Grock spielt die erste Geige - Rudi Kost - E-Book

Grock spielt die erste Geige E-Book

Rudi Kost

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  • Herausgeber: Silberburg
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Im Stuttgarter Schlossgarten wird ein toter Obdachloser gefunden - der dritte innerhalb weniger Wochen. Während Kriminalrat und Staatsanwalt bereits eine Serie wittern, hört Kommissar Grock auf seine Intuition, denn irgendetwas ist anders an diesem Toten. Und tatsächlich: Bald stellt sich heraus, dass die Ermittler es mit dem ehemaligen Ersten Geiger des Stuttgarter Sinfonieorchesters zu tun haben. Grock und sein Team stehen vor einem Rätsel. Denn der Konzertmeister galt als gutmütig und unbedarft, er ging ganz in der Musik auf und hatte sich in einem unauffälligen, geradezu langweiligen Leben eingerichtet. Ein Mann, dem anscheinend niemand übelwollte. Doch dann bekommt das Bild vom harmlosen Violinisten Risse. Wer war dieser Peter Loose wirklich? Wem ist er so gefährlich geworden, dass er sterben musste? Das Team um Grock bekommt es mit neidischen Musikern zu tun, mit einer frustrierten Unternehmergattin und einer aufreizenden Schwiegertochter, die alle ihre dunklen Geheimnisse haben. Und was hat es mit einer angeblich wertvollen Geige auf sich? Dabei hat Grock eigentlich gerade gar keinen Kopf für schwierige Ermittlungen. Denn während ganz Stuttgart unter einer Hitzewelle stöhnt, sind in seiner Ehe eisige Zeiten angebrochen. Grocks Laune ist auf dem Gefrierpunkt, was auch sein Team und besonders die neue Kollegin Theresa Wimmer zu spüren bekommen …

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Seitenzahl: 276

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Rudi Kost

Grock spielt die erste Geige

Rudi Kost

Grock spieltdie erste Geige

Ein Baden-Württemberg-Krimi

Rudi Kost, 1949 in Stuttgart geboren, ist gelernter Journalist und arbeitet seit langem als freier Autor und Herausgeber. Er hat Hörfunkfeatures und Hörspiele geschrieben, PC-Fachbücher, Reiseführer und vieles mehr. Er lebt bei Schwäbisch Hall, wo auch seine Krimiserie um den Versicherungsvertreter Dillinger spielt.

Dies ist ein Roman. Alle Personen sind frei erfunden.Die Geschichte verdankt einige Anregungen einem wahrenFall, über den der Berliner Oberstaatsanwalt Willi Wiedenberg berichtet hat (»Die Welt«, 29.5.2005).Dank an Maria für den entscheidenden Einfall.

1. Auflage 2014

© 2014 by Silberburg-Verlag GmbH,Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen.Alle Rechte vorbehalten.Umschlaggestaltung: Christoph Wöhler, Tübingen.Coverfoto: © GIBLEHO – Fotolia.Druck: CPI books, Leck.Printed in Germany.

E-Book im EPUB-Format: ISBN 978-3-8425-1648-9E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1649-6Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-8425-1348-8

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Inhalt

Autor

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

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1

Als das Telefon ging, war Grock schon halb zur Tür hinaus. Abrupt hielt er inne und verfiel in ein tiefes Grübeln. Das war jetzt eine interessante Situation. War er schon halb draußen oder noch halb drinnen? Und wenn er sich schon mehrheitlich außerhalb des Dienstzimmers befand, war er dann auch schon außer Dienst? Mehrheitlich? Oder ganz?

Das Telefon schnarrte weiter. Ein Höllenlärm, wenn einer in Gedanken ist und ganz weit weg.

Wahrscheinlich gab es für solche Fälle Richtlinien und Vorschriften, bis auf den Zentimeter genau, der Rat würde sie kennen. Die lösten aber nicht sein Problem.

Das Telefon gab keine Ruhe.

Grock fühlte einen Ärger aufsteigen. Telefon um diese Zeit, lange nach Dienstschluss, das konnte ja nichts Gutes bedeuten, oder? Heilandsack, warum bloß war er nicht eher gegangen? Wer wusste überhaupt, dass er noch hier war?

Er starrte auf das schnarrende Telefon, als könne er es mit seinen Augen atomisieren.

Schließlich siegte das Pflichtgefühl. Oder auch die Neugierde.

Er kehrte um, nahm den Hörer ab, meldete sich mit einem knurrigen »Ja«, lauschte und sagte: »Wo genau? Aha.«

Ausgerechnet dort.

Sakrament, das hatte ihm gerade noch gefehlt!

Es war ja nicht so, dass es ihn nach Hause drängte, was sollte er dort auch. Aber noch weniger Lust hatte er, seine Zeit an einem Tatort zu verbringen.

Nicht bei diesem Wetter.

Seit elf Tagen regnete es ohne Unterlass, die Zeitungen hatten genau gezählt, und selbst die professionellen Wetterschönredner im Fernsehen machten mittlerweile trübe Mienen. Und das im Juni, wo man doch eigentlich in einer Gartenwirtschaft sitzen müsste bei einem Trollinger vom Fass. Stuttgart soff so langsam ab, daran konnte auch ein grüner Oberbürgermeister nichts ändern, der konnte höchstens das Mantra vom Klimawandel herunterbeten.

Das wird eine schöne Sauerei, dachte er.

