"Gott", "Welt" und "Mensch" im 21. Jahrhundert - Stefan Schütze - E-Book

"Gott", "Welt" und "Mensch" im 21. Jahrhundert E-Book

Stefan Schütze

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Beschreibung

Fachbuch aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Theologie - Systematische Theologie, Note: keine, , Veranstaltung: -, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Buch "'Gott', 'Mensch' und 'Welt' im 21. Jahrhundert" stellt wichtige aktuelle Gedankenanstöße zu den Fragen nach "Gott", "Glauben" und existentiell wie rational belastbarer religiöser Weltorientierung zusammen, systematisiert diese und wertet sie dabei zusammenfassend aus. Neben Büchern von Gerd Theißen aus dem deutschsprachigen Bereich bezieht es sich dafür vorwiegend auf Werke gegenwärtiger nordamerikanischer und britischer Theolog/inn/en und Religionsphilosophen, deren Beiträge in der deutschen Diskussion nach Meinung des Autors viel zu wenig rezipiert und aufgenommen werden. Inhaltlich schlägt das Buch dabei den Bogen von der Frage nach einem heute plausiblen Verständnis von Glauben und Religion als menschlichen "Tastversuchen" nach dem Geheimnis einer "Letzten Wirklichkeit" (Gerd Theißen), über ein Verständnis von Theologie als "imaginativer menschlicher Konstruktion" (Gordon Kaufman), die damit verbundene Frage nach den vordringlichen „Rekonstruktionsaufgaben“ heutigen theologischen Denkens in einer globalen religiösen Perspektive, bis zur Auswertung des gegenwärtigen als „postmodern" ettikettierten religiösen Diskurses, und der darin formulierten Eröffnung eines „dritten“, „anatheistischen“, "komplexen" Weges religiöser Weltorientierung jenseits der Oppositionen des traditionellen Theismus und Atheismus (Catherine Keller, Mark Taylor, Richard Kearney). Dabei entwickelt der Autor am Ende des zweiten Teils eine „trinitarische Heuristik“ möglicher aus seiner Sicht weiterführender "Konstruktionen" des Gottesgedankens, die Pluralität und Bestimmtheit im Sinne eines pneumatologichen „Operierens von Differenzen her“ miteinander verbinden. Theologische Aussagen werden in ihrem Rahmen als "theopoetische" heuristische Denkvorschläge ohne fundationalistisch zu sichernde Wahrheitsgewissheit reinterpretiert. Am Ende des dritten Teils fragt er dann zusammenfassend nach der bleibenden Bedeutung der kritischen Philosophie Immanuel Kants für ein heute weiterführendes theologisches Nachdenken, und skizziert auf dieser Grundlage ein alle bisherigen Überlegungen nochmals zusammenfassendes weiteres heuristisches Verständnis des Göttlichen als des immanent-transzendenten kreativen "abgründigen Grundes" und Letzthorizontes, vor dem alle Wirklichkeit erscheint, und das uns Menschen dabei im Sinne der in der menschlichen Geschichte (viellicht als "inneres Ziel" der Evolution) emergenten Kraft der "Liebe" auf diese letzte Wirklichkeit hin orientiert, tröstet & trägt.

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Veröffentlichungsjahr: 2012

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x*RWWkkkx:HOWkkXQG0HQVFKkLPP-DKUKXQGHUW 6666Vorwort

Die Gedanken dieses Buches verdanken sich einem doppelten Dialog:

einemvirtuellenDialog mit den Autorinnen und Autoren der theologischen Werke, die ich hier rezipiere und mit deren Hilfe ich meinen eigenen theologischen Ansatz zu klären versuche,

und einemphysischenDialog mit meinen Freund und Kollegen Markus Mürle, der nun schon seit über 20 Jahren in unterschiedlicher Gestalt meine Existenz und Praxis als Theologe begleitet. Früher haben wir unsere theologischen Dialoge häufiger in der Form von „Dialogpredigten“ in ein größeres Gespräch mit unseren Gottesdienstgemeinden hinein erweitert. Vor ca. drei Jahren nun war es auf den Vorschlag von Markus Mürle hin, dass ich begonnen habe, mein jüngeres Nachdenken über einen „für mich heute trag- und sagfähigen Glauben“ jenseits traditioneller kirchlicher Gottesrede schriftlich festzuhalten und zu vertiefen. Alles so schriftlich Entworfene hat zunächst wieder Markus Mürle gegengelesen und kommentiert. Seine Anstöße und Anfragen sind dann in die Weiterentwicklung meiner hier vorgelegten theologischen Denkskizzen eingegangen.

Um was es mir bei dieser Sichtung und Auswertung nach meiner Überzeugung heute weiterführender „Paradigmen theologischen Denkens“ genau geht, habe ich in der „Einleitung“ meines Ersten Teiles zusammengefasst.

Meine damit verbundene Denkbewegung ist über weite Streckenrezeptiv,d.h., sie gewinnt ihre Gestalt und ihre Richtung durch die Rezeption für mich ungemein erhellender und inspirierender internationaler theologischer Grundlagenwerke der letzten Jahrzehnte bis heute, die, meine ich, dieLandschaftglobalen theologischen Nachdenkens nachhaltig verändert haben.

Ich hatte einige Zeit das Gefühl gehabt, mit meinen theologischen Fragen in eine gewisse „Sackgasse“ kaum mehr lösbarer Aporien geraten zu sein, aus der mir auch die (nach meinem Empfinden doch oft etwas flache) Diskussion über die „notwendigen Abschiede“ (Klaus-Peter Jörns u.a.) nicht wirklich heraushalf, und auch nicht der neue populärtheologische „Mystizismus“ etwa von Anselm Grün oder Willigis Jäger (wobei ich nicht sage, dass diese Autoren nicht dennoch in vieler Hinsicht wichtige und wertvolle Denk- und Glaubensanstöße gegeben hätten).

Tatsächlich weiter geführt hat mich dann aber die (Neu-)Beschäftigung mit Paul Tillichs Denkansatz des „Gottes über Gott“, nach dem in einer zunächst etwas paradox wirkenden Redewendung auch „Gott“ nur ein Symbol für Gott ist1, und von da aus die Entdeckung

1Tillich selbst spricht von einem „seemingly cryptic statement“ // einer „dem Anschein nach kryptischen Formulierung“; vgl. insgesamt Tillichs entsprechende Ausführungen in „Dynamics of Faith“ von 1957: „That which is the true ultimate transcends the realm of finite reality infinitely. Therefore, no finite reality can express it directly and properly. Religiously speaking, God transcends his own name. … The language of faith is the language of symbols. … God is the fundamental symbol for what concerns us ultimately.“ // „Das wahrhaft Unbedingte transzendiert den Bereich endlicher Wirklichkeit in unendlicher Weise. Darum kann es von keiner endlichen Wirklichkeit direkt und eigentlich ausgedrückt werden. Religiös ausgedrückt transzendiert Gott seinen eigenen Namen. … Die Sprache des Glaubens ist die Sprache der Symbole. … Gott ist das Grundsymbol für das, was uns unbedingt angeht.“ (51f.) Anders gesagt: „God“ // „Gott“ (als „konkretes“ menschliches „image“ // „Bild“) „is the symbol of God“ // „ist das Symbol für Gott“ (als die alle menschlichen Bilder überschreitende „immedate experience“ // „unmittelbare Erfahrung“ eines „element of ultimacy“ // „un-

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der wichtigen zeitgenössischen theologischen Denkanstöße von Gerd Theißen aus dem deutschsprachigen, von Keith Ward, John Hick u.a. aus dem angelsächsischen englischsprachigen Raum, und zunehmend von Theolog/inn/en aus dem anderen englischsprachigen Raum der nordamerikanischen Gegenwartstheologie, wo z.B. die Werke von Wilfred Cantwell Smith, Gordon D. Kaufman, Philip J. Hefner, Mark C. Taylor, Sallie McFague, Catherine Keller und schließlich von Richard Kearney, John Caputo, und andere „postmoderne“ Versuche einer Rede von Gott „beyond transcendence“2// „über die Transzendenz hinaus“ eine echte, unerwartete und beglückende Entdeckung für mich darstellten.

In der für mich ungemein fruchtbaren und bereichernden Rezeption solcher nach meiner Wahrnehmung für heutige denkerische Verantwortung des Glaubens bahnbrechenden theologischen Grundlagenwerke ist meine hier entfaltete theologische Denkbewegung zugleich aberkonstruktiv.Diese Konstruktivität meiner Denkbemühung beginnt schon mit der Auswahl der zugrunde gelegten Werke, und mit den selektiven Schwerpunkten, mit denen ich sie in meine Zusammenstellung für mich paradigmatisch weiterführender theologischer Denkanstöße integriere. Ich habe aber überhaupt im Lesen und Bedenken dieser unterschiedlichen theologischen Entwürfe versucht, mir meinen eigenen „Reim darauf zu machen“ und für mich zu überlegen: Wie würde ich ein theologisches Fragen und Sprechen heute konturieren, das mich selbst spirituell und existentiell befriedigen kann, und mir so auf jeden Fall für mich persönlich heute hilfreich und zukunftsfähig erscheint? Insofern ist in der Auswahl, Rezeption, In-Beziehung-Setzung, Weiterführung und Zusammenschau tatsächlich auch so etwas wie meine eigene Skizze eines „für mich heute sag- und tragfähigen“ theologischen Denkansatzes geworden.

