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Wirtschaftsunternehmen sind oft traditionell geprägt, doch die Zeiten ändern sich rasant. Die Konsumierenden und auch B-to-B-Märkte fordern nachhaltiges und gesellschaftsverantwortliches Wirtschaften. Franchising kann diese Werte schnell aufnehmen und systematisch multiplizieren. Damit wird es zum Treiber der Nachhaltigkeitsbewegung. Veronika Bellone und Thomas Matla präsentieren einen grünen Faden zur nachhaltigen Multiplikation, mit Blick hinter die Kulissen.
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Seitenzahl: 324
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
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Für Fragen und Anregungen:
1. Auflage 2012
© 2012 by mi-Wirtschaftsbuch, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
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Redaktion: Markus Setzler, mehrlichtimtext, Tübingen
Grafiken: Matthias Hinkelmann, Bremen
Umschlaggestaltung: Maria Wittek
Umschlagabbildung: istockphoto.com
Satz: Carsten Klein, München
ePub: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN ePub 978-3-86416-110-0
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mi-wirtschaftsbuch.de
Inhalt
Titel
Impressum
Inhalt
»AFRAS – Sustainable Franchise Association«
AFRAS for a Sustainable Franchise
Franchise Sixth Generation
Uma Referência de Sucesso para o Mundo
»AFRAS – Nachhaltiger Franchise-Verband«
AFRAS für ein nachhaltiges Franchising
Sechste Generation Franchising
Eine Erfolgsreferenz für die Welt
Einleitung
1. Grundorientierung: Vom Franchising zum Greenfranchising
1.1 Das klassische Franchise-Prinzip
1.2 Die Voraussetzungen des Klassischen Franchisings
1.3 Erfolgsfaktoren des Klassischen Franchisings
1.4 Die neuen Herausforderungen für die Franchise-Wirtschaft
1.5 Green-City-Franchising
1.6 Ein neues Franchising entsteht
2. Greenfranchising – vom Anspruch zur Wirklichkeit
2.1 Vom Klassischen Franchising zum Greenfranchising
2.2 Gleichbleibende Bedürfnisstrukturen
2.3 Die Greenfranchise-Pyramide
2.4 Nachhaltigkeits-Positionierungen ganz praktisch
2.5 Klassische Franchise-Systeme zielen auf Gewinnmaximierung
3. Die acht Wahrheiten des Greenfranchisings
3.1 Greenfranchise-Systeme übernehmen gesellschaftliche Verantwortung
3.2 Greenfranchise-Systeme setzen sich nachhaltige Ziele
3.3 Greenfranchise-Systeme sind stabil strukturiert
3.4 Greenfranchise-Systeme sind wählerisch
3.5 Greenfranchise-Systeme kultivieren ihre Werthaltung
3.6 Greenfranchise-Systeme sind nachhaltig innovativ
3.7 Greenfranchise-Systeme stellen sich ihrer Stärke entsprechend dar
3.8 Greenfranchise-Systeme sind auf Wachstum ausgerichtet
4. Greenfranchising – Ausblicke
4.1 Visionäres Denken und Handeln
4.2 Wie wird die Franchise-Welt im Jahr 2050 aussehen?
4.3 Visionen im Rückblick
5. Greenfranchising aus der Nähe betrachtet
5.1 Nachhaltigkeits-Aktivitäten
5.2 Nachhaltigkeits-Handlungsfelder
6. Die Wahrheitsfallen
7. Franchise-Denkwerkzeuge
Danksagungen
Literatur
Autoreninformation
Farbseiten
»AFRAS – Sustainable Franchise Association«
»The Sustainable Franchise Association (AFRAS) is the Brazilian Franchise Association´s (ABF) social and environmental branch. Worldwide, it is an unprecedented initiative of ABF to have a social area to stimulate the implementation of sustainable management in franchise companies. AFRAS is a non-profitable organization, with seven years of experience in fostering the culture of social responsibility and sustainability in business strategies and models of franchise companies associated to ABF.
There are two outstanding projects conducted by AFRAS: One, in partnership with Ethos Institute was the corporate social responsibility indicators customized for the franchise sector. The other, named Low Carbon Franchising, aims to reduce and offset greenhouse gases (GHG) emissions in the operation of franchise businesses.
At last, in 2010, AFRAS launched a book »A new generation in franchising«, written by its president Claudio Tieghi. A historical trajectory of social responsibility and sustainability in the franchise sector, culminating in a new business model defined by Tieghi as »the franchise sixth generation«, i.e., franchise concepts whose strategic business planning and management take into account sustainability principles.
The Brazilian franchising sector, which comprises 2.033 franchise brands in operation (out of which 95% are local brands), ended with a record growth in revenue of 16.9 % in 2011, a significantly higher rate than GDP, and the highest rate over the past ten years, reaching a revenue of U$ 45 billion, 2.3% of the country´s GDP. The sector is responsible for generating around 837 thousand jobs and over 3.5 million indirect jobs.
The number of franchise brands operating in the country grew by 12.9% and the number of units (franchisees and franchisors units) reached 93.098, which means an increase of 8% over the previous year. This expansion resulted in the offer of more than 66.000 new jobs.
Even in the face of a worldwide economic crisis, the Brazilian franchise system remains in strong pace of expansion. In 2012 the sector is expected to end with a growth of 15% compared to last year. At the end of 2011, 90 brands had international operations and are present in 58 countries of all continents.
The Sustainable Franchise Association was founded in 2005 with the mission to contribute to the implementation of socially responsible management in companies associated with ABF, in line with the sustainable development of society. The organization is compliant with a schedule of courses, events and development projects and prizes »Sustainable Stand«, »Best Franchises to Work«, in addition to the award »ABF AFRAS Highlight Sustainability«, which values the actions taken for franchisors, franchisees, suppliers, journalists and executives who practices corporate social responsibility in an exemplary manner.
Establish commitments to sustainable development through partnerships with associations or business pacts national and international development and environmental projects in partnership with the franchised network and recognized institutions of the third sector, space creation for the franchisees to develop their own projects and that such practices whenever possible, can be incorporated by the franchisor and other franchisees.