Er merkte, wie der Ärger zu einem granatenmäßigen Zorn wuchs, der eigentlich durch nichts begründet war, und das ärgerte ihn noch mehr. Er suchte ein Opfer. Das er nicht fand, er war allein auf weiter Flur, und das im Wortsinne. Und etwas an die Wand zu werfen, jetzt zum Beispiel diesen Aschenbecher, machte keinen Spaß, wenn man keine Zuschauer hatte, die erschreckt den Kopf einzogen.

Das wurmte ihn mächtig.

Stinkwütend stapfte er davon, laut schimpfend.

Der Pförtner kam ihm gerade recht. Der starrte mit offenem Mund verwundert, wenn nicht gar besorgt auf einen Kommissar, der vor sich hin brabbelte und mit den Armen gestikulierte.

»Mach’s Maul zu, es zieht«, herrschte Grock ihn an. »Und glotz nicht wie ein Mondkalb!«

Aufs Tiefste beleidigt zog sich der Pförtner zurück. Man war ja einiges gewöhnt von den Kommissaren, von diesem Grock zumal, aber das ging dann doch zu weit.

Grock stieg, etwas befriedigt, in seinen Wagen.

Wenigstens hatte er einen schweren Regenmantel und Gummistiefel immer im Auto, also würde er sich nicht auch noch die Kleidung ruinieren.

Es war nicht weit.

Diesmal war es wieder der Mittlere Schloßgarten, gleich beim Teich.

Er schlüpfte in seine Gummistiefel und zog sich den Regenmantel über. Sakrament, wie würde sein Wagen aussehen nachher! Nach kurzem Zögern nahm er doch den Cowboy-Hut. Regenschirme waren lästig.

Es war ihm bewusst, dass er komisch aussah, aber es war ihm so was von egal. Der Hut mit seiner breiten Krempe war praktisch, das allein zählte.

Dann ging er hinüber.

Es war noch hell, gerade noch so. Wenigstens das.

Der dritte Penner in drei Wochen. Ab jetzt würde die Lokalpresse von einer Serie sprechen. Er schaute auf die Uhr. Die Schlagzeilen würden es noch in die Stadtausgaben schaffen.

Serie! Lachhaft!

Dem Ersten hatte einer ein Messer in den Bauch gerammt im Oberen Schloßgarten, der Zweite war ganz in der Nähe von diesem Tatort so auf eine Steinbank gestürzt, dass es ihm den Schädel zertrümmert hatte.

Grock war sich sicher, dass dies Händel unter den Pennern gewesen waren, Unglücksfälle, keine Morde, und mit der Zeit und mit Geduld würden sie das auch beweisen können.

Und der hier? Grock ließ sich unterrichten. Mit einer Flasche den Schädel eingeschlagen. Lag vermutlich seit gestern schon da. Also hätten sie die Spurensuche auch gleich abbrechen können.

»Zeigt mir die Flasche«, verlangte er.

Die Kollegen präsentierten ihm die Überreste in der Plastiktüte.

Donnerwetter, ein Macallan! Er war kein Whiskyexperte, das gab sein Gehalt nicht her, aber er war einmal eingeladen worden – wo war das gleich gewesen? Er starrte auf die Leiche hinab und grübelte. Er kam nicht drauf. Auch egal jetzt. Jedenfalls konnte er mitreden, was einen Macallan betraf. Saugut und sauteuer. Das kauft kein Penner beim Aldi.

Etwas an diesem dritten Toten war anders, das spürte er. Er trug die gleichen schmuddeligen Kleider wie all die anderen Penner und war verdreckt, wenn der Regen auch einiges abgewaschen hatte. Er hatte keinen Ausweis bei sich und auch sonst nichts, was eine Identifizierung ermöglicht hätte. Kein Geld in der Tasche, nicht einen einzigen Cent. Sah so aus, als hätte man ihn ausgeräumt. In der Plastiktüte, die neben ihm im nassen Gras lag, befanden sich leere Bierdosen unterschiedlicher Marken.

Aber etwas war anders.

Grock trödelte noch eine Zeitlang herum, weil er glaubte, dass man das von ihm erwartete, was ein Irrtum war. Jeder wusste, dass er nichts ausrichten konnte jetzt. Er störte nur.

»Kerle, pass auf, dass du keine Spuren zerdappsch!«, flachste er einen jungen Kollegen von den Spurensicherern an. Der sprang erschrocken zurück.

»War ein Witz«, beruhigte ihn Grock.

Stand es schon so schlimm, dass er seine Witze erklären musste? Das war doch offensichtlich, dass für die Spurensicherer hier eh nicht viel zu holen war, nicht nach diesem Dauerregen, und dass deshalb seine dumme Bemerkung nichts anderes gewesen sein konnte als eben eine dumme Bemerkung. Der Versuch, sie alle, die unlustig durch den Matsch stapften, mit einem Witz aufzuheitern.

Der Versuch war erbärmlich misslungen.

Manchmal war er wie der Elefant im Porzellanladen, hier und heute eben der Elefant in einem aufgeweichten städtischen Park. Manchmal, ohne es zu wollen. Manchmal wollte er auch.

Grock suchte jemanden, an dem er seine Laune auslassen konnte. Aber alle taten beschäftigt und vermieden den Blickkontakt.

Unterdessen war es dunkel geworden. Das gnadenlose Licht der Scheinwerfer stanzte eine Insel in die Nacht. Rings umher nur konturenlose Dunkelheit und das Pladdern des Regens.

2

Grock, noch immer in übelster Stimmung, fuhr heim nach Luginsland. Sein Haus lag dunkel, was hatte er auch anderes erwartet. Bei den Nachbarn rechts bewegte sich die Gardine, er sah kurz das blaue Flackern des Fernsehers. Sie hatten also darauf gewartet, wann er kommt. Ob sie es notierten, genau mit Uhrzeit?