Dabei ist die theologische Orientierungsbewegung, die sich in den hier vorgelegten Seiten spiegelt, nicht systematisch, sondern entsprechend meiner disparaten und sich nach und nach immer mehr erweiternden Lektüre teilweise recht sprunghaft gewachsen. Als ich den ersten Teil schrieb, war der zweite noch gar nicht geplant; nach dem zweiten dachte ich, jetzt einen gewissen Abschluss erreicht zu haben, doch mehr und mehr weitere Lektüreentdeckungen und ergänzende Gedankenanstöße führten schließlich zum dritten. Auch die Bezüge der einzelnen Gedankenstränge innerhalb jeden Teiles haben sich erst nach und nach so gefügt, und die jeweiligen „großen Linien“ wurden mir oft erst in der Rückschau, Rekonstruktion und Reintegration des bisher Gelesenen und Gedachten richtig klar.

Meine „Paradigmen“-Artikel wurden entsprechend dieses disparaten Wachstums in vorläufiger Form zunächst in vier „Portionen“ online folgendermaßen veröffentlicht:

bedingten Elementes“). (53) Der christliche Mythos, so Tillich weiter, ist in diesem Sinne ein „broken myth“ // „gebrochener Mythos“, der als Mythos erkannt werden muss und nicht wörtlich genommen werden darf, aber eben in dieser Gebrochenheit zum Symbol des den Mythos des Göttlichen noch einmal transzendierenden unbedingten Göttlichen selbst werden kann: „Christianity denies by its very nature any unbroken myth, because its presupposition is the first commandment: the affirmation of the ultimate as ultimate and the rejection of any kind of idolatry.“ // „Das Christentum verneint von seinem eigenen Wesen her jeden ungebrochenen Mythos, weil seine Grundvoraussetzung das Erste Gebot ist: die Bekräftigung des Unbedingten als Unbedingtes und dir Zurückweisung jeder Art seiner idolatrischen Verkehrung.“ Den biblischen Mythos gilt es darum heute kritisch zu interpretieren, aber nicht zu eliminieren oder durch „scientific substitues“ // „wissenschaftliche Substitute“ zu ersetzen: „For there is no substitute for the use of symbols and myths: they are the language of faith.“ // „Denn für den Gebrauch von Symbolen und Mythen gibt es keinen Ersatz: sie sind die Sprache des Glaubens.“ (58)

2Vgl. Caputo/Scanlon, Transcendence and Beyond, 1f.

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Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 65, Jahrgang 12/2010,http://www.theomag.de/65/sts1a.htm

Paradigmen theologischen Denkens - zwei Nachträge. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 66, Jahrgang 12/2010,http://www.theomag.de/66/st2.htm

Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil II. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 69, Jahrgang 13/2011,http://www.theomag.de/69/sts3a.htm.

Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil III. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 76, Jahrgang 14/2012,http://www.theomag.de/76/sts6a.htm.

Diese ersten Versionen habe ich für die vorliegende Buchausgabe nochmals durchgängig überarbeitet, teils rearrangiert, durch neue Lektüreergebnisse und daraus resultierende eigene Gedankengänge ergänzt und weitergeführt. Vor allem habe ich, um die Lektüre für deutschsprachige Leserinnen und Leser zu erleichtern, die große Zahl englischsprachiger Originalzitate und Fachbegriffe übersetzt und in Form einer „bilingualen Synopse“ gebracht. Da jede „Übersetzung" immer auch eine mehr oder weniger große „Verfälschung“ und einen unvermeidlichen Konnotationsverlust bedeutet, war es mir wichtig, den Wortlaut des englischen Originals immer neben dem deutschen Übersetzungsversuch mitlesbar zu erhalten. Soweit englischsprachige Originalausgaben zitiert werden, sind die deutschen Übersetzungen alle von mir selbst angefertigt worden, auch da, wo es (was allerdings bei der von mir hier ausgewählten Literatur eher selten der Fall ist) bereits eine deutsche Übersetzung in Buchform gibt.

Zwei weitere Bemerkungen zum Verständnis der Eigenart dieses Buches will ich hier noch anfügen:

(1) Ihrem disparaten Entstehen durch Lektüre, weitere Lektüre, von daher dann wieder Relektüre und Metalektüre ist es auch geschuldet, dass es v.a. in der hier veröffentlichten vorläufigen Endfassung meiner „Paradigmen“-Überlegungen zu einer teilweise recht umfangreichen "Inflation" der Anmerkungen gekommen ist. Aber diese teilweise etwas „ausufernden“ Anmerkungen entsprechen nicht nur dem Werden dieses Buches, sondern auch der damit verbundenen gewachsenen Form meines Denkens, seinen fortwährenden Veränderungen und Rekonstruktionen, mit vielen sachlichen Verweisen und Querverweisen, und ich will sie darum belassen, wie sie sind. Es ist sicherlich möglich (und wahrscheinlich hilfreich), zunächst einmal nur den Haupttext ohne die Anmerkungen zu lesen, und dann in einem zweiten Durchgang separat die Erweiterungen und Kontrastierungen durch die Anmerkungen mit hinzuzunehmen, durch die das ganze, meine ich, teilweise noch einmal wesentlich an Tiefenschärfe und Konsistenz gewinnt.

(2) Zu bemerken ist schließlich auch, dass die hier vorgenommene Literaturauswahl nicht nur sehr selektiv und fragmentarisch, sondern auch unvollständig und in viele Richtungen erweiterbar ist. Hier meine Text- und Gedankenauswahl fortzuschreiben und zu ergänzen, ist nicht nur möglich, sondern im Sinne einer niemals „abgeschlossenen“ theologischen Denkbewegung auch sachlich gefordert.

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Am Ende noch ein Wort zum biographischen Hintergrund meiner hier zusammengefassten theologischen Suchbewegung: Markus Mürle hat mich in unseren Gesprächen auf eine von ihm beobachtete Nähe hingewiesen zwischen den Linien meiner theologischen Entwicklung und dem, "wie Du Deine Krankheit dargestellt hast". Darüber habe ich eine Weile nachgedacht. Ich glaube tatsächlich, dass auch die sehr konkreten Erfahrungen des Verfalls meiner körperlichen Kräfte, der ständigen Unsicherheit, was morgen noch bleiben wird, und der ständigen Herausforderung, mein Selbstbild und Lebensgefühl neuen körperlichen Gegebenheiten anzupassen, mein Empfinden für die Plausibilität und "Viabilität" theologischer Setzungen sehr verändert hat. Sicher liegt es auch an diesem besonderen biographischen Filter, dass ich selbst meinen Glauben einer sehr grundlegenden „Revision“ unterzogen habe und immer noch unterziehe. Ich glaube aber, dass Theologie auch unabhängig davon immer ein „Denken in Bewegung“ sein muss, mit einem Ziel, dem wir uns zwar tastend anzunähern versuchen, das aber dem menschlichem Verstehen vor der „Vollendung aller Dinge“ immer radikal entzogen bleiben wird.

So, wie es in klassischer Weise nach meinem Verständnis gerade auch im paulinischen und im johanneischen Glaubensdenken zum Ausdruck kommt: „Denn unser Wissen ist Stückwerk … Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.“ (1 Kor 13, 9.10). Und: „Meine Lieben, … es ist … noch nicht erschienen, was wir sein werden“; erst, wenn es erscheint, „werden wir Gott sehen, wie er (oder sie) ist.“ (1 Joh 3,2).

Angaben zur Person des Autors

geb. 26.12.1962 in Pforzheim

nach dem Abitur Studium der Evangelischen Theologie in Heidelberg, Erlangen und Tübingen

Erstes Theologisches Examen 1990 in Karlsruhe

Zweites Theologisches Examen 1992 in Karlsruhe

1992-1995: Pfarrvikariat der Evang. Landeskirche in Baden in verschiedenen Gemeinden im Raum Pforzheim

1995-2001: Gemeindepfarrer der Evang. Friedensgemeinde in Baden-Baden

2001-2003: Gemeindepfarrer der Evang. Paul-Gerhardt-Gemeinde in Bruchsal

Ende 2003: Ausscheiden aus dem Gemeindepfarrdienst aus gesundheitlichen Gründen (schwere Behinderung in der Folge von Multipler Sklerose)

seit 01.01.2004: Sonderpfarrdienst als Theologischer Mitarbeiter beim Evang. Oberkirchenrat in Karlsruhe; Mitarbeit im „Theologischen Ausbildungs- und Prüfungsamt“ und im Referat „Verkündigung in Gemeinde und Gesellschaft“.

Verheiratet, keine Kinder

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Paradigmen theologischen Denkens - Teil I:

Die zwei grundlegenden theologischen Rekonstruktionsaufgaben für die Formulierung eines für mich heute sagfähigen und tragfähigen Glaubens

0. Einleitung ... 12

1. Der Ausgangspunkt: Theißens Frage nach einem „kritischen Glauben“, der „der Religionskritik stand“hält ... 14

2. Grundlegung: Die Unterscheidung von „faith“ // „Glauben“ und „belief“ // „Glaubensvorstellung“ nach Wilfred Cantwell-Smith … 15

3. Weiterführung: Die Aufgabe heutiger theologischer „Rekonstruktion“ nach Gordon D. Kaufman … 19

4. Die erste „Rekonstruktionaufgabe“: Einordnung theologischer Aussagen in unsere heutige wissenschaftliche Kosmologie … 24

a) Evolutionstheorie als Rahmen … 24

b) Biblischer Glaube in evolutionärer Sicht nach Gerd Theißen … 25

c) Die Sicht der kosmischen Evolution als „ongoing story“ // „immer noch in Gang befindlicher Geschichte“ nach John F. Haught, und die Konsequenzen für das Verhältnis von Wissenschaft und Religion … 27

d) Die Rekonstruktion des Gotteskonzeptes im Rahmen einer evolutionären Kosmologie nach Gordon D. Kaufman … 31

e) Die Verankerung religiöser Erfahrung im „way things really are“ // „in der Weise, wie die Dinge wirklich sind“ nach Philip J. Hefner … 35

