasche einen Euro kosten soll, aber die Hunde der Gäste sich am Napf mit frischem Wasser laben dürfen. Apropos Essen: Das ist ja für Säuglinge bekanntlich oft die mütterliche Brust. Und der Hunger bricht bei Babys meist unvermittelt aus und ist nicht unbedingt vorhersehbar. Dass das Stillen in der Öffentlichkeit häufig nicht so gut ankommt, wird gerade in den sozialen Medien immer wieder thematisiert. Viele Mütter kennen die schrägen Blicke und das Unwohlsein, wenn sie vor fremden Augen stillen. So war es bei meinem Sohn, als wir in einem italienischen Restaurant waren. Während ich auf die Pizza wartete, meldete mein damals vier Monate altes Baby Hunger an und ich legte es zum Stillen an die Brust. Nein, ich entblößte nicht den halben Busen, wandte mich sogar diskret ab und drapierte mein Halstuch um den Kopf meines Sohnes. Rücksicht zu nehmen, das lernst du ja schnell als Mutter, es geht dir quasi vom ersten Tag an ins Blut über. Trotzdem fühlten sich Gäste in dem nicht besonders vollen Restaurant gestört und zischelten ein »Mit einem Baby muss man doch nicht in ein Restaurant gehen!« durch den Raum, winkten den Kellner zu sich, der mich umgehend bat, das Baby doch bitte auf der Toilette zu stillen, weil der Anblick die Gäste stören würde. Da ich hungrig und meine Pizza in der Mache war und ich zu überrumpelt, um etwas Schlagfertiges zu entgegnen, fand ich mich also stillend auf der Damentoilette wieder, auf einem Klo ohne Deckel sitzend, während links neben mir eine ältere Dame ächzend pinkelte und ich über das, was in der Kabine rechts von mir geschah, lieber nichts sagen möchte. Nur so viel: Es ist nicht das Umfeld, in dem man sein Essen einnehmen möchte.

Essensfrust statt Essenslust – Restaurantbesuche mit Kindern

Ich sollte wahrscheinlich froh sein, dass ich mit dem Kinderwagen überhaupt ins Restaurant hineinkam und es nicht mit Pollern abgesperrt war wie ein Café in Berlin. Der Besitzer wehrte sich gegen die vielen Mütter, die mit ihren Fahrzeugen für den Nachwuchs seine kinderlosen Café-Gäste »belästigten«, wie er als Begründung in vielen Zeitungsinterviews angab.[1]

Sind es nicht die Kinderwagen, so sind es die Kinder selbst, die im Restaurant oft nicht willkommen sind. Ich stand schon mit meinen drei Kindern in einem halbleeren Restaurant und musste unverrichteter Dinge wieder gehen, weil angeblich alles reserviert war. Das kinderlose Ehepaar, das nach uns kam und offensichtlich ebenfalls nicht reserviert hatte, bekam indes sofort einen Platz. Muss ich erwähnen, dass ich nicht überrascht war? Wo in anderen Ländern eiligst Kinderhochstuhl, Kinderbecher mit Deckel und Malunterlagen für die Kleinen herbeigebracht werden, gibt es in Deutschland viel zu oft nur hochgezogene Augenbrauen. Spielecken sind die Ausnahme und die Auswahl der Kindergerichte beschränkt sich meist auf Chicken Nuggets mit Pommes oder Schnitzel.

Das Ganze gipfelt in »Adults-only-Hotels« oder Restaurants mit »kinderfreien Zonen«. Wobei es ja schon in »normalen« Hotels nicht immer leicht ist, ein Zimmer für eine Familie zu buchen, erst recht, wenn man mehr als zwei Kinder hat. Die Online-Buchungssysteme weigern sich teilweise von vorneherein, für mehr als zwei zu suchen und weisen darauf hin, dass man die Buchung bitte telefonisch regeln solle. Oder man bekommt einfach zwei Zimmer zugewiesen, egal, wie alt die Kinder sind. Da werben Hotels großzügig damit, dass Kinder bis zwölf Jahre kostenfreien Aufenthalt haben – das scheint aber nur für eine gewisse Anzahl von Kindern zu gelten. In vielen Fällen muss man dann nämlich ein Zimmer dazu buchen. Und das kostet natürlich extra: »Aber ich bitte Sie, das ist ja nun auch ein zweites Zimmer.« Das Kind zahle doch trotzdem nichts.

Noch schlimmer ist es im Flugzeug, wenn Kinder ab zwei Jahren fast den vollen Erwachsenentarif zahlen. Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen: die, die sich einen Flug leisten können, und die, die mit dem vollgepackten Auto zwölf Stunden im Stau stehen. Familienfreundlich ist etwas anderes.

Natürlich gibt es Ausnahmen, natürlich gibt es auch immer wieder Lichtblicke in Sachen Kinderfreundlichkeit und natürlich kann man auch einfach sagen, ich suche mir jetzt nur noch kinderfreundliche Restaurants und komme damit klar. Aber: Dieses unangenehme Gefühl, nicht willkommen zu sein, spürt man als Eltern viel zu oft. Es begleitet uns von der Geburt an (schon mal Blut und Wasser an der Supermarktkasse geschwitzt, wenn das Baby im Kinderwagen wie am Spieß schreit?) und lässt uns nicht mehr los. Orte, an denen man nicht willkommen ist, meidet man, bewusst und auch unbewusst. Und so verschwinden Familien aus der Öffentlichkeit.

»Kinder gehören bei uns nicht der Privatsphäre, sondern dem öffentlichen Leben an«, so die französische Soziologin Jeanne Fagnani, Direktorin am nationalen Forschungszentrum CNRS in einem Artikel der Zeit.[2] Frankreich hat nicht nur eine der höchsten Geburtenraten in Europa – 2020 waren es 1,9 Kinder pro Frau (zum Vergleich die Geburtenrate 2020 in Deutschland: 1,53). In Frankreich sind Kinder auch in Restaurants wie selbstverständlich mit dabei, selbst zu später Stunde, und erhalten ohne Umschweife jedes Erwachsenengericht einfach als halbe Portion, wenn es gewünscht wird. Nichts mit labberigen Pommes rot-weiß, die Kindern hierzulande beim Essengehen kredenzt werden. Verwundert es, dass 82 Prozent der Franzosen ihr Land laut Allensbach-Umfrage für ein kinderfreundliches Land halten[3]