Neugieriges Pack.

Er streckte ihnen die Zunge heraus und hoffte, dass sie es noch gesehen hatten.

Der Mantel hinterließ eine Pfütze im Flur, die Gummistiefel hatte er mitsamt ihrem Dreck gleich im Auto gelassen.

Er machte Licht, überall, und ließ die Gardinen offen. Sollten die Nachbarn ruhig sehen, was sich tat im Haus, es war ihm einerlei. Er ging in die Küche, zögerte kurz und entschied sich dann für einen Trollinger aus Uhlbach. Wenn schon nicht im Garten, dann eben im Haus. Wenn das so weiterging mit dem Wetter, würde er die Heizung wieder einschalten müssen. Doch eigentlich lohnte sich das überhaupt nicht für die kurze Zeit, die er zu Hause war.

Im Kühlschrank fand er einen Bollen Wurst.

Mit dem Glas in der Hand wanderte er durch das leere Haus. Die Stille sprang ihn an. Er betrachtete die Bilder an der Wand. Eigentlich müsste er sie auswendig kennen, sie begleiteten ihn schließlich sein halbes Leben, doch sie schienen sich von Mal zu Mal zu ändern.

Damals hatte sie noch Aquarelle gemalt, wie flüchtige Skizzen dahingehuscht. Er sah einen Leuchtturm, eine Mole, Felsen, Meer und erinnerte sich an diesen Urlaub im Süden, als er dem Jungen das Schwimmen beizubringen versucht hatte, ein aussichtloses Unterfangen im Meer, und Lena hatte derweil ihre Aquarelle gepinselt. Ihre Wangen waren rot, nicht nur von der Sonne, ihre Augen lachten, sie war aufgekratzt und sprudelte vor Energie, sie hatte etwas geschafft, aber der Junge konnte immer noch nicht schwimmen. Später hatte sie eine kleine Galerie in Esslingen zu einer Ausstellung überreden können und nicht schlecht verkauft. So ging es, bis die Tochter kam.

Lionel war seit Längerem ausgezogen und studierte Maschinenbau in Aachen, Lisa seit Neuestem Medizin in Tübingen. Und Lena?

In einem Anfall maßloser Wut warf er sein Glas an die Wand. Der Rest Wein spritzte ein bizarres Muster. Wie nannte man so was: Trollinger-Art?

Er würde die Sauerei nicht wegputzen, schwor er sich, er nicht!

Draußen platschte der Regen unbeirrt.

3

Wie er sich’s gedacht hatte. Die Entdeckung der Leiche war noch nicht zu spät gewesen für die Lokalpresse, und nun schrien sie die Serie von den Penner-Morden heraus. Die Zeitung mit den großen Buchstaben schrie besonders laut, das war ja nicht anders zu erwarten.

Grock war unausgeschlafen und verkatert und bemitleidete sich selbst.

Die Serie würde nun langsam die Etagen hochklettern und ganz schnell wieder hinab und dann mit einem Knall auf seinem Kopf landen.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Als ob er keine anderen Sorgen hätte!

Um sich etwas aufzuheitern, wettete er mit sich selbst, wann der Rat ihn zu sich bestellen würde.

Normalerweise ließ sich der Rat nie vor elf blicken. Heute würde das anders sein. Golfen konnte er sowieso nicht, der Regen hatte nicht nachgelassen.

Ließe er ihn vor neun rufen, legte sich Grock fest, würde er sich heute Abend einen Trollinger vom Wöhrwag gönnen. Kommt der Anruf aber nach neun, musste es einer von der Genossenschaft tun.

Grock war siegessicher.

Er starrte auf das Telefon, hörte dem Regen zu, dachte mit Wehmut an Lena und hatte die Uhr im Blick.

Um drei nach neun war es so weit. Drei Minuten!

Während Grock den Flur entlangging, grübelte er über die schwerwiegende Frage nach, inwieweit es moralisch statthaft sei, sich selbst zu betrügen. Drei Minuten! Drei Minuten galten eigentlich nicht. Ganz bestimmt ging seine Uhr vor.

Andererseits, Regeln sind Regeln.

Er stellte sich eine neue auf. Wenn der Rat sich wundern würde, dass Grock schon so früh im Büro war, dann die Genossenschaft.

Grock war sich diesmal absolut sicher.

»Dicke Luft«, sagte Waltraud Schächterle gleichmütig und goss ihren Ficus. Die Vorzimmerdame von Kriminaloberrat Dr. Jochen Harms, Leiter der Kriminalpolizeiinspektion 1, war seit vierzig Jahren dabei, sie erschütterte nichts mehr.

Sie hatte die Räte kommen und gehen, aufsteigen und manchmal auch fallen sehen. Es kümmerte sie wenig. Hauptsache, ihre Topfpflanzen überlebten. Die Jahre hatten sich wie Lebensringe um ihren Körper gelegt, der dadurch etwas Monströses gewonnen hatte. Schutzschilde gegen alle Unbilden.

Als Grock die Hand nach der Türklinke zum Zimmer des Rats streckte, wurde er von Waltraud mit einem knappen »Halt!« gestoppt. Sie deutete wortlos auf seine Schuhe.

Der Rat, dessen Frau vermögend war, hatte sein Büro jüngst auf eigene Kosten mit einem neuen Teppichboden ausstatten lassen, einem teuren Teppichboden, wie er nicht vergaß zu betonen, und duldete keine Straßenschuhe.

