Grete Minde - Theodor Fontane - E-Book + Hörbuch

Grete Minde E-Book

Theodor Fontane

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Beschreibung

Grete Minde soll 1617 als Rache für einen Erbschaftsprozess eine ganze Stadt angezündet haben. Fontane recherchierte über diesen Fall, den er später als "Justizmord" bezeichnete. Null Papier Verlag

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Theodor Fontane

Grete Minde

Nach einer altmärkischen Chronik

Theodor Fontane

Grete Minde

Nach einer altmärkischen Chronik

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-954188-65-9

null-papier.de/409

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel – Das Hänf­lings­nest

Zwei­tes Ka­pi­tel – Trud und Emr­entz

Drit­tes Ka­pi­tel – Das »Jüngs­te Ge­richt« und was wei­ter ge­sch­ah

Vier­tes Ka­pi­tel – Re­gi­ne

Fünf­tes Ka­pi­tel – Gre­te bei Gi­gas

Sechs­tes Ka­pi­tel – Das Mai­en­fest

Sie­ben­tes Ka­pi­tel – Ja­cob Min­des Tod

Ach­tes Ka­pi­tel – Eine Rit­ter­ket­te

Neun­tes Ka­pi­tel – Auf der Burg

Zehn­tes Ka­pi­tel – Zu Weih­nach­ten

Elf­tes Ka­pi­tel – Der Herr Kur­fürst kommt

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Am Wen­den­stein

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Flucht

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Auf dem Floß

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Drei Jah­re spä­ter

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Die Non­nen von Arend­see

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Wie­der gen Tan­ger­mün­de

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Gre­te bei Gerdt

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Gre­te vor Pe­ter Guntz

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Hier ha­stu ge­rich­tet nur klei­ne Zeit, Dort wir­stu ge­rich­tet in Ewig­keit

Dan­ke

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Erstes Kapitel – Das Hänflingsnest

»Weißt du, Gre­te, wir ha­ben ein Nest in un­serm Gar­ten, und ganz nied­rig, und zwei Jun­ge drin.«

»Das wäre! Wo denn? Ist es ein Fink oder eine Nach­ti­gall?«

»Ich sag es nicht. Du mußt es ra­ten.«

Die­se Wor­te wa­ren an ei­nem über­wach­se­nen Zaun, der zwei Nach­bar­gär­ten von­ein­an­der trenn­te, ge­spro­chen wor­den. Die Spre­chen­den, ein Mäd­chen und ein Kna­be, lie­ßen sich nur halb er­ken­nen, denn so hoch sie stan­den, so wa­ren die Him­beer­bü­sche hü­ben und drü­ben doch noch hö­her und wuch­sen ih­nen bis über die Brust.

»Bit­te, Val­tin«, fuhr das Mäd­chen fort, »sag es mir.«

»Rate.«

»Ich kann nicht. Und ich will auch nicht.«

»Du könn­test schon, wenn du woll­test. Sieh nur«, und da­bei wies er mit dem Zei­ge­fin­ger auf einen klei­nen Vo­gel, der eben über ihre Köp­fe hin­flog und sich auf eine hohe Hanf­stau­de nie­der­setz­te.

»Sieh«, wie­der­hol­te Val­tin.

»Ein Hänf­ling?«

»Ge­ra­ten.«

Der Vo­gel wieg­te sich eine Wei­le, zwit­scher­te und flog dann wie­der in den Gar­ten zu­rück, in dem er sein Nest hat­te. Die bei­den Kin­der folg­ten ihm neu­gie­rig mit ih­ren Au­gen.

»Den­ke dir«, sag­te Gre­te, »ich habe noch kein Vo­gel­nest ge­se­hen; bloß die zwei Schwal­ben­nes­ter auf uns­rem Flur. Und ein Schwal­ben­nest ist ei­gent­lich gar kein Nest.«

»Höre, Gre­te, ich glau­be, da hast du recht.«

»Ein rich­ti­ges Nest, ich mei­ne von ei­nem Vo­gel, nicht ein Krä­hen- oder Stor­chen­nest, das muß so weich sein wie der Flachs von Re­gi­nens Wo­cken.«

»Und so ist es auch. Komm nur. Ich zeig es dir.« Und da­bei sprang er vom Zaun in den Gar­ten sei­nes el­ter­li­chen Hau­ses zu­rück.