O franchising brasileiro se desenvolve sobre bases muito sólidas e desponta como uma referência de sucesso para o mundo. E na sociedade global contemporânea, que exige constantemente dos empreendedores maior responsabilidade em seus negócios, o tema que abraçamos tende a ser cada vez mais importante e estratégico. Desejamos que o conteúdo valioso dessa publicação possa inspirar as empresas franqueadoras de toda a Europa a trilharem o caminho inexorável da sustentabilidade.«
Claudio Tieghi, President & Eleine Bélaváry, Executive Director AFRAS Associação Franquia Sustentável, Sao Paulo, Brasil, www.afras.com.br
Einleitung
Liebe Leserin, lieber Leser! Das in englischer Sprache verfasste Original-Geleitwort und die brasilianischen Wünsche von Claudio Tieghi, dem Präsidenten, und Eleine Bélaváry, Executive Director von AFRAS, dem Brasilianischen Nachhaltigkeits Franchise Verband in Sao Paulo wollten wir Ihnen, versehen mit unserer deutschen Übersetzung, nicht vorenthalten. Die brasilianische Kultur »umarmt« Nachhaltigkeitsthemen ganzheitlich und beispielhaft. Und vielleicht ist es an der Zeit, dass die Developed Countries von den Emerging Markets lernen. So auch von der nachhaltigsten Stadt der Welt, Curitiba, im brasilianischen Bundesstaat Paraná, die wir Ihnen im ersten Kapitel vorstellen werden.
Mit unserem vorliegenden Greenfranchise-Buch, das wir wieder in Zusammenarbeit mit unserem Greenfranchise Lab® in Berlin/Deutschland und im Büro in Zug/Schweiz und mit Unterstützung vieler Statement-Gebender erstellt haben, möchten wir unseren Handprint verbessern, indem wir Ihnen Anregungen geben, wie Sie nachhaltige Werte verantwortlich und wirksam multiplizieren können. Die mentale Einstellung, Ethik, Tugenden und Werte spielen dabei eine besonders wichtige Rolle.
Wir wünschen Ihnen eine anregende, Erkenntnis fördernde und spannende Lektüre.
Veronika Bellone und Thomas Matla
Zug und Berlin, im Oktober 2012
1. Grundorientierung: Vom Franchising zum Greenfranchising
Das »Klassische Franchising« hat eine lange Tradition. Je nach Betrachtungsweise kann man seine Anfänge bis auf die dezentralisierten Absatzwege der florentinischen Handelsgesellschaften des 15. Jahrhunderts zurückverfolgen. Auch die Kaufmannsgeschlechter der Fugger und Welser haben sich in partnerschaftlich organisierten Konzepten bewegt und einzelne Elemente des späteren Franchisings integriert.1
Mit Coca Cola, Singer (Nähmaschinenfabrikant) und General Motors begann Ende des 19. Jahrhunderts die Erfolgsstory des echten Franchisings. Diesen Unternehmen war eigen, dass sie mit selbstständigen Partnern expandierten, die gegen Entgelt unter deren Markennamen auftraten und exklusive Vertriebsrechte für den Verkauf ihrer Erzeugnisse erhielten. Diese Wachstumsstrategie wurde unter dem Namen Product Distribution Franchising bekannt. Gut 50 Jahre später entwickelte sich unter dem Einfluss vielfältiger Marktveränderungen das Business Format Franchising (Geschäftsführungs-Franchising) in den USA.2 Als Referenz dafür gilt McDonald’s. Die Adaption standardisierter, systematischer Prozesse aus der Industrie, übertragen auf die Gastronomie, war neu. Sie barg die Möglichkeit des Schnell- und Selbstbedienungs-Services und der einheitlichen Qualität der Waren. Das waren Schlüsselfaktoren, die durch die zunehmende Mobilität in der Gesellschaft gefragt waren. Aber nicht nur das. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Markt veränderte sich. Konnten sich Unternehmen zuvor über ihre Produkte oder Dienstleistungen definieren, musste man sich in Zeiten der prosperierenden Wirtschaft verstärkt von Mitbewerbern abheben. Das Geschäftsführungs-Franchising bot den Schlüssel dazu, sich dem zunehmenden Wettbewerbsdruck und den steigenden Anforderungen an ein Unternehmertum zu stellen, in dem neben markenadäquaten Vertriebsvereinbarungen das Know-how um die Vermarktung hinzukam. All diese Hilfen um das Leistungsangebot, den Standort, Verkauf und das Marketing wurden schriftlich dokumentiert und in einem sogenannten Franchise-Paket zusammengefasst. Dazu kamen dann: der begleitende schrittweise Aufbau der partnerschaftlichen Existenz und die Unterstützung in der laufenden Betriebsführung; also eine »schlüsselfertige Existenz« gegen entsprechende Gebühren des Franchise-Nehmenden. Das Business-Format Franchising hat nicht nur McDonald’s erfolgreich gemacht, sondern das Franchise-Business revolutioniert.
Diese Version des Franchisings wurde in den letzten Jahrzehnten international verbreitet. Zu den Pionieren im deutschsprachigen Raum gehörten z. B. die Wienerwaldkette (Restaurants), die derzeit gerade ein Comeback in Deutschland feiert, OBI Heimwerkermärkte, Portas (Renovierungsspezialist), Foto Quelle, Spinnrad (Kosmetik zum Selbermachen) und viele mehr. Nicht alle haben überlebt. Einige haben sich nur kurz gehalten, andere neu erfunden. Auf jeden Fall hat das systematische Vorgehen des Franchisings die Märkte erobert. So können wir heute davon ausgehen, dass die Wachstumsstrategie in der einen oder anderen Ausprägung alle Branchen erfasst hat. Vom Industrie-Franchising zum stark zunehmenden Dienstleistungs-Franchising, über das Kultur-Franchising bis hin zum Handwerks-Franchising finden sich Angebote. Von Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, das per Lizenz internationalisiert wird, über den Brötchenbringdienst bis hin zum Global-Water-Konzept sind nicht nur die Inhalte sehr divers, sondern auch die finanziellen Einstiegsmöglichkeiten und Erfolgsdimensionen. In Zahlen ausgedrückt gibt es allein in Deutschland um die 1.000 Franchise-Systeme (Stand 2012), in Österreich ca. 420 (Stand 2010) und in der Schweiz um die 350 Systeme (Stand 2012). Und wie sich die Ausprägung des Franchisings vom Product-Distribution-Franchising zum Business-Format Franchising gewandelt hat, findet auch heute ein Veränderungsprozess statt. Wir sind mittendrin. In der Phase zum nachhaltigen Franchising – dem Greenfranchising.