5. Die zweite „Rekonstruktionaufgabe“: Einordnung theologischer Aussagen in eine globale religiöse Perspektive … 40

a) Begründungen für ein neues Paradigma … 41

b) Die Entwicklung der „Pluralistischen Hypothese“ durch John Hick … 44

c) Kritik der pluralistischen Hypothese als „unmöglicher Vogelperspektive“ … 51

d) „Konvergenter Pluralismus“ - Die Ausgestaltung der Pluralistischen Hypothese bei Keith Ward und Peter Byrne … 55

e) Statische oder dynamische Gesamtperspektive? Gordon Kaufmans Beitrag zu einer Pluralistischen Theologie der Religionen … 62

6. Schlussgedanken und Bilanz … 67

a) Die Bedeutung der „via negativa“ für heute mögliche Gottesrede … 67

b) Auf dem Weg zu einer globalen Perspektive … 70

c) Der Beitrag der Christologie zu einer globalen Perspektive … 74

d) Und der trinitarische Horizont?! … 77

e) Abschluss … 80

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Paradigmen theologischen Denkens - Teil II:

Auf dem Weg zu einer neuen trinitarischen Heuristik für mich heute plausibler Redemöglichkeiten von „Gott“ und „Glauben“

1. „In der Tiefe ist Wahrheit” - Rekonfiguration des Gottesbegriffes auf den Spuren von Tillichs „change of metaphor“ // „Metaphernwechsel“ ... 86

a) John A.T. Robinsons Plädoyer für eine nachtheistische Neuformulierung des Gottesbegriffes … 86

b) John F. Haughts Weiterentwicklung von Tillichs Grundsymbol der Tiefe zu fünf Wegen der Verortung der Gottesrede in Grundhorizonten menschlicher Wirklichkeitserfahrung … 89

c) Non-theistische Refiguration reformatorischer Leitgedanken - Matthias Kroegers Forderung nach einer Neuausrichtung kirchlicher Gottesrede auf dem Hintergrund moderner menschlicher Religiosität … 98

2. Grundlegende Beiträge zu einer neuen, wissenschaftlich plausiblen religiösen Vision in der „Postmoderne“ … 103

a) Peter C. Hodgons Konzept einer trinitarisch figurierten „constructive Christian theology“ // „konstruktiven christlichen Theologie“ … 104

b) „After God“ // „Nach Gott“ - zwei Visionen einer neuen Spiritualität jenseits der alten Polaritäten von „Naturalismus“ und „Supranaturalismus“ bzw. „Theismus“ und „Atheismus“ … 113

c) Die Welt als „creatio ex profundis“ - Catherine Kellers feministischtrinitarische „Theologie des Werdens“ … 124

d) Die Welt als „embodiment“ // „Leibwerdung“ Gottes - ein Blick auf Sallie McFagues metaphorische Inkarnationstheologie … 144

3. Der erkenntnistheoretische „Konstruktivismus“ und die Folgen für die Formulierung religiöser Wahrheitsansprüche in einer pluralistischen, dialogischen und pragmatischen Perspektive … 157

a) Grundbegriffe des erkenntnistheoretischen „Konstruktivismus“ und Konsequenzen für die Formulierung von Wahrheitsansprüchen in Wissenschaft, Ethik und Religion … 157

b) Gordon Kaufmans Version eines theologischen „Konstruktivismus“ … 161

c) Tom Christensons Interpretation von Theologie als einer orientierenden übergreifenden „Sicht-Weise“ auf unsere Welt und uns Menschen in ihr … 165

d) Dan Cohn-Sherbocks Skizze des Entwurfs eines „Open Judaism“ // „Offenen Judentums“ als Paradigma eines neuen jüdischen Selbstverständnisses für die heutige Zeit … 170

e) „Konstruktive Theologie“ und „polydoxe“ Hermeneutik … 174

4. Fazit … 189

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Paradigmen theologischen Denkens - Teil III:

„Anatheismus“ und der transzendentale „Horizont“ der Wirklichkeit nach Kant

- die Suche nach einem neuen Weg zu „Gott“ nach dem Ende von Supranaturalismus und Dualismus

Einleitung … 195

1. Die „anatheistische“ religiöse Denkbewegung nach Richard Kearney … 198

2. Weitere „anatheistische“ Annäherungen an Gott … 204

a) Gott und das „schwache Denken“ … 208

b) Gott als der Horizont des „Unbedingt Menschlichen“ c) Gott als die unerreichbare Grenze der Sprache d) Gott als Potentialität … 230

e) Gott als Symbolisierung eines Sinnganzen im menschlichen Leben … 235

f) Gott als „Urquelle des Kosmos“ … 240

g) Gott als Wort für das menschliche Ja zur Welt … 244

h) Gott als „Being’s Self-Giving“ // „Selbsthingabe des Seins“ i) Noch einmal: Gott und „creativity“ // „Kreativität“ … 258

3. Anatheismus und Kant. Vier immer noch höchst aktuelle Beiträge Kants für eine Reformulierung des Gottesglaubens auch in der Post-Moderne … 279

a) Der konstruktivistische Grundansatz b) Die Begrenzung des Wissens c) Das „Erhabene“ als Ansatzpunkt der Theologie … 306

d) Gott nicht als Gegenstand, sondern als Horizont des Denkens … 318

4. Versuch einer weiteren Zusammenschau: Gott als „Horizont“ des menschlichen Denkens … 320

5. Anhang: Ein abschließender kritischer Blick auf die sog. „Radikale Theologie“ Don Cupitts aus „anatheistischer“ Perspektive … 338

Literatur und Medien … 352

Personenregister Sachregister Bibelstellenregister … 374

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Paradigmen theologischen Denkens - Teil I:

Die zwei grundlegenden theologischen Rekonstruktionsaufgaben für die Formulierung eines für mich heute sagfähigen und tragfähigen Glaubens

0. Einleitung

Seit einiger Zeit hat bei mir ein Prozess neuen theologischen Nachdenkens und Suchens begonnen, in dem sich für mich die Fragen nach „Gott“, „Glauben“ und existentiell wie rational belastbarer „Wahrheit“ zugleich ungleich drängender und ungleich kritischer stellen, als zur Zeit meines Theologiestudiums in den 80er-Jahren und zur Zeit meiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer von 1990 bis 2003.

Herkommend von einem evangelikal-pietistischen Glauben hatte sich mein theologisches Denken schon während meines Theologiestudiums immer mehr in Richtung auf eine größere Weite, kritischere Tiefe, und grundlegende Liberalität hin entwickelt. Zur Befreiung von bisherigen biblizistischen und fundamentalistischen Engführungen hatte mir zunächst die Begegnung mit dem theologischen Universalismus der Dialektischen Theologie, v.a. Karl Barths geholfen. Dass Gott in Christus zu uns Menschen mit unserer „Sünde“ und unserer „Freiheit“ ganz und gar Ja! und nicht Nein gesagt habe, war damals ein für mich sehr wichtiger, überzeugender und existentiell befreiender Gedanke.

Doch in meiner weiteren Entwicklung gewannen dann für mich immer stärker die Impulse der älteren liberalen Theologie im Gefolge Schleiermachers, der Korrelationstheologie Paul Tillichs, und in den letzten Jahren v.a. der modernen und „postmodernen“ angelsächsischen und amerikanischen theologischen Diskurslage an Bedeutung. Immer weniger befriedigten mich gängige auch die meisten kirchlichen Äußerungen immer noch prägende Antworten auf die Fragen nach einer heute angemessenen Rede von „Gott“, „Mensch“ und „Welt“, von „Jesus Christus“, und von „Offenbarung“. Ein Gott, der als himmlische „Überperson“ die Geschicke der Welt lenkt und regiert, war schon längst keine Denk- und keine Glaubensoption mehr, die für mich irgendwie überzeugend, tröstlich und verpflichtend hätte wirken können.

Doch der moderne Hype um die Thesen vom „Gotteswahn“ in den Büchern von Richard Dawkins und anderen „neuen Atheisten“ war und ist noch viel weniger eine mich existentiell und intellektuell befriedigende Alternative. Vielmehr geht es mir darum, wie man die religiösen Grunderfahrungen von „Glaube, Liebe und Hoffnung“ (1 Kor 13,13 u.v.m.), von Lebensbejahung und -mut „trotz alledem“, heute so neu buchstabieren kann, dass sie als „einiger Trost im Leben und im Sterben“ (Frage 1 Heidelberger Katechismus) hörbar und sagbar bleiben, auch wenn man im Blick auf die klassische Metaphysik von Natur und Übernatur, den mit ihr verbundenen dualistischen Theismus, die ontologischen Vorstellungskomplexe um die chalzedonensiche Christologie und Soteriologie, und den traditionellen „Absolutheitsanspruch“ nicht nur des Christentums viele „notwendige Abschiede“3vollzogen hat und noch sehr viel stärker vollziehen muss.

3Hier benutze ich einen programmatischen Ausdruck von Klaus-Peter Jörns, ohne mir ansonsten seine wei- teren Ausführungen zu Eigen zu machen.

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Im Folgenden möchte ich einige Gedankenanstöße, die sich für mich aus verschiedener theologischer Lektüre der letzten Jahre ergeben haben, zusammenstellen und systematisieren. Neben Büchern von Gerd Theißen, den ich, obwohl ich ihn als Student schon in Heidelberg gehört habe, jetzt erst richtig entdecke, beziehe ich mich v.a. auf Werke gegenwärtiger britischer und nordamerikanischer Theologen und Religionsphilosophen, deren Beiträge in der deutschen Diskussion, wie ich meine sehr zu ihrem eigenen Schaden, viel zu wenig rezipiert und aufgenommen werden. Während wesentliche Werke Theißens bezeichnenderweise heute nur noch in englischer Übersetzung auf dem Markt sind, ist ein Großteil der von mir hier angesprochenen englischsprachigen Literatur bis jetzt noch nicht einmal auf Deutsch übersetzt, und wenn sie von Teilen der deutschen Universitätstheologie überhaupt wahrgenommen wird, dann meist mit nach meiner Wahrnehmung sehr oberflächlichen Abwehrreflexen.