»Ich darf nicht«, sag­te Gre­te.

»Du darfst nicht?«

»Nein, ich soll nicht. Trud ist da­wi­der.«

»Ach Trud, Trud. Trud ist dei­ne Schwie­ger, und eine Schwie­ger ist nicht mehr als eine Schwes­ter. Wenn ich eine Schwes­ter hät­te, die könn­te den gan­zen Tag ver­bie­ten, ich tät es doch. Schwes­ter ist Schwes­ter. Spring. Ich fan­ge dich.«

»Hole die Lei­ter.«

»Nein, spring.«

Und sie sprang, und er fing sie ge­schickt in sei­nen Ar­men auf.

Jetzt erst sah man ihre Ge­stalt. Es war ein halb­wach­se­nes Mäd­chen, sehr zart ge­baut, und ihre fei­nen Li­ni­en, noch mehr das Oval und die Far­be ih­res Ge­sichts, deu­te­ten auf eine Frem­de.

»Wie du sprin­gen kannst«, sag­te Val­tin, der sei­ner­seits einen echt mär­ki­schen Breit­kopf und vor­sprin­gen­de Ba­cken­kno­chen hat­te. »Du fliegst ja nur so. Und nun komm, nun will ich dir das Nest zei­gen.«

Er nahm sie bei der Hand, und zwi­schen Gar­ten­bee­ten hin, auf de­nen Dill und Pas­tinak in ho­hen Dol­den stan­den, führ­te er sie bis in den Mit­tel­gang, der wei­ter ab­wärts vor ei­ner Geiß­blatt­lau­be en­dig­te.

»Ist es hier?«

»Nein, in dem Ho­lun­der.«

Und er bog ein paar Zwei­ge zu­rück und wies ihr das Nest.

Gre­te sah neu­gie­rig hin­ein und woll­te sich da­mit zu schaf­fen ma­chen, aber jetzt um­kreis­te sie der Vo­gel, und Val­tin sag­te: »Laß; er ängs­tigt sich. Es ist we­gen der Jun­gen; un­se­re Müt­ter sind nicht so bang um uns.«

»Ich habe kei­ne Mut­ter«, er­wi­der­te Gre­te scharf.

»Ich weiß«, sag­te Val­tin, »aber ich ver­geß es im­mer wie­der. Sieht sie doch aus, als ob sie dei­ne Mut­ter wäre, ver­steht sich, dei­ne Stief­mut­ter. Höre, Gre­te, sieh dich vor. Hübsch ist sie, aber hübsch und bös. Und du kennst doch das Mär­chen vom Machan­del­boom?«

»Ge­wiß kenn ich das. Das ist ja mein Lieb­lings­mär­chen. Und Re­gi­ne muß es mir im­mer wie­der er­zäh­len. Aber nun will ich zu­rück in un­sern Gar­ten.«

»Nein, du mußt noch blei­ben. Ich freue mich im­mer, wenn ich dich habe. Du bist so hübsch. Und ich bin dir so gut.«

»Ach, Nar­re­tei. Was soll ich noch bei dir?«

»Ich will dich noch an­se­hen. Mir ist im­mer so wohl und so weh, wenn ich dich an­se­he. Und weißt du, Gre­te. wenn du groß bist, da mußt du mei­ne Braut wer­den.«

»Dei­ne Braut?«

»Ja, mei­ne Braut. Und dann hei­rat ich dich.«

»Und was machst du dann mit mir?«

»Dann stell ich dich im­mer auf die­sen Him­beer­zaun und sage ›spring‹; und dann springst du, und ich fan­ge dich auf, und …«

»Und?«

»Und dann küß ich dich.«

Sie sah ihn schel­misch an und sag­te: »Wenn das wer hör­te! Emr­entz oder Trud …«

»Ach Trud und im­mer Trud. Ich kann sie nicht lei­den. Und nun komm und setz dich.«

Er hat­te die­se Wor­te vor dem Lau­ben­ein­gang ge­spro­chen, an des­sen rech­ter Sei­te eine Art Gar­ten­bank war, ein klei­ner nied­ri­ger Sitz­platz, den er sich aus vier Pflö­cken und ei­nem dar­über­ge­leg­ten Brett selbst zu­recht­ge­zim­mert hat­te. Er lieb­te den Platz, weil er sein ei­gen war und nach dem Nach­bar­gar­ten hin­über­sah. »Setz dich«, wie­der­hol­te er, und sie tat’s, und er rück­te ne­ben sie. So ver­ging eine Wei­le. Dann zog er einen Mal­ven­stock aus der Erde und mal­te Buch­sta­ben in den Sand.