Missmutig schlüpfte Grock aus seinen Stiefeln. Sein rechter großer Zeh lugte verschämt aus einem kapitalen Loch in der Socke. Waltraud bemerkte es und schüttelte missbilligend den Kopf.

So was! Sonst achtete Grock auf sein Äußeres, nach seinen Maßstäben jedenfalls, aber das war ihm heute Morgen beim Anziehen gar nicht aufgefallen.

Grock wackelte mit dem Zeh, dann zog er rasch den Socken aus und streckte ihn Waltraud hin. »Kannst du nicht …?«, bat er.

»Nein!«, sagte sie entschieden und stellte sämtliche Lebensringe auf Abwehr. Waltraud war nach zähem Kampf erfolgreich geschieden und hatte nicht die Absicht, sich jemals wieder in ihrem Leben mit Männersocken zu befassen, wenn sie auch sonst ein großes Herz hatte.

»Ich kann das nicht«, sagte Grock und spielte mit dem Zeigefinger in dem Loch.

»Man kann alles lernen, wenn man will. Oder wenn man muss. Man kann auch das Alleinsein lernen.«

Grock schaute sie misstrauisch an. Ahnte sie etwas von dem, was sein Geheimnis bleiben sollte? Doch sie schaute ihn nicht bedeutungsvoll an, sondern ordnete Papiere auf ihrem Schreibtisch. Dann hatte sie wohl ihre eigene Situation gemeint.

»Im Übrigen«, sagte sie noch, »gibt es neue Socken in jedem Kaufhaus.«

»Aber der Rat …«, sagte Grock hilflos.

»Nein.«

»Wo bleibt denn dieser Grock?«, knarzte es aus der Gegensprechanlage.

Waltraud wies auf die Tür zum Allerheiligsten, und Grock trottete hinein, den Socken noch immer in der Hand.

Er sollte das immer so machen. Der teure, flauschige Flor umschmeichelte seinen nackten Fuß auf das Angenehmste, und genüsslich und gemächlich schlenderte er zu dem Schreibtisch hin, hinter dem der Rat saß. Designerstücke, beide.

»Da sind Sie ja endlich«, rief Harms. Grock war irritiert, weil er sich plötzlich an seine Wette erinnerte und nicht wusste, wie dieser Aufruf dazu passte. Ohnehin fiel ihm nicht mehr ein, was genau nun eigentlich seine Wettbedingungen waren. Egal, er hatte so oder so gewonnen, beschloss er. Ein Tag, der ganz gewiss nur Unerquickliches bringen würde, ließ sich besser überstehen, wenn am Abend ein guter Tropfen in Aussicht stand.

Der Rat wackelte betrübt mit dem Kopf, als er Grocks ansichtig wurde. Wie er nur wieder aussah! Da aber Grock immer gleich aussah, der Rat mithin bei jeder Begegnung den Kopf schütteln musste, war dies zu einer Art Begrüßungsritual geworden, das keiner von ihnen mehr wahrnahm.

Die leidige Frage der täglichen Garderobenauswahl, die ja untrennbar verbunden war mit der ebenso leidigen und immens zeitraubenden Frage der regelmäßigen Garderobenergänzung, hatte Grock für sich höchst pragmatisch entschieden. Er trug stets Jeans und eine Wildlederjacke. Als ausgesprochen festlich gekleidet galt bei Grock, wenn er sich zu einem Hemd bequemte, mit offenem Kragen, versteht sich. Üblich war ein T-Shirt. Wie heute.

Gleichsam als modische Extravaganz besaß er von den Jacken zwei Stück, die eine in Grau, die andere in Beige und beide schon etwas speckig. Heute war Beige an der Reihe, möglicherweise, weil der Tag ohnehin grau war. Genauso gut hätte es aber auch Grau sein können, wie um die Trübnis des Tages und seiner Stimmung noch zu unterstreichen.

Er wechselte die Jacken nach einem undefinierbaren System, auf das seine Leute schon Wetten abgeschlossen hatten, ohne dass einer jemals erfolgreich gewesen wäre. So dass sie es mittlerweile aufgegeben hatten, sich auch nur Gedanken darüber zu machen.

Genau wie sich der Rat seinerseits darein geschickt hatte, dass es sinnlos war, Grock Vorhaltungen zu machen wegen dessen rigiden, ja ridikülen Kleidungsgewohnheiten. Ein Dorn im Auge waren sie ihm gleichwohl. Und dann noch dieser Pferdeschwanz, zu dem er sein Haar gebunden hatte, dunkelbraun mit einigen grauen Strähnen. Übrigens hatte noch niemand Grock mit offenem Haar gesehen.

Der Mann, fand der Rat, war mittlerweile über die Jahre hinaus, um noch als Alt-Hippie herumzulaufen. Laut ausgesprochen hatte er das allerdings noch nie. Grock selbst wäre einigermaßen erstaunt gewesen über eine solche Zuordnung und hätte dagegengehalten, dass er für einen Hippie viel zu alt und für einen Alt-Hippie viel zu jung sei. Er war gewissermaßen durch das Raster der Zeit gefallen und fühlte sich wohl dabei.

Überhaupt war sein Aufzug mit keinerlei ideologischen Festlegungen verbunden. Es gefiel ihm so, und es war praktisch, und damit basta. Was nicht heißen sollte, dass er nicht eitel war; auf seine Art allerdings.