Ich habe dagegen von dieser Lektüre sehr viel profitiert, und finde sie erhellender, spannender, und sowohl gegenwartsnäher als auch theologisch sachgemäßer als das meiste, was hierzulande z.Zt. diskutiert wird. Im Folgenden will ich dennoch keinen „Literaturbericht“ erstellen, sondern vielmehr versuchen, einige Anregungen, Erkenntnisse, Glaubenseinsichten und Gedankenanstöße aufzugreifen und zu sortieren, die sich mir durch die Lektüre dieser Bücher erschlossen haben. Dabei geht es mir nicht so sehr um exakte Wiedergabe, als viel mehr um die Herausarbeitung von Impulsen, die mein eigenes Nach- denken und Fragen in der beschriebenen Weise verändert und bereichert haben.

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1. Der Ausgangspunkt: Theißens Frage nach einem „kritischen Glauben“, der „der Religionskritik stand“hält

Lektürebasis:

Gerd Theißen, Argumente für einen kritischen Glauben. Oder: Was hält der Religionskritik stand? München,31988

In diesem frühen programmatischen Buch von Gerd Theißen wird die Frage pointiert gestellt, wie man angesichts der Religionskritik der Neuzeit Glauben und Religion so definieren kann, dass sie den kritischen Anfragen an sie von der Aufklärung bis zur Entwicklung des heutigen wissenschaftlichen Weltbildes „standhalten“.

Wenn Glaube nicht nur Projektion (Feuerbach), infantiles Wunschdenken (Freud) oder Opium für das Volk (Marx) sein soll, dann müssen für die religiöse Erfahrung belastbare empirische Korrelate benennbar sein. Solche Haftpunkte, die den Glauben an die Wirklichkeit binden, und die darum nicht als bloße Illusionen aufgelöst werden können4, findet Theißen in zwei grundlegenden Erfahrungszusammenhängen, die Menschen gegenüber der sie umgebenden Wirklichkeit haben: Menschen machenResonanzerfahrungenmit der sie umgebenden Wirklichkeit, in denen sie sich geborgen und getragen fühlen - vgl. auch Schleiermachers Definition der Religion als „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“. Diese Resonanzerfahrungen sind direkt religiös.

Die entgegen gesetzten Erfahrungen, dieAbsurditätserfahrungensind dagegen indirekt religiös, insofern, als Religion zu ihrer Bewältigung und Bearbeitung dient: Wie „in jeder Absurditätserfahrung enttäuschte Resonanzerwartung mitschwingt, so klingt in jeder Resonanzerfahrung überwundene Absurdität nach, nämlich das Bewusstsein, dass Resonanz nicht das Normale, sondern das Unwahrscheinliche und Wunderbare ist“.5

Alle Religionen beruhen auf dem Umgang mit diesen beiden grundlegenden Erfahrungstypen des Menschen in Bezug auf das Ganze der ihn umgebenden Wirklichkeit. Die christliche Religion bietet dabei mit ihrer „christologischen Dichtung“ ein Symbol, das in besonderer Weise sowohl grundlegende Resonanzerfahrungen integriert (Jesu Erfahrung Gottes als gütiger Vater; christologische Bestimmung Gottes als „Liebe“) als auch menschliche Absurditäts- und Dissonanzerfahrungen kreativ bewältigt (Kreuz und Auferstehung).

Aus der Deutung der neutestamentlichen Christologie als „religiöser Poesie“ ergibt sich zugleich ein kritischer hermeneutischer Schlüssel für die Verhältnisbestimmung von Glauben und Glaubenslehre: Die christologischen Texte des NT sind „Liebesdichtung, und wer sie zum Dogma macht, handelt so, als wolle er ein Liebesbekenntnis in einen juristischen Vertragstext umwandeln.“6Insofern geht es Theißen, wie schon der Titel seines Buches sagt, nicht nur um eine Verteidigung, sondern auch um eine kritische Transformation des Glaubens, denn nur ein „kritischer Glaube“ wird letztlich in der Lage sein, das lebensvertiefende Potential religiöser Traditionen angesichts des Wahrheitsbewusstseins der (spät-) modernen Wissenschaft zu bewahren.

4Theißen spricht von der „Erfahrungsbasis religiöser Vorstellungen“ (Theißen, Plädoyer, 46)

5Theißen, Plädoyer, 49

6Theißen, Plädoyer, 110

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2. Grundlegung: Die Unterscheidung von „faith“ // „Glauben“ und „belief“ // „Glaubensvorstellung“ nach Wilfred Cantwell-Smith

Lektürebasis:

Wilfred Cantwell Smith, Menschlicher Glaube - Das gemeinsame Zentrum aller religiösen Traditionen. Stark gekürzte Übersetzung des zusammenfassenden 7. Kapitels von „Faith und Belief“. Mit einer Einführung von Andreas Grünschloß. In: Horizontüberschreitung. Die Pluralistische Theologie der Religionen. Hg. v. Reinhold Bernhardt, Gütersloh 1991, 151-174

Wilfred Cantwell Smith: A Reader. Hg. v. Kenneth Cracknell mit einem Vorwort von John Hick, Oxford 2001

Ähnlich wie Theißen sieht auch der kanadische Religionswissenschaftler und Pionier einer pluralistischen Religionstheologie, Wilfred Cantwell Smith den Glauben bzw. die religiöse Anlage des Menschen als zur „conditiohumana“gehörig. „Glaube ist …, soweit man die Geschichte überblicken kann, eine essentielle menschliche Qualität. Man könnte sogar dafürhalten, dass esdieessentielle menschliche Qualität ist: dass sie für den Menschen als solchen konstitutiv ist, - dass diese universale Möglichkeit oder Einladung, angesichts einer transzendenten Dimension zu leben, für die Persönlichkeit konstitutiv ist.“7

Solchen Glauben (engl. „faith“) definiert Cantwell-Smith näher als Offensein für „eine Qualität des Lebens in sich selbst, in seinem Nächsten und im Universum“, die den Menschen „über den bloß weltlichen und vorfindlichen Bereich hinaushebt. … Wir reagieren nicht bloß, sondern sind - individuell und als Mitglied einer Gemeinschaft - offen für Quellen der Inspiration, der Hoffnung, der Vision, der Verpflichtung - über die Gegebenheiten der unmittelbaren Umgebung hinaus.“8

Insofern ist der Mensch von seiner biologischen Evolution her konstitutiv religiös. Immer, an allen Orten und zu allen Zeiten haben Menschen „geglaubt“. Hiervon stellt nur der „moderne Westen“ teilweise eine Ausnahme dar. Aber ein „Ende der Religiosität“ ist dennoch nirgendwo in Sicht. Der moderne Atheismus ist für Cantwell-Smith eine Nichtanerkennung des tatsächlichen Charakters der Wirklichkeit, und letztlich eine Täuschung über sich selbst. Wirklich ohne „Glauben“, atheistisch, wäre nur, wem nichts im Leben wirklich wichtig ist9. „Ein echtes Verstehen des Menschseins verlangt“ dagegen „nach einer Anerken-

7Cantwell-Smith, Menschlicher Glaube, 156

8Cantwell-Smith, Menschlicher Glaube, 156

9Vgl. im „Introductory essay“ // „Einführenden Essay“ von Kenneth Cracknell zum „Reader“: „Quoting approvingly an unknown source which said that the only true atheist is ‚he who loves no one and whom no one loves; who does not care for truth, sees no beauty, strives for no justice, who knows no courage and no joy, finds no meaning, and has lost all hope’, Smith writes that this sentiment could be rendered more neutrally in terms of ‚faith’. ‚No human being is or ever has been utterly without faith’, he continues, ‚for faith is what sets a person free, or «saves» a person, from mediocrity, self absorption, the bleak despondency of meaninglessness’.“ // „Smith zitiert zustimmend eine unbekannte Quelle, in der es heißt, dass der einzige wirkliche Atheist ‚ein Mensch’ sei, ‚der niemanden liebt und der von niemand geliebt wird, dem Wahrheit gleichgültig ist, der keine Schönheit sieht, nach keiner Gerechtigkeit strebt, der keinen Mut und keine Freude kennt, keinen Sinn im Leben findet, und alle Hoffnung aufgegeben hat’ und schreibt, dass diese Empfindung neutraler mit dem Begriff des ‚Glaubens’ (‚faith’) beschrieben werden könnte. ‚Kein menschliches Wesen ist, oder war jemals ganz ohne Glauben’ (‚faith’), fährt er fort, ‚denn Glaube’ (‚faith’) ‚ist, was einen Menschen frei macht oder ihn vor Mittelmäßigkeit, Selbstverkrümmung, der trostlosen Verzweiflung der Sinnlosigkeit «rettet»’.“ (zitiert aus Faith and Belief, Princeton, New Jersey, 1979, 20)

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nung unserer Fähigkeit zum Glauben. … In jedem Fall heißt Erwachsenwerden nicht, über diese Anlage hinauszuwachsen, sondern sie als Faktum anzuerkennen und vernünftig und konstruktiv damit umzugehen.“10

Von solchem Glauben als konstitutiver menschlicher Offenheit für Transzendenz (engl. „faith“) unterscheidet Cantwell-Smith nun Glauben als „Meinung“, als begriffliche Konzeptualisierung des Geglaubten, als „Weltsicht“, als „Annehmen“ bestimmter „propositionaler“ Satzwahrheiten (engl. „beliefs“). Eine gewisse Analogie zu dieser im Englischen möglichen begrifflichen Unterscheidung zweier unterschiedlicher Bedeutungen des Wortes „Glauben“

- „faith“ als grundlegende menschliche Transzendenzoffenheit, „belief“ als begriffliche Explizierung, theologische Deutung und weltanschauliche Ausformung der „Glaubenssicht“findet sich vielleicht in der klassischen dogmatischen Unterscheidung von „fidesqua“und „fidesquae“11.