»Lies«, sag­te er. »Kannst du’s?«

»Nein.«

»Dann muß ich dir sa­gen, Gre­te, daß du dei­nen ei­ge­nen Na­men nicht le­sen kannst. Es sind fünf Buch­sta­ben, und es heißt Gre­te.«

»Ach, grie­chisch«, lach­te die­se. »Nun merk ich erst; ich soll dich be­wun­dern. Hatt es ganz ver­ges­sen. Du ge­hörst ja zu den sie­ben, die seit Os­tern zum al­ten Gi­gas ge­hen. Ist er denn so streng?«

»Ja und nein.«

»Er sieht einen so durch und durch. Und sei­ne ro­ten Au­gen, die kei­ne Wim­pern ha­ben …«

»Laß nur«, be­ru­hig­te Val­tin. »Gi­gas ist gut. Es muß nur kein Kal­vin­scher sein oder kein Ka­thol­scher. Da wird er gleich bös und Feu­er und Flam­me.«

»Ja, sieh, das ist es ja eben …«

Val­tin mal­te mit dem Sto­cke wei­ter. End­lich sag­te er: »Ist es denn wahr, daß dei­ne Mut­ter eine Ka­thol­sche war?«

»Ge­wiß war sie’s.«

»Und wie kam sie denn ins Land und in euer Haus?«

»Das war, als mein Va­ter in Brüg­ge war, da sind vie­le Span­sche. Kennst du Brüg­ge?«

»Frei­lich kenn ich’s. Das ist ja die Stadt, wo sie die bei­den Gra­fen ent­haup­tet ha­ben.«

»Nein, nein. Das ver­wech­selst du wie­der. Du ver­wech­selst auch im­mer. Weißt du noch … Ana­ni­as und Äne­as?! Aber das war da­mals, als du noch nicht bei Gi­gas warst … Ach, bei Gi­gas! Und nun soll ich auch hin, denn ich wer­de ja vier­zehn, und Trud ist bei ihm ge­we­sen, we­gen Un­ter­richt und Fir­mung, und hat es al­les be­spro­chen … Aber sieh, ihr habt ja noch Kir­schen an eu­rem Baum. Und wie dun­kel sie sind! Nur zwei. Die möcht ich ha­ben.«

»Es ist zu hoch oben; da kön­nen bloß die Vö­gel hin. Aber laß se­hen, Gret, ich will sie dir doch ho­len, wenn …«

»Wenn?«

»Wenn du mir einen Kuß ge­ben willst. Ei­gent­lich müß­test du’s. Du bist mir noch einen schul­dig.«

»Schul­dig?«

»Ja. Von Sil­ves­ter.«

»Ach, das ist lan­ge her. Da war ich noch ein Kind.«

»Lang oder kurz. Schuld ist Schuld.«

»Und be­den­ke, daß ich mor­gen zu Gi­gas kom­me …«

»Das ist erst mor­gen.«

Und eh sie wei­ter ant­wor­ten konn­te, schwang er sich in den Baum und klet­ter­te rasch und ge­schickt bis in die Spit­ze, die so­fort hef­tig zu schwan­ken be­gann.

»Um Gott, du fällst«, rief sie hin­auf, er aber riß den Zweig ab, an dem die zwei Kir­schen hin­gen, und stand im Nu wie­der auf dem un­ters­ten Haupt­ast, an dem er sich jetzt, mit bei­den Kni­en ein­ha­kend, waa­ge­recht ent­lang­streck­te.

»Nun pflücke«, rief er und hielt ihr den Zweig ent­ge­gen. »Nein, nein, nicht so. Mit dem Mund …«

Und sie hob sich auf die Fuß­spit­zen, um nach sei­nem Wil­len zu tun. Aber im sel­ben Au­gen­bli­cke ließ er die Kir­schen fal­len, bück­te sich mit dem Kopf und gab ihr einen herz­haf­ten Kuß.