Allenfalls hätte er eingeräumt, nach einer Flasche Trollinger vielleicht, dass in ihm ein gewisses Potenzial an Rebellentum schlummerte. Nicht präzise umrissen, nicht als Programm, eher als ein latentes Misstrauen gegen Konventionen und Autoritäten von Amts wegen. Damit machte er sich nicht nur Freunde, wie er wohl wusste. Aber mit penetranter Sturheit hielt er an sich fest.

Doch Stil- oder gar Geschmacksfragen standen jetzt nicht zur Debatte, schließlich hatten sie drei Leichen.

Geduldig hörte Grock sich das Lamento des Rates an. Penner waren egal, aber Serie war schlecht. Serie implizierte Versagen, da war nicht genügend getan worden, damit etwas überhaupt nicht erst zur Serie wurde. Der Rat hatte Ambitionen, das LKA vielleicht, man munkelte auch vom Innenministerium, obschon das bei der derzeitigen politischen Farbenlehre undenkbar schien. Aber irgendwann würden die Wähler wieder zur Vernunft kommen, und für diese Zukunft musste man vorbereitet sein, eine Serie störte da entschieden.

Wie immer war der Rat makellos und bot keinerlei Angriffsfläche, auch kleidungsmäßig nicht. In den Fünfzigern wie Grock, trug er, wie immer, einen perfekt sitzenden dunklen Dreiteiler, nicht von der Stange, diesmal einen blauen Nadelstreifen. Weißes Hemd, dezent gemusterte Krawatte, Föhnfrisur. Die randlose Brille suggerierte Intellektualität, was aber Täuschung war.

Eine vorzeigbare Erscheinung, unbestreitbar, modelliert für Höheres. Die Stimme energisch, das Kinn kampflustig vorgestreckt, Tatendrang in den Augen. Der Rat übte für die Pressekonferenz, die unvermeidlich anstand. Sein forsches Gehabe kompensierte den Umstand, dass er klein von Wuchs war. Gelegentlich huschte ein knitzer Ausdruck über sein Gesicht, aber man durfte sich davon nicht in die Irre führen lassen. Er konnte gnadenlos sein.

»Wir müssen entschlossen den Kampf aufnehmen, Grock«, sagte der Rat.

Wir? Der Rat würde nur an der politischen Front kämpfen, und das war auch besser so, wenn sie Ergebnisse haben wollten.

»Das ist eine ernste Situation, Grock«, sagte der Rat. »Wir werden alle Kräfte auf diesen Fall konzentrieren, und wir werden nicht eher ruhen, bis die Serie gestoppt ist. Ich verlange vollen Einsatz.«

Der Rat liebte solche Phrasen.

Grock machte erst gar nicht den Versuch, seine Zweifel an der Serie anzumelden, das war nutzlos in diesem Moment. Der Rat musste Führungsqualitäten zeigen, da waren Zweifel unangebracht. Grock verstand das ja, der Rat stand unter Druck, er wollte Ergebnisse sehen, und zwar sofort, bitte schön.

Der Rat erwartete pflichtgemäßen Protest mit Hinweis auf die angespannte Personalsituation oder was man sonst bei derlei Gelegenheiten in die Diskussion werfen mochte.

Ebenso pflichtgemäß würde er, der Rat, das nicht gelten lassen, und somit standen die Chancen auf einen von Grocks Ausbrüchen nicht schlecht.

Doch Grock, dem noch der Trollinger im Kopf gärte, war beunruhigend lammfromm und versprach ihm alles, was er hören wollte, damit ging er unerquicklichen Diskussionen aus dem Weg. Er würde die Ermittlungen ohnehin so leiten, wie er es für richtig hielt.

Grock so friedlich? Der Rat staunte. Dann wurde er gewahr, dass Grock etwas in der Hand hielt.

»Was ist das?«, fragte der Rat. »Ist das ein Beweisstück?«

Grock hielt den löchrigen Socken hoch. »Höchstens für meine hausfraulichen Fähigkeiten.«

Der Rat nickte mitfühlend. »Socken!«, philosophierte er. »Sie finden nie zueinander. Sie verschwinden auf rätselhafte Weise im Nichts. Sie lösen sich voneinander. Das Sockenloch im Besonderen ist ein Mysterium, das sich jeder rationalen Erklärung entzieht. Warum ist da plötzlich nichts mehr, wo zuvor etwas war? Wohin ist es gegangen? Ich bringe das nicht auf die Reihe. Sockentechnisch bin ich meiner Frau hilflos ausgeliefert.«

Nun war es an Grock, mitfühlend zu nicken. Die Socke war eine Metapher. Er kannte die Frau Rat, eine harsche, widerwärtige Person, mit der nicht gut Kirschen essen war. Man schrieb seinen Ehrgeiz ihr zu, und das war wohl richtig, denn manchmal hatte der Rat sich nicht im Griff und zeigte sich menschlich.

»Aber es ist angenehm, barfuß auf Ihrem Teppich«, sagte Grock und zog auch den anderen Socken aus.

»Nicht wahr?«, strahlte der Rat, bückte sich und entledigte sich in Windeseile seiner Socken. Dann erhob er sich und stolzierte auf und ab.

»Luxury Shaggy. Heat-Set-Spezialfaser. Hervorragende Wiederaufrichtungseigenschaften. Lichtstabil und selbstverständlich schadstoffgeprüft.«

»Selbstverständlich«, sagte Grock und wackelte mit den Zehen.

Auch der Rat spielte mit den Zehen im hohen Flor. »Es ist ein Gefühl wie … wie … ein Gefühl eben.«

Grock war gleichfalls aufgestanden, ging hin und her und ergab sich dem … Gefühl. »Es kribbelt«, sagte er.

