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Weniger ist oft mehr – diese Einsicht setzt sich auch bei Unternehmern und Gründern immer häufiger durch: Es muss ja nicht immer ein expandierendes Unicorn sein, für viele ist es es weitaus erstebenswerter, ein zwar einträgliches, aber auch nachhaltiges, übersichtliches und erfüllendes Unternehmen zu gründen. Veronika Bellone und Thomas Matla zeigen, wie solche Tiny Start-ups funktionieren und was sich dazu eignet. Sie erläutern die Vorteile dieser smarten Kleinstunternehmen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und welche Geschäftskonzepte es bereits gibt. Wachstum ist schließlich nicht alles. Es ist oft viel sinnvoller, gut und nachhaltig zu wirtschaften, zumal mit weniger Leistungs- und Wachstumsdruck. Glücklich mit Tiny Start-ups ist daher auch ein erfrischendes Plädoyer für ökonomische Vernunft, berufliche Unabhängigkeit und ein selbstbestimmtes Leben.
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Veronika Bellone | Thomas Matla
Glücklich mit Tiny Start-ups
Veronika Bellone | Thomas Matla
Glücklich mit Tiny Start-ups
Warum kleine Unternehmen das nächste GROSSE Ding sind
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
1. Auflage 2020
© 2020 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH, Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
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Redaktion: Christiane Otto,, München
Umschlaggestaltung: Laura Osswald, München
Umschlagabbildung: shutterstock_709695904.ai
Satz: ZeroSoft, Timișoara
Druck: Florjančič Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-86881-770-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-162-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-163-1
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Vorwort
1. Glücklich mit Tiny Start-ups
1.1 Kennt ihr den?
1.2 Work-Life-Consistency anstatt Work-Life-Balance
1.3 Mit dem Glückslogbuch unterwegs
1.4 Glück haben und glücklich sein
1.5 Tiny Start-ups und Lebensphasen
1.6 Wo findest du dich am ehesten wieder?
1.7 Test: Selbst-/Fremdwahrnehmung
2. Tiny Start-ups erleben
2.1 Immer in Bewegung
2.2 Essen, trinken und Spaß haben
2.3 Schön ist’s
2.4 Tierisch gut
2.5 Früh übt sich
2.6 Neues entsteht
2.7 Schreiben als Berufung
2.8 Mode gestalten
2.9 Neue Technologien nutzen
2.10 Perspektiven schaffen
3. Tiny Start-ups aufbauen
3.1 Zündende Ideen finden
3.2 Ideen ganzheitlich umsetzen
Über die Autoren
Danksagung
Literaturtipps
Anhang
Veronika Bellone & Thomas Matla in Berlin
© Bellone Franchise Consulting GmbH
Hallo, schön, dass du da bist!
»Warum geht es in den Medien eigentlich immer nur um die großen Unternehmen?« Das fragte uns eine Freundin bei einem gemeinsamen Essen. Und wirklich, egal, welche Zeitschrift oder Informationsplattform man liest, es tauchen immer wieder die gleichen großen Namen auf. So begannen wir vor einiger Zeit, kleinste und kleine Start-ups zu besuchen, stellten viele Fragen und hörten ihre Geschichten. Die Gründungsstorys berührten uns sehr und spiegelten selbst gemachte Erfahrungen wider. Der Austausch war unglaublich nahrhaft und die »Tiny Startupper«, wie wir sie bald nannten, waren erfrischend und ansteckend lebendig! Bald schon ließ uns das Thema nicht mehr los. Denn die Lebensfreude und das Lebensglück der Tiny Start-Ups können, neben dem Erfahrungsaustausch, auch für andere Unternehmer*innen eine pure Motivation sein. Das ist der Grund, warum wir dieses Buch geschrieben haben und es jetzt vor dir liegt.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit »Glücksfaktoren«. Hier kannst du im Rahmen einer kleinen Standortbestimmung reflektieren, was für dein berufliches wie privates Glücksempfinden wichtig ist. Im zweiten Kapitel stellen wir dir unterschiedliche Tiny Startups aus verschiedenen Branchen, Städten und Ländern vor (neben Deutschland, Österreich und der Schweiz auch Finnland, Schweden und Spanien). Weiterführende Links und Tipps geben dir praktische Anregungen und Hilfen. Im dritten Kapitel zeigen wir dir Anhaltspunkte auf, in welche Felder du eintauchen kannst, um neue Geschäftsideen zu generieren. Danach gehen wir mit dir den Aufbau eines Tiny Start-ups durch, schnell und einfach, in 13 Schritten. Im ganzen Buch findest du Interviews mit Tiny Startuppern, ergänzt um Fotos ihrer »Glücksmomente«. Eine besondere Fotoauswahl findest du auf unseren Farbseiten, wie den ersten Preis von Nadia Koss für das beste Schwarz-Weiß-Tattoo, prämiert auf der Tattoo Convention St. Gallen (Gossau) in der Schweiz. Sie ist Gründerin/Inhaberin des Tattoo-&-Piercing-Studios Soulmarks in Zug. Weiter die Popkornditorei Knalle Berlin, die für ihre außergewöhnlichen Geschmackskombinationen bekannt ist, und das finnische Tiny Start-up Jouten, von Emmi und Eljas, die aus recycelten FrotteeHandtüchern neue Modekollektionen fertigen.