Das war zu­viel. Er­schro­cken schlug sie nach ihm und lief auf die Gar­ten­lei­ter zu, die dicht an der Stel­le stand, wo sie das Ge­spräch zwi­schen den Him­beer­bü­schen ge­habt hat­ten. Erst als sie die Spros­sen hin­auf war, hat­te sich ihr Zorn wie­der ge­legt, und sie wand­te sich und nick­te dem noch im­mer ver­dutzt Da­ste­hen­den freund­lich zu. Dann bog sie die Zwei­ge von­ein­an­der und sprang leicht und ge­fäl­lig in den Gar­ten ih­res ei­ge­nen Hau­ses zu­rück.

Zweites Kapitel – Trud und Emrentz

In den Gär­ten war al­les still, und doch wa­ren sie be­lauscht wor­den. Eine schö­ne, jun­ge Frau, Frau Trud Min­de, mo­disch ge­klei­det, aber mit stren­gen Zü­gen, war, wäh­rend die bei­den noch plau­der­ten, über den Hof ge­kom­men und hat­te sich hin­ter ei­nem Wein­spa­lier ver­steckt, das den ge­räu­mi­gen, mit Ge­bäu­den um­stan­de­nen Min­de­schen Hof von dem et­was nied­ri­ger ge­le­ge­nen Gar­ten trenn­te. Sechs Stu­fen führ­ten hin­un­ter. Nichts war ihr hier ent­gan­gen, und die wi­der­strei­tends­ten Ge­füh­le, nur kei­ne freund­li­chen, hat­ten sich in ih­rer Brust ge­kreuzt. Gre­te war noch ein Kind, so sag­te sie sich, und al­les, was sie von ih­rem Ver­steck aus ge­se­hen hat­te, war nichts als ein kin­di­sches Spiel. Es war nichts und es be­deu­te­te nichts. Und doch, es war Lie­be, die Lie­be, nach der sie sich sel­ber sehn­te und an der ihr Le­ben arm war bis die­sen Tag. Sie war nun ei­nes rei­chen Man­nes ehe­lich Weib; aber nie, so weit sie zu­rück­den­ken moch­te, hat­te sie la­chend und plau­dernd auf ei­ner Gar­ten­bank ge­ses­sen, nie war ein fri­sches, jun­ges Blut um ih­ret­wil­len in einen Baum­wip­fel ge­stie­gen und hat­te sie dann kind­lich un­schul­dig um­armt und ge­küßt. Das Blut stieg ihr zu Kopf, und Neid und Miß­gunst zehr­ten an ih­rem Her­zen.

Sie war­te­te, bis Gre­te wie­der dies­seits war, und ging dann ra­schen Schrit­tes über den Hof auf Flur und Stra­ße zu, um ne­ben­an ihre Muh­me Zer­nitz, des al­ten Rats­herrn Zer­nitz zwei­te Frau und Val­tins Stief­mut­ter, auf­zu­su­chen. In der Tür des Nach­bar­hau­ses traf sie Val­tin, der bei­sei­te trat, um ihr Platz zu ma­chen. Denn sie war in Staat, in ho­her Steh­krau­se und gold­ner Ket­te.

»Gu­ten Tag, Val­tin. Ist Emr­entz zu Haus? Ich mei­ne dei­ne Mut­ter.«

»Ich den­ke, ja. Oben.«

»Dann geh hin­auf und sag ihr, daß ich da bin.«

»Geh nur selbst. Sie hat es nicht gern, wenn ich in ihre Stu­be kom­me.«

Es klang et­was spöt­tisch. Aber Trud, er­regt wie sie war, hat­te des­sen nicht acht und ging, an Val­tin vor­über, in den ers­ten Stock hin­auf, des­sen große Hin­ter­stu­be der ge­wöhn­li­che Auf­ent­halt der Frau Zer­nitz war. Das nach vorn zu ge­le­ge­ne Zim­mer von glei­cher Grö­ße, das kei­ne Son­ne, da­für aber vie­le hohe Lehn­stüh­le und grün­ver­han­ge­ne Fa­mi­li­en­bil­der hat­te, war ihr zu trist und öde. Zu­dem war es das Wohn- und Lieb­lings­zim­mer der ers­ten Frau Zer­nitz ge­we­sen, ei­ner stei­fen und lang­wei­li­gen Frau, von der sie la­chend als von ih­rer »Vor­gän­ge­rin im Amt« zu spre­chen pfleg­te.