»Bis in die Eier«, bestätigte der Rat.

»Wie eine Massage«, sagte Grock.

»Nuru ist nichts dagegen«, so der Rat mit einem wohligen Stöhnen.

Nun, das sagte Grock nichts, aber wenn der Rat meinte, hatte es schon seine Richtigkeit.

Sie glitten mit ihren nackten Füßen durch den Teppich, der Rat mit verklärter Miene.

»Man sollte das öfter machen«, sagte Grock.

»Mein geheimes Vergnügen«, gluckste der Rat.

Wie ertappt, mit hochrotem Gesicht, huschte er zu seinem Schreibtisch, griff nach den Socken und hielt inne.

»Nun schauen Sie sich das an«, sagte der Rat und zeigte auf ein Loch in seiner Socke. »Das war heute Morgen noch nicht, ich schwöre es. Wie ich schon sagte, ein Mysterium.«

Grock nickte.

Der Rat räusperte sich. »Der Staatsanwalt wird ungeduldig.«

Wie auch anders. Es gehörte zum Wesen der Staatsanwälte, ungeduldig zu sein, ihr Ziel war das Gericht, wo sie brillieren konnten, alles auf dem Weg dahin war nur lästig. Von zähen Ermittlungen verstanden sie ohnehin nichts, man war das gewohnt. Grock zuckte nur mit den Schultern.

»Er erwartet Ihren Bericht«, sagte der Rat.

»Könnten Sie das nicht …?«, fragte Grock.

»Mein lieber Grock, ich ertrinke in Arbeit.« Der Rat wies auf seinen Schreibtisch. Wenn es Arbeit gab, war sie gut getarnt, der Schreibtisch war leer bis auf die unumgänglichen Utensilien. Der Rat hatte gelesen, dass Aktenstapel von mangelhaften Führungsqualitäten zeugten, man musste delegieren können. Er hatte sich diesen Grundsatz bedingungslos zu eigen gemacht.

Grock zuckte abermals mit den Schultern, gleichmütig.

»Da ist noch etwas, Grock«, sagte der Rat.

Grock hörte.

»Es liegt eine Beschwerde gegen Sie vor. Vom Pförtner. Sie sollen ihn gestern Abend geduzt und beschimpft haben«, sagte der Rat, etwas bang, weil er einen Grock’schen Ausbruch fürchtete.

Grock staunte. Was war denn da gewesen? Sicher, er war schlechter Laune gewesen und hatte sich aufgeregt und hatte irgendetwas zum Pförtner gesagt, an das er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte. Aber beschimpft? Das sicher nicht. Wahrscheinlich war der Pförtner kein Landsmann und nahm das bisschen Gebruddel für bare Münze.

»Hamballe«, murmelte er.

»Wie bitte?«, fragte der Rat. Auch er war nicht von hier.

Grock wischte die Frage mit einer unwilligen Handbewegung beiseite.

»Kümmern Sie sich darum, Grock. Wenigstens eine Entschuldigung wäre angebracht«, sagte der Rat.

Grock versprach auch das und war selbst überrascht, dass er sich nicht aufregte. Das Kribbeln hielt an, von den Füßen an aufwärts. Grübelnd blickte er auf den Teppichboden. Er barg ein Geheimnis.

Mit den Socken in der Hand tapste er zurück in Waltrauds Vorzimmer.

»Dem geht einer ab«, sagte er.

Waltraud nickte wissend. »Das Kribbeln.«

»Hat was.«

»Ich weiß.«

»Feierst du mit ihm Barfußpartys?«

Waltraud schnaubte.

Grock zog sich die Socken wieder an, den löchrigen an den andern Fuß, den linken. Der hatte auch ein Recht auf Freiheit.

Auf dem Rückweg fühlte er sich beschwingt und sinnierte ohne Groll über die Ergebnisse, die der Rat haben wollte, und zwar sofort, bitte schön. Das war eine Sache, die er nicht so ohne Weiteres beiseiteschieben konnte. Der Rat wollte zeigen können, dass gearbeitet wurde, mit vollem Einsatz.

Es würde seinen Leuten nicht gefallen.

Aber manchmal gehörte es eben zu seiner Position, sich unbeliebt zu machen. Damit konnte er leben.

Zuerst freilich war der Staatsanwalt an der Reihe. Das Kribbeln hörte schlagartig auf, und etwas von seinem Missmut kehrte zurück.

4

Der zuständige Staatsanwalt Rainer Ströbel, Anfang der Dreißig, natürlich ein Doktor, worauf er aber nicht herumritt, seit solche Titel sich als bisweilen nicht haltbar erwiesen hatten, was nun zu amüsanten Spekulationen hätte führen können – Rainer Ströbel also war ein Katalogmensch.

Grock stellte sich das so vor, dass man diese Wesen aus vorgegebenen Bestandteilen zusammensetzte, so dass eine grundlegende Erscheinungsform gewahrt blieb, die allenfalls geringe Differenzierungen zuließ; mal blond, mal braun. Darum allenthalben die uniformen Anzüge, die dezenten Krawatten, die gepflegten Haarschnitte, die entschlossenen Stimmen, das bestimmende Auftreten.

Solche Menschen waren verwechselbar, deshalb gab es im Katalog noch einige Zusatzausstattungen. Dr. Rainer Ströbel konnte man schneidig nennen. Ein Schmiss hätte ihm gut angestanden, aber der war wohl derzeit nicht im Angebot.