Wenn dir Tiny Start-ups gefallen, kannst du uns über unsere Domain www.tinystartup.ch ein Feedback geben. Wir berichten dort über die Welt der Tiny Start-ups. Auch kannst du uns über unsere sozialen Medien, wie www.facebook.com/TinyStartups und www.instagram.com/tinystartups/ folgen. Wenn du Teil unserer »Tiny Start-up Community« werden möchtest, abonniere einfach unseren Newsletter. Das Wichtigste aber: Entdecke täglich »das große Glück im Kleinen«, in deinem Tiny Start-up ebenso wie in deinem Leben.
Noch ein kleiner formaler Hinweis zum Schluss: Da uns die Gender-Gleichberechtigung wichtig ist, haben auch wir entschieden, das Gendersternchen zu verwenden. Bei längeren Aufzählungen (beispielsweise von mehreren Berufsgruppen) mussten wir jedoch aus Gründen der besseren Lesbarkeit darauf verzichten. In diesen wenigen Einzelfällen haben wir dann die maskuline Form beibehalten.
Eine glückliche Zeit wünschen dir
Veronika Bellone & Thomas Matla
Zug/Schweiz, im August 2019
»TINY START-UP«-MANIFEST
Jedes Tiny Start-up ist einzigartig.Lebensglück und Lebensfreude bilden seine Energie.Individuelle Werte schaffen das Fundament.Flexibilität ermöglicht mutige Zukunftsentscheidungen.Eigenverantwortung erzeugt ungewöhnliche Ergebnisse.Beziehungen, Freunde und Partnerschaften werden wertgeschätzt.Wachstum erfolgt individuell und selbstbestimmt.»Mit Freunden zusammen essen.« – »Ein Sprung ins kühle Nass!« – »Zeit für mich haben.« – »Einen Kaffee in Ruhe genießen, bevor die Kids wach werden!« Diese und unendlich viele ähnliche Antworten haben wir erhalten, als wir im Zuge der Recherchen für dieses Buch viele Menschen nach ihren persönlichen und beruflichen Glücksmomenten gefragt haben. Es bestätigte sich, dass Glück wirklich sehr individuell und situativ empfunden wird. So ist beispielsweise einer unserer glücklichen Momente der, wenn Esther, unsere Office-Managerin, selbst gemachtes Erdbeereis (Schweizerdeutsch: Erdbeerglacé) mitbringt, von dem sie glücklicherweise auch immer Vorräte für die kalte Jahreszeit hat (wir hoffen, dass sie das jetzt liest!). Aber wir können sie auch gleich selbst zu Worte kommen lassen, führt sie doch seit 30 Jahren ein eigenes Kleinstunternehmen mit ihrem Bürocenter und Sekretariatsdienst in Zug. Beides nutzen wir seit über 25 Jahren und sind nach wie vor begeistert von dieser Kooperation auf Augenhöhe.