Das Problem der Moderne ist nach Cantwell-Smith, dass sowohl von Gläubigen wie von Atheisten heute häufig „faith“ // „Glauben“ mit „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ gleichgesetzt und mit diesen verwechselt wird. Gläubige meinen, wenn man bestimmte geschichtliche begriffliche Formulierungen des Glaubens in Frage stelle, stelle dies den Glauben selbst in Frage. Atheisten meinen, mit der Widerlegung bestimmter „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ den Glauben selbst („faith“) widerlegt zu haben.

Aber „belief“ // „Glaubensvorstellung“ ist nicht „faith“ // „Glauben“. „Faith“ // „Glauben“ ist, mit Tillich gesprochen, das Ergriffensein von etwas, das „uns unbedingt angeht“, eine Dimension von „ultimate concern“ // „letzter Bedeutung“ im menschlichen Leben. „Beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ sind dagegen kontingente, historische, zeitgebundene menschliche Formulierungen. Anders gesagt: Man kann zwar existentiell gewiss sein, und religiös erfahren, dass man bejaht, geliebt und getragen ist. Aber dass Gott „eine Substanz in drei Hypostasen“ sei oder Jesus Christus „wesensgleicher Natur mit Gott“, ist eine abgeleitete

10Cantwell-Smith, Menschlicher Glaube, 156

11Vgl. Grünschloß in seiner Einführung zu Cantwell-Smith, Menschlicher Glaube, 152; sachlich geht auch Paul Tillichs Unterscheidung in „Dynamics of Faith“ zwischen dem, „what faith is“ // „was Glaube ist“ und „what faith is not“ // „was Glaube nicht ist“ in die gleiche Richtung, wenn er die „intellectualstic distortion of faith“ // „intellektualistische Verzerrung von Glauben“ so beschreibt: „The most ordinary misinterpretation of faith is to consider it an act of knowledge that has a low degree of evidence. Something more or less probable or improbable is affirmed in spite of the insufficiency of its theoretical substantiation. … If this is meant, one is speaking ofbeliefrather than of faith. One believes that one’s information is correct.“ // „Die verbreitetste Fehlinterpretation von Glauben ist es, ihn als einen Akt des Wissens mit einem geringeren Evidenzgrad zu betrachten. Etwas, das mehr oder weniger wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich ist, wird trotz seiner ungenügenden theoretischen Begründung bejaht. … In dieser Bedeutung spricht man eher vonbelief/Glaubenannahmeals von faith // Glauben selbst. Man nimmt an, das die Information, die man bekommen hat, richtig ist.“ Glaube, so Tillich, ist nicht das Vertrauen in die Richtigkeit mehr oder weniger wahrscheinlicher Tatsachenbehauptungen oder in die Autoritäten, die ihre Richtigkeit für uns verbürgen, nicht einmal das Vertrauen in die Autorität der biblischen Autoren: „The Christian may believe the Biblical writers, but not unconditionally. He does not have faith in them. He should not even have faith in the Bible. For faith is more than the trust in even the most sacred authority. It is a participation in the subject of one’s ultimate concern with one’s whole being. Therefore, the term ‚faith‘ should not be used in connection with theoretical knowledge, whether it is a knowledge on the basis of immediate, prescientific or scientific evidence, or whether it is on the basis of trust in authorities who themselves are dependent on direct or indirect evidence.“ // „Der Christ mag den biblischen Autoren glauben, aber nicht in unbedingter Weise. Erhatkeinen Glauben an sie. Er sollte nicht einmal Glauben an die Bibel haben. Denn Glaube ist mehr als das Vertrauen selbst in die heiligste Autorität. Er ist vielmehr eine Teilhabe am Gegenstand dessen, was einen in seinem ganzen Sein unbedingt angeht. Darum sollte der Ausdruck ‚Glaube‘ nicht zur Bezeichnung von theoretischem Wissen benutzt werden, sei es von Wissen auf der Grundlage unmittelbarer, vorwissenschaftlicher oder wissenschaftlicher Evidenz, sei es von Wissen auf der Basis von Vertrauen auf Autoritäten, die selbst von direkter oder indirekter Evidenz abhängig sind.“ (Tillich, Dynamics of Faith, 36-38)

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menschliche Glaubensannahme, nicht selbst eine mögliche existentielle „Resonanzerfahrung“ (Theißen). „Die Wahrheit dessen, was man ‚annimmt’ (‚beliefs’) - selbst dessen, was man sieht und was sich experimentell verifizieren lässt - ist niemals die volle Wahrheit. … Jede Vorstellung - wie auch jeder formalisierte Bewusstseinsinhalt, jede These und jede ‚Meinung’ (‚belief’) - ist eine intellektuelle Formulierung der Wahrheit im Denken einer bestimmten Person oder Gruppe … soweit diese Person der Gruppe sie erfasst hat (von ihr erfasst wurde).“12

Cantwell-Smiths sachliche Priorisierung von „faith“ // „Glauben“ gegenüber „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ darf dabei nicht verflachend als zeitliche Priorisierung verstanden werden. Natürlich stehen „faith“ // „Glauben“ und „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ historisch und anthropologisch in einem vernetzten Zusammenhang und haben zirkulären Charakter. Erfahrungen von „Selbsttranszendenz“13werden nicht nur nachträglich durch bestimmte Glaubensinterpretationen begrifflich expliziert; religiöse Erfahrung wie jede Erfahrung ist immer ein „experiencing-as“ // „erfahren-als“ (John Hick14) und als solche bereits von interpretierenden Kategorien geformte Erfahrung. Bestimmte Erfahrungen von „faith“ // „Glauben“ werden durch vorausgesetzte religiöse Überzeugungen überhaupt erst evoziert. Aber dennoch kann man sagen, dass die religiöse Erfahrung selbst ein Teil der „conditio humana“, ihre begriffiche Explikation aber kontingent ist und beweglich bleiben muss als ein niemals abgeschlossener Prozess. Im immer schon bestehenden Zirkel von „faith“ // „Glauben“ und „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ gibt es ein grundlegendessachlichesGefälle von den „beliefs“ // „Glaubensvorstelungen“ zum „faith“ // „Glauben“, auf den sie eigentlich zielen. In diesem Sinne ist Cantwell-Smiths Vorrangstellung, die er dem „faith“ // „Glauben“ gegenüber den ihn gleichermaßen formenden wie von ihm geformten „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ gibt, zu interpretieren.

Für die eigene Formulierung von „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen“ gilt nach Cantwell-Smith:

„One’s conceptualizing of faith, and of „Unsere eigene Konzeptualisierung des the universe perceived from faith, … Glaubens (‚faith’) und des vom Glauben must be the closest approximation to the (‚faith’) aus betrachteten Universums … truth to which one is capable of rising muss die größtmögliche Annäherung an (being raised)“15. die Wahrheit sein, zu der wir uns erheben (erhoben werden) können“.

Diese Annäherung an die Wahrheit kann mehr oder weniger gelungen oder mehr oder weniger misslungen sein. Nicht alle menschlichen „Glaubensformulierungen“ sind von gleicher Qualität. Manche sind „so unzutreffend oder unangemessen“, dass sie „einer Fehlauffassung“ nahe kommen. Manche sind aber auch umfassend und richtungsweisend. Aber keine erfasst die Wahrheit vollständig und ganz, keine ist der Kontingenz und Geschichtlichkeit enthoben. „Wahrheit transzendiert nicht nur den Wahrheitshorizont eines jeden von uns, sondern auch die Summe all unserer (möglichen) Wahrnehmungen. Daher kann prinzipiell jeder Beobachter und jede Beobachterin etwas von der Wahrheit einer jeden Person - und besonders jeder Gruppe - der Menschheitsgeschichte in Vergangenheit

12Cantwell-Smith, Menschlicher Glaube, 169f.

13Vgl. in diesem Zusammenhang insgesamt auch die Untersuchungen von Hans Joas in „Braucht der Mensch Religion“

14Hick, Interpretation, 140ff.

15Cantwell-Smith, Reader, 148

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und Gegenwart lernen.“16Das Ziel solcher Begegnungen mit anderen Glaubens- und Denkwelten kann dabei aber nicht die „größtmögliche Gleichförmigkeit der Glaubensmeinungen (‚similarity of belief’)“ sein, sondern die „Gleichförmigkeit der Glaubenshaltung (‚faith’)“. „Man könnte auch hier mit einem Aphorismus spielen: Der eigene Glaube (‚faith’) stammt, wie viele betont haben, von Gott - dagegen gehen die Glaubensmeinungen (‚beliefs’) auf das jeweilige Jahrhundert oder die jeweilige Gruppe zurück.“17

16Cantwell-Smith, Menschlicher Glaube, 170

17Cantwell-Smith, Menschlicher Glaube, 171f.

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3. Weiterführung: Die Aufgabe heutiger theologischer „Rekonstruktion“ nach Gordon D. Kaufman

Lektürebasis:

Gordon D. Kaufman. Geschichtlichkeit der Religionen als Herausforderung an die Theologie. In: Horizontüberschreitung. Die Pluralistische Theologie der Religionen. Hg. v. Reinhold Bernhardt, Gütersloh 1991, 47-59

Gordon D. Kaufman, Theology as Construction. In: Ders., In Face of Mystery: A Constructive Theology, Cambridge, Massachusetts 1993, 3-93

Gordon D. Kaufman: The Development of My Theological Thinking: Two Themes. In: Ders., In the beginning … creativity, Minneapolis 2004, 107-127

Wenn Cantwell-Smiths These richtig ist ist, dass der Transzendenzbezug des Menschen zwar zur „conditio humana“ gehört, dass aber alle unsere Konzeptualisierungen einer solchen Transzendenzerfahrung kontingente, geschichtliche, sowie zeit- und perspektivgebundene menschliche Formulierungen sind, dann hat das erhebliche Konsequenzen für Methode und Selbstverständnis der Theologie und aller religiösen Welterklärung.