Trud, ohne zu klop­fen, trat ein und war über­rascht von dem freund­li­chen Bil­de, das sich ihr dar­bot. Alle drei Flü­gel des brei­ten Mit­tel­fens­ters stan­den auf, die Son­ne schi­en, und an dem of­fe­nen Fens­ter vor­bei schos­sen die Schwal­ben. Über die Kis­sen des Him­mel­betts, des­sen hell­blaue Vor­hän­ge zu­rück­ge­schla­gen wa­ren, wa­ren Spit­zen­tü­cher ge­brei­tet, und vom Hof her­auf hör­te man das Ga­ckern der Hüh­ner und das hel­le Krä­hen des Hahns.

»Ei, Trud«, er­hob sich Emr­entz und schritt von ih­rem Fens­ter­platz auf die Muh­me zu, um die­se zu be­grü­ßen. »Zu so frü­her Stun­de. Und schon in Staat! Laß doch se­hen. Ei, das ist ja das Kleid, das du den Tag nach dei­ner Hoch­zeit trugst. Wie lang ist es? Ach, als ich dir da­mals ge­gen­über­saß, und Zer­nitz ne­ben mir, und die grau­en Au­gen der gu­ten al­ten Frau Zer­nitz im­mer grö­ßer und im­mer bö­ser wur­den, weil er mir sei­ne Ge­schich­ten er­zähl­te, die kein Ende hat­ten, und im­mer so herz­lich lach­te, daß ich zu­letzt auch la­chen muß­te, aber über ih­n, da dacht ich nicht, daß ich zwei Jah­re spä­ter an die­sem Fens­ter sit­zen und auch eine Frau Zer­nitz sein wür­de.«

»Aber eine and­re.«

»Gott sei Dank, eine and­re … Komm, setz dich … Und ich glau­be, Zer­nitz denkt es auch. Denn Män­ner in zwei­ter Ehe, mußt du wis­sen, das sind die bes­ten. Das erst ist, daß sie die ers­te Frau ver­ges­sen, und das zweit ist, daß sie al­les tun, was wir wol­len. Und das ist die Haupt­sa­che. Ach Trud, es ist zum La­chen; sie schä­men sich or­dent­lich und ent­schul­di­gen sich vor uns, schon eine ers­te ge­habt zu ha­ben. And­re mö­gen an­ders sein; aber für mei­nen al­ten Zer­nitz bürg ich, und wäre nicht der Val­tin …«

»Um den eben komm ich«, un­ter­brach Trud, die der Muh­me nur mit hal­b­em Ohr ge­folgt war, »um eben dei­nen Val­tin. Höre, das hat sich ja mit der Gret, als ob es Braut und Bräu­ti­gam wäre. Er muß aus dem Haus. Und ich den­ke, du wirst ihn miss­en kön­nen.«

»Laß doch. Es sind ja Kin­der.«

»Nein; es sind nicht Kin­der mehr. Val­tin ist sech­zehn oder wird’s, und Gret ist über ihre Jah­re und hat’s von der Mut­ter.«

»Nicht doch. Ich war eben­so.«

»Das ist dein Sach, Emr­entz.«

»Und dich ver­drießt es«, lach­te die­se.

»Ja, mich ver­drießt es; denn es gibt einen An­stoß im Haus und in der Stadt. Und ich mag’s und will’s nicht. Du hast einen leich­ten Sinn, Emr­entz, und siehst es nicht, weil du zu­viel in den Spie­gel siehst. La­che nur; ich weiß es wohl, er will es; alle Al­ten wol­len’s, und du sollst dich put­zen und sei­ne Pup­pe sein. Aber ich, ich seh um mich, und was ich eben ge­se­hen hab … Emr­entz, mir schlägt noch das Herz. Ich kom­me von Gi­gas und su­che Gre­ten und will ihr sa­gen, daß sie sich vor­be­rei­tet und ernst wird in ih­rem Ge­müt, da find ich sie … nun rate, wo? Im Gar­ten zwi­schen den Him­beer­bü­schen. Und wen mit ihr? Dei­nen Val­tin …«