Auf dem Schreibtisch des Staatsanwalts lagen die Zeitungen.

»Eine schlimme Geschichte«, sagte Ströbel mit freudigem Ton.

Er meinte nicht die drei Toten, er meinte die Schlagzeilen. Stand ein Serienmörder auf dem Programm, rieb sich ein Staatsanwalt die Hände. Das verhieß wirkliche Aufmerksamkeit, anders als ein alltägliches Beziehungsdrama mit letalem Ausgang.

»Ein Serienmörder! Bei uns! Im Park!«, sagte er mit leuchtenden Augen und begann dann, über Serienmörder im Allgemeinen zu dozieren und im Besonderen über Serienmorde an Pennern und entwickelte ein exakt passendes Täterprofil, zu dem ihm nur noch der Täter fehlte.

Grock blickte derweil auf die Schuhe des Staatsanwalts, die im Takt seiner Ausführungen wippten, irgendetwas Schwarzes, das edel aussah und so, als würde es den Füßen Beschwerden bereiten, und dachte an den Teppich des Rats.

Er schreckte hoch, weil ihm offenbar eine Frage des Staatsanwalts entgangen war.

»Wo sind Sie bloß mit Ihren Gedanken?«, rügte der. »Ich habe nach neuen Erkenntnissen gefragt.«

»Einige«, log Grock. »Sehr vage noch, aber sie deuten in die richtige Richtung.«

»Ausgezeichnet!«, sagte der Staatsanwalt. »Es geht doch voran!«

Zu den Katalogmenschen gehörte auch, dass sie oftmals mit vorgestanzten Antworten ruhig zu stellen waren, Antworten aus einem anderen Katalog. Gelegentlich jedoch verbissen sie sich darin, nicht aus übergroßem Eifer, sondern aus reinem Unverstand, und es war dann schwer, sie wieder auf den rechten Weg zu bringen.

»Wissen Sie, Herr Grock, nach dem zweiten Toten hatte ich ja gleich an einen Serienmörder gedacht, und nun ist es evident.«

Gar nichts hatte er gedacht, der Fall war als minder bedeutsam auf die Seite geschoben worden. An Pennern machte man sich nur die Hände schmutzig.

Grock behielt seine Zweifel an der Serie abermals für sich.

Staatsanwälte konnte man nicht überzeugen, man konnte sie nur überstehen. Überleben. Niemand will als Staatsanwalt enden, höchstens als Leitender Oberstaatsanwalt, und dann wurde eine neue Bestellung nach Katalog aufgegeben.

Grock verstand das und war deshalb gegenüber Staatsanwälten meist zu einer für ihn unüblichen Gelassenheit fähig. Gelegentlich nur kam ihm seine Sturheit in die Quere.

»Behalten Sie den psychopathischen Aspekt im Auge, Herr Kommissar. Serienmörder sind immer Psychopathen«, gab ihm der Staatsanwalt mit auf den Weg.

Klar.

5

Grock rief seine Leute zusammen und verteilte Arbeit. Der dicke Dirk musste später noch in die Gerichtsmedizin und war zudem mit der Geschichte in Heslach beschäftigt. Ein Mann hatte im Ehestreit seiner Frau mit der Bratpfanne eins übergezogen. Die Bratpfanne war schwer, aus Gusseisen. Die Bratpfanne hatte die Attacke problemlos überstanden, die Frau nicht.

Der Fall war offensichtlich, aber der Mann verweigerte sich noch einem Geständnis und erging sich in absonderlichen Erklärungen, weil er sich selbst noch nicht eingestehen konnte, was da passiert war.

Es war eigentlich egal, aber ein Geständnis wäre ein sauberer Abschluss. Der Bratpfannen-Totschlag hatte jetzt vielleicht nicht mehr oberste Priorität, doch Grock war nicht gewillt, sich Hektik aufzwingen zu lassen, nur weil einer weiter oben Druck von noch weiter oben bekommen hatte. Eins nach dem andern.

Dann blieben eigentlich nicht mehr viele, wenn er nicht selbst die Laufarbeit machen wollte, wozu er aber entschieden keine Lust hatte. Nicht heute. Nicht bei diesem Wetter. Nicht bei seinen Sorgen.

»Toni, und Sie, Kollegin Wimmer, ihr geht in den Schloßgarten und befragt die Obdachlosen«, entschied er. »Wer was beobachtet hat, ihr wisst schon, das Übliche. Nehmt euch ein paar Kollegen vom Revier mit, die kennen ihre Pappenheimer.«

Toni nickte, Theresa Wimmer bockte.

»Das können die Kollegen vom Revier doch auch allein machen«, protestierte sie.

Natürlich hatte sie recht. Die Streifenbeamten hatten sich schon in den Pennerkreisen umgehört und würden dies auch weiter tun. Deswegen musste man wahrlich nicht in die Stadt hineinfahren, nicht bei diesem Sauwetter.

Aber Grock bestand darauf: »Ich möchte, dass Sie dabei sind, Frau Wimmer.«

Theresa gab noch nicht auf. »Bei diesem Wetter findet man ohnehin keinen im Park.«

»Frau Wimmer«, sagte Grock nachdrücklich und mit so viel Geduld, wie er eben noch aufbringen konnte, »wir führen hier keine Diskussionen, sondern Ermittlungen. Und die werden sich, bitte schön, in einem dicken Stapel von Protokollen niederschlagen.«

Bitte schön! Er redete ja schon wie der Rat, und das ärgerte ihn.

»Wir sollten uns besser um die Identität des Toten von heute Nacht kümmern«, widersprach Theresa.