Diese Konzequenzen hat in besonderer Stringenz der amerikanische Theologe Gordon D. Kaufman systematisch formuliert, zuerst in seinem „Essay in Theological Method“ (1975, 3rd edition 1995), dann weiter geführt in seinem „The Theological Imagination: Constructing the Concept of God (1985) und schließlich zusammenfassend im ersten Teil seines „In Face of Mystery: A Constructive Theology“ (1993).

Nach Kaufmans Verständnis muss die Aufgabe theologischer Arbeit heute nicht mehr in erster Linie hermeneutisch, als die interpretierende Vergegenwärtigung einer „autoritative tradition“ // „autoritativen Tradition“ und ihres Niederschlags in einer „Heiligen Schrift“ beschrieben werden, sondern konstruktiv als mit einer

„critical analysis of those texts“ verbun„kritischen Analyse dieser Texte“ verdenes „fresh creative thinking“.18bundenes „neues kreatives Denken“.

Die „sacred texts“ // „heiligen Texte“ der Religionen, auch die christliche Bibel, werden hier also nicht mehr als dem menschlichen Denken vorgegebene Wahrheitsquellen mit Bezug auf eine übergeschichtliche göttliche „Offenbarung“ verstanden, sondern selbst als durch und durch geschichtliche Dokumente menschlicher religiöser Erfahrung und Weltorientierung.

Im Abschnitt „The Development of My Theological Thinking: Two Themes“ in „In the beginning … creativity“ (2004) fasst Kaufman seinen Ansatz selbst so zusammen:

„Theology is here acknowledeged as „Theologie wird hier als ein durch und through-and-throughhumanwork, a durchmenschlichesWerk verstanden, constructive activity of the imagination“19. als eine konstruktive Aktivität unserer Einbildungskraft“.

18Kaufman, Mystery, 18

19Kaufman, Creativity, 120

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Das heißt:

„all speaking and thinking of God, even „alles Reden und Nachdenken über Gott, auch auf der einfachsten und am weof the most simple and unsophisticated sort - our prayers to God, our worship of nigsten ausgeklügelten Ebene - unsere God, our reflection on God -presuppo-Gebetezu Gott, unser Gottesdienst, un-sesconstructiveimaginative activity and ser Nachdenken über Gott - setzt eine would be impossible without it.“20konstruktive Aktivität unserer Einbildungskraft voraus und wäre ohne sie nicht möglich.“

Theologie als wissenschaftliche Reflexion solcher „human religious constructions“ // „menschlichen religiösen Konstruktionen“ hat dann die Aufgabe, Kriterien zu entwickeln,

„norms for judging the effectiveness and „Normen, mit denen sich die Leistungsvalidity with which this imaginative work has fähigkeit und Stichhaltigkeit beurteilen been carried out in the past“, und für die lassen, mit denen diese imaginative Arangemessene Wahrnehmung der Aufgabe beit in der Vergangenheit ausgeführt „to carry through this constructive work to- und für die angemessene Wahrday“.21nehmung der Aufgabe, „diese konstruktive Arbeit heute durchzuführen“.

Nun hat sich aber bei der Durchführung unserer religiösen „Konstruktion“ die Sicht auf Welt und Menschen seit der Zeit der „heiligen Schriften“ der großen Religionen und der Entwicklung auch der traditionellen christlichen Vorstellungen über „Gott“, „Mensch“ und „Welt“22grundlegend verändert. Die traditionellen christlich-theologischen Konstruktionen arbeiten nach Kaufman unter der in ihrer Zeit leitenden Voraussetzung eines statischen, dualistischen („zweistöckigen“) Weltbilds von Natur und Übernatur. Dabei ist ihr Gottesbild über weite Strecken anthropomorph und ihr Weltbild entsprechend anthropozentrisch. Dieses „klassische“ Welt- und Gottesbild ist aber für heutiges Denken nicht mehr plausibel. Es hat durch die Aufklärung sowie die moderne Wissenschaft und Religionskritik gewissermaßen eine „Dekonstruktion“ (hier von mir eingebrachter Begriff, von Kaufman nicht verwendet) erfahren.

Sein „proposal“ // „Vorschlag“ ist es darum

„that the traditional metaphors of creator, „dass die traditionellen Metaphern des lord and father - on the basis of which Schöpfers, Herrn und Vaters - auf deren the traditional Western image/concept of Grundlage das traditionelle westliche God has been largely constructed“ er-Bild/Konzept Gottes weitgehend konstrusetzt werden sollten durch die Konstruk- wurde“ ersetzt werden sollten durch tion einer „conception of God more ap- Konstruktion einer „Gotteskonzepti-

20Kaufman,

21Kaufman, Creativity, 121

22Die Zusammenschau der drei grundlegenden menschlichen Konstruktionen der Wirklichkeitsorientierung „Gott“, „Mensch“ und „Welt“ (vgl. die drei transzendentalen Ideenklassen bei Kant) ergeben nach Kaufman das monotheistische kategoriale Schema des Judentums (vgl. Mystery, 70ff.), das im Christentum durch die vierte Kategorie „Christus“ ergänzt wird (vgl. Mystery, 83ff.). Dabei steht „Christus“ weniger für eine weitere unabhängige Kategorie der Wirklichkeitsdeutung, sondern bedeutet jeweils eine spezifische „christologische“ Neuinterpretation der bestehenden grundlegenden monotheistischen Orientierungskategorien von „Gott“, „Mensch“ und „Welt“.

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propriate to today’s understanding of the on, die unserem heutigen Verständnis world and our human existence in it“.23der Welt und unserer menschlichen Existenz in ihr angemessener ist“.

In unserer heutigen Kosmologie ist die Erde nicht mehr der Mittelpunkt des Universums, und der Mensch erst eine sehr späte Erscheinung am Rande der jahrmilliardenalten kosmischen Geschichte. Seine „Erschaffung“ verstehen wir heute im Rahmen der Evolutionstheorie, die ihn zutiefst in die natürliche Ordnung aller Dinge einbindet und zum kleinen Teil einer viel umfassenderen kosmischen Wirklichkeit macht. Deshalb greifen auch ansonsten wegweisende klassische theologische Rekonstruktionsversuche, wie das Entmythologisierungsprogramm Rudolf Bultmanns, zu kurz, weil sie das dualistische Gegenüber von Gott und Welt immer noch aufrecht erhalten, wodurch sie in ihrer „existentialistischen Interpretation“ der alten religiösen Konstruktionen immer noch antrophozentrisch bleiben, und die moderne Kosmologie ausblenden.

Gefragt ist heute eine noch sehr viel umfassendere theologische „reconstruction“ // „Rekonstruktion“, die von Gott im Rahmen der gesamten kosmischen Geschichte seit dem „Urknall“ spricht, und die alten anthropomorphen, anthropozentrischen und dualistischen Konzepte auf dieser Basis konsequent kosmologisch, geschichtlich und „holistisch“, d.h. ohne Rest eines supranaturalistischen „Überbaus“ reinterpretiert. Kaufman schreibt dazu:

„theologians should attempt to construct „Theologen sollten versuchen, Konzepticonceptions of God, humanity, and the onen von Gott, der Menschheit und der world appropriate for the orientation of con-Welt zu konstruieren, die geeignet sind, temporary human life. In and through such heutiges menschliches Leben zu orientheological construction - carried out with tieren. In solchen theologischen Konwhatever moves of imaginative construction struktionen und durch sie - durchgeführt we can bring to the task, and with as much mit jeder möglichen Betätigung unserer methodological self-consciousness as we imaginativen Konstruktionsfähigkeit, die can muster - it is hoped that the most seriwir in diese Aufgabe einbringen, und mit ous problems confronting us humans today so viel methodologischem Selbstbecan be identified, and that we may gain wusstsein, wie wir aufbringen könnensome insight into appropriate ways to liegt die Hoffnung, dass wir mit ihnen die bedrängendsten Probleme, mit denen wir Menschen heute konfrontiert sind, identifizieren, und zugleich eine Einsicht in angemessesne Wege, uns ihnen zu stellen, gewinnen können.“

Dabei geht es Kaufman gerade nicht um einen die Tiefe der Welt in reduktionistische Oberflächlichkeit auflösenden Rationalismus ohne Gespür für das Heilige und Wunderbare, das menschliches Vermögen Übersteigende und Mystische. Vielmehr geht es ihm um die Dimension des Geheimnisvollen in und hinter aller Erfahrung, um die Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens, und das Staunen über „Gott“ als dem „Geheimnis der Welt“25:

„As I have been suggesting throughout, „Wie ich es schon immer vertreten habe, theological work must be carried out with muss die theologische Arbeit mit dem

23Kaufman, Creativity, 108

24Kaufman, Mystery, 31

25Vgl. den entsprechenden Buchtitel von E. Jüngel „Gott als Geheimnis der Welt“ (Tübingen82010); ich

greife hier seine Metapher, nicht ihre weitere Ausführung durch ihn auf.