Was Sie in diesem ersten Kapitel erwartet
Wir möchten Ihnen im Folgenden aufzeigen, warum sich das Klassische Franchising so erfolgreich entwickeln konnte und was diese Wachstumsstrategie besonders macht. Denn das Prinzip des Franchisings, die Vervielfältigung von Geschäftskonzepten, lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen. So haben wir in unserem »Praxisbuch Franchising« unter anderem Social Franchising vorgestellt, das die Multiplikation von Projekten im Non-Profit-Bereich beinhaltet und zur Steigerung des Gemeinwohls beiträgt. Beispiele sindwww.youth-to-youth.org, ein Projekt der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung zur Aufklärung von Jugendlichen über Sexualität, Verhütung und AIDS in den Schwellenländern3oder das START-Schülerstipendienprogramm, das engagierte und leistungsstarke Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund materiell und ideell unterstützt. Das Programm wurde von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung gegründet und in 14 Bundesländern und in Teilen Österreichs fest verankert. 2012 feiert das Programm bereits sein 10-jähriges Bestehen (www.start-stiftung.de). Die Vervielfältigung guter Ideen und Konzepte beruht auf Erfolgsfaktoren, die wir Ihnen ebenfalls in diesem ersten Kapitel in konzentrierter Form vorstellen möchten.
Mit welchen Herausforderungen sich der klassische Franchise-Ansatz heute und morgen konfrontiert sieht, wollen wir Ihnen anhand von verschiedenen Einflüssen aus der Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft zeigen, um damit die Entstehung des neuen Greenfranchise-Prinzips zu verdeutlichen. Dabei stellen wir Ihnen dann auch noch eine andere adaptierte Variante des Franchisings im Eco-City-Bereich vor. Auf den zweimal acht Farbseiten zeigen wir Ihnen Beispiele von Unternehmen, die »Greenfranchising«, also nachhaltiges Franchising, leben und stellen Ihnen mit Professor Dr. Lüscher und Stephan Wiegand zwei Experten vor, die komplementäre Leistungen zur Nachhaltigkeit bieten.
Franchising beruht darauf, dass ein erfolgreiches Geschäftskonzept systematisch aufbereitet und multipliziert wird. Damit dies überhaupt möglich ist, wird neben dem eigentlichen Leistungsangebot, vom Handels- bis zum Dienstleistungskonzept, ein zweites Produkt kreiert: ein Existenzgründungs- oder Franchise-Paket. In diesem Paket befindet sich, wie einleitend erwähnt, das Know-how, das die Franchise-Partner/innen benötigen, um sich mit dem Leistungsangebot selbstständig zu machen. Darüber hinaus ist im Rahmen des Partnermarketings der gegenseitige Umgang mit Rechten und Pflichten während der Vertragspartnerschaft beschrieben; das alles in Wort und Schrift. Denn zu den Verpflichtungen der Franchise-Gebenden gehört die schriftliche Dokumentation des Produktes 1 (Geschäftskonzept) und des Produktes 2 (Franchise-Paket) sowie die entsprechende Grundausbildung wie fortlaufende Schulung. Mit diesem Angebot richtet sich der Franchise-Gebende je nach Konzept und Expansionsschritt an Existenzgründer/innen oder Firmen. Letztere sind beispielsweise dann gemeint, wenn es sich z. B. um eine Shop-in-Shop-Lösung für bereits bestehende Unternehmer/innen handelt, ein Conversion-Angebot zum Konvertieren des eigenen Betriebes zu einer Systemmarke oder um Masterpartner, die die Landesrechte eines Franchise-Konzeptes erwerben.
Das Klassische Franchising ist dabei geprägt von der klassischen Ökonomie; das heißt, es geht darum, mit den Produkten 1 und 2 positive Skaleneffekte zu bewirken. Die Entwicklungskosten bis zum Start mit dem Franchising sind hoch. Zum einen sind es die reinen Entwicklungskosten, welche die standardisierte Aufbereitung der Systeminhalte betreffen. Zum anderen gehört eine vom Franchise-Gebenden durchgeführte Erprobungsphase in mindestens einem dezentralen Pilotbetrieb dazu. Diese Kosten, zuzüglich derjenigen für den laufenden Support, müssen über die Gebühren der Franchise-Nehmenden amortisiert werden. Von Bedeutung ist der Zeitpunkt, ab dem wie vielten Franchise-Nehmenden der Break-even erreicht wird – gemessen an deren Einstiegsgebühren und laufenden Supportgebühren.
Das Klassische Franchising orientiert sich in der Folge an der quantitativen Ausrichtung. Es geht darum, Partner und Partnerinnen zur maximalen Marktdurchdringung und -erweiterung zu generieren. Mit jedem neuen Franchise-Nehmenden verbessert sich die Produktivität der eingesetzten Kosten. Daraus rekrutieren sich auch die Motivationsanreize für die Franchise-Nehmenden, indem vor allem ökonomische Ziele gesetzt und danach Erfolg und Misserfolg gemessen werden.