Das lief ja auf eine Konfrontation hinaus. Grock wurde herrisch und eine Spur lauter und überaus prononciert: »Ich gebe hier die Anweisungen. Und ich verteile die Arbeit.«

Theresa lief rot an. Sie standen sich gegenüber wie zwei Kampfhähne. Gleich fängt Grock an zu schreien, dachte Toni, der ihn kannte. Wenn Grock betont akzentuiertes, fast bühnenreifes Hochdeutsch sprach, war Gefahr im Verzug.

Aber Theresa achtete nicht auf die seismographischen Ausschläge, die einer Eruption vorausgingen. »Das ist purer Aktionismus«, versuchte sie es noch einmal.

Schnell schaute sich Toni auf Grocks Schreibtisch nach Gegenständen um, die sich als Wurfgeschosse eignen mochten, und schloss seine Hand um den Zinnbecher, in dem Grock seine Stifte aufbewahrte und der schon arge Dellen zeigte.

Doch Grock war gnädig und schaute Theresa nur böse an. »Genau das soll es sein.«

Toni verstand. Grock war ja erst beim Rat und dann beim Staatsanwalt gewesen. Und außerdem war es ihrem Seelenheil sicher zuträglicher, wenn sie sich seinem Griesgram eine Weile entziehen konnten. »Komm, Theresa«, sagte er und zog die Kollegin mit sich.

Grock schaute beiden nach und seufzte.

»Was war das denn jetzt?«, fragte Dirk Petersen, der den Wortwechsel erst amüsiert, dann zunehmend verständnislos beobachtet hatte. »Musst du deine schlechte Laune an den anderen auslassen?«

»Ich bin nicht schlecht gelaunt«, sagte Grock.

»Du solltest das Mädchen nicht so angehen, Stefan. Sie kommt frisch von der Polizeischule, sie versteht noch nichts von Bürokratentaktik.«

»Sie ist bockig«, entgegnete Grock.

»Sie ist temperamentvoll, und sie hat ihre eigene Meinung. Was du normalerweise an deinen Leuten auch schätzt.«

Grock sah sich an die Wand gedrängt, war aber nicht gewillt, einzulenken, und griff zu einem Argument, von dem er selbst merkte, dass es saublöd war. »Sie sollte wenigstens wissen, wer hier der Chef ist«, sagte er.

»Selbst schuld«, sagte Dirk.

»Was soll das heißen?«, fuhr Grock ärgerlich auf.

»Du bist nicht der Typ, der seine Leute mit unsinnigen Befehlen durch die Gegend jagt. Wir diskutieren hier alles, und du erklärst, was in deinem Dickschädel vorgeht, wenn wir’s nicht gleich kapieren. Aber die Wimmer schließt du aus.«

Grock schwieg.

»Und außerdem«, fuhr Petersen fort, »wird es Zeit, dass du sie endlich auch duzt, wie wir das schon immer gehalten haben. Dafür ist sie lang genug bei uns.«

»Ist ja wohl meine Sache«, entgegnete Grock patzig.

Dirk Petersen schaute seinen Chef nachdenklich an. Der Leiter des Dezernats 1.1 (Tötungsdelikte) war dreiundfünfzig Jahre alt, mittelgroß, kräftig gebaut, mit leichtem Bauchansatz. Sein Gesicht war kantig und wurde von einer großen Nase beherrscht, von der sich zwei scharfe Falten hinab zu den Mundwinkeln zogen.

Stefan Grock war eigentlich ein attraktiver Mann, fand Petersen, zu dem sogar dieser antiquierte Pferdeschwanz passte. Wenn er nicht, wie jetzt, verkniffen vor sich hin starrte, der Mund ein schmaler Strich, die Lippen zusammengepresst, die Stirn in Falten. Grock guckte böse und irgendwie unglücklich.

»Was ist los mit dir, Stefan? Das bist nicht du!«

Sicher, seine Ausbrüche, meist ohne Vorwarnung, waren berüchtigt. Er pflegte dann um sich zu werfen mit allem, was er gerade in die Finger bekam. Seine Leute duckten sich und kehrten hernach die Scherben zusammen. Das waren gelegentliche Aufwallungen, die so schnell gingen, wie sie gekommen waren.

Erstaunlicherweise zeigte er ansonsten eine bemerkenswerte Gelassenheit, in die sich ironischer Humor mischte. Ein widersprüchlicher Mensch. Grob wie ein Bauer von der Alb und gleichzeitig empfindsam. Grüblerisch und wortkarg. Ein Schwabe eben, dachte Dirk.

Grock brütete vor sich hin.

»Stefan, wir sind nicht bloß Kollegen, wir sind Freunde!«

»Halt’s Maul und mach, dass du zu deiner Bratpfanne kommst«, sagte Grock unwirsch.

Dirk Petersen schüttelte den Kopf und ging. Sturkopf! Man musste Grock Zeit lassen, dachte er, der ging nicht so leicht aus sich heraus.

Das war eines der Dinge, die er nicht an ihm mochte.

6

Theresa Wimmer war immer noch wütend und schimpfte mächtig auf Grock, als sie mit Toni Scarpa Richtung Schloßgarten fuhr. Sie saß am Steuer.

»Warum behandelt er mich so?«

»Du machst ihm Angst.«

»Angst? Wieso?«

»Weil du eine Frau bist.« Sie waren jetzt seit ein paar Wochen Kollegen, aber Theresa wusste immer noch nicht, wann sie Toni ernst nehmen musste.