Esther Haeller, Sekretariat Haeller, Zug
»Ein Glücksmoment für mich ist, wenn ich eine neue Idee erfolgreich verwirklichen kann. Ich schätze an meiner Selbstständigkeit sehr, dass ich Verantwortung und Entscheidungen tragen darf. Ich bin glücklich, wenn ich Arbeitsplätze schaffen kann. Es macht mich glücklich und stolz, wenn ich ein gutes Team habe und wenn wir zusammen Erfolg haben.«
Sicherlich hast du auch ganz konkrete Glücksvorstellungen. Als Gründer*in eines Tiny Start-ups spielt Glück für dich eine noch größere Rolle. Nicht das flüchtige Glück, wie man es im Spiel braucht oder manchmal in der Liebe erlebt, sondern das lang währende Glück, das du unternehmerisch mitbestimmen und für dich gestalten kannst. Die Frage nach dem, was dich glücklich macht, ist deshalb wichtig für deine Existenzgründung. Sie bestimmt deine Unternehmensausrichtung, die Art, wie du dein Geschäft und deine Mitarbeiter führen wirst, ob du erfolgreich sein wirst, aber auch, wie du mit deiner Work-Life-Balance, deinen privaten Beziehungen und mit deiner Gesundheit umgehst.
Zitat des 2017 gegründeten Tiny Start-ups Lycka:
»Wir von Lycka (›Lüücka‹ ausgesprochen, Schwedisch für ›Glück‹) machen Lebensmittel, die mehr können als lecker! Mindfood statt mindless: 100 Prozent natürlich statt voller Chemie, soziales Engagement und möglichst nachhaltig statt Alles-egal-Einstellung. So machen wir Lebensmittel, die dir nicht nur Glücksgefühle auf der Zunge, sondern auch im Herzen bescheren!«1
https://www.lycka.bio/
Als Gründer*in eines Tiny Start-ups musst du dich selbst sehr gut kennen, denn du stehst immer mit deiner Persönlichkeit im Zentrum des Geschehens. Egal, ob du schlecht geschlafen hast, die Auftragslage bei null ist oder du gerade in Trennung lebst, du musst voll da sein. Vielleicht ist dein Geschäft dein größter Motivator oder das, was dir dein Unternehmen persönlich und/oder finanziell einbringt. Wichtig ist, dass du weißt, wie du mit Schwankungen im Leben umgehst, ob sie aus der Arbeit resultieren oder aus dem Privatleben. Als Unternehmensgründer*in lassen sich beide Bereiche für dich nicht entkoppeln.
Veronika Bellone, Autorin, Zug
»IN EINEM UNBEKANNTEN LAND, VOR ZIEMLICH LANGER ZEIT …«
»›Ich kündige zum nächstmöglichen Termin!‹ Dass dabei nicht mein Stuhl umgekippt war, wundert mich bis heute, denn ich sprang recht emotional auf. Es war an der großen Montagssitzung in der Werbeagentur, in der ich damals arbeitete und zunehmend unzufriedener wurde. Der größte Kunde der Agentur war auch gleichzeitig Inhaber derselben, was zu sehr rigiden Entscheidungsfindungen führte. Ich fühlte mich extrem unfrei und betreffend meiner Weiterentwicklung gebremst. Das gipfelte dann in meiner spontanen Entscheidung der Kündigung, ohne etwas Neues geplant zu haben. Ich wusste nur eines – ich wollte nie wieder voll angestellt sein. Das habe ich dann auch beherzigt, indem ich kurz danach eine eigene Franchiseberatungsfirma gründete, für die ich keinen Gründungskredit von der Bank bekam – zu unbekannt war diese Beratungsleistung. Ein Bekannter, der Unternehmer war und an mein Vorhaben glaubte, gab mir letztendlich ein Darlehen. Und so startete ich mein Business, in einem Land, das mir noch nicht sehr vertraut war, denn ich lebte zu dieser Zeit erst seit zweieinhalb Jahren in der Schweiz.