Unser einleitender kleiner Ausflug in die Geschichte hat gezeigt, dass Franchising als neutrale Wachstums- und Marktdurchdringungsstrategie vielfältig eingesetzt werden kann. Und das nicht nur branchenbezogen. Wir erfahren in unserer Praxis immer wieder, dass Unternehmen ihre Franchise-Fähigkeit überprüfen lassen, um über eine Totalanalyse und Entwicklungsprognose Optimierungspotenzial auszumachen. Nicht immer wollen diese Unternehmen unbedingt »franchisieren«. Sie haben jedoch erkannt, dass der Maßstab der »Franchisierbarkeit« ihren Unternehmen guttut und dass hierdurch ihre Wettbewerbsstärke überprüft und optimiert werden kann. Für uns ist das immer wieder eine beeindruckende Erkenntnis. Franchising mit seinen Erfolgsparametern kann für (auf andere Art) expandierende Unternehmen eine Benchmark sein und damit eine vielfach noch zu sehr unterschätzte und nicht genug gewürdigte Funktion des Franchisings, bzw. der Franchisierbarkeits-Überprüfung. Wir möchten an dieser Stelle einfügen, dass wir den klassischen Aufbau eines Franchise-Systems in unserem »Praxisbuch Franchising« anhand von acht Wahrheiten ausführlich beschrieben haben. Wir wollen hier einen kurzen Überblick über Eckpunkte aus den acht Wahrheiten geben, um die Systematik und Anwendbarkeit des Franchise-Prinzips zu verdeutlichen. Beginnen wir mit der SWOT-Analyse. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für alle Unternehmen, die ihren Status quo überprüfen wollen, also quasi ein Gesundheits-Check für das Unternehmen und Präventionsmaßnahme für die weitere Entwicklung. Die SWOT-Analyse ist eine Pflicht für zukünftige Franchise-Gebende, denn es gilt, nur gesunde Unternehmenskonzepte zu multiplizieren. Der Weg für die zukünftigen Franchise-Nehmenden muss geebnet werden und dafür müssen die eigenen Stärken und Chancen profiliert herausgearbeitet werden. Schwächen und Risiken müssen nicht nur aufgedeckt sein, sondern auch dahingehend untersucht werden, ob und inwiefern sie den Geschäftserfolg beeinträchtigen, um sie dann eliminieren zu können.
Abbildung 1: Franchise-Denkwerkzeug – SWOT-Analyse4
Das Klassische Franchise-Prinzip geht aber noch weiter. Die Bestimmung des Status quo gibt Hinweise auf:
die möglichen Entwicklungsschritte,welche Zielsetzungen aufgrund der Vision und des Leitgedankens eines Unternehmers oder der Unternehmerin erreicht werden sollen und wie diese unter den Gegebenheiten realisiert werden können,wie viele Franchise-Nehmende es bräuchte, um den Heimmarkt zu durchdringen,welche Märkte attraktiv wären, um grenzüberschreitendes Wachstum anzugehen.Die Hochrechnung möglicher Gebühren und Margen, als Gegenleistung für die Bereitstellung von Know-how und laufender Unterstützung, sind prognostizierte Werte zur Ermittlung des vorgenannten Break-evens. Dabei spielt das »Denken in Konsequenzen«, wie wir die sechste Wahrheit beim Franchise-System-Aufbau nennen, eine große Rolle. Wir müssen demnach folgende Fragen stellen: »Wie spiegelt sich die Verpflichtung zur Aufbereitung eines Franchise-Paketes aufseiten des Franchise-Gebenden nach innen und außen wider? Welche zentrale Struktur muss dafür aufbereitet werden, um den Support bieten zu können? Wie stellt sich das angehende Franchise-Unternehmen als Markenpersönlichkeit dar, mit welchen Werten und Gepflogenheiten? Wie müssen dann die Kommunikationsplattformen eingerichtet werden, um den so wichtigen Austausch mit den Franchise-Partnern und -Partnerinnen zu pflegen? Wie muss das Partnermarketing – angefangen vom Anforderungsprofil und Selektionsprozess über die Betreuung und Kontrolle bis hin zur Trennung – gestaltet sein? Unter welchen Bedingungen kann das Leistungsangebot marktnah angepasst werden und wie werden die Partner/innen in diese Prozesse einbezogen?«
Alle Fragen zielen letztendlich darauf ab, die Durchführbarkeit und Dimension des Vorhabens transparent und realistisch abzubilden.
Zusammengefasst sind es folgende Erfolgsfaktoren, die das Klassische Franchise-Prinzip ausmachen:
Standardisierung
Die Leistungen des Geschäftskonzeptes müssen sich beschreiben und damit standardisieren lassen. Vor allem für Dienstleistungsunternehmen ist es eine große Herausforderung, nicht-physische Leistungen in eine Form zu bringen, die Standardisierungen erlaubt. Nur solche Standardisierungen ermöglichen einerseits die Übertragung auf Franchise-Nehmende und deren Mitarbeitende und andererseits eine einheitliche Qualität und Messbarkeit des Erfolges. Zu den wichtigen Überlegungen bei der Standardisierung gehört, das Erfolgsrelevante herauszuarbeiten, um dadurch die Freiräume im Konzept zu definieren.
Markenprofilierung
Einen weiteren Erfolgsfaktor stellt die Marke dar. Der Aufbau und die erfolgreiche, langfristig tragbare Positionierung einer Franchise-System-Persönlichkeit hängen dabei wesentlich davon ab, dass wir die verschiedenen Anspruchsgruppen des Systems verstehen und wie stark wir uns auf sie einlassen. In einfachen Wirtschaftsunternehmen gilt es, diesbezüglich meist nur Consumer Insights zu ermitteln, sich also zu informieren, was die Konsumenten und Konsumentinnen antreibt, ein Produkt zu kaufen oder eine Leistung gegen Entgelt wahrzunehmen. Im anspruchsvolleren Klassischen Franchising wird die Anforderung vielfältiger und komplexer. Es geht nicht nur darum, die Treiber der Konsumenten-Märkte zu ermitteln und zu analysieren, vielmehr kommen als erste Hauptkunden die Franchise-Nehmenden hinzu. Auch hier gilt es, die antreibenden Motivationen als Insights zu ermitteln und zu berücksichtigen, beispielsweise ergänzt durch die relevanten Informationen über die Mitarbeitenden-, Bezugs- und Finanzmärkte. Wird all dieses Wissen über Bedürfnisse, Bedarf und gesellschaftliche Normen stimmig mit den tatsächlich möglichen Unternehmenskompetenzen und -leistungen auf eine klar differenzierende und für alle Stakeholder relevante Unternehmenspersönlichkeit übertragen, besteht rein theoretisch die Chance auf eine starke Marke. Ist sie eingebunden in eine stimmige Strategie und wird sie sympathisch und konsistent gegenüber allen Bezugsgruppen und an allen Touchpoints (also Berührungspunkten) gelebt und kommuniziert, so steigt ihr positiver Wertbeitrag für das Franchise-System weiter. Durch juristischen Schutz durch Markenanmeldungen des Namens, des Logos und eventueller Zusatzbezeichnungen, Farben, Töne und/oder Prozesse werden Marken-Alleinstellungsmerkmale abgesichert. Damit wird gleichzeitig deren Nutzungsrecht für die Franchise-Nehmenden übertragbar. Hierdurch erhalten Franchise-Nehmende einen immateriellen Zusatzwert: Indem ihr Bekanntheitsgrad steigt und ihr Image eines kompetenten und erfolgreichen Unternehmens gefördert wird, haben sie einen größeren wirtschaftlichen Erfolg.