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vollen Bewusstsein ausgeführt werden, full awareness that ultimately human life is dass menschliches Leben in ein letztes ensconced in mystery, and this must properly qualify and relativize all our theologi-Geheimnis eingehüllt ist, und dass diese cal claims.“26Einsicht in angemessener Weise alle unsere theologischen Behauptungen qualifizieren und relativieren muss.“

Insofern zielt auch für ihn, wie für Cantwell-Smith, die Formulierung („Konstruktion“) theologischer und religiöser Konzepte (in der Terminologie von Cantwell-Smith „beliefs“ // „Glaubensvorstellungen!) letztlich auf „Glauben“ - denn gerade an der Grenze aller menschlichen Sprech- und Konstruktionsversuche kann uns das Wunder berühren,

„that ‚grace’ may break through the mystery „dass ‚Gnade’ durch das Geheimnis brethat establishes and sustains us, creating in chen mag, das uns hervorgebracht hat us the new modality of existence which we und uns erhält, und in uns die neue Exiscall faith“27tenzweise bewirkt, die wir Glauben nennen“

- das Wunder des Glaubens, das uns in unserer Welt nicht nur

mit „wonder and awe and bafflement“, son- „Verwunderung, Ehrfurcht und Verdern mit „trust and confidence as well“ le- sondern „auch mit Vertrauen ben lässt - eben „in Face of Mystery“, und Zuversicht“ leben lässt - eben „im Angesicht des Geheimnisvollen“,

das all unser Denken und Begreifen unendlich übersteigt.28

Auch wenn man vielleicht (stärker als Kaufman es in seiner Analyse der „problematic traditional ideas of (God)“29// „problematischen traditionellen Ideen von (Gott)“ tut, festhalten muss, dass schon die „traditionelle“ jüdisch-christliche Gottesrede den äußerlich vorherrschenden anthropmorphen und dualistischen Denkrahmen immer wieder selbst transzendiert und gesprengt hat, und dass eigentlich auch alle großen „Klassiker“ christlichtheologischer Theoriebildung (man denke nur an Augustinus und Thomas von Aquin!) sich der Gefahr der Verdinglichung des Göttlichen in der menschlichen „Gottesrede“ immer schon kritisch bewusst waren, nicht nur in den ausdrücklich apophatischen Richtungen der theologischen Tradition30, halte ich seine Forderung nach heute konsequent nichtdualistischer und nicht-antropomorpher weiterer „Rekonstruktion“ bisheriger theologischer Denk- und Redeformen für wegweisend und befreiend. Solche heutige „Rekonstruktion“ kann und muss dabei m.E. vielfach an frühere transtheistische Ansätze in der Konstruktion der Gotteslehre auch im Juden- und Christentum anknüpfen und sie integrieren. Aber sie muss dabei doch die heute noch vorherrschende kirchlich-theologische und liturgische Denk- und Sprachwelt mit ihren leitenden Metaphern von „Gott, dem Herrn“, „Gottes Wort“, „Gottes Handeln“ und „Gottes Willen“ nach meiner Überzeugung, wie Kaufman es fordert, sehr radikal dekonstuieren und rekonstruieren, damit Gottesrede heute wieder

26Kaufman, Mystery, 31

27Kaufman, Mystery, 57

28Kaufman, Mystery, 59

29Kaufman, Creativity, 150

30Vgl. hierzu die ausführlichen Belege in den großen Durchgängen durch die vielfältige Geschichte mensch- licher (christlicher) Gottesresde z.B. bei Ward, Gott, und Armstrong, Case for God.

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existentiell und intelektuell belastbar, orientierend, tragend und verändernd erlebt und kommuniziert weden kann.

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4. Die erste „Rekonstruktionaufgabe“: Einordnung theologischer Aussagen in unsere heutige wissenschaftliche Kosmologie

Im Folgenden sollen nun zwei Grundbereiche solcher m.E. heute nötigen Transformations-und Rekonstruktionsarbeit, wie sie in der von mir hier ausgewerteten Lektüre leitend sind, genauer dargestellt werden:

(1) die Einordnung theologischer Aussagen in unsere heutige wissenschaftliche Kosmologie, unser Verständnis der Entwicklung des Universums als ganzem, und der Entwicklung des Lebens auf unserer Erde im Besonderen, und

(2) die Einordnung theologischer Aussagen in eine globale kulturelle und religiöse Perspektive, in einen Dialog mit allen menschlichen Versuchen der Annäherung an eine vertiefende, transzendente Dimension der Wirklichkeit.

Im Folgenden bespreche ich zuerst einige wichtige Beiträge, die mir geholfen haben, die erste genannte Einordnungsaufgabe heutigen theologischen Nachdenkens in Angriff zu nehmen.

a) Evolutionstheorie als Rahmen

Lektürebasis:

Gerd Theißen, Das Verstehen der Bibel als Beitrag zur Erschließung der Wirklichkeit in Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, in: ders., Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003, 36-46

Bei der ersten Ebene der Neuformulierung theologischen Denkens, die ich hier beschreibe, seiner Einordnung in unser heutiges naturwissenschaftliches Verständnis der Geschichte des Kosmos und der Evolution des Lebens in ihm, geht es nicht nur darum, einzelne naturwissenschaftliche Erkenntnisse in einen nach wie vor essentiell unveränderten theologischen Rahmen, etwa der Schöpfungslehre einzuzeichnen, also etwa die sieben Schöpfungstage des priesterschriftlichen Schöpfungshymnus als „Evolutionsphasen“ zu interpretieren, ansonsten aber das Verhältnis von Gott, Mensch und Welt nach wie vor traditionell in einem dualistischen Schema zu entfalten.

Vielmehr geht es sehr viel weitergehend darum, „die Entstehung der biblischen Religion in den Rahmen einer naturwissenschaftlichen evolutionären Weltinterpretation einzuzeichnen“31und in diesem Rahmen auch die überlieferten Grundbegriffe der Schöpfungs-, Gottes- und Erlösungslehre neu zu interpretieren.

Diese „Rekonstruktionsaufgabe“ mag im Einzelnen sehr unterschiedliche Formen annehmen. „Auf jeden Fall sind die Naturwissenschaften für die Zukunft von Religion und Religionskritik von entscheidender Bedeutung. Postmoderne Relativierungen der Naturwissenschaften mögen berechtigte Gesichtspunkte einbringen, aber sie prägen nicht das Bewusstsein der Menschen, sondern nur weniger Intellektueller. Die Naturwissenschaften gelten heute mit Recht als das am meisten belastbare Wissen. Didaktik“, und ich füge hin-

31Theißen, Zur Bibel motivieren, 40

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zu: jede heute tragfähige Neuformulierung von Glauben und Religion, „die es mit real existierenden Menschen zu tun hat, muss sie“ sehr viel „ernster nehmen als viele Theologen“ es üblicherweise tun.32

b) Biblischer Glaube in evolutionärer Sicht nach Gerd Theißen

Lektürebasis:

Gerd Theißen, Biblischer Glaube in Evolutionärer Sicht, München 1984

Gerd Theißen, Evolution, In: Tobias Daniel Wabbel (Hg.), Im Anfang war (k)ein Gott, Düsseldorf 2004, 147-161

Für die Möglichkeiten der Einordnung von „Glauben“ und „Glaubenslehre“ in den Rahmen eines modernen wissenschaftlichen Weltbildes hat Gerd Theißen selbst m.E. mit seinem 1984 veröffentlichten Buch „Biblischer Glaube in Evolutionärer Sicht“ wesentliche Pionierarbeit geleistet, und einen epochalen Wurf vorgelegt, den ich selbst viel zu spät entdeckt habe.

Es ist wohl bezeichnend, dass dieses Buch heute in Deutschland restlos vergriffen ist, und seit 1993 nicht mehr aufgelegt wurde, während es in englischer Übersetzung als „Biblical Faith. An Evolutionary Approach“ zuletzt 2007 in neuer Auflage verlegt wurde, und in der internationalen Diskussion, anders als in der deutschen, vielfach rezipiert und diskutiert wird. So findet sich bei dem als nächstes in diesem Rahmen dargestellten John F. Haught immerhin ein kurzer Verweis auf Theißens Buch, während Gordon D. Kaufman und Philip J. Hefner, es nicht nur zustimmend erwähnen, sondern auch mehrfach ausführlich zitieren33.

Theißen selbst hat seinen Ansatz im ebenfalls hier zugrunde gelegten Aufsatz „Evolution“ aus dem Jahre 2004 nochmals prägnant zusammengefasst und weitergeführt; außerdem greift er ihn auf und integriert ihn u.a. in seinem erstmals im Jahr 2000 erschienenen Hauptwerk „Die Religion der ersten Christen“ und in seiner 2003 zum „Jahr mit der Bibel“ erschienenen Bibeldidaktik „Zur Bibel motivieren“.

Kurz zusammengefasst kann man Theißens Überlegungen wie folgt darstellen: Wie die Evolution einmal das kosmische Entropiegesetz, nach dem Ordnung im Universum auf die Dauer immer mehr abnimmt, partiell außer Kraft gesetzt hat, so dass es zur Entstehung, Entwicklung und Diversifizierung immer komplexeren Lebens auf unserer Erde kam, so scheint es, als habe die Evolution jetzt auf der Erde mit der Entstehung und Entwicklung des Menschen das sie bisher bestimmende Selektionsprinzip wiederum partiell außer Kraft gesetzt, so dass es mit der „kulturellen Evolution“ des Menschen zu einer „Evolution der Evolution“ kam, in der die damit verbundene weitere Anpassung des Menschen an die Wirklichkeit auf einmal Kategorien von Liebe, Solidarität und Barmherzigkeit hervorbrachte, in deren Rahmen er die Wirklichkeit selbst neu zu deuten und zu verstehen lernte.