»Und er gibt ihr einen Kuß. Ach, Trud, ich hab’s ja mit­an­ge­sehn, al­les, hier von mei­nem Fens­ter, und mußt an alte Zei­ten den­ken, und an den Som­mer, wo ich auch drei­zehn war und mit Hans Hen­sen Ver­ste­ckens spiel­te und eine ge­schla­ge­ne Glo­cken­stun­de hin­ter dem Rauch­fang saß, Hand in Hand und im­mer nur in Sor­ge, daß wir zu früh ge­fun­den, zu früh in un­serm Glück ge­stört wer­den könn­ten. Laß doch, Trud, und gönn’s ih­nen. ’s ist nichts mit al­ter Leu­te Zärt­lich­kei­ten, und ich wollt, ich stün­de wie­der, wie heu­te die Gre­te stand. Es war so hübsch, und ich hatt eine Freu­de dran. Nun bin ich drei­ßig, und er ist dop­pelt so alt. Hätt ich noch vier Jah­re ge­war­tet, höre, Trud, ich glau­be fast, ich hät­te bes­ser zu dem Jun­gen als zu dem Al­ten ge­paßt. Sieh nicht so bös drein und be­denk, es trifft’s nicht je­der so gut wie du. Gleich zu gleich und jung zu jung.«

»Jung zu jung!« sag­te die­se bit­ter. »Es geht ins drit­te Jahr, und un­ser Haus ist öd und ein­sam.«

»Alt oder jung, wir müs­sen uns eben schi­cken, Trud«; und da­bei nahm Emr­entz ih­rer Muh­me Arm und schritt mit ihr in dem ge­räu­mi­gen Zim­mer auf und ab. »Mein Al­ter ist zu jung, und dein Jun­ger ist zu alt; und so ha­ben wir’s gleich, trotz­dem uns der Schuh an ganz ver­schie­de­nen Stel­len drückt. Nim­m’s leicht, und wenn du das Wort nicht lei­den kannst, so sei we­nigs­tens bil­lig und ge­recht. Wie lieg­t’s denn? Höre, Trud, ich den­ke, wir ha­ben nicht viel ein­ge­setzt und dür­fen nicht viel for­dern. Hin­ein­ge­hei­ra­tet ha­ben wir uns. Und war’s denn bes­ser, als wir mit fünf­und­zwan­zig, oder war’s noch ein Jahr mehr, auf dem Gar­de­leg­ner Markt­platz sa­ßen und gähn­ten und strick­ten und von uns­rem Fens­ter aus den Bau­er­frau­en die Eier in der Kie­pe zähl­ten? Jetzt kau­fen wir sie we­nigs­tens und le­ben einen gu­ten Tag. Und das Sprich­wort sagt, man kann nicht al­les ha­ben. Was fehlt, fehlt. Aber dir zehr­t’s am Her­zen, daß dir nichts Klei­nes in der Wie­ge schreit, und du ver­suchst es nun mit Gi­gas und mit Pre­digt und Li­ta­nei. Aber das hilft zu nichts und hat noch kei­nem ge­hol­fen. Hal­te dich ans Le­ben; ich tu’s und ge­trös­te mich mit der Zu­kunft. Und wenn der alte Zer­nitz eine zwei­te Frau nahm, warum sollt ich nicht einen zwei­ten Mann neh­men? Da hast du mei­ne Weis­heit, und warum es mir ge­deiht. La­che mehr und bete we­ni­ger.«

Es schi­en, daß Trud ant­wor­ten woll­te, aber in die­sem Au­gen­blick hör­te man deut­lich von der Stra­ße her das Schmet­tern ei­ner Trom­pe­te und da­zwi­schen Pau­ken­schlä­ge. Es kam im­mer nä­her, und Emr­entz sag­te: »Komm, es müs­sen die Pup­pen­spie­ler sein. Ich sah sie schon ges­tern auf dem An­ger, als ich mit mei­nem Al­ten aus dem Lo­renzwäld­chen kam.« Und da­nach gin­gen bei­de jun­ge Frau­en in das Frau Zer­nitz­sche Vor­der­zim­mer mit den ho­hen Lehn­stüh­len und den ver­han­ge­nen Fa­mi­li­en­bil­dern und stell­ten sich an eins der Fens­ter, das sie rasch öff­ne­ten.

Und rich­tig, es wa­ren die Pup­pen­spie­ler, zwei Män­ner und eine Frau, die, bunt und phan­tas­tisch auf­ge­putzt, ih­ren Um­ritt hiel­ten. Hun­der­te von Neu­gie­ri­gen dräng­ten ih­nen nach. Es war er­sicht­lich, daß sie nicht hier, son­dern erst wei­ter ab­wärts, an ei­nem un­mit­tel­bar am Mark­te ge­le­ge­nen Eck­hau­se zu hal­ten ge­dach­ten, als aber der zur Rech­ten Rei­ten­de, der lan­ge, gelb und schwarz ge­streif­te Tri­kots und ein schwar­zes, eng­an­lie­gen­des Samt- und At­las­col­let trug, der bei­den jun­gen Frau­en ge­wahr wur­de, hielt er sein Pferd plötz­lich an und gab ein Zei­chen, daß der die Pau­ke rüh­ren­de, ha­g­re Hans­wurst, des­sen wei­ßes Hemd und spit­ze Filz­müt­ze be­reits der Ju­bel al­ler Kin­der wa­ren, einen Au­gen­blick schwei­gen sol­le. Zu­gleich nahm er sein Ba­rett ab und grüß­te mit rit­ter­li­chem An­stand zu dem Fens­ter des Zer­nitz­schen Hau­ses hin­auf. Und nun erst be­gann er: »Heu­te abend, sie­ben Uhr, mit ho­her ob­rig­keit­li­cher Be­wil­li­gung, auf dem Rat­hau­se hie­si­ger kur­füst­li­cher Stadt Tan­ger­mün­de: Das Jüngs­te Ge­richt.«

Dies Wort wur­de, wäh­rend der Schwar­zund­gelb­ge­streif­te die Trom­pe­te hob, von ei­nem un­ge­heu­ern Pau­ken­schla­ge be­glei­tet.

»Das jüngs­te Ge­richt! Gro­ßes Spiel in drei Ab­tei­lun­gen, so von uns ge­spie­let wor­den vor Ihren christ­li­chen Ma­je­stä­ten, dem rö­mi­schen Kai­ser und Kö­nig und dem Kö­ni­ge von Un­garn und Po­len. Des­glei­chen vor al­len Kur­fürs­ten und Fürs­ten deut­scher Na­ti­on. Wor­über wir Zeug­nis­se ha­ben al­ler­durch­lauch­tigs­ter Sa­tis­fak­ti­on. Das jüngs­te Ge­richt! Gro­ßes Spiel in drei Ab­tei­lun­gen, mit Chris­tus und Ma­ria, samt dem Lohn al­ler Gu­ten und der Ver­damm­nis al­ler Bö­sen. Dazu bei­des, En­gel und Teu­fel, und großes Feu­er­werk, aber ohne Knall und Schie­ßen und sons­ti­ge Fähr­lich­keit, um nicht ›de­nen schö­nen Frau­en‹, so wir zu se­hen hof­fen, ir­gend­wie stö­rend oder miß­fäl­lig zu sein.«

Und nun wie­der Pau­ken­schlag und Trom­pe­ten­stoß, und auf den Markt­platz zu nahm der Um­ritt sei­nen Fort­gang, wäh­rend der Pup­pen­spie­ler im Tri­kot noch ein­mal zu dem Zer­nitz­schen Hau­se hin­auf­grüß­te. Auch die dun­kel­far­bi­ge Frau, die zwi­schen den bei­den and­ren zu Pfer­de saß, ver­neig­te sich. Sie schi­en groß und statt­lich und trug ein Dia­dem mit lan­gem schwar­zem Schlei­er, in den zahl­lo­se Gold­s­tern­chen ein­ge­näht wa­ren.

»Gehst du heu­te?« frag­te Emr­entz.

»Nein. Nicht heut und nicht mor­gen. Es wi­der­steht mir, Gott und Teu­fel als blo­ße Pup­pen zu se­hen. Das Jüngs­te Ge­richt ist kein Spiel, und ich be­greif uns­re Rats­man­nen nicht, und am we­nigs­ten un­sern al­ten Pe­ter Guntz, der doch sonst ein christ­li­cher Mann ist. Hei­den und Tür­ken sin­d’s. Sahst du die Frau? Und wie der lan­ge schwar­ze Schlei­er ihr vom Kop­fe hing?«

»Ich gehe doch«, lach­te Emr­entz.

Da­mit trenn­ten sich die Frau­en, und Trud, un­zu­frie­den über das Ge­spräch und das Schei­tern ih­rer Plä­ne, kehr­te noch übel­lau­ni­ger, als sie ge­kom­men, in das Min­de­sche Haus zu­rück.

Drittes Kapitel – Das »Jüngste Gericht« und was weiter geschah