Organisationsaufbau
Wachstum per Franchising braucht eine optimale Organisation als Grundlage – und das von Beginn an! Auch die ersten Franchise-Nehmenden müssen die Unterstützungsleistungen erhalten, die im Rahmen des Partnermarketings abgemacht sind. Darum sind Franchise-Systeme, die anfangs in Personalunion vom Franchise-Gebenden geführt werden, keine adäquate Basis. Die zentrale Organisation muss parallel zur Integration von Franchise-Nehmenden wachsen. Deswegen ist die Definition von Verantwortungsbereichen und daraus folgenden Aufgabenbeschreibungen wichtig und deren Abgleich mit den vertraglichen Verpflichtungen zwingend.
Multiplikation
Die Standardisierung ermöglicht die effiziente Multiplikation des Geschäftskonzeptes. Multiplizierbar wird es, wenn die Perspektiven stimmen, also z. B. die Nachfrage am Markt vorhanden ist, und zwar für beide Produkte. Ist das Marktpotenzial für das Leistungsangebot gegeben? Ist ein genügend großes Potenzial an Partner/innen-Profilen vorhanden? Die Potenzialmessungen müssen so positiv sein, dass damit die Entwicklungskosten amortisiert werden können und darüber hinaus eine Perspektive für den Ausbau des Konzeptes und die Organisation gegeben ist, die langfristig Existenzen auf beiden Seiten sichert.
Dokumentation
Alle Abläufe und Prozesse im Geschäftskonzept wie in der Zentrale werden dokumentiert, um eine größtmögliche Transparenz und Kontrollmöglichkeit zu erhalten. Die daraus resultierenden Rechte und Verpflichtungen beider Seiten werden vertraglich verankert. Damit wird eine Vorsorge zur Aufdeckung von Schwachstellen getroffen, darüber hinaus werden das gegenseitige Verständnis gefördert und die Zuständigkeiten geklärt. Das Bekenntnis zur Dokumentierung der Leistungen erschafft einen physischen und damit auch einen pekuniären Wert.
Kontrolle
Kontrolle mag im Sprachgebrauch negativ behaftet sein, sie bildet aber im Franchising einen wesentlichen Erfolgsfaktor. Sie ermöglicht den Systembeteiligten eine Einschätzung der Situation. Dafür werden z. B. Betriebsvergleiche vorgenommen, die den quantitativen Status quo ermitteln und damit wie ein Frühwarnsystem wirken. Auf dieser Basis kann geschaut werden, welche Veränderungen nötig sind oder es können Maßnahmen zum Gegensteuern formuliert werden. Außerdem geben Betriebsvergleiche den Franchise-Nehmenden die Möglichkeit der Einschätzung innerhalb des Systemschnitts. Näheres dazu lesen Sie auch in Kapitel 5. Ebenso gebräuchlich sind Mystery Visits oder Mystery Calls, also Testkäufe oder Testanrufe, die bei den Franchise-Nehmenden und deren Mitarbeitenden überprüfen, wie sie sich mit der Corporate Identity identifizieren, wie loyal sie sind und ob sie Ablaufprozesse einhalten. Solche Kontroll- oder besser Steuerungsinstrumente bieten eine sinnvolle Unternehmensberatung, weil durch die Vergleichbarkeit sehr effizient Schwachstellen und ebenso Chancen erkannt werden können. Auch kann der Fremdblick sehr wirksam der eigenen Fachblindheit und die der Mitarbeitenden entgegenwirken. Wichtig sind jedoch transparente und kontinuierlich gelebte Spielregeln sowie ein entsprechend fairer, wertschätzender Umgang.
Reflexion
Franchise-Nehmende sind beruflich Selbstständige. Auch wenn sie das Geschäftskonzept nicht selbst entwickelt haben, so bringen sie doch ihre unternehmerischen Qualitäten ein. Es sind Partner/innen auf Augenhöhe – wenn man es als Franchise-Geber/in zulässt. Die Franchise-Nehmenden bringen Kapital ein, um das Konzept zu erwerben, und investieren zusätzlich in den Standort. Sie glauben an den Erfolg und engagieren sich entsprechend. Der stetige Austausch mit der Zentrale und Reflexionen über die Konzeptinhalte halten das System dynamisch und unterstützen die Angebotsoptimierung. Dies fördert nicht nur das Anpassungsverhalten an neue Marktgegebenheiten, sondern verleiht bei effektivem Einsatz von Reflexionsmöglichkeiten auch einen Vordenkerstatus, der Wirtschaftsinnovationen ermöglicht.
Wirtschaftsinnovationen
Franchise-Systeme haben die Weiterentwicklung institutionalisiert. In der Regel wird ein Teil der laufenden Umsatzgebühren von den Franchise-Nehmenden plus Eigenleistung der Franchise-Zentrale für Forschung und Entwicklung genutzt. Das Produkt 1 (das Geschäftskonzept) gilt es aktuell und marktnah zu halten, denn ohne ein interessantes, erfolgversprechendes Produkt 1 funktioniert auch das Produkt 2 nicht. Die aktive Einbindung der Partner/innen in die Marktforschung, das heißt als Impulsgeber/innen dafür, was am Markt gefragt ist, wird über entsprechende Tools aus dem Partnermarketing koordiniert. Think Tanks, kontinuierlicher Erfahrungsaustausch, analoges und/oder digitales Ideensammeln sind typische Methoden, um das Leistungsangebot zu regenerieren oder Neues zu kreieren.