In der „kulturellen Evolution“ werden nach Popper die „harten Prinzipien“ der bisherigen „biologischen Evolution“ teilweise in neue, „weiche Prinzipien“ umgewandelt. „Mutationen“

32Theißen, Zur Bibel motivieren, 41

33Vgl. Kaufman, In the beginning, 86; 94f.; Hefner, Human Factor, 30, 190, 207, 247, 249, 252, 253, 274

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im Erbgut sind jetzt „Innovationen“ im menschlichen Denken. Biologische „Vererbung“ wird zur kulturellen „Tradition“ - Ideen können jetzt nicht nur weitergegeben werden, wenn sie genetisch vererbt werden, sondern auch, wenn sie erzählt und „überliefert“ werden. „Selektion“ schließlich wird transformiert in menschliche Lernprozesse, bei denen eine schlechtere Weltorientierung und -bewältigung durch eine bessere ersetzt und an nachfolgende Generationen weitergegeben wird, ohne dass die „Träger“ der sich verändernden „Informationen“ dabei aussterben müssten.

Im Rahmen dieser kulturellen „Evolution der Evolution“ kommt nun, so Theißen, den Religionen eine entscheidende Bedeutung zu. Die Entwicklung der Fähigkeit zum symbolischen Denken und Deuten, die die Grundlage religiöser Orientierung sind, war vielleicht die entscheidende Phase im Übergang vom Tier zum Menschen, wie es der amerikanische Meteorologe und TheologeRalph Wendell Burhoeformuliert hat34. Nach seiner These war es eben die Entwicklung der menschlichen Religiosität, die dasjenige menschliche Verhalten ermöglichte, das in der englischsprachigen wissenschaftlichen Diskussion „trans-kin-altruism“ // „artübergreifender Altruismus“ genannt wird, also die mit der Steuerung der Evolution durch das „selfish gen“ // „egoistische Gen“ (Dawkins) rein biologisch nicht erklärbare Erweiterung des solidarischen Verhaltens über die eigene Verwandtschaft und damit den eigenen Genpool hinaus, die wesentliche Voraussetzung für die Bildung größerer Gemeinschaften und damit den „Erfolg“ der menschlichen Lebensform war.

Religion als kulturelle Symbolisierung einer übergreifenden Wirklichkeitsdeutung35kann also als Motor der „kulturellen Evolution“ des Menschen verstanden werden, und die großen religiösen Bewegungen als „kreative Mutationen“ dieser kulturellen Evolution, die eine immer bessere Anpassung der Menschen an die sie umgebende Wirklichkeit zur Folge hatten.

In diesem Sinne „erfolgreiche“ Mutationen des kulturellen Bewusstseins waren insbesondere die Entwicklung des Monotheismus als Grundaxiom der jüdischen Religion, das Auftreten Jesu von Nazareth, der den jüdischen Monotheismus konsequent im Sinne einer „antiselektionistischen“ Ethik weiter entwickelt hat, und die auf die christologische Deutung der Geschichte Jesu als zweitem religiösem Grundaxiom neben dem Monotheismus konzentrierte „pneumatologische“ Gemeinschaft der ersten Christen, die die „Menschwerdung Gottes“ im Kommen Jesu als konsequente Hoffnung auf eine an der Achtung der „Schwachen“ orientierte Transformation der Wirklichkeit deuten.

Hat die Evolution also ein Ziel? Mutation und Selektion sind sicher kein an sich zielgerichteter Prozess. Aber es fällt auf, so Theißen, dass die Evolution zu einer erstaunlichen „Passung“ des Menschen an die Wirklichkeit geführt hat, durch die er sie nicht nur verstehen und gestalten kann, sondern sogar rein geistig Strukturen entwickeln, wie etwa die Gesetze der Mathematik, die die Wirklichkeit anscheinend tatsächlich abbilden und ihrer inneren Gesetzmäßigkeit entsprechen.

Der Kosmos ist tatsächlich in seiner Feinabstimmung gleich nach dem Urknall exakt so beschaffen, dass er Leben und menschliches Bewusstsein hervorbringen konnte, ja vielleicht sogar musste (schwaches und starkes „anthropisches Prinzip“). Sind auch die Prozesse der Evolution zufällig und nicht zielgerichtet, so hat doch möglicherweise die Wirk-

34R.W. Burhoe, Religion’s role, Bezugnahme bei Theißen, Biblischer Glaube, 179

35Vgl. Theißens auf diese evolutive kulturelle Bedeutung aufbauende Definition von Religion in „Die Religion der ersten Christen“, 19: „Religion ist ein kulturelles Zeichensystem, das Lebensgewinn durch Entsprechung zu einer letzten Wirklichkeit verheißt.“

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lichkeit als Ganze eine Struktur, die eine bestimmte Richtung des zufälligen Geschehens bewirkt; so wie ein Flugzeug vom Nordpol aus in jede zufällige Richtung fliegen kann, und sich dennoch immer Richtung Südpol bewegt, ohne dass es dafür eine intentionale Steuerung gäbe.

Vielleicht, so Theißen, vermitteln die Religionen, und darin insbesondere die jüdischchristliche Tradition, ja tatsächlich ein Bild vom Ziel allen kreatürlichen Geschehens, und der letzten Tiefe der Wirklichkeit, die diesem „inneren Ziel“ der Evolution entspricht. Vielleicht ist der heutige Mensch selbst das gesuchte „missing link“ zu der immer noch ausstehenden vollständigen Menschwerdung des Menschen in einer Wirklichkeit, als deren Grunddimension die Bibel die Liebe bestimmt: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1 Joh 4,16)

c) Die Sicht der kosmischen Evolution als „ongoing story“ // „immer noch im Gang befindlicher Geschichte“ nach John F. Haught, und die Konsequenzen für das Verhältnis von Wissenschaft und Religion

Lektürebasis:

John F. Haught, Deeper than Darwin: The Prospect for Religion in the Age of Evolution. Taschenbuchausgabe Boulder, Colorado 2004

John F. Haught, Christianity and Science: Toward a Theology of Nature. Maryknoll, New York 2007

Der römisch-katholische nordamerikanische Theologe John F. Haught36, dessen Spezialgebiet das Verhältnis von „science and religion“ // „Naturwssenschaft und Religion“ ist, und der auch als „expert witness“ // „sachverständiger Zeuge“ vor einem Gericht in Dover ausschlaggebend gegen die verpflichtende Behandlung des sog. „Intelligent Design“ // „Intelligenten Design“ - Konzeptes als Alternative zur Evolutionstheorie an öffentlichen Schulen aussagte37, hat in verschiedenen Büchern versucht, heutiges religiöses Denken in einen evolutionären Kontext einzuzeichnen, und dabei wissenschaftliche und religiöse Weltsicht ins Gespräch miteinander zu bringen.

Dazu entwickelt er die Idee, dass das Universum, wie es sich uns heute wissenschaftlich darstellt, am besten im Bild einer „story“ // „Geschichte“ begriffen werden kann, die sich vom Urknall an bis in die Gegenwart entfaltet hat, und sich wahrscheinlich noch viele Milli-

36Für die Darstellung von Haughts „Deeper than Darwin“ stütze ich mich hier teilweise auf die im Internet veröffentlichte Besprechung von Kenneth Einar Himma aus dem Jahre 2004, Stand: Oktober 2011 (http://metapsychology.mentalhelp.net/poc/view_doc.php?type=book&id=2144&cn=394)

37Vgl. die Darstellung im Wikipedia-Artikel über Haught: „Haught testified as an expert witness for the plaintiffs in the case of Kitzmiller v. Dover Area School District. His opinion was that the effect of the intelligent design policy adopted by the Dover School board would ‘be to compel public school science teachers to present their students in biology class information that is inherently religious, not scientific in nature.’” (http://en.wikipedia.org/wiki/John_Haught; Stand: März 2010) // “Haught wurde als sachverständiger Zeuge für die Kläger im Fall Kitzmiller gegen Dover Area School Distrikt gehört. Er vertrat die Auffassung, dass das Konzept des ‘Intelligenten Design’, das der Vorstand der Dover Schule zu seiner Politik gemacht hatte, ‘die wissenschaftlichen Lehrkräfte dieser öffentlichen Schule dazu zwingen würde, ihren Schülern im Biologieunterricht Informationen zu übermitteln, die ihrem Wesen nach grundsätzlich religiös, nicht wissenschaftlich sind.’”

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arden Jahre lang weiter entfalten wird. Wissenschaften und Religionen lesen diese „story“ // „Gechichte“ auf unterschiedliche Weise.

Dabei wendet sich Haught mit Nachdruck gegen „literalistische Lesarten“ dieser „story“ // „Geschichte“ sowohl im fundamentalistischen Christentum, das die biblischen Schöpfungserzählungen und die nachfolgenden Erzähltraditionen als buchstäbliche Beschreibung der Geschichte der Welt fehlinterpretiert, als auch in der naturalistischen Naturwissenschaft, für die es im Kosmos nichts als „matter“ // „Materie“, und keine dahinter stehende transzendente „Tiefe“ gibt.

Insofern geht es bei der Debatte zwischen Naturwissenschaft und Religion für Haught um ein „reading problem“ // „Leseproblem“; gegen eindimensionalenurwissenschaftliche odernurreligiöse Lesarten der kosmischen Geschichte plädiert Haught für „multi-layered readings“ // „vielschichtige Leseweisen“ als angemessene Erschließung der Wirklichkeit, bei denen sich die verschiedenen Interpretationsarten ergänzen und gegenseitig bereichern:

„(N)ature, like a book, can be read on „Wie ein Buch kann die Natur ohne Wiseveral different levels without contradic- auf verschiedenen untertion.“38schiedlichen Ebenen gelesen werden.“

Das Konzept der „story“ // „Geschichte“ entspricht nach Haught dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kosmologie und verändert sowohl viele Aussagen der klassischen Physik als auch der klassischen Metaphysik, die beide ein sehr viel statischeres, weniger dynamisches und prozessuales Bild des Universums hatten. Theologisch kann man z.B.

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