Ich habe diese Entscheidung nie bereut, obwohl es natürlich Aufbauarbeit bedeutete, nicht nur für mich als Tiny Startupperin, sondern auch für die Bekanntmachung dieser Expansionsform. Aber genau das sind eigentlich meine Glücksmomente oder Glücksfaktoren, wenn ich etwas Neues entwickeln und begleiten darf, wo es noch viel unbekanntes Terrain gibt. Ob eine neue Perspektive, ein neues Konzept oder Modul. Diesen Freiraum des Denkens und Erschaffens habe ich mir in meiner Beratungstätigkeit ermöglicht, als Dozentin an der Hochschule und als Autorin. Und das macht mich glücklich. Natürlich hat diese Entdecker- und Entwicklerlaune auch die Kehrseite, nur selten zur Ruhe zu kommen. Aber da hilft mir mein Messkriterium ›Humor‹. Wenn mir der abhandenkommt, dann weiß ich, dass ich einen Gang runterschalten muss.«
Nach einer Autofahrt vom Flughafen Tampere-Pirkkala/Finnland, die gefühlt zehn Stunden gedauert hatte, vorbei an Seen, Wäldern, Seen, Wäldern … kamen wir in Echtzeit nach zweieinhalb Stunden in Jyväskylä an. Veronika hielt dort einen Vortrag über Wachstumsstrategien, Franchising, Zahlen und Fakten zu der Schweiz und Deutschland. Die Gesichter der Teilnehmer*innen waren schlecht zu »lesen«. Irgendwie war nicht klar: Finden sie es interessant oder schlafen sie einfach mit offenen Augen? Das Rätsel wurde danach gelöst. Sie hatten tatsächlich viele Fragen. Auch danach, wie sich das Vorgetragene mit ihren Erfahrungen decken könnte, wie sich etwas in ein Ausbildungsprogramm einbauen lassen würde und vieles mehr. Aber richtig los ging es mit den Fragen eigentlich erst später. Begleitet von zwei Teilnehmer*innen, ging es zu einem Marktplatz, auf dem sich kunterbunt verschiedene Stände mit spannendem Essen und allerlei Flohmarktdingen befanden. Obwohl es ein heißer Sommer war, musste die Kaloriendichte der vielen Häppchen, die wir probieren sollten/durften, mindestens für 25 Grad unter null gedacht gewesen sein. »Ihr seid doch aus der Schweiz? Kennt ihr den Soundso?« Das wurden wir nicht nur einmal gefragt. Wenn wir auch diesen oder jenen nicht kannten – immerhin hat auch die Schweiz über acht Millionen Einwohner*innen –, so war es einfach umwerfend, mit welcher Freundlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft wir die Finnen erlebt haben. Wenn auch in abendlicher Runde, bei erstaunlich viel Promille, eine gewisse Melancholie in den gemeinsam gesungenen Liedern aufkam, aber das gehört auch dazu und ist sicher dem langen Winter geschuldet, den wir dort ausließen. Uns reichten drei endlose Sommertage. Nach diesem schönen Erlebnis wunderte es uns nicht, dass trotz lang andauernder Kälte und Dunkelheit Finnland 2019 bereits zum zweiten Mal auf Rang 1 des World Happiness Reports gekommen ist. Überhaupt sind es die Nordländer*innen, die bei diesem Ranking zu den Glücklichsten gehören.
Finnland
Dänemark
Norwegen
Island
Niederlande
Schweiz
Schweden
Neuseeland
Kanada
Österreich
Politische Stabilität, soziale Absicherung und Vertrauen zu Behörden, Polizei und Justiz tragen zu einer Grundzufriedenheit der Länder auf den ersten Plätzen bei. Demnach hängt das allgemeine Glücksempfinden der Menschen vor allem von folgenden Faktoren ab:
Fürsorge
Freiheit
Großzügigkeit
Ehrlichkeit
Gesundheit
Einkommen
guter Regierungsführung
Das Schweizer Fernsehen ist dem Glück der Nordländer übrigens auf die Spur gegangen und hat unter dem Titel Expedition Glück Island, Norwegen, Dänemark und Finnland3 besucht.4 Wir haben mit Emmi und Eljas zwei glückliche Finnen in unserem Buch, deren Tiny Start-up Jouten wir auf einer Farbseite und in einem Interview vorstellen.
Spotlight
Happy/Unhappy
Der DACH-Raum ist mit der Schweiz auf Platz 6, Österreich auf Platz 10 und Deutschland auf Platz 17 vertreten. Zu den Unglücklichsten gehören, mit Ausnahmen von Syrien, Afghanistan, Haiti, der Ukraine und dem Jemen, vor allem afrikanische Länder. Insgesamt sei, laut Bericht 2019, das weltweite Glücksgefühl gesunken, was gemessen an den Faktoren politischer Stabilität, Umweltverantwortung und anderer vertrauensbildender Grundlagen auch nicht verwundert.5
Dass Skandinavier grundlegend glücklicher sind, macht sich auch in ihrer Einstellung zur Arbeit fest. Wenn wir im deutschsprachigen Raum von Work-Life-Balance sprechen, dann trennen wir Arbeit und Privatleben schon einmal grundlegend. Denn: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Damit das irgendwie ausbalanciert wird, werden abends Smartphones ausgeschaltet, Antistresstrainings besucht und andere Präventiv- bis Aktivmaßnahmen eingesetzt. Arbeit ist eben das halbe Leben! In Schweden heißt es dagegen »Arbeit ist die Hälfte der Gesundheit«. Das ist schon einmal ein anderer Ansatz und drückt sich darin aus, dass sich viele schwedische Unternehmen aktiv um die Gesundheit und das körperliche Wohlergehen ihrer Mitarbeiter*innen kümmern. Dazu zählt auch die mentale Konstitution, da freie Entfaltung im Job einen wichtigen Stellenwert hat – ebenso wie Freizeit und Familie. Wie ungewöhnlich gerade Letzteres bei uns ankommt, durften wir jüngst in einem Workshop erfahren. »Es ist jetzt 17:00 Uhr. Sicher warten auf Sie zu Hause Ihre Familien und Partner*innen«, sagte der schwedische Manager eines Schweizer Unternehmens beim Blick auf die Uhr. Etwas verunsichert schauten wir uns in der sechsköpfigen Runde an. Gesagt, getan, wurde das Meeting beendet. Dafür war der Austausch per E-Mail und Telefon auch zu später Stunde möglich sowie immer dann, wenn es Bedarf gab. Flexibilität und Vertrauen sind die großen nordischen Zauberwörter.
Als Tiny Startupper bist du allein aufgrund deiner Unternehmensgröße bereits sehr flexibel. Deine Aufgabe besteht eher darin, dich abzugrenzen und auch mal »Nein« zu sagen. Dadurch kannst du dich selbst sowie deine Mitarbeitenden vor Ausbeutung schützen. Denn die nordische Lebenseinstellung hat bei uns noch nicht gegriffen. Leistung wird bei uns häufig noch an der Anzahl Stunden gemessen und nach dem, was man noch aus dem Auftrag »herausholen kann«. Damit du nicht in diese Falle tappst, schreibe dein persönliches Glückslogbuch, mit dem du dich ins Fahrwasser deiner Existenzgründung begibst. Ein Logbuch ist wichtig für die Seefahrt, um tägliche Ereignisse an Bord und Einflüsse von außen zu protokollieren. Du musst nicht so akribisch vorgehen wie auf hoher See. Aber ein Logbuch hilft, damit du dich selbst einmal eine Woche lang analysierst. Wenn du dich nämlich nur fragst: »Was macht mich glücklich?«, dann kommen meist nur gewöhnliche Antworten oder Wunschvorstellungen hervor. Geh den Dingen noch mehr auf den Grund und frage dich, was an jedem Tag gut respektive schlecht gelaufen ist. Nutze dafür unseren Tiny-Start-up-Glücks-Check und gib deiner Gefühlslage in Kurzform und mit einem Learning (gesammelte Erfahrungen und neue Erkenntnisse, die zur Veränderung beitragen) Ausdruck. Du kannst das auch ganz einfach farbig bestimmen, indem du deine momentane Situation in den verschiedenen Lebensbereichen von 0 bis 100 Prozent bewertest und ausmalst. Hier im Buch wird es etwas knapp, deswegen kannst du dir die Vorlagen für beide Glücks-Checks auf unserer Website www.tinystartup.ch downloaden. Finde heraus, was du daraus für dein persönliches Glücksempfinden lernen kannst. Was läuft gut? Was solltest du ändern?
Bleiben wir noch etwas beim schwedischen »Groove«. Anna Jelen ist halb Schwedin, halb Schweizerin und Inhaberin eines Tiny Startups namens THE TIME EXPERT. Sie hat es bereits 2011 gegründet, aber ihren typischen »Anna-Style« erst 2016 realisiert. Wir haben sie interviewt:
»HAPPINESS« in London © Bellone Franchise Consulting GmbH
»Die drei Glückskinder«
»Ein Vater ließ einmal seine drei Söhne zu sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. ›Ich bin schon alt‹, sagte er, ›und mein Tod ist nah. Da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig wert, es kommt aber bloß darauf an, dass ihr es verständig anwendet; sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Glück gemacht.«6 Das Grimm’sche Märchen Die drei Glückskinder, vor 200 Jahren geschrieben, hat einen durchaus aktuellen Bezug. Denn den drei Söhnen gelingt es, auf fremden Märkten respektive Inseln mithilfe des Hahns, der Sense und der Katze Alltagsprobleme der dort Ansässigen zu lösen. Und so tauschen sie ihre »Problemlöser« gegen viel Gold und gehen wieder heim. Nur die Insulaner, die die Katze im Tausch erworben haben und ihr Schloss von Mäusen befreien ließen, können das Miauen nicht deuten und bekommen Angst. Beim Versuch, das Tier zu vertreiben, zerstören sie mit übermäßiger Gewalt ihr eigenes Schloss – die Katze war längst glücklich von dannen gezogen.
Leider erfahren wir von den Brüdern Grimm nicht, wie es den drei Glückskindern in der Folge ergangen ist und wo die Katze nach erfolgreicher Flucht ihre Talente wieder glücklich einsetzen konnte. Nur das Schicksal der Schlossherren ist bekannt, die die »Innovation« nicht erfolgreich integrieren konnten.
Glück hat viele Facetten. Anders als das Glück im Spiel, lässt sich Glücklichsein als Lebenskonzept steuern. Bleiben wir noch kurz beim vorgenannten Märchen. Vielleicht hat eines der Glückskinder den materiellen Reichtum gleich in schnelle Kutschen und Reisen zu noch entfernteren Inseln umgesetzt, um nach drei bis sechs Monaten wieder am sogenannten Set Point anzukommen. Die Set-Point-Theorie geht von einem justierten Wert aus – nicht nur für das individuelle Körpergewicht, sondern auch für das Glücksempfinden, das jeder von uns hat und dem wir immer wieder zustreben. Auch nach einschneidenden Ereignissen wie plötzlichem Reichtum oder traurigen Erlebnissen pendeln wir uns nach einer gewissen Zeit wieder auf unser persönliches »Glücksniveau« ein, das sich aus unseren Kindheitserlebnissen und Genen entwickelt hat.
Ein anderer Sohn ist vielleicht zum »Dopaminjunkie« geworden und will das Glück, das er schon einmal beim Tauschhandel erlebt hat, jetzt auch in extremen Sportarten oder beim Glücksspiel erleben. Sein Belohnungssystem im Gehirn ist pausenlos auf der Suche nach dem neuen Kick, nach neuen Abenteuern und Sensationen. Tiefenpsychologisch »Sensation Seeker« genannt, sucht er Befriedigung und Glück in immer neuen Herausforderungen. Dabei wird bei ihm selbst in unsicheren Situationen, wie nur der Möglichkeit eines Gewinns beim Glücksspiel, bereits das Hormon Dopamin ausgeschüttet und bewirkt ein gutes Gefühl. Tritt dann effektiv ein Gewinn ein, wirkt zusätzlich das Glückshormon Serotonin und versetzt unseren »Dopaminjunkie-Sohn« in eine Art natürlichen Rausch.
Der dritte Sohn gehört möglicherweise weniger zu den hedonistisch getriebenen Brüdern, die das Glücksgefühl in kurzweiligen Vergnügungen suchen, sondern in längerfristiger Lebenszufriedenheit. Dafür reflektiert er vielleicht seine Erfahrung aus dem Tauschhandel, stellt sein Wissen als Experte zur Verfügung, studiert Verhaltensforschung, schreibt Bücher über das natürliche Verhalten von Katzen und gründet eine Stiftung für das Katzenwohl. Nach Aristoteles nennt sich diese Art von Glückserzeugung »Eudaimonie«.
Die Katze in der Geschichte kann zwar dem Glück frönen, weil es genügend Mäuse zu jagen gibt, aber letztendlich werden ihre zusätzlichen Bedürfnisse nicht erkannt, und sie zieht weiter. Vielleicht war das Ganze nur ein Pilotprojekt, und sie wagt den Neuanfang.
Die Lebensphase und damit Lebenssituation, in der du dich befindest, hat einen wesentlichen Einfluss auf dein Wohlbefinden und damit auf die Art deiner ganz individuellen Gründung.
Vielleicht hast du gerade eine Ausbildung oder ein Studium beendet, bist in Aufbruchsstimmung und erkennst Chancen für deine eigene Geschäftsidee. Dann gründest du, um diese Chancen wahrzunehmen.
Vielleicht gehörst du aber auch der Altersgruppe 50plus an, bist seit Langem arbeitslos und siehst in einem Tiny Start-up eine »Notgründung«?
Zwischen diesen beiden Ansätzen gibt es viele verschiedene Gründungsvoraussetzungen und Gründungsimpulse. Wir stellen dir einige davon in unseren Interviews vor.
In Untersuchungen wie dem Global Entrepreneurship Monitor (GEM) wird unter anderem nach »Chancen- und Notgründungen« differenziert. Prozentual stellen die Chancengründungen in Deutschland mit rund 70 Prozent – wie erwartet – den größeren Anteil. Wobei noch anzumerken ist, dass ältere Tiny Startupper nicht zwingend aus der Not heraus gründen, sondern endlich ihr eigener Chef respektive ihre eigene Chefin sein wollen. Das werden dir die Beispiele im Kapitel »Perspektiven schaffen« mit »Da geht noch was« näherbringen. Der GEM erhebt seit 1999 in über 80 Ländern jährlich Daten zur Gründungsaktivität und zu Gründungseinstellungen.
Spotlight
Gründungsquoten
Gemäß Global Entrepreneurship Monitor 2018 hat in Deutschland etwa jeder 20. im Alter von 18 bis 64 Jahren seit 2015 ein Unternehmen gegründet oder ist gerade dabei, diesen Schritt vorzubereiten. Damit liegt die Gründungsquote insgesamt bei 4,97 Prozent und hat sich im Vergleich zu den Vorjahren kaum verändert. In Österreich liegt der Wert bei über 10 Prozent und in der Schweiz bei um die 8 Prozent. Erstmals seit Beginn der GEM-Datenreihe im Jahr 1999 ist die höchste TEA-Quote nicht bei den 35- bis 44-Jährigen, mit 6,14 Prozent, sondern bei der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen, mit 6,64 Prozent, zu finden. Unter folgendem Link können sowohl der globale Report wie auch länderspezifische Reports heruntergeladen werden: https://www.gemconsortium.org/.
Widmen wir uns noch genauer den Gründungseinstellungen. Berufliche Selbstständigkeit bringt immer einschneidende Veränderungen mit sich. Nicht nur, was die berufliche Neuorientierung anbelangt, sondern auch das soziale Umfeld. Warum hast du ein Tiny Start-up gegründet respektive warum willst du eines gründen? Ob in der Rückbetrachtung oder zur Vorbereitung, es sind immer Lerneffekte dabei.
Ich wollte/will Tiny Startupper werden, weil ...
ich eine Idee habe, die ich umsetzen will.
ich auf das Ziel hinarbeite, persönlich und finanziell unabhängig zu sein.
ich den Traum von der beruflichen Selbstständigkeit verwirklichen möchte.
ich in meiner jetzigen Angestelltenposition keine Entwicklungschancen mehr sehe.
ich zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen möchte.
ich keine adäquate Anstellung (mehr) finde.
ich im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen meiner Firma mehr oder weniger dazu genötigt werde.
ich mir und anderen etwas beweisen will.
ich nebenbei etwas verdienen möchte/muss (zur Rente).
ich den Stress an meinem Arbeitsplatz nicht mehr aushalte/einen Burn-out habe.
Du hast bereits eine Geschäftsidee und willst sie im Rahmen eines Tiny Start-ups umsetzen. Wir werden später auf die Konzeptionierung und den Aufbau von Tiny Start-ups eingehen.
Überlege aber an dieser Stelle schon, wie offen du den Markt für deine Idee einschätzt. Handelt es sich vielleicht um ein Produkt und/ oder eine Dienstleistung, wofür du den Markt erst sensibilisieren musst, wie es zum Beispiel bei Anna Jelen, THE TIME EXPERT, der Fall war? Der Umgang mit der Zeit und das Bewusstsein dafür sind zwar im digitalen Zeitalter prominenter denn je, aber ein Geschäftskonzept dafür aufzusetzen, war und ist eine herausfordernde Aufgabe, die Anna mutig, kreativ und erfolgreich angenommen hat (siehe unser Interview auf Seite 21ff., und schau dir ihren Kanal auf YouTube an). Vielleicht triffst du aber auch, wie Samuel Huber mit seiner mobilen Rad-Werkstatt Radsam, auf einen sofortigen Bedarf (siehe unser Interview auf Seite 59f.). Somit hängt die Durchschlagskraft deiner Idee stark vom Erklärungsbedarf, vom tatsächlichen Bedarf und Nutzen deiner avisierten Kund*innen ab. Dafür betrachte deine Persönlichkeitsstruktur hinsichtlich Mut und Durchhaltevermögen und schau dir die Zeitspanne bis zum möglichen Erfolg anhand deiner persönlichen Lebens- und Alterssituation an. Wer ist von deinem Erfolg, deinem Einkommen noch abhängig? Wie geht dein persönliches Umfeld damit um? Gibt es Menschen, die dich blockieren? Wie viel Zeit gibst du dir für die erfolgreiche Umsetzung deines Tiny Start-ups? Diese grundlegenden Fragen werden nochmals bei der Ideenumsetzung relevant.
Du hast den Wunsch, dich neu zu orientieren, dich selbstbestimmt weiterzuentwickeln. Der Weg zur Realisierung ist aber noch sehr vage. Gehe deinen Vorstellungen, die du mit der Selbstständigkeit verbindest, auf den Grund. Zum einen, um ein Geschäftskonzept zu entwickeln oder zu erwerben, das deinen Vorstellungen von persönlicher und/oder fachlicher Entwicklung entspricht. Zum anderen, um zu ermitteln, ob und welche Illusionen damit verknüpft sind. Lebensfreude ist die Energie von Tiny Start-ups. Die kannst du nur optimal entfalten, wenn du auch mit den Herausforderungen leben kannst. Denn unabhängig bist du nie. Wenn es auch nicht mehr das typisch hierarchische Gebilde von Chef*in und Angestelltendasein gibt, so bist du doch von deinen Kunden, Herstellern, Lieferanten, Geldgebern abhängig. Lote aus, wie viel und in welchen Situationen du Einschränkungen und Abhängigkeiten verträgst.
Du möchtest etwas mit deiner beruflichen Selbstständigkeit in der Gesellschaft bewegen? Dein Tiny Start-up soll Teil der Lösung sein und zum Beispiel nachhaltiges Gedankengut fördern, wie es die später vorgestellten Unternehmen Äss-Bar oder Garbags tun (Seite 87/253f., Seite 100f.)? Wenn deine Motivation von solchen oder anderen Veränderungszielen geprägt ist, dann solltest du schauen, inwieweit der Markt oder die avisierten Zielkunden bereits sensibel für das Thema sind. Ein gesellschaftliches Bewusstsein zu verändern dauert lange und es braucht Fingerspitzengefühl, eine adäquate und mitreißende Ansprache zu finden. Gerade nachhaltige Themen sind in der Gesellschaft noch häufig freudlos und einschränkend besetzt. Wir haben 2008 die Greenfranchise-Initiative (nachhaltige Franchisesysteme) lanciert und sind anfangs zu »missionarisch« aufgetreten, indem wir uns vor allem auf die Probleme fokussiert haben. Erst als wir in unserer damaligen Greenfranchise Lounge und Gallery verschiedenste Positivbeispiele interessanter Nachhaltigkeitsunternehmen und Maßnahmen vorgestellt haben, konnten wir Perspektiven öffnen und zum Mitmachen anregen. Denn das war unsere eigentliche Idee: den multiplikativen Charakter des Franchisings für die Ausweitung nachhaltiger Ideen und Konzepte zu nutzen. Mit der Entwicklung des Green Franchise Award haben wir dann noch eine Belohnung draufgesetzt. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Franchiseverband wurde der Preis in diesem Jahr nun bereits zum siebten Mal vergeben.7 Das freut uns. Unsere Erfahrungen aus den Anfängen und den vielen Interviews und Coachings zu diesem Thema haben uns gezeigt, dass es nichts mit der Relevanz von Nachhaltigkeitskonzepten zu tun haben muss, wenn Ideen nicht ankommen.