Christoph Rutschmann
Kreativität, Leidenschaft und Wertschätzung sind seit vielen Jahren die Antriebsfedern von Rüegg, einem führenden Hersteller von Wohnraumfeuerungen in Europa. Nicht nur hat Rüegg 1959 das mit einer Glasscheibe verschlossene und damit saubere Wohnraumfeuer erfunden und patentiert, darüber hinaus hat das eingeschworene Team mit einem großen Netz von Partnerfirmen die Erfindung über viele Jahre perfektioniert und im großen Stil vertrieben. Nach Ablauf der Patentfristen wurde Rüegg zum wohl meistkopierten Vorbild. Statt darüber zu hadern, hat sich die Firma zum Ziel gesetzt, gerade diesen Status konsequent zu pflegen. Mit der Realisierung des Franchise-Systems binden wir nun auch unsere Franchise-Partner in unsere Ideenschmiede ein.
www.ruegg-cheminee.com
Die Kurzdarstellung der Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren des Klassischen Franchisings lässt erahnen, dass das Prinzip dennoch sehr unterschiedlich gelebt werden kann. Das hängt nicht nur von der jeweiligen Branche ab, sondern ganz entscheidend vom Kopf des Systems – also dem Franchise-Gebenden. Dieser prägt die Unternehmenskultur, die Werthaltungen, das Prinzip von Nähe und Distanz und die Definition von Erfolg. Das erklärt dann auch die Bandbreite der Systemqualitäten, vom »Grauen Franchising«, das vertraglich ungenügend oder zulasten der Franchise-Nehmenden geregelt ist, bis zum überprüften »Qualitätsfranchising« (Mitgliedschaft im Deutschen, Österreichischen oder Schweizer Franchise-Verband). Mögliche Qualitätssiegel für Klassisches Franchising bestätigen die Produkt- oder Leistungsqualität (z. B. Sauberkeit, Frische, Serviceorientierung) oder Kundenfreundlichkeit bis hin zur Partnerzufriedenheit.
In unserem »Praxisbuch Franchising«, das 2012 in der zweiten Auflage erschien, haben wir Ihnen einige Megatrends vorgestellt und Ausprägungen genannt, unter anderem den Healthstyle, den gesundheitsfördernden Lebensstil und die Green Economy, das nachhaltige Wirtschaften. Daraus resultierend auch das Greenfranchising, für dessen Etablierung im deutschsprachigen Raum wir seit 2008 initiativ tätig sind.
Das Thema Nachhaltigkeit ist omnipräsent und durchdringt die Wirtschaft sowie die Politik und Gesellschaft. Seine Bedeutung nimmt weiterhin zu. Von Green IT über Green Building bis hin zu Green Mobility wird sich Nachhaltigkeit weiter verschiedenartig manifestieren.
Die Franchise-Wirtschaft ist Teil der Gesamtwirtschaft und wird vom nachhaltigen Gedankengut entsprechend erfasst. Und das nicht nur an der Oberfläche, sondern tiefgreifend, denn der klassische Ansatz des Franchisings hat in der systematischen Aufbaustruktur weiter seine Gültigkeit. Die überdurchschnittlich zahlenorientierte Ausrichtung wird jedoch gravierend überdacht werden müssen.
So wie sich das Product Distribution Franchising aufgrund eines geänderten Nachfrageverhaltens in das Business-Format Franchising transformiert hat, wird sich auch dieser Ansatz wiederum mit den Veränderungen in der Nachfrage arrangieren müssen. Und die Anzeichen für einen tiefgreifenden Wandel sind überdeutlich, wie wir Ihnen anhand der folgenden sechs Chancenfelder zeigen möchten.
Abbildung 2: Franchise-Denkwerkzeug – Chancenfelder
1.4.1 Homo oeconomicus versus Homo emotionalis
In den Industrieländern haben wir es mit gesättigten Märkten zu tun. Das zeigt uns die Grenzen quantitativen Wachstums. Die neuen Wachstumsmärkte liegen im Bereich der Nachhaltigkeit. Es kommt als wesentlicher Faktor das soziale Gewissen hinzu. Wirtschaftswachstum um jeden Preis findet keine breite Zustimmung in der Gesellschaft mehr. Wohlbefinden und materieller Wohlstand waren gerade in Deutschland in Zeiten des Wiederaufbaus und kurzfristig nach dem Mauerfall miteinander verzahnt. Längst ist eine Ernüchterung eingetreten. So zeigen auch weltweit durchgeführte Umfragen zur Zufriedenheit seit den 1960er-Jahren, dass es in den westlichen Industrieländern kaum mehr einen Zusammenhang zwischen der Steigerung des Bruttoinlandproduktes pro Kopf und der empfundenen Lebenszufriedenheit gibt. Und die Umfragen zeigen auch, dass immer mehr materieller Wohlstand nicht im gleichen Maße glücklicher macht. In der Wirtschaftslehre spricht man vom sogenannten Easterlin-Paradox. Geht die gängige Ökonomie vom Begriff des Homo oeconomicus aus, der den Menschen als rein rational und nutzen/gewinn-maximierendes Konstrukt beschreibt, so blendet sie die Emotionalität und Individualität vollkommen aus. Easterlin kam jedoch zum Ergebnis, dass nach dem Stillen grundlegender und sicherheitsgebender Bedürfnisse mehr Reichtum nicht zu mehr Glück führt. Die Gründe sind divers. Im Kern kommt jedoch heraus, dass mit steigendem Einkommen auch die Ansprüche steigen. Gewohnheit stellt sich ein und die Benchmark für mehr subjektives Glücksempfinden wird noch herausfordernder gesteckt. Diesen Wettkampf kann man nie gewinnen.5
Verblüffend ist, dass eine neuerliche Studie von Easterlin aus dem Jahr 2010 zu ähnlichen Resultaten kommt. Dabei berücksichtigten die Ökonomen erstmals auch neun Schwellenländer aus Asien, Afrika und Lateinamerika sowie elf osteuropäische Staaten, die sich im Übergang zur Marktwirtschaft befinden. Über einen durchschnittlichen Zeitraum von 22 Jahren wurde in all diesen Ländern das Bruttosozialprodukt pro Kopf verfolgt. Das Ergebnis war erstaunlich: Egal, ob es sich um reiche oder arme Länder handelt, um ehemals kommunistische oder spätkapitalistische Gesellschaften – nirgendwo wächst die Lebenszufriedenheit dauerhaft mit der Wirtschaft.6
Glück und Zufriedenheit sind heute also nicht mehr von der Höhe des Einkommens abhängig, sondern von einer besseren Lebensqualität. Das zeigte 2010 auch eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag der deutschen Bertelsmann Stiftung. Danach fordern fast 90 Prozent eine neue Wirtschaftsordnung, in der der Umweltschutz einen höheren Stellenwert hat als bisher und die den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft anstrebt. Doch nicht nur das. Die Befragten waren auch der Ansicht, dass diese Anforderungen prinzipiell miteinander vereinbar sind. Dementsprechend fielen die Antworten aus, als die Interviewten nach den Quellen ihrer persönlichen Lebensqualität befragt wurden.
