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Studienarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: Sehr gut, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Veranstaltung: Hauptseminar: Gottfried Benn. Ein deutscher Dichter zwischen Sprachgewalt und Gewaltsprache, Sprache: Deutsch, Abstract: Gottfried Benn hat sich im Laufe seines Lebens oft und ausgiebig mit dem Künstler und der Kunst an sich beschäftigt, so ab 1930 mit Person und Psyche des Künstlers, ab 1931 in erster Linie mit der Sache und der Leistung der Kunst. In der vorliegenden Arbeit wird Gottfried Benns Verständnis von Kunst und Künstler untersucht, vorrangig anhand seiner Essays, Reden und Vorträge und nur am Rande anhand literarischer Werke. Benns Entwicklung führte zunehmend zu einer Kunst- und auch Lebensauffassung, die auf Form und Stil, eine ausgeprägte Ästhetik gerichtet war, nicht nur im Kontrast zu einem Inhalt, sondern auch in Bezug auf Menschen und Gesellschaft sowie Politik und Geschichte. Auch die aktive Teilhabe an Fragen der Zeit, gar im Sinne des Anstrebens von Veränderungen, war bis auf eine kurze Phase zu Beginn der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933/34 nicht in Benns Sinne. Jegliche Wirkungsabsichten wurden negiert, die Zweckfreiheit von Kunst propagiert und ebendiese Kunst absolut gesetzt; ein Rückzug aus dem sozialen Feld zugunsten der Ästhetik, was schließlich darin gipfelte, die Welt als ästhetisches Phänomen zu betrachten – in Anlehnung an Friedrich Nietzsche – und diese Interpretation mit allen Konsequenzen als alleinige Realität zu akzeptieren. Die Welt wird Kunst und Kunst wird Lebensinhalt und Sinn. Um diese Aspekte soll es gehen. Zugleich wird kritisch beleuchtet werden, wie Benn das Setzen der Alleingültigkeit von Form und Stil in Bezug zur benannten Zweckfreiheit und Wirkungslosigkeit möglicherweise – bewusst oder unbewusst – nutzt, um sich politisch und gesellschaftlich zu entlasten, was seine unrühmliche Rolle zu Beginn des Nationalsozialismus betrifft. Die vorliegende Arbeit orientiert sich primär am Aufbau des Textes „Probleme der Lyrik“ (1951) (IV, 1058-1096) von Gottfried Benn selbst. Hier finden sich als Essenz die vollständig entwickelten ästhetischen Ansichten Benns – ausgeführt anhand der Lyrik, aber ebenso auf andere Bereiche übertragbar – gegen Ende seines Lebens, somit zum Abschluss seiner Entwicklungen. Wesentliche Ansichten zu oben genannten Themen können extrahiert, entwickelt und kritisch beleuchtet werden unter Zuhilfenahme weiterer Texte.
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Universität Hannover Seminar für deutsche Literatur und Sprache Hauptseminar: Gottfried Benn. Ein deutscher Dichter zwischen Sprachgewalt und Gewaltsprache WS 2002/ 2003
Gottfried Benns Kunstkonzept
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Gottfried Benn hat sich im Laufe seines Lebens oft und ausgiebig mit dem Künstler und der Kunst an sich beschäftigt, so ab 1930 mit Person und Psyche des Künstlers, ab 1931 in erster Linie mit der Sache und der Leistung der Kunst.
In der vorliegenden Arbeit wird Gottfried Benns Verständnis von Kunst und Künstler untersucht, vorrangig anhand seiner Essays, Reden und Vorträge und nur am Rande anhand literarischer Werke.
Benns Entwicklung führte zunehmend zu einer Kunst- und auch Lebensauffassung, die auf Form und Stil, eine ausgeprägte Ästhetik gerichtet war, nicht nur im Kontrast zu einem Inhalt, sondern auch in Bezug auf Menschen und Gesellschaft sowie Politik und Geschichte. Auch die aktive Teilhabe an Fragen der Zeit, gar im Sinne des Anstrebens von Veränderungen, war bis auf eine kurze Phase zu Beginn der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933/34 nicht in Benns Sinne. Jegliche Wirkungsabsichten wurden negiert, die Zweckfreiheit von Kunst propagiert und ebendiese Kunst absolut gesetzt; ein Rückzug aus dem sozialen Feld zugunsten der Ästhetik. Um diese Aspekte soll es gehen. Der Dichter Benn hat diese Ansichten im Laufe seines Lebens entwickelt und verstärkt. Theo Meyer fasst die Entwicklung zusammen „[...] indem beim früheren Benn [...] das 'Dionysische' [...] ein dominantes Thema ist, während dann zu Beginn der dreißiger Jahre eher eine Symbiose von 'dionysischem' Leben und 'artistischem' Geist in den Mittelpunkt rückt und dann im Laufe der Jahre der formreflexive Aspekt zum beherrschenden Denkmotiv wird.“1Dieser Formaspekt zeigt extreme Auswirkungen und gipfelt unter anderem darin, dass Benn die Welt als ästhetisches Phänomen betrachtet - in Anlehnung an Friedrich Nietzsche - und diese Interpretation mit allen Konsequenzen als alleinige Realität akzeptiert. Ludwig Völker erläutert in Bezug auf die Lyrik:„Benns Entwicklung als Lyriker von den Anfängen derMorgue-Gedichte(1912) bis zum letzten veröffentlichten GedichtbandAprèsludekann als ein persönlich-biographisch und sozial-historisch motivierter Weg in die autonome Sphäre der Kunst, als ein Bekenntnis zur ausschließlichen Realität des Ästhetischen interpretiert werden.“2
Die Welt wird Kunst und Kunst wird Lebensinhalt und Sinn.
1 Meyer (1971): Kunstproblematik und Wortkombinatorik bei Gottfried Benn. S. 114.
2 Völker (1990): Mimesis oder Poiesis? Anmerkungen zum Begriff des 'Lyrischen Ich' bei Gottfried Benn. In: ders. (1990): Gottfried Benn. Sprache-Form-Wirklichkeit. Zwei Vorträge. S. 43.
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Zugleich soll kritisch beobachtet werden, wie Benn das Setzen der Alleingültigkeit von Form und Stil in Bezug zur benannten Zweckfreiheit und Wirkungslosigkeit möglicherweise - bewusst oder unbewusst - nutzt, um sich politisch und gesellschaftlich zu entlasten, was seine unrühmliche Rolle zu Beginn des Nationalsozialismus betrifft. Dies wäre ein „bequemer Rückzug“ für den Dichter, der sich mit Schuld oder zumin-dest Verant-wortung nicht auseinander setzen müsste. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Benn die Verantwortung des Dichters immer wieder zurückgewiesen, im Verlaufe seines Lebens sogar das Handeln gänzlich verworfen hat. Zugleich misst er jedoch der Kunst und dem Dichter eine quasi elitäre, zumindest äußerst bedeutsame Rolle in Geschichte und Gesellschaft zu, die in seinen Augen von Staat und Öffentlichkeit immer verkannt wird. Damit ist der Rahmen abgesteckt, in dem sich diese Arbeit bewegen soll. Aufgrund ei-niger Schwierigkeiten, diesem Thema einen angemessenen Aufbau zu geben, da die einzelnen Elemente sehr eng verflochten sind, sich immer wieder überschneiden und dadurch eine genaue Abgrenzung erschweren, orientiere ich mich primär am Aufbau des Textes „Probleme der Lyrik“ (1951) (IV, 1058-1096) von Gottfried Benn selbst. Zum einen sind in ihm die vollständig entwickelten ästhetischen Ansichten Benns - anhand der Lyrik, aber ebenso auf andere Bereiche übertragbar - gegen Ende seines Lebens, also zum Abschluss seiner Entwicklungen, zusammengetragen. Hier können wesentliche Ansichten zu oben genannten Themen extrahiert, entwickelt und kritisch beleuchtet werden unter Zuhilfenahme weiterer Texte. Zum anderen gibt dieser Text einen Aufbau vor und lässt eine Abhandlung der wesentlichen Punkte zu.