Abbildung 3: Wichtigkeit Lebensqualität7
Das erklärt auch neuere Herausforderungen, die uns unsere Kunden mitteilen, wie z. B., dass bisherige finanzielle Anreizsysteme in Form von Gehaltserhöhungen junge Mitarbeitende nicht dazu motivieren, mehr zu leisten. Im Gegenteil, eine Einkommenserhöhung wird genutzt, um über Teilzeitarbeit nachzudenken, die mehr persönlichen Zeitgewinn bedeutet. Und das ist kein Einzelfall. Timesharing ist nur eine Ausprägung.
Daraus resultierende Fragen für die Franchise-Wirtschaft
Stellt Ihr Franchise-Angebot eine angemessene Existenz für die Franchise-Nehmenden dar?Gibt es partizipative Anreizsysteme für die Franchise-Nehmenden, die über quantitative Inhalte hinausgehen?Welche »Glücksfaktoren« haben Sie in Ihrem Franchise-Konzept evaluiert?Franchise-Denkwerkzeug: Glücksfaktoren im Greenfranchising
1.4.2 Soziale und kreative Vernetzung
Das Besitzdenken nimmt andere Formen an. Die Vernetzungsmöglichkeiten über diverse soziale Medien haben einen neuen Stand erreicht. Es geht nicht mehr nur um das (Mit-)Teilen von Informationen, Befindlichkeiten und Bewertungen über Facebook, Twitter und Co. Längst entstehen neue Geschäftsmodelle und Plattformen, die Sharing-Ansätze integriert haben. Das wohl bekannteste Beispiel ist Wikipedia, eine durch die Gemeinschaft getragene und sich stetig weiterentwickelnde Enzyklopädie mit mehr als 300 Millionen Besuchern pro Monat. Es ist die am siebt- oder achthäufigsten genutzte Website der Welt.8 Im Film- und Musikgeschäft hat das bereits zu neuen Angeboten und daraus resultierenden rechtlichen und produktspezifischen Konsequenzen geführt. Mobility, der professionelle Anbieter für Carsharing, wird eine neue Blütezeit erleben, wenn man davon ausgeht, dass die jüngere Generation weniger am Besitz eines Autos interessiert ist als an optimaler Mobilität. Aber nicht nur Unterhaltung, Autos und Häuser werden »geteilt«. Es gibt vermehrt Plattformen, auf denen man sich unentgeltlich und gegen Gebühren Haushalts- wie Gartengeräte und andere alltägliche Dinge ausborgen kann. Das ist gelebte Nachbarschaftshilfe, die online angeschoben und physisch umgesetzt wird. Das bietet z. B. die amerikanische Plattform www.neighborgoods.com an.
Crowdfunding – bankenunabhängige Finanzierungsmöglichkeiten
Die Kultur des (Mit-)Teilens begünstigt auch sehr stark die bankenunabhängigen Finanzierungsmöglichkeiten, indem private Geldgeber und zum Teil auch gewerbliche Unterstützer einem Projekt zur Realisation verhelfen. Im Gegenzug erhalten die Projektförderer je nach Geldbetrag und effektiver Lancierung des Vorhabens ein Dankeschön in materieller oder immaterieller Form. Da es sich in vielen Fällen um Projekte aus dem kreativen Bereich handelt, bestehen die Dankesgesten aus Kreativprodukten wie handsignierten CDs oder anderen künstlerischen Werken bis hin zu Einladungen und/oder Namensnennung der Unterstützenden bei Veröffentlichungen im Rahmen des Projektes. Bereits heute gibt es diverse Crowdfunding-Plattformen. Zu den bekanntesten gehören die beiden US-amerikanischen www.indiegogo.com und www.kickstarter.com. Beide wurden 2009 gegründet. In Deutschland hat sich die Berliner Plattform www.startnext.de innerhalb von zwei Jahren seit Gründung im Jahr 2010 einen Namen gemacht. Einen guten Überblick über in- und ausländische Plattformen sehen Sie unter www.fuer-gruender.de/kapital/eigenkapital/crowd-funding. Bei den meisten Crowdfunding-Projekten ist das Führen von Blogs Voraussetzung, um über den Stand der Dinge Auskunft zu geben und Inputs und Ideen von Unterstützern zu erhalten. Der Weg über Gleichgesinnte potenziert nicht nur die finanzielle Power, sondern auch das Know-how.
In diesem Zusammenhang ist ein Projekt namens FOODSHARING (www.foodsharing.de) interessant, das auf der Crowdfunding-Plattform www.startnext.de das Prinzip des Teilens auch zum Konzeptinhalt gemacht hat. FOODSHARING sieht sich als Community für die Werterhaltung von Lebensmitteln. Über eine Online-Plattform bieten dort Privathaushalte, Händler und Erzeuger ihre überschüssigen Lebensmittel kostenlos an und Menschen können sich zum gemeinsamen Kochen und Essen verabreden. Als erster Supermarkt in Deutschland hat sich die Bio-Company dieser Community angeschlossen und hat damit Signalwirkung gezeigt. FOODSHARING spiegelt eine ethische Grundhaltung wider, die in dieser Wertegemeinschaft mit bereits vielen Unterstützern und Fans auch echtes Handeln ermöglicht.9
Schwarmintelligenz Crowd sourcing
Von Crowdsourcing-Projekten liest man mittlerweile viel; von großen Erfolgen, wie beispielsweise bei McDonald’s, die auch 2012 wieder mit der Aktion »Mein Burger« in Deutschland Furore gemacht haben. Unternehmen wie Mammut und Tchibo, die wir Ihnen in unserem Buch vorstellen, setzen ebenfalls auf die Schwarmintelligenz und binden Kunden, Kundinnen, Experten, Expertinnen und Fans in die Produktentwicklung ein. Die aktive Einbindung über Entwicklungs- und/oder Sozial-Projekte ist interessant, weil daraus von einer breiten Mehrheit getragene Resultate hervorgehen. Weil solche Aktionen aber nur bis zu einem gewissen Grad plan- und steuerbar sind, müssen sich die Unternehmen gut rüsten und sich beispielsweise überlegen, wie sie auch mit Negativeinflüssen umgehen. Ob sie diese mit Humor tragen oder offensiv kontern, das hängt nicht zuletzt von der Wertekultur ab, die im Franchise-Unternehmen vorherrscht. Es sollte im besten Falle eine Kultur sein, die von allen Mitarbeitenden und Partnern/Partnerinnen getragen wird, denn in einer vernetzten Welt können illoyale, unzufriedene Mitarbeitende, Kunden und Kundinnen sowie Partner/innen ihrem Unmut multipliziert Luft machen. Das heißt, dass es neben dem Wissen um die eigene Markenpositionierung für alle auch vermehrt um das Wissen geht, wie man sich in Krisensituationen verhält. Dazu gehört auch die Fähigkeit, frühzeitig zu erkennen, ja zu wissen, wann sich etwas und in welcher Intensität zu einer Krise entwickeln kann. Reputation-Management, also die Früherkennung, der Aufbau und die Erhaltung des guten Rufes werden für Franchise-Unternehmen zukünftig noch bedeutsamer werden. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 5.
Gamification
Eine andere Spielart – im wahrsten Sinne des Wortes – ist die Integration von Games als Marketing-, Innovations- oder Rekrutierungstool. Einige Firmen integrieren schon seit geraumer Zeit spielerische und supportbringende Elemente wie Avatare, Filme und Aufgaben, die durch die Interaktion mit den Usern manipulierbar und lösbar sind. Allerdings ist dabei auch festzustellen, dass viele Spiele oder spielerische Elemente nur von kurzfristigem Reiz sind, weil sie auch ebenso kurzfristig gedacht sind. Gamification wird aber in Zukunft noch sehr viel mehr an Bedeutung gewinnen, um spielerisch Unternehmen, Jobs und Produkte erfahren zu können. Damit wird es auch eng an das Strategiebündel eines Unternehmens gekoppelt sein müssen. Für die Generationen Y und Z als Digital Natives (also diejenigen, die im Internetzeitalter aufgewachsen sind) ist die Online-Kommunikation Standard. Daraus resultiert ein anderes Orientierungs- und Sozialverhalten. Für die Ausrichtung von Firmen und damit auch von Greenfranchise-Systemen hält die Online-Welt viele Herausforderungen bereit, wenn sich diese Firmen positionieren und als interessante Arbeit- und Franchise-Gebende sowie Anbieter/in wahrgenommen werden möchten. Social Games können ein interessanter Beitrag sein, um Einblicke in Unternehmensabläufe, Themenwelten, Qualifikationen und Aufgaben zu geben, spielerisch und interaktiv. Storytelling steht dabei im Zentrum. Wie kann ich aus meinem Leistungsangebot eine spannende Erzählreise machen, die die User individuell einbindet und dabei Themen verdeutlicht, die für beide Seiten nutzbringend sind? Dies entspricht quasi dem, was Sie in unserem Buch im zweiten Kapitel erleben, wenn Ihnen an verschiedenen Fallbeispielen die Bedürfniswerte unter dem Thema »Nachhaltigkeit« nähergebracht werden.
Abbildung 04: Franchise-Denkwerkzeug – Generationen-Prägung
Das Social Game »Fliplife«, das von einem deutschen Start-up-Unternehmen entwickelt und 2009 lanciert wurde, spielen mittlerweile bereits ca. 300.000 Spieler/innen (http://fliplife.com). Das Online-Spiel ermöglicht den Usern, ihre persönliche Erfolgsgeschichte zu schreiben. Der Themenschwerpunkt liegt dabei auf der Arbeitswelt. Reale Unternehmen wie Daimler, E-Plus und andere sind heute schon dabei und nutzen diese Plattform für ihr Employer Branding, für Corporate Education, Marktforschung und Marketing. Zukünftig werden noch Crowdsourcing-Aufgaben und Möglichkeiten für E-Assessments, Personal-Rekrutierung und Ausbildung hinzukommen.10 Computerspiele können damit echte Aufgaben übernehmen und zu einem Erfolgstreiber werden. Eine andere Kategorie bilden die Serious Games, das sind Wissens- und Forschungsspiele. Beispielhaft war der Erfolg mit dem Wissenschaftsspiel »Foldit« (http://fold.it/portal/). Mit ihm wurde 2011 die Molekularstruktur jenes Proteins entschlüsselt, das das AIDS-Virus zur Reproduktion braucht. Das Ergebnis treibt die zukünftige Forschung wesentlich voran. Unternehmen wie Siemens mit dem Spiel »Plantville« (www.plantville.com) und Mercedes mit »Greensight City« (www.greensightcity.de) motivieren ihre User dazu, sich Gedanken zu ökologischen Themen und daraus folgenden Umsetzungsmöglichkeiten zu machen. Auch damit lässt sich eine Sensibilisierung für nachhaltiges Gedankengut initiieren und auf reale Zusammenhänge übertragen. Es ist wohl eher das Vorurteil, das bei Digital Immigrants11 mit dem Wort Computerspiel aufkommt und noch mit positiven Inhalten aufgeladen werden muss. Bis 2014 sollen über Facebook mit Social Games gut drei Milliarden US-Dollar umgesetzt werden.
Der US-Markt für Gamification als Unternehmenstool soll 2016 bei 2,8 Milliarden US-Dollar liegen.12
Daraus resultierende Fragen für die Franchise-Wirtschaft
Wo gibt es Sharing- und Crowdsourcing-Ansätze in Ihrem Produkt 1 (Geschäftskonzept) und Produkt 2 (Franchise-Angebot)?Haben Sie ein Reputation-Management und/oder ein entsprechendes Vorgehen entwickelt sowie ein Risk- und Reputation-Management-Team organisiert?Wie planen Sie Ihre Weiterentwicklung des Leistungsangebotes und des Systeminhaltes?Wie lassen sich Online-Spiele im Rahmen Ihres Partnermarketings einbauen?1.4.3 Ganzheitliche